Wenn das Herz Regie führt … - Toni Waidacher - E-Book

Wenn das Herz Regie führt … E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Wolfgang Hofstetter fand auf dem Parkplatz des Hotels ›Zum Löwen‹ noch eine freie Stelle, an der er seinen VW Passat abstellen konnte, stieg aus und schaute sich um. Herrlich!, durchfuhr es ihn. Ein paradiesischer Flecken Erde, fügte er in Gedanken hinzu. Schon als er über den Pass gefahren war und von dem Aussichtspunkt auf der Passhöhe ins Wachnertal hinuntergeschaut hatte, wusste er, dass er hier richtig war. Die drei idyllisch gelegenen Gemeinden hatte man von oben aus sehen können, außerdem die Kachlach, den Achsteinsee, die weitläufigen Felder, Äcker und Wiesen, und natürlich die bewaldeten Berge rings um das Tal, hinter denen sich wie riesige versteinerte Wächter die himmelstürmenden Felsen des Hochgebirges erhoben. Einige der Zweitausender schienen die ungetrübt blaue Himmelskuppel wie Säulen zu tragen. Die schrundigen Gipfel gleißten im grellen Sonnenlicht, das ganze Tal lag unter einer flirrenden Hitzedecke. Auch der Ort selbst gefiel dem Achtundzwanzigjährigen. Wie die Perlen an einer Schnur reihten sich zu beiden Seiten der Hauptstraße die Häuser aneinander, allesamt im alpenländischen Stil erbaut. Viele der Fassaden waren mit wunderbaren Lüftlmalereien geschmückt. An den Gebäuden war viel Holz verarbeitet worden, an den Balkonen und auf den Fensterbänken blühten in üppiger Farbenpracht die Geranien, Petunien und viele andere bunte Blumen. Cafés, Eisdielen und Restaurants verfügten über Außenservicebereiche, und jetzt, kurz nach der Mittagszeit, waren fast sämtliche angebotenen Plätze besetzt. Ein Durcheinander von Stimmen und Gelächter, das Geschrei ausgelassen spielender Kinder und Musik, die im Hintergrund dudelte, erreichte Wolfgangs Ohren. Das war allerdings etwas, das er nicht suchte. Er suchte die Einsamkeit, die Ruhe – er suchte Ausgeglichenheit. Darum hatte er auch sein Mountainbike mitgebracht. Es war auf dem Fahrradständer, den die Anhängerkupplung seines Autos trug, festgemacht. Mit dem Rad wollte er die abgelegenen Plätze im Wachnertal erkunden, in sich gehen, sein Innerstes sortieren und wieder zu sich finden. Hinter ihm lag eine schlimme Zeit der verzehrenden Verunsicherung, verbunden mit wühlenden Ängsten und frustrierender Hoffnungslosigkeit sowie – bitterer Enttäuschung.

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Der Bergpfarrer – 495 –

Wenn das Herz Regie führt …

Findet Wolfgang eine neue Liebe?

Toni Waidacher

Wolfgang Hofstetter fand auf dem Parkplatz des Hotels ›Zum Löwen‹ noch eine freie Stelle, an der er seinen VW Passat abstellen konnte, stieg aus und schaute sich um.

Herrlich!, durchfuhr es ihn. Ein paradiesischer Flecken Erde, fügte er in Gedanken hinzu.

Schon als er über den Pass gefahren war und von dem Aussichtspunkt auf der Passhöhe ins Wachnertal hinuntergeschaut hatte, wusste er, dass er hier richtig war. Die drei idyllisch gelegenen Gemeinden hatte man von oben aus sehen können, außerdem die Kachlach, den Achsteinsee, die weitläufigen Felder, Äcker und Wiesen, und natürlich die bewaldeten Berge rings um das Tal, hinter denen sich wie riesige versteinerte Wächter die himmelstürmenden Felsen des Hochgebirges erhoben. Einige der Zweitausender schienen die ungetrübt blaue Himmelskuppel wie Säulen zu tragen. Die schrundigen Gipfel gleißten im grellen Sonnenlicht, das ganze Tal lag unter einer flirrenden Hitzedecke.

Auch der Ort selbst gefiel dem Achtundzwanzigjährigen. Wie die Perlen an einer Schnur reihten sich zu beiden Seiten der Hauptstraße die Häuser aneinander, allesamt im alpenländischen Stil erbaut. Viele der Fassaden waren mit wunderbaren Lüftlmalereien geschmückt. An den Gebäuden war viel Holz verarbeitet worden, an den Balkonen und auf den Fensterbänken blühten in üppiger Farbenpracht die Geranien, Petunien und viele andere bunte Blumen.

Cafés, Eisdielen und Restaurants verfügten über Außenservicebereiche, und jetzt, kurz nach der Mittagszeit, waren fast sämtliche angebotenen Plätze besetzt. Ein Durcheinander von Stimmen und Gelächter, das Geschrei ausgelassen spielender Kinder und Musik, die im Hintergrund dudelte, erreichte Wolfgangs Ohren.

Das war allerdings etwas, das er nicht suchte. Er suchte die Einsamkeit, die Ruhe – er suchte Ausgeglichenheit. Darum hatte er auch sein Mountainbike mitgebracht. Es war auf dem Fahrradständer, den die Anhängerkupplung seines Autos trug, festgemacht. Mit dem Rad wollte er die abgelegenen Plätze im Wachnertal erkunden, in sich gehen, sein Innerstes sortieren und wieder zu sich finden.

Hinter ihm lag eine schlimme Zeit der verzehrenden Verunsicherung, verbunden mit wühlenden Ängsten und frustrierender Hoffnungslosigkeit sowie – bitterer Enttäuschung. Schließlich hatte er einen Schlussstrich gezogen und sich entschlossen, zwei Wochen lang weit weg von allem sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen und Abstand zu gewinnen.

Das hier schien ihm der richtige Platz zu sein. Denn dort, wo der Ort endete, endeten auch Jubel, Trubel und Heiterkeit. Während der Herfahrt hatte er außerhalb der Ortschaft kaum jemanden gesehen. Ein paar Radfahrer, einige Spaziergänger, und das wars. Außer dem Ort selbst war der Achsteinsee stark von Urlaubern frequentiert, aber ein Badevergnügen am See kam für Wolfgang nicht infrage.

Er holte seine Reisetasche vom Rücksitz des Autos, verriegelte per Fernbedienung die Autotüren und betrat schließlich das Hotel.

Die Rezeption befand sich unterhalb der Treppe zum Obergeschoss. Auf dem freien Platz davor, einer etwas größeren Nische, standen ein kleiner runder Tisch und zwei leichte Cocktailsessel. Zwei Türen zweigten vom Eingangsbereich in die Gaststube und in die Küche ab.

An der Rezeption versah Susanne Reisinger Dienst. Sie war die älteste Tochter des Hotelinhabers Sepp Reisinger, der seiner Tochter immer mehr von den Aufgaben übertrug, die er jahrelang selbst erledigt hatte. Es hatte den Anschein, dass er sich mehr und mehr aus dem laufenden Geschäft zurückziehen wollte.

»Guten Tag«, grüßte Wolfgang, stellte seine Reisetasche ab und legte beide Hände auf den Tresen der Rezeption.

»Grüaß Sie«, erwiderte Susi und lächelte den neuen Gast freundlich an.

»Mein Name ist Hofstetter – Wolfgang Hofstetter. Ich habe telefonisch bei Ihnen für die nächsten zwei Wochen ein Zimmer gebucht.«

Ein paar Mausklicks, dann gab Susi den Namen Hofstetter ein, und schon nickte sie. »Da haben wir Sie ja schon, Herr Hofstetter. Genau – zwei Wochen, Halbpension.« Sie hob den Blick. »Ich geb’ Ihnen Zimmer neun. Sie finden es im ersten Stock, rechter Flur. Von dem Zimmer aus haben S’ einen wunderbaren Blick auf die Berge im Osten des Tals.«

»Fein«, antwortete Wolfgang. »Gibt es eine Möglichkeit, mein Mountainbike unterzustellen, wenn ich es nicht benutze? Einen Schuppen vielleicht, oder eine leer stehende Garage?«

»Ah, Sie haben ihr Radl dabei. Haben S’ vor, das Wachnertal per Fahrrad zu erkunden? Da haben wir sicher einen Platz, wo Sie’s abstellen können und wo’s sicher ist. Ich zeig’ ihn Ihnen, sobald S’ Ihr Zimmer bezogen haben.«

»Das ist nett von Ihnen. Muss ich eine Anmeldung ausfüllen?«

»Nein. Ihre Daten hab’ ich ja. Mehr ist net nötig.« Susi holte den Schlüssel zu Zimmer neun aus dem Schlüsselfach und reichte ihn Wolfgang. »Sie können den Aufzug benutzen. Den finden S’ gleich neben der Treppe. Im Übrigen darf ich Sie herzlich willkommen heißen in St. Johann, namentlich im Hotel ›Zum Löwen‹. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.«

»Vielen Dank, sehr freundlich. Gefahren bin ich heute schon genug. Daher werde ich die Treppe nehmen.«

Er sprach es, nahm seine Tasche, nickte Susi mit dem Anflug eines Lächelns zu und lenkte seine Schritte zur Treppe. Leichtfüßig stieg er sie empor.

Susi schaute ihm nachdenklich hinterher. Sein freundliches, aber zurückhaltendes Auftreten warf bei ihr Fragen auf. So auch die Tatsache, dass er alleine zwei Wochen lang Urlaub machen wollte. Sie hatte ihm in die Augen geschaut und war sich sicher – trotz seines angedeuteten Lächelns – eine seltsame Leere auf ihrem Grund wahrgenommen zu haben. Sie verfügte über eine hervorragende Menschenkenntnis …

Susi widmete sich wieder ihrer Arbeit am Computer. In die Privatangelegenheiten der Hotelgäste mischte sie sich grundsätzlich nicht ein. Es gelang ihr, die Gedanken an Wolfgang zu verdrängen und sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.

Doch schon eine Viertelstunde später erschien Wolfgang erneut. »Entschuldigen Sie die Störung. Vielleicht haben Sie Zeit und können mir den Abstellplatz für mein Fahrrad zeigen.«

»Oh, natürlich«, erwiderte Susi, erhob sich, nahm einen Schlüssel und verließ die Rezeption. Sie steuerte die Hintertür an. Wolfgang folgte ihr. Sie traten hinaus in den Hof, und Susi wies auf einen kleinen Anbau. »Das ist eine kleine Werkstatt, besser gesagt ein Werkzeugschuppen. Da ist sicher genug Platz für Ihr Radl.«

Sie überquerten den Hof, Susi schloss die Tür auf. Sie knarrte leicht in den Angeln, als sie nach innen aufschwang. Wolfgang trat unter die Tür und schaute hinein. Links, unter dem Fenster, befand sich eine Werkbank. An der Wand darüber waren Haltungen für Hämmer, Schraubenzieher und Schraubenschlüssel befestigt. Einige Kunststoffbehältnisse mit Schrauben und Nägeln standen auf der Arbeitsplatte. An der gegenüberliegenden Wand hingen zwei Besen, eine Kehrschaufel aus Blech, eine Schaufel und ein Rechen sowie einige weitere Werkzeuge, die ein Garten notwendig machte. Da lehnte auch eine aufgestellte Schubkarre. In der Raummitte war genug Platz für das Fahrrad.

»Hervorragend«, meinte Wolfgang und wandte sich Susi zu. »Es handelt sich um ein ziemlich teures Bike, und ich will es nicht unbedingt die Nacht über auf dem Fahrradständer am Auto lassen. Den kann ich zwar abschließen, aber das ist ziemlich unsicher.«

»Bei uns stiehlt niemand Fahrräder«, versetzte Susi lachend. »Im Wachnertal gehts ehrlich zu.«

»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Wolfgang. »Ich lebe allerdings nach dem Grundsatz: Trau schau wem. Und Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.«

»Sie sind wohl ein recht misstrauischer Mensch, Herr Hofstetter«, sagte Susi, und es war keine Frage, sondern eine Feststellung.

»Ich hab’ schlechte Erfahrungen gemacht«, antwortete Wolfgang und verließ den gemauerten Schuppen. Dabei vermied er es, Susi anzusehen, und es war deutlich, dass er dieses Thema nicht vertiefen wollte. »Soll ich mir den Schlüssel jeweils bei Ihnen abholen«, fragte er, »oder haben Sie einen Zweitschlüssel, den Sie mir überlassen können?«

»Sie kriegen einen Schlüssel von mir«, antwortete Susi. »Wenn S’ Ihr Rad gleich herholen, schließ’ ich es ein. Oder wollen S’ heut’ noch eine Runde fahren? Dann schließen wir’s weg, wenn S’ zurückkommen.«

»Ich werde mir heute den Ort zu Gemüte führen«, erwiderte Wolfgang. »Wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben, dann hole ich das Rad. Den Schlüssel können Sie mir ja später aushändigen.«

»Nur zu«, erwiderte Susi.

Wolfgang eilte zur Ausfahrt und verschwand aus Susis Blickfeld. Es dauerte nicht lange, dann kam er mit dem Mountainbike um die Ecke. Er schob es in die Werkstatt, lehnte es gegen die Werkbank und ging nach draußen. Susi schloss die Tür ab. »So«, sagte sie, »das Radl wär’ sicher. Ich besorg’ mir den zweiten Schlüssel und händige ihn Ihnen beim Abendessen aus. In Ordnung?«

»Sie sind sehr nett«, versetzte Wolfgang. »Vielen Dank.«

*

Wolfgang schlenderte durch St. Johann. Die Häuser an der Hauptstraße beherbergten im Erdgeschoss fast ausschließlich irgendeinen Laden oder einen Gastronomiebetrieb. In den Auslagen wurden die verschiedensten Dinge angeboten. Das ging von landesüblichen Spezialitäten über Sportartikel und –bekleidung bis hin zu modischer Kleidung und Schmuck.

Für alles das hatte Wolfgang jedoch kein Auge. Er war in Gedanken versunken. Er kam einfach nicht los von der Frage, woran es gelegen hatte, dass die drei Jahre andauernde Beziehung zwischen ihm und Sabina am Ende so kläglich gescheitert war. Er hatte sie geliebt, sie gewissermaßen auf Händen getragen. Aber in den letzten Monaten war Sabina immer zurückhaltender geworden, sie hatte sich regelrecht von ihm zurückgezogen und es vermieden, auf seine Fragen einzugehen, oder sie hatte ausweichende Antworten parat. Es kam immer öfter zum Streit, und schließlich hatte er eine Aussprache gefordert. Diese Forderung hatte erneuten Streit ausgelöst.

Für ihn, Wolfgang, war das Zusammenleben zur Tortur geworden, weil er nie sicher sein konnte, wie Sabina reagierte, und so hatte er die Konsequenzen gezogen, sich eine eigene Wohnung gesucht und war aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen.

Sabina hatte nicht versucht, ihn zurückzuhalten. Insgeheim hatte er gehofft, dass sie, wenn er ihr gewissermaßen die Pistole auf die Brust setzte, bereit war, zu reden und ihm zu verraten, was der Grund für ihren Rückzug war. Pustekuchen! Sie hatte nicht einmal gefragt, was ihn zum Auszug veranlasste. Das war die letzte Enttäuschung, die sie ihm bereitet hatte. Der Liebe, die er für sie empfunden hatte, hatte sie mit ihrer Reaktion den Todesstoß versetzt.

Er erreichte den Pfarrplatz, auf dem Kastanienbäume und Linden Schatten spendeten und einige Bänke zum Sitzen einluden. Auf der einen Seite wurde der Platz von einer etwa zwei Meter hohen Mauer begrenzt, hinter der der Friedhof lag. Ein Portal führte hindurch. Auf der gegenüberliegenden Seite, dort, wo der Platz endete, sah Wolfgang die gelb und weiß gestrichene Kirche mit dem patinierten Zwiebeldach des Glockenturms. Gegenüber der Friedhofsmauer, an der Längsseite des Platzes, stand das Pfarrhaus. Es wurde von den Kronen der Obstbäume des dahinterliegenden Pfarrgartens überragt.

Allmählich gelang es Wolfgang, die Gedanken an Sabina zu verdrängen. Hier war es ruhig, der Lärm der Hauptstraße war zurückgeblieben und wehte nur noch schwach heran. Wolfgang konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. Der Pfarrplatz war sauber gehalten, das Pflaster war eben und an einigen Stellen ausgebessert worden, ein lauer Wind ließ die Blätter der Bäume zittern.

Wolfgang setzte sich auf eine Bank, die dort stand und von einer Baumkrone beschattet wurde, lehnte sich zurück und schlug das rechte Bein über das linke, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den Blick schweifen. Durch das Friedhofsportal konnte er einige mit Blumen geschmückte Gräber sehen, die mit einheitlich gearbeiteten Holzkreuzen versehen waren. Ovale Schilder an den Kreuzen verrieten die Namen derer, die hier ihre letzte Ruhe gefunden hatten.

Als die Sache mit Sabina zu Ende gegangen war, hatte Wolfgang das Gefühl gehabt, auch er sei am Ende angelangt. Das Leben hatte für ihn jeglichen Sinn verloren. Irgendwann, Wochen später, hatte er schließlich begonnen, die Vergangenheit abzuschütteln und an die Zukunft zu denken. Ergebnis dieses Bemühens war am Ende auch der Entschluss, für zwei Wochen in die Berge zu fahren und total abzuschalten. Er brauchte eine fremde Umgebung, fremde Leute, etwas, das ihn fern von daheim forderte und auf andere Gedanken brachte.

Vor einiger Zeit hatte er das Biken für sich entdeckt. Mit dem Mountainbike über Stock und Stein zu brettern, ständig angespannt, weil es ja nicht ungefährlich war, voll konzentriert, immer einen Sturz in Erwägung ziehend und im Falle des Falles darauf bedacht, dass keine allzu schlimmen Verletzungen die Folge waren – das war seine Welt.

Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Tür des Pfarrhauses, durch die nun ein hochgewachsener Mann ins Freie trat. Er war mit einem schwarzen Anzug bekleidet, trug einen weißen Priesterkragen, und am Revers seiner Jacke glitzerte im Sonnenlicht ein kleines goldenes Kruzifix.

Es handelte sich um Pfarrer Trenker, der im Wachnertal auch als der ›Bergpfarrer‹, in St. Johann darüber hinaus als ›der gute Hirte‹ bekannt war.

Lächelnd kam er näher, und als er heran war, grüßte er Wolfgang und fragte: »Genießen S’ ein bissel die Ruhe unter den alten Bäumen hier? Ich hab’ Sie durchs Fenster meines Büros gesehen und mir gedacht, ich leist’ Ihnen ein bissel Gesellschaft. Ich bin der Gemeindepfarrer von St. Johann. Mein Name ist Trenker – Sebastian Trenker, weder verwandt noch verschwägert mit dem berühmten Luis Trenker, von dem S’ sicherlich schon gehört haben.«

»Das freut mich«, erklärte Wolfgang, der sich erhoben hatte. »Mein Name ist Hofstetter – Wolfgang Hofstetter. Ich lebe und arbeite in Kaiserslautern. Die Ruhe hier ist in der Tat wohltuend. Lärm, Hektik und Unruhe hab’ ich daheim tagtäglich.«

Die Männer schüttelten sich die Hand. »Darf ich mich ein bissel zu Ihnen setzen?«, fragte Sebastian, der den Achtundzwanzigjährigen, dunkelblonden Burschen mit den warmen braunen Augen sehr sympathisch fand.

»Natürlich«, antwortete Wolfgang, während er sich wieder niederließ. »Sie sind hier gewissermaßen der Hausherr.« Als Sebastian saß, fuhr er fort: »Ich bin heute, am frühen Nachmittag, angekommen und werde zwei Wochen bleiben.« Er vollführte eine umfassende Bewegung mit dem linken Arm. »Ein herrlicher Flecken Erde«, schwärmte er. »Als ich oben, vom Pass aus, in das Tal geblickt habe, war ich auf Anhieb verliebt. Hier kann man es aushalten, denke ich.«

»Ja, bei uns ist die Welt noch in Ordnung. Wir legen hier unter anderem großen Wert auf den Umweltschutz sowie den größtmöglichen Erhalt von Ursprünglichkeit und Natürlichkeit im gesamten Tal sowie der Wälder und Berge, die es umgeben. Sie haben’s sicher schon bemerkt: Bei uns gibts keine besonderen Touristenattraktionen, keine Lifte, und demgemäß auch keine Skipisten. Die Gäste, die zu uns ins Tal kommen, sind auch gar net auf irgendwelche touristischen Highlights aus. Sie suchen Entspannung, Ruhe und Beschaulichkeit. Wer was anderes haben will, muss zum Ballermann oder an den Goldstrand reisen.«

»Wenn ich Sie so reden höre, Herr Pfarrer, dann komme ich zu dem unumstößlichen Schluss, hier richtig zu sein«, erwiderte Wolfgang. »Hinter mir liegt eine schwere Zeit. Meine langjährige Beziehung ist in die Brüche gegangen, und ich weiß nach über einem halben Jahr noch immer nicht genau, was dafür der Grund war. Aber ich fange an, es zu akzeptieren; und es gelingt mir mehr und mehr, mit dem, was war, abzuschließen und den Blick in die Zukunft zu richten.«

»Das Leben ist nun mal kein Kindergeburtstag«, philosophierte der Pfarrer. »Das Schicksal hält für jeden seine Lektionen bereit und verschont keinen. Wichtig ist, dass man lernt, mit den Tiefschlägen umzugehen. – Haben S’ denn ein Programm für die nächsten zwei Wochen? Sie sehen nicht aus wie jemand, der sich zwei Wochen lang auf die Liegewiese beim Achsteinsee legt und Daumen dreht.«

Tatsächlich hielt Sebastian sein Gegenüber für einen Sport-Freak. Das männliche Gesicht Wolfgangs wies eine gesunde Farbe auf, die verriet, dass er sich viel im Freien aufhielt. Er besaß eine durchtrainierte Figur, der offene Hemdkragen gab einen muskulösen Hals frei, das Gesicht war fast hohlwangig zu nennen, was ein hohes Maß an sportlichen Aktivitäten verriet.

»Ich fahre leidenschaftlich gerne mit dem Mountainbike«, erklärte Wolfgang. »Auf diesen Sport bin ich erst gekommen, nachdem meine Beziehung am Ende war. Es hat nicht lange gedauert, dann war ich ein geradezu leidenschaftlicher Mountainbiker. Ich habe das Rad natürlich mitgebracht. Es wird mir ein Riesenvergnügen bereiten, das Tal bis in den hintersten Winkel damit zu erkunden.«