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Wie ging Jesus mit Menschen um, und wie half er ihnen in ihren Nöten, die gar nicht so anders waren als unsere? Anhand zahlreicher Begebenheiten aus der Bibel zeigt der Autor, wie Jesus nie nach bestimmten Methoden, sondern stets individuell auf Menschen und ihre Nöte einging. Der Leser findet in diesem Buch viele Anregungen für die persönliche Begegnung mit Hilfesuchenden. Mitarbeiter in den Gemeinden bekommen Tipps und Hinweise, wie sie ihre seelsorgerischen Aufgaben einfühlsam und christuszentriert ausüben können.
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Seitenzahl: 267
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Wie Jesus Menschen begegnet
Von dem Sohn Gottes Seelsorge lernen
Eberhard Platte
© 1. Auflage 2022 ceBooks Verlag Alexander Rempel, Langerwehe
Autor: Eberhard Platte, www.wachsen-im-glauben.de
Cover: Caspar Kaufmann
ISBN: 978-3-95893-305-7
Verlags-Seite und Shop: www.ceBooks.de
Kontakt: [email protected]
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„Die Starkenbedürfen keines Arztes,sondern die Kranken.Ich bin gekommen,die Sünder zu rufen undnicht die Gerechten.“Jesus Christus in Markus 2,17
Titelblatt
Impressum
Dank
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Vorwort
1. Nachts ist jede Theologie grau
2. Zisterne oder Quellwasser?
3. Weiße Weste und ein schlechtes Gewissen?
4. Ansteckende Gesundheit?
5. Erste oder Zweite Hilfe?
6. Ein höchst peinlicher Eklat
7. Eine heilsame Begegnung
8. Geld und Karriere sind nicht alles!
9. Hauptsache gesund?
10. „Hefata!“
11. „Ich hab dir etwas zu sagen!“
12. Durchblick für einen Blinden
13. Sie sagte ihm die ganze Wahrheit
14. Egal, was andere denken …
15. „Aber auf dein Wort hin!“
16. Fast untergegangen!
17. „Bringt ihn zu mir!“
18. Wer wirft den ersten Stein?
19. Mut für einen Verzagten
20. Eine harte Schule
21. „Ich bin die Auferstehung!“
22. „Sprich nur ein Wort!“
23. „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht!“
24. Ein Kuss für Jesus
25. Angesichts des Todes
26. Zurück, marsch, marsch!
27. „Maria!“
28. „Ich will Beweise!“
29. Zurück in die Höhle des Löwen
Nachwort
Letzte Seite
Was ist, wenn man niedergeschlagen oder gar depressiv ist? Wie hilft man okkult belasteten Menschen? Braucht ein selbstbewusstes Ego ist Seelsorge? Wie geht man in der Seelsorge mit Randgruppen um? Ist Seelsorge eine Sache von Spezialisten oder Aufgabe der Gemeinde? Christliche Psychotherapie hat Hochkonjunktur. Was sagt die Bibel dazu?
Wer lernen will, was biblische Seelsorge ist, muss bei Jesus Christus in die Lehre gehen. Er begegnet Kranken, Niedergeschlagenen, Okkult-Belasteten, Prostituierten, Sündern und Falschspielern, aber auch Theologen, Politikern, Beamten, Handwerkern, Eltern und Kindern, Singles und Senioren. Und jedem begegnet er stets individuell – ohne Methode. Er hält sich nicht an Randfragen auf, trifft stets ins Schwarze, deckt den Kern der Probleme auf. Aber das tut er nie mit der sogenannten „Holzhammermethode“, sondern bleibt stets sensibel, mitfühlend, verständnisvoll. Wo er jedoch Ablehnung und Verachtung entdeckt, scheut er sich nicht, auch „Klartext“ zu reden.
Der Sohn Gottes ist der Seelsorger und Hirte unserer Seelen schlechthin. Kein Wunder. Er, der mir die Seele gab, weiß, was meine Seele braucht. Dabei geht es ihm nicht in erster Linie um meine Gesundung und mein Wohlbefinden, sondern um meine Beziehung zu Gott. Nur dadurch wird mein Menschsein heil, selbst wenn mein Körper krank ist.
Beobachten wir Jesus Christus in seinen Begegnungen mit den Menschen seiner Zeit – und wir werden ihm selbst begegnen. Wir werden für den Umgang mit unseren Mitmenschen von ihm, dem Sohn Gottes, lernen.
Ken M. Campbell, Professor am Belhaven College in Jackson, Mississippi, schreibt in dem Buch „So groß ist unser Gott“ (CV, 1998, Seite 11):
„Die heutigen Christen haben sich dem therapeutischen Trend angeschlossen. Anstatt Bücher über Gott und biblisch fundierte Lehre zu lesen, studieren sie – falls sie überhaupt lesen – Bücher über Selbstfindung und Selbsthilfe oder schlicht Fantasiegeschichten. Mehr und mehr Christen lassen sich seelsorgerlich beraten; in zunehmendem Maß drehen sich dabei die Unterhaltungen um ihre Probleme. Es wird immer weniger über den Herrn gesprochen oder bei ihm Rat und Hilfe gesucht. Dr. Martin Lloyd-Jones pflegte zu sagen: Ihr wirkliches Problem ist nicht das, was sie gerade haben, sondern dass sie Gott nicht genug kennen.“
In meinem Buch „Einführung in die biblische Seelsorge“ schreibt Dipl. Psychologe Roland Antholzer:
„Seit mehr als zwei Jahrzehnten sehe ich mit Sorge, wie sich in der Gemeinde Jesu in unserem Land ein gravierender Mangel an biblisch gegründeter Seelsorge zeigt. Gleichzeitig ist weithin eine Zunahme an seelischen Störungen zu registrieren. Der Verlust christlicher Werte, der Zerfall von tragenden Beziehungsstrukturen in Familie und Gesellschaft, Individualisierung und Konsumorientierung haben ihre Spuren hinterlassen, auch in unseren Gemeinden. Umso mehr ist heute wirksame Seelsorge im Sinn der Zielsetzung Gottes gefragt. In Verkennung ihrer Wirksamkeit haben leider viele Seelsorger ihr Heil in der Psychotherapie gesucht, ohne sich über die damit verbundenen Gefahren ausreichend Rechenschaft zu geben. Denn die Übernahme psychotherapeutischer und sozialpädagogischer Methoden in die Seelsorge geht faktisch einher mit einer allgemeinen Verflachung und Verweltlichung christlichen Glaubens.
Der Versuch, Psychotherapie und Seelsorge zu integrieren, bringt zwar eine ,therapeutische’, aber niemals eine ,biblische’ Seelsorge hervor. ,Biblisch’ und ,therapeutisch’ schließen sich gegenseitig aus. Psychotherapie hat die Zielsetzung, die Psyche zu heilen. Ob sie das kann, wird auch von säkularen Fachleuten in Frage gestellt, soll aber hier nicht diskutiert werden. Biblische Seelsorge dagegen hat nicht zum Ziel, Menschen gesund zu machen, sondern sie in eine gesunde Gottesbeziehung zu führen. Folgende Aussage des Paulus bringt es auf den Punkt: ,Ihn (nämlich Christus) verkündigen wir, indem wir jeden Menschen ermahnen und jeden Menschen in aller Weisheit lehren, um jeden Menschen vollkommen in Christus darzustellen’ (Kolosser 1,28). Dabei geht es nicht um Perfektion, sondern es geht darum, dass wir vollkommen in Christus sind, und dass das auch nach außen sichtbar wird. Das heißt, dass unser Leben so an Christus hingegeben ist, dass das Christusleben uns bestimmen und prägen kann. Schließlich geht es aber auch um unsere Brauchbarkeit für Gott in dieser Welt. Darauf verweist 2. Timotheus 3,16-17: ,Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Unterweisung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes richtig sei, für jedes gute Werk ausgerüstet.’ Der Ansatzpunkt der Seelsorge ist der innere Mensch, der nur durch Gottes Wort angesprochen werden kann, aber nie durch psychologische Methoden. Letztere setzen immer außen an. Sie bauen nur das Ego auf, machen es stark und autonom und führen so zur Entfremdung des Christen von Gott.“
Natürlich habe ich nichts gegen medizinische Behandlung und die Anwendung von Medikamenten, um körperliche Not zu lindern. Unser Herr konnte selbstverständlich heilen und Wunder tun, doch stand für ihn nicht die körperliche Gesundheit im Vordergrund seines Helfens, sondern das Heilwerden des Herzens durch die rechte Beziehung des Menschen zu Gott. Das ist das Anliegen biblischer Seelsorge. Dabei wird eine heilgewordene Beziehung zu Gott sich häufig auch günstig auf körperliche Beschwerden auswirken.
In Kapitel 7 des vorgenannten Buches habe ich angedeutet, wie der Herr Jesus mit Menschen seiner Zeit umgegangen ist. Ich wurde des Öfteren gefragt, ob ich diesen Aspekt nicht ausführlicher in einem Buch behandeln könnte. Dem Wunsch möchte ich mit diesem Buch nachkommen.
Ich habe die Beispiele in diesem Buch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge ausgesucht, sondern so, wie ich sie für Bibelarbeiten ausgearbeitet habe. Dabei habe ich aber immer das Hauptaugenmerk auf den Herrn Jesus Christus als Seelsorger gelegt und weniger auf die Menschen, denen er half. Die Beleuchtung der Personen dient lediglich der Veranschaulichung des Hintergrunds, vor dem ihre jeweiligen Probleme, Nöte und Fragen entstanden sind. Wir wollen uns vor allem ansehen, wie der Herr Jesus im Einzelnen vorgeht, wie er das Herz der Menschen erreicht und wie er ihren „Fall“ löst. Abschließend werden wir uns die Frage stellen, was wir für die Seelsorge heute daraus praktisch lernen können.
Bitte lesen Sie stets die angegebenen Bibelstellen zuvor im Zusammenhang.
Eberhard Platte
Wie Jesus die Sinnfrage des Lebens löstJoh 3,1-21; 7,50; 19,39
„Es war ein Mensch aus den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden. Dieser kam zu Jesus bei Nacht …“ (Joh 3,1).
Seelsorge ist das Bemühen, die menschliche Seele in die rechte Verbindung zu Gott zu bringen und von allen anderen Bindungen zu lösen – auch von einem selbstgezimmerten Gottesbild!
Fragend schaut der ältere Mann mich an: „Kann man hier wirklich Gott begegnen?“ Wir stehen vor dem Evangeliumszelt auf dem Rathausplatz unserer Stadt. Über dem Eingang ist in großen Lettern zu lesen: Begegne Gott! – „Wann und wie kann ich hier Gott antreffen?“, fragt er nach. Er scheint es ernst zu meinen, und nachdem er mir seine Geschichte erzählt und mir seine etwas abstrusen Vorstellungen über Gott erklärt hat, verweise ich ihn auf den Abendvortrag im Zelt. Pünktlich um acht Uhr ist er da. Die Predigt, der er sehr aufmerksam folgt, beschäftigt sich mit Nikodemus, dem Theologen aus Jerusalem …
Braucht der Theologe Nikodemus Seelsorge? Hat er nicht selbst die notwendigen Antworten auf die Nöte und Fragen der Menschen aus dem Wort Gottes, dem Talmut und aus seiner Beziehung zu Gott gelernt, um sie anderen kompetent weitergeben zu können? Ist er zudem nicht als „Akademiker“ ein Mann mit Vorbildfunktion? Nikodemus ist angesehen und geachtet, schließlich gehört er zum sogenannten Synedrium, dem höchsten Gremium der jüdischen Nation, das die wichtigsten Entscheidungen des Volkes zu treffen hat. Dieser Hohe Rat besitzt trotz der bestehenden und allgegenwärtigen römischen Besatzung das Recht, religiöse und zivilrechtliche Fragen zu entscheiden. Nikodemus gehört damit zu den einflussreichsten Männern im Volk. Dieses Gremium besteht aus 70 hochgebildeten Männern, die religiös und politisch durchaus unterschiedlicher nicht sein können.
Auf der einen Seite stehen die Pharisäer, zu denen sich Nikodemus zählt. Sie vertreten eine sehr konservative und bewahrende Haltung dem Talmut und den Traditionen des Volkes gegenüber und wünschen sich, dass die Besatzung durch die Weltmacht Rom so bald wie möglich beendet wird, damit die Juden wieder zu ihrer völkischen Selbständigkeit kommen können. Deshalb erwartet Nikodemus mit den Pharisäern, dass Gott bald den verheißenen Messias, den Erlöser von der Fremdherrschaft sendet.
Die andere Partei im Synedrium ist die Gruppe der Sadduzäer. Zu ihnen gehört als Vorsitzender des Gremiums der amtierende Hohepriester. Sie vertreten eine modern-theologische, rationalistisch-fortschrittliche Weltanschauung, die die überkommenen religiösen Traditionen und Gesetze dem Zeitgeist anpasst.
Ferner gibt es noch die Gruppe der Herodianer, die ihren Namen von dem von Rom eingesetzten Edomiterkönig herleiten, der politisch mit der Besatzungsmacht sympathisiert. Eine stets brisante Konstellation, die die Abstimmungen im Hohen Rat immer wieder zu heftigen Wortgefechten und Querelen werden lassen.
Nikodemus, der die konservative Richtung vertritt, kennt das Gesetz, das Gott seinem Volk gegeben hatte, und richtet sein Leben danach aus. Er ist davon völlig überzeugt und erwartet nichts sehnlicher, als dass der verheißene Messias bald erscheinen wird.
Wer ist dieser Jesus?
Es ist zur Zeit des jährlichen Passahfestes während des Monats Abib, d.h. Ende März unseres Kalenders. Nikodemus erlebt in Jerusalem mit, dass der Wanderprediger Jesus aus Galiläa zum Stadtgespräch wird, weil er alle Juden herausgefordert hat, als er die Händler aus dem Tempelbezirk vertrieb (Joh 2,23-25). Das hat großes Aufsehen erregt, und die Bevölkerung diskutiert heftig über diesen Mann, der erst seit Kurzem öffentlich in Erscheinung getreten ist.
Einige von Nikodemus’ Amtskollegen haben ihn bereits verhört und nach seiner Legitimation gefragt, mit welchem Recht er sich diese Provokation anmaßt. Doch viele aus dem Volk laufen ihm nach, da er etliche Wunder und Zeichen tut. Sollte wirklich etwas an dem Gerücht sein, dass dieser Zimmermann aus Nazareth der Messias ist? Sein Auftreten und seine Vollmacht faszinieren Nikodemus. Dabei ist dieser Jesus ja nur ein einfacher Handwerker, und eigentlich stellt er sich den verheißenen Erlöser anders vor: Müsste er nicht aus der Nachkommenschaft Davids stammen, wenn er den Prophezeiungen entsprechen sollte?
Nikodemus will nicht Gerüchten hinterherlaufen, will sich auch nicht unter den Fraktionszwang der Pharisäer stellen, er will sich seine eigene Meinung bilden. Deshalb will er sich selbst informieren und diesen Jesus kennenlernen.
Nikodemus hat Fragen
Nikodemus möchte sich aber nicht nur ein persönliches Bild von Jesus machen. Irgendwie hat er schon das Empfinden, dass Jesus von Gott kommen müsse (Joh 3,2), die Wunder kann er sich nicht anders erklären. Doch darüber hinaus hat Nikodemus trotz all seiner Gelehrsamkeit und Kenntnis der Heiligen Schriften eine gewisse innere Unsicherheit, was das ewige Heil und seine Stellung vor Gott angeht. Wie kann er bei allem Bemühen, das Gesetz zu halten, vor Gott gut sein und seinen Forderungen gerecht werden? Wie kann er Anteil am zukünftigen Reich Gottes haben? Gibt es da noch etwas, das er bei allem Bibelwissen nicht kennt? Dieser Jesus scheint eine andere Vollmacht und Gewissheit zu haben. Aber was ist das?
Auf der anderen Seite fürchtet Nikodemus offensichtlich das mögliche Gerede seiner Kollegen, wenn er mit Jesus in aller Öffentlichkeit reden würde. So macht er mit ihm einen nächtlichen Termin aus, bei dem man sich unter vier Augen und Ohren persönlicher besprechen kann, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, das Gesicht zu verlieren.
Wie geht der Herr Jesus vor, wie erreicht er Nikodemus’ Herz?
Unser Herr geht auf dieses nächtliche Treffen ein, er wahrt damit die Anonymität seines Gesprächspartners. Zudem steckt er ihn nicht in die allgemeine Schublade „Pharisäer“, die oft in einem Atemzug mit Heuchlern genannt werden. Er „kannte die Menschen und hatte nicht nötig, dass jemand Zeugnis gebe von ihnen“ (Joh 2,25). Einem Mann, der bereit ist, sich selbst zu überzeugen, kann geholfen werden …
Nikodemus eröffnet wohlwollend das Gespräch und nennt den Herrn Jesus „Lehrer und von Gott gekommen“ (Joh 3,2). Doch der Herr Jesus überspringt die höflichen Eingangsfloskeln seines Gegenübers, hört dessen unausgesprochene Frage hinter den Worten und kommt gleich auf den Kern des Anliegens zu sprechen:
„Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen!“ (Joh 3,3).
Vielleicht würden wir sagen: „Herr Jesus, das geht aber zu schnell! Lass den anderen doch erst einmal langsam Vertrauen fassen. Fall doch nicht gleich mit der Tür ins Haus. Warum zitierst du nicht theologische Aussagen berühmter und anerkannter Rabbis, warum schlägst du nicht die Bibel auf und machst mit Nikodemus ein tiefgründiges Bibelstudium über alttestamentliche Erlösungslehre?“
Doch unser Herr spricht mit Nikodemus nicht auf hochtheologischer oder intellektueller Ebene, sondern gebraucht ganz einfache Worte und Beispiele. Die Sprache, die man bei Kindern und einfachen Leuten gebraucht, wird schließlich auch ein Professor verstehen!
Und Nikodemus fragt ebenfalls ganz einfach zurück:
„Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er etwa zum zweiten Mal in den Leib seiner Mutter hineingehen und geboren werden?“ (Joh 3,4).
Diese Rückfrage zeigt, dass Nikodemus Vertrauen gefasst hat. Er merkt, hier ist jemand, der mich versteht, mit dem ich ganz einfach reden kann, der mir die Dinge auch einfach erklären wird.
Und unser Herr sagt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes hineingehen“ (Joh 3,5).
Und dann erklärt er ihm den Unterschied zwischen der leiblichen Geburt und der neuen Geburt von oben her.
Nikodemus scheut sich nicht, wieder einfach zurückzufragen: „Wie kann das geschehen?“
Der Herr Jesus veranschaulicht das Geschehen mit einem Beispiel aus 4. Mose 21. Muss sich Nikode mus nicht wie in der Judenschule vorkommen? Diese Geschichte kennt doch jeder Israelit: Mose sollte auf Anweisung Gottes in der Wüste eine bronzene Schlange auf einem Stab erhöhen. Welcher Israelit von einer giftigen Schlange gebissen war und glaubend zu dieser er höhten Schlange aufblickte, dem wurde das Leben geschenkt – er musste nicht sterben!
An dieser einfachen Geschichte zeigt der Zimmermannssohn dem gebildeten Nikodemus, wie die neue Geburt geschehen kann: Nur durch den Glauben an den Sohn Gottes, der ebenfalls erhöht werden wird. „Nikodemus“, sagt damit unser Herr, „dein Gottesbild ist falsch und dein Messiasbild ist falsch. Du glaubst, Gott rettet durch das Halten der Gebote, und du glaubst, der Messias erscheint als König und wird so sein Volk retten. Aber Gott rettet durch das Sterben des Messias, des Sohnes Gottes, der Gott selbst ist! Nikodemus, ich bin nicht nur der Zimmermann – ich bin der Sohn Gottes, der durch sein Sterben die neue Geburt möglich macht. Glaubst du das?“ –
Wie löst der Herr Jesus den „Fall“ Nikodemus?
Jesus drängt Nikodemus nicht vor Sonnenaufgang zu einer Entscheidung, nein, er lässt ihn gehen! Er übt keinen moralischen Druck aus. Er hat gemerkt, dass dieser einflussreiche Mann ins Nachdenken gekommen ist – und er gibt ihm Zeit.
Zwei Jahre dauert es, bis die Überlegungen in Nikodemus zur Gewissheit reifen. Aber als er dann überzeugt ist, bezieht er Stellung! Zunächst zaghaft im Synedrium, als man über Jesus diskutiert:
„Nikodemus, der früher zu ihm gekommen war und einer von ihnen war, spricht zu ihnen: Richtet denn unser Gesetz den Menschen, ehe es vorher von ihm selbst gehört und erkannt hat, was er tut?“ (Joh 7,50).
Sein zaghafter Glaube gerät sofort unter Beschuss:
„Sie antworten und sprachen zu ihm: Bist du etwa auch aus Galiläa? Forsche und sieh, dass aus Galiläa kein Prophet aufsteht!“ (Joh 7,51).
Und dann unter dem erhöhten Herrn am Kreuz von Golgatha wird sein Glaube Gewissheit! Hier versteht er offenbar, was der Herr Jesus ihm erklärt hatte:
„So wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, ewiges Leben hat“ (Joh 3,14-15).
Und so wagt er, sich zu dem Gekreuzigten zu bekennen: Mit Hilfe von Josef von Arimathäa bestattet er Jesus in einer Gruft. Dadurch verunreinigt er sich nicht nur nach dem Gesetz – er kann deshalb nicht an dem Passahfest teilnehmen –, sondern stellt sich öffentlich gegen das Todesurteil, das das Synedrium gegen Jesus gefasst hat!
Was kann ich für die Seelsorge daraus lernen?
Gib Gelegenheit, dass man mit dir allein spricht, also ohne Zuhörer oder Zuschauer. Denn vor anderen Menschen versucht jeder, sein Gesicht zu wahren. Man möchte sich keine Blöße geben. Das trifft bei Orientalen noch mehr zu, als es bei uns Europäern schon der Fall ist. Im Einzelgespräch gibt sich ein Mensch anders als in der Gruppe.
Such für ein Gespräch die Stille, das Ungestört sein. Stell dein Handy aus; es klingelt garantiert, wenn du gerade in einem seelsorgerlichen Gespräch bist. Nimm dir Zeit zum Gespräch: Schau nicht dauernd auf die Uhr, du zerstörst damit ein zaghaftes Sich-Öffnen.
Wahre das Beichtgeheimnis! Lass den anderen gewiss sein, dass du nichts ausplauderst!
Steck Menschen nicht in die Schubladen der Vorurteile! Befreie dich möglichst selbst von Vorurteilen und Antipathien.
Sprich eine einfache, aber klare Sprache. Sprich nicht blumig, salbungsvoll und theatralisch, also nicht die sogenannte „Sprache Kanaans“, die Fachsprache der Frommen. Gebrauche möglichst keine Fremdworte, von denen du nicht sicher weißt, ob dein Gegenüber sie versteht. Merke: Die Sprache, die du in einer Kinderstunde gebrauchst, wird auch ein Professor verstehen!
Erkläre, wie Gott ist. Viele Menschen haben ein sehr einseitiges Bild von ihm. Auf der einen Seite ist er absolut heilig und gerecht und muss deshalb Sünde strafen. „Der Lohn der Sünde ist der Tod“ (Röm 6,23). Auf der anderen Seite ist er gleichzeitig die Liebe in Person. Sie zeigt sich in der unbegreiflichen Hingabe seines Sohnes Jesus Christus in den Tod, um uns vor der ewigen Verdammnis zu retten (Joh 3,16).
Zeig klar und unmissverständlich die Notwendigkeit von Buße, Umkehr und Neugeburt auf! Erkläre, dass dazu auch möglicherweise ein Bekennen vor anderen stattfinden muss, wenn man an anderen schuldig geworden ist.
Gebrauche einfache Beispiele, die dein Gegenüber nachvollziehen kann bzw. kennt, um dein Anliegen verständlich zu machen.
Es ist wichtig, dass du anhand der Bibel die Person und das Wesen Gottes und des Herrn Jesus verdeutlichen kannst. Welches Gottesbild hast du selbst, und wer ist der Herr Jesus für dich persönlich?
Bedränge nicht deinen Gesprächspartner, sondern achte seine Entscheidung! Setze nicht moralisch unter Druck. Gib Zeit, sich über das Besprochene klar zu werden und möglichst selbständig zu einer Entscheidung zu kommen!
Neues Leben aus Gott wird sichtbar werden! Wenn Gottes Geist in einem Menschen zu einer Neugeburt geführt hat, wird derjenige es durch sein Leben und durch sein Reden erkennbar werden lassen – vielleicht zunächst zaghaft, aber Gewissheit kann und wird wachsen. Fehlende Veränderung im Leben eines Christen muss uns an der neuen Geburt aus Gott zweifeln lassen. So wie bei einem neugeborenen Kind sich das Leben durch Atmen, Schreien und Bewegen zeigt, so äußert sich die geistliche Neugeburt eines Menschen ebenfalls – sonst stimmt etwas nicht. Ob wir vielleicht die Konsequenz des neuen Lebens zu wenig predigen, so dass manche vermeintlichen Neugeburten eher Totgeburten sind?
Merke: So wie bei einem neugeborenen Kind sich das Leben durch Atmen, Schreien und Bewegen zeigt, so wird sich die geistliche Neugeburt eines Menschen ebenfalls äußern.
Wie Jesus den Durst des Lebens stilltJoh 4,1-42
„Er musste aber durch Samaria ziehen …“ (Joh 4,4).
Seelsorge ist das Bemühen, die menschliche Seele in die rechte Verbindung zu Gott zu bringen und von allen anderen Bindungen zu lösen – auch von der Sucht nach Liebe!
Niedergeschlagen sitzt sie im Besuchergruppenraum der Justizvollzugsanstalt. Wir sind als Kontaktgruppe regelmäßig dort, um mit den inhaftierten Frauen ins Gespräch zu kommen. Sie ist zum ersten Mal hier. Nach der gemeinsamen Andacht platzt sie im Einzelgespräch mit ihrer Not heraus: „Ach, wissen Sie, da kann mir auch Ihr Jesus nicht mehr helfen. Mein Leben ist so verpfuscht. Ich hab alle Hoffnung aufgegeben. Wissen Sie, ich hab Geborgenheit und Liebe gesucht. Aber ich bin immer an die falschen Männer geraten. Die haben mich nur benutzt und dann weggeworfen. Dadurch bin ich auf die schiefe Bahn gekommen. Den Letzten hab ich im Suff umgebracht, weil er mich immer drangsaliert hat. Jetzt sitz ich hier im Knast. Stattdessen hätten die besser all die dreckigen Typen eingelocht! Für mich gibt es keine Hoffnung mehr! Wenn ich doch noch mal von vorne anfangen könnte!“
Wie spricht man mit einer Frau, die in einer nichtehelichen Beziehung lebt und bereits fünf gescheiterte Beziehungen hinter sich hat? Würden wir nicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und von einem hoffnungslosen Fall sprechen? Wir wollen anhand der bekannten Begebenheit aus dem Johannesevangelium lernen, wie der Sohn Gottes seelsorgerlich vorgegangen ist, um ein gequältes Herz zu erreichen, es für das Evangeli um zu öffnen, ihm einen neuen Blick für Gott und als Resultat einen neuen Blick für sich selbst zu entwickeln.
Zunächst etwas Vorgeschichte
Der Herr Jesus ist mit seinen Jüngern auf dem Weg von Judäa in den Norden des Landes (Joh 4,3). Er wählt nicht den für Juden üblichen Weg durch die Jordansenke. Ein inneres „Muss“ führt ihn über die Höhen Samarias nach Galiläa. „Er musste aber durch Samaria ziehen“ (Joh 4,4), beschreibt Johannes diese Reise. Nachdem die Männer nach einer längeren Wanderung die Höhen erreicht haben, machen sie in der Nähe der Stadt Sychar am historischen Jakobsbrunnen Rast (Joh 4,5-6).
Vielleicht noch ein paar Bemerkungen dazu, wer die Samariter waren. Jahrhunderte zuvor hatte der babylonische Herrscher Nebukadnezar die Israeliten besiegt und die gehobene Bevölkerungsschicht aus ihrem Land nach Babel deportiert. Die Zurückgebliebenen vermischten sich mit den umliegenden Völkern und übernahmen z. T. auch Rituale und Gewohnheiten von deren Religionen in ihre Kultur. So entstand das Mischvolk der Samariter, die zur Zeit des Herrn Jesus in einem bestimmten Bezirk zwischen Judäa und Galiläa ansässig waren. Dort hatten sie ihr eigenes Heiligtum und ihre eigenen Opfergesetze, um nicht zum Tempel nach Jerusalem gehen zu müssen. Sie wurden, da sie ein Mischvolk mit einer Mischreligion waren, von den aus Babel zurückgekehrten Juden verachtet und nach Möglichkeit gemieden. Um sich nicht zu verunreinigen, nahmen die Juden in der Regel den weiteren Weg durch das Jordantal in Kauf, statt die kürzere Straße durch das samaritische Gebiet zu gehen.
Der Herr Jesus bereitet das Gespräch vor.
Da der Herr Jesus das Gespräch mit der Frau erwartet, schickt er seine Jünger weg, um in der nahegelegenen Stadt etwas zu Essen einzukaufen (Joh 4,8). Der Bibellehrer William MacDonald bemerkt zu dieser Begebenheit treffend: „Ist es nicht sonderbar, dass der Herr zwölf erwachsene Männer losschickt, um für dreizehn Leute Essen zu kaufen?“
Ganz offensichtlich will unser Herr allein sein und genügend Zeit haben, um ungestört dieses Gespräch führen zu können. Damit vermeidet er, dass diese Frau vor den Männern bloßgestellt wird. Sie hätte sich sicherlich sonst nicht im Gespräch geöffnet.
Der Herr Jesus wählt den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort aus.
Solch ein seelsorgerliches Einzelgespräch kann man nicht zwischen „Tür und Angel“ führen. Unser Herr wählt dazu auch nicht einen geschlossenen Raum, sondern den öffentlichen Rahmen am Brunnen vor den Toren der Stadt. Es ist Mittagszeit (Joh 4,6), d.h., der Herr Jesus benutzt bei der Begegnung mit dieser Frau nicht die Dämmerung oder Nacht wie bei Nikodemus. So werden alle eventuellen Unterstellungen oder Spekulationen vermieden. Wir sollten aus diesem Verhalten des Herrn ganz praktisch für uns lernen, wenn es um Seelsorge zwischen den Geschlechtern geht.
Der Herr Jesus beginnt den Dialog mit einer Bitte.
Ist es nicht erstaunlich, dass der Sohn Gottes, der nichts bedarf, diese Frau um einen Gefallen bittet, damit das Gespräch in Gang kommt (Joh 4,7)?
Wie anders gehen wir häufig vor! Wir hätten die Frau möglicherweise mit erhobenem Zeigefinger auf ihre Übertretung des Gesetzes Moses hingewiesen und uns dadurch als Richter oder Oberlehrer über sie gestellt. Als Bittender jedoch stellt sich der Herr unter sie. Damit zeigt er ihr, dass er sie als Person achtet. Er unterscheidet zwischen dem Sünder und der Sünde. So groß uns die Verfehlungen unseres Gesprächspartners auch erscheinen mögen, lasst uns die Person trotz allem achten, wenn wir auch die Sünde verurteilen müssen.
Der Herr Jesus macht neugierig.
Durch seine Bitte ruft er bei der Frau Verwunderung hervor.
„Wie bittest du, der du ein Jude bist, von mir zu trinken, die ich eine samaritische Frau bin? – denn die Juden verkehren nicht mit den Samaritern“ (Joh 4,9).
Das Durchbrechen der Konventionen weckt bei der Frau Interesse für Jesu ungewöhnliches Verhalten und damit Interesse an seiner Person. Unser Verhalten spricht häufig lauter als unser Reden.
Ob wir lernen können, Konventionsgrenzen zu überwinden, wenn es darum geht, Menschen zur Buße zu führen?
Der Herr Jesus verstärkt ihr Interesse an seiner Person.
Jesu Antwort: „Wenn du die Gabe Gottes kenntest und wüsstest, wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken!, so hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben“ (Joh 4,10), macht die Samariterin neugierig und weckt bei ihr weitere Fragen. Ihre Fragen beziehen sich zunächst nur auf die Umstände. Noch fragt sie nicht näher nach seiner Person, sondern nach dem Wasser, von dem er spricht. Ziel all unserer seelsorgerlichen Gespräche muss sein, dass die Person unseres Herrn groß und herrlich gemacht wird. Das wird immer die größte Motivation sein, dass Menschen in ihren Herzen verändert werden!
Der Herr Jesus verwendet Beispiele aus ihrem Alltag.
Den Unterschied zwischen dem abgestandenen Zisternenwasser und dem frischen Quellwasser kennt sie gut. „Herr“, sagt sie, „du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief. Woher hast du denn das lebendige Wasser?“ (Joh 4,11). Sie denkt nach und schaut ihn fragend an: „Du bist doch nicht größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gab, und er selbst trank daraus und seine Söhne und sein Vieh!“ (Joh 4,12).
Unser Herr hat stets Bilder und Gleichnisse aus dem Alltag seiner Zeitgenossen gebraucht, und es ist gut, wenn wir in der Sprache sprechen, die unser Gesprächspartner kennt, und Beispiele gebrauchen, die seinem Erfahrungsumfeld entstammen.
Der Herr Jesus wirft ihr nicht vor, dass sie ihn nicht richtig versteht.
Er geht auf ihren ersten Einwand ein und erklärt: „Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit; sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt“ (Joh 4,13-14). Offensichtlich überhört sie die Betonungen des Herrn Jesus in diesen Sätzen, die auf seine Person hinweisen. Sie ist in ihren Gedanken noch bei dem lebendigen Wasser und noch nicht bei der Person des Gebers. Geduldig geht unser Herr darauf ein und rügt sie nicht. Wie oft gehen wir bei seelsorgerlichen Gesprächen viel zu schnell vor und warten nicht ab, bis unser Gegenüber den nächsten Gedanken wirklich verstanden hat.
Der Herr Jesus weckt in ihr das Verlangen nach mehr Lebensqualität.
Die Frau spricht zu ihm: „Herr, gib mir dieses Wasser, damit mich nicht dürste und ich hierher komme, um zu schöpfen“ (Joh 4,15). Vielleicht wären wir an diesem Punkt des Gesprächs enttäuscht gewesen: „Gute Frau, hast du nicht mehr verstanden von dem, was ich dir gesagt habe? Hast du die Hinweise nicht mitbekommen, die auf meine Person bezogen waren? Hast du nicht verstanden, dass ich etwas vom ewigen Leben gesagt habe? Wo bist du nur mit deinen Gedanken?“ Nein, unser Herr ist offensichtlich nicht enttäuscht. Er gibt stattdessen dem Gespräch eine neue Richtung.
Der Herr Jesus kommt wie nebenbei auf ihre Lebenssituation zu sprechen.
„Geh hin, rufe deinen Mann und komm hierher!“ (Joh 4,16). Erst jetzt wird der Herr Jesus persönlich, erst jetzt geht er auf ihre Situation ein. Dezent spricht er ihre Lebensumstände an, als wolle er ihren Mann mit in das Gespräch und das versprochene Lebenswasser einbeziehen. Dadurch weckt er ihr Vertrauen, so dass sie sich vorsichtig öffnet und ihm ein wenig Einblick in ihr Leben gewährt. Sie gesteht: „Ich habe keinen Mann“ (Joh 4,17). Offenheit und Wahrhaftigkeit können nicht erzwungen werden, sie sind eine Folge von Vertrauen. Und Vertrauen wächst, wenn der Gesprächspartner merkt: Dem anderen liegt etwas an mir, er möchte mir helfen ohne Gegenleistung und ohne moralischen Druck. Das ist mit der wichtigste Aspekt eines seelsorgerlichen Gesprächs: Ich muss das Herz des anderen erreichen und nicht nur den Kopf, sein Vertrauen und nicht nur den Verstand.
Der Herr Jesus bestätigt ihr Bekenntnis.
„Du hast recht gesagt: Ich habe keinen Mann; denn fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann; hierin hast du wahr geredet“ (Joh 4,18). Unser Herr ergänzt ihre Wahrheit und nennt ihre Sünde mit vorsichtigen Worten. Er nennt sie nicht Hure oder Ehebrecherin – das weiß sie selbst. Er nennt ihre Schuld ohne einen moralisierenden Vorwurf. Er zeigt ihr dadurch, dass er zwar alles um sie weiß, sie aber doch nicht verachtet. Wie gut, dass diese Aussprache unter vier Augen geschieht und nicht vor den Ohren der Jünger oder anderer Menschen. Er schützt ihre Privatsphäre und zerrt die Sünde nicht in die Öffentlichkeit, obwohl diese Frau in ihrer Stadt als Sünderin bekannt war. Es fasziniert mich, wie feinfühlig unser Herr gerade in solchen Situationen mit den Menschen umgeht.
Der Herr Jesus weckt Sündenerkenntnis und die Sehnsucht nach einer gereinigten Beziehung zu Gott.
Die Samariterin merkt, dass der Herr sie im Innersten kennt und durchschaut. Sie kann ihm nichts vormachen: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist“ (Joh 4,19). Der ihr da gegenübersitzt, ist weit mehr als nur ein Jude, der sie ungewöhnlicherweise um einen Schluck Wasser gebeten hat. Hier ist einer, der sie in das Licht Gottes stellt. Und diesem Licht Gottes möchte sie nicht ausweichen. Ihre Frage ist im Grunde, wie sie denn mit Gott ins Reine kommen kann: „Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet, und ihr (die Juden) sagt, dass in Jerusalem der Ort sei, wo man anbeten müsse“ (Joh 4,20). Wo kann ich Gott begegnen, wo kann ich Vergebung bekommen und mein Leben ordnen? Braucht es dazu besondere Riten oder Orte? Wie findet ein Mensch überhaupt zu Gott?
Der Herr Jesus zeigt ihr den Vater im Himmel und verändert ihr Gottesbild.
Es bewegt mich tief, dass der Herr dieser sündigen Frau den Vater im Himmel vorstellt und dessen Sehnsucht schildert, Sünder als Anbeter zu finden! „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn in Geist und Wahrheit anbeten!“ (Joh 4,24). „Gott sucht solche als Anbeter!“ (Joh 4,23). In wenigen Worten erklärt der Herr Jesus einer einfachen Sünderin die größte Theologie, die wir Menschen erfassen können! Der große wunderbare und heilige Gott, den keiner der Menschen gesehen hat und sehen kann, den unser Herr auf dieser Erde kundgemacht hat, damit er für uns Menschen begreifbar würde, dieser Vater im Himmel sehnt sich danach, dass Sünder zu Anbetern Gottes werden – solche, wie diese Frau aus Samaria!