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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Vor dem Haus stand ein Umzugswagen, als Peter Schlüter, der einen Pizzakarton in der einen Hand hielt und eine Papiertüte mit ein paar Einkäufen in der anderen, um die Straßenecke bog. Etliche Stühle, ein kleiner Schreibtisch, eine Stehlampe sowie einige Kartons standen auf dem Gehweg. Zwei Männer schleppten unter Stöhnen und mit roten Gesichtern ein Regal zur weit offenstehenden Haustür. Es war also soweit. In die Wohnung im ersten Stock, die seiner gegenüber lag, zog wieder jemand ein. Peter wartete, bis die Männer mit dem Regal das Haus betreten hatten. Er wollte sich nicht an ihnen vorbeizwängen müssen. Der erste Mann war bereits rücklings im Treppenhaus verschwunden, der andere stand noch auf der Stufe zur Haustür und balancierte seine Last. Peter konnte erkennen, dass eine junge Frau im Eingangsbereich stand und den Weg versperrte. Sie sagte etwas zu dem Möbelpacker. Peter wurde nervös. Ihn drängte die Zeit, er musste noch einen Heftroman Korrekturlesen, ehe er ihn an den Verlag schickte. Die Lektorin wartete schon seit Tagen auf das Manuskript und er kam nicht recht voran. Außerdem hatte er Hunger und seine Pizza wurde kalt. Mit leerem Bauch konnte er einfach nicht arbeiten. Wahrscheinlich war die Frau die Mieterin und gab ihre Anweisungen. Endlich betrat auch der zweite Mann das Haus. Kaum war der Eingang frei, kam die junge Frau nach draußen. Sie war schlank, hatte die blonden Haare im Nacken zu einem Zopf zusammengefasst und erinnerte ihn an irgendjemand. Egal, er musste sich beeilen, ehe die Männer mit dem nächsten Möbelstück das Treppenhaus versperrten.
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Seitenzahl: 153
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Vor dem Haus stand ein Umzugswagen, als Peter Schlüter, der einen Pizzakarton in der einen Hand hielt und eine Papiertüte mit ein paar Einkäufen in der anderen, um die Straßenecke bog. Etliche Stühle, ein kleiner Schreibtisch, eine Stehlampe sowie einige Kartons standen auf dem Gehweg. Zwei Männer schleppten unter Stöhnen und mit roten Gesichtern ein Regal zur weit offenstehenden Haustür.
Es war also soweit. In die Wohnung im ersten Stock, die seiner gegenüber lag, zog wieder jemand ein. Peter wartete, bis die Männer mit dem Regal das Haus betreten hatten. Er wollte sich nicht an ihnen vorbeizwängen müssen. Der erste Mann war bereits rücklings im Treppenhaus verschwunden, der andere stand noch auf der Stufe zur Haustür und balancierte seine Last. Peter konnte erkennen, dass eine junge Frau im Eingangsbereich stand und den Weg versperrte. Sie sagte etwas zu dem Möbelpacker.
Peter wurde nervös. Ihn drängte die Zeit, er musste noch einen Heftroman Korrekturlesen, ehe er ihn an den Verlag schickte. Die Lektorin wartete schon seit Tagen auf das Manuskript und er kam nicht recht voran. Außerdem hatte er Hunger und seine Pizza wurde kalt. Mit leerem Bauch konnte er einfach nicht arbeiten.
Wahrscheinlich war die Frau die Mieterin und gab ihre Anweisungen. Endlich betrat auch der zweite Mann das Haus. Kaum war der Eingang frei, kam die junge Frau nach draußen. Sie war schlank, hatte die blonden Haare im Nacken zu einem Zopf zusammengefasst und erinnerte ihn an irgendjemand. Egal, er musste sich beeilen, ehe die Männer mit dem nächsten Möbelstück das Treppenhaus versperrten. Peter eilte ins Haus. Er nahm immer zwei Stufen gleichzeitig. Die Tür zur Wohnung gegenüber der seinen stand offen. Im Rahmen lehnte ein kleines Mädchen, die Arme vor der Brust verschränkt und musterte ihn. Peter wandte sich seiner Wohnungstür zu und versuchte den Schlüsselbund aus der Hosentasche zu ziehen. An irgendwas hing der Schlüssel fest. Der Tag heute war nicht auf seiner Seite. Die Tüte war ihm auch im Weg. Eilig stellte er sie auf den Boden um eine Hand freizubekommen, wo sie postwendend umkippte. Eine Packung Erdnüsse, umhüllt mit Schokolade fiel heraus, eine Tüte Gummibärchen rutschte hinterher und zwei Dosen Cola rollten durch den Vorplatz zwischen den beiden Wohnungen.
„Verflixt“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Isst du das alles auf?“, fragte das kleine Mädchen, das noch immer am Türrahmen lehnte und ihn beobachtete.
„Klar.“ Er legte widerstrebend den Pizzakarton auf den Boden, raffte seine Einkäufe zusammen und packte sie zurück in die Tüte. Er war ja wirklich nicht pingelig, aber sein Essen mochte er nicht im Flur auf dem Boden liegen haben.
„Das ist aber alles gar nicht gesund“, fuhr die Kleine fort und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Er sah sie an. Sie sah niedlich aus, mit ihren blonden Locken. Sie trug eine Jeanslatzhose und ein geringeltes T-Shirt darunter.
„Da hast du wohl recht.“ Erneut versuchte er, seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche zu bekommen. Es gab einen Ruck und endlich gelang es ihm, ihn herausziehen. Ein heller Faden hing am Schlüsselring. Wahrscheinlich war jetzt eine Naht an der Tasche beschädigt. Peter schob den Schlüssel ins Türschloss und betrat eilig seine vier Wände. Rasch drückte er die Tür hinter sich ins Schloss. Endlich Zeit für die Pizza. Er hätte zwei kaufen sollen, solchen Hunger hatte er inzwischen. Er streifte die Turnschuhe von den Füßen und ging auf Strümpfen ins Wohnzimmer. Der Computer lief, er hatte ihn, wie so oft, vergessen herunterzufahren, ehe er in die Stadt gelaufen war, um einzukaufen und sich sein Mittagessen zu holen. Eine Pizza mit scharfer Salami, Champignons und Chili. Er stellte die Papiertüte neben den Couchtisch, wo sie erneut umfiel und ein Teil des Inhalts herausglitt. Egal. Auf seinem Laminat störte ihn das nicht so. Er setzte sich aufs Sofa, schob mit einem Arm Tageszeitungen, eine angebrochene Tüte Chips, einen Stapel Post und eine kleine Schachtel mit fünf Tuben Ölfarbe beiseite, die er neu erworben hatte, und klappte den Pizzakarton auf. Hungrig griff er nach dem ersten Stück. Unter zerlaufenem Käse lugten Champignons hervor, Tomatenscheiben, Zwiebeln und die Salami. Köstlich. Er wollte gerade hineinbeißen, als ihm etwas einfiel. Wo waren die Chilis? Er legte das Pizzastück zurück. Mit spitzen Fingern zog er den weichen Käse auseinander und atmete auf. Da lagen sie, die kleinen runden knallroten Scheiben der scharfen Schoten. Peter nahm eine andere Pizzaecke, als die zuvor. Eine, mit einem besonders großen Stück Chili. Der Käse zog sich in die Länge. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen und er biss ein stattliches Stück ab. Die Schärfe der Chili brannte in seinem Mund, zuerst am Gaumen, dann an der Zunge. Kein Wunder, er hatte ja die Sorte ‚extra scharf‘ bestellt. Noch während er mit seinem Bissen beschäftigt war und mit aufsteigender Hitzewallung und tränenden Augen ob der Schärfe rang, läutete es an der Wohnungstür. Verblüfft hielt er im Kauen inne. Bei ihm klingelte nie jemand, höchstens der Paketbote und der kam immer gegen zehn Uhr am Vormittag. Jetzt war es ein Uhr mittags. Resigniert legte er das Pizzastück zurück. Er schniefte, wischte sich die Finger notdürftig an einer der Tageszeitungen ab, woraufhin er Druckerschwärze an seinen Händen hatte, und ging zur Tür.
Im Flur standen die neue Nachbarin und neben ihr das kleine Mädchen von vorhin.
„Hallo“, sagte sie und lächelte ihn an. „Elfie und ich ziehen gegenüber ein.“ Sie deutete mit dem Daumen über ihre Schulter.
„Ja, wir haben uns schon kennengelernt“, erwiderte er. Ihm lief die Nase von der Chili und er musste an seine Pizza denken, die schon jetzt nur noch lauwarm war.
„Ich wollte dich fragen, ob du uns ein paar Filtertüten ausleihen kannst? Ich finde meine nicht und ich glaube, meine Umzugshelfer und ich, wir brauchen alle dringend einen Kaffee“, sagte die junge Frau und lächelte immer noch. Die vertrauliche Anrede irritierte ihn. Sie sprach beinahe so, als würden sie sich kennen. Wobei ihm auffiel, dass sie sich nicht vorgestellt hatte, nur ihre Tochter. Wenn das Kind denn ihre Tochter war.
„Du kannst dich nicht an mich erinnern, stimmt’s?“, fuhr sie fort, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
„Nee, ehrlich gesagt nicht“, gab er zu.
„Melinda Jasper, also inzwischen Melinda Wegner. Wir haben beide das Sankt Gebhard Gymnasium in Steinau besucht. Du warst zwei Jahrgangsstufen über mir.“
„Ah“, machte Peter und lächelte. „Jetzt weiß ich es wieder. Melly, nicht wahr?“ Sie war klein und zierlich gewesen, hatte eine Zahnspange getragen und ihre Haare hatte sie immer sehr akkurat zum kinnlangen Bob geschnitten getragen. Klein und zierlich war sie immer noch, die Zahnspange war weg und ihre Haare fielen in weichen Wellen über ihre Schultern. Sie sah gar nicht übel aus, wenn er sie so betrachtete. Sie lachte und jetzt fand er sie richtig hübsch. Er hätte sie tatsächlich nicht mehr erkannt. Offenbar war sie mittlerweile verheiratet. Vor ein paar Jahren hatte er auch einmal kurz davor gestanden, sich dauerhaft zu binden. Er war bis über beide Ohren in die quirlige Silvia verliebt gewesen und hatte immer wieder überlegt, ihr einen Antrag zu machen, sich aber eine ganze Weile nicht getraut. Als er dann doch den Mut beisammen gehabt, und auch schon einen schönen Ring für sie gekauft hatte, sagte sie ihm, dass sie einen anderen Mann kennengelernt hatte. Das war richtig bitter und er hatte lange Zeit keine Frau mehr angesehen.
Mittlerweile war er sehr zufrieden mit seinem Leben. Er konnte kommen und gehen, wie er wollte und räumte auf, wenn er Lust hatte, was selten der Fall war. Putzte nur, wenn es nicht mehr anders ging und hatte jede Menge Zeit für seine Arbeit: dem Schreiben von Unterhaltungsliteratur. Mystische Heftromane und Liebesromane zum Schmökern, unter weiblichem Pseudonym. Über die Liebesromane redete er mit kaum jemandem.
„Genau“, sagte Melly und holte ihn aus seinen Erinnerungen. „So nennt mich aber inzwischen niemand mehr. Kannst du uns nun ein paar Filtertüten leihen? Ich gebe sie dir in den nächsten Tagen zurück.“
„Ach so, ja. Moment.“ Er ließ die Wohnungstür offenstehen und trottete in seine Küche. Im Regal lag eine angebrochene Packung Kaffeefilter, noch etwa zur Hälfte gefüllt. Er nahm ein gutes Drittel davon für seinen eigenen Bedarf heraus und brachte die übrigen Melinda.
„Bitte“, sagte er und reichte ihr die Packung.
„Danke. Also dann auf gute Nachbarschaft“, verabschiedete sie sich. Peter nickte nur und schloss die Tür.
*
Nebenan lief die Bohrmaschine, dazwischen hörte er, wie ein Hammer zum Einsatz kam. Peter schob seinen Stuhl vom Schreibtisch zurück. Bei dem Krach konnte er nicht arbeiten. Wie sollte er eine romantische Szene aufs Papier bringen, wenn drüben der Einzugslärm kein Ende nahm? Seit drei Tagen war Melinda nun damit beschäftigt, sich in ihrer neuen Wohnung einzurichten. Er war schon ganz verzweifelt. Irgendwann musste das doch mal ein Ende haben! Doch mit Hammer und Bohrer nicht genug, zwischendurch sprang auch noch jemand durch die Zimmer. Das war vermutlich Klein-Elfie. Melinda oder die Handwerker würden kaum durch die Wohnung hopsen. Oder doch? Die Vorstellung reizte ihn zum Schmunzeln. Drüben schepperte es. Sein Schmunzeln erlosch. Peter verschränkte die Hände im Nacken. Ein oder zwei Tage wollte er sich noch in Geduld üben, aber dann musste er mit Melinda reden, auch wenn ihm klar war, dass ihre Handwerker deswegen auch nicht schneller fertig sein würden. Er brauchte zum Arbeiten seine Ruhe.
Peter stand auf und ging in die Küche, um sich einen Kaffee aufzubrühen. Er gab Wasser in den Kocher, nahm eine Tasse aus dem Regal und den Porzellanfilter.
Das Wasser im Kocher begann zu sprudeln. In seiner Fantasie schnuppert er bereits das Aroma des frischgebrühten Muntermachers. Peter fasste nach der Packung mit dem Filterpapier und stellte fest, dass sie leer war. Auch das noch. Warum legte er überhaupt die leere Verpackung zurück ins Regal? Das war eine seiner Eigenheiten, über die sich schon Silvia aufgeregt hatte. Wahrscheinlich war er im Geist wieder bei seinen Romanen gewesen. Abgesehen davon war Melinda schuld. Sie hatte ihm doch versprochen, die geborgten Filter zurückzugeben. Und was war passiert? Nichts.
Peter verließ die Küche, ging durch den Flur und aus seiner Wohnung und klingelte bei der Nachbarin.
Er hörte ein eigenartiges Geräusch, als würde etwas über den Fußboden rollen. Hammer und Bohrer dagegen verhielten sich im Moment ruhig. Es tat einen Schlag, als wäre auf der anderen Seite der Tür etwas gegen das Holz gekracht. Sekunden später wurde die Tür einen Spalt breit geöffnet. Elfies kleines Gesicht erschien.
Sie sah ihn nur an.
„Hey“, begrüßte er das Kind. „Ist deine Mama da?“
Elfie nickte, ohne von der Tür wegzugehen oder sie weiter zu öffnen. Die Kleine sah wirklich aus, wie das Abbild ihrer Mutter. Peter hörte Stimmen aus der Wohnung kommen, zwei männliche und eine weibliche.
„Kannst du sie holen?“, fuhr er fort.
„Sie spricht aber gerade mit den Männern“, informierte ihn das Kind.
„Ich muss sie aber auch sprechen“, beharrte er und warf einen Blick auf das Klingelschild. ‚Wegner‘ stand darauf. Kein Hinweis, ob Elfies Vater auch hier wohnte. Selbst wenn, so war er um die Zeit wahrscheinlich bei der Arbeit und konnte somit die Handwerkergespräche nicht übernehmen. Hinsichtlich seiner Kaffeefilter half ihm das nicht weiter.
„Nun hol die Mama, bitte. Es ist wichtig“, versicherte er. Elfie wandte sich ab, wobei die Tür ein Stück weiter aufging, hopste durch den Flur und verschwand in einem Raum. Immer dieses Gehopse, das er drüben ständig mitbekam. Und womit hatte sie den Schlag gegen die Tür verursacht? Mit spitzem Finger drückte Peter die Wohnungstür weiter auf. Er sah ein rosafarbenes Bobbycar auf dem Laminatboden stehen.
„Sie kommt gleich“, verkündete Elfie, die wieder aus dem Zimmer hüpfte, in dem sie verschwunden war. Mit Schwung sprang sie auf ihr Bobbycar. Das Auto geriet ins Rutschen und krachte gegen einen Umzugskarton, der danach eine eingedrückte Kante hatte.
„Cooles Teil“, bemerkte er. Die Kleine grinste.
„Du kannst aber nicht damit fahren. Weil, das ist nur für Kinder“, verkündete sie.
„Bist du nicht schon zu groß, für so ein Rutsche-Auto?“, erkundigte sich Peter.
„Nö.“ Elfie stieß sich kräftig mit den Füßen vom Boden ab, was recht mühsam sein mochte, weil ihre Beine eigentlich schon zu lang für das Auto waren, und sauste durch den Flur. Für einen Moment musste er an Silvia denken. Mit ihr hatte er eine Familie gründen wollen und das derzeit lieber heute als morgen. Dass die lieben Kleinen auch recht anstrengend sein konnten, hatte ihm damals nicht viel ausgemacht. Er hatte gemeint, durch sein Praktikum im Kindergarten, das er nach dem Abitur gemacht hatte, genügend Erfahrung zu haben, um mit Gelassenheit mit aller Betriebsamkeit umgehen zu können, die so ein kleiner Mensch ins Leben brachte. Wäre er noch mit Silvia zusammen, hätten sie inzwischen sicherlich ein Kind in Elfies Alter gehabt. Er spürte einen winzigen Funken Wehmut, wobei er sich nicht ganz darüber im Klaren war, ob es um die Kinder ging, die er nicht hatte oder ob er gar noch der verlorenen Beziehung nachtrauerte. Nein, Letzteres wohl nicht. Silvia hatte ihn zu sehr enttäuscht.
„Ah, Peter.“ Melinda erschien in der Diele. „Du bist bestimmt wegen der Filter da.“ Aus einem der Räume begann eine Bohrmaschine zu dröhnen und das, was Melinda noch sagte, ging im Lärm unter. Sie bückte sich zu einem offenstehenden Karton, nahm eine Packung Kaffeefilter heraus und reichte sie ihm. Die Bohrmaschine verstummte.
„Ich habe sie schon vor Tagen besorgt, es aber immer wieder vergessen, sie dir vorbeizubringen. Danke noch mal.“
Er nahm die Packung. Aha, vor Tagen hatte sie sie besorgt und er saß drüben quasi auf dem Trockenen.
„Wie lange dauert denn das noch?“, fragte er und machte eine Kopfbewegung in Richtung Melindas Flur.
„Ein, zwei Tage. Dann wird es hier wieder ruhiger“, versicherte Melinda.
„Herrje. Ich muss doch arbeiten. Ich kann mich bei dem Krach nicht konzentrieren“, klagte er. Ihm blieb schon beinahe nichts anderes übrig, als sich nachts an den Computer zu setzen. Der Roman musste an den Verlag. Nicht nur, weil der Abgabetermin drängte, sondern auch, weil auf seinem Konto Notstand herrschte.
„Du arbeitest von zu Hause aus?“, fragte Melinda. Der Bohrlärm setzte wieder ein. Peter, der bereits zu einer Antwort angesetzt hatte, klappte den Mund wieder zu. Das war ja nicht zum Aushalten. Er nickte nur und ging zurück in seine Wohnung.
*
Auch Melinda schloss ihre Tür. Offenbar gelang es ihr genauso wenig wie früher, mit Peter ein Gespräch zu führen. Als sie bei ihrem Einzug vor einigen Tagen hatte feststellen müssen, dass ihr ehemaliger Mitschüler und unerreichbarer Jugendschwarm nun ihr Nachbar war, war sie ziemlich verblüfft gewesen.
Sie hatte sich sogar noch gefreut, ihn wiederzusehen und gehofft, ihm nun – viele Jahre später – entspannt und freundlich gegenübertreten zu können.
Vielleicht konnten sie ein wenig über die gemeinsame Schulzeit plaudern. Oder sich dazu austauschen, wie es ihnen beiden in der Zwischenzeit ergangen ist und sei es noch so kurz gefasst. Das wäre doch völlig normal, oder?
Doch nach wie vor schenkte er ihr keine Beachtung. Heute machte ihr das nichts mehr aus, versicherte sie sich.
Vor 15 Jahren war das anders gewesen. Was hatte sie für den attraktiven Mitschüler geschwärmt, der zwei Jahrgangsstufen über ihr gewesen war, und sich voller Herzklopfen Hoffnungen gemacht, er könne sich für sie interessieren und ihre Gefühle erwidern. Auf dem Pausenhof hatte sie immer wieder unauffällig seine Nähe gesucht und sich auf dem jährlichen Schulfest alle Mühe gegeben, seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Leider vergeblich, worunter sie damals sehr gelitten hatte. Dummerweise gefiel er ihr immer noch. Aber sie war ja nun längst erwachsen und inzwischen um einiges reifer. Seit vier Jahren ist sie geschieden und Mutter einer kleinen Tochter, deren Vater sich für sein Kind nicht interessierte.
Als seinerzeit aus ihm und der selbstbewussten Irina ein verliebtes Pärchen geworden war – für ihr Empfinden von einem Tag auf den anderen – hatten ihr Enttäuschung und Liebeskummer schwer zu gesetzt.
Mit Irina schien er nicht mehr zusammen zu sein und wohl auch mit keiner anderen Frau. Offenbar lebte er alleine. Es stand jedenfalls nur sein Name an der Tür. In den wenigen Tagen, die sie mit ihrer Kleinen inzwischen hier wohnte, hatte sie bei ihm auch noch keine Besucher gesehen, weder männliche, noch weibliche.
„Mama?“, rief Elfie und sauste mit ihrem Bobbycar aus ihrem Zimmer, schaffte es nicht zu bremsen und fuhr wieder mit Schwung gegen einen der Umzugskartons.
„Elfie, du sollst nirgendwo gegen fahren“, ermahnte Melinda ihre fünfjährige Tochter. „Was hat denn vorhin so gekracht, als du dem Nachbarn aufgemacht hast?“
„Ich bin ein bisschen gegen die Tür gebumst. Aber nur ein bisschen“, gab Elfie zu.
„Ach, du liebe Güte.“ Melinda betrachtete die Innenseite der Tür. Tatsächlich sah sie eine kleine Schramme im Holz. Sie hatte große Lust, der Kleinen das Rutsche-Auto wegzunehmen, ehe sie noch mehr Schäden in der neuen Wohnung anrichtete, kaum dass sie eingezogen waren.
„Frau Wegner? Könnten Sie mal kurz gucken?“, rief einer der Handwerker, die seit heute Morgen die Küche einbauten.
„Ja, ich komme“, rief sie zurück. Über die Sache mit dem Bobbycar würde sie später noch einmal nachdenken. Die Schramme an der Tür konnte vielleicht einer der Küchenhandwerker mit ausbessern. Und Peter würde den Lärm eben noch ein paar Tage ertragen müssen. Ein Umzug ging nun mal nicht geräuschlos vonstatten.
*
Peter fuhr seinen Computer herunter. Der Tag war herrlich ruhig gewesen und er hatte endlich wieder einmal konzentriert arbeiten können. Bereits früh am Morgen hatte er durch das Wohnzimmerfenster gesehen, dass Melinda mit Klein-Elfie und einer großen Tasche das Haus verlassen hatte. Dem aufgeblasenen Schwimmreifen nach zu urteilen, den das Kind getragen hatte, waren die beiden unterwegs ins Freibad, passend zum Samstag und dem herrlichen Wetter. Er hatte sofort gute Laune bekommen, als er die beiden in einem weißen Kleinwagen hatte wegfahren sehen.
So war er mit dem neuen Heftroman um immerhin 15 Seiten vorangekommen. Er streckte die Arme von sich, um sich zu dehnen. Sein Blick ging dabei auf die kleine Uhr, die auf seinem Schreibtisch stand. Kurz nach 18 Uhr. Draußen schien noch immer die Sonne. Die nächsten beiden Stunden würde es noch hell sein. Wunderbar. Das Licht war perfekt, um an seinem aktuellen Bild weiterzumalen. Das Bild, mit dem er demnächst an die Öffentlichkeit gehen wollte, um sich ein zweites berufliches Standbein als Künstler zu schaffen. Es war auch schon fast fertig.