Wildzauberei - Sandra Gernt - E-Book

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Sandra Gernt

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Beschreibung

Die Krönung des Großfürsten steht unmittelbar bevor. Da aufständische Adlige die Zeremonie wie den allgemeinen Frieden im Reich bedrohen, geben Jarids Gefährten einem Gesandten Schutzgeleit. Jarid selbst muss zurückbleiben – bis ihn eine Traumvision ereilt, dass die Marút in Lebensgefahr schweben. Auch wenn ihm niemand glauben will, kann er durchsetzen, ihnen folgen zu dürfen. Doch um ihnen helfen zu können, muss er endlich akzeptieren, wer und was er tatsächlich ist: Ein Wildzauberer, dessen Blick auf die Welt alles und jeden verändert … Ca. 73.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 360 Seiten.

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Die Marút sind zurück! Die Fortsetzung von „Jarid“ und „Vertrauensgabe“

Die Krönung des Großfürsten steht unmittelbar bevor. Da aufständische Adlige die Zeremonie wie den allgemeinen Frieden im Reich bedrohen, geben Jarids Gefährten einem Gesandten Schutzgeleit. Jarid selbst muss zurückbleiben – bis ihn eine Traumvision ereilt, dass die Marút in Lebensgefahr schweben. Auch wenn ihm niemand glauben will, kann er durchsetzen, ihnen folgen zu dürfen. Doch um ihnen helfen zu können, muss er endlich akzeptieren, wer und was er tatsächlich ist: Ein Wildzauberer, dessen Blick auf die Welt alles und jeden verändert …

 

Ca. 73.000 Wörter

Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 360 Seiten.

 

 

 

 

von

Sandra Gernt

 

Kapitel 1

 

Es war bereits kurz vor Mitternacht. Die große Uhr am höchsten Burgturm hatte es verkündet.

Jarid gab es auf, sich schlaflos durch sein Bett zu wälzen und erhob sich. Zweiundzwanzig Jahre lang hatte er einsam und allein in einer winzigen Kammer geschlafen. Oft genug war ihm selbst dieser schlichte Platz nicht vergönnt gewesen und man hatte ihn von seinem dritten Lebensjahr an immer wieder gezwungen, im Keller der Familientaverne zu nächtigen. Als Kind war das furchtbar für ihn gewesen – allein in undurchdringlicher Finsternis, im feucht-modrigen Lagerraum zwischen Wein- und Bierfässern. Wenn er dagegen aufbegehren wollte, hagelte es Ohrfeigen von seiner Schwägerin Mira. Später hatte er gelernt, die Dunkelheit und Stille sogar zu genießen. Kaum zu glauben, dass dieses Leben als geprügelter, ungeliebter Bruder und um seinen Anteil am väterlichen Erbe betrogener Habenichts erst vor etwas mehr als einem Jahr geendet war. Seitdem hatte sich alles für ihn geändert. Er lebte am Hof des künftigen Großfürsten, war der erste und bislang einzige Knappe der Marút seit über einem Jahrhundert, wurde allgemein geachtet und respektiert – und schlief für gewöhnlich nie allein.

Die einzelnen Kampfgruppen der Marút, bestehend aus drei bis acht Kriegern, teilten sich stets einen Schlafraum. Jarid verbrachte seine Nächte in den Armen von Tamas, seines Liebsten. Der war vorgestern Morgen zusammen mit dem Rest der Gruppe fortgeritten. Rujo, Krys, Hollin, Andrez und Tamas sollten einen Botschafter von Fürst Rodwyn sicher an den Hof eines anderen Herrschers geleiten.

Jarid musste auf ausdrückliche Bitte von Meister Malin zurückbleiben. Der Leiter der hochangesehenen Marútschule, die sich in Fürst Rodwyns Besitz befand, hatte ihm ein Sondertraining im waffenlosen Kampf aufgebürdet. Von Anfang an war klar gewesen, dass Jarid niemals ein Schwert würde führen können. Auch beim Messer- und Stockkampf, Bogenschießen und anderen Waffenpraktiken bot er eine traurige Figur. Meister Malin konzentrierte sich darum bei ihm darauf, ihn in Abwehr und Verteidigung zu schulen und ermunterte ihn, seine Zielfertigkeit im Umgang mit Schleuder und dem Dolchwerfen weiter auszubauen.

„Kampf bedeutet vor allem, dass man auf sein eigenes Überleben abzielt“, predigte der greise Meister ein ums andere Mal. „Es spielt keine Rolle, wie du deine Feinde besiegst. Wenn du ihnen ein Bein stellst, Sand in die Augen streust oder sie mit schauderlichem Gesang in die Flucht schlägst, ist das genauso gut wie die Leistung des besten aller Schwertkämpfer. Vielleicht sogar noch besser, denn ein Meister kann auf sein Geschick vertrauen. Du wirst stets ein bisschen mehr Mut benötigen als jeder andere, Jarid.“

 

Leider war Mut nicht an jeder Ecke zu finden. Da seine Angst, Tamas und die anderen mit seiner Unfähigkeit zu blamieren größer als alles andere war, hatte er sich bereitwillig der Trennung und den vielen Stunden gesondertes Training unterworfen. Es sollte noch intensiv fortgesetzt werden, auch wenn seine Gefährten bereits zurückgekehrt sein würden. In drei Wochen, zum Wintersonnenwendfest, wenn das neue Jahr begann, würde Fürst Rodwyn zum Großfürsten über ganz Panao gekrönt werden. Seit Menschengedenken hatte es keinen solchen Großfürsten mehr gegeben. Die Legenden hatten berichtet, das Siegel der Macht, das unabdingbar für die Krönungszeremonie war, wäre einst verloren gegangen. Gestohlen, vergraben, verschollen in den Nebeln von Zeit und Erinnerung. Jarid und seine Gefährten hatten vor über einem Jahr ein gewaltiges Abenteuer überstehen müssen, als plötzlich eine Karte aufgetaucht war, die den Weg zu diesem Siegel wies. Am Ende waren Tamas und er in ein unterirdisches Labyrinth gestürzt, in dem vor ihnen hunderte Krieger den Tod gefunden hatten. Sie hatten überlebt und waren mit dem dort verborgenen Siegel als gefeierte Helden nach Burg Hamfried zurückgekehrt.

Dieses Labyrinth, die Inschriften am Fundort, die Schatzkarte als solche – alles das bewies, dass der letzte Großfürst seiner Macht freiwillig entsagt und das Siegel eigenhändig versteckt haben musste. Warum, war nicht überliefert und interessierte nur noch die Gelehrten.

Jarid glaubte fest daran, dass Fürst Rodwyn dem Reich ausschließlich Gutes bringen würde. Zu viele Fürstentümer waren untereinander verfeindet und innerlich zersplittert, weil jeder landbesitzende Adlige glaubte, sich als Machthaber aufspielen zu müssen und willkürlich Landesgrenzen ziehen, Gesetze erlassen und nach eigenem Gutdünken durchsetzen zu dürfen. Manche Gebiete florierten, die Bevölkerung war durchweg gut gestellt und profitierte von Bildung und Forschung, Handel und allgemeinem Fortschritt. In zu vielen Ecken und Winkeln des Reiches hingegen herrschte bittere Armut vor und es war lebensgefährlich, das eigene Dorf zu verlassen, weil überall Räuberbanden und marodierende Gruppen von Aufständischen lauerten. Durch solche Gebiete mussten Tamas und die anderen reisen. Sorgen machte Jarid sich dennoch nicht. Seine Gefährten waren überaus fähige, besonnene Kämpfer, sie würden mit jeglicher Gefahr zurechtkommen.

Er hingegen lief wie ein gefangenes Tier im Schlafraum auf und ab. Er vermisste Tamas, dass es körperlich schmerzte. Seine Wärme, seine Kraft, seine Nähe. Die zärtlichen Berührungen, auch wenn sie nicht miteinander schliefen. Die Art, wie Tamas unmittelbar vor dem Einschlafen leise schnaufte, als würde er die gesamte Anspannung des Tages loslassen. Sein Duft, sein Lachen – einfach alles. Jarid gestand sogar vor sich selbst nur ungern ein, wie groß seine Angst vor Einsamkeit und Dunkelheit angewachsen war. Solange er seine Gefährten nachts um sich hatte, fürchtete er sich nicht und durchlitt inzwischen sehr selten Albträume. Die Erinnerungen an Entführung und Folter, an flammende Gesichter in der Finsternis, bevor man ihm Nadeln in die Hoden rammte und alles in weißglühender Agonie zerschmolz … Mehr als einmal hatte Meister Malin das Gespräch zu diesem Thema gesucht und jedes Mal war Jarid ihm ausgewichen. Er konnte nicht darüber reden. Mit niemandem, ausgenommen Tamas. Der hatte schließlich dasselbe durchstehen müssen und verstand ihn. Sie verloren keine Worte darüber. Manchmal begegneten sich ihre Blicke und sie wussten, woran der andere gerade dachte. Dann genügten behutsame Berührungen, ein Umfassen der Hände, ein Lächeln, um den dunklen Bann zu brechen und innerlich zur Ruhe zu kommen. Tamas hatte eine spezielle Art, ihn im Nacken zu fassen und an sich zu ziehen … Tamas war nicht hier.

Schlaf würde Jarid in dieser Kammer heute Nacht nicht mehr finden, wurde ihm klar. Sobald er aufhörte, wild hin und her zu laufen, bildete er sich sofort Schritte in seinem Rücken ein. Geflüster. Hände, die sich nach ihm ausstreckten, um ihn am Hals zu packen und bis zur Bewusstlosigkeit zu würgen.

Entschlossen hüllte er sich in seine tarnende Marútkleidung, bändigte sein wie stets wüstes dunkelblondes Haar mit einem Lederband und öffnete das Fenster. Eisige Nachtluft schlug ihm entgegen, die seine Sinne ein wenig belebte. Würde er das Gebäude zur Vordertür verlassen wollen, müsste er sich unweigerlich vor zwei schlecht gelaunten Marútwachen rechtfertigen. Lieber kletterte er aus dem ersten Stock in die Tiefe, was dank zahlreicher Unebenheiten im Gestein auch ohne Licht kein großes Kunststück war. Diesen Weg war er schon häufiger gegangen, da es so viel Zeit sparte, wenn man es eilig hatte.

Im Innenhof unter ihm herrschte nächtliche Stille. Es war klirrend kalt, aber trocken. Schnee war diese Woche noch keiner in Sicht, hatte der Hofastrologe und Wetterkundige jedenfalls am Morgen behauptet. Im Moment behielt er ausnahmsweise sogar recht, was selten genug geschah. Hier im Hof gab es keine Wächter, da die Marút sich auf Gefahren von außen konzentrierten. Darum konnte Jarid ungehindert zu seinem Ziel gelangen: Der Stall, der gegenüber von seinem Schlafraum lag. Dort war es warm und sein treues Pony Dari befand sich in seiner Box. Da die Stallknechte in einem angrenzenden Nebengebäude schliefen, brauchte er nicht einmal leise zu sein, als er eintrat. Eine einsame Laterne hing am Stalleingang, für diejenigen, die nachts überraschend abreisen mussten, was bei Marút häufig genug geschah. Jarid ließ sie hängen, er brauchte das dämmrige Licht nicht, um seinen Weg zu Dari zu finden. Der begrüßte Jarid mit einem freudigen, leicht dösigen Schnauben.

„Hey, mein Dicker!“, murmelte Jarid zärtlich, streichelte über die weichen Nüstern und lehnte sich Halt suchend an das winterdichte Fell des Wallachs. Dari machte willig Platz, als Jarid die Tür des Verschlags öffnete und eintrat.

„Keine Angst, wir müssen nicht raus in die Kälte. Ich hatte bloß Sehnsucht.“ Eine Weile liebkoste er das Pony, bis er innerlich zur Ruhe gefunden hatte. Dari würde niemals zulassen, dass Feinde hereinkamen und ihn heimlich entführen, foltern oder umbringen würden. Einmal hatte er Jarid gerettet, als ihm ein feindlicher Marút in den Stall von Herrn Dameron gefolgt war, der ihn erwürgen wollte … Dari hatte solch einen Lärm veranstaltet, dass Tamas gerade noch rechtzeitig herbeieilen und das Schlimmste verhindern konnte. In dieser Nacht waren Tamas und Jarid sich zum ersten Mal näher gekommen.

„Ich bin so froh, dass ich dich habe, mein Dicker.“ Mit einem letzten Klaps auf Daris Hals ließ Jarid sich im Stroh nieder und rollte sich seufzend ein. Niemals würde sein Pony auf ihn treten. Oder ihm einen Haufen auf den Kopf setzen. Hier konnte er sorglos schlafen …

 

 

 

Kapitel 2

 

Jarid schreckte hoch. Dari hatte ihm einen Nasenstüber verpasst und sabberte ihm gerade ins Ohr. Er wusste sofort, wo er war. Seinem Gefühl nach hatte er noch keine volle Stunde geschlafen, eher weniger. Murrend schob er das Pony von sich und wollte es eigentlich für die unsanfte Behandlung tadeln, da hörte er Stimmen und Schritte: Zwei Männer oder mehr, die sich dem Stall näherten. Die Tür wurde schwungvoll geöffnet, das schwache Licht der Laterne bewegte sich, als diese vom Haken genommen wurde. Jarid duckte sich unwillkürlich tiefer ins Stroh. Es war nicht verboten, sich nachts im Stall aufzuhalten, dennoch wollte er ungern von einem der Marút erwischt werden. Die Männer würden sich zweifellos denken können, dass er sich aus Einsamkeit bei seinem Pony eingenistet hatte. Spott wäre ihm sicher, keineswegs ausschließlich freundlicher Natur. Es gab einige, die ihm misstrauten und seine Rolle beim Auffinden des Siegels anzweifelten. Tamas‘ Hündchen, so wurde er von manchem Krieger hinter seinem Rücken genannt. Selbstverständlich immer nur dann, wenn Tamas weit genug fort war, um es nicht hören zu können.

Jarid blieb still sitzen. Er hoffte, dass die nächtlichen Besucher sich zügig ihre Pferde holten und verschwinden würden.

„Nehmt dort drüben Platz, mein lieber Freund. Es ist nicht der bequemste Ort, aber einigermaßen sauber“, ertönte eine tiefe Stimme. Jarid fuhr zusammen – das war Fürst Rodwyn!

„Seid Ihr sicher, dass uns keiner belauschen kann?“, erwiderte eine zweite männliche Stimme, die Jarid ebenfalls gut kannte. Sie gehörte niemand anderem als Herrn Dameron. Jenem Gelehrten, der die Karte zum Siegel der Macht übersetzt hatte. Jarid mochte diesen klugen, freundlichen Mann sehr. Trotz des Unfugs mit der Wildzauberei, den Dameron über ihn in die Welt gesetzt hatte. Ein wunderbarer, großherziger, feiner Herr war das, mit einer ebenso bezaubernden Frau. Beide waren klug, sehr gebildet und großzügig. Jarid hatte nicht gewusst, dass sie bereits so früh herkommen wollten, bis zur Krönungszeremonie dauerte es noch eine Weile.

„Wir müssen leise sein“, sagte Fürst Rodwyn. „Der Vorteil ist, dass niemand zu dieser Jahreszeit auf die Idee kommt, im Stall zu nächtigen. Im Sommer tun die Knechte dies manchmal, auf dem Heuboden – meist in netter Gesellschaft. Jetzt ist es zu kalt dafür. Es gibt nur einen Eingang, sollte jemand hereinkommen, bemerken wir ihn sofort. Und weil die Wände und die Tür dick genug sind, kann uns niemand heimlich zuhören. Seid also unbesorgt.“

„Nun gut … Ihr sagtet, dass Ihr zutiefst besorgt seid. Wie kann ich dem künftigen Großfürsten zu Diensten sein?“

„Ihr habt Eure Augen und Ohren doch überall, Dameron. Ich wette, Ihr wisst wesentlich besser als ich über die Intrigen Bescheid, die gegen mich gesponnen werden. Ich muss befürchten, dass meine Feinde sich auch hier am Hof befinden, darum wollte ich mich an einen ruhigen Ort zurückziehen.“

„Ihr seid ein wichtiger Herrscher, der nach der absoluten Macht greift. Auch wenn Ihr von den übrigen Fürsten dazu gedrängt wurdet, es wäre unnatürlich, wenn es keine Gegenkräfte in der Opposition gäbe. Ich weiß von Unruhen, kleineren und größeren Aufständen in diversen Provinzen und einigen unbedeutenden Adligen, die sich verbünden und das Siegel stehlen wollen. Nichts, was Euch wirklich beunruhigen müsste. Im Gegenteil, gäbe es dieses Geplänkel nicht, müsstest Ihr das Schlimmste befürchten, nämlich, dass sich zu viele Feinde im Untergrund zusammengerottet hättet.“

„Das ist mir bekannt. Die Lage in Ullogash bereitet mir dennoch Sorge. Besonders, da es dort gleich zwei ehrgeizige Emporkömmlinge gibt.“

Jarid hielt den Atem an – Tamas und die anderen mussten Ullogash passieren. Doch sogleich wischte er diesen Anflug von Sorge beiseite. Seine Freunde waren die fähigsten Marút unter der Sonne. Nicht nur er glaubte das, auch Meister Malin hatte dies in Gesprächen mit anderen Meistern und diversen Schülern durchblicken lassen. Ihnen konnte gar nichts geschehen, solange sie zusammenhielten.

„Keiner der beiden Hitzköpfe in Ullogash wäre in der Lage, die Stimmen der Fürstenversammlung für sich zu gewinnen, Rodwyn. Auch mit dem Siegel der Macht würde man sie nicht zum Großfürst wählen. Das wissen sie selbst, darum werden sie es nicht einmal versuchen.“

„Auch das ist mir bewusst, lieber Freund. Was ich fürchte ist, dass sie die Krönung hintertreiben wollen, um alles beim Alten belassen zu können. Ohne einen Großfürsten, dem sie plötzlich lehenspflichtig wären, der ihnen auf die Finger klopft, wenn sie es zu wild treiben, der sie daran hindert, das Volk sinnlos ausbluten zu lassen … Ich mache mir da lieber zu viele als zu wenige Sorgen.“

„Von der Sorte Quertreiber wird es immer welche geben“, erwiderte Herr Dameron. „Ich mag mich irren, da mein Augenmerk in den letzten Monaten auf andere Dinge gerichtet war. Doch ich glaube fest daran, dass diese jungen Rebellen nicht die Ressourcen haben, Euch zur Gefahr zu werden. Ich werde mich für Euch noch einmal konkret umhören. Wenn überhaupt, müsste eine dritte Macht hinter den beiden stehen. Jemand, der sie aufstachelt und ihre Unzufriedenheit in gefährliche Bahnen zu lenken weiß. Noch ist mir nichts dergleichen zu Ohren gekommen.“

„Nun, Ihr seid Gelehrter, kein Meisterspion, lieber Dameron. Ich halte Euch viel zu oft von Euren Büchern und Forschungen ab, das ist mir bewusst …“

Das Gespräch der beiden wandte sich anderen Themen zu und Jarid verlor das Interesse. Politik, Wirtschaft, Intrigen und Machtspiele mochten wichtig und die Informationen sogar teilweise brisant und nicht für seine Ohren bestimmt sein, dennoch fesselten sie ihn grundsätzlich nicht. Das waren Dinge, die für klügere und fähigere Menschen als ihn vorbehalten bleiben sollten. Müdigkeit zupfte energisch an seinen Lidern, erneut machte er es sich im Stroh bequem. Sollten die beiden über die Führung des Reiches diskutieren, er wollte endlich schlafen!

Beinahe war es ihm tatsächlich gelungen, einzuschlafen, als er plötzlich seinen eigenen Namen hörte und mit einem Schlag wieder hellwach war.

„Wie macht sich Jarid?“, fragte Herr Dameron.

„Prächtig, absolut prächtig! Meister Malin ist sehr zufrieden mit ihm. Selbstverständlich besteht keinerlei Aussicht, einen echten Krieger aus ihm zu schnitzen, aber das war ja auch nie das Ziel. Er ist ein vorzüglicher Knappe, der Leib und Leben für seine Gefährten geben würde.“

„Und dennoch habt Ihr ihn in Eurer Burg zurückgehalten und seine Gefährten fortgeschickt.“ Herr Damerons Stimme klang weder vorwurfsvoll noch anklagend, dennoch machte Fürst Rodwyns Erwiderung einen leicht gehetzten Eindruck auf Jarid:

„Mir blieb keine andere Wahl, das müsst Ihr mir glauben! Es war von größter Wichtigkeit, dass ich diesen Botschafter von meinen fähigsten Marút begleiten lasse, da die Reise durch sehr unsichere, instabile Landstriche führt. Trotzdem wollte ich Jarid nicht fortgehen lassen. Nicht so kurz vor der Krönungszeremonie, wo tausende Kleinigkeiten schieflaufen können.“

„Was sie nicht tun. Nahezu alles geht fehlerfrei und reibungslos vonstatten, davon konnte ich mich bereits heute Abend überzeugen.“ Herr Dameron seufzte. „Es kann einen gesunden Mann in den Wahnsinn treiben, zu lange über das Konzept der Wildzauberei nachzugrübeln. Habt Ihr die besten und fähigsten Krieger, Handwerker, Schneider, Köche und Bediensteten des Reiches an Eurem Hof, weil Ihr über das Geld und die Macht verfügt, nur die Elite in Eure Dienste zu nehmen? Oder sind es lediglich gute Leute, die durch Jarids blindes Vertrauen in die allgemeine Großartigkeit der Menschheit weit über sich hinauswachsen?“

„Ich rühme mich, dass ich inzwischen bereits unmittelbar nach dem Aufstehen weiß, in welcher Verfassung sich Jarid befindet, ohne ihn sehen zu müssen“, entgegnete Fürst Rodwyn. „Wenn meine Gemahlin mich zufrieden anlächelt, die Schritte meines Leibdieners beschwingt federn, die Vögel unabhängig vom Wetter unter meinem Fenster süß zwitschern, mein treuester Jagdhund verlangt, am Bauch gekrault zu werden, und das Rasierwasser die absolut perfekte Temperatur aufweist – dann ist Jarid glücklich und zufrieden, gesund, gut ausgeschlafen und freut sich seines Lebens. Ist mein Weib hingegen grundlos zänkisch, die Vögel zetern, mein Diener stolpert über die eigenen Füße, der Hund knurrt mich an und das Rasierwasser ist eine Spur zu kalt oder zu heiß – dann lasse ich umgehend nach dem Jungen rufen und höre nicht auf, ihn zu befragen, bis ich genau weiß, was ihn quält. In den vielleicht einen halben Dutzend Vorfällen, wo das bislang geschehen ist, wurde er fast immer von fremden Marút, die Gast auf der Burg weilten, mit Hohn und Spott und einmal sogar mit einem tätlichen Übergriff misshandelt. Womit ich sagen will, dass der Bursche über ein durchweg wonniges Gemüt verfügt, ihn wenig aus der Ruhe bringt und er sich auf Burg Hamfried rundum wohl und zu Hause fühlt.“

„Ihr wollt außerdem sagen, dass sein anhaltendes Wohlgefühl unmittelbaren und absoluten Einfluss auf die Menschen hat, die hier wohnen.“ Herr Dameron seufzte erneut und Jarid musste sich zusammenreißen, um es ihm nicht gleich zu tun. Verfluchte Wildzauberei! Die Leute nahmen diesen Unsinn einfach viel zu ernst.

„Wie Ihr wisst, war Ceons Taverne ein Hort der Glückseligkeit, solange Jarid dort gelebt hat. Und ja: Seit seinem Fortgang leuchten die Kerzen dieses Hauses weniger heimelig, das Bier ist nicht mehr ganz so großartig, das Essen nicht gänzlich die Offenbarung wie zuvor. Doch dies gilt ausschließlich im Vergleich zum Vorher. Im Vergleich mit jeder anderen Taverne in Eurem großen Reich werdet Ihr nach wie vor nichts Besseres finden. Kein gemütlicherer Gastraum, keine freundlicheren Mägde, keine bequemeren Betten. Damit will ich sagen: Welchen Segen Jarids Magie über ein Haus zu legen weiß, ist nicht wissenschaftlich zu ermessen. Sicher ist nur, dass ein Großteil dieses Segens verbleibt, auch wenn Jarid bereits lange fort und der Nutzen seiner Magie insgesamt schwächer ist. Dies gilt auch für mein eigenes Haus, obwohl er lediglich einige Tage bei mir Gast gewesen ist. Habt also bitte keine Angst, ihn fortziehen zu lassen. Es kann sehr viel mehr Schaden als Nutzen anrichten.“

„Im vergangenen wie auch diesem Jahr habe ich ihn mehr als einmal in die Fremde geschickt“, entgegnete Fürst Rodwyn. „Ihr habt insofern Recht, dass dadurch keine Anarchie auf meiner Burg ausgebrochen ist. Weder haben meine Köche verlernt zu kochen, noch sind die Diener sich gegenseitig an die Kehle gesprungen. Ich werde ihn auch in Zukunft ziehen lassen, wohin es ihn treibt, ob mit oder ohne seine Gefährten. Lediglich für die Zeit vor meiner Krönung hatte ich Skrupel.“

„Verständlich, mein lieber Freund, absolut verständlich. Hoffen wir, dass die Trennung von seinem Liebsten Jarid nicht so stark belastet, dass Ihr Euch dadurch genau die Probleme aufhalst, die Ihr vermeiden wolltet. Wenn ein Wildzauberer Kummer leidet und die Welt als trübsinnigen Ort begreift …“

„Ich weiß, was Ihr meint. Ein Risiko, dessen ich mir bewusst war. Darum habe ich ihn in Malins Hände befohlen. Der soll den Jungen ablenken, sein Selbstvertrauen stärken und ihn unablässig fordern, damit er nachts ruhig schläft.“

„Nun gut. Habt Ihr denn über das andere Dilemma nachgedacht, über das wir beim letzten Mal sprachen?“

„Die Frage, ob ich ihm Bildung und Unterricht in Philosophie angedeihen lasse, damit er diffiziler über das Leben und die Welt nachdenken kann?“, fragte Fürst Rodwyn.

„Exakt. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass zu viel Wissen schädlich für seinen sorglosen, naiven, lebensbejahenden Geist wäre.“

Jarid duckte sich niedergeschlagen zusammen. Das klang, als würde Herr Dameron ihn für ein dummes kleines Kind halten, das besser dumm bleiben sollte, um wenigstens fröhlich sein zu können.

Bevor Fürst Rodwyn etwas erwidern konnte, wurden Schritte vor dem Stall laut. Die Tür öffnete sich. Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann erklang die Stimme von Konal, einem hochrangigen Marút:

„Verzeiht, edle Herren. Ich war auf Wachgang und bemerkte, dass die Stalllaterne nicht an ihrem üblichen Fleck hing. Ich wollte mich lediglich vergewissern, dass sich niemand an den Pferden zu schaffen macht.“

„Bitte nicht um Entschuldigung dafür, deine Aufgabe gewissenhaft zu erfüllen, Konal“, entgegnete Fürst Rodwyn. „Herr Dameron und ich sollten unser Gespräch auf Tagesanbruch verlegen. Es ist spät genug geworden.“

Wenige Augenblicke später senkten sich Ruhe und Dunkelheit über den Stall. Gelegentlich war ein Rascheln zu hören, wenn sich eines der Pferde, die Stallkatze oder Nagetiere im Stroh rührten. Schnauben, Atemgeräusche der großen Tiere, ein Stampfen der Hufe. Diese leisen Laute und die Präsenz von vielfältigem Leben erreichten Jarids Sinne. Sein Verstand hingegen war wie eingefroren. Er wusste ja, dass jeder hartnäckig an diesem Aberglauben bezüglich der Wildzauberei festhielt. Dass sie allerdings dermaßen viel in seine angebliche Macht hineininterpretierten, als sei er ein Gesandter von Kaave persönlich … Ein einziges Mal hatte Jarid versucht, über dieses Thema mit dem Priester zu reden, der auf der Burg hauste. Ein dicker, gemütlicher Mann, dessen Vorliebe für Bier und gutes Essen schwer zu verfehlen war. Er hatte über Jarids sorgenvolles Gestammel gelacht.

 

„Warum sollte Kaave Wildzauberei dulden?“, hatte er gefragt. „Unser Herr hat die Welt unvollkommen gestaltet, damit wir, seine auserwählten Schäfchen, uns aus eigener Kraft vervollkommnen können. Niemals werden wir Menschen unserem Gott gleich sein, sein Vorbild ist unerreichbar. Dennoch dürfen wir niemals aufhören, ihm nachzustreben. Wildzauberei klingt für mich nach dem Wunschdenken kleiner Kinder. Ein Magier, der mit seiner puren Anwesenheit dafür sorgt, dass das Gute besser und alles Böse schwächer wird … Das ist lächerlich! Nein, mein Junge. Du bist ein fröhlicher Mensch, der das Gute in den anderen sieht, sich an jedem Akt von Herzlichkeit erfreut und mit seinem Lachen andere aufzuheitern vermag. Das ist keine Magie, dafür aber ein viel zu seltener Wesenszug in einem erwachsenen, geistig gesunden Mann. Möge er dir lange erhalten bleiben.“

 

Jarid streichelte über Daris Kopf. Sein Pony spürte, wie aufgewühlt er war und stupste ihn unentwegt an, als wolle es sagen: „Vergiss das Gerede!“

„Dumme alte Männer“, murmelte er. „Verbittert vom Leben, weil sie zu viel Schlechtes gesehen und erfahren haben. Ist schon in Ordnung, wenn sie an abergläubischen Unfug glauben müssen, um sich besser zu fühlen, nicht wahr, mein Dicker? Ich gönne es ihnen. Soll mein Fürst mich ängstlich an seiner Seite halten, ist ja auch ein schönes Kompliment, dass er mich zu schätzen weiß. Solange kann Malin mich bearbeiten, damit ich beim Wachdienst eine halbwegs gute Figur mache. Tamas, Rujo und die anderen werden in Windeseile zurück sein und dann interessiert mich das Ganze nicht mehr.“

Er fuhr leicht zusammen, als ein pelziger Körper lautlos neben ihm landete, entspannte sich allerdings sofort wieder – es war bloß Hedwiga, die Stallkatze. Sie schmiegte sich schnurrend an ihn, anscheinend fühlte sie sich auch gerade einsam und suchte deshalb seine Gesellschaft. Oder es juckte sie nur hinter den Ohren, bei Katzen konnte man sich da nie sicher sein. Hingebungsvoll kraulte Jarid Hedwiga und Dari zugleich, bis beide Tiere zufrieden waren und zuließen, dass er sich müde zurück ins Stroh legte. Wenn sein Wohlbefinden über die Abläufe eines künftigen Großfürstenhofes entschied, war es seine Pflicht, so viel Schlaf wie möglich zu erhaschen. Er lächelte voller Zuneigung über Herrn Damerons und Fürst Rodwyns Gerede. Die beiden meinten es gut mit ihm. Ausgeschlossen, ihnen dafür böse zu sein … Er wünschte ihnen nur das Beste.

Mit diesem Gedanken sank er endlich in den lang ersehnten Schlaf hinab, beschützt vom tapfersten Pony der Welt und der anschmiegsamsten Stallkatze Panaos.

 

 

„Ich träume“, dachte Jarid. Es verwirrte ihn. Manchmal wurde er sich unmittelbar vor dem Ende eines Traumes bewusst, dass er sich in einem ebensolchen befand. Dieser hier hatte hingegen noch nicht einmal begonnen. Er nahm nicht viel außer Dunkelheit und die Nähe von Pferden war. Wo war die bunte Bilderflut, die sonst üblicherweise in seinen Traumwelten auf ihn niederging?

Nebel stieg auf, dunkle Gestalten bewegten sich darin.

„Jarid“, sagte eine von ihnen. Das war Tamas. Glücklich wollte er aufspringen und zu seinem Liebsten eilen, der bereits lächelnd die Arme ausgebreitet hatte – und konnte es nicht. Bleierne Gewichte drückten seinen Körper nieder, er war zu keiner Bewegung fähig.

„Komm und hole mich“, rief er, ohne sich Sorgen zu machen. Auch wenn er verzweifelt dringend in Tamas‘ Armen liegen, sich an seinen starken Leib schmiegen, sich geborgen und sicher fühlen wollte, er hatte keine Angst.

„Kommt doch!“, rief er erneut, als Tamas und die anderen bloß still stehen blieben und sich nicht rührten.

„Wir können nicht“, erklang Rujos Stimme. Dessen Gesicht war durch die Nebelschwaden kaum zu erkennen und die Worte wirkten seltsam gedämpft.

„Du musst zu uns kommen, Jarid. Finde einen Weg. Wir sind in höchster Gefahr und mit uns das gesamte Reich. Hier sind Kräfte am Werk, die wir nicht verstehen … Hol dir die Erlaubnis von Fürst Rodwyn, du darfst dich auf keinen Fall heimlich davonschleichen.“

„Aber …“ Hilflos streckte Jarid die Hände nach seinen Freunden aus. So nah und trotzdem unerreichbar fern!

„Sei stark, Jarid“, meldete Krys sich zu Wort. Er war der Älteste von den Gefährten. „Geh zu meiner Frau. Larysa bewahrt etwas auf, von dem niemand außer uns beiden weiß. Du musst sie darum bitten und es mit dir nehmen.“

„Niemand wird mir Glauben schenken!“, schrie Jarid verzweifelt. „Ich bin nur ein Knappe. Sie werden nicht erlauben, dass ich ohne eine halbe Hundertschaft auf die Reise durch aufständische Gebiete gehe, aus Angst, meine Wildzauberei könnte beschädigt werden.“

„Finde einen Weg, Jarid. Versuche es immer mit ehrlicher Offenheit“, sagte Rujo beschwörend. „Erst wenn das nicht gelingt, greife auf Lügen und Schauspiel zurück.“

„Ich glaube an dich“, flüsterte Tamas. Sein Liebster war nicht mehr zu sehen, die aufwallenden Nebel begannen ihn zu verschlucken. „Wenn du nicht mehr weiter weißt, vertraue auf diese eine Tatsache: Ich liebe dich.“

Dunkelheit legte sich auf Jarid nieder.

„Ich will euch suchen!“, rief er. „Aber ihr müsst mir sagen, wo ihr seid! Wer bedroht euch? Werdet ihr irgendwo gefangen gehalten?“

Nichts als Schweigen war die Antwort, die er befürchtet hatte. Mehr gab es nicht für ihn. Schweigen und Einsamkeit. Sie hatten ihn verlassen. Und wenn er versagte, würden sie niemals mehr zurückkehren …

 

 

 

Kapitel 3

 

Schweißgebadet fuhr Jarid in die Höhe, was ihm einen vorwurfsvollen Blick von Dari einbrachte. Das Pony hatte sich neben ihm niedergelassen und friedlich geschlummert, den Kopf noch erhoben. Sicherlich wäre es bald in den Tiefschlaf übergegangen, hätte er es nicht gestört. Zumindest aber blieb es entspannt liegen und schloss die Augen erneut, auch wenn sein Schweif unruhig zuckte.

Jarid hingegen kämpfte um Atem ringend gegen die Müdigkeit und den Aufruhr der Gefühle, die ihm von seinem Traum nachhingen. Es war beunruhigend, wie unglaublich echt er das Geschehen empfunden hatte, obwohl ihm bereits von Beginn an klar gewesen war, dass es sich nicht um die Realität handelte. Die Angst, seine Freunde, seinen Liebsten zu verlieren, die Einsamkeit … War das überhaupt ein Traum gewesen? Träume waren normalerweise bunte Szenarien, in denen sich Erlebnisse und Erinnerungen wild vermischten, ohne unbedingt Sinn zu ergeben. Nie hatte da jemand eine Warnung ausgesprochen oder verlangt, dass er etwas Konkretes tun müsse. Wenn es aber kein Traum gewesen war, kein nächtliches Hirngespinst, was dann? Wie sollte er reagieren? Wie sollte er Fürst Rodwyn überzeugen? Ratlos wie selten in seinem Leben hockte er im Stroh, streichelte mechanisch mit der einen Hand die maunzende Katze in seinem Schoß, mit der anderen über Daris Rücken, und starrte ins Nichts. Schließlich verabschiedete er sich von dem Pony, schubste die Katze zu Boden und schlich sich aus dem Stall. Es dämmerte bereits, an Schlaf war nicht mehr zu denken. Ohne erwischt zu werden schaffte Jarid es zurück in seinen Schlafraum, wo er viel Zeit damit verbrachte, sich zu waschen, zu rasieren und umzuziehen. Zum einen beruhigte es seine überreizten Nerven, zum zweiten vertrieb es die Zeit, bis er es wagen konnte, irgendjemanden zu belästigen und zum dritten war es klug, bei einer Audienz bei seinem Fürsten ordentlich und wach auszusehen. Allein um sein Haar zu bändigen, benötigte er eine volle Stunde … wobei er danach immer noch nicht wusste, was er sagen sollte, als er endlich fertig war.

 

 

„Jarid! Ich hoffe, es ist alles in Ordnung?“, fragte Fürst Rodwyn, als dessen Leibdiener die Erlaubnis erhielt, Jarid zu ihm zu führen. Der Fürst saß mit Herrn Dameron beim Frühstück im kleinen Speisesaal. Hier nahm er für gewöhnlich seine Mahlzeiten im Familienkreis mit Frau und Kindern ein. Die Fürstin war zurzeit mit ihrer Schwiegermutter in der nahe gelegenen Stadt Talug unterwegs.

„Herr, ich …“ Jarid kämpfte gegen den dringenden Zwang, mit den Händen zu ringen. Oder an seinem Hemdsaum zu zerren. Auch weinend auf die Knie zu fallen wäre eine Option. Stattdessen tat er, was Meister Malin ihm für solche Situationen eingeschärft hatte: Die Hände hinter dem Rücken verschränken, einen stabilen, breitbeinigen Stand einnehmen und mit hoch erhobenem Haupt sprechen. Er war kein Marút, dennoch musste er sich wie einer benehmen. Er durfte sich keine Schwäche leisten, gleichgültig, wie schwach er sich gerade fühlte.

„Herr, es tut mir sehr leid, dass ich Euch und Euren Gast stören muss. Ich benötige den weisen Rat meines Herrschers.“

„Welch ein Glück, dass dein weiser Herrscher heute den klügsten Ratgeber des Landes an seiner Seite hat.“ Fürst Rodwyn wies schmunzelnd zu Herrn Dameron, der ebenfalls milde lächelte. Die beiden nahmen ihn nicht ernst, dessen war sich Jarid schmerzlich bewusst. Wahrscheinlich würden sie ihn noch für einen dummen kleinen Jungen halten, wenn er bereits zum Großvater geworden war. Na und? Wenn es ihnen Freude bereitete …

Er nutzte den leichten Ärger, der in ihm aufflammte, um Mut zu fassen und begann von seinem Traum zu erzählen. Danach würden sie wenigstens einen echten Grund haben, sich über ihn zu amüsieren!

 

 

Dameron beobachtete nicht bloß Jarids Mimik eingehend, während dieser von einem seltsamen, visionsartigen Traum erzählte, sondern auch seine Körperhaltung, Rodwyns Reaktionen und seine eigenen Empfindungen. Man konnte, wenn man sehr feinsinnig war und wusste, worauf man zu achten hatte, Jarids Stimmungen exakt nachfühlen. Sie spiegelten sich in den eigenen Gemütsregungen wider. Das war zum einen faszinierend, zum anderen besorgniserregend. Noch immer war es unmöglich abzuschätzen, welche Reichweite Jarids Magie tatsächlich besaß.

Als der Junge geendet hatte und in unbehagliches Schweigen verfiel, wollte Rodwyn etwas erwidern. Dameron beeilte sich, ihm zuvorzukommen:

„Du sagtest, Krys hätte dir einen konkreten Auftrag in diesem Traum erteilt, mein Junge?“

„Ja, Herr. Ich soll seine Frau um etwas bitten, was Krys ihr zur Aufbewahrung gegeben hat.“

Rodwyn räusperte sich, er hatte wohl erkannt, in welche Richtung Damerons Absicht zielte.

„Sei so gut, Jarid und suche einen der Diener. Krys‘ Frau Larysa soll sich umgehend bei uns einfinden.“ Kaum, dass Jarid sich mit einem Nicken umgedreht hatte, wandte Rodwyn ihm den Kopf zu. Sie hatten vielleicht eine Minute, um ungestört miteinander flüstern zu können.

„Was denkt Ihr? Ist es ein Hirngespinst?“, fragte Rodwyn.

„Es gibt keine Belege darüber, dass Visionen jemals etwas anderes als das waren“, erwiderte Dameron. „Das Problem liegt darin, dass Jarid vom Gegenteil überzeugt ist. Wenn er wirklich fest daran glaubt, seine Freunde befinden sich in unmittelbarer Lebensgefahr, dann könnte seine Magie dafür sorgen, dass dies tatsächlich geschieht.“

„Was soll ich Eurer Meinung nach tun? Ich kann keine Marútgruppe auf eine Rettungsmission schicken, wenn nicht einmal feststeht, dass jemand gerettet werden muss.“

„Lasst Jarid allein gehen“, flüsterte Dameron hastig.

„Um ihn am Ende zu verlieren? Er kann nicht kämpfen!“

In diesem Moment kehrte Jarid zurück.

„Hast du schon etwas gegessen?“, erkundigte sich Rodwyn fürsorglich, der wohl weder Stille noch Peinlichkeit aufkommen lassen wollte.

„Nein, Herr.“ Jarid senkte den Kopf, seine zahllosen schmalen Zöpfe glitten ihm über die Schultern.

„Dann komm und nimm dir ein Stück von diesem herrlichen Brot. Dameron und ich sind bereits fertig mit dem Frühstück. Nun komm, trau dich! Die Dienerschaft glaubt immer, der Essenstisch eines Fürsten müsse sich unter köstlichen Speisen verbiegen, mit wenigstens drei Mal so viel, wie ein Mensch essen kann. Was übrig bleibt, teilen sich die Küchengehilfen und Dienstboten untereinander. Auch wenn du dir ein Stück Honigbrot genehmigst, wird dennoch genug für alle bleiben.“

Scheu trat Jarid näher, offenkundig unfähig, eine direkte und klare Aufforderung zu verweigern. Zu lange hatte er von Abfällen leben müssen, weil sein Bruder Ceon und dessen Frau Jarid kein gutes Essen vergönnt hatten. Bescheiden nahm er sich ein winziges Stück Brot mit Honigfüllung und aß es im Stehen, so sittsam wie möglich. Als er gerade fertig war, klopfte es und ein Diener trat ein, mit Larysa im Schlepptau.

Krys‘ Gemahlin arbeitete als Hilfsköchin in Rodwyns Diensten. Sie war eine rundliche kleine Frau, mit dicken, hellbraunen Zöpfen, einem freundlichen Gesicht und dem sanften Wesen eines Rehs. Sie blickte von Jarid zu Rodwyn. Trauer legte sich über ihren Blick und ihre Züge nahmen einen Ausdruck tapferer Gefasstheit an. Betroffen wurde Dameron klar, was in ihr vorging: Sie war die Frau eines Kriegers, der auf eine gefährliche Mission ausgeschickt worden war. Was sollte sie also denken, wenn sie zu ihrem Fürsten gerufen wurde, zumal wenn der Knappe ihres Mannes sich mit im Raum befand? Selbstverständlich ging sie vom Schlimmsten aus.

„Ich wünsche dir einen guten Morgen, Larysa“, begann Rodwyn und lächelte gewinnend. Gut, er hatte ihre Stimmung also ebenfalls wahrgenommen und versuchte, ihre Ängste zu beschwichtigen.

„Ich danke Euch, Herr“, erwiderte sie leise. „Habt Ihr Nachricht von … Gibt es …?“

„Nein, meine Liebe. Ich habe nicht nach dir schicken lassen, um dir schreckliche Botschaften zu überbringen, sondern um dir eine seltsame Frage zu stellen.“ Rodwyn gab Dameron mit einer Geste das Zeichen, dass er das Gespräch übernehmen sollte. In Larysas Gesicht kämpften Erleichterung und Verwirrung um die Vorherrschaft. Dameron hoffte sehr, niemals zugegen sein zu müssen, wenn man ihr eines Tages vielleicht doch von Krys‘ Tod berichten sollte.

„Larysa, wir haben erfahren, dass dein Mann dir etwas zur Aufbewahrung anvertraut haben soll. Entspricht das der Wahrheit?“

Ihre Reaktion fiel sehr viel heftiger aus, als Dameron sich ausgemalt hatte: Erst erbleichte sie, dann taumelte sie ein, zwei Schritte zurück, die Hand erschrocken zum Mund erhoben.

„Wie … wie könnt Ihr … warum wisst Ihr davon?“, hauchte sie. Jarid erwischte sie derweil am Arm und hielt sie, bevor sie stürzen konnte.

„Es ist also wahr?“, bohrte Rodwyn verblüfft nach.

„Ja, mein Herr! Krys hat mir von dem Tag unserer Verlobung an stets etwas zurückgelassen, wenn er in die Ferne ziehen musste und oft wochen- oder auch monatelang nicht zurückgekehrt ist. Es soll mir Mut geben, hat er gesagt, und im Notfall meiner Verteidigung dienen.“ Mit verlegenem Blick band sie ihre Kochschürze ab, die sie über ihrem schlichten hellbraunen Kleid trug. An ihrem Gürtel befand sich eine auffallend schön verzierte Dolchscheide, mit rotem Samt abgesetzt und sichtlich wertvoll. Larysas Hände bebten, als sie die schwere Waffe zog, die nicht für Frauen geschaffen worden waren, gleichgültig wie stark sie durch ihre harte Arbeit waren. Dies war ein Marútdolch, mit dem Emblem der Kriegerschule, die Meister Malin leitete. Sie trat vor und legte den wundervoll gearbeiteten Dolch vor ihrem Herrscher auf den Tisch.

„Ich nehme an, es handelt sich um jenen Dolch, der Krys bei seiner Weihe zum vollwertigen Marút verliehen worden war?“, fragte Rodwyn. Er berührte die Waffe nicht, zeigte mit keinem Zucken, was er gerade dachte. Larysa nickte scheu, während Jarid an ihrer Seite eine unruhige Bewegung vollführte. Er selbst würde nie eine solche Waffe erhalten … Vielleicht dachte er aber auch an den Dolch, den Tamas hergegeben hatte. Damals, am Anfang der Reise, die zum Fund des Großsiegels führte, hatte Tamas sehr feindselig auf Jarid reagiert. Das hatte sich erst geändert, als der Junge sein gesamtes Erspartes sowie die Kette seiner verstorbenen Mutter hergeben wollte, um seine eingesperrten Gefährten freizukaufen. Mit dem Dolch hatte Tamas anschließend die Kette wieder ausgelöst, als Dank für sein Leben, das er andernfalls mit Sicherheit verloren hätte.

„Es weiß niemand davon, was Krys für dich tut?“, fragte Rodwyn bedächtig und reichte Larysa die Waffe wieder an. „Verboten sein mag es nicht, doch es ist sehr unüblich, dass ein Marút sich freiwillig von seinem Weihedolch trennt.“

„Niemand weiß es, Herr. Das ist unser Geheimnis, nicht einmal Rujo ahnt davon.“ Das sagte allerdings eine Menge aus. Rujo und Krys waren seit jeher beste Freunde und seit über einem Jahr ein Liebespaar. Es wurde ignoriert, die wenigsten hatten es bislang herausgefunden. Diese Liebe schadete Krys‘ Ehe nicht, die auf Respekt, Freundschaft und tiefer Zuneigung gründete, besiegelt vom Segen zweier gesunder Kinder – zweijährige Zwillingsmädchen, Dameron hatte ihre Namen vergessen. Krys liebte ausschließlich Männer, während Larysa sich nach schwerem Missbrauch in ihrer Jugend vor männlicher Gewalt fürchtete und glücklich war, keine normale Ehe führen zu müssen. Wie genau sie schwanger geworden war, blieb das Geheimnis der beiden … All dies hatte Rodwyn Dameron bereitwillig erzählt.

„Ich weiß, es ist viel verlangt“, sagte Dameron langsam. „Aber würdest du uns diesen Dolch eventuell überlassen? Es ist möglich, dass Krys sich in Gefahr befindet. Jarid, erzähle ihr, auf welche Weise du von ihrem Geheimnis erfahren hast.“

Ein weiteres Mal schilderte Jarid seinen Traum, der nach wie vor bizarr und unglaublich klang. Dennoch zögerte Larysa nicht, ihm die Waffe samt Dolchscheide zu übergeben.

„Kaave möge geben, dass du ihn mir schon bald zurückbringst“, sagte sie.

„Ich bete, dass es Krys selbst sein wird, der sie dir erneut anvertrauen kann“, erwiderte Jarid.

„Ich danke dir“, mischte Rodwyn sich an Larysa gewandt ein. „Du kannst nun an deine Arbeit zurückkehren. Sobald es Neuigkeiten über deinen Mann gibt, werde ich es dich sofort wissen lassen, gleichgültig, ob es gute oder schlechte Nachrichten sein werden. Ich weiß, wie grausam Ungewissheit ist.“

„Mein ergebenster Dank, Herr.“ Sie verneigte sich tief, zeigte nichts von den Ängsten und Gedanken, die sie zweifellos peinigten, und eilte danach hinaus, ohne sich noch einmal umzudrehen.

„Jarid, dich möchte ich bitten, in deinem Schlafgemach zu warten. Ich will Meister Malin als Ratgeber hinzuziehen, was ein Weilchen dauern wird. Sobald entschieden ist, wie wir in dieser Angelegenheit vorgehen wollen, lasse ich dich rufen.“

Der Junge verneigte sich stumm, genauso gefasst und selbstbeherrscht wie Larysa zuvor, und verließ ebenfalls den Saal. Rodwyn beauftragte einen der Diener, Malin herbei zu zitieren. Die Marútschule schloss sich an das Gelände von Burg Hamfried an, von daher würden sie nicht lange auf ihn warten müssen. Die Zeit überbrückten sie mit einer halbherzigen Diskussion über das Thema, wegen dem Dameron sein gemütliches Heim und seine Frau Zelina vorzeitig verlassen hatte: Rodwyn hatte ihn bereits vor Monaten damit beauftragt, alle verfügbaren Informationen über die Großfürsten der alten Zeit zusammenzutragen. Ihre Regierungszeiten, ihre politischen Ziele, Niederlagen und Erfolge, die geführten Kriege, Änderungen in Gesetzen und Landesgrenzen, Stadtgründungen, architektonische Leistungen, wissenschaftliche Errungenschaften während ihrer Herrschaftszeit – einfach alles. Dameron fand es unterstützenswert, sich über diese Epoche der Geschichte Panaos ein Bild zu verschaffen, um aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen und vielleicht auch Anregungen zu gewinnen. Doch er hörte nie auf, seinen Freund zu warnen – der letzte Großfürst wurde bereits vor über tausend Jahren zu Grabe getragen. Seitdem hatte Panao sich grundlegend gewandelt. Die Menschen waren nicht mehr die gleichen, Sprache, Kultur, religiöses Verständnis, Traditionen – sogar die Pflanzen- und Tierwelt hatte sich seither gewandelt. Man konnte vieles nicht mehr auf die heutige Zeit übertragen, was damals wichtig und richtig gewesen war.

Zum Glück zeigte Rodwyn sich für Argumente in dieser Richtung offen. Er war ein guter Herrscher, der das Reich ohne jeden Zweifel zu Frieden und Wohlstand führen konnte. Ein kleiner Verdienst an dieser Tatsache war auch Jarids Wildmagie zuzuschreiben …

Schneller als gedacht klopfte es und Meister Malin trat ein. Dameron wurde nie müde, den greisen Marút zu bewundern. Der beinahe bodenlange graue Zopf war dicht an dicht mit Ehrenringen bestückt, die allein ein gewaltiges Gewicht mit sich bringen mussten. Malin hielt sich oft gebeugt wie ein alter Mann, doch Dameron hatte erlebt, wie schnell seine Reflexe waren und wie chancenlos ein Feind, der ihn leichtsinnig unterschätzte. Niemand kam seiner Erfahrung gleich, nicht umsonst war er der am höchsten angesehenste Marútmeister des Landes.

Rodwyn übernahm es, Jarids Traum zu schildern und zu versichern, dass zumindest ein kleiner Teil davon bereits bestätigt werden konnte. Malin hörte aufmerksam zu und dachte erst eine Weile nach, bevor er sich äußerte:

„Ich ahnte, dass etwas vorgefallen sein muss. Der junge Mann hätte heute Morgen zu mir kommen sollen. Mit einer Traumvision habe ich nicht gerechnet, wirklich erstaunlich empfinde ich sie nicht. Bei Jarid muss man jederzeit auf alles gefasst sein.“

„Ihr haltet es also für eine ernst zu nehmende Angelegenheit?“, hakte Rodwyn sofort nach.

„Gewiss. Andernfalls hättet Ihr mich nicht herbeigerufen und Herr Dameron, der wertgeschätzte Hüter des Wissens über sämtliche Belange der Wildzauberei, hätte Euch beschwichtigt und diesen Traum als Hirngespinst oder die Folge eines überreichlichen Abendessens abgetan.“

Dameron seufzte leise, er fühlte sich ertappt. „Die Sache ist die“, sagte er, „wie ich bereits unserem Fürsten erklärte, besteht die Gefahr, dass Jarid aufgrund des Traumes zur Überzeugung gelangt, seine Freunde könnten sich in tödlicher Gefahr befinden. Seine Magie würde daraufhin möglicherweise genau dieses Ereignis herbeiführen, indem sie Räuber oder Aufständische zu bösen Taten ermutigt und unsere tapferen Marút geschwächt statt wie sonst üblich im höchsten Maße gestärkt werden. Mein Rat lautet, Jarid zu ihnen zu schicken – allein. Kein weiterer Marút kann augenblicklich entbehrt werden, bis die Zeremonie vorbei und damit die Aufständischen aus dem Rennen sind; und sollte sich der Traum als Unsinn erweisen …“

„Woran Ihr keineswegs glaubt, werter Herr Dameron.“ Malin lächelte auf eine Weise, bei der Dameron sich tatsächlich wieder als kleiner Junge fühlte, der von seinem Lehrer gutmütig ermahnt wurde. Ein surreales Erlebnis, für das ein Mann in seinem Alter vermutlich dankbar sein musste.

„Ich muss mir in dieser Sache mehrere Fragen stellen, bevor ich eine Entscheidung treffen kann“, ließ Rodwyn sich vernehmen. „Erstens: Ist die mögliche Gefahr groß genug, um eine Rettungsaktion zu rechtfertigen? Zweitens: Genügt es in diesem Fall, Jarid ohne jede Hilfe loszuschicken? Drittens: Was geschieht, wenn Jarid nicht in der Lage ist, seine Aufgabe zu erfüllen? Und zuletzt: Ist das Leben dieses jungen Mannes nicht zu wertvoll, um es für fünf Marút zu riskieren? Gleichgültig, wie wertgeschätzt diese Krieger auch sein mögen.“

„Die letzte Frage ist leicht zu beantworten, mein Fürst“, erwiderte Malin ohne zu zögern. „Wenn diese Marút sterben sollten, insbesondere Tamas, während Jarid tatenlos auf der Burg festsitzt, wird sich seine kostbare Magie gegen uns alle richten. Er würde Euch dafür hassen, dass Ihr ihm verweigert habt, eine Rettung wenigstens zu versuchen. Die Welt wäre möglicherweise auf viele Jahre, wenn nicht sogar für immer ein grausamer, kalter, schlechter Ort und der Anblick der anderen Marút wäre vollkommen unerträglich für ihn. Wenn Ihr Euch also weiterhin einen Wildzauberer am Hofe wünscht, der sich seines Lebens erfreut und Euch liebt, bewundert und mit Freuden dient, ist die Rettung seiner Freunde unabdingbar.“

„Trotzdem fürchte ich mich davor, ihn gehen zu lassen“, murmelte Rodwyn.

„Ich ahne, was Ihr befürchtet, mein lieber Freund.“ Dameron lächelte beschwichtigend. „Niemand weiß mit Sicherheit, was mit der Segnung durch einen Wildzauberer geschieht, wenn dieser stirbt. Was ich anhand der Überlieferungen vermuten kann ist, dass sie seinen Tod überdauert. Sicher ist es nicht, diese Furcht gibt uns dennoch kein Recht, ihn einzusperren.

---ENDE DER LESEPROBE---