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"Wir müssen endlich reden!" Die Partner-Diade - eine einfache Gesprächshilfe für schwierige Themen Reden Sie genug mit Ihrem Partner, Ihrer Partnerin? Reden Sie genug über die wichtigen Dinge? Reden Sie über Ihre Konflikte? Oder haben Sie das Reden aufgegeben? Haben Sie die schwierigen Themen ausgeklammert? Kennen Sie lähmende Schweigezeiten? In Partnerschaften wird zu viel ferngesehen und zu wenig geredet. So berichten es Paare, das bestätigen Untersuchungen. Wo das Reden misslingt, bricht Schweigen aus. Die Partner ziehen sich zurück. Oder sie streiten sich nur noch. Das Ungesagte steht zwischen ihnen. Aber wie reden? Wie wieder ins Gespräch kommen, ohne dass es noch schlimmer wird? Wie den Partner oder die Partnerin zum Reden bewegen? Der Autor hat ein heißes Eisen der Partnerschaft aufgegriffen und ein innovatives Buch geschrieben. Es eröffnet Paaren Wege aus ihren Rede-Sackgassen. Es gibt ihnen ein einfaches, partner-schaftliches, ohne therapeutische Begleitung anwendbares Redemodell an die Hand, das ihnen helfen kann, wieder ins Gespräch zu kommen, ohne sich dabei zu zerstreiten. Es kann einem Paar gleicherweise dazu dienen, seine Partnerschaft zu vertiefen wie über Themen zu reden, die unterm Teppich rumoren. Seine Botschaft ist: Zieh dich nicht zurück! Finde dich nicht ab mit dem Stillstand in deiner Partnerschaft! Wag es und hauch ihr wieder Leben ein!
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Seitenzahl: 282
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meiner Frau
mit Dank
für lange gemeinsamen Jahre
Der Autor:
Dr. Wolf Ollrog (Jg. 1943), verh., zwei Kinder, ev. Pfarrer. Gemeindepfarrer, Studentenpfarrer, Schulpfarrer, Hochschuldozent. Ausbildungen in Bondingpsychotherapie, Transaktionsanalyse und Systemischem Aufstellen. Arbeit in freier Praxis seit 1980. Schwerpunkte: Workshops für Paare, Bonding-Intensivs, Systemische Aufstellungsworkshops; lebensbegleitende Supervisionsgruppen, Einzel- und Paarberatung.
Veröffentlichungen (u.a.): „Nie gesagte Worte“ in: Deutschland und seine Weltkriege: Schicksale in drei Generationen und ihre Bewältigung (2012); „Aus der Traum. 101 bewährte Vorschläge, wie man seine Partnerschaft vor die Wand fahren kann“ (2013); „Ein Quantum Leben. Woher wir die Kraft zum Leben nehmen“ (2014); „Die drei Säulen der Partnerschaft. Was Partnerschaften stabil, ebenbürtig und glücklich macht“ (2015); „Ich hätte dich gebraucht! Nachkriegsgeschichten“ (2017); „Geklopfte Sprüche. Über die Welt, die Liebe und andere unflätige Dinge“ (2019); „Eine Urlaubsliebe“ (2021).
Wozu reden?
Teil 1: Die Partner-Diade
Rede mit mir! Von der Notwendigkeit miteinander zu reden
Wunde Stellen: Über eingeübte Kommunikationsmuster
Die Du-Aussagen-Falle: Wie geht partnerschaftliches Reden?
Konstruktiv über schwierige Themen reden: Das Diaden-Modell
Teil 2: Die Diaden im einzelnen
Die Diaden-Regeln auf einen Blick
Partner-Diaden zu unterschiedlichen Anlässen
Diaden zum Warmwerden
Diaden zur Klärung der Beziehung (Säule 1)
Diaden zur Identitätsfindung, Eigenständigkeitund Gleichberechtigung der Partner (Säule 2)
Diaden zu den Themen Ausgleich und Austausch inder Partnerschaft (Säule 3)
Neue Diaden zu unterschiedlichen Themen
Liste aller Diaden
„Wir müssen endlich reden!“ – sagt Annkathrin zu ihrem Mann Martin und nimmt ihren Mut zusammen, „Ich halte das Schweigen nicht mehr aus“. „Ach was“, entgegnet der, „das führt sowieso zu nichts. Es endet doch wieder im Streit. Lass uns lieber von was anderem schweigen!“
Der Volksmund behauptet: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Aber in den meisten Fällen ist Schweigen eher Blech. Wird in einer Partnerschaft nicht mehr genug geredet, glänzt gar nichts mehr golden. Vielleicht funktioniert sie noch auf niedrigem Niveau, aber sie strahlt nichts mehr aus, sie entwickelt sich nicht mehr. Die Lebendigkeit geht ihr verloren.
In Partnerschaften, jedenfalls in der industrialisierten Welt, wird zu viel ferngesehen und zu wenig geredet. Das berichten Paare, das bestätigen Untersuchungen. Wo das Reden misslungen ist, bricht Schweigen aus. Fühlen Partner sich nicht gesehen und gehört oder zerstreiten sie sich zu oft, ziehen sie sich zurück. Dann stellen sie, abgesehen von den notwendigen Absprachen, das Reden ein. Denn wovon sie nicht mehr reden können, davon müssen sie schweigen. Aber das Ungesagte steht zwischen ihnen.
Miteinander zu reden kann anstrengend sein. Es fordert den Partnern Mut ab, sich zu zeigen, einen eigenen Standpunkt zu vertreten. Es braucht innere Stabilität, sich mit dem anderen zu reiben. Es benötigt die Bereitschaft, sich gegenseitig zuzuhören, sich anrühren zu lassen von dem, was er oder sie sagt. Miteinander zu reden kostet Zeit und manchmal auch erhebliche Überwindung. Aber es ist, soll eine Partnerschaft gelingen, ohne Alternative.
Miteinander zu reden erfordert vor allem die positive Erwartung, dass etwas dabei herauskommt, dass es sich lohnt, einen neuen Versuch zu wagen. Es braucht die Hoffnung und dann auch die Erfahrung, dass man auch schwierige, strittige, belastete, peinliche oder verdrängte Themen ansprechen kann, die vielleicht schon lange nicht mehr ansprechbar waren, ohne sich auseinanderzureden. Dass sich keiner von beiden einfach durchsetzen will. Dass keiner den anderen zutextet oder ausschweigt. Dass beide miteinander auf Augenhöhe reden und die Redeanteile gleichwertig sind. Und dass keiner wegläuft.
Dieses Buch gibt Paaren, und damit sind sowohl gleich- wie unterschiedlich-geschlechtliche Paare gemeint, denen es schwerfällt, miteinander zu reden, Hilfen an die Hand, die dazu dienen, dass Mund und Ohr sich wieder öffnen. Es entstand aus der Praxis der Arbeit mit Paaren und ist für die Praxis geschrieben.
Die Anregung für das Diaden-Modell habe ich vor vielen Jahren in einem Paar-Workshop aufgeschnappt, an dem ich zusammen mit meiner Frau teilnahm. Damals bekamen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen eine Liste mit Fragen zum Zustand ihrer Partnerschaft vorgelegt, die sie gemeinsam beantworten sollten. Die Art des Fragens und die Form der Fragen waren ungewöhnlich. Sie haben mich angesprochen. Viele Jahre später, als mir der Zettel wieder in die Hände fiel, habe ich die Idee bekommen, das Schema der Fragen zu übernehmen, zu spezifizieren und auf unterschiedliche Partnerthemen anzuwenden. So wurden die einzelnen Diadenfragen-Kataloge geboren. Es ist mir nicht gelungen, nachträglich herauszufinden, welcher Autor oder welche Autorin das Grundschema entwickelt hat.
In Workshops erprobt, merkte ich, dass das Konzept, zu einem Problemthema konkrete Fragen vorzugeben, die auf eine spezielle Weise formuliert waren, Paaren insbesondere bei schwierigen Themen eine Rede-Hilfe bieten kann. Im Lauf der Jahre kamen dann immer neue Themen dazu. Paare fragten nach, ob es nicht vielleicht auch eine Diade zu ihrem speziellen Problem gäbe. Damit wuchs der Pool der Diaden an.
Das Wort „Diade“ ist dem Griechisch-Lateinischen entlehnt und dem Wort „Triade“ nachempfunden. Es heißt übersetzt einfach: Zweiheit, Zweierschaft, Paar. Ich gebrauche es hier in einem spezielleren Sinne und bezeichne damit eine Frageliste für Paargespräche zu unterschiedlichen Themen, die als Redeanstöße dienen. Konkret besteht eine Diade aus einer Anzahl Fragen, die einem Paargespräch zugrunde liegen.
Beim Verfassen der einzelnen Partner-Diaden und beim Schreiben dieses Buches habe ich immer wieder bestimmte Paare vor Augen gehabt, die zu mir in die Workshops oder in die Paarberatung kamen und die sich schwertaten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Ich habe großen Respekt vor allen Paaren, die sich auf den mühevollen Prozess einlassen, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden und so ihre Partnerschaft zu beleben. Ohne sie wäre dieses Buch nicht entstanden. Ihnen allen gilt mein Dank. Selbstverständlich sind alle Namen und Situationen in diesem Buch verfremdet.
Dieses Buch soll der praktischen Anwendung dienen. Es ist ein Produkt der Praxis. Sein Schwergewicht liegt deshalb auf dem zweiten Teil. Der erste Teil dient der Erklärung meines Vorgehens.
Das hier vorgestellte Rede-Modell ist vollkommen einfach und lässt sich ohne lange Einführung direkt anwenden. Anhand eines vorgegebenen Fragenkatalogs kommen die Partner in ein konstruktives Gespräch über komplizierte oder konfliktträchtige Themen.
Wer mehr über den Aufbau der Diaden und die ungewohnte Gestalt der Fragen wissen will, oder wer sich über die fundamentale Bedeutung des Miteinander-Redens informieren will, muss in den ersten Teil zurückgehen. Dort werden die Einzelheiten erläutert.
Man kann aber auch sofort mit den Diaden beginnen. Paare wählen sich jenes Thema aus, das im Moment für sie relevant ist, und können, unter Beachtung der einfachen Ablauf-Regeln, die ich auf einer Doppelseite am Anfang von Teil 2 zusammengestellt habe, sofort mit den Diadenfragen arbeiten. Man braucht dazu lediglich eine vereinbarte, ungestörte Zeit. Das ungewöhnliche Arrangement und die besondere Form der Fragen sorgen dafür, dass ein Thema unterschiedliche Aspekte und Herangehensweisen erfährt, dass sich jeder zu den gleichen Fragen äußern und auf seine Weise antworten kann und dass beide gleichermaßen zu Wort kommen. Deshalb entsteht meist eine positive Atmosphäre des gegenseitigen Redenkönnens und Zuhörens – sofern sich beide an die vorgegebenen Regeln halten.
Im zweiten Teil des Buchs werden dann die einzelnen Diaden aufgeführt. Es handelt sich dabei um Zusammenstellungen von jeweils 6 bis 9 Rede-Anstößen zu verschiedenen Partner- und Lebensthemen. Dass (in den ersten Auflagen) gerade 109 Diaden zusammengekommen sind, ist Zufall. Manche Themen fehlen; andere kommen in ähnlichen Varianten vor. Gelegentlich wiederholen sich Sätze. Es kam mir bei der Formulierung der Sätze weder auf Vollständigkeit noch auf Trennschärfe zwischen den einzelnen Diaden an. Sie entstanden jeweils situativ, für eine konkrete Problemstellung eines Paares. Trotzdem gehe ich davon aus, dass sie in ihrer Gesamtheit die häufigsten Partnerthemen aufgreifen. Da andererseits jede Diade für sich allein steht und einzeln als Gesprächsgrundlage dient, sind gelegentliche Berührungen oder Überschneidungen mit anderen Diaden ohne Belang.
Ich habe die Diaden jeweils mit thematischen Überschriften versehen und in einem Inhaltsverzeichnis am Ende des Buchs aufgelistet. Dort kann man unschwer jene Diaden finden, die das eigene Partner-Thema behandeln oder ihm nahekommen. Inhaltlich habe ich sie nach jenem Schema gegliedert, das ich in meinem Buch „Die drei Säulen der Partnerschaft“1 entfaltet habe. In der ersten Säule geht es um das Bekenntnis zur gegenseitigen Bindung beziehungsweise um die Klärung der Zusammengehörigkeit. Die zweite Säule betrifft die partnerschaftliche Augenhöhe und Eigenständigkeit jedes Partners. Die dritte Säule behandelt den partnerschaftlichen Austausch, also das Sich-Berühren, das Miteinander-Reden und Streiten und das gemeinsame Tun.
Noch zwei Bemerkungen zur Sprache. Ich habe mich bemüht, einfach und allgemeinverständlich zu schreiben. Man muss nicht vom Fach sein, um dieses Buch zu verstehen. Es soll ein Buch sein, das ohne zusätzliche psychologische oder therapeutische Vorkenntnisse direkt angewendet werden kann. Theoretische Erörterungen, Zitate, wissenschaftliche Nachweise, komplizierte Sätze und Gedankengänge sind in der konkreten Partnerauseinandersetzung erfahrungsgemäß eher kontraproduktiv. Die Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur erfolgt deshalb nur implizit. Der Lesbarkeit wegen verzichte ich weitgehend auf Anmerkungen.
Und ein Zweites: Die deutsche Sprache ist männlich dominiert. Wir besitzen keine geschlechtsneutrale Sprache. In einem Partnerbuch ist das nachhaltig spürbar. Wo es ging, habe ich die weibliche und die männliche Perspektive nebeneinandergesetzt; aber an bestimmten Stellen bläht das den Text unerträglich auf und macht ihn schwer lesbar, sodass ich dann wohl oder übel dem üblichen Sprachgebrauch gefolgt bin.
1 Wolf Ollrog, Die drei Säulen der Partnerschaft. Was Partnerschaften sicher, stabil und glücklich macht. Santiago-Verlag, Goch 2015
Reden Sie genug mit ihrem Partner, ihrer Partnerin? Reden Sie genug über die wichtigen Dinge? Tauschen Sie sich zeitnah aus über das, was sie bewegt? Reden Sie, wenn Sie Konflikte haben, offen und ehrlich miteinander? Und hören Sie sich gegenseitig zu? Fühlen Sie sich verstanden? Ist Ihr Austausch ausgewogen, auf Augenhöhe? Finden Sie verträgliche Lösungen?
Wenn Sie diese Fragen rundweg mit „Ja“ beantworten, brauchen Sie dieses Buch nicht. Es kann Ihnen zwar nützen, Ihren Austausch zu verbessern, aber insgesamt gehören Sie zu den eher seltenen und glücklichen Paaren, die miteinander in einem guten Kontakt sind.
Aber vielleicht gehören Sie zu jener Mehrheit von Paaren, die darüber unzufrieden sind, dass sie zu wenig miteinander reden, oder denen es zu oft nicht gelingt, auf eine gute Weise miteinander zu reden; etwa bei bestimmten schwierigen Themen. Vielleicht neigen Sie dazu, gewisse Konflikte ausklammern? Vielleicht geraten Sie beim Reden zu oft in Streit? Oder vielleicht geht die Initiative zum Reden immer nur von einem aus? Vielleicht vermissen Sie den kontinuierlichen Austausch, haben das Gefühl, es bleibe zwischen Ihnen zu viel ungesagt? Vielleicht fühlen Sie sich insgesamt einfach nicht wohl, wie das Reden bei Ihnen abläuft und denken schon lange, Sie müssten etwas ändern? Dann gibt es Grund weiterzulesen.
Wo das Reden nicht mehr funktioniert, das ist eine allgemeine Erfahrung, und sie gilt ganz besonders für die Partnerschaft, da verkriecht sich die Lebensfreude nach und nach im Keller.
Wenn ein Paar aufhört zu reden
Es gibt viele Gründe, wie es dazu kommen kann, dass Paare, die anfangs gar nicht genug miteinander reden konnten, irgendwann in eine trostlose Kontaktausdünnung geraten. Die Anlässe können von außen kommen oder auch in der persönlichen Eigenart des einzelnen liegen. Die Wirkung ist fatal.
Äußere Gründe lassen sich schnell aufzählen: Beruflicher Arbeitsstress, häusliche Pflichten, familiäre Verantwortlichkeiten für Kinder, Eltern, Angehörige, gesellschaftliche Kontaktpflege und Verpflichtungen türmen sich zu einem eng getakteten Tagesplan, den jeder zu erfüllen hat; nicht gerechnet Vorlieben, Engagements und Hobbys und diverse andere Interessen. Zahllose tägliche Aufgaben verknappen die Partner-Zeit und zehren an den Kräften. Aber sich aufeinander einlassen und miteinander reden braucht Zeit. Sich zuhören benötigt Muße. Wer ausgepumpt ist, will lieber seine Ruhe haben, will nach einem anstrengenden Tag die Beine hochlegen und hat keine große Lust auf intensiven Austausch, schon gar nicht auf Konfliktgespräche. Dann stößt die Bitte oder die Aufforderung: „Rede mit mir!“ auf wenig Begeisterung.
Es scheint paradox. Die elektronischen Medien machen Kontakte fast jederzeit und überall möglich. Wir sind dauernd erreichbar. Man kann telefonieren, simsen, mailen, chatten, zoomen oder skypen und sich über die sozialen Medien immer auf dem Laufenden halten. Und zugleich reden sehr viele Paare nicht genug miteinander. Die Technik ersetzt nicht die direkte Begegnung, es fehlt die Auge-zu-Auge-Begegnung, die körperliche Nähe, das Anfassen, das Spüren mit allen Sinnen, die Atmosphäre, die den anderen umgibt.
Wir halten vielleicht schon einmal eine Durststrecke im Austausch miteinander durch; aber damit wir uns wohlfühlen, brauchen wir nicht nur virtuelle Verbindungen und auch nicht nur ab und an mal ein Gespräch, sonntags vielleicht oder im Urlaub, sondern immer wieder, kontinuierlich, jeden Tag. Wir brauchen körperlich erfahrbare Zeichen des Interesses aneinander. So wie essen, trinken und schlafen. Deshalb gibt es kaum ein Paar, das sich nicht eigentlich mehr Austausch miteinander wünscht.
Je mehr darum das Nicht-genug-miteinander-Reden zum Dauerzustand wird, desto mehr entwickelt sich aus einer vorübergehenden Einschränkung eine schwere Belastung der Beziehung. Nichtreden ist wie eine Mangelernährung. Der geringe Kontakt, das fehlende Reden und Zuhören höhlt die Beziehung aus und macht die Partner einsam. Mag sein, sie stürzen sich noch eine Weile in Arbeit, sei es die berufliche oder die familiäre, aber zueinander verlieren sie den Kontakt. Manchmal schleichend und unmerklich, manchmal begleitet von schweren Auseinandersetzungen geraten sie in eine Krise.
Dann wird es hohe Zeit innezuhalten und eine Abwägung zu treffen. Beide werden – und müssen! – sich fragen: Wie soll es mit unserer Beziehung weitergehen? Und konkret: Welchen Stellenwert hat meine Beziehung für mich, wie setze ich die Prioritäten? Welchen Platz nimmt meine Familie in meinem Leben ein? Wie viel sind mir Beruf und Karriere wert? Wie viel meine Hobbys? Und so fort. Wie bringen wir, jeder von uns, unsere Bedürfnisse und Aufgaben in ein für uns passendes Verhältnis?
Da stehen bisweilen brisante Themen ins Haus. Manche Partnerschaft reibt sich an ihnen auf. Unter Umständen bilden sich dabei sehr verhärtete Fronten. Aber das Paar muss, will es nicht in die Trennung driften, zusammen nach Lösungen suchen und dabei manchmal schwierige und grundlegende Entscheidungen treffen. Dazu braucht es wiederum konstruktive Wege der Kommunikation. Eine mangelnde Sprachfähigkeit von Paaren ist dabei meist zugleich Ursache und Folge einer Partnerkrise. Ungelöste Konflikte machen sprechunfähig. Sprachlosigkeit verstärkt umgekehrt die Krise.
Wie kommen wir also ins Reden? Das ist der Knoten, der aufgedröselt werden muss. Guter Wille ist dazu nötig, aber reicht allein nicht aus. Das Problem ist meistens komplizierter.
Die schwierige, aber notwendige Frage nach den Ursachen
Ehe Partner Wege aus der Sprachlosigkeit finden können, müssen sie zunächst verstehen, warum es zu ihrer Rede-Dürre kam. Wenn ein Paar in die Beratung kommt, möchte es meist schnelle Hilfe. Natürlich gibt es genügend Tipps und Ideen, wie man wieder ins Reden kommen kann. Nachhaltige Veränderungen benötigen aber mehr Aufwand. Sie benötigen zunächst die Bereitschaft, genauer hinzusehen. Wie konnte es, ist die Frage, wenn der Austausch zwischen uns doch so wichtig ist und wenn es doch, jedenfalls meist, einmal bessere Zeiten gab zwischen uns, überhaupt dazu kommen, dass wir uns nichts mehr zu sagen haben? Was lief schief? Wo sind wir falsch abgebogen?
Das Schweigen fällt nicht vom Himmel. Es entwickelt sich. Es hat immer eine Geschichte hinter sich, eine Partnergeschichte, aber auch eine individuelle Geschichte, die davor liegt. Wenn zum Beispiel einer nicht viel und der andere permanent redet, hat des in aller Regel einen Hintergrund in der jeweiligen Biographie. Die beginnt natürlich nicht erst mit der Partnerschaft. Wie sich das Reden und Nichtreden in einer Partnerschaft ausformt, ist eine Folgewirkung einerseits aus der persönlichen Vergangenheit, andererseits aus Erfahrungen im Vollzug der Partnerschaft selber. Gute Ratschläge, etwa „Nehmt euch doch mal Zeit füreinander!“ oder „Macht mal Urlaub!“, verpuffen schnell, wenn die Geburtsumstände der Schweigsamkeit nicht verstanden und gewürdigt sind.
Will sich ein Paar auf die Spur kommen, muss es sich also auf einen doppelt schwierigen Weg der Ursachenklärung machen, muss immer zwei Fragestellungen beachten: einerseits, welches Redeverhalten jemand in die Beziehung mitbringt, andererseits welche Formen des verbalen Austausches ein Paar im Laufe des Zusammenlebens selbst entwickelt. Dieses Buch legt zwar den Schwerpunkt auf die zweite Frage, aber es gibt den Paaren auch Hilfen, sich der ersten zu nähern. Darüber wird im nächsten Kapitel mehr zu reden sein.
Schweigezeiten in der Partnerschaft brechen besonders dann aus, wenn die beiden es nicht hinbekommen, einen konkreten Konflikt konstruktiv zu lösen.
So war es bei Iris und Fred2. Fred, 45, Informatiker, beruflich engagiert, oft auf Dienstreisen, ist seit 13 Jahren mit Iris, 42, OP-Schwester in Teilzeit, verheiratet. Sie wollten sich beide. Sie galten, sagen sie, als Traumpaar. Sie haben zwei schulpflichtige Kinder, 12 und 9 Jahre, und schon nach dem ersten, mehr noch nach dem zweiten gab es zunehmende Konflikte. Ihre Sexualität zog sich irgendwie zurück und wurde zur immer selteneren Ausnahme. Iris hat die Doppelbelastung von Familie und Beruf gut gewuppt, aber das dritte Thema: die Partnerschaft, hat sie überfordert, sagt sie. Fred nahm sich anfangs zurück, auch wegen der Kinder, so sagt er, wurde dann ärgerlich und fordernd, zog sich schließlich in Beruf und Karriere zurück. Ein nahezu typischer Ablauf. Irgendwann hat er sich dann auf eine Kollegin eingelassen. Er sagt: aus Trotz. Eigentlich wollte er seine Frau. Es kommt zufällig raus und stürzt die beiden in eine Krise. Es folgen wilde Auseinandersetzungen. Aber beide haben Angst vor der Trennung. „Auch wegen der Kinder“, sagen beide. Er beendet die Affäre, behält aber einen unausgesprochenen Groll auf seine Frau und zieht sich weiter zurück. Sie vergisst die Sache, aber es begleitet sie fortan eine tiefe Verunsicherung. Sie arrangieren sich. Beide sprechen nicht mehr über den Vorfall. Sie verschieben das Problem aus ihrem Blickfeld. Aber sie vergessen es nicht. Seitdem streiten sie sich immer öfter. Manchmal, im Streit, kocht es hoch. Dann wirft sie ihm Untreue vor und er ihr, sie ließe sich nicht auf ihn ein.
Natürlich spüren beide genau: Da wäre etwas zu klären. Wie konnte es dazu kommen? Sie müssten reden. Aber sie tun’s nicht. Denn sie finden keinen Weg zur Verständigung. Zu viel steht auf dem Spiel. Zurück bleibt das Schweigen. Ihr Problem sackt in den Untergrund ihrer Beziehung. Die Aufgabe wäre klar: Wir müssten uns Zeit nehmen, wir müssten und einlassen. Aber ihre Versuche scheitern nicht zuletzt an der Wie-Frage. Wie machen wir das, ohne uns auseinanderzudividieren? Sie brauchten eine Rede- und Streit-Kultur, durch die sie für den anderen wieder erreichbar sind, die sie zusammen- und nicht auseinanderführt. In der nicht einer gewinnt und der andere verliert.
Neben solchen offensichtlichen Verstummungsgründen gibt es in Paaren, die nicht mehr genug reden, auch weniger ersichtliche. Nicht selten breiten sich rededürre Zeiten schleichend und klammheimlich aus. Das Paar merkt es kaum, dass es schon seit ewigen Zeiten nicht mehr ernsthaft miteinander geredet hat. Fragt man die beiden, wie es denn dazu gekommen ist, dann können sie vielleicht gar keine genaue Auskunft darüber geben. Sie merken, dass der Partner oder die Partnerin sich nicht bewegt. Dass sie sich an Kleinigkeiten zerstreiten. Dass ihnen der andere zunehmend fremder wird. Statt ursprünglicher Zuneigung macht sich Resignation breit.
Viele Paare arrangieren sich dann auf niedrigem Niveau. Kinder, Haus, finanzielle Abhängigkeiten, persönliche Ängste vor dem Alleinsein halten sie vielleicht noch beieinander. Sie funktionieren womöglich nach außen hin, etwa bei Familienfesten oder öffentlichem Auftreten. Darüber hinaus geht jeder seine Wege. Aber beide sind unzufrieden und innerlich voller Verbitterung gegen den anderen, den sie nicht mehr erreichen. „Wir haben uns irgendwie auseinandergelebt“, sagen sie dann vielleicht. Nur Gewohnheit oder äußere Umstände halten sie zusammen. Jeder leidet daran für sich allein. Sind die Kinder schließlich groß und aus dem Hause, haben sie vielleicht den Mut sich zu trennen. Die eigentlichen Gründe des Auseinanderlebens bleiben unausgesprochen und unklar.
Manche erklären sich ihre allmähliche Entfremdung damit, dass sie „schon ein altes Paar“ seien. Sie denken, wenn sie mit der Zeit wortkarger würden, handle es sich um einen natürlichen Alterungsprozess der Partnerschaft. So geht es ja sehr vielen Paaren. Man müsse sich damit abfinden. Sie hätten sich längst alles gesagt. Aber wenn sie in sich hineinhorchen, sind sie damit überhaupt nicht glücklich. Sollten sie es dann vielleicht in seltenen Momenten noch einmal erleben, wie schön es ist, wenn sie sich intensiv austauschen, merken sie umso eindrücklicher, was ihnen fehlt.
Welche Gründe auch dazu geführt haben mögen, dass sie nicht mehr miteinander reden, in einem können sich die beiden sicher sein: Hinter ihrem allmählichen Verstummen steckt kein natürlicher Altersprozess. Denn es hört mit dem Älterwerden nicht auf, dass wir nach Nähe, nach Berührung, nach Austausch, nach Reden und Zuhören begierig sind. Sind wir uns auf diese Weise nah, dann sind und bleiben das die schönsten Zeiten des Lebens – keineswegs nur, wenn wir jung sind. Das ist im Alter um keinen Deut anders.
Wenn zwei nur noch wenig oder am Ende gar nicht mehr miteinander reden, können sie vielmehr sicher sein, dass hinter ihrem Verstummen ein ungelöstes Thema klebt, vielleicht ein uraltes aus der Kindheit, vielleicht ein unbearbeitetes Beziehungsproblem; sei es ein im Grunde bewusstes, nur nicht ausgesprochenes, wie bei Fred und Iris, sei es ein verstecktes, verdrängtes, eins, das sie nicht sehen und wahrhaben wollen, etwa eine tiefe Enttäuschung, eine nachhaltige Abwertung, ein unterdrückter Konflikt. Nur – sie schauen nicht hin und meiden die Klärung. Sie gehen sich aus dem Wege. Oft wollen sie Streit vermeiden. Manchmal auch die Anstrengung.
Vielleicht haben sie auch die Vorstellung, dass es eigentlich keine Probleme zwischen ihnen geben dürfte. Sie spielen sich, den Kindern, den Nachbarn vor, es ginge ihnen gut und wahren den Schein. In Wirklichkeit sind sie enttäuscht, verbittert und trotzig. Als Lösung bleibt dann nur, dass sie sich zurückziehen – zum Beispiel in die Arbeit oder in die Kinderbetreuung oder hinter den Sport oder hinter das Hobby oder was es sonst ist.
Die Folgen des Nichtredens
Die Folgen sind unausweichlich: Gelingt es einem Paar nicht, seine heißen Eisen anzufassen, sich auseinander- und zusammenzusetzen um einen gemeinsamen Weg zu finden und einen gerechten Ausgleich herzustellen, sind Rückzug, Seiner-eigenen-Wege-Gehen und Kontaktvermeidung die naheliegende Reaktion. Nicht mehr miteinander zu reden, ist – neben dem körperlichen und sexuellen Rückzug – die häufigste Antwort auf ein nicht gelöstes Partnerproblem. Wir entwickeln sie in der Kindheit. Es ist zugleich Folge von nicht gelösten Konflikten wie auch wiederum selber Ursache für Konflikte in der Partnerschaft.
Denn nicht miteinander zu reden ist seinerseits eine der wirksamsten Waffen im Arsenal der Partner-Auseinandersetzungen. Nur nach außen hin passiert nichts Schlimmes. Nach innen wirkt die Redeverknappung wie schleichendes Gift. So schön Schweigen sein kann, wenn zwei ohne Worte beieinandersitzen und sich verbunden wissen, so deprimierend, so entmutigend und zerstörerisch ist es, wenn es Ausdruck von Sprachlosigkeit, von Angst, von Trotz, von Ärger oder Verbitterung ist.
Das bittere Schweigen ist immer zugleich auch ein Kampfmittel, ein Ausdruck passiver Aggression. Es bedroht die Partnerschaft im Kern. Wer nicht oder nicht mehr mit dem andern redet, kündigt ihm einen zentralen Teil des partnerschaftlichen Austausches auf. Das ist wie ein schrilles Signal. Dann geht es der Partnerschaft an den Kragen. Am Ende steht dann der nüchterne Satz: „Wir haben uns nichts mehr zu sagen...“
Deshalb gilt: Ums Miteinander-Reden kommen die Partner nicht herum. Denn worüber sie nicht mehr miteinander reden oder nicht mehr reden können, das verschwindet keineswegs wirkungslos im Vergessen. Es durchseucht die Beziehung. Nicht-Reden-Können ist wie ein heimlicher Schwelbrand der Unzufriedenheit. Er sammelt sich innerlich an, glimmt im Untergrund und befeuert die Emotionen. Nicht selten kommt es dann zu unkontrollierten Eruptionen.
Welche Ventile ein Paar, das nicht mehr miteinander reden kann, findet, um den aufgestauten Frustrationsdruck loszuwerden, ist unterschiedlich und erfindet variantenreiche Mixturen. Dabei gibt es bestimmte Eskalationsstufen.
Am oberen Ende der Skala steht die wilde Auseinandersetzung. Das ist zwar kräftezehrend, destruktiv und zerstörerisch. Aber solche Paare kommunizieren wenigstens noch miteinander. In solchen Partnerschaften herrscht dauernd eine gereizte, kämpferische, giftige, explosive Atmosphäre. Da wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Dann dreht einer dem andern das Wort im Mund herum. Und wenn der eine versöhnlich wird, zeigt sich der andere verhärtet. Permanent droht die Stimmung umzuschlagen. Die Paare schreien sich an, gehen teilweise auch körperlich aufeinander los und machen sich durch allerlei Gemeinheiten und Verbalattacken das Leben unerträglich und bisweilen zur Hölle.
Andere Paare resignieren, gehen in die innere Emigration und fressen ihre Enttäuschung in sich hinein, werden dick oder krank oder alkoholabhängig. Sie machen das Problem mit sich selbst aus. Sie fühlen sich unfähig etwas zu ändern. und werfen sich selbst ihren partnerschaftlichen Missgriff vor.
Dann gibt es Paare, die sich ihr Problem kleinreden, es überspielen, mit Güte übertünchen, es wegschlafen. Sie wollen es nicht wahrhaben, dass bei ihnen der Segen schief hängt. Sie malen sich selber eine heile Welt vor und stellen sich so auch nach außen dar.
Weiter gibt es welche, die ihre Sprachlosigkeit damit beantworten, dass sie sich ablenken. Diese Reaktion ist sehr verbreitet. Es sind Menschen, die sich in Arbeit stürzen, spät nach Hause kommen, eventuell Karriere machen, oder die ein Haus bauen, von morgens bis abends schuften und dann tot ins Bett fallen, oder die sich mit Haushalt und Kinder-Terminen eindecken, die sich einen Hund anschaffen, mit dem sie dauernd beschäftigt sind, die exzessiv Sport treiben oder ihrem Hobby nachgehen.
Und schließlich gibt es da, am unteren Ende der Skala, Paare, die in den Rückzug gehen, in die Starre. Die meisten Paare steuern bei nicht geklärten Konflikten auf dieses untere Ende zu. Es ist erreicht, wenn Stille eintritt. Dann redet nur noch der Fernseher oder das Handy oder der PC. Die Paare vermeiden jede Gelegenheit, in der sie miteinander reden könnten. Auf dem Wege in die Partnerstille schrumpft die Kommunikation immer mehr auf ein Mindestmaß notwendiger Absprachen zusammen, etwa: „Hast du eingekauft? Denkst du bitte an Tante Lilos Geburtstag? Wo ist das Auto geparkt? Ich komme heute später. Holst du die Kinder ab? Ist noch Bier im Kühlschrank? Ich muss noch mal weg. Wann ist das Essen fertig? Lass mich, ich bin müde.“ Die Skala solcher Redeverkürzungen ist nach unten offen. Im letzten Stadium verstummen beide; zurück bleibt manchmal nur noch ein knappes Kopfnicken oder ein undefiniertes Brummen hinter der Zeitung, das ebenso „Ja“ wie „Nein“ heißen kann und jedenfalls „Lass mich in Ruhe!“ meint.
Was alle diese unterschiedlichen Reaktionen eint, ist, dass sie das Problem nicht angehen, sondern wegschieben. Ihnen fehlt die Möglichkeit zu reden. In jedem Fall ist ihre Beziehung angezählt. Wenn dann einer von beiden dem andern sagt: „Wir müssen endlich reden!“, ist es meistens ein Hilfe- und Alarmruf. Er wird von dem gerufen, der das Schweigen am wenigsten aushalten kann. Bis einer so spricht, ist meist schon viel geschwiegen worden. Nicht selten steht die Partnerschaft dann bereits auf der Kippe.
Warum wir unbedingt miteinander reden müssen
Denn miteinander zu reden ist ein Grundbedürfnis des Menschen, es ist die für Menschen typische Kultur-Errungenschaft, neben dem Sich-Berühren die wichtigste Form der Beziehungsgestaltung. Wenn man nicht mehr mit uns redet, werden wir krank oder wunderlich. Der Mensch ist von Anfang an und bis zu seinem Ende darauf angewiesen und erpicht, dass man mit ihm Kontakt aufnimmt, mit ihm spricht, ihm zuhört. Das Sprechen lernen wir ganz früh. Es ist eine zentrale Bedingung und ein zentrales Bedürfnis, damit wir uns in eine Gemeinschaft eingliedern können. Wo nicht geredet wird, ist die Beziehung massiv gestört.
Für Paare gilt das ganz besonders. Sind wir der Familie entwachsen, bilden wir mit dem Partner oder der Partnerin eben diese Grundeinheit des dauernden Austausches. Aus diesem Grunde tun wir uns zusammen. Deshalb ist das Maß des verbalen Austausches zwischen uns ein Indikator, ein Gradmesser für den Zustand unserer Beziehung. Anders gesagt: Wenn Paare das Gefühl haben, es ginge mit ihnen nicht weiter, dann ist das Nicht-miteinander-reden-Können fast immer ein typischer Ausdruck des Problems. Das heißt aber auch: Wenn sie – wieder – miteinander reden, tun sie einen wesentlichen Schritt zur Lösung ihrer Partnerprobleme.
Dass Paare ganz allgemein nicht genug miteinander reden, jedenfalls nicht über Wesentliches, haben diverse Untersuchungen, vor allem in den USA, ans Licht gebracht und beschrieben. Angeblich liegt der tägliche, gemeinsame Rede-Austausch über Dinge, die über die Alltagsregelungen hinausgehen, in den industrialisierten Ländern des Westens im Durchschnitt unter 5 Minuten. Das betrifft nicht nur trennungsgefährdete Paare. Auch solche, die äußerlich funktionieren, beklagen, dass ihr Austausch zu knapp ist. In vielen Beziehungen gleicht der Fluss des Miteinander-Redens nur noch einem Tröpfeln; als müssten die beiden Wasser sparen. Grund sind aber die verstopften Partnerschafts-Leitungen. Da hat sich mit der Zeit so viel Schmodder angesetzt, da ist so viel versifft und verkalkt, dass nur noch Rinnsale fließen. Deshalb ist das Nicht-Reden meist die Vorstufe der Trennung.
Was zwischen Menschen und vor allen zwischen zweien, die sich sehr nahestehen, nicht mehr redefähig ist, was sie vor sich selbst oder voreinander geheimhalten, das bindet ihre Energie. Nicht mehr gesprächsfähige Themen werden erst zu Fettnäpfchen, dann zu Tabus. Der Austausch von Erfahrungen und inneren Einstellungen, das gemeinsame Gestalten des Lebensraums geht verloren. Vermeidet es ein Paar zu lange, den Teppich zu lüften, unter dem es bestimmte Themen versteckt hält, verliert es den Kontakt zueinander und versperrt sich die Zukunfts-Wege.
Das Nicht-Gesagte, auch wenn es einer verdrängt oder wenn es beide wegschieben und übergehen, lebt aber weiter. Es treibt heimlich sein Unwesen. In Konfliktsituationen explodiert es an die Oberfläche. Wie bei Fred und Iris. Aber auch in normalen Zeiten hat es eine unterschwellige Wirkung. Das Unausgesprochene ruft Phantasien und Spekulationen hervor: Ich stelle mir vor, was du denkst, was du willst, was du ablehnst und so fort, und ich nehme meine Mutmaßungen als Fakt. Jenseits der Stille, der scheinbar friedlichen Normalität, herrscht Aufruhr.
Mehr noch. Statt miteinander zu sprechen, entwickeln die Partner destruktive Kommunikationsformen. Reden sie nicht mehr miteinander, können sie ihre Gefühle und Bedürfnisse nur noch ausagieren. Das heißt schlicht: Jeder stellt den anderen vor vollendete Tatsachen. Das macht das Zusammenleben zur Konfrontation.
Paare, die auf dieser Stufe der Partnerschaft angekommen sind, haben sich nichts Angenehmes mehr zu sagen. Die gegenseitige Enttäuschung und Verbitterung macht sie zu heruntergeregelten Schweigern. Was sie fühlen, was sie bewegt, was sie befürchten, was sie sich wünschen und hoffen, macht nur noch jeder für sich allein aus.
Jeder hat seine eigene Geschichte, aber er oder sie erlebt sie sehr einsam. Lassen sich die beiden nicht mehr an sich heran, stehen sie sich kompromisslos gegenüber: „So bin ich eben!“ Die Maxime lautet dann nur noch: „Ich mache, was ich will, und wie du damit zurechtkommst, ist deine Sache!“ Das macht ihre Partnerschaft zur Machtveranstaltung. Anders formuliert heißt das: „Beziehung nur zu meinen Bedingungen!“
Diese rabiate Methode der Partnerschaftsgestaltung ist durchaus verbreitet. Der redebedürftige Partner steht dann vor einer fatalen, angstmachenden Wahl. Entweder er beugt sich dem Verhalten des anderen und leidet resigniert vor sich hin. Oder er hält dagegen, macht es vielleicht ebenso und konfrontiert den Partner ebenfalls mit einsamen Entscheidungen. Dann ist die Trennung nur eine Frage der Zeit, nur noch eine Frage von Angst vor sozialer Abhängigkeit, finanziellem Nachteil oder persönlicher Alternativlosigkeit. Dann ist nur die Frage: Welches Leiden ist größer? Bleiben oder trennen?
Reden als Weg aus der Krise
Vielleicht denken Sie: Gott sei Dank, so weit ist es bei uns noch nicht gekommen! Vielleicht sehen Sie noch genügend Licht am Partner-Horizont. Dann können Sie Ihre Chance nutzen. Dieses Buch hat kein anderes Ziel als Ihnen und überhaupt allen Paaren, gleich, in welcher Phase der Eskalation sie sich befinden, Mut zu machen, nicht aufzugeben, an ihrer Beziehung zu arbeiten, indem sie neu miteinander zu reden lernen.
Aber gleichzeitig möchte es die Augen öffnen. Die Erosion der Partnerschaft ist meist ein schleichender Prozess. Und sich zu trennen scheint vielen, wenn sie sich stummgeredet haben, als der leichtere Weg. Die allgemeine Bereitschaft, die Beziehung aufzugeben, wenn es Schwierigkeiten gibt, ist, wie jeder weiß, kontinuierlich gewachsen. Wer sich heute trennt, erleidet nicht nur emotional, sondern auch materiell in aller Regel zwar immer noch einschneidende Verluste. Aber er fällt, materiell gesehen, nicht mehr ins Bodenlose. Persönlich erleben es manche zwar als große Entlastung und Befreiung, wenn sie sich aus einer destruktiven Beziehung lösen. Andererseits ist die Wirkung einer Scheidung emotional und psychisch oft sehr folgenreich. Die meisten Menschen empfinden die Auflösung einer auf Dauer angelegten Bindung als tiefe Verletzung, als Niederlage und oft auch als Schuld, etwa den Kindern gegenüber, denen sie das Zuhause nahmen.
Keine Frage: Beziehungen, in denen sich die Partner nichts mehr zu sagen haben, können das Zusammenleben für alle, auch für die Kinder, zur Qual werden lassen. Natürlich gibt es Situationen, in denen eine Trennung überfällig und erlösend ist. Wenn bestimmte Bedingungen, etwa dass sich beide zur Partnerschaft bekennen, nicht mehr gelten, hat sie keine Zukunft mehr. Aber nicht jede Krise landet in der Trennung. Im Gegenteil. Für manche ist sie auch ein Segen. Sie weckt Paare aus dem Schlaf. Sie nötigt sie zur Revision ihrer Beziehung. Schaffen es zwei, sich wieder zu verständigen, finden sie Wege, zu verstehen, wie sie in ihre Misere schlittern konnten und wo sie die Weichen falsch gestellt haben, dann kann die Krise auch zur Ressource werden.
Fast alle Partnerschaften geraten irgendwann einmal in heftige Konflikte und Krisen. Was sie dazu an Strategien, damit umzugehen, von ihren Eltern lernten, ist oft nicht hilfreich, um es freundlich zu beschreiben. In den Schulen lernen sie es auch nicht. Lebenskunde ist kein Schulfach. Eine lebendige Partnerschaft braucht aber kontinuierlich gelingende Formen des Miteinander-Redens und Zuhörens. Die Partner brauchen eine „Rede-Kultur“, eine Kultur des intensiven, andauernden geistigen Austausches, die ihre Beziehung lebendig macht. Und sie brauchen eine „Streit-Kultur“ für die Bewältigung ihrer Differenzen. Sie brauchen einen Umgang miteinander, der es für beide gleichermaßen attraktiv macht, miteinander zu sprechen.
Davon handelt dieses Buch. Es geht also ums gelingende Reden als einem zentralen Moment des Miteinanderlebens. Es geht nicht ums Sich-Behaupten. Nicht ums Kämpfen und Siegen. Es geht um den Austausch. Es geht, genauer gesagt, um eine qualifizierte Form des Redens, nämlich um einen wechselseitigen Austausch auf Augenhöhe, um ein gleichberechtigtes Aushandeln und um Kompromissfähigkeit. Alle Redeformen und Wege aus dem Dilemma führen darüber, dass das Paar lernt – oder wieder lernt – miteinander partnerschaftlich umzugehen. Kein Paar kommt darum herum – und zwar nicht nur in Problem-Situationen. Denn miteinander zu reden, sich zu äußern, sich zu zeigen, ist keineswegs bloß eine Notfallmaßnahme, sozusagen ein Wiederbelebungsinstrument für Engpass-Situationen in Partnerschaften. Es ist die schlechthin lebensnotwendige, für eine befriedigende Partnerschaft unerlässliche Weise, den Alltag miteinander zu gestalten.