Woanderswoher - René Sommer - E-Book

Woanderswoher E-Book

René Sommer

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Beschreibung

Woanderswoher ist ein popkulturelles Kernstück all der Ausgefallenheiten, die von alltäglichen Wunschfantasien über kühne Metaphern, zufällige Begegnungen und märchenhafte Realitäten durch unsere Träume und modernen Mythen schweben. Was dem Autor René Sommer mit dem Protagonisten Johann Sebastian Huch hier gelungen ist, trägt die Klänge eines kuriosen Eigenmythos mit sich, dessen Echo in virtuosen gemeinsamen Interaktionen und die Spiegelung in einer eigens geschaffenen Wirklichkeit. Woanderswoher ist ein Roman über virtuelle Realitäten im Leben und damit über das Leben selbst. Ein skurriles, bizarres, feinsinnig-realistisches Stück ungeschliffener, rezeptiver Poesie mitten in sich ständig verändernden Landschaften und unter Figuren, die man so nur in Filmszenarien finden kann, oder in der eigenen, persönlichen Geschichte. René Sommer, ein zeitgenössischer Autor aus dem schweizerischen Jura, kreiert eine absurde und gleichzeitig völlig banale Welt, deren Wechselspiel zwischen Kunst und Pläsier erstaunt.

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Zuletzt erschienen (edition jeu-littéraire):

Das Popcorn und die Vögel. Kurzgeschichten. ISBN: 978- 3-7448-6475-6

Inhalt

Die Uhr steht still

Die Ente schnappt das Frisbee

Briefkasten gesucht

Was kann man auf dem Liegestuhl lernen

Die Weste aus Ziegenfell

Gratis

Im Ei

Schmetterlinge steigen in den Himmel

Der Bumerang entschwindet

Die Welt wäre ohne Bär sehr traurig

Wozu braucht es diesen Stuhl

Zurück in die Gegenwart

Die Handleserin

Der Wal ist eine Umkleidekabine

Das schwarze Brett

Der Wal schwebt fort

Der Ballon steigt auf

Die Coladose

Das Wunderkind

Am Gehen

Erstes Kapitel

Die Uhr steht still

Auf einem Wiesenberg, kurz bevor der Wald beginnt, liegt Johann Sebastian Huch entspannt im Gras, riecht Thymian, Lavendel, hört, wie der Wind die Halme bewegt, zischelt, flüstert. Ein Rosenkäfer summt.

Ein Mädchen balanciert einen königsblauen Eimer auf dem Kopf. Er ist bis zum Rand mit Wasser gefüllt.

- Hallo, ich bin Olivia Brilli.

Sie ist ganz in Rebschwarz gekleidet.

- Zünde eine Kerze an.

Huch streift mit dem Zeigefinger über den Nasenflügel.

- Ich habe keine Kerze.

Ein Mann bewegt sich in großen Sprüngen zu ihnen auf den Berg.

- Hallo, ich bin Lennox Berry.

Er ist groß, hager mit Brille und langer Nase.

- Ich habe eine Kerze gekauft. Wenn du willst, kannst du sie haben.

Huch steht auf.

- Dankeschön.

Berry gibt ihm die Kerze.

- Nun musst du dich entscheiden, ob du sie anzündest oder nicht.

Huch beginnt zu lächeln.

- Nicht unbedingt. Wenn die Kerze plötzlich verschwindet, muss ich gar nichts tun.

Berry klopft ihm auf die Schulter.

- Diese Kerze löst sich doch nicht einfach in Nichts auf. Du hast ein bisschen zu viel Fantasie.

Er wieselt den Berg hinunter.

- Es hat mich sehr gefreut, dir ein Geschenk zu machen.

Olivia hebt fragend ihre Brauen.

- Hast du Zündhölzer?

Huch lässt die Schultern hängen.

- Ich habe keine.

Eine Frau streift durchs Gestrüpp, kommt hervor, zeigt sich.

- Hallo, ich bin Lenya Dina.

Sie trägt ein Matrosenkleid.

- Entschuldigt mich bitte. Ich will nicht stören, aber darf ich euch eine Schachtel Zündhölzer schenken?

Olivia lenkt ihre Augen auf Huch.

- Du hast seine Gedanken gelesen.

Lenya reicht ihm die Schachtel.

- Hoffentlich bin ich nicht im falschen Moment gekommen.

Ich wollte nur nett sein. Übrigens, wenn du die Schachtel umdrehst, auf der Unterseite steht meine Telefonnummer.

Das ist nur so gesagt und hat nichts zu bedeuten.

Huch dreht die Schachtel.

- Hast du noch eine Schachtel in einer anderen Farbe?

Das Lächeln schwindet aus ihrem Gesicht.

- Und mit einer anderen Nummer?

Er winkelt den Arm an.

- Das ist für mich nicht einfach zu entscheiden. Hauptsache, die Schachtel enthält Zündhölzer.

Lenya verschwindet im Gebüsch.

- Mehr Wünsche, mehr Schachteln.

Eine Eidechse huscht über den Weg, der zu einer Kapelle ansteigt. Sie ist rot bemalt, steht offen und am Rand einer geteerten Landstraße.

Olivia tritt ein. Vorn auf dem Altar schimmert ein messingfarbener Kerzenständer im Licht, das schräg durchs Fenster einfällt.

- Ich finde die Kapelle so schön, dass ich hier den Eimer abstelle und dir zuschaue, wie du die Kerze anzündest.

Huch deutet auf den Altar.

- Mir gefällt vor allem der Kerzenständer.

Olivia stellt den Eimer auf den Plattenboden.

- Du bist lustig. Hättest du die brennende Kerze sonst getragen, bis sie abgebrannt ist?

Er betrachtet den Kerzenständer.

- Sicher nicht! Ich hätte jemanden gefragt, ob er sie tragen möchte.

Ein Mann kommt in die Kapelle.

- Hallo, ich bin Theodor Meerbach.

Er hat lange Füße.

- Ich trage die Kerze gern.

Olivia senkt die großen Augen.

- Was hast du für eine Schuhgröße?

Meerbach nimmt Huch die Kerze aus der Hand.

- Größe 96.

Er schaut Huch an.

- Wenn du die Kerze anzündest und mir nachläufst, hast du jede Menge Spaß.

Huch entfacht ein Streichholz, führt die Flamme an den Docht.

- Gibst du mir auch noch einen Rabatt auf den Spaß?

Meerbach hält die Kerze mit beiden Händen, schreitet durch die Seitenwand der Kapelle, als würde sie aus Nebel bestehen.

- Du bekommst bestimmt die Chance auf einen Rabatt.

Olivia nimmt den Eimer auf, gibt Huch einen Schubs.

- Geh einfach hinterher.

Huch verharrt eher zurückhaltend oder ängstlich.

- Ich kann nicht durch die Wand gehen.

Sie stellt sich den Eimer auf den Kopf und ist mit 2, 3 Schritten bei der Wand und durch.

- Ich hoffe, dass du mir schnell folgst.

Huch streckt die Hand aus. Zu seiner Verwunderung dringt sie durch Wand, ohne dass er den geringsten Widerstand verspürt.

Er gibt sich einen Ruck, geht durch die Wand und gerät auf eine weite Weide, wo Olivia und Meerbach auf ihn warten. Wolkenschatten ziehen über das endlose Grasland, wechselhaft, flüchtig, unbeständig.

- Ich habe mich lang in der Gegend umgeschaut, aber da bin ich noch nie gewesen.

Er reibt sich die Augen.

- Ich vermisse nur einen Bach.

Olivia nimmt den Eimer vom Kopf, kippt ihn. Ein Bach entspringt, schimmert durch fluoreszierende Blüten.

- Drück mir den Daumen, dass er nie aufhört zu fließen.

Meerbach setzt einen Fuß vor den andern.

- Hast du kein Vertrauen in deinen Eimer?

Olivia lässt ihn stehen, läuft dem Bach entlang.

- Doch.

Sie horcht.

- Der Gesang der Vögel ist wunderbar.

Dann hört sie eine Flöte.

- Wer spielt diese wunderbare Melodie?

Sie geht dem Klang nach, gibt Meerbach und Huch einen Wink.

- Kommt mit. Das ist Tanzmusik.

Sie gelangen zu einer Bühne, die aus rohen Brettern und Balken gezimmert ist. Schafe poltern darauf, tanzen auf den Hinterhufen einen fröhlichen Reigen zur Flöte.

Die Flötenspielerin hält inne.

- Hallo, ich bin Leila Bang.

Sie hat knallrot geschminkte Lippen.

- Leider seid ihr 3 Leute und nicht einfach ein Paar. Oder macht es euch nichts aus, zu dritt zu tanzen?

Huch beobachtet die Schafe aufmerksam.

- Ich schaue gern zu.

Meerbach führt Olivia auf die Bühne.

- Das trifft sich ausgezeichnet.

Sie mischen sich unter die Schafe, blicken Leila gespannt an.

Meerbach lächelt von Ohr zu Ohr.

- Ich muss unbedingt gleich loslegen können.

Leila senkt den Blick.

- Du kannst mich nicht drängen. Ich habe schon die längste Zeit Flöte gespielt, möchte aber einen Teigkranz flechten. Das würde ich jetzt sehr genießen.

Ein Mann biegt schnaufend um die Ecke der Bühne.

- Hallo, ich bin Levin Doug.

Er trägt einen Helm und einen Overall.

- Gib mir die Flöte. Ich spiele für dich.

Leila überreicht ihm die Flöte.

- Dankeschön. Du kommst genau zur rechten Zeit.

Er führt die Flöte an den Mund.

- Das ist mein Traum. Ich wollte schon immer, dass die Leute zu meinem Spiel tanzen. Aber ich hatte keine Flöte und keine Bühne.

Meerbach beugt sich übers Geländer.

- Was willst du jetzt? Spielen oder plaudern?

Doug begrüßt ihn kernig mit Handschlag.

- Spielen, das ist keine Frage.

Sofort bläst er in die Flöte. Eine quirlige Melodie ertönt.

Die Schafe, Olivia und Meerbach tanzen. Das fröhliche Stampfen auf den Holzbrettern vermengt sich mit dem hellen Klang der Flöte.

Huch steht gespannt neben Leila.

- Was ist ein Teigkranz?

Leila zieht die Augenbrauen hoch.

- Das weißt du nicht?

Sie beugt sich vor.

- Zuerst brauche ich Wasser.

Eine Frau eilt in kleinen Trippelschritten auf sie zu.

- Hallo, ich bin Emmi Katz.

Sie hat lilafarbenes Haar und einen bananengelben Eimer.

- Niemand bringt dir schneller Wasser.

Sie füllt den Eimer an einem von Rosen umsäumten Trog.

- Darf ich sonst noch etwas für dich holen?

Leila zählt auf.

- Für den Teig benötige ich eine Schüssel und eine Kelle, Mehl, Butter, Zucker, Salz, Eier, Hefe und Milch.

Emmi läuft zu einem Laden mit pfirsichroter Brettertheke. Vor der Tür klappern Blechgirlanden im Wind.

Ein Mann sitzt auf einem Mäuerchen.

- Hallo, ich bin Noel Pasch.

Er hat ein Glasauge und trägt auffällige lilafarbene Plastikhandschuhe.

- Soll ich meinen Ofen richtig einheizen lassen?

Sie pellt seine rechte Hand aus dem Plastikhandschuh. Sie ist aus Glas.

- Kannst du damit denn arbeiten?

Pasch lacht verlegen.

- Ich selber doch nicht. Aber jemand könnte mir helfen.

Er geht zu einem rund gemauerten Holzofen, der sich wie ein riesiger Schildkrötenpanzer vor einem Bambuswald aus dem Gras erhebt.

Eine Frau tritt aus dem Bambus.

- Hallo, ich bin Mariella Schmal.

Sie hat den Körper einer Libelle, ein Bündel Reisig unter dem Arm.

- Ich mache euch gern ein Feuer im Ofen, heiß genug, dass ihr backen könnt.

Sie öffnet den Ofen, schiebt das Bündel hinein, läuft zu einer Holzbeige, holt Scheite, schichtet sie geschickt um das Bündel an.

- Schaut selber! Ist es genug Holz? Es reut mich nicht.

Leila blickt in den Ofen.

- Zünd es an. Das gibt Glut genug.

Mariella entfacht das Bündel mit einem Streichholz. Das Reisig knackt. Die Flammen züngeln. Die Scheiter fangen Feuer.

Leila kneift die Augen im Licht blinzelnd zusammen.

- Die Zutaten sind bestellt. Der Ofen ist eingeheizt. Werfen wir ein Auge in die Gymnastikhalle.

Pasch nimmt sein Glasauge aus der Augenhöhle.

- Ich werfe es gleich in die Halle. Ist das gut?

Leila fasst seine Hand.

- Nein, behalt das Auge. Das habe ich doch nicht wörtlich gemeint.

Sie führt Huch an einem Bauzaun und der Abluftanlage vorbei in die Gymnastikhalle. 3 lange Tische stehen in einer Reihe.

Auf dem ersten liegt ein Mann neben einer Teigschüssel.

- Hallo, ich bin Bennet Bohnenkamp.

Er trägt einen samtschwarzen kurzen Morgenmantel und Pantoffeln.

- Ich möchte meine Seele nicht verkaufen.

Leila lässt den Arm über die ausgestellte Hüfte fallen.

- Das verlangt auch niemand von dir.

Bohnenkamp atmet tief ein.

- Dankeschön für das Verständnis.

Sie fragt mit leicht besorgtem Lächeln im Gesicht.

- Was machst du?

Er kreuzt die Arme über der Brust.

- Meine Übung heißt „Der Teig in der Schüssel“. Ich liege also flach, reglos, bin überhaupt noch nicht aufgegangen.

Was wollt ihr von mir?

Leila öffnet die Lippen.

- Wir möchten dir nur in die Augen schauen.

Bohnenkamp atmet schneller.

- Ihr geht ein bisschen weit. Ich meine: Ich liege ja auch nur so blöd da, weil ich mich auf die Übung konzentriere.

Sie kräuselt die Oberlippe.

- Mach dir keine Sorgen. Es war ein Scherz.

Sie weist auf Huch.

- Er hat mich gefragt, was ein Teigkranz ist. Ich hielt es für eine gute Idee, ihm mal zu zeigen, was ein Teig ist.

Bohnenkamp sieht Huch erstaunt an.

- Möchtest du mit mir über den Teig reden?

Huch lässt die großen Hände hängen.

- Nein, das ist nicht nötig. Du zeigst uns ausgezeichnet, wie ein Teig so daliegt.

Bohnenkamp lächelt verschmitzt.

- Wenn du willst, besorge ich dir einen Morgenmantel und Pantoffeln. Dann kannst du die Übung auch machen.

Huch legt die Hände tatenlos übereinander.

- Das wünsche ich nicht.

Leila zuckt etwas ratlos die Schulter.

- Dein Morgenmantel ist etwas kurz.

Bohnenkamp wedelt mit dem Finger.

- Er ist in der Wäsche eingegangen.

Sie meint mit einem entschuldigenden Achselzucken.

- Es ist dein Mantel.

Dann schaut sie Huch an, deutet mit dem Finger zum nächsten Tisch.

- Das könnte dich interessieren.

Auf der langen Tischplatte liegt eine Frau neben einer Teigschüssel. Rund wie ein Ballon ragt der Teig über den Rand der Schüssel.

- Hallo, ich bin Marga Sternfleck.

Auf ihrem Kopf und ihrer Brust sitzen Vögel.

- Wollt ihr wissen, wie meine Übung heißt?

Leila schärft den Blick.

- Ja sicher.

Marga schiebt sich ein Kissen unter den Rockteil ihres Kleids. Sie stopft es bis zum Bauch hinauf, so dass sie wie eine schwangere Frau aussieht. Die Vögel schlagen nur leicht mit den Flügeln, fliegen jedoch nicht weg.

- Das ist die Übung „Der Teig ist aufgegangen“.

Huch stützt die Hände in die Hüfte.

- Und was machen die Vögel?

Marga öffnet die Lippen zu einem strahlenden Lächeln.

- Sie haben sich auf mich gesetzt und ruhen sich aus.

Leila führt Huch zum dritten Tisch, auf welchem der Teig ausgewallt liegt.

Ein Mann steht daneben.

- Hallo, ich bin Lias Lindholm.

Er hat eine Baskenmütze, Hochwasserhosen und einen abgetragenen Mantel.

- Ich halbiere den Teig.

Er nimmt ein Messer, schneidet den Teig entzwei.

- Das ist ein bewundernswerter Teig.

Dann formt er 2 Stränge und flicht einen Kranz.

Leila klatscht in die Hände.

- Du bist ein zuverlässiger Bäcker.

Lindholm schielt mit halbem Auge nach draußen.

- Ist der Ofen bereit?

Sie geht mit Huch aus der Halle.

- Wir schauen nach und geben dir Bescheid.

Bei der Abluftanlage bleibt sie stehen.

- Willst du selber einen Teig machen?

Huch schüttelt leicht den Kopf.

- Nein, das möchte ich nicht. Ich wollte nur wissen, was ein Teigkranz ist.

Sie beschattet die Augen mit den Händen.

- Nun, es war ein Vorschlag.

Huch wandert unter den Bäumen weiter.

Eine Frau sieht einen Vogel, zückt das Fernglas.

- Hallo, ich bin Luana Verdi.

Sie trägt einen rosa Pullover.

- Du gehst durch ein Vogelschutzgebiet.

Huch schaut sich um.

- Welchen Vogel muss ich schützen?

Sie lässt die Hände sinken.

- Stell keine unnötigen Scherzfragen. Lies einfach alle Sätze, die auf den Schildern stehen und verhalte dich entsprechend.

Huch blickt ihr freundlich ins Gesicht.

- Ist gut. Wenn ich ein Schild finde, denke ich an dich.

Luana unterdrückt einen Seufzer.

- Du musst nicht an mich denken, sondern an die Vögel.

Er schaut sich neugierig um, betrachtet das Licht, das auf die Föhren fällt. Alle Geräusche nimmt er aufmerksam wahr, das Knistern und Rascheln unter seinen Füßen, einen entfernten Specht, der gegen einen Stamm hämmert, die Blätter, die der Wind bewegt und zum Wispern bringt. Hinter einem abgebrochenen Baum gelangt er zu einem alten Haus. Eine Katze sitzt am offenen Fenster. Die Sonnenstrahlen brechen durch die Gardine, werfen die Raster der Fenstersprossen auf das dünne Baumwolllgespinst. Die Katze zeichnet einen Schatten an die Wand. Ein hölzernes Pflanzengitter verwittert an der Fassade. Über dem Stapel eines Magazins ist ein Zeitungsverkäufer eingeschlafen.

Als Huch ruhig an ihm vorbeigeht, schlägt er die Augen auf.

- Hallo, ich bin Jason Horn.

Er trägt eine knarrende Lederjacke.

- Geh nicht einfach vorbei.

Huch verschränkt die Arme hinter dem Rücken.

- Es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe.

Horn steht auf.

- Nein, du kommst genau zur rechten Zeit, um meinen Elefanten zu betrachten.

Huch legt den Kopf leicht zur Seite.

- Wo ist er?

Horn führt ihn auf einen Platz hinter dem Haus, wo ein riesiger Elefant aus geflochtenem Draht steht. Glitzergirlanden funkeln, versprühen Lichtfunken in die Wipfel der Bäume.

- Ich kann mir ein Leben ohne Elefanten nicht vorstellen.

Der Elefant bewegt die Augen, hebt den Rüssel und rollt auf Rädern zu Huch.

- Hallo, ich bin Adam.

Die Arme auf den Rücken gelegt, beugt sich Huch vor.

- Das ist ein künstlicher Elefant.

Horn schnippt andeutungsweise mit den Fingern.

- Er kann dir alles beibringen, was du wissen musst.

Huch legt ein Lächeln auf die Lippen.

- Und was muss ich wissen?

Horn hält den Kopf schief.

- Es steht dir frei. Du kannst selber wählen.

Huch verschränkt die Arme.

- Ich weiß nicht viel, aber ich denke über alles nach.

Horn kann sich vor Lachen kaum halten.

- Adam ist nicht fürs Nachdenken gemacht.

Er klopft Huch auf die Schulter und läuft weg.

Eine Frau betritt den Platz.

- Hallo, ich bin Alisa Lima.

Sie trägt einen Hut mit einem Schleier.

- Ich möchte wissen, wie das Leben in den 80er Jahren war.

Der Elefant rollt zu ihr, deutet mit dem Rüssel zu einem Felsbrocken.

- Beim Fels ist eine Zeitkapsel aus den 80er Jahren vergraben.

Alisa stößt lautes, irres Gekicher aus.

- Ich liebe die 80er Jahre!

Sie läuft zum Felsbrocken.

- Wo ist eine Schaufel?

Der Elefant weist mit dem Rüssel auf einen Mann, der hinter dem Felsbrocken hervorkommt.

- Sie wird dir schon gebracht.

Der Mann geht barfuß, trägt kurze Hosen, ein ärmelloses Hemd und eine Schaufel.

- Hallo, ich bin Emilio Ratsch.

Er fragt höflich.

- Wie fühlt ihr euch ohne Schaufel?

Alisa rümpft die Nase.

- Ich werde von dir angezogen.

Ratsch stützt sich auf die Schaufel.

- Warum?

Alisa streckt und reckt sich.

- Weil du eine Schaufel hast und mir die Zeitkapsel ausgräbst.

Sie geht geradewegs auf den Felsbrocken zu.

- Hier soll sie sein.

Der Elefant sticht mit dem Rüssel in die Luft.

- Du bist zum rechten Ort gelaufen.

Ratsch bittet Alisa ein bisschen zurückzutreten.

- Geh nur ein paar Schritte zurück. Ich möchte dir nicht den Boden unter den Füßen weg graben.

Alisa deutet eine federnde Lockerungsübung an.

- Du bist so rücksichtsvoll.

Ratsch beginnt zu schaufeln, stößt auf einen urnenartigen Kupferbehälter.

- Ich bin überrascht. Ich hätte gedacht, ich müsste ein viel größeres Loch ausheben.

Er bückt sich, zieht die Zeitkapsel aus der Erde.

- Vielleicht ist Schmuck darin.

Alisa schraubt den Deckel ab.

- Was erwartest du?

Ratsch lacht neckend.

- Zum Beispiel Ohrringe.

Sie nimmt einen Rubik-Würfel aus der Kapsel.

- Was! Das Ding stammt aus den 80er Jahren! Was kann man mit dem Würfel überhaupt anstellen?

Ratsch legt die Schaufel ab.

- Ah, das ist sehr einfach. Verdrehe alle Steine und lass mich dann machen.

Alisa dreht am Rubikwürfel, bis alle Farbflächen bunt durcheinander gemustert sind. Dann gibt sie Ratsch den Würfel.

- Das würde ich gern sehen. Vielleicht verrätst du mir auch den Trick.

Er dreht die Steine im Uhrzeigersinn, gegen den Uhrzeigersinn.

- Ich weiß auch nicht, wie es geht, aber ich bin neugierig.

Fassungslos schüttelt er den Kopf.

- Das kriege ich nicht mehr hin.

Sie nimmt ihm den Würfel aus der Hand.

- Es kann doch nicht so schwierig sein.

Sie verschiebt die Steine in verschiedene Richtungen, schaut plötzlich auf, blickt Huch an.

- Nicht einmal ich habe es geschafft. Willst du es versuchen?

Er schüttelt den Kopf.

- Lieber nicht. Vielleicht findet ihr einen Würfelspezialisten, der die Steine für euch in Ordnung bringt.

Ratsch erobert den Würfel zurück.

- Ich bin selber ein Spezialist. Der Trick ist, dass man Stunde um Stunde dranbleibt und ja keine Ferien macht, bis man die Lösung hat.

Huch verschränkt die Arme.

- Hast du aber auch genug Zeit, um dich zu entspannen? Alisa tänzelt nervös.

- Der Würfel ist zum Entspannen.

Huch flaniert am Felsbrocken vorbei, spaziert weiter, bis er in den Wald gerät, wo es in den Bäumen zirpt und zwitschert.

Im Farn vor einem Felsenlabyrinth schaut eine Frau auf die Zeiger einer alten Standuhr.

- Hallo, ich bin Carolin Kai.

Sie trägt ein schulterfreies Brautkleid.

- Die Uhr steht still.

Huch hält den Kopf vorgestreckt.

- Möchtest du wissen, wie spät es ist?

Carolin schließt die Augen.

- Nein, das ist egal. Ich möchte, dass du die Uhr wieder zum Laufen bringst.

Er lehnt sich auf sein linkes Bein.

- Ist sie denn beschädigt?

Carolin drückt ihm einen Schlüssel in die Hand.

- Nein, sie läuft einwandfrei. Du musst nur die Tür zu den Gewichten öffnen.

Huch spielt mit Schlüssel.

- Dann läuft sie schon?

Sie kichert glockenhell.

- Nein. Dann musst du die Gewichte ganz hochziehen und dem Pendel einen leichten Stoß versetzen.

Er lehnt sich an die Standuhr.

- Es kommt immer noch etwas dazu. Das ist eine ganze Menge von einzelnen Handlungen.

Ein Mann schiebt sich aus dem Labyrinth.

- Hallo, ich bin Mark Grünzweig.

Er trägt eine Schuluniform.

- Wann läuft die Uhr wieder?

Carolin deutet auf den Schlüssel in Huchs Hand.

- Sobald er sie aufgezogen hat.

Grünzweig reibt die Hände.

- Vielleicht kann ich das machen.

Ihr Gesicht flimmert.

- Ich möchte nicht, dass ihr euch um den Job streitet.

Huch reicht Grünzweig den Schlüssel.

- Mach dir keine Sorgen. Ich dränge mich nie vor.

Zweites Kapitel

Die Ente schnappt das Frisbee

Grünzweig schiebt den Schlüssel ins Schloss.

- Dankeschön! Wie kannst du dem Zauber dieser Uhr widerstehen?

Huch legt die Arme auf den Rücken.

- Ich schaue gern zu.

Carolin streckt ihre Finger nach Grünzweig aus.

- Gib mir einen Kuss.

Er lupft skeptisch die Augenbrauen.

- Soll ich nicht zuerst die Uhr aufziehen?

Sie räkelt sich wie eine Raubkatze.

- Das hat Zeit.

Grünzweig schnuppert genießerisch an ihrem Haar.

- Deine Haare verbergen dein Gesicht.

Sie neigt den Kopf leicht gegen die linke hochgezogene Schulter.

- Dann streif es zurück.

Er streicht mit beiden Händen ihr Haar zurück, küsst sie.

- Ich kümmere mich jetzt um die Uhr.

Carolin senkt den Blick.

- Zuerst pflanzen wir einen Pflaumenbaum.

Grünzweig wischt sich mit dem Ärmel übers Gesicht.

- Und was wird aus der Uhr?

Sie quittiert die Frage mit einem breiten kurzen Lächeln.

- Lass sie stehen.

Dann führt sie ihn durch ein Tor in einen Garten. Er ist eingefasst mit rohen, silbrig glänzenden Holzlatten. Sie schaut über die Schulter zu Huch zurück.

- Hast du auch schon einen Baum gepflanzt?

Er legt die Hand über die Schläfe.

- Nein.

Carolin winkt ihm.

- Das ist ein Garten, wo wir Pflaumenbäume pflanzen. Willst du ihn sehen?

Grünzweig tritt durch das Tor.

- Ja gerne. Den Garten sehe ich, aber wo sind die Bäume?

Sie streift weiße Handschuhe über.

- Hör mir gut zu. Ich sagte, wo wir sie pflanzen. Stünden da bereits schon Pflaumenbäume, Stamm an Stamm, müssten wir einen anderen Garten suchen.

Er hebt das Kinn.

- Das leuchtet mir ein.

Eine Frau sieht Huch neben der Standuhr stehen.

- Hallo, ich bin Diana Spicke.

Sie trägt eine Hasenohrenmütze, Schaufel, Gießkanne und einen jungen Pflaumenbaum.

- Hilfst du beim Pflanzen?

Er blinzelt.

- Nein, ich schau nur zu.

Diana gibt ihm einen Schubs.

- Von so weit weg? Komm doch mit in den Garten. Du musst ganz nah dran sein, wenn ein Baum gepflanzt wird.

Er folgt ihr in den Garten.

- Ist das eine alte Schaufel?

Sie hält sie hoch.

- Sehr alt. Wie hast du das gemerkt?

Huch schiebt die linke Hand in die rechte.

- Ich habe ein Auge für Antiquitäten.

Diana hält ihm die Schaufel hin.

- Super! Willst du sie tragen?

Grünzweig schaltet sich ins Gespräch ein.

- Das ist gar nicht nötig. Die Schaufel wird gebraucht, und zwar von mir.

Diana reicht ihm die Schaufel.

- Du bist wohl ein Draufgänger oder so etwas in der Art?

Er beginnt sofort mit Graben.

- Ich bin froh, wenn ich etwas machen kann.

Grünzweig hebt ein knietiefes Loch aus.

- Ich lerne gern Bäume pflanzen.

Diana gibt ihm den jungen Pflaumenbaum.

- Dankeschön für deine Hilfe.

Er stellt den Baum ins Loch, breitet die Wurzeln aus.

- Jetzt reicht mir die Spitze des Baums kaum bis zur Schulter. Aber in ein paar Jahren kann ich die Leiter anstellen und Pflaumen pflücken.

Carolin stützt den leicht geneigten Kopf nachdenklich in die Hand.

- Willst du nicht langsam die Wurzeln decken?

Rasch schaufelt er mit beiden Händen Erde ins Loch.

- Doch, doch, das ist genau das, was ich schon lang tun wollte.

Diana überlässt ihm die Gießkanne.

- Du hast keinen Grund zu hetzen.

Sie wendet sich zum Gehen.

- Ausgiebig einschwemmen, rate ich dir.

Grünzweig drückt die Erde fest.

- Willst du schon gehen?

Diana kneift die Augen zusammen und schaut Huch an.

- Vielleicht gibt es hier in der Nähe noch andere Gärten, in denen man etwas pflanzen kann. Wir wollen nicht länger stören.

Grünzweig nimmt die Gießkanne.

- Ihr stört überhaupt nicht.

Carolin schnalzt mit der Zunge.

- Aber sie wollen uns allein lassen. Das Einschwemmen erfordert nämlich die ganze Konzentration.

Diana und Huch verlassen den Garten.

Ihr Blick schweift in die Ferne.

- In der letzten Nacht hörte ich eine Stimme im Traum. Sie rief: Häng deine Hasenohrenmütze auf, bevor die Ohren knittern.

Sie hüpft die Felsen hinab zu einem Brunnen.

- So ein Traum hat wohl nicht allzu viel zu bedeuten.

Huch folgt ihr vorsichtig.

- Es gibt keinen Grund, ihn für unbedeutend zu halten.

Der Brunnen plätschert. Eine Gießkanne steht am Rand des Troges. Als Diana sie füllen will, fällt die Hasenohrenmütze in den Brunnen.

- Was soll ich jetzt machen?

Ein Mann steigt die Felsen hinunter, kommt zu ihnen.

- Hallo, ich bin Richard Uhle.

Er hat kurzes dunkles Haar, eine Wäscheleine und Klammern.

- Vielleicht sollte ich deine Mütze aufhängen?

Sie fischt die Mütze aus dem Brunnentrog, wringt sie aus.

- Ja, sie muss vollständig trocknen. Ohne meine Mütze kann ich gar nichts machen.

Uhle nimmt ihr die Mütze ab, hängt sie an die Leine.

- Was hast du vor?

Sie wirft den Kopf zurück und lacht.

- Wir wollen etwas pflanzen.

Er senkt den Kopf und kreuzt die Arme vor der Brust.

- Habt ihr noch keinen Plan?

Diana fasst sich an den Kopf.

- Wozu braucht es einen Plan? Wir brauchen einen Baum und eine Schaufel. Die Gießkanne haben wir schon.

Uhle verzieht sein Gesicht zu einem herben Lächeln.

- Trotzdem ist es nicht verkehrt, einen genauen Plan zu haben.

Eine Frau schiebt einen Handwagen mit Liegestühlen auf den Platz neben den Brunnen.

- Hallo, ich bin Vivienne Fanny.

Sie trägt Jeans, ein Totenkopf-T-Shirt und ein pflaumenviolettes Biker-Kopftuch.

- Ich bringe euch Liegestühle zum Meditieren.

Uhle reckt die Finger wie Antennen empor.

- Einen Plan zu zeichnen ist einfach. Hast du etwas Papier und einen Bleistift?

Vivienne klappt den ersten Liegestuhl auf.

- Du weißt noch gar nicht, was du zeichnen willst. Leg dich hin und meditiere.

Diana legt sich auf den Liegestuhl.

- Darf ich?

Vivienne hebt den zweiten Liegestuhl vom Wagen.

- Du musst gar nicht fragen. Es hat genug Liegestühle für alle.

Uhle drückt sein Rückgrat durch.

- Ich hätte eher ein Gartenbuch gekauft. Auf die Meditation wäre ich nicht gekommen.

Diana schließt die Augen.

- Ich sehe einen wunderbaren Garten.

Uhle macht es sich auf dem anderen Liegestuhl bequem.

- Hoffentlich sehe ich auch etwas, wenn ich die Augen schließe. Meistens schlafe ich sehr schnell ein, träume was und erinnere mich später nicht mehr daran.

Vivienne stellt einen Liegestuhl für Huch auf.

- Erlaube mir, dir einen Stuhl anzubieten.

Huch faltet die Hände vor der Brust.

- Er macht einen starken Eindruck.

Sie stopft die Hände in die Hosentaschen.

- Das ist doch egal, was für einen Eindruck der Stuhl macht.

Hauptsache, er ist bequem. Leg dich drauf und stell dir deinen Garten vor.

Huch bleibt stehen.

- Es genügt doch, wenn sich andere Menschen einen Garten vorstellen. Dann kann ich ihn betrachten, ohne dass ich meditieren muss.

Vivienne atmet ein oder 2 Mal tief durch.

- Ich verstehe, du möchtest lieber einfach relaxen. Dazu eignet sich der Stuhl hervorragend.

Ein Mann eilt über den Platz, wirft sich auf den Liegestuhl.

- Hallo, ich bin Nikolas Good.

Er trägt eine grasgrüne Mütze und hat ein Buch dabei.

- Ich bin sehr gestresst, kann mich jedoch nicht allein entspannen.

Good gibt ihr das Buch.

- Kannst du mir aus dem Buch vorlesen? Das hilft.

Vivienne blättert.

- Wovon handelt das Buch?

Er schließt die Augen.

- Von der Blume und der Biene.

Eine Frau tritt auf den Platz.

- Hallo, ich bin Rebecca Zink.

Sie trägt ein Blumenkostüm.

- Vorlesen ist nicht nötig. Ich spiele die Blume.

Good reißt die Augen auf.

- Jetzt fühle ich mich gut. Es fehlt nur noch die Biene.

Ein Mann schwirrt über den Platz.

- Hallo, ich bin Frederik Baccara.

Er steckt in einem gelbschwarzen Bienenkostüm, summt um Rebecca herum.

- Ich danke dir für deine Einladung.

Sie hält ihn auf Armeslänge von sich ab.

- Ich habe dich gar nicht eingeladen. Was willst du?

Baccara schielt auf seinen Einkaufszettel.

- Blütenstaub hätte ich gern und Nektar.

Sie öffnet das Kostüm.

- Möchtest du nicht lieber Erdbeeren?

Er spreizt die Finger ab wie kleine Flügelchen.

- Nein, die stehen nicht auf meiner Liste.

Good springt aus dem Liegestuhl auf.

- Das Spiel gefällt mir.

Er läuft zu Vivienne.

- Ich schaffe es nicht ohne deine Hilfe.

Sie bewegt sich marionettenhaft.

- Ganz in der Nähe hat es einen Kostümverleih. Da finden wir schnell etwas Passendes für uns.

Sie geht zu Huch, windet sich geschmeidig um seinen Körper.

- Du bist auch dabei. Ich lade dich ein. Ohne dich möchte ich nirgends hingehen.

Er streckt und räkelt sich.

- Das gefällt mir nicht.

Vivienne verfällt mit zurückgelegtem Kopf in ein schalkhaftes Lachen.

- Das Spiel kann viel Spaß machen. Es liegt an dir.

Huch kreist schnell wie ein Tänzer um die eigene Achse.

- Geht schon einmal vor. Ich überlege es mir noch.

Sie schlägt entzückt die Hand vor den Mund.

- Ich wusste es. Ich freue mich. Denk ja nicht zu viel.

Sie verabschiedet sich mit einem stummen Händedruck, rennt mit Good den Hang hinunter.

Huch blickt ihnen einen Weile nach, lässt den Blick über Diana und Uhle wandern, die auf dem Liegestuhl liegen. Dann steigt er den Felsenweg hinauf. Vor der Höhenkuppe hört der Wald auf. Wachholderbüsche und der verkarstete Fels sind dunkelbraun, als hätte jemand das Land mit Kaffeepulver bepudert.

Vor einer Erdhöhle erwartet ihn eine Frau.

- Hallo, ich bin Lene Scheinecker.

Sie hat ein Kostüm an und die Haare hochgebunden.

- Leider kann ich dir keinen Kaffee anbieten. Die Kaffeemaschine ist kaputt.

Huch reckt den Hals.

- Das tut mir sehr leid, dass die Maschine kaputt ist. Im Moment brauche ich zwar keinen Kaffee, aber ich finde es trotzdem sehr schade.

Lene klopft ihm auf die Schulter.

- Verlang einen Kaffee, und du wirst ihn bekommen. Du musst mir nur vorher die Maschine flicken.

Er wippt mit den Fußspitzen.

- Von der Technik verstehe ich leider nicht sehr viel.

Sie weist auf das Büchergestell in der Höhle.

- Komm mit mir in die Höhle. Kaffeemaschinenbücher müssten im Regal sein.

In der Höhle hausen Fledermäuse. Sie hangen, in ihren Flügeln eingeschlagen, an der Decke, die Füße festgekrallt, die Köpfe nach unten.

Huch folgt Lene zögernd.

- Werde ich die Fledermäuse nicht aufwecken?

Ihre Augen funkeln.

- Kümmere dich nicht um sie. Wähl einfach zufällig ein Buch aus.

Er tritt vor das Regal.

- Du meinst, ich soll das erste beste Buch herausgreifen und könnte damit lernen, deine Maschine zu flicken?

Lene haut sich vor Lachen auf die Schenkel.

- Ja sicher! Ohne Buch weißt du nichts.

Das grelle Lachen weckt die Fledermäuse. Sie wachen auf, schlagen mit den Flügeln, flattern umher, schwirren aus der Höhle. Sie füllt sich mit Staub von Kaffeepulver.

Huch tappt ins Freie.

- Bei dem Staub kann ich nichts sehen.

Lene stellt sich neben ihn vor den Höhleneingang.

- Das ist doch gut. Wenn du nichts siehst, kannst du ganz einfach den Zufall spielen lassen. Du nimmst blind ein Buch heraus.

Er gräbt die Hände tiefer in die Tasche.

- Das mag sein. Trotzdem warte ich, bis sich der Staub gelegt hat.

Ein Mann kommt des Wegs und bleibt vor der Erdhöhle stehen.

- Hallo, ich bin Piet Bamm.

Er hat funkelnde graue Augen.

- Mich stört der Staub nicht. Soll ich hineingehen und ein Buch holen?

Lene kichert in die Hand.

- Ich hoffe, dass du eines findest.

Bamm dringt in die Höhle.

- Ich bin nicht sicher, ob es mir wirklich gelingt.

Er tappt in die Stauwolke, hustet.

- Ein Buch ist etwas, dass man auch im dicksten Nebel ertasten kann.

Lene richtet einen ernsten, leicht sorgenvollen Blick auf die Höhle.

- Einen Versuch ist es wert.

Voll Kaffeestaub kehrt Bamm zurück. Er bläst den Staub vom Cover eines Buchs.

- Wenn ich kein Buch gefunden hätte, wäre ich in die Bibliothek gelaufen. Ich gebe nie auf.

Er blättert, legt den Finger auf eine Seite.

- Da steht es. Bei der Kaffeemaschine darf man nie vergessen, Wasser einzufüllen.

Lene ringt die Hände.

- Ich habe Wasser eingefüllt.

Bamm durchstöbert das Buch weiter.

- Ich habe ja nicht gesagt, dass du es vergessen hast. Aber das wäre ein Fehler gewesen, der sich leicht beheben lässt.

Eine Frau gesellt sich zu ihnen.

- Hallo, ich bin Ava Rar.

Sie trägt ein erdbeerrotes Halstuch, legt eine silbern blinkende und blitzende Gabel ins Gras.

- Singt ein Lied für mich, und ich lasse die Gabel verschwinden.

Huch blickt ihr direkt ins Gesicht.

- Kannst du zaubern?

Ava kneift die Augen zu.

- Das ist eine dumme Frage.

Er lächelt mit den Augen.

- Entschuldigung, was wäre für dich eine kluge Frage?

Sie beschäftigt beide Hände mit den Haaren.

- Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Eine kluge Frage wäre zum Beispiel: Was kannst du für mich tun?

Bamm starrt ins Gras.

- Die Gabel ist weg.

Ava tippt auf seine Jackentasche.

- Nicht weg. Sie ist in deiner Tasche.

Er fährt mit der Hand in die Tasche, zieht verwundert die silbern blinkende Gabel heraus.

- Wie hast du das gemacht?

Sie blinzelt in die Sonne.

- Ich bin zufrieden, wenn du mich fragst, was ich für dich tun kann.

Lene reibt sich diebisch die Hände.

- Da wüsste ich allerdings was. Bring die Kaffeemaschine zum Laufen.

Sie führt Ava in die Höhle.

- Piet Bamm lernt fleißig. Aber hat den Fehler noch nicht gefunden.

Ava wischt den Staub von der Kaffeemaschine.

- Meine Idee ist: Die Maschine möchte massiert werden.

Lene klemmt die Mundwinkel zu einem Lächeln ein.

- Eine Maschine möchte massiert werden? Das höre ich zum ersten Mal. Und wenn du es mir 1.000 Mal sagen würdest, könnte ich es kaum glauben.

Ava legt die Hände auf die Kaffeemaschine, lässt sie achtsam über die Seiten gleiten, streicht wieder aufwärts darüber. Es sieht aus, als würde sie ein Stück Ton formen.

- Gib mir bitte eine Tasse.

Lene nimmt eine Tasse vom Gestell.

- War das schon alles?

Ava stellt bläst den Staub aus der Tasse, stellt sie auf den Rost der Kaffeemaschine, drückt den Kopf. Zischend sprüht der Kaffee in die Tasse.

- Ja.

Lene kneift unmutig die Augen zusammen.

- Ich glaube, es ist nur ein Zufall.

Bamm stürmt in die Höhle.

- Ich rieche Kaffee. Seid ihr einverstanden, dass ich die erste Tasse kriege?

Lene bietet ihm die Tasse an.

- Du kannst sie haben. Die zweite ist für mich reserviert.

Ava verlässt die Höhle.

- Die Maschine läuft wieder. Willst du auch einen Kaffee?

Huch schnürt die Schuhe.

- Nein, danke. Ich bin sehr froh, dass du die Maschine flicken konntest. Es ist ein schöner Tag. Ich spaziere weiter. Er biegt auf einen kaum erkennbaren Bergpfad ab. Über Geröll, kleinere und größere Blöcke aus Kalkstein führt er steil hinauf zu einem Ziegelbau mit Blechdach, vergitterten Fenstern.

Ein Mann lehnt gegen die offene, verbeulte Metallschiebetür.

- Hallo, ich bin Ilias Papper.

Er trägt eine schäbige Krawatte.

- Schau mal, was in meinem Haus steht.

Er weicht zur Seite, damit Huch bequem ins Haus spähen kann.

- Was siehst du?

Huch wartet, bis sich die Augen ans Halbdunkel gewöhnen.

Er entdeckt einen Konzertflügel.

- Das ist ein Steinway.

Papper reckt seinen Kopf empor.

- Bist du überrascht?

Huch blickt neugierig auf den hochgeklappten Deckel.

- Ja. Ich frage mich, wie du ihn hinaufgeschafft hast.

Papper zieht die Brauen hoch.

- Niemand glaubt mir, was ich erlebt habe. Eines Tages stand der Flügel vor der Tür wie ein falsch parkiertes Auto. Ich dachte mir nichts dabei und rollte ihn ins Haus. Seither habe ich einen Steinway.

Huch blickt unbewegt durch den Türrahmen.

- Die Tür ist weit genug, der Raum ausreichend groß. Viele Menschen hätten Mühe, einen Steinway in ihre Wohnung zu rollen.

Papper runzelt unwirsch die Stirn.

- Das stimmt. Aber jetzt steht er mir im Weg. Ich muss mich entscheiden: Soll ich ihn zertrümmern oder den Berg hinunterlassen?

Huch beugt sich leicht nach vorn.

- Hast du ihn nicht mehr gern?

Papper blickt skeptisch auf den Konzertflügel.

- Früher beneidete ich die Leute, die einen Steinway haben. Heute beneide ich die Glücklichen, die keinen haben.

Wie ein leer gegessener Pralinenkarton gleitet ein Riesenstaubsauger unter dem weiten Himmel aus reinem Preußischblau, landet vor dem Ziegelbau.

Eine Frau rutscht vom Steuersitz.

- Hallo, ich bin Liliana Mehres.

Sie trägt einen samtenen Hausanzug.

- Willst du den Steinway loswerden?

Papper atmet tief durch.

- Ja gern, das würde mich freuen.

Liliana klaubt eine Fernbedienung aus der Tasche ihres Anzugs.

- Dann lass mich machen. Einen Steinway einzusaugen ist nichts Besonderes für meinen Staubsauger.

Sie drückt eine Taste.

- Tretet bitte zur Seite. Sonst werdet ihr auch eingesaugt. Papper und Huch verlassen den Ziegelbau, schauen zu, wie die riesige Düse den Steinway einsaugt. Ein mächtiges Klappern, Klingen und Rauschen tönt, als der Steinway durch den Schlauch in den Bauch des Staubsaugers flutscht.

Liliana schiebt die Fernbedienung in die Tasche zurück.

- Wie heißt du?

Er streicht sich über die Augenbrauen.

- Ilias Papper.

Sie zieht unter dem zweiten Platz hinter dem Steuersitz eine korallenrote Spraydose hervor, sprüht 100 Mal „Ilias“ an die Wand des Ziegelbaus, bis nur noch eine korallenrote Fläche bleibt.

- Komm, küss mich. Gleich fliege ich weg. Wer weiß, wann wir uns wiedersehen.

Er umarmt sie, gibt ihr einen Kuss.

- Es würde mich traurig machen, dich lang nicht zu sehen. Liliana löst sich aus der Umarmung.

- Eigentlich haben wir uns noch nie gesehen.

Papper legt die Hände ineinander.

- Bleib doch bei mir. Jetzt, wo der Steinway weg ist, habe ich wieder viel Platz.

Liliana klatscht mit der Hand auf den zweiten Sitz.

- Flieg doch mit. Oder hast du Angst?

Er hat ein kämpferisches Funkeln in seinen Augen.

- Ich habe keine Angst.

Sie stößt Huch mit dem Ellbogen in die Rippen.

- Und du? Bist du auch dabei?

Huch weicht einen Schritt zurück.

- Ich habe keine Lust zu fliegen.

Liliana schwingt sich auf den Steuersitz.

- Bei mir gibt es einen sehr guten Tee. Was sagst du dazu?

Er neigt den Kopf zur Seite.