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Die VASCO DA GAMA ist auf der anderen Seite des Schwarzen Lochs angekommen. Die Wissenschaftler definieren es um in ein Wurmloch, doch sind sie sich nicht einig. Am Ausgang des Wurmlochs findet sich das Forschungsschiff inmitten eines riesigen Schiffsfriedhof wieder. Die vier Kreuzer des Forschungsschiffes werden ausgesandt, die Umgebung zu erkunden und die Wracks zu untersuchen. Man erhofft sich neue Erkenntnisse aller Art. Die CAVANAGH findet ein funktionsfähiges Beiboot einer nichtmenschlichen Rasse, sondern auch einen Alien. Gemeinsam mit der CHARON gelangen sie zur Wrackstation CHUMAC.
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Seitenzahl: 88
Erik Schreiber
Sternenlicht 23
Wrackstation CHUMAC
Saphir im Stahl
Sternenlicht 23
Erik Schreiber - Wrackstation Chumac
e-book Nr: 269
Erste Auflage 01.07.2023
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Thomas Budach
Lektorat: Anke Brandt
Vertrieb: neobooks
Erik Schreiber
Sternenlicht 23
Wrackstation CHUMAC
Saphir im Stahl
„Wenn man feststellt, dass man durch die Hölle geht, hilft nur eins, weitergehen.“
Menschen passten sich den Umständen an. Sie konnten tagelang an unwirtlichen Orten außerhalb des Normalraums leben und arbeiten. Dabei mussten sie sich der Belastung nicht ganz bewusst sein. Bis zu dem Zeitpunkt, da es endete. Es zerrte an einem, wenn man plötzlich die Erleichterung der Rückkehr in den Normalraum empfand, nur um Sekunden später wie aus einem Traum aufzuwachen und in einem Universum zu landen, in dem die Dinge so standen, wie es die Menschen als natürliche Ordnung kannten.
Der Forschungsleiter war sich sicher, sollten sie noch länger als die bisherigen zwei Wochen Bordzeit in diesem Schlund verbringen, würden Besatzungsmitglieder der VASCO DA GAMA durchdrehen. Bislang waren nur zwei Personen seit dem Eintritt in das Schwarze Loch physisch instabil und mussten behandelt werden. Auch wenn er es sich nicht anmerken ließ, er machte sich Sorgen. In der Hoffnung, dass alle mit Arbeit beschäftigt waren, könnte sich der Zusammenbruch etwas hinauszögern.
Gedankenverloren starrte Prof. Dr. Janosh Starotic auf den Bildschirm. Aber da war nichts zu sehen, wie schon seit Stunden, Tagen, Wochen? Er wusste es nicht. Beim Durchflug durch das Schwarze Loch war vieles verloren gegangen. Das Wichtigste war das Zeitgefühl. Die Uhren liefen, die KI meldete immer die richtige Bordzeit, so oft sie danach gefragt wurde. Und doch – Dr. Starotic hatte das Gefühl, dass etwas Wichtiges fehlte.
Er nippte an seinem „Blutwasser“ von Moolab. Das Getränk war reichlich bitter, erfrischend wie Kaffee und mit den zwei Prozent Alkohol eher anregend. Die rote Farbe, durch einen Fruchtzusatz, sorgte für den Namen.
„Das haben Sie sich gerade ausgedacht, nicht wahr?“ Seine Stellvertreterin, Major Vesna Kobetic, blickte den Expeditionsleiter an. Ihre hochgewachsene Gestalt ragte neben ihm auf und konzentrierte sich ganz auf ihn. Zwangsläufig, denn auf den Bildschirmen war nichts zu sehen. Einzig die Anzeigen des Maschinenraums gaben ihre Werte an und belegten, dass sie sich bewegten. Dabei hätte das Forschungsraumschiff VASCO DA GAMA auch durchaus stillstehen können. Es hätte für die Besatzung keinen Unterschied gemacht. Seit nunmehr drei Jahren war das Schiff unterwegs.
„Nein“, antwortete der Professor und blickte kurz zu ihr auf und in ihre blauen Augen. Beide musterten sich einen kurzen Augenblick. „Dieser Satz stammte so, oder so ähnlich, von einem alten Philosophen und mein Lehrer in der Schule benutzte ihn immer, wenn wir durch eine schwierige Prüfung mussten.“
Major Vesna Kobetic nickte, was der Professor jedoch nicht sehen konnte. Es war ihr auch so klar, was der Expeditionsleiter damit sagen wollte, sofern man die Hölle so definierte wie den Durchgang durch ein Schwarzes Loch, den noch niemand gewagt hat, oder falls doch, nie davon erzählen konnte. Sie starrte auf den Bildschirm, der seit Tagen nur undurchdringliche Schwärze zeigte, weil er abgeschaltet war. Die KI des Forschungsschiffes hatte mehrmals versucht, die Wirklichkeit außerhalb des Raumschiffes darzustellen. Doch leider gab es nichts, das sich darstellen ließ. Die Geschwindigkeit des Forschungsschiffes war bekannt, jedoch nicht die Geschwindigkeit, mit der es sich tatsächlich fortbewegte. Oder auch nicht. Die Geschwindigkeit konnte x-mal größer sein als die Eintrittsgeschwindigkeit. Nur bemerkten die Raumfahrer an Bord des Schiffs nichts davon. Andererseits konnte man auch regungslos im Schwarzen Loch stehen.
Major Vesna Kobetic ließ ihre Gedanken in die Vergangenheit schweifen. Im Jahr 3166 startete das Forschungsraumschiff und niemand ahnte, was sie erwartete. Ziel war das Schwarze Loch, das sich nicht so verhielt, wie die bekannten Messungen an anderen Schwarzen Löchern zeigten. Auf dem Weg dorthin gerieten sie in einen Gravitationssturm, der fast zum Verlust einer Phönix und ihrer Besatzung führte. Ein Fund im All weckte ihr Interesse. Sie kamen an einer riesigen Biosphärenstation vorbei. Fünfzig Kilometer im Durchmesser, sieben Kilometer hoch und auf der Oberseite eine riesige Kuppel, unter der sich eine bewaldete Welt befand, umrundet von einem künstlich in Bewegung erhaltenen Fluss. Man hielt die Welt für harmlos, bis ein Besatzungsmitglied der CHARON einen Virus an Bord brachte. Nachdem dies überstanden war, wurde die CHARON, ein Kreuzer der Orion-Klasse, ausgesandt, ein unbekanntes Sonnensystem zu erkunden, weitab von der heimatlichen Milchstraße. Nach monatelangen Messungen erschien ein Wrack aus dem Schwarzen Loch und sorgte für eine Überraschung. Noch nie war etwas Vergleichbares beobachtet worden. Eine Untersuchung des Wracks brachte nichts zutage, was die Menschen verwerten konnten. Ein fremdes Schiff unbekannter Bauart und offensichtlich durch einen Kampf beschädigt. Nach einer Abstimmung entschloss sich Expeditionsleiter Dr. Starotic, ebenfalls einen Flug durch das Schwarze Loch zu wagen. Vesna Kobetic sah vom schwarzen Bildschirm auf und blickte in die Runde. Chefnavigator und Spezialist für Fernraumorientierung Ko Arimatsu saß ebenso unbeschäftigt an seinem Arbeitsplatz wie Systemingenieur und Computerexperte, der Konstrukteur Günther Leinster. Das galt ebenso für Dr.-Ing. Logg Petersfahr, den Triebwerksingenieur für den Einstein-Rosen-Antrieb, der für einen Abstecher in die Zentrale gekommen war. Die Tatenlosigkeit galt auch für den Rest der Tagschicht, die ihren Dienst versah. Obwohl im All, hielt man an der planetaren Zeit fest. Wenigstens etwas Routine sollte vorhanden sein.
Die eigentliche eintönige und wiederkehrende Arbeit erledigte die Schiffs-KI. Vasca, wie sie auf die weibliche Form der VASCO hörte, gab in regelmäßigen Abständen Daten auf die Bildschirme aus. Eine Arbeit, die sich in den Statistiken nur im Kommabereich änderte, in der vierten oder fünften Stelle hinter dem Komma.
Vesna, die stellvertretende Kommandantin, machte sich Gedanken. Sie erinnerte sich an den Wissenschaftler Nikodem Janusz Popławski. Er war seinerzeit ein theoretischer Physiker, der sich vor allem mit der allgemeinen Relativitätstheorie, Gravitation und der Kosmologie beschäftigte. Er ging in seinen Behauptungen sogar so weit und stellte die Hypothese auf, dass jedes Schwarze Loch ein Tor zu einem anderen Universum sein könnte. Dr. Starotic bewies nun mit dem Einflug der VASCO DA GAMA in das Schwarze Loch, dass diese Hypothese wahr sein könnte. Die Einschränkung blieb, weil die Hypothese noch nicht endgültig bewiesen war. Noch befand sich das Forschungsschiff in einem Schwarzen Loch. Sollte die VASCO daraus hervorkommen, hätte die erste Hypothese bewiesen werden können. In dieser Hinsicht hätte Popławski zumindest recht. Ob das Universum aus einem Schwarzen Loch entstanden war, ließ sich jedoch noch nicht beweisen. Vesna war neugierig, da sie sich nicht vorstellen konnte, wo sie ankommen würden.
Sie wollte es sich nicht eingestehen und vergrub sich daher in Arbeit, aber sie war nervös. Etwa Unbekanntes erwartete sie. Was würden sie antreffen? Fremde Sonnensysteme mit Bewohnern, physikalische und kosmologische Phänomene? Sie konnte sich nichts und alles vorstellen.
In den astrophysikalischen Abteilungen arbeitete man auf Hochtouren, aber ein ums andere Mal blieben die Ergebnisse unbefriedigend, meist bei null. Nur selten wurden kurze Blips aufgenommen, keiner wusste, was dies sein könnte. Mit allen möglichen Mitteln wurde versucht, das Kontinuum zu vermessen, durch das sie sich bewegten. Manche meinten, es wäre eine Schleichfahrt, ganz langsam, andere wiederum meinten, es wäre eine sehr hohe Geschwindigkeit. Weil man die Geschwindigkeit nicht messen konnte, blieben beide Thesen unbeantwortet. Selbst die Schiffs-KI hielt sich mit Aussagen zurück. Sie bezog sich immer auf: „Es liegen keine verwertbaren Messergebnisse vor.“ Andererseits blieb noch eine weitere Konstante, die zu berücksichtigen wäre. Wie lange waren sie unterwegs? Im Forschungsschiff verging die Zeit normal schnell. So zumindest der Eindruck. Seit dem Einflug in das Schwarze Loch vergingen an Bord sechzehn Tage. Bei einigen der Besatzungsmitglieder machten sich psychische Probleme bemerkbar. Zwar war ein Ausblick ins All nicht abwechslungsreich, aber ein Blick auf schwarze Monitore war noch trostloser. Auch Vesna befürchtete, dass ein paar der Besatzungsmitglieder durchdrehen würden. Sie machte ihre Gedanken publik, indem sie Dr. Starotic darüber informierte.
„Ihre Bedenken sind zur Kenntnis genommen“, antwortete Dr. Starotic. Er verbannte seine Gedanken an die Vergangenheit, um sich ganz auf die Gegenwart konzentrieren zu können. „Wir werden die Besatzung etwas beschäftigen müssen. Ich denke, ein, zwei Übungen sollten die Leute auf Trab bringen. Gleichzeitig können wir Schulungen und Sicherheitstrainings vornehmen. Damit wird die Besatzung wieder auf den neuesten Stand gebracht und altes Wissen aufgefrischt. Ich denke, eine Ausarbeitung der Pläne ist bei Ihnen in den besten Händen.“
„Wurmlöcher sind theoretische Gebilde, die sich aus speziellen Lösungen (Kruskal-Lösungen) der Feldgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie ergeben. Erstmals wurden sie im Jahre 1916 auf der alten Erde von Ludwig Flamm sowie erneut im Jahre 1935 von Albert Einstein und Nathan Rosen beschrieben. Sie werden daher auch Einstein-Rosen-Brücke genannt. Der Begriff wormhole wurde 1957 von John Archibald Wheeler geprägt. Der Name Wurmloch stammt von der Analogie mit einem Wurm, der sich durch einen Apfel hindurchfrisst. Er verbindet damit zwei Seiten derselben Raumoberfläche mit einem Tunnel. Das veranschaulicht das Merkmal der Kruskal-Lösungen, zwei Orte im Universum zu verbinden. Es gibt keine experimentellen Hinweise für die tatsächliche Existenz von Wurmlöchern in unserem Universum.
Wheeler und Fuller zeigten 1962, dass Wurmlöcher in der allgemeinen Relativitätstheorie instabil sind – ohne Effekte der Quantenverschränkung zu berücksichtigen. Einige Wissenschaftler wie Kip Thorne berechneten, dass eine Instabilität der Wurmlochverbindung nur durch exotische Materie zu verhindern wäre. Er konstruierte bei Annahme von deren Existenz Modelle in beiden Richtungen durchquerbarer Wurmlöcher (Morris-Thorne-Wurmloch 1988).“ Der Abteilungsleiter der Astrophysik Dr. Isaac Vogel referierte über die Theorie zum Wurmloch und verlas einen alten Eintrag aus der seit zig Jahren existierenden und stets aktualisierten Wikipedia. „Wir sind so weit, dass wir unsere Theorie über das Schwarze Loch fallen lassen mussten. Hinzu kommt jedoch, dass wir die Theorie, die der brillante Wissenschaftler Stephen Hawking und nach ihm Salomon Kane entwickelte, ebenfalls fallenlassen müssen. Die beiden Wissenschaftler schlossen nicht völlig aus, dass hineinfallende Teilchen normaler Materie ein Wurmloch schnell zusammenbrechen lassen. Mit unserem Durchflug konnten wir diese Theorie widerlegen. Es sei denn, wir haben es mit einem ganz anderen System zu tun und müssen eine neue Theorie aufstellen.“
Der Wissenschaftler und Raumsoldat der Jaimbaliz Raumflotte stand in dem kleinen Konferenzraum seiner Abteilung. Die imposante Erscheinung mit ihren 2,20 Meter Größe wirkte auf die, die ihn nicht kannten, ein wenig einschüchternd. Hinzu kam seine Angewohnheit, stocksteif vor seinen Leuten zu stehen. „Hat jemand eine andere Idee?“
„Ich kann nur auf meine Theorie verweisen“, begann Jo Henke, „dass das Universum eben keine einzelne Ebene ist, sondern dass es viele Spiegeluniversen gibt. Ich bin der Meinung, wir sind durch einen dieser Spiegel geflogen.“
Astrophysikerin Yila Kinochi lachte, bis ihre schwarzen langen Haare nur so flogen. Auch andere Kollegen stimmten in die aufkommende Heiterkeit ein. Jo hingegen machte ein böses Gesicht.
„Einstein wurde verlacht, Hawkins wurde verlacht, Kane wurde verlacht. Und heute gelten sie als die größten Physiker. Wenn also niemand eine andere These aufstellen kann, hören Sie auf zu lachen.“