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Raumpatrouille Orion ist eine Kult-Fernsehserie der späten 1960 Jahre. Es war die erste gelungene SF-Serie aus Deutschland. Die in schwarz-weiß gehaltenen Sendungen waren das, was man einen Straßenfeger nannte. Millionen saßen vor den Fernsehern und folgten der Crew von Alastair McLane alias Dietmar Schönherr.
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2025
Hanns Kneifel
Raumpatrouille Orion 6
Die Raumfalle
Saphir im Stahl
Raumpatrouille Orion 6
Hanns Kneifel - Die Raumfalle
e-book Nr: 280
Erste Auflage 01.02.2025
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Crossvalley Smith
Lektorat: Peter Heller
Vertrieb: neobooks
Hanns Kneifel
Raumpatrouille Orion 6
Die Raumfalle
Saphir im Stahl
EINS
Der Mann stand ruhig vor dem breiten Schreibtisch mit der spiegelnden Platte. Die Arme des Mannes, eines Raumfahrers in dunkler Uniform, hingen locker herunter. Er war schlank und etwas älter als fünfunddreißig Jahre. Man konnte seinem hageren Gesicht entnehmen, dass er sich einen Großteil seines Lebens im All aufgehalten hatte. Außerdem besaß er jenes gewisse Etwas, das Raumleute auszeichnete: eine latente Gespanntheit, die schlagartig in Aktion explodieren konnte. Er war fast hundertachtzig Zentimeter groß, hatte braune Augen und Haar von der gleichen Farbe, das effektvoll in die Stirn gebürstet war.
Er stand da und sah in die Gesichter der beiden Männer, die ihm gegenüber am Tisch saßen. Endlich sagte einer von ihnen: „Gut, Major McLane, dann wäre also alles klar, nicht wahr?“
Commander Cliff Allistair McLane nickte kurz: „Wieder einmal“, erwiderte er gereizt.
Sein Gegenüber war Marschall Wamsler. Groß, massig und schwarz saß er in seinem Sessel, kompetent und unergründlich wie der Große Sphinx. Er wusste, dass vor fast genau einem Jahr Major McLane strafversetzt worden war – von der Flotte hierher zur Raumpatrouille. Seit der gleichen Zeit flog McLane mit seiner Crew die schärfsten Einsätze und hatte mehr als einmal Dinge vollbracht, die die Legenden um seine Person nur noch verstärkt hatten.
„Was heißt ›wieder einmal‹?“, fragte er halblaut.
McLane hob eine Hand und antwortete: „Das ist nun das zweite Mal innerhalb von zwölf Einsätzen, dass Sie mich auf diese verdammten Lichtdrucksporen hetzen. Eigentlich müsste Ihnen doch klar sein, dass bisher nichts gefunden wurde – und vermutlich auch weiterhin nichts gefunden werden wird.“
Wamsler legte seine breiten Hände auf den Tisch und fragte mürrisch zurück: „Und? Kann ich etwas dafür?“
„Schließlich bekomme ich von Ihnen die Einsatzbefehle“, widersprach McLane. Der andere Mann an der Seite Marschall Wamslers gestattete sich ein dünnes Lächeln. Cliff McLane bemühte sich, wieder einmal, ihn nicht zu beachten.
„Das interplanetarische Forschungsamt und Science-Center interessieren sich eben stark für diese Dingerchen!“, erklärte der Marschall.
„Ich beginne langsam, mir wie ein kosmischer Botaniker vorzukommen“, sagte McLane ärgerlich und steckte eine Hand in die Tasche der Uniform.
„Wie Sie sich vorkommen, ist nicht Sache der Raumaufklärungsverbände Terra“, antwortete Wamsler, noch immer ruhig und geneigt, mit McLane zu diskutieren. Er hatte, obwohl er das nicht offen äußern durfte, eine Schwäche für Leute wie McLane und seine Mannschaft. Sie brachten bisweilen willkommene Abwechslung in das Einerlei des Dienstes.
„Das nicht, aber meine Stimmung ist schließlich ein wichtiger Faktor. Die Menge von Krisen, die durch psychologisch überforderte Schiffsführer hervorgerufen worden sind, zählen zu den folgenschwersten Verlusten der Raumfahrt.“
„Ich bitte Sie, Cliff“, sagte Wamsler im Versuch, den Commander zu beschwichtigen. „Dramatisieren Sie nicht so. Was sollen Sie anderes tun, als mit Ihrer ORION durch das All zu fliegen?“
„Nichts“, sagte der Major. „Das ist es eben.“
„Haben Sie schon einmal etwas von der Panspermie-Theorie gehört?“, fragte der andere Mann vorwurfsvoll.
Cliff drehte seinen Kopf und betrachtete Adjutant Spring-Brauner mit einem Blick, der andere Menschen in Panik versetzt hätte. Spring-Brauner, der angeblich bestaussehende Angehörige von Wamslers Garde, bemerkte den Blick nicht. Selbstverständlich war Cliff diese Theorie bekannt, und er wusste auch, auf welch unsicheren Füßen sie stand. Mit geheucheltem Ernst erwiderte er:
„Nein – aber ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich an den Schätzen Ihres sicherlich profunden Wissens teilnehmen ließen.“
Spring-Brauner merkte nicht, dass ihn Cliff voller Mitleid betrachtete und es darauf anlegte, ihn zu blamieren; schließlich war da noch eine Sache mit einem vertauschten Einsatzbefehl, der Cliff und seine Mannschaft in Teufels Küche gebracht hatte. Spring-Brauner hatte die ARION mit der ORION verwechselt.
„Diese Theorie, die es seit langer Zeit gibt, geht davon aus“, begann er und stand auf. Seine Gestik konnte sich so besser entfalten, „dass das Leben nicht auf der Erde entstand.“
„Wie erregend“, sagte Cliff. „Wo sonst?“
„Das Leben könnte von einem anderen Planeten, von einem planetaren oder lunaren Körper eines anderen Sonnensystems, zu uns gekommen sein. In den Spalten von Meteoriten, durch den Strahlungsdruck von fremden Sonnen oder durch kosmische Lichtstürme. Und nun ist es natürlich interessant zu erfahren, woher das irdische Leben wirklich stammt.“
„Faszinierend!“, flüsterte Cliff, scheinbar ergriffen.
„Nicht wahr? Wenn Sie oder einer Ihrer Kollegen uns jetzt eine solche Probe aus dem Strömungsgebiet dieser Sporen bringen würden …?“
„Soll ich wirklich?“, erkundigte sich Cliff scheinheilig. Spring-Brauner zog überrascht die Stirn in Falten; er verstand Cliffs Zwischenfrage nicht.
„Ja, natürlich. Warum sollten Sie nicht?“
Cliff grinste verhalten. „Es könnte sein, dass sich aufgrund der Proben oder aufgrund der Sinnlosigkeit unserer Flüge die Panspermie-Theorie endgültig als falsch erweist.“
Spring-Brauner nickte eifrig. „Auch ein negativer Beweis ist ein Beweis“, sagte er. „Was wäre daran so bedeutungsvoll, Major McLane?“
„Wenn sich die Theorie als haltlos erweist“, erwiderte Cliff, „dann sind Sie für alle Zeiten das einzige Gesprächsthema los, von dem Sie wirklich etwas zu verstehen scheinen!“
Marschall Wamsler, der die gegenseitige persönliche Abneigung der Männer kannte, begann schallend zu lachen und schlug sich auf die Schenkel.
„Sehr witzig, Major“, antwortete Spring-Brauner, und nach einer kleinen Pause fuhr er fort: „Wirklich – sehr witzig, muss ich sagen.“
„Nicht wahr?“, fragte Cliff zurück, und seine Laune begann, etwas zu steigen.
Mit mühsam zurückgehaltenem Lachen schaltete sich Marschall Wamsler ein. „Auch ich finde Ihre Scherze angesichts eines so wichtigen Auftrags etwas unangebracht, McLane.“
„Warum? Humor kann lebensrettende Funktionen haben“, sagte Cliff. „Das habe ich jüngst erst in einem Roman gelesen.“
Wamsler sagte: „Also – machen Sie, dass Sie zur Basis kommen, und starten Sie. Ich persönlich wünsche ertragreichen Sporenfang.“ Cliff dachte schaudernd an die großen Fangnetze, die an den Sektoren der unteren Schale angebracht waren und wie einklappbare Flügel aussahen; die ganze ORION wurde dadurch verschandelt und sah wie ein lahmer Laborkreuzer aus.
„Danke, Marschall“, sagte er trotzdem.
„Bitte.“
Cliff salutierte flüchtig, drehte sich um und ging ruhig der Lichtflutbarriere entgegen. Spring-Brauner begann, hinter seinem Rücken dem Marschall verstohlen Zeichen zu geben und sagte schließlich leise: „Marschall … der Funkspruch vom OB.“
Schlagartig erinnerte sich Marschall Wamsler, lehnte sich vor und rief: „Commander McLane?“
Cliff blieb stehen und drehte sich um.
„Ja?“
„Ich hätte da noch etwas …“ Wamsler zögerte und schien unsicher. Cliff kam zum Tisch zurück und sah wartend auf Wamsler hinab. Er kannte dieses Zögern, und es konnte nur eines bedeuten: Ihm, Cliff, wurde zusätzlich eine besonders unangenehme Aufgabe aufgehalst. Immerhin – ein Drittel seiner Verbannung war bereits vorbei.
„Ich höre!“, sagte er mit steinernem Gesicht.
„Da ist noch eine Kleinigkeit“, begann der breitschultrige Mann mit dem spärlichen schwarzen Haar und den schwarzen Augen. „Der Oberbefehlshaber bittet Sie durch mich um eine kleine Gefälligkeit.“
Überrascht trat Cliff einen Schritt zurück.
„Wie?“, fragte er.
„Sie haben sich nicht verhört.“
„Der OB bittet mich um eine Gefälligkeit?“, sagte er erstaunt.
„Ja. Ist Ihnen vielleicht der Name Pieter-Paul Ibsen ein Begriff?“, sagte Wamsler lauernd.
„Pieter-Paul Ibsen“, sagte McLane leise und überlegte kurz. „Moment … ich habe den Namen schon gehört. Er schreibt, glaube ich.“
Spring-Brauner stimmte eifrig nickend zu. „Einer der bekanntesten Autoren von Zukunftsromanen. Utopia-Preisträger.“
Jetzt erinnerte sich McLane. Wie seltsam, dachte er, obwohl Ibsen mit genauer Präzision seine Vorstellungen von der Zukunft der Erde und der Menschen beschrieb, hatte er, McLane, wenig dafür übrig. Er betrachtete Zukunftsromane als eine Reihe gedanklicher Experimente, die zutreffen konnten oder auch nicht – bisher war das Leben meist andere Wege gegangen als die Ideen der Autoren. Aber auch er hatte mehrere Werke Ibsens in seinen Bücherschränken.
„Dieser Herr!“, sagte er schließlich. „Unter uns Raumleuten heißt er Pie-Po. Ja, ich habe zwei oder drei seiner Veröffentlichungen gelesen.“
„Wie fanden Sie seine Sachen?“, erkundigte sich Wamsler.
„Ich habe wohl nicht die richtige Einstellung dafür“, erwiderte McLane. „Einige meiner Kollegen nennen es blühenden Unsinn, aber so schlimm ist es nicht. Der Mann entwickelte immerhin einige stichhaltige Thesen.“
„Die utopischen Romane von Ibsen sind weltberühmt!“, sagte Spring-Brauner beinahe verärgert. „Ich lese sie alle.“
„Ihnen gefallen sie?“, sagte McLane.
„Und wie!“, gab Spring-Brauner zurück. „Er schildert zum Beispiel, dass die Mehrzahl der Raumschiffkommandanten reizende Kerle sind. Darin unterscheidet er sich von der rauen Wirklichkeit.“
Cliff nickte höflich. „Über Adjutanten schrieb er, scheint es, noch nicht?“
Spring-Brauner schwieg.
„Ohne Spaß“, sagte Wamsler. „Man sagt, die Romane Ibsens wären weltberühmt.“
„Spricht nicht gerade für die Welt“, konterte McLane. „Aber was haben Zukunftsromane und Pieter-Paul Ibsen mit mir zu tun?“
Wamsler sagte nach einer kurzen Pause, als traue er sich nicht, McLane die bittere Pille zu überreichen: „Der OB bittet Sie, Pieter-Paul Ibsen für den Flug zum Umbriel an Bord zu nehmen und ein wenig auf ihn aufzupassen.“
McLane starrte Wamsler fassungslos an. „Ich soll ihn an Bord …?“
Wamsler nickte und fühlte sich nicht sehr wohl dabei. McLane schüttelte langsam den Kopf und merkte, wie seine Nackenhaare sich sträubten. Das war die absolute Spitzenleistung – einen Schriftsteller durch den Weltraum zu schaukeln.
„Nein!“, sagte McLane und setzte sich erschüttert in einen Stuhl.
„Aber! Ich bitte Sie!“, erwiderte Spring-Brauner. Cliff konnte sehen, wie ihn die Überraschung freute, die er ausgelöst hatte; eine sehr negative Überraschung. Cliff deutete auf den Adjutanten.
„Da stecken nicht zufällig wieder einmal Sie dahinter, Spring-Brauner?“, fragte er misstrauisch.
Spring-Brauner schüttelte den Kopf und entgegnete: „Pieter-Paul Ibsen ist mit der Tochter des Ministers für außerirdische Angelegenheiten verlobt.“
McLane schluckte und fragte: „Und warum betreibt er das nicht hauptberuflich?“
Spring-Brauner und Wamsler zuckten vielsagend die Schultern. „Der Minister wiederum ist ein Studienkollege des Oberbefehlshabers.“
„Ich verstehe“, schränkte McLane ein. „Beziehungen sind alles.“
„Richtig“, erwiderte Spring-Brauner. „Nun möchte Ibsen gern einen Einsatz in unserem Kontrollbereich erleben und die Schwierigkeiten kennenlernen, um Stoff für einen neuen Roman zu sammeln.“
McLane schlug hart mit der Handkante auf den Tisch.
„So!“, sagte er mit mühsam zurückgehaltener Wut. „Stoff für einen Roman sammeln. Ausgerechnet bei mir an Bord. Ausgerechnet in der ORION.“
„Regen Sie sich nicht auf!“, beschwor ihn Wamsler.
Cliff beachtete den Einwurf nicht und fuhr fort: „Nicht genug, dass man mich zum Sporensammeln abkommandiert – ich muss auch noch mithelfen, Romanstoff zu sammeln. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Dieser komische Vogel soll sich ein Abonnement für zwölf Marsumkreisungen kaufen. Geld wird er ja genügend haben.“
Wamsler beugte sich vor und flüsterte: „Vermutlich nicht. Science Fiction-Autoren werden unterbezahlt.“
„Dann sollte er die Protokolle der Flotte abtippen!“, schlug McLane bitter vor. „Vielleicht verdient er da mehr.“
Spring-Brauner lächelte verbindlich und sagte: „Sie verkennen die Situation, McLane. Autoren sind keine Schreibkräfte. Das Problem liegt woanders – Ibsen möchte etwas erlben!“
„Unbedingt mit der ORION?“, sagte McLane wütend.
„Irgendwer muss ihm gesagt haben, dass er in diesem Fall bei Ihnen besonders gut aufgehoben ist. Schließlich sind Sie ein weltberühmter Mann, McLane.“
Cliff grinste verzerrt. „Für Sie immer noch Commander McLane, Spring-Brauner.“
Beleidigt gab Spring-Brauner zurück: „Für Sie noch immer Leutnant Spring-Brauner, Commander!“
Cliff hatte sich schon an Wamsler gewandt und fragte bohrend: „Und wenn ich mich weigern sollte?“
Wamsler zuckte die breiten Schultern und machte ein verblüfftes Gesicht. Er klappte eine Mappe auf, die vor ihm auf der spiegelnden Tischplatte lag, und holte ein großes Foto hervor, stieß es über den Tisch. McLane fing es auf, indem er seinen Finger darauf stellte. Er sah das Hochglanzfoto an und drehte es um.
Einem meiner nettesten Fans in herzlicher Freundschaft zugeeignet. Ihr Pieter-Paul Ibsen war darauf zu lesen. Die Unterschrift war großzügig, und auf die Vorgänge in der Fantasie des Unterschreibenden wies ein ringförmiger Schnörkel hin, der, psychologisch interessant, auf dem i von Pieter thronte.
Ibsen selbst war ein recht passabel aussehender Mann von rund fünfunddreißig Jahren mit hellem, sparsamen Haar, einer ausdrucksvollen breiten Nase und etwas sinnlichen Lippen. McLane hütete sich, vom Aussehen des Mannes auf gewisse Passagen in seinen Büchern zu schließen.
„Wenn ich ablehne?“, fragte er zögernd.
„Das können Sie. Aber …“, erwiderte Wamsler.
„Ich höre?“
„Das ist Ihr gutes Recht. Sie sollten es tun, wenn Sie mich in eine mehr als peinliche Situation bringen wollen. Überlegen Sie es sich noch einmal und tun Sie es mir zuliebe, Major.“
„Was bekomme ich dafür?“, fragte McLane sofort.
„Wohlwollende Prüfung darüber, ob man Sie noch länger in der Raumpatrouille behalten kann. Schließlich feiern wir beide bald unser einjähriges Jubiläum, nicht wahr?“
McLane nickte gedankenvoll.
„Eine Schande für die gesamte Behörde. Einen derart guten Mann in der Patrouille zu verheizen!“, bemerkte Spring-Brauner gehässig.
„Etwas, das Ihnen niemals passieren könnte“, erwiderte der Major.
„Nehmen Sie also Ibsen mit?“, sagte Wamsler ruhig.
„Wenn ich das meinen Leuten mitteile, gibt es an Bord einen mittleren Aufruhr!“, gab McLane zu bedenken.
„Passen Sie auf“, sagte der Marschall. „Sigbjörnson ist ruhig und besonnen. Er wird den Vorgang lediglich zur Kenntnis nehmen. Atan wird einige, wie er glaubt, witzige Bemerkungen machen, Ihre beiden entzückenden Damen werden mit Ibsen über die Bedeutung der Trivialliteratur im Massenzeitalter diskutieren, und de Monti wird ihn hin und wieder anbrummen. Es liegt an Ihnen, Ibsen nett einzuführen.“
McLane nickte grollend. „Auch noch gesellschaftliche Pflichten! Wen stelle ich wem vor?“
„Die Herren stets den Damen!“, erläuterte Spring-Brauner zuvorkommend.
„Kennen Sie Ibsen persönlich?“, erkundigte sich Cliff bei dem Marschall.
„Kurz. Er ist weniger eingebildet, als man bei einem Literaten voraussetzt. Zwar ist er, wie alle Menschen, die sich vom Schreiben ernähren, von sich sehr überzeugt, aber das werden Sie in Kürze ändern können. Sie brauchen ihm nur eine Aufgabe zu stellen, an der er scheitert – dann wird auch ein Literat normal, oder das, was in Literatenkreisen als normal gilt. Verstehen Sie?“
„Völlig“, sagte Cliff. „Ave Wamsler, morituri te salutant!“
„Sehen Sie“, sagte der Marschall, „jetzt zitieren Sie bereits einen Kollegen von ihm.“
Sie grinsten sich an. McLane stand auf und nickte. „Gut“, sagte er und streckte Wamsler die Hand hin. „Ich werde Pieter-Paul Ibsen mitnehmen und ihn in die Geheimnisse des unendlichen Universums einweihen. Vielleicht verwechselt er in Zukunft dann Planeten nicht mehr mit Sonnen und lokalisiert den Andromedanebel nicht kurz hinter der Plutobahn.“
Die Männer schüttelten sich die Hände. Cliff ließ die Fotografie des Schriftstellers liegen und wandte sich zur Lichtflutbarriere. Wamsler und Spring-Brauner sahen der schlanken Gestalt nach, bis die hochzüngelnden Elektronenströme wieder die Sicht versperrten.
Cliff McLane nickte den netten Mädchen des Vorzimmers zu, ging einen breiten Korridor entlang und verschwand darin im Lift, der ihn nach oben brachte, auf die Oberfläche von Groote Eylandt, wo sein Bungalow stand. In vierundzwanzig Stunden war Start.
*
Der nächste Tag: Der silbern schimmernde Diskus der ORION VIII schwebte in zehn Metern Höhe auf den Antigravstrahlen. Leuchtende Kreise auf dem Betonboden der Basis markierten den tödlichen Bereich, in dem die Strahlen auftrafen. Die Crew war vollzählig an Bord. An der Unterseite des Schiffes waren viereckige Filter angebracht in der Größe von zwanzig zu sechs Metern; sie konnten umgeklappt werden und gingen von der Mitte, also von der runden Verschlussplatte des hydraulischen Lifts, nach außen. Sie filterten den dünnen kosmischen Staub und waren in der Lage, jeden fremden Körper, der größer war als ein Mikromillimeter, aufzufangen und in den Filtern zu behalten, bis diese ausgeleert wurden. Die Auswertung der Filterflächen hatte Science-Center übernommen. Das Bodenpersonal war damit beschäftigt, die Apparatur der sieben Filterflächen festzustellen.
Eine Sirene ertönte; ein heiserer Ton, der den Stahlzylinder von einem Kilometer Durchmesser erfüllte. An den Wänden der Basis 104 änderte sich die Farbe der senkrecht strahlenden Scheinwerfer. Langsam begannen die Mannschaften, den Platz unter der ORION zu räumen. Einige kleine Robotwagen fuhren davon und verschwanden hinter den Portalen der Hangars, in denen andere Schiffe auf den Start warteten. In der Kommandokanzel der ORION sah McLane in fünf aufmerksame Gesichter; eines davon leuchtete von dem Schirm des Videofons: Hasso Sigbjörnson war im Maschinenraum.
„Meine liebe Crew“, begann McLane. „Eigentlich sollte die Überraschung bereits bekannt sein.“
„Ich höre Überraschung?“, sagte Mario de Monti vom Eingabeelement des Computers her.
„Du hörst richtig. Wir haben einen Gast.“
Tamara merkte, wie die anderen sie anstarrten, und lächelte; sie lehnte wieder scheinbar entspannt an der schrägen Verstrebung, ihrem Lieblingsplatz.
„Nein“, sagte sie, „Commander McLane würde mich sicher nicht als Gast bezeichnen, nicht wahr?“
Cliffs Gewissen war in Bezug auf Tamara Jagellovsk nicht das reinste. Er entsann sich gewisser Vorkommnisse auf Chroma nur widerwillig und selten. „Dann hätte ich gesagt: ›Ein ganz besonders lieber Gast!‹ –, aber Sie gehören ja zu der ORION wie die Maschinen und die Sichtschirme, liebste Tamara“, erwiderte er.
Hasso sagte mit lauter Stimme aus dem Maschinenraum: „Los, Commander – wer ist unser Gast?“
Cliff breitete in einer hilflosen Gebärde seine Arme aus und sagte: „Pieter-Paul Ibsen!“
Völlig entgeistert flüsterte Atan Shubashi, der schwarzhaarige Astrogator: „Das kann nicht dein Ernst sein, Cliff!“
„Meiner nicht – der Ernst des Oberkommandierenden!“, entschuldigte sich der Commander.
„Ein Witz, und zwar kein guter.“
Mario schlug wütend mit seinem Zeigefinger einen hochschnellenden Hebel des Eingabeelements nieder. „Ein Literatenwitz!“, sagte er scharf. Schulterzuckend erwiderte Cliff McLane: „Hat je einer von euch erlebt, dass der Oberkommandierende einen Witz macht? Freunde – das ist brutaler Ernst. Wir haben die Ehre, mit einem Utopia-Preisträger an Bord zu fliegen.“
„Huch!“, meinte Helga Legrelle, „dann trägt er sicher eine Clubjacke mit einem Wappen darauf?“
„So geschmacklos wird er doch nicht sein!“, mutmaßte Atan Shubashi. Mario de Monti, der breitschultrige Erste Offizier mit dem phlegmatischen Gesicht, meinte zu Cliff: „Uns bleibt aber wirklich nichts erspart.“
McLane zog es vor, keine Antwort zu geben.
„Pie-Po!“, schnaufte Atan Shubashi aufgeregt. „Ich sage euch: Er ist der Mann mit dem abwegigsten Vorstellungsvermögen unserer Generation. In seinen Romanen beherrschen die Menschen den Raum-Zeit-Sprung, den Transmitter, die Kenntnis von ungeheuren Mengen fremder Rassen und Schiffe, die größer sind als ehemalige terranische Fürstentümer! Mit so was sollen wir unsere kosmischen Tage verbringen!“
Aufgescheucht von den alarmierenden Nachrichten kam Hasso Sigbjörnson aus dem Maschinenraum herauf, schob die Lifttür wieder zu und blieb vor Cliff stehen.
„Eines ist sicher“, sagte er knurrend, „wenn der Mensch versuchen sollte, meinen Maschinenraum zu betreten, stelle ich mich mit gezogener HM 4 vor mein Schaltpult.“
In das entstehende Schweigen hinein sagte Helga Legrelle, die Funkerin der ORION: „Nun wartet doch erst einmal ab – vielleicht ist er ganz nett …?“
Atan Shubashi kicherte sarkastisch auf. „Ganz nett! Seit dem ersten Buch Moses hat es keinen ›ganz netten‹ Literaten gegeben. Das nenne ich reinen Optimismus! Ein Zukunftsdichter!“
„Ich finde das auch etwas merkwürdig“, sagte Tamara. „Man hätte zumindest den Sicherheitsdienst verständigen müssen!“
„Wenn das alles ist, was Sie daran stört, dann frage ich mich …“, begann de Monti aufgebracht, aber Cliff winkte ab.
„Leute“, sagte er. „Wir haben den Mann an Bord genommen, um Wamsler eine peinliche Situation zu ersparen. Seid bitte so nett wie möglich zu ihm. Mich aber stört etwas anderes.“
„Ja?“, sagte Hasso hoffnungsvoll.
Statt einer Antwort sah Cliff auf das Bordchronometer. „Startzeit minus vier Minuten“, sagte er dann. „Wir starten pünktlich. Sollte Ibsen in zweihundertvierzig Sekunden nicht an Bord sein, hat er den Anschluss verpasst.“
De Monti warf ein: „Sein Gepäck ist bereits in seiner Kabine.“
„Um so schlimmer!“, stellte Cliff ungerührt fest. „Eine feine Art, sich einzuführen. Wir warten noch etwas.“
ZWEI
„Bist du mit dem Computer soweit, Mario?“, fragte er drei Minuten später. Mario trat vom Keyboard des eiförmigen Eingabeelements zurück und nickte. „Die erste Anflugphase ist programmiert.“
Hasso Sigbjörnson lehnte neben Helga am Funkpult und sah sich nachdenklich in der Kommandokanzel um. „Dann nichts wie los, Cliff. Worauf warten wir noch?“