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Das Buch erschien zum ersten Mal auf deutsch im Jahr 1907. Vathek, der neunte Kalif aus dem Haus der Abbassiden, war der Sohn des Motassem und Enkel des Harun Al-Raschid. In jungen Jahren bestieg er den Thron. Die großen Eigenschaften, die er ganz jung schon besaß, ließen seine Völker hoffen, dass seine Regierung lang und glücklich sein würde. Sein Ansehen war hoheitsvoll und schön; aber wenn er zornig wurde, da blickte sein eines Auge so schrecklich, dass man es nicht ertragen konnte:
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Seitenzahl: 164
Erik Schreiber
Das grüne Abenteuerbuch 7
Das grüne Abenteuerbuch 7
e-book 266
John Beckford - Vathek
Originaltitel: Vathek (1907)
Neuveröffentlichung: 01.09.2024
© Herausgeber Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
Titelbild: Caliph Manum makes the first Measurement of the Equator
(Ausschnitt)
Redaktion und Lektorat: Peter Heller
Vertrieb: neobooks
Erik Schreiber
Das grüne Abenteuerbuch 7
Vathek, der neunte Kalif aus dem Haus der Abbassiden, war der Sohn des Motassem und Enkel des Harun Al-Raschid. In jungen Jahren bestieg er den Thron. Die großen Eigenschaften, die er ganz jung schon besaß, ließen seine Völker hoffen, dass seine Regierung lang und glücklich sein würde. Sein Ansehen war hoheitsvoll und schön; aber wenn er zornig wurde, da blickte sein eines Auge so schrecklich, dass man es nicht ertragen konnte: Der Unglückliche, den dieser Blick traf, fiel nach rückwärts und manchmal hauchte er sogar auf der Stelle den Geist aus. Und deshalb gab sich der Kalif, aus Furcht, seinen Staat zu entvölkern oder aus seinem Palast eine Öde zu machen, seinem Zorn nur sehr selten hin.
Er war den Frauen und den Genüssen des Tisches gleich stark ergeben. Seine Freigebigkeit kannte keine Grenzen und seine Ausschweifungen keine Zurückhaltung. Denn er glaubte nicht, wie der Kalif Omar Ben Abdalaziz, dass man aus dieser Welt eine Hölle machen müsse, um in der andern sich des Paradieses zu erfreuen.
Er übertraf an Glanz alle seine Vorfahren. Der Palast Alkorremmi, den sein Vater Motassem auf dem Wildenpferdhügel erbaut hatte und der die ganze Stadt Samarah beherrschte, war ihm nicht weit genug. Er ließ noch fünf Flügel daran bauen, oder vielmehr fünf neue Paläste, und er bestimmte jeden davon der Befriedigung eines seiner Sinne.
In dem ersten dieser fünf Paläste waren die Tische stets mit den ausgesuchtesten Speisen bedeckt. Man erneuerte sie Tag und Nacht, sobald sie kalt geworden waren. Die feinsten Weine und die besten Liköre flossen in Strömen aus hundert Springbrunnen, die nie versiegten. Dieser Palast hieß das Ewige Fest oder der Unersättliche.
Den zweiten Palast nannte man den Tempel der Melodie oder den Nektar der Seele. Ihn bewohnten die besten Musiker und bewundertsten Dichter der Zeit. Nachdem sie ihre Talente an diesem Ort geübt hatten, zerstreuten sie sich in Banden und überfluteten die ganze Umgebung mit ihren Liedern.
Der Palast
Das Entzücken der Augen oder die Unterstützung des Gedächtnisses war ein einziges Wunder. Die größten Seltenheiten aus allen Ecken der Welt waren hier gesammelt, in Massen und in der schönsten Ordnung. Man sah in einer Galerie die Bilder des berühmten Mani und Statuen, die zu leben schienen. Hier reizte eine glücklich gewählte Aussicht den Blick; dort wurde das Auge angenehm durch die Künste der Optik getäuscht; an einer andern Stelle fand man alle Schätze der Natur. Mit einem Wort: Vathek, der neugierigste unter den Menschen, hatte in diesem Palast nichts vergessen, was die Neugierde der Besucher befriedigen konnte, nur nicht seine eigene, denn er war unersättlich.
Der Palast der Wohlgerüche, den man auch den Stachel der Wollust nannte, war in mehrere Säle geteilt. Aromatische Lampen und Fackeln brannten da auch am hellen Tag. Um sich von der köstlichen Trunkenheit zu erholen, in die man hier geriet, stieg man in einen weitläufigen Garten hinab, in dem alle Blumen eine kühle und erfrischende Luft atmen ließen.
Der fünfte Palast hieß die Wohnung der Freude oder der Gefährliche. Hier waren viele junge Mädchen und Frauen. Sie waren schön und verführerisch wie die Huris und nie ermüdet, diejenigen wohl zu empfangen, die der Kalif in ihre Gesellschaft zulassen wollte. Denn er war gar nicht eifersüchtig und verwahrte zudem seine eigenen Frauen in dem Palast, den er bewohnte.
Trotz all dieser Wollüste, denen sich Vathek ergab, wurde er doch von seinen Völkern nicht minder geliebt. Man glaubte, dass ein Herrscher, der sich den Lüsten des Lebens ergibt, mindestens ebenso gut zum Regieren tauglich ist, als einer, der sich als Feind dieser Lüste erklärt. Aber sein unruhiger und brennender Geist konnte da nicht stehen bleiben. Zu Lebzeiten seines Vaters hatte er aus Langeweile so viel studiert, dass er nun vieles wusste; nun wollte er alles wissen, selbst die Wissenschaften, die es gar nicht gibt. Er liebte es, mit den Gelehrten zu disputieren; sie durften aber ihren Widerspruch nicht zu weit treiben. Den einen stopfte er den Mund mit Geschenken; die andern, deren Überzeugungen seiner Freigebigkeit Widerstand leisteten, wurden ins Gefängnis geschickt, dass sie sich da ihr Blut abkühlen: ein Mittel, das oft half.
Vathek machten auch die theologischen Streitigkeiten Vergnügen, und es war nicht die allgemein anerkannte orthodoxe Partei, für die er sich erklärte. Damit hatte er alle Zeloten gegen sich: Also verfolgte er sie, denn er wollte immer, und um jeden Preis Recht haben.
Der große Prophet Mahomet, dessen Statthalter die Kalifen sind, war im siebten Himmel über dieses irreligiöse Treiben eines seiner Nachkommen entrüstet. „Lassen wir ihn nur machen“, sagte er zu den Dschinnen, seinen Geistern, die stets seiner Befehle harren, „wir wollen sehen, wieweit seine Narrheit und Ungläubigkeit geht; treibt er es zu bunt, so wissen wir ihn schon zu züchtigen. Helft ihm diesen Turm bauen, den er in Nachahmung Nimrods zu bauen angefangen hat; aber nicht, um sich wie jener darauf vor einer neuen Sintflut zu retten, sondern aus schamloser Neugierde, in die Geheimnisse des Himmels zu dringen. Er mag tun, was er will, er wird das Schicksal, das ihn erwartet, nie erraten.“
Die Dschinnen gehorchten, und während die Arbeiter tagsüber den Turm um Ellenbogenhöhe in die Höhe brachten, mehrten die Geister ihn des Nachts um zwei. Die Schnelligkeit, mit der dieses Gebäude gebaut wurde, schmeichelte der Eitelkeit Vatheks nicht wenig. Er glaubte, dass sogar der fühllose Stoff seinen Absichten entgegenkomme. Dieser Fürst bedachte trotz all seiner Wissenschaft nicht, dass die Erfolge der Unsinnigen und der Bösen die ersten Ruten sind, mit denen sie geschlagen werden.
Als er das erste Mal die elftausend Stufen seines Turmes hinaufstieg und hinunterschaute, erreichte sein Stolz den Gipfel. Die Menschen erschienen ihm wie Ameisen, die Berge wie Schneckenhäuser und die Städte wie Bienenkörbe. Die Vorstellung, die diese Höhe ihm von seiner eigenen Größe gab, verdrehte ihm vollends den Kopf. Schon wollte er sich selbst anbeten, als er die Augen erhob und sah, dass die Sterne noch ebenso weit von ihm entfernt waren, als da er auf der Erde stand. Über das unwillkürliche Gefühl seiner eigenen Kleinheit tröstete ihn der Gedanke, dass er in den Augen der andern doch groß wäre, und dass das Licht seines Geistes dasjenige seiner Augen übertreffe; er wollte den Sternen sein Schicksal ablesen.
Zu diesem Zwecke verbrachte er die meisten Nächte auf dem Gipfel seines Turmes und glaubte sich in die astrologischen Geheimnisse eingeweiht und bildete sich ein, dass die Planeten ihm die wunderbarsten Abenteuer voraussagten. Ein außergewöhnlicher Mensch sollte aus einem Land kommen, dessen Name man nie gehört hatte, und der Held werden. Seine Neugierde hatte ihn immer sehr höflich gegen Fremde sein lassen; jetzt verdoppelte er seine Aufmerksamkeit für sie und ließ durch Trompetenstöße in den Straßen Samarahs verkünden, dass keiner seiner Untertanen einen Fremden aufnehmen dürfe, sondern jeder müsse in seinen Palast geführt werden.
Einige Zeit nach dieser Proklamation erschien in der Hauptstadt ein Mensch, dessen Gesicht so entsetzlich war, dass die Wächter, die ihn in den Palast führten, die Augen schließen mussten. Der Kalif selber schien über das fürchterliche Aussehen erschrocken; aber bald folgte Freude diesem ersten Grauen. Der Unbekannte breitete vor dem Fürsten solch kostbare Seltenheiten aus, wie er sie nie zuvor gesehen und deren Dasein nicht einmal für möglich gehalten hatte.
Es gab auch wirklich nichts, das außerordentlicher gewesen wäre, als die Waren dieses Fremden. Die mehreren seiner Geschmeide waren ebenso schön gearbeitet wie prächtig. Sie besaßen zudem noch ganz besondere Eigenschaften, die auf einem Pergamentstreifen geschrieben standen, der an jeden Gegenstand geheftet war. Es gab da Pantoffeln, die den Füßen beim Gehen halfen; Messer, die ohne Handbewegung schnitten; Säbel, die bei der geringsten Bewegung den Schlag ausführten; und all diese Gegenstände waren mit wertvollen Steinen besetzt, die niemand kannte.
Unter diesen Kostbarkeiten fanden sich Säbel, deren Schneiden ein unsägliches Feuer ausstrahlten. Der Kalif wollte sie haben und er versuchte, die fremden Schriftzeichen zu entziffern, die darauf graviert waren. Ohne nach dem Preise zu fragen, ließ er vor den fremden Menschen alles gemünzte Gold des Schatzes bringen und hieß ihn nehmen so viel er wolle. Der nahm nur ganz wenig und sprach kein Wort.
Vathek zweifelte nicht daran, dass das Schweigen des Unbekannten keinen andern Grund habe als die Hochachtung, die ihm seine Gegenwart einflöße. Er hieß ihn wohlwollend näher treten und fragte ihn herablassend, wer er wäre, woher er komme und woher er diese schönen Sachen habe. Der Mensch, oder vielmehr das Ungeheuer, rieb sich statt aller Antwort dreimal seine Stirne, die schwärzer war als Ebenholz, schlug sich viermal auf den Bauch, dessen Umfang ungeheuer war, öffnete weit die Augen, die zwei glühenden Kohlen glichen und lachte ein entsetzliches lautes Lachen, wobei er breite, ambrafarbige, grün gefleckte Zähne zeigte.
Der Kalif wiederholte, etwas beunruhigt, seine Frage; aber er erhielt keine andere Antwort. Da wurde der Fürst ungeduldig und rief: „Weißt du denn, Unglücklicher, wer ich bin? Und bedenkst du, mit wem du da spielst?“ Er wandte sich darauf an seine Garden und fragte, ob sie den Menschen hätten reden hören, ob er stumm sei. Die Garden antworteten, dass er gesprochen hätte, aber was er gesagt habe, sei nichts Besonderes gewesen. „So soll er noch einmal sprechen“, befahl Vathek, „und er soll sprechen, wie er kann und soll mir sagen, wer er ist, woher er kommt, woher er die seltsamen Dinge bringt, die er mir angeboten hat. Ich schwöre beim Esel des Balaam, wenn er weiter schweigt, will ich ihn seinen Eigensinn bereuen lassen.“ Bei diesen Worten konnte sich der Kalif nicht enthalten, einen seiner gefährlichen Zornblicke auf den Unbekannten zu werfen; dieser aber verlor nicht nur nicht seine Haltung, sondern das schreckliche und mörderische Auge des Kalifen machte nicht den geringsten Eindruck auf ihn.
Worte können den Schrecken der Höflinge nicht ausdrücken, als sie sahen, dass der unhöfliche Kaufmann eine solche Probe bestand. Sie hatten sich alle platt auf die Erde geworfen und wären auch da liegen geblieben, wenn der Kalif ihnen nicht wütend befohlen hätte: „Steht auf, Feiglinge, und ergreift diesen Elenden! Dass man ihn ins Gefängnis werfe und von meinen besten Soldaten bewachen lasse! Er kann das Gold mitnehmen, das ich ihm gegeben habe; er soll es behalten, aber er soll sprechen, ich will, dass er spricht!“ Bei diesen Worten fiel man von allen Seiten über den Fremden her; man fesselte ihn um die Gurgel mit festen Ketten und führte ihn in das Gefängnis des großen Turmes, das sieben Gürtel von eisernen Stangen mit langen Spitzen, scharf wie Dolche, von allen Seiten umgeben.
Der Kalif aber war in der größten Aufregung. Er sprach kein Wort; kaum wollte er sich zu Tisch setzen und aß von den täglich gereichten dreihundert Gerichten nur zweiunddreißig. Diese Diät, an die er nicht gewöhnt war, wäre allein schon genügend gewesen, ihm den Schlaf zu rauben. Wie aber erst, da sich dazu diese Unruhe gesellte, die ihn nicht losließ! Sobald es Tag geworden war, eilte er selbst zum Gefängnis, um neuerliche Versuche bei dem starrköpfigen Fremden zu machen. Aber seine Wut lässt sich nicht beschreiben, als er sah, dass der Fremde fort, die Eisengitter zerbrochen und die Wächter ohne Leben waren. Ein wilder Wahnsinn erfasste Vathek. Er stieß mit den Füßen nach den Leichen, die vor ihm lagen, und hörte den ganzen Tag nicht auf, sie auf diese Weise mit Fußtritten zu bearbeiten. Seine Hofleute und Wesire taten alles, um ihn zu beruhigen; aber als sie sahen, dass es ihnen nicht gelingt, schrien sie alle auf einmal: „Der Kalif ist verrückt geworden! Der Kalif ist verrückt geworden!“
Dieser Schrei widerhallte bald in allen Straßen von Samarah. Und kam schließlich an die Ohren der Prinzessin Carathis, Vatheks Mutter. Ganz bestürzt kam sie herbei, um ihre alte Macht über den Geist ihres Sohnes zu versuchen. Ihren Tränen und Küssen gelang es, den Kalifen zu beruhigen, und auf ihren Wunsch ließ er sich in den Palast führen.
Carathis hütete sich, ihren Sohn allein zu lassen. Nachdem man ihn zu Bett gebracht hatte, setzte sie sich zu ihm und versuchte, ihn durch ihre Unterhaltung zu trösten und zu beruhigen. Niemandem wäre das besser gelungen. Vathek liebte und verehrte sie nicht nur als eine Mutter, sondern auch als eine mit höherem Geist begabte Frau. Sie war Griechin und hatte ihn alle Philosophien und Wissenschaften ihres Volkes gelehrt, zum großen Entsetzen der braven Muselmanen. Die Astrologie war eine dieser Wissenschaften, und Carathis beherrschte sie vollkommen. Ihre erste Sorge war daher, ihren Sohn an das zu erinnern, was die Sterne ihm geweissagt hatten und sie schlug vor, sie neuerlich zu befragen.
„Ah!“, sagte der Kalif, sobald er seine Sprache wiedergefunden hatte, „ich bin ein Sinnloser, nicht weil ich meinen Wächtern vierzigtausend Fußtritte dafür gegeben habe, weil sie sich blöde totschlagen ließen; aber weil ich nicht bedacht habe, dass dieser außergewöhnliche Mensch der war, den mir die Gestirne angekündigt haben. Statt ihn zu misshandeln, hätte ich versuchen sollen, ihn durch Güte und Schmeichelei zu gewinnen.“
„Das Vergangene kann nicht widerrufen werden“, antwortete Carathis, „man muss an die Zukunft denken. Vielleicht siehst du noch den, den du bedauerst; vielleicht zeigen dir die Schriftzüge auf den Säbeln den Weg. Iss und schlafe, mein lieber Sohn, morgen werden wir sehen, was da zu tun ist.“
Vathek befolgte diesen weisen Rat so gut er konnte. Am nächsten Tag stand er in besserer Verfassung auf und ließ sich die wunderbaren Säbel bringen. Um nicht von ihrem Glanz geblendet zu werden, betrachtete er sie durch ein farbiges Glas und versuchte die Schriftzüge zu entziffern; aber umsonst; er schlug sich vergeblich vor die Stirne, er kannte nicht einen Buchstaben. Dieses Missgeschick hätte ihn wieder in seine frühere Wut gebracht, wäre Carathis nicht eingetreten.
„Nimm Geduld an, mein Sohn“, sagte sie zu ihm; „du besitzest gewiss alle Wissenschaften, aber Sprachen zu kennen, das ist eine Bagatelle und nur Pedanten geben sich damit ab. Versprich Belohnungen, die deiner würdig sind, demjenigen, der dir diese barbarischen Worte übersetzt, die du nicht verstehst und die zu verstehen deiner unwürdig wäre; bald wird deine Neugierde befriedigt sein.“
„Möglich“, sagte der Kalif, „aber inzwischen werde ich von einer Menge von Halbgelehrten und Schwätzern gelangweilt werden, die es versuchen wollen, sowohl um sich gelehrt reden zu hören, als um die Belohnung zu bekommen.“ Nach einigem Nachdenken fügte er hinzu: „Ich will dieses Missliche vermeiden. Ich werde alle sterben lassen, die mich nicht zufriedenstellen; denn dank dem Himmel habe ich genug Verstand, um zu unterscheiden, ob man übersetzt oder ob man erfindet.“
„Daran zweifle ich nicht“, sagte Carathis. „Aber die es nicht wissen sterben lassen, ist eine etwas strenge Strafe, die gefährliche Folgen haben kann. Begnüge dich damit, ihnen den Bart abbrennen zu lassen – die Bärte sind in einem Staatswesen nicht so wichtig wie die Menschen.“
Der Kalif unterwarf sich wieder dem Rat seiner Mutter und ließ seinen ersten Wesir rufen. „Morakanabad“, sprach er zu ihm, „lass durch einen öffentlichen Ausrufer in ganz Samarah und in allen Städten meines Reiches verkünden, dass derjenige, der die scheinbar unentzifferbaren Schriftzeichen entziffert, Beweise meiner auf der ganzen Welt bekannten Freigebigkeit erhalten wird; dass man aber dem, dem es nicht gelinge, den Bart gänzlich abbrennen würde. Dass man ferner verkünde, dass ich fünfzig schöne Sklavinnen und fünfzig Kisten mit Aprikosen von der Insel Kirmith demjenigen geben werde, der mir Nachricht über diesen fremden Menschen bringt, den ich wiedersehen will.“
Die Untertanen des Kalifen liebten nach dem Beispiel ihres Herrn die Frauen und die Kisten mit Aprikosen von der Insel Kirmith sehr. Diese Versprechungen ließen ihnen das Wasser im Munde zusammenlaufen, aber es half ihnen nichts, denn niemand wusste, was aus dem Fremden geworden war. Mit dem andern Verlangen des Kalifen war es schon anders. Die Gelehrten, Halbgelehrten und alle jene, die weder das eine noch das andere waren, die aber glaubten, mehr als beides zu sein, wagten mutig ihren Bart und alle verloren ihn schändlich. Die Eunuchen hatten nichts anderes mehr zu tun als Bärte absengen, und das gab ihnen einen Brandgeruch, den die Frauen im Harem so unangenehm fanden, dass man diese Beschäftigung andern übertragen musste.
Endlich meldete sich eines Tages ein Greis, dessen Bart um anderthalb Armlängen alle jene übertraf, die man bis jetzt gesehen hatte. Die Palastoffiziere, die ihn einführten, sagten untereinander: „Wie schade, wie sehr schade um diesen schönen Bart!“ Der Kalif dachte dasselbe; aber es machte ihm keinen Kummer. Der würdige Greis las ohne große Mühe die Zeichen und erklärte sie Wort für Wort auf folgende Weise: „Wir sind da gemacht worden, wo man alles gut macht; wir sind die kleinsten Wunder eines Reiches, in dem alles wunderbar und des größten Fürsten der Welt würdig ist.“
„Oh! Du hast sehr gut übersetzt“, rief Vathek; „ich kenne den, den diese Worte bezeichnen. Man gebe diesem Greis ebenso viele Ehrenkleider und ebenso viel tausend Zechinen als er Worte gesprochen hat; er nahm mir einen Teil der Wolken, die mein Herz einhüllten.“ Nach diesen Worten lud ihn Vathek ein, mit ihm zu speisen, ja sogar einige Tage bei ihm im Palast zu verweilen.
Am nächsten Tag ließ ihn der Kalif rufen und sagte zu ihm: „Lies mir noch einmal, was du mir gelesen hast; ich kann nicht oft genug die Worte hören, die mir das Glück zu verheißen scheinen, nach dem ich mich sehne.“ Alsbald setzte der Alte seine grüne Brille auf. Aber sie fiel ihm von der Nase herunter, als er bemerkte, dass sich die Worte seit dem andern Abend verändert hatten. „Was hast du?“, fragte Vathek; „was bedeutet dein Erstaunen?“
„Herrscher der Welt, die Zeichen auf diesen Säbeln sind nicht mehr dieselben.“
„Was sagst du?“, rief Vathek; „aber einerlei: Wenn du kannst, so erkläre mir ihre Bedeutung.“
„Hier ist sie, Herr“, sagte der Greis: „Unglück über den Verwegenen, der zu wissen trachtet, was ihm verborgen bleiben soll und das wagen will, was über seine Macht geht.“
„Unglück über dich selbst“, schrie der Kalif, ganz außer sich. „Geh mir aus den Augen! Man wird dir nur die Hälfte deines Bartes abbrennen, weil du gestern gut geraten hast; was meine Geschenke anbelangt, so nehme ich niemals zurück, was ich einmal gegeben habe.“ Der Greis war klug genug einzusehen, dass er noch gut weggekommen war mit der Dummheit, die er damit begangen hatte, seinem Herrn eine unangenehme Wahrheit zu sagen; er ging und erschien nie wieder.
Vathek bereute aber bald seine Voreiligkeit. Da er nicht aufhörte, die Schriftzeichen zu studieren, merkte er wohl, dass sie jeden Tag sich veränderten, und niemand fand sich, sie zu entziffern. Da entzündete die Unruhe solchen Tuns sein Blut, verursachte ihm Schwindel und Ohnmachtsgefühle und machte ihn so schwach, dass er sich kaum aufrecht halten konnte; in diesem Zustand ließ er sich immer auf den Turm tragen und hoffte aus den Sternen etwas angenehmes zu lesen; aber er täuschte sich in dieser Hoffnung. Seine Augen waren trübe vom Kummer seines Denkens und dienten ihm schlecht; er sah nichts als eine schwarze und dicke Wolke, ein Zeichen, das ihm sehr verhängnisvoll vorkam.