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Raumpatrouille Orion ist eine Kult-Fernsehserie der späten 1960 Jahre. Es war die erste gelungene SF-Serie aus Deutschland. Die in schwarz-weiß gehaltenen Sendungen waren das, was man einen Straßenfeger nannte. Millionen saßen vor den Fernsehern und folgten der Crew von Alastair McLane alias Dietmar Schönherr.
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Seitenzahl: 165
Veröffentlichungsjahr: 2025
Hanns Kneifel
Raumpatrouille Orion 5
Kampf um die Sonne
Saphir im Stahl
Raumpatrouille Orion 5
Hanns Kneifel - Kampf um die Sonne
e-book Nr: 279
Erste Auflage 01.02.2025
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Crossvalley Smith
Lektorat: Peter Heller
Vertrieb: neobooks
Hanns Kneifel
Raumpatrouille Orion 5
Kampf um die Sonne
Saphir im Stahl
EINS
Im Jahre 1955 entdeckte ein Forscher namens Baade, dass ein kleiner Stern mit der Bezeichnung Ross 614 A einen Begleiter aufwies. Diese Sonne, ein roter Zwerg, war von der irdischen Sonne dreizehn Lichtjahre entfernt; der von Baade entdeckte Begleiter umkreiste ihn in einer Entfernung von rund 600 Millionen Kilometern, was etwa der Entfernung zwischen der irdischen Sonne und dem Planeten Jupiter entsprach. Der Begleiter erhielt zunächst den Namen Ross 614 B. Die Masse dieses Begleiters betrug insgesamt acht Hundertstel der Sonnenmasse oder 26.000-mal die Masse der Erde. Die Leuchtkraft war 63.000-mal schwächer als die der irdischen Sonne, und die thermonuklearen Reaktionen im Innern von Ross 614 B waren für die Oberflächentemperatur von 985 Grad Celsius verantwortlich.
Die Sonne und deren glimmender Begleiter wurden katalogisiert und mehrmals in der Fachliteratur beschrieben und behandelt, da sie ein seltenes Beispiel der Beziehungen zwischen Sonne und Planet darstellten. Sie erhielten im Handbuch einen Platz und eine sehr lange Katalognummer, die vor ihren Hyperraumsprungkoordinaten stand. Eine gewisse Bedeutung erhielten sie, als während des zweiten interstellaren Krieges zwischen vier Schiffen der Erde und fünf Einheiten der Föderation in der Nähe dieses Sternes ein erbitterter Kampf stattfand.
Zwei der feindlichen Einheiten flogen, schwer zerstört, nach dem Kampf hinaus in den Raum und wurden als vermisst abgeschrieben. Dann vergaß man Ross 614 A und Ross 614 B vollkommen. Dreizehn Lichtjahre ... der Standort war eindeutig innerhalb der ersten Entfernungszone von fünfundvierzig Parsek. Koordinaten: Eins/Süd 019.
Niemand dachte mehr an den roten Zwerg und den heißen Begleitplaneten. Niemand ahnte etwas von dem Schicksal der beiden großen Schiffe, die nach der Auseinandersetzung geflohen waren. Niemand flog freiwillig jemals in diese Gegend.
Später würde man sich bestürzt an alles erinnern ...
*
Der glänzende Diskus bewegte sich mit geringer Fahrt auf die Oberfläche des Planetoiden zu. Der Körper besaß rund ein Drittel der Erdmasse und trug den Namen und die Zahl N 1-16 A. Der Diskus verharrte regungslos acht Meter über der Oberfläche. Die Antischwerkraftstrahlen stützten die Scheibe der ORION VIII ab. Dann wurden die Maschinen abgeschaltet. Rings um den Landeplatz herrschte eine fast greifbare Stille. Kosmische Ruhe lag über den Felsen, über den Moospolstern und über den fadendünnen Rinnsalen, die zwischen dem feuchten Kies der Oberfläche in Schlangenlinien verliefen. Im Schiff waren die Geräusche der ausschwingenden Generatoren zu hören; knisterndes Metall, das sich abkühlte und das hohe Summen, das über die gesamte Tonleiter nach unten fiel. Cliff Allistair McLane, neben ihm Mario de Monti und Atan Shubashi, umstanden den großen Zentralschirm.
„Verdammt!“ sagte der Major halblaut. „Wir sind doch nicht betrunken!“
Atan und Mario antworteten nicht. Sie waren damit beschäftigt, neue Eindrücke zu verarbeiten. Gefährliche neue Eindrücke. Helga Legrelle kicherte von ihrem Funkpult her.
„Heute ausnahmsweise nicht“, sagte eine kühle, verhaltene Stimme. Cliff brauchte sich nicht umzudrehen, um festzustellen, wer gesprochen hatte. Es konnte niemand anderes sein als Tamara Jagellovsk, das unbestechliche Auge des Gesetzes, das McLane und seine Mannschaft bewachte wie ein scharfer Hund.
„Wie originell!“ erwiderte McLane düster. „Sie haben noch keinen von uns jemals betrunken gesehen, Leutnant. Vielleicht in Ihren Kreisen ...“
Tamara blieb neben ihm stehen und schloss sich den drei Männern an. Also begann sie, ebenfalls auf das Bild des Zentralschirms zu starren.
„Vielleicht sind es Nachwirkungen“, murmelte sie sarkastisch. „Darf man fragen, was die drei Herren in solche Erregung versetzen kann?“
Wieder lachte die Funkerin Helga. Meistens war die Crew der ORION vom Dialog-Gefecht zwischen Tamara und Cliff erheitert; nicht immer indes.
„Man darf!“ erwiderte McLane.
Die Spezialistin für Raumüberwachung meldete: „Der Planetoid N 1-16 A, den wir soeben routinemäßig angeflogen haben, zeigt unerwartete Besonderheiten.“
„Welche?“ fragte Tamara den Commander.
„Er besitzt eine Lufthülle, die er nicht besitzen dürfte. Und demzufolge eine relativ hohe Temperatur.“
„Ja ... und?“
McLane drehte sich halb herum und betrachtete seinen Sicherheitsdienst-Leutnant mit einem mitleidigen Grinsen. „Wenn wir unterstellen“, sagte er ruhig, „dass die Daten, die man uns über die Planetoiden mitgegeben hat, stimmen – dann müsste N 1-16 A seit Urzeiten so unfruchtbar sein wie die Gedanken eines Generals in der Etappe.“
Tamara betrachtete den Geländeausschnitt, den der Zentralschirm in leichter Vergrößerung und satten Farben zeigte. Sie nickte. „Ich verstehe“, sagte sie und strich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Und jetzt scheinen Sie etwas entdeckt zu haben?“
„Richtig.“ Cliff McLane deutete nacheinander auf Einzelheiten des Bildes. „Sehen Sie, hier – die Oberfläche. Wir haben nichts als sandiges Feld oder öde Steppe erwartet, ohne jedes Leben. Die Atmosphäre war bisher steril und ohne Lebensmöglichkeiten.“
Seine Hand ergriff jetzt einen Schalter und drehte ihn langsam herum. Das Bild auf dem Schirm schien Sekundenbruchteile lang explodieren zu wollen, schob sich auseinander und wurde dann wieder deutlich: Eine sehr starke Vergrößerung war eingeschaltet worden.
„Und nun sehen Sie sich das hier an!“, sagte Cliff ziemlich leise. „Hier ... und hier“, seine Hand umriss die Einzelheiten, „und hier – das ist eindeutig niedere Vegetation. Zwischen den Halmen und Moospolstern haben wir jede Menge organischen Lebens.“
Tamara schwieg bestürzt einige Sekunden lang, dann erwiderte sie stockend: „Wissen Sie, Major McLane, dass der Ausschuss für Biokontrolle seit einigen Monaten fast täglich außerordentliche Sitzungen einberuft?“
„Tatsächlich?“ fragte Mario de Monti und blickte Tamara an. Sie nickte ihm zu.
„Wie könnte ich das wissen?“ fragte McLane mit mildem Vorwurf. „Ich bin ja schließlich nicht beim galaktischen Sicherheitsdienst.“
Tamara lächelte zuvorkommend. „Aber ich!“ murmelte sie.
„Leider!“ seufzte Helga Legrelle.
„Man hat aus diesen Sitzungen keine Geheimnisse gemacht“, sagte Tamara geduldig, „und wenn Ihnen Ihr ausgedehntes Privatleben, Major McLane, etwas mehr Zeit für Dinge ließe, die ...“
„Also bitte!“ sagte Cliff laut. „Ich kümmere mich ja auch nicht um Ihr sparsames Privatleben!“
„Das“, warf de Monti grinsend ein, „ist es vielleicht gerade, was unsere Tamara so erbost?“
Tamara ignorierte geflissentlich diesen wenig geschmackvollen Einwand.
„Unsinn“, sagte Cliff. „Aber wenn Sie schon so tadellos informiert sind, dann können Sie uns doch sicher sagen, was hier auf N 1-16 A vorgegangen ist.“
Tamara deutete auf das Schaltpult und berührte kurz die Manuellsteuerung.
„Was hält Sie eigentlich davon ab?“ fragte sie kurz. „Sie können auf N 1-16 A landen und sich die Sache aus der Nähe ansehen!“
Cliff grinste. Nach einer kurzen Pause sagte er: „Mich hielt eigentlich nur die Angst vor meinem Sicherheitsoffizier ab, der gewöhnlich jede Initiative des Commanders McLane bei mindestens zehn verschiedenen Dienststellen zur Meldung bringt.“
Tamara ging auf den vorwurfsvollen Ton ein und entgegnete mit gespieltem, aber bestürzend echt wirkendem Ernst: „Von dieser Angst kann ich Sie befreien, Major!“
Sie zog das Mikrofon der Bordsprechanlage zu sich heran, drückte einen Knopf hinein und sagte im Befehlston: „Leutnant Jagellovsk an Maschine: Raumschiff stoppen. Lift ausfahren.“
McLane und Mario begannen zu lachen. Das Gesicht Hasso Sigbjörnsons erschien auf dem Schirm des Videophons, und der Raumschiffsingenieur fragte erstaunt: „Soll das ein Befehl sein, Cliff?“
„Und ob das ein Befehl ist, Hasso!“ bestätigte der Commander.
Hasso drehte sich um und schaltete weitere Geräte aus. „Maschinenraum an Kommandanten“, sagte Hasso dann. „Ich übergebe an Manuellsteuerung.“
„Verstanden.“ Cliff schaltete die magnetischen Anker ein und fuhr probeweise den Lift ein Stück aus, ließ ihn dann wieder zurückgleiten. Dann drehte Cliff sich um und winkte schließlich Mario de Monti zu sich heran, seinen Ersten Offizier und Chefkybernetiker.
„Wir werden draußen nachsehen“, sagte er. „Atans Analyse hat inzwischen ergeben, ob wir Raumanzüge brauchen oder nicht.“
„Ihr braucht sie nicht“, sagte Atan ruhig. „Aber ihr dürft nicht zu lange auf der Oberfläche des Planetoiden bleiben. Die Luft ist atembar, aber sehr dünn. Nicht länger als zehn Minuten!“
Cliff blickte auf die Armbanduhr, zog dann aus dem Fach neben dem Steuerpult sein Handsprechgerät und steckte es auf den Arm. „In Ordnung“, sagte er, sah Mario zu, der ebenfalls ein Funkgerät über das Handgelenk schob und ging dann zusammen mit dem Ersten Offizier zum Lift. Die halbrunde Tür schloss sich, der Lift hielt eine Ebene weiter unten.
„Beeilen wir uns!“ sagte Mario warnend, während sie in die Kammer des teleskopisch ausfahrbaren Lifts traten.
„Wir haben es in weniger als zehn Minuten geschafft“, versprach Cliff und betätigte den Knopf. Eine kurze Zeit später berührte der Boden des Lifts die Kiesfläche, über der wie ein silberner Schatten die ORION schwebte.
Mario atmete tief ein, vorsichtig und langsam. „Riecht nach Moder“, stellte er fest, „aber nicht schlecht. Dünn wie Höhenluft.“
Cliff nickte und schwieg. Dann trat er aus dem schützenden Lift hinaus in das Licht einer seltsam gelben Sonne, die vier Astronomische Einheiten entfernt war. Etwa ein Drittel der Erdschwerkraft herrschte auf der Oberfläche dieser kleinen Welt. Dicht hinter Mario ging Cliff ungefähr zehn Meter über den feuchten Kies, dann drehte er sich um und ging langsam in den Kniekehlen zu Boden. Er stützte sich mit den Händen und betrachtete eines der runden Moosbüschel. Die ORION warf einen fast kreisrunden Schatten, und in diesem Schatten war es warm.
Stickige, dünne Luft trug die Gerüche wuchernder Pflanzen mit sich, und von irgendwoher hörten die beiden Männer die Geräusche winziger Wellen, den Ton von einem schmalen Rinnsal, das über Steine plätscherte.
„Moos! Frisches Moos!“ sagte McLane. Er sah ungläubig zu Mario hinauf. Der erste Offizier zuckte hilflos mit den Schultern.
„Tatsächlich. Dunkelgrünes, fettes Moos.“ Cliff streckte die Hand aus und berührte die Spitzen der Moosfasern. In der gleichen Sekunde zuckte die Hand zurück, und zwischen den Fingern und dem Moos knisterte eine elektrische Entladung. Ein heftiger Schlag traf Cliff. Die Nerven seines rechten Armes begannen zu schmerzen; es roch nach dem freigewordenen Ozon.
„Offensichtlich eine neue Art von Moos“, sagte Mario ohne jeden Sarkasmus. Cliff stand auf und massierte sein Handgelenk. Das elektrische Moos auf dem Planetoiden N 1-16 A schien gefährlich zu sein ...
*
Bedächtig streifte Cliff die Handschuhe über und bückte sich dann wieder. Mit einem schnellen Ruck riss er ein Büschel des dichten, langflorigen Mooses aus und hielt es auf der Handfläche Mario entgegen. Mario musterte den Fund schweigend und deutete dann auf einen Fleck, etwa fünfzehn Meter entfernt.
„Hier ist sogar Gras“, sagte er. Die Männer kannten als Raumfahrer natürlich die Gesetze der Evolution, aber sie waren keine Spezialisten.
„Tatsächlich!“ sagte Cliff und zerfaserte gedankenlos das Moosbündel.
„Es fehlen nur noch eine Schafherde und eine Rokokoschäferin“, stellte Mario fest. „Dann wäre die Idylle komplett.“
Cliff ließ das Moos wieder zu Boden fallen und sah die Eindrücke der leichten Raumfahrerstiefel, die vom Liftausgang bis hierher führten und langsam voll Wasser liefen.
„Schafe?“ fragte er und lächelte. „Wie ich dich zu kennen glaube, denkst du weniger an die Schafe als an diese Schäferin.“
Mario quälte sich ein Grinsen ab. „Oh... mit einem Drittel g zurück zur Natur“, murmelte er. Das Armbandsprechgerät summte auf wie eine wütende Hornisse.
„Ja?“ meldete sich Cliff.
Tamaras Stimme war zu hören. „Major McLane“, sagte sie laut, in neutralem Tonfall, „bitte nehmen Sie nicht nur Pflanzen, sondern auch Gesteinsproben mit zurück ins Schiff.“
Wortlos blickten sich Mario und Cliff an. Dann antwortete der Commander: „Pflanzen und Gesteinsproben. Selbstverständlich. Wenn Sie mir verraten, worin ich die Dinge verstauen soll, bringe ich Ihnen auch noch einige Spezimen der Fauna mit. Sie werden zwar nicht Dinosaurier-Format haben, aber immerhin könnten sie das Bild von N 1-16 A abrunden.“
Tamara schwieg kurz, dann erwiderte sie hastig: „Ich bringe Ihnen die Behälter hinaus, Major.“
Cliff schaltete ab und murmelte: „So ist es recht.“ Sie blieben stehen und sahen sich um. Die Landschaft dieses großen Planetoiden war ohne jeden Reiz, sah man von dem Moos ab, das elektrische Schläge austeilte. Cliff McLane fragte sich, ob dieses Phänomen einen Schutz der Pflanze darstellte oder rein statischer Natur war. Vermutlich letzteres; es konnte hier keine Tiere geben, die größer waren als primitive Würmer.
Niedrige Hügel, langgestreckt wie die Falten eines schmutziggelben Tuches, unterbrachen die gerade Linie des Horizonts. Die Sonne stand als ein sehr kleiner, gelber Fleck hinter wassergesättigtem Nebel. Das Schiff warf einen Schatten, dessen Ränder unscharf waren. Das Geräusch, mit dem sich der Lift wieder aus dem Unterteil des Schiffes schob, unterbrach McLanes Gedanken. Tamara kam heraus und trug eine Anzahl von stählernen Behältern mit sich, die durch ein winziges Aggregat versorgt wurden; man konnte in ihnen Kälte oder Wärme erzeugen.
„Danke“, sagte Cliff, als Tamara Jagellovsk zwischen ihm und Mario stand. Die Stiefel sanken trotz der geringen Schwerkraft relativ leicht ein; und unhörbar sickerte Wasser in die Konturen. Sie stachen ein Moosbündel aus. Handschuhe verhinderten, dass die Männer und Tamara von weiteren Schlägen getroffen wurden. Dann wurde eine Wasserprobe entnommen, ein Stück Boden aus einer Tiefe von dreißig Zentimetern.
Nebeneinander gingen sie auf die Gräser zu, die wie in den Boden gesteckte Requisiten eines naturalistischen Theaterstücks wirkten. Mehrere Halme wurden abgeschnitten ... eine der schlanken Pfahlwurzeln ausgestochen ... etwas vom Boden. Das letzte Glas wurde mit Schlamm aus einer ruhigen Ablagerung des schmalen Rinnsals gefüllt, dann gingen die drei Personen wieder zurück zum Schiff.
„Ungewohnt, aber nicht unangenehm“, stellte Tamara fest und meinte die geringe Schwerkraft.
„Richtig. Man fühlt sich so angenehm leicht – wie beim Tanzen“, sagte Mario. Cliff betrachtete skeptisch den breiten Rücken des Ersten und fragte sich, ob die Feststellung ironisch gemeint war. Sie betraten die Höhlung des Lifts, und die Schleuse schloss sich, nachdem Mario den Knopf gedrückt hatte. Ein zweiter Druck ließ die Elemente der Hydraulik zusammenfahren, die Lager rasteten ein, und der Lift kam in der Mitte des Unterschiffs zum Stehen.
„Ich gebe zu“, murmelte Cliff und ließ Tamara an sich vorbei auf den schmalen Korridor treten, „dass dieser Abschluss unserer Inspektionsfahrt einigermaßen dramatisch wurde.“
Mario nickte ernst. Die tiefen Querfalten auf seiner Stirn bewiesen, dass er über Probleme nachdachte, die nur er kannte.
„Woran denkst du?“ fragte Cliff und folgte dem Leutnant erster Klasse Jagellovsk, die neben der Tür ihrer Kabine haltmachte, um die Stiefel auszuwechseln.
„An nichts Bestimmtes“, sagte Mario. „Ich werde es dir später sagen.“
Sekunden später waren sie in der Kommandokanzel, und Mario programmierte die Daten der Erde, der Basis 104. Ihr Auftrag, in dessen Verlauf sie unzählige jener kleinen, bedeutungslosen Welten aufgesucht und beobachtet hatten, war beendet. Und es sah aus, als würde sich das Gesetz der Serie bestätigen.
Aus winzigen Anlässen entwickelten sich bedeutende Dinge. Aus scheinbar unwichtigen Vorkommnissen, die von der Mannschaft der achten ORION bemerkt wurden, entwickelten sich akute Gefahren für die Erde und das System der Planeten.
Die ORION VIII nahm Fahrt auf, hob von der Oberfläche des Planetoiden ab und schraubte sich durch die dünne Atmosphäre hinauf. Die Dunkelheit des Weltraums nahm sie auf, und ganz kurz bemerkte Mario de Monti etwas wie einen dunkelroten Streifen, der sich quer durch die Unendlichkeit zu spannen schien. Mario starrte auf den Schirm, aber er sah nichts mehr. Er glaubte an eine Täuschung.
Das Schiff raste der Erde entgegen. Nicht einmal Cliff McLane ahnte, dass die Funde in den Probegläsern nichts weniger als explosiv waren, die Fotos, die Atan Shubashi von N 1-16 A gemacht hatte, die letzte Bestätigung eines fürchterlichen Verdachtes darstellten. Zehn Stunden später ruhte die ORION VIII in der Basis 104.
*
Die Mannschaft ging, nachdem Cliff und Hasso sämtliche Maschinen abgeschaltet hatten, ruhig von Bord. Helga Legrelle würde die Proben der neuerwachten Natur des Planetoiden, verpackt in einer leichten Bordtasche, an der richtigen Stelle abliefern; es befand sich ein Zweiglabor von Science Center in Basis 104. Zuerst verließ Hasso Sigbjörnson das Schiff, der fünfundfünfzigjährige Leutnant und Raumingenieur. Helga Legrelle, der Leutnant für Raumüberwachung und Funker der ORION, folgte. Erster Offizier Mario de Monti meldete sich ab und fuhr mit einem der zahlreichen Lifts hinauf zur Oberfläche. Atan Shubashi schüttelte Cliffs Hand und verabschiedete sich. Die Mannschaft hatte genau sieben Tage Urlaub, dann würde man sie zu einem neuen Auftrag einteilen.
Langsam gingen Cliff und Tamara nebeneinander aus dem riesigen zylindrischen Raum der Basis hinaus. An den senkrechten Stahlwänden spielten die Lichtstrahlen der Scheinwerfer, und die Fläche der doppelten Schirme, die Kilometer von Wasser abhielten, reflektierte den Schein.
„Sie machen ein skeptisches Gesicht, Major McLane“, stellte Tamara in halblautem Gesprächston fest.
Cliff senkte den Kopf. „Ich fürchte, dass dieses Moos mit elektrischen Schlägen und die wenigen Halme, die wir mitbrachten, noch einen Dschungel von Folgerungen nach sich ziehen werden.“
„Wir fanden Leben, wo es kein Leben geben dürfte. Beunruhigt Sie das in diesem Maße?“ fragte Tamara zurück. Cliff öffnete die Schleusentüren, die automatisch von schweren Maschinen bewegt wurden.
„Das weniger. Aber dieses Leben ist nicht entstanden, weil die Natur es wollte, sondern es entstand durch einen Prozess, den wir nicht kennen. Mario hat einige aufregende Theorien, aber er kann sie noch nicht beweisen.“ Sie gelangten an eine Abzweigung.
„Welche Thesen?“ fragte Tamara beunruhigt.
„Das primitive Leben auf N 1-16 A entstand, weil dieser Planetoid in eine Zone des Alls hineingezogen wurde, in der einmalig günstige Bedingungen herrschten – und noch herrschen. Betrachten Sie die Planeten: Merkur, Venus, Erde und Mars. Von ihnen sind drei in einer Entfernung, die Leben ermöglicht. Die Entfernung von der Sonne, meine ich. Venus entwickelte Leben, Merkur keines. Mars entwickelte ebenfalls Leben, das aber nicht in der Lage war, sich zu komplizierten Formen aufzuschwingen. Nur die Erde, die sich in geeignetem Abstand von der Sonne bewegt, brachte hochentwickeltes Leben hervor. Nach sämtlichen einschlägigen Erfahrungen von dreitausend Jahren biologischer Forschung dürfte außer einer völlig sterilen Atmosphäre auf N 1-16 A nicht einmal ein Kristall wachsen.“
Tamara schüttelte seine Hand. „Ich verstehe“, versicherte sie leise. „Zwar noch nicht alles, aber wenigstens die Umrisse.“
ZWEI
Zwei riesige Bildschirme, die sich nebeneinander befanden, beherrschten den Raum: zwei rechteckige Flächen, auf denen Bilder zu sehen waren. Diese Bilder waren der Grund der Unruhe, die von den Männern hier im Raum Besitz ergriffen hatte. Zwei fast völlig identische Bilder.
Rechtes Bild: Eine Landschaft, die unter dem stechenden Licht einer winzigen, stechenden Sonne lag. Stechendes, grelles Gelb. Harte Schatten werfend. Die langgestreckten Hügel des Hintergrundes waren leer und steinig. Im Vordergrund befand sich eine Struktur, die wie ein ausgewaschenes und ausgestorbenes Flussbett aussah. Weiße, reifbedeckte Kiesel und eisknirschender Sand. Nicht die Spur einer Vegetation. Nicht einmal verweste oder versteinerte Reste einer solchen. Nichts. Kosmische Öde.
Linkes Bild: Die gleiche Landschaft. Das Sonnenlicht war milder und wurde von einer dichten Atmosphäre gefiltert wie von Nebel. Die langen Hügel waren nicht mehr leer und steinig, sondern überwuchert von Flecken und Linien dunklen Grüns. Im Vordergrund wuchsen auf Steinen Moosballen. Aus abgelagertem Schlick stachen harte Gräser hervor. Und in dem leeren Bett eines Flusses, der Jahrtausende lang keinen Tropfen Wasser geführt hatte, bewegte sich ein Streifen klaren Wassers.
Die fünf Männer starrten schweigend auf die Bilder. Sie erkannten die Unterschiede, aber nicht jeder von ihnen erkannte die drohenden Gefahren, die von diesen Bildern ausgingen. Nicht das, was die Bilder zeigten, war gefährlich, sondern das, was für die Veränderung des linken Bildes verantwortlich war.
„Wir sehen hier zwei Aufnahmen des Planetoiden Nutamion 1-16, kurz: N, Zusatz A wie alpha“, sagte Dr. Schiller, der Vorsitzende des Interstellaren Ausschusses für Biokontrolle. Er machte eine dramatische Pause.
„Das rechte Bild ist knappe zweihundert Jahre alt. Es zeigt diese Welt, wie sie katalogisiert wurde, bevor man ihr einen Platz im Handbuch zuwies. Absolut leblos. Wir wissen nicht, woher diese Welt stammt, wann sie Leben getragen hat und warum auf ihr jedes Leben ausgestorben war.“
In der Pause zwischen zwei Sätzen hörte man das angestrengte Atmen Marschall Wamslers.
„Jedenfalls war N 1-16 A ohne jedes Leben. Bis McLane und seine Leute im Zuge einer Routinekontrolle dort eintrafen. Sie stellten fest, was wir hier sehen, nahmen einige Proben von Fauna und Flora mit, machten einige Serien von Fotos und lieferten alles bei uns ab.“