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Raumpatrouille Orion ist eine Kult-Fernsehserie der späten 1960 Jahre. Es war die erste gelungene SF-Serie aus Deutschland. Die in schwarz-weiß gehaltenen Sendungen waren das, was man einen Straßenfeger nannte. Millionen saßen vor den Fernsehern und folgten der Crew von Alastair McLane alias Dietmar Schönherr.
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Seitenzahl: 172
Veröffentlichungsjahr: 2024
Hanns Kneifel
Raumpatrouille Orion 3
Hüter der Gesetze
Saphir im Stahl
Raumpatrouille Orion 3
Hanns Kneifel - Hüter der Gesetze
e-book Nr: 277
Erste Auflage 01.02.2025
© Saphir im Stahl
Verlag Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
www.saphir-im-stahl.de
Titelbild: Crossvalley Smith
Lektorat: Peter Heller
Vertrieb: neobooks
Hanns Kneifel
Raumpatrouille Orion 3
Hüter der Gesetze
Saphir im Stahl
EINS
Port Musgrave, Australien, Terra. Es war siebzehn Uhr. Der Saal lag oberhalb des Tunnelsystems, halb in den sanften Hang des Ufers hineingebaut. Es war das Westufer der U-förmigen Carpentariabucht in der Nordspitze Australiens, der östliche Ausläufer des Landes. Unterhalb des Golfs war die Startanlage untergebracht, und in den Felsen zogen sich die Gänge hin, waren die Hallen der mächtigen Energiemaschinen und der Reaktoren, befanden sich die geschützten Büros sämtlicher Dienststellen und das Nachrichtennetz der Raumschiffbasis 104.
Die Sonne, ein gigantischer Ball von orangeroter Farbe, ging weit hinter Wessel Island unter. Eine langgestreckte Wolkenbank erhob sich über den Horizont und zerteilte den Ball in zwei Halbkreise. Irgendwo röhrte das Triebwerk einer schweren Transportmaschine. Dann war wieder Stille.
„Meine Damen, meine Herren“, sagte Instruktionsoffizier Typhoon C. Rott, „ich bitte um eine Kleinigkeit mehr Aufmerksamkeit.“
„Gern!“, rief jemand aus dem Auditorium.
Rund zwanzig Zuhörer hatten auf den bequemen Sesseln Platz genommen. Die Sitze umstanden im Halbrund eine runde Plattform, hinter der einige Lehrgeräte zu sehen waren. Einige ungewöhnliche und neuartig geformte Ausrüstungsgegenstände waren auf der Plattform untergebracht.
Neben ihnen standen zwei Robots; gedrungene Arbeitermodelle für schwere und schwerste Einsätze mit auswechselbaren Gelenken.
„Da ich“, sprach Rott ungerührt weiter, „meinen Beruf schon länger innehabe, gestatten Sie mir einen Hinweis: Ich bin überzeugt, dass das, was ich Ihnen hier vorzutragen die Absicht habe, für Sie alle höchst langweilig ist. Sie hingegen verlassen sich darauf, und zwar blindlings, dass Sie immer einen Robotpsychologen in der Nähe haben, der die kybernetischen Gesetze kennt, die Sie selbstverständlich schon längst vergessen haben.“
Rott war ein hagerer Mann mit einem sardonischen Grinsen auf den dünnen Lippen, der sein pädagogisches Amt schon so lange innehatte, dass er abgebrüht war. Aus diesem Grund verschwand das überlegene Grinsen niemals aus seinem Gesicht, und seine Sprechweise wurde von Kurs zu Kurs ironischer. Nur wenige Menschen nehmen es mit philosophischer Ruhe hin, wenn ihre Bemühungen ohne Erfolg im Sand verlaufen.
„Was aber“, fragte Typhoon C. Rott weiter und musterte Tamara Jagellovsk aus berufsmäßigem Interesse etwas schärfer, „tun Sie, wenn der von Ihnen stets mit gelassener Geringschätzung behandelte Robotpsychologe ausfällt oder nicht in der Nähe sein sollte? Sie sind dem Robot hilflos ausgeliefert, werte Zuhörer.“
Die Zuhörer waren tatsächlich gelangweilt. Es waren Männer und Frauen des Galaktischen Sicherheitsdienstes, unter ihnen Leutnant Erster Klasse Tamara Jagellovsk, die vom Schicksal und von ihrem Vorgesetzten mit der Beobachtung und der Kontrolle Commander McLanes gestraft worden war. Ferner sah man einige ergraute Raumschiffer, ein paar Kreuzerkommandanten, zwei Kapitäne von Transportschiffen und etliche elegisch dreinblickende Waffenoffiziere.
Bis auf Hasso Sigbjörnson, den Ingenieur der ORION, war die Mannschaft des Schiffes vollständig anwesend. Sie saß nebeneinander in der ersten Reihe und war bemüht, die Bedeutung dieser Sitzreihe durch den Ausdruck besonders großer Gelangweiltheit zu neutralisieren.
Hasso hatte einen Grund gefunden, dem Vortrag fernzubleiben.
Rott sprach langsam und betont weiter. „Selbstverständlich sind Sie dem Robot vollkommen ausgeliefert, falls dessen Programmierung mit den bestehenden Verhältnissen nicht mehr übereinstimmt.“
Atan Shubashi, der fast kahlköpfige Astrogator der ORION VIII, saß zwei Plätze rechts von McLane.
Der Commander grinste Atan an. „Der Mann sollte etwas weniger angeben“, knurrte McLane.
„Ich nehme an, dass Sie alle wissen, was sich kürzlich auf der Kolonie Alpha einundzwanzig ereignet hat?“
„Nein. Was denn?“, fragte Mario de Monti halblaut. Er saß zwischen McLane und Atan Shubashi.
„Eine Gruppe Roboter war programmiert worden, Wasser aufzustauen“, sagte Typhoon C. Rott, ohne direkt auf die Frage einzugehen. „Sie stauten jenes Wasser so lange, bis beinahe die gesamte Kolonie ertrank – nur weil der Robotpsychologe ausfiel und niemand eine Ahnung hatte, wie die Programmierung eines einfachen Robots geändert werden kann.“
Tamara Jagellovsk stand links neben McLane und stützte sich auf die Lehne eines leeren Stuhles. Überhaupt schien es, als höre nicht ein Einziger der Anwesenden richtig zu. Einige der Raumleute unterhielten sich flüsternd miteinander, andere hatten die Augen geschlossen, wieder andere waren unaufmerksam – es sah aus, als wollten sie Rott boykottieren.
„Man braucht nur die elektronischen Blöcke auszuwechseln“, murmelte Tamara, und McLane sah zu ihr hinauf und schüttelte den Kopf.
„Schade“, sagte er bissig, „dass Sie nicht dort waren, als das Wasser stieg. Ich hätte etwas darum gegeben, wenn Sie nach Alpha einundzwanzig versetzt worden wären.“
Tamara lächelte und zuckte gleichgültig die Achseln. Seit einem Monat flog sie mit McLane, und seit einem Monat herrschte offene Feindschaft zwischen dem Commander und dem GSD-Offizier. Sie wurde in periodischen Abständen von Anflügen der Vernunft unterbrochen, aber es war kein Ende abzusehen. Noch fünfunddreißig Monate ... Tamara schauderte, wenn sie daran dachte.
„Es ist also in Ihrem eigenen Interesse, meine Damen und Herren, wenn Sie genau zuhören. Besiegen Sie Ihren Unwillen – Vorträge sind Teile der Allgemeinbildung, und wenn ich Ihr Benehmen betrachte, so erscheint es mir, als hätten Sie alle etwas Bildung mehr als bitter nötig. Noch einmal: Die Roboter der WK-Serie sind Arbeits- oder Kampfmaschinen, in deren Gehirn die drei Robotgesetze fest verankert sind, unabhängig von dem Programm.“
Das Auditorium war jetzt etwas ruhiger und aufmerksamer. Die Versammelten betrachteten die Robots. Es waren zwei gleich aussehende Modelle der WK-Serie, die unter dem Begriff ›Worker‹ bekannt war, abgeleitet von den Kennbuchstaben. Ein Körper, der einem aufgeblähten Diskus glich, trug sechs Arme und einen ›Kopf‹, ruhte und bewegte sich auf einem geschwungenen Fuß und einem Antischwerkraftaggregat.
„Wie Sie wissen, gibt es drei Robotgesetze. In grauer Vorzeit wurden sie erstmalig von einem Wissenschaftler und Schriftsteller konzipiert, und sie erwiesen sich bis auf den heutigen Tag als völlig ausreichend. Das erste Robotgesetz lautet: Ein Robot darf kein menschliches Wesen verletzen oder durch Untätigkeit gestatten, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird.“
Atan, der heute offensichtlich seinen geistreichen Tag hatte, sagte kurz und laut: „Wie uns das freut!“
Einige Zuhörer lachten, und Rott betrachtete den Astrogator mit dem Interesse, das ein Wissenschaftler einem seltenen Insekt entgegenbringt.
„Das zweite Gesetz, das unauslöschlich in das ›Gehirn‹ eines jeden arbeitenden Robots eingegraben ist, lautet: Ein Robot muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen, es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren.“
Rott deutete auf einen der beiden Robots.
„Nun denken unsere Robots mit dieser Ausstattung zwar logisch, aber nicht immer vernünftig. Das bedeutet, dass sie sich nicht auf eine veränderte Situation umstellen können. Sie nehmen Eindrücke von außen auf, verarbeiten sie unvollständig und schaffen dadurch Unklarheiten. Das kann zu Störungen der Programmierung führen und zu eigenwilliger Auslegung der Befehle.
Das dritte Robotgesetz hilft bei einfachen Modellen mit, eine solche Unklarheit zu schaffen. Es lautet: Ein Robot muss seine eigene Existenz schützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.“
Einer der beiden Robots stand bewegungslos über einer glänzenden Platte, die einen Durchmesser von drei Metern aufwies und nicht höher als zwei Zentimeter war. Ein dickes gelbes Kabel führte von der Platte bis zu einer Halbkugel, die mit der flachen Schnittfläche auf dem Boden ruhte; hier wurde die Energie für die Impulsplatte transformiert.
„Hier haben wir einen Robot vom Typ WK – Worker –, eine mittelschwere Arbeitsmaschine. Bei diesem Robot haben wir zu Demonstrationszwecken eine leichte Störung des Korrelationszentrums vorgenommen. Die elektronischen Befehlsfolgen sind in Ordnung. Dieser Robot hat eine kybernetische Neurose, vorsichtig ausgedrückt.“
Einige Personen im Auditorium, die offensichtlich etwas von Robots und von automatischen Bändern verstanden, lachten leicht. Rott ging an dem durch ein Netz von Schwerefeldstrahlen gefesselten Robot vorbei und trat vor eine der großen Schaltplatten.
„Der zweite Robot ist völlig normal, ohne Störungen.“
Mit scharfer Befehlsstimme gab Typhoon C. Rott ein Kommando. „Worker 3184!“
Der Robot reagierte, indem auf einer Seite seines Kopfteiles eine Reihe von Lichtern in einem schnellen Rhythmus aufglühten und erloschen.
„Schalttafel!“, sagte Rott hart.
Der Robot setzte sich langsam und lautlos in Bewegung. Er glitt auf einem Feld von Antischwerkraftstrahlen dahin, und die Suchautomatik in seinem Fußteil wies ihm den Weg. In ihr waren eine Anzahl von Selenzellen und Photozellen installiert.
„Stop!“
Der Roboter blieb stehen, als das Wort noch im Raum hing.
„Schalttafel!“
Wieder glitt die Maschine lautlos vorwärts. Die elektronischen Schaltkreise reagierten nahezu in Nanosekunden, und der Bewegungsapparat schaffte es immerhin in einer geringeren Einheit. Der Roboter schwebte bis zur Schalttafel, die mit einigen blitzenden Schaltknöpfen für die Armgeräte des Robots präpariert worden war.
„Befreie Worker 2714!“
Einer der Teleskoparme des Robots bewegte sich leicht aufwärts, und der silberne Schutzbalg faltete sich auf. Dann fuhr der Arm weiter aus, und das Handgelenk drehte sich in Auf-Stellung. Langsam näherte sich die Greifschale des Robotarms dem Schaltknopf und umfasste ihn behutsam. Mit diesem Werkzeug aus Chromstahl war ein Robot in der Lage, Steine aus einer Felswand zu brechen und Eisenstangen zu biegen.
„Los!“
Der glitzernde Knopf, wie eine Kugel auf einem mittellangen Stiel geformt, glitt nach rechts. Die Schaltung setzte die Impulsplatte außer Funktion; der gestörte Arbeitsrobot war frei. Winselnd lief ein Motor in seinem Innern an, dann verlor sich das Geräusch.
Die Menschen, die dem Geschehen jetzt gebannt zusahen, schwiegen überrascht. Um die Lippen des Robotwissenschaftlers lag wieder das sarkastische Lächeln; er kannte diesen Effekt seines Vortrags zu genau. Der befreite Robot glitt langsam, fast wie in Zeitlupe, vorwärts.
Die Kraft, die ihn vorwärtsschob, war imstande, einige Tonnen Erz zu schleppen oder schwerste Gepäckstücke meterhoch zu heben. Unter einem niederkrachenden Arm der Maschine wurde die Barriere, die Auditorium und Demonstrationsplattform trennte, in Scherben aus Plexol und Holz verwandelt. Es klirrte und knirschte unheilvoll.
„Rott will zeigen, was seine Lieblinge alles können!“, bemerkte McLane und nahm seine Hand von der Lehne des Stuhles.
„Sie werden doch nicht etwa Angst vor einem Robot haben?“, bemerkte Tamara in genau dem spöttischen Ton, der McLane am meisten ärgerte.
„Nicht einmal vor Ihnen, Leutnant!“, sagte McLane und ergriff seine Waffe. Er ging kein Risiko ein.
Geschlossen blieb die Mannschaft von ORION VIII sitzen, während hinter ihnen Personen aufsprangen. Schreie waren zu hören; sie kamen von den weiblichen Zuhörern. In das Gelächter eines Frachterkapitäns in der hintersten Reihe mischte sich das Knirschen und Prasseln des zertrümmerten Geländers, über das der Robot jetzt glitt.
Die Strahlen seiner Bewegungsapparatur verwandelten die Bretter und Stahlstangen in Trümmer. Bedächtig zog McLane seinen Strahler und entsicherte ihn. Der Worker war noch drei Meter von ihm entfernt; nicht einmal Atan machte eine dumme Bewegung. Er saß kreideweiß in seinem Sessel, und seine Hände umspannten die Lehnen.
„Halt!“, schrie Rott durch den Lärm McLane zu. Ein warnender Blick traf den Commander. Typhoon C. Rott bewegte sich plötzlich mit überraschender Schnelligkeit. Er lief drei Meter neben dem Robot vorbei, der noch immer an der Tafel stand und griff mit der Linken nach einer Blende am Kopfteil von 2714.
Eine schmale Klappe glitt auf, und die Rechte des Robotwissenschaftlers griff in das Innere des Steuerteils der Maschine. Der Robot erstarrte inmitten der Trümmer auf der Stelle, zwei Meter von McLane entfernt. Der Commander sicherte seine Waffe und befestigte sie an dem breiten Gürtel. Die Zuschauer setzten sich wieder, und eine erwartungsvolle Stille trat ein.
„Sie sehen, meine Damen und Herren“, sagte Rott mit seinem spöttischen Grinsen, „dass man eine gewisse Dramatik nicht verleugnen kann. Unser tapferer Commander hier wollte sogar einen wertvollen Robot vernichten, weil er sich bedroht fühlte. Die eingebaute Kontrolle ermöglicht es uns, die gesteuerten Grundreflexe zu korrigieren. Wir müssen nur die einzelnen Potentiale löschen, die der Robot aufgebaut hat. Ich habe sie gelöscht, indem ich auf den Null-Knopf drückte.“
Er wandte sich an die erstarrte Maschine, deren riesiges Auge ihn böse anstarrte. „Worker – Position a!“
Der Robot drehte sich langsam und ging zurück zur Impulsplatte, in deren Mitte er stehenblieb. Rott folgte dem Robot und sagte, sobald er wieder neben der Schalttafel stand: „Bitte – geben Sie jetzt acht, wie das Auswechseln und Korrigieren der elektronischen Relais vor sich geht.“ Er deutete auf eine Zeichnung an einer der Tafeln.
McLane drehte sich halb herum, als ein junger Ordonnanzoffizier zwischen den Sitzreihen bis zur ersten Reihe des Auditoriums herunterkam und sich suchend umblickte. Es war ein außergewöhnlich gutgewachsener weiblicher Offizier. Die junge Frau entdeckte McLane, kam näher und salutierte kurz. Der Blick, mit dem sie den Commander ansah, drückte unverhohlene Bewunderung aus. Tamara Jagellovsk zog verächtlich die Brauen hoch.
„Ja - bitte?“, sagte McLane und blieb sitzen.
Die Ordonnanz räusperte sich zweimal und wurde rot, als sie Atans Grinsen bemerkte. Dann sagte sie, als habe sie auf dem Weg hierher den Text mühsam auswendig gelernt: „Commander, Sie sollen sich augenblicklich mit dem Hauptquartier der terranischen Raumaufklärungsverbände in Verbindung setzen. Es eilt!“
McLane warf der Ordonnanz einen gereizten Blick zu, dann lächelte er verloren und entschuldigend. Langsam drehte er sich um, blickte Tamara an und zuckte die Schultern, sah fragend auf de Monti.
Rott sagte mit erhobener Stimme: „Jedes elektromagnetische Relais hat nur zwei Stellungen: Ein und Aus ...“ Er deutete zuerst in das geöffnete Schädelteil des Robots, dann auf die Schemazeichnung auf einer der Tafeln.
„Es ist dringend, Major!“, sagte der weibliche Offizier. Grimmig bemerkte der Major zu Tamara:
„Meine vorgesetzte Behörde verfügt offensichtlich auch nur über den spärlichen Wortschatz von Robotern. ›Eilt!‹, ›Geheim!‹ und ›Dringend!‹ Und jedesmal mit einem riesigen Ausrufungszeichen dahinter. Kommt, Kinder!“
Tamara fühlte sich zwar nicht direkt angesprochen, wandte sich aber zum Gehen. Der Astrogator, der Offizier für Raumüberwachung Helga Legrelle und der Erste Offizier standen auf und gingen mit McLane langsam auf den Ausgang zu. Tamara folgte ihnen. Mario schien etwas verloren zu haben; sein Blick war nicht von den Kniekehlen der weiblichen Ordonnanz wegzubringen.
„Schon eine geringfügige Umstellung in der Befehlsintensität dieser elektromagnetischen Befehlsbänder ist ausreichend. Sie müssen diese Umstellung jedoch korrekt vornehmen, meine Damen und Herren. Wir schalten dabei um von Ypsilon 18 auf Ypsilon ... “
Das waren die letzten Worte, die McLane und seine Leute hörten, ehe sich die automatische Tür des Vortragssaales hinter ihnen schloss . McLanes Crew ging hinter der Ordonnanz hinaus in den frühen Abend. Weder Commander McLane noch sein weiblicher Bewacher ahnten, dass jener letzte Satz eines Tages eine ungeahnte Bedeutung erhalten würde.
*
Commander Cliff Allistair McLane, braunhaarig, mit effektvoll in die Stirn frisiertem kurzem Haar, befand sich in der Rolle eines Außenseiters, ohne den die Gesellschaft offensichtlich nicht leben konnte. Er war, weil seine Art der Schiffsführung und seine lockere Auffassung von Verordnungen und Ausführungsbestimmungen viele Leute gestört hatten, zum Sonderdienst abkommandiert worden. Zwar brachte es dieser Sonderdienst mit sich, dass McLane in noch ärgere Abenteuer hineingezogen wurde, aber dieses wiederum rührte seine Vorgesetzten wenig.
Die Entdeckung von Fremden, von Invasoren, die einen Relaissatelliten gekapert hatten, zählte ebenso wenig wie die Vernichtung des Planeten, der die Erde bedroht hatte – Cliff blieb im Sonderdienst. Die Flüge, die er unternahm, hatten entschieden infantilen Charakter; ein Kadett hätte sie ausführen können. Und überall fühlte Cliff den wachsamen Blick von Tamara Jagellovsk im Nacken, die mit der peinlichen Pedanterie aller GSD-Offiziere darüber wachte, dass Cliff oder jemand aus seiner Crew nicht einen Fingerbreit von den genauen, nach Millimeter bemessenen Wegen der Dienstvorschriften abwich.
Der Ordonnanzoffizier salutierte flüchtig, warf Cliff einen sehnsüchtigen Blick nach und entfernte sich nach rechts.
De Monti blickte ihr nach, bis auch ein sechseckiges Schott hinter ihr geschlossen hatte.
„Pass auf, Mario, sonst fallen dir die Augen aus den Höhlen, und jemand tritt darauf!“
De Monti schluckte etwas hinunter und nickte betrübt.
Zu Tamara sagte der Commander: „Gibt es beim galaktischen Sicherheitsdienst noch keine Scheuklappen, die man schönheitshungrigen Offizieren umbinden kann?“
Langsam gingen sie einen Korridor entlang; es hatte geheißen, dass es dringend sei.
Ohne zu lächeln gab Tamara die Antwort. „Nein. Ich habe aber unter Umgehung des Dienstweges erfahren, dass das gesamte weibliche Korps durch Worker-Roboter ersetzt wird.“
De Monti holte mit einigen Schritten auf und fragte giftig: „Sie etwa auch, Leutnant?“
Tamara lächelte ihn schmelzend an.
Monti sah, dass das Lächeln so unecht wie nur möglich war.
„Wieso ich?“, fragte Tamara leise. „Wussten Sie nicht, dass ich ein besonders hochentwickeltes Exemplar eines Robots bin?“
McLane begann zu lachen. Er musste zugeben, dass Tamara hin und wieder sehr gute Antworten geben konnte.
„Passen Sie nur auf, Tamara!“, warnte de Monti und ignorierte das Gelächter seines Chefs.
„Worauf?“, erkundigte sich Leutnant Jagellovsk.
„Eines Tages“, sagte Mario de Monti prophezeiend und machte mit seinen Händen die Bewegungen eines Schraubenziehers nach, „werde ich Sie auseinandernehmen und nachsehen, was bei Ihnen immer so unangenehm tickt!“
Die geräumige Kabine eines Expresslifts nahm die Mannschaft auf. Atan wählte Stockwerk und Korridor und drückte dann den Startknopf. Der Lift begann seine rasende Fahrt abwärts, und es knackte in den Ohren. Die Personen blickten die Leuchtanzeige an und schluckten alle zehn Meter einmal, um den Druck loszuwerden. Einige Minuten später standen sie vor der Tür zu Wamslers Vorzimmer. Ein weiblicher Fähnrich stand auf und salutierte.
„Commander McLane! Ich habe dringende Order vom Marschall für Sie!“
McLanes Mannschaft baute sich in einer Reihe vor dem Schreibtisch des Fähnrichs auf. Die Mienen der Männer und das sonst reizende Gesicht Helga Legrelles waren mehr als finster; sie ahnten ungefähr, was man ihnen wieder auftischen würde.
„Werden wir seit Neuestem im Vorzimmer Wamslers abgefertigt?“, erkundigte sich der Kommandant des schnellen Raumkreuzers ORION VIII spitz. Die ORION VII war inzwischen Bestandteil eines Überrestes leuchtenden Nebels, der einige Lichtminuten von der irdischen Sonne zwischen Canes venatici, dem Sternbild der Jagdhunde hing und die Beobachtung erschwerte.
„Der Marschall läßt Sie herzlich grüßen“, sagte die Ordonnanz. „Er ist in einer Sitzung des interstellaren Stabes. Wenn Sie mit Ordonnanz-Leutnant Spring-Brauner vorliebnehmen ...“
McLane hob beide Hände bis in Schulterhöhe und blitzte den Fähnrich wütend an. „Halten Sie mir diesen Kerl vom Leib! Sie haben wenigstens den Vorzug, hübsch zu sein. Also geben Sie mir die bittere Pille.“
Mit einer grandiosen Geste erklärte de Monti entschieden: „Für Sie, Mädchen, fliegen wir mitten in den Pferdekopfnebel hinein!“
„Nein“, sagte der Fähnrich unbeeindruckt. „Nicht so weit.“
„Wohin also?“, fragte McLane und nahm die Papiere entgegen, ohne sie eines Blickes zu würdigen. „Nur in den Raumkubus Vier/West 034.“
„So! Und was sollen wir dort? Wir versuchen gerade, den lange angekündigten Fortbildungskurs zu absolvieren.“
Der Fähnrich schenkte McLane sein strahlendstes Lächeln. „Sie sollen die automatischen Aufzeichnungen der Raumsonden um Larsens Planet ausbauen. Die astrophysikalischen Ergebnisse der Untersuchungsinstrumente werden für den monatlichen Bericht gebraucht.“
McLane hatte das Bedürfnis, sich setzen zu müssen. „Das uns?“, fragte er. „Wirklich?“
„Vergessen Sie nicht, unser Büro hier zu verständigen“, sagte der Fähnrich, der sich an die warnenden Worte seines Vorgesetzten erinnerte, „wenn Sie im Kubus Vier/West 034 angekommen sind.“
Unangenehme Dinge geschahen stets mit unerwarteter Plötzlichkeit.
„Ich werde Sie verständigen“, sagte de Monti lachend, „wenn wir wieder zurück sind, Fähnrich. Und zwar persönlich.“
In genau diesem Augenblick öffnete sich die Tür zu einem der Diensträume, und Spring-Brauner betrat die Szene. Seinem süffisanten Lächeln war unschwer zu entnehmen, dass er zumindest den letzten Satz verstanden hatte.
„Aber gern, de Monti“, antwortete der Fähnrich. „Ich wünsche Ihnen einen guten Flug.“
„Ich auch!“, sagte Spring-Brauner.
Langsam drehte sich Commander McLane um.
ZWEI
Die beiden Männer musterten sich schweigend. Keiner konnte den anderen leiden, aber im Moment war Spring-Brauner am längeren Hebelarm.
Endlich antwortete Commander McLane schneidend: „Sie haben es gerade nötig, sogenannte geistreiche Bemerkungen zu machen!“
Spring-Brauner zog affektiert die rechte Braue steil nach oben. „Ich verstehe nicht ganz, Commander“, sagte er.
„Glauben Sie, ich wüßte nicht, wer diese idiotischen Kommandos für mich ausheckt? Raumsonden ausleeren! Das ist ein Auftrag für Hilfsschüler einer Raumfahrtakademie! Haben Sie keine Kadetten mehr?“
Herablassend sagte Spring-Brauner: „Major McLane! Sie sind strafversetzt zum Dienst in der Raumpatrouille! An Ihrer Stelle würde ich keine besonders hohen Ansprüche stellen, was die Einsatzbefehle betrifft.“
„Die schlimmste Strafe“, erwiderte McLane fast tonlos, „ist ohnehin die Tatsache, dass ich gezwungen worden bin, mit Ihnen zu diskutieren.“
Er drehte sich um und öffnete die Mappe mit den Zielkoordinaten.
„Ich darf mich empfehlen, Commander“, sagte Spring-Brauner mit gewohntem Sarkasmus. Er verließ das Vorzimmer, und hinter seinem schmalen Rücken glitt die schalldichte Tür langsam zu.
„Vier/West Nulldreivier“, sagte McLane langsam und betrachtete die Sternkarte mit den eingezeichneten Positionen der Messsonden. Vor einigen Monaten hatten die Pioniere einen erdgleichen Planeten entdeckt und in verschiedenen Abständen um den Planeten Sonden in stabile Satelliten-Orbits gebracht. Diese hochempfindlichen Instrumente registrierten Strahlungsmenge, Magnetfelder und Sonnenintensität. Larsens Planet sollte kolonisiert werden.
„Wann starten wir?“, fragte Mario de Monti und feuerte Breitseiten seines Charmes auf den weiblichen Fähnrich ab.
„Morgen Mittag“, sagte der Commander. „Genau um zwölf Uhr dreißig. Die ORION Acht wird gerade gewartet.“
„Und bis dahin?“
„Freizeit“, erwiderte McLane. „Ich brauche einige Stunden Ruhe, um mich von den Daten dieses Auftrages und von der einzigartigen Persönlichkeit Spring-Brauners zu erholen.“