Zwiespalt der Gefühle - Toni Waidacher - E-Book

Zwiespalt der Gefühle E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer Sebastian Trenker hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Sein größtes Lebenswerk ist die Romanserie, die er geschaffen hat. Seit Jahrzehnten entwickelt er die Romanfigur, die ihm ans Herz gewachsen ist, kontinuierlich weiter. "Der Bergpfarrer" wurde nicht von ungefähr in zwei erfolgreichen TV-Spielfilmen im ZDF zur Hauptsendezeit ausgestrahlt mit jeweils 6 Millionen erreichten Zuschauern. Wundervolle, Familienromane die die Herzen aller höherschlagen lassen. Bei Lisa Lautenschläger war die Stimmung auf dem Nullpunkt. Gott und die Welt schienen sich gegen sie verschworen zu haben. Vor einer guten Stunde hatte ihr Vater ihr gestanden, dass er ohne ihr Wissen bei Linus Sonnegger gewesen war, um sich bei ihm zu entschuldigen und ihm zu erklären, dass er bereit wäre, ihn als Schwiegersohn auf dem Lautenschlägerhof willkommen zu heißen. Doch Linus hatte ihrem Vater geantwortet, dass er sich in eine Urlauberin verliebt habe und es für ihn kein Zurück mehr zu ihr, Lisa, gebe. Zuerst war sie weinend auf ihr Zimmer geflüchtet und todtraurig gewesen, dann aber war der Zorn gekommen, Zorn auf ihre Eltern, vornehmlich ihren Vater, Zorn auf Linus, der sich so schnell getröstet zu haben schien, Zorn auf sich selbst, weil sie mehr und mehr erkannte, dass sie die Liebe zwischen ihr und Linus verraten und aufs Spiel gesetzt hatte. Aber die ständigen Nörgeleien ihrer Eltern, ihr Gehetze gegen Linus, den sie als Hungerleider bezeichnet und als Schwiegersohn rigoros abgelehnt hatten, hatten sie zermürbt, und sie hatte den Fehler begangen, nicht mehr mit ganzem Herzen zu ihrer Liebe zu stehen. Aber auch der Zorn verschwand wieder. Er wich der bitteren Einsicht, dass sie Linus' Liebe nicht erzwingen konnte und akzeptieren musste, dass er für sie verloren war. Einen Augenblick lang dachte sie daran, ihn um ein Gespräch zu bitten, um ihm das zu sagen, doch eine innere Stimme riet ihr, auf ein solches Treffen zu verzichten. Es würde sie beide nur unnötig aufwühlen, ändern würde es nichts. Lisa beschloss, Linus ein paar Zeilen zu schreiben, und setzte diesen Entschluss sofort in die Tat um. Es war nicht einfach, die richtigen Worte zu finden. Lange brütete Lisa über jedem Satz, ehe sie ihn zu Papier brachte. Linus sollte wissen, dass sie die Entwicklung, die ihre Liebe genommen hatte, bereute, sie seine Entscheidung aber akzeptierte und das Angebot, mit ihr ein freundschaftliches Verhältnis zu pflegen, gerne annehmen wollte. Sie konnte nicht verhindern, dass einige Tränen, die ihr beim Schreiben über die Wange liefen, auf das Papier tropften. Als sie ihren Namen unter den Brief setzte, waren ihre Tränen aber versiegt. ›Du musst den Blick in die Zukunft richten‹, ermahnte sie sich selbst. ›Und nur noch du selbst wirst bestimmen, was gut und was net gut für dich ist. Auch wenn der Papa und die Mama plötzlich bereit sind, einzulenken. Auf die Dauer würd' sich nix ändern.

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Der Bergpfarrer Extra – 27 –

Zwiespalt der Gefühle

Wie wird es für Lisa weitergehen?

Toni Waidacher

Bei Lisa Lautenschläger war die Stimmung auf dem Nullpunkt. Gott und die Welt schienen sich gegen sie verschworen zu haben. Vor einer guten Stunde hatte ihr Vater ihr gestanden, dass er ohne ihr Wissen bei Linus Sonnegger gewesen war, um sich bei ihm zu entschuldigen und ihm zu erklären, dass er bereit wäre, ihn als Schwiegersohn auf dem Lautenschlägerhof willkommen zu heißen. Doch Linus hatte ihrem Vater geantwortet, dass er sich in eine Urlauberin verliebt habe und es für ihn kein Zurück mehr zu ihr, Lisa, gebe.

Zuerst war sie weinend auf ihr Zimmer geflüchtet und todtraurig gewesen, dann aber war der Zorn gekommen, Zorn auf ihre Eltern, vornehmlich ihren Vater, Zorn auf Linus, der sich so schnell getröstet zu haben schien, Zorn auf sich selbst, weil sie mehr und mehr erkannte, dass sie die Liebe zwischen ihr und Linus verraten und aufs Spiel gesetzt hatte.

Aber die ständigen Nörgeleien ihrer Eltern, ihr Gehetze gegen Linus, den sie als Hungerleider bezeichnet und als Schwiegersohn rigoros abgelehnt hatten, hatten sie zermürbt, und sie hatte den Fehler begangen, nicht mehr mit ganzem Herzen zu ihrer Liebe zu stehen.

Aber auch der Zorn verschwand wieder. Er wich der bitteren Einsicht, dass sie Linus’ Liebe nicht erzwingen konnte und akzeptieren musste, dass er für sie verloren war. Einen Augenblick lang dachte sie daran, ihn um ein Gespräch zu bitten, um ihm das zu sagen, doch eine innere Stimme riet ihr, auf ein solches Treffen zu verzichten. Es würde sie beide nur unnötig aufwühlen, ändern würde es nichts.

Lisa beschloss, Linus ein paar Zeilen zu schreiben, und setzte diesen Entschluss sofort in die Tat um. Sie holte ein Blatt Papier aus dem Drucker ihres Computers, nahm sich einen Kugelschreiber und setzte sich an den Schreibtisch …

Es war nicht einfach, die richtigen Worte zu finden. Lange brütete Lisa über jedem Satz, ehe sie ihn zu Papier brachte. Linus sollte wissen, dass sie die Entwicklung, die ihre Liebe genommen hatte, bereute, sie seine Entscheidung aber akzeptierte und das Angebot, mit ihr ein freundschaftliches Verhältnis zu pflegen, gerne annehmen wollte. Sie konnte nicht verhindern, dass einige Tränen, die ihr beim Schreiben über die Wange liefen, auf das Papier tropften.

Als sie ihren Namen unter den Brief setzte, waren ihre Tränen aber versiegt. ›Du musst den Blick in die Zukunft richten‹, ermahnte sie sich selbst. ›Und nur noch du selbst wirst bestimmen, was gut und was net gut für dich ist. Auch wenn der Papa und die Mama plötzlich bereit sind, einzulenken. Auf die Dauer würd’ sich nix ändern. Käm’ der Linus auf den Hof, hätt’ das früher oder später Spannungen und sicher auch Streitigkeiten gegeben. Ich glaub’ nämlich net, dass ihr Einlenken von Herzen kommt. Sie haben lediglich Angst, dass ich mich von ihnen abwenden könnt’. Das ist es!‹

Diese Erkenntnis war für Lisa bitter. Sie zwang sich, klaren Kopf zu bewahren und las den Brief noch einmal durch, steckte ihn in ein Kuvert, auf das sie schrieb ›An Linus‹, und brachte ihn höchstpersönlich zu seiner Wohnung, wo sie ihn in den Postkasten warf.

Als sie wieder nach Hause ging, fühlte sie sich irgendwie befreit. Sie war entschlossen, völlig neu zu beginnen, und wusste auch schon, wie dieser Neubeginn aussehen sollte. Von nun an würde sie ihre Zukunft in die eigene Hand nehmen.

*

Robert Seidl und Inga Dominik erschienen im Pfarrhaus und erklärten Sophie Tappert, dass sie gern den Pfarrer sprechen würden.

»Bitte, kommen S’ herein. Ich bring’ Sie auf die Terrasse und sag’ dann dem Hochwürden Bescheid.« Sophie lächelte. Sie kannte die Geschichte der beiden und sagte: »Sie sehen so richtig glücklich aus. Wahrscheinlich war eine höhere Macht im Spiel, als sie sich dazu entschlossen haben, zur gleichen Zeit Ihren Urlaub in St. Johann zu verbringen.«

»Ja, den Verdacht habe ich auch«, erklärte Inga und erwiderte Sophies Lächeln, »und ich bin so glücklich darüber!«

»Das sieht man«, sagte Sophie lächelnd, dann ging sie vor Robert und Inga her durch das Wohnzimmer auf die Terrasse. »Ein Tasserl Kaffee schlagen S’ doch sicherlich net aus?«, erkundigte sich die Pfarrhaushälterin. »Darf ich Ihnen auch ein Stück von meinem Apfelkuchen anbieten?«

»Da sage ich ganz sicher nicht Nein«, erwiderte Robert, der Landschaftsgärtnermeister aus Dresden, und grinste. »Pfarrer Trenker lobt Ihre Koch- und Backkünste ja über den grünen Klee, Frau Tappert. Drum wär’s bestimmt ein Fehler, Ihren Kuchen nicht zu probieren.«

Sophie kehrte ins Haus zurück und machte Pfarrer Trenker, der in seinem Büro arbeitete, darauf aufmerksam, dass auf der Terrasse Besuch auf ihn wartete. »Sie trinken doch gewiss ein Haferl Kaffee mit den beiden, Hochwürden. Und der Apfelkuchen wär’ auch fertig.«

»Ich möcht’ ein großes Stück davon, Frau Tappert«, sagte Sebastian, dann bedankte er sich bei seiner Haushälterin und begab sich auf die Terrasse, wo er Robert und Inga begrüßte. »Das freut mich aber«, erklärte er, als er sich gesetzt hatte. »Seit wir zusammen auf der Kandereralm waren, haben wir uns nimmer gesehen. Ist alles in Ordnung?«

Diese letzte Frage galt Inga. Sebastian schaute sie erwartungsvoll an und versuchte in ihrem schönen Gesicht zu lesen. Die Tatsache, dass ein Detektiv, den ihr getrenntlebender Gatte engagiert hatte, eine ganze Weile in ihrem Privatleben herumzuschnüffeln versucht hatte, war sicher nicht spurlos an ihr vorübergegangen.

Aber Inga nickte und antwortete: »Ich habe mit meinem Mann telefoniert. Auch er will die Scheidung. Da ich von ihm nichts fordern werde, wird es auch keinen Rosenkrieg geben. Robert und ich wollen heiraten, sobald die Scheidung durch ist.«

»Das ist beschlossene Sache«, fügte Robert hinzu. »Unser Urlaub endet nun, Herr Pfarrer. Wir beide, sowie meine Schwester und mein Schwager, möchten zum Abschied gerne eine kleine Feier veranstalten. Nichts Großes, nur ein gemütliches Zusammensitzen im Biergarten, etwas trinken und plaudern. Dazu würden wir Sie gerne einladen. Severin kommt auch.«

»Wann soll denn die Feier stattfinden?«, fragte der Bergpfarrer.

»Morgen Abend, im Biergarten des Hotels«, antwortete Robert. »Wir würden uns ungemein freuen, wenn Sie zusagen.«

»Und ich freu’ mich über die Einladung. Natürlich komm’ ich. Das ist doch klar.«

Sophie Tappert brachte den Apfelkuchen, den sie mitten auf den Tisch stellte. Sie legte einen Tortenheber dazu und deckte den Tisch. »Der Kaffee kommt gleich«, sagte sie, nickte freundlich lächelnd in die Runde und kehrte ins Haus zurück.

»Bedienen S’ sich«, forderte Sebastian seine Gäste auf, zuzugreifen.

Jeder hob sich ein Stück von dem appetitlich aussehenden, dünn mit Puderzucker bestäubten Kuchen auf den Teller.

Sophie brachte den Kaffee und schenkte allen Kaffee ein.

Inga probierte den Kuchen und sagte: »Vorzüglich! Ich habe noch nie so einen köstlichen Apfelkuchen gegessen. Ist das eine besondere Sorte Äpfel?«

»Die Kornäpfel sind aus dem Pfarrgarten«, erklärte Sophie stolz.

»Schmeckt sehr lecker«, lobte auch Robert, dann richtete er den Blick auf den Pfarrer und fragte: »Hatten Sie nach unserem Ausflug auf die Kandereralm eigentlich noch einmal das Vergnügen mit Ihrem Bürgermeister?«

»Nein.« Sebastian schüttelte den Kopf. »Ich vermut’, dass er im Hintergrund weiter seine Fäden zieht. Aber ich werd’ net tatenlos zusehen, wie er und der Reisnecker das Golfplatzprojekt rücksichtslos vorantreiben.«

»Auf mich können Sie zählen, Herr Pfarrer«, versicherte Robert. »Sollten Sie ein Gutachten benötigen, so können Sie sich jederzeit an mich wenden. Möchten Sie meine Meinung über Ihren Bürgermeister hören?«

»Er ist im Grunde seines Herzens ein gutmütiger Zeitgenosse, nur leider sehr ehrgeizig«, erklärte Sebastian. »In seinem Streben, St. Johann noch mehr dem Tourismus zu erschließen, indem er irgendwelche Attraktionen anbieten möcht’, überschreitet er oft die Grenzen des gesunden Menschenverstandes.«

»Aber wir haben ja Sie, der ihn immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt«, sagte Sophie, die den letzten Satz des Pfarrers noch mitbekommen hatte. »Und das ist gut so. Wir brauchen hier kein Remmidemmi, wie’s unserem Bürgermeister vorschwebt.«

»Mir kommt er ziemlich unsicher vor«, verlieh Robert seiner Meinung über Markus Bruckner Ausdruck. »Außerdem versucht er zu bluffen, indem er tut, als hätte er eine Ahnung von dem, was er gutheißt oder was er vertritt. Ich kann mich allerdings an kein einziges vernünftiges Argument erinnern, das er vorgebracht hätte.«

»Weil er sich kein bissel vorbereitet hat«, murmelte Sebastian. »Ich werd’ abwarten. Irgendwann muss ja von Seiten des Reisnecker-Hennes oder der Gemeinde was Konkretes kommen. Und dann werd’ ich loslegen.«

»Es wäre schade, wenn es diesem Reisnecker gelänge, hier einen Golfplatz zu bauen«, sagte Robert. »Es wäre ein Fremdkörper hier im Wachnertal, würde dem Tal viel von seiner Ursprünglichkeit nehmen und wäre – ökologisch gesehen – eine Katastrophe.«

»Ich werd’ den Kampf aufnehmen«, versicherte Sebastian. »So, jetzt wollen wir aber nimmer länger dieses leidige Thema diskutieren. Wie gesagt: Ich werd’ abwarten und entschieden reagieren. Und sollt’ ich fachmännische Hilfe benötigen, wende ich mich an Sie, Robert.«

»Und ich werde Ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen«, versprach Robert.

Das Thema Golfplatz kam in der nächsten Stunde tatsächlich nicht mehr auf. Man sprach über dieses und jenes, völlig zwanglos, die Atmosphäre konnte man als familiär bezeichnen, und als sich Inga und Robert verabschiedeten, war das kein Abschied für immer. Zum einen wollten sie sich am Abend des nächsten Tages im Biergarten zu einer kleinen Abschiedsfeier treffen, zum anderen versicherten sie, ihren nächsten Urlaub wieder in St. Johann verbringen zu wollen.

»Wir fühlen uns hier fast wie zu Hause«, gab Robert lachend zu verstehen. »Und nach Hause kehrt man doch immer wieder gerne zurück.«

Sebastian verabschiedete sich von den beiden in dem Bewusstsein, neue Freunde gewonnen zu haben.

*

Als Linus von der Arbeit nach Hause kam, lag auf dem Tisch in seiner Küche ein weißes Kuvert. ‚An Linus’ stand darauf, und er erkannte die Handschrift. Sein Herz begann schneller zu schlagen, denn er erwartete wenig Erfreuliches.

Sabine Sonnegger, seine Mutter, hatte den Brief aus dem Postkasten genommen und in seine Wohnung gebracht.

Linus nahm den Umschlag und riss ihn auf, zog den Brief heraus und faltete ihn auseinander. ›Hallo, Linus‹, las er. ›Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich Dich um ein Gespräch unter vier Augen bitten soll, bin aber zu dem Ergebnis gekommen, dass es vielleicht gar nicht so gut wäre, wenn wir uns an einen Tisch setzen. Du hast nämlich alles gesagt, was es zu sagen gab.‹

Die Buchstaben begannen zu verschwimmen. Er hob den Blick, starrte eine ganze Weile zum Fenster hinaus und fragte sich, was Lisa mit ihrem Brief erreichen wollte. Mitleid? Versöhnung? Rache?

Sein Blick klärte sich wieder und er las weiter: ›Es tut mir leid, dass es so gekommen ist. Ich zögerte, mich zu Dir zu bekennen, weil ich keinen Bruch mit meinen Eltern herbeiführen wollte. Ich habe Dich geliebt, ich liebe Dich wahrscheinlich immer noch, und weil das so ist, bin ich bereit, loszulassen. Ich hätte um unsere Liebe kämpfen müssen, war aber nicht stark genug. Darum akzeptiere ich Deine Entscheidung. Ich hoffe, wir können uns künftig in freundschaftlicher Weise begegnen, und wünsche Dir alles Glück der Erde mit deiner neuen Liebe.‹

Linus atmete tief durch. Kurz entschlossen rief er Lisa an. »Grüaß di, Lisa. Ich hab’ deinen Brief gelesen.«

»Ich wollt’, dass du weißt, dass ich mich künftig aus deinem Leben heraushalten werde«, antwortete Lisa. »Hoffentlich denkst du net, dass ich den Papa zu dir geschickt hab’. Es war seine Idee zu dir zu gehen. Ich war wie vor den Kopf gestoßen, als er es mir erzählt hat.«

»Er hat halt erkannt, dass er seine Ansichten ändern muss«, sagte Linus, »und hat versucht zu retten, was aus seiner Sicht vielleicht noch zu retten war. Er war ziemlich niedergeschlagen, als er sich von mir verabschiedet hat. Aber ich denk’, dass er’s wegstecken kann. Wenn der Eberhartinger-Lukas …«

»Dem werd’ ich sagen, dass er aufhören kann, um mich zu werben. Mit ihm könnt’ ich niemals glücklich werden, denn ich liebe ihn net. Überdies hab’ ich den Entschluss gefasst, das Wachnertal zu verlassen.«

»Was willst du?«, entfuhr es Linus vollkommen fassungslos. »Du willst die Heimat verlassen! Großer Gott, Lisa, wo willst du denn hin? Euer Hof … Hast du das schon deinen Eltern gesagt?«

»Sie wissen noch nix. Aber ich werd’s ihnen heut’ noch sagen.«

»Sie werden aus allen Wolken fallen«, befürchtete Linus.

»Es soll ja net für ewig sein«, erklärte Lisa. »Nur für ein oder zwei Jahre. Ich muss Abstand gewinnen. Ich geh’ wahrscheinlich nach München und versuch’ dort in der Gastronomie unterzukommen. Außerdem hab’ ich ein paar Euro gespart, mit denen ich mich eine Weile über Wasser halten kann.«

»Ich will dir ja net dreinreden, Lisa«, sagte Linus. »Aber diesen Schritt solltest du dir ganz gut überlegen. Deinen Eltern wirst du sicher keine Freude bereiten, wenn du Ihnen eröffnest, was du vorhast.«

»Wie gesagt, Linus: Es ist nur für ein oder zwei Jahre. Ich muss zu mir selber zurückfinden, und das kann ich hier net. Hier wird man nach der Geschichte mit der Wilderei sowieso mit Fingern auf mich zeigen. Ich würd’s net ertragen. Mein Entschluss steht daher fest.«

»Ich an deiner Stelle tät’s net«, erklärte Linus. »Aber du wirst wissen, was gut für dich ist. Solltest du das Tal wirklich verlassen, dann meld’ dich vorher noch einmal bei mir. Es liegt mir sehr viel daran, Lisa, dass wir Freunde bleiben.«

»Auch mir liegt viel daran. Vielen Dank für deinen Anruf, Linus. Du kannst dich darauf verlassen, dass ich alles, was ich dir geschrieben hab’, auch so meine. Ich wünsch’ dir, dass du glücklich wirst.«

»Vergelt’s Gott, Lisa. Auch dir alles Gute. Du wirst zu dir finden und dein inneres Gleichgewicht zurückerlangen, denn du bist stark und stehst mit beiden Beinen im Leben. Servus, Lisa, mach’s gut, und meld’ dich noch einmal bei mir, solltest du das Tal tatsächlich verlassen.«

Lisa versprach es, dann unterbrach sie die Verbindung. Danach saß sie lange in ihrem Zimmer und bereitete sich gedanklich auf das Gespräch mit ihren Eltern vor. Wie sollte sie ihnen beibringen, dass sie Engelsbach für einige Zeit verlassen wollte? Einfach war es nicht für sie. Doch sie war entschlossen, dem Verstand zu folgen, der ihr sagte, dass sie hier die Schatten ihrer Vergangenheit nicht abschütteln konnte.

Die Dämmerung schlich sich ins Wachnertal. Lisa machte kein Licht in ihrem Zimmer. Würziger Geruch von Heu zog durch das geöffnete Fenster in ihr Zimmer und stieg ihr in die Nase. Es war der Geruch der Heimat, der ihr so sehr vertraut war. Sie verspürte Wehmut.

›Na dann‹, sagte sie sich, als es völlig dunkel war, und erhob sich. ›Ich werd’s jetzt hinter mich bringen.‹

Sie nahm all ihren Mut zusammen, verließ ihr Zimmer und begab sich ins Wohnzimmer.

Ihr Vater lag lang ausgestreckt auf der Couch und hatte die Augen geschlossen.

Ihre Mutter saß in einem der Sessel und hatte sich ihrem Mann zugewandt. Ihr Gesicht drückte Besorgnis aus.

»Ist der Papa krank?«, fragte Lisa betroffen.

»Er hat sich niedergelegt, weil er sich net wohlfühlt. Er meint, es ist nix. Aber ich überleg, ob ich net doch den Notarzt ruf’. Mir gefällt das gar net, auch wenn er sagt, das ist nix, er braucht nur seine Ruhe. Er hat doch schon seit Längerem Probleme mit dem Herzen.«

Lisa beugte sich über ihren Vater, nahm seine Hand und fragte: »Wie fühlst du dich, Papa?«

»Wird schon wieder«, ächzte Stefan Lautenschläger.