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Es waren einmal … zwei Brüder, die sich in früheren Zeiten um die Verbreitung von allerlei Erzählungen bemühten, die heuer und allerorts als Märchen bekannt sind. In ihnen ging es am Ende stets verträumt-romantisch zu, und sie schlossen nicht selten mit den Worten »… und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. « Diese Schlussworte stehen vordergründig für das Überleben der Figuren, von denen die Geschichten erzählten. Hintergründig aber stehen sie auch für die beiden Brüder, die heute noch überlebensgroß für ihre damalige Leistung, diese Geschichten aufgespürt, gesammelt und verlegt zu haben, gewürdigt werden, sodass wir und unzählige Generationen von Kindern nach uns sie vorgelesen bekommen konnten. Es waren ebenso einmal zwei Brüder im Geiste, die sich bis in die heutige Zeit um die Verbreitung von allerlei Erzählungen bemühen, die sie in mehreren Bänden innerhalb dieser Reihe, die nicht zu Unrecht den Titel »Abartige Geschichten« trägt, verlegen. Ob ihnen dafür später einmal ein ähnlicher Ruhm zuteil wird, kann heute nur schwer vorhergesagt werden. Und selbst, wenn sehr stark bezweifelt werden darf, dass die Geschichten dieser Anthologie etlichen Generationen von Kindern vorgelesen werden könnten, so haben sie doch eines mit den Grimm'schen Märchen gemeinsam: Diese waren nicht selten mit Gewalt, Blut und Erotik (zumindest vor der Überarbeitung der ersten Ausgabe damals) gespickt. Und wenn mir die geneigte Leserschaft diesbezüglich keinen Glauben schenken mag, so lese sie doch einmal wieder eines der alten Märchen in seinem Original. Ich schlüge »Rotkäppchen«, »Aschenputtel« oder »Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen«, vor. In diesem Sinne verbleibe ich mit den Worten »Und wenn Sie nicht zu Tode erschrocken sind, dann schmökern Sie noch heute«. Ihr Bernar LeSton INHALT: Germaine Paulus Hundert Jahre tief Ralf Kor VERY BAD DWARFS Markus Heitkamp SCHWEINEFRASS Erik R. Andara DER MARKT AM ENDE DER WELT Sonja Rüther GOLDIE UND DIE BÄREN Nici Hope ASH Nicole Renner Der Junge und die verzauberte Krähenfeder Jean Rises Der Nekromant von Oz Wolfgang Brunner Die Narben kalter Küsse Markus Lawo DER HERZBUBE Isa Theobald GÖTTER Sam Bennet Licht und Schatten – (K)ein Wintermärchen Joachim Sohn DER GRIMM Vincent Voss DAS GIERIGE ARSCHLOCH Sascha Dinse GLITCH Diana Kinne Knusper, knusper … Jacqueline Mayerhofer Layandralien Markus Kastenholz MYTHOS! Bernar LeSton DES NACHTS
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ABARTIGE GESCHICHTEN
GRIMM
Herausgegeben von
Markus Lawo
Vollständige Taschenbuchausgabe 2021
Copyright © Hammer Boox, Bad Krozingen
Lektorat:
Hammer Boox, Bad Krozingen
Korrektorat: Doris Gapp
(Fehler sind völlig beabsichtigt und dürfen ohne Aufpreis
behalten werden J
Titelbild: Markus Lawo
Satz und Layout: Hammer Boox
Copyright © der einzelnen Beiträge bei den Autoren
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Es waren einmal … zwei Brüder, die sich in früheren Zeiten um die Verbreitung von allerlei Erzählungen bemühten, die heuer und allerorts als Märchen bekannt sind. In ihnen ging es am Ende stets verträumt-romantisch zu, und sie schlossen nicht selten mit den Worten »… und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. «
Diese Schlussworte stehen vordergründig für das Überleben der Figuren, von denen die Geschichten erzählten. Hintergründig aber stehen sie auch für die beiden Brüder, die heute noch überlebensgroß für ihre damalige Leistung, diese Geschichten aufgespürt, gesammelt und verlegt zu haben, gewürdigt werden, sodass wir und unzählige Generationen von Kindern nach uns, sie vorgelesen bekommen konnten.
Es waren ebenso einmal zwei Brüder im Geiste, die sich bis in die heutige Zeit um die Verbreitung von allerlei Erzählungen bemühen, die sie in mehreren Bänden innerhalb dieser Reihe, die nicht zu Unrecht den Titel »Abartige Geschichten« trägt, verlegen. Ob ihnen dafür später einmal ein ähnlicher Ruhm zuteil wird, kann heute nur schwer vorhergesagt werden. Und selbst, wenn sehr stark bezweifelt werden darf, dass die Geschichten dieser Anthologie etlichen Generationen von Kindern vorgelesen werden könnten, so haben sie doch eines mit den Grimm‘schen Märchen gemeinsam: Diese waren nicht selten mit Gewalt, Blut und Erotik (zumindest vor der Überarbeitung der ersten Ausgabe damals) gespickt.
Und wenn mir die geneigte Leserschaft diesbezüglich keinen Glauben schenken mag, so lese sie doch einmal wieder eines der alten Märchen in seinem Original. Ich schlüge »Rotkäppchen«, »Aschenputtel« oder »Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen«, vor.
In diesem Sinne verbleibe ich mit den Worten »Und wenn Sie nicht zu Tode erschrocken sind, dann schmökern Sie noch heute«.
Ihr Bernar LeSton
INHALT:
Germaine Paulus
Hundert Jahre tief
Ralf Kor
VERY BAD DWARFS
Markus Heitkamp
SCHWEINEFRASS
Erik R. Andara
DER MARKT AM ENDE DER WELT
Sonja Rüther
GOLDIE UND DIE BÄREN
Nici Hope
ASH
Nicole Renner
Der Junge und die verzauberte Krähenfeder
Jean Rises
Der Nekromant
von Oz
Wolfgang Brunner
Die Narben kalter Küsse
Markus Lawo
DER HERZBUBE
Isa Theobald
GÖTTER
Sam Bennett
Licht und Schatten
– (K)ein Wintermärchen
Joachim Sohn
DER GRIMM
Vincent Voss
DAS GIERIGE ARSCHLOCH
Sascha Dinse
GLITCH
Diana Kinne
Knusper, knusper …
Jacqueline Mayerhofer
Layandralien
Markus Kastenholz
MYTHOS!
Bernar LeSton
DES NACHTS
Abartige Geschichten – Gamma ~ Grimm
Diesen QR-Code mit dem Handy scannen und du bekommst einen Link zur Bandcamp-Seite von Erdenstern.
Du kannst aber auch die URL
https://erdenstern.bandcamp.com/track/resurrection-of-the-dead
eingeben und hörst dir dann den Track beim Lesen der Geschichten an.
Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Sein Gesicht, freundlich. Abgekämpft. Wenig Schlaf, wenig Ruhe. Nicht erst seit ein paar Tagen.
»Es tut mir leid!«, rief er in den Hof hinunter.
Das Geländer, an dem er lehnte, schimmerte im Sonnenlicht. Gebürsteter Stahl. Ein Fremdkörper an der denkmalgeschützten Hauswand, die die nachträglich angefügten modernen Balkone nur widerwillig zu dulden schien. Die Rosen wucherten. Wie gottverdammtes Unkraut. Er schnitt sie wöchentlich, hatte alles probiert, doch sie schoben ihre Triebe ungebremst in sein Leben, blühten dann und wann auf wie Spott. Wundervoll duftender Spott, der ihm die Arme zerstach, ihn bluten ließ. Ihn an das, woran er nie geglaubt hatte, erinnerte. Seine Knie zitterten.
»Und es ist auch wirklich alles in Ordnung?« Der Mann, der im Hof stand, hielt sich die Hand vor die Augen, während er nach oben blinzelte. Der Sommer lag über der Stadt wie eine verschwitzte alte Frau.
»Ja, ist es. Wie gesagt, es tut mir leid.« Ein müdes Lächeln.
Kinder lachten auf der Straße, ein Auto hupte. Der Fahrer des Lasters, aus dem neue Anwohner Möbel und ihr auf wenige Kubikmeter reduziertes Leben abluden, hörte es nicht. Er trommelte im Takt auf das Lenkrad. Die neuen Kopfhörer passten perfekt. Das iPhone hatte noch genug Saft für weitere zwei Stunden. Er griff nach rechts, packte das Sandwich und nahm einen weiteren Bissen. Cocktailsauce tropfte auf seine Hose, und Rihanna sang.
»Ich meine ja nur … Sie schreit so oft«, sagte der Mann im Hof.
»Ja, ich weiß. Sie ist behindert. Sie kann nichts dafür.«
Auf einem der gegenüberliegenden Balkone erschien eine junge Frau. Das schwarze Kleid, das sie trug, war zu weit und blies sie zu einem dunklen Ballon auf, aus dem bleiche Arme ragten. Sie rauchte. Ungekämmt, unzufrieden, ungevögelt. Er lächelte.
»Hallo«, rief er und winkte ihr zu.
Sie wandte den Blick ab.
Er sah nach unten.
Der Mann im Hof schwieg. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Blinzelte gegen die gleißende Sonne und schwieg. Es war immer das gleiche Spiel. War das Schlüsselwort einmal genannt, verloren sie Sprache, Eloquenz, Entschlossenheit.
Behindert.
Er seufzte.
»Glauben Sie mir, es ist alles in Ordnung«, sagte er. »Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.«
Der Mann im Hof hob die Hand. Eine Geste. Ebenso hilflos wie belanglos.
»Okay«, sagte er. Schweigen, fünf Sekunden lang. »Ist bestimmt nicht leicht.«
»Ja, ist es nicht.«
»Dann … Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen.«
Er wartete noch einen Moment, bis er zurück in die Wohnung ging. Es stank. Die Hitze staute sich, war unbestechlich geworden. Er würde putzen müssen. Körperlich sein. Sich die Lüge aus dem Leib ackern. Ablenkung. Ja, das war es, was er nun brauchte. Auf dem Balkon für sie zu lächeln kostete Kraft. Sie, die sie im Hof standen. Immer wieder. Manchmal kamen zwei, sogar drei in einem Monat. Manchmal wartete er jahrelang. Ihre Ritterlichkeit kotzte ihn an. Sie waren schwach. Konnten nicht erlösen. Standen im Hof, weil Geliebte sie dazu gedrängt hatten oder fadenscheiniger Anstand sie nicht mehr schlafen ließ.
Und er … musste es sagen. Musste das Wort sagen. Schlüsselwort. Zauberwort.
Fluch.
Behindert.
Sein Blick glitt zum Gang, zu der Tür hinten rechts. Verschmutzte Bettwäsche lag zu einem Bündel zusammengeknüllt davor. Wie in einem Hotel. Er dachte an Shining. Overlook im Sommer, Herbst, Winter, Frühling. Ohne eine verfickte Bar.
Er wollte schlafen. Es war ihm nicht erlaubt. Er musste wach sein. Jeden Tag. Jede Nacht. Jede Minuten. Jeden Herzschlag.
Er dachte an den Abend zurück, an dem er ihre Ader abgebunden hatte.
Der gelbe Schlauch um ihren viel zu schlanken Bizeps. Ihre Vene quoll stolz aus der Armbeuge.
»Soll ich dir was Krasses erzählen?« Ihre Lider waren bereits schwer, sie vertrug Wodka nicht gut.
»Klar.«
»Als ich klein war …« Sie lächelte durch den Nebel. »Wenn ich nicht brav war …« Ihr Kopf sackte nach unten.
»Was war dann, Baby?« Er hob ihr Kinn an, sie lächelte. Lächelte wieder. Wie sie immer lächelte.
Sie war fünfzehn, und das Heroin blubberte.
»Meine Mama hat gesagt …« Viel zu langsam zog sie die Brauen zusammen. »Dass ich verflucht wär. Mich an einer Spindel stechen und sterben würde.«
Er lachte laut und versenkte die Spritze in ihr.
»Was …« Sie sah ihn an, als er den Kolben nach unten drückte. »Was ist eine Spindel?«
»Etwas Spitzes, Baby. Und jetzt hör auf zu denken.«
Sie war nicht mehr aufgewacht.
Nicht richtig.
Sie schlief, ließ sich nicht wecken. Er hatte alles versucht. Hatte sie geschüttelt, gestreichelt, über ihrem Leib geweint, sie schlussendlich ins Bad getragen, in eine Wanne voll mit kaltem Wasser und zehn lächerlichen Eiswürfeln gelegt. Sich viel zu viele Valium eingeworfen, Wodka, Whisky, Hustensaft in sich geschüttet. Wollte gehen, abhauen, sich aus der Sache winden, wie er es immer getan hatte. Er war eingeschissen erwacht. Trug nur einen Slip. Der Eingriff war ausgeleiert. Am Teppich klebte Kot.
Dass die ältere Frau, die mit verschränkten Armen an der Tür zum Badezimmer stand, keine Streetworkerin war, die sich in den dritten Stock verirrt hatte, hatte er erst zwei Tage später begriffen. Feen sollten so nicht aussehen.
Er brauchte weitere fünf Tage, um das zu akzeptieren, was sie ihm gesagt hatte.
»Dass sie nicht tot ist, verdankst du mir. Ich hatte noch einen Wunsch frei. Und du, Arschloch, wirst dich um sie kümmern. Und es wird weh tun. Verdammt weh. Denn sie wird aufwachen. Immer wieder. Aber nicht so, wie du es gern hättest.«
Und sie wachte auf. Wachte auf und schrie. Ließ sich nicht beruhigen, egal was er tat. Schrie nur. Schrie mit weit aufgerissenen Augen.
Und dann.
Hatte er sie geschlagen.
Und sie schlief wieder ein.
Seit 1983.
Er konnte die Wohnung nicht verlassen. Selbst als er die Tür in Brand gesetzt hatte – die Barriere blieb und mit ihr das Wort, dieses beschissene Wort, das er denen, die sie hätten retten können, vom Balkon aus zurufen musste.
Behindert.
Es war Teil der Dornen, er war ihr Mund.
Und die Prinzen, die Scheißprinzen, starben nicht in der Hecke. Sie gingen nach Hause und waren beruhigt. Fanden wieder Schlaf.
Der Kühlschrank war immer gut gefüllt. Wer die Miete zahlte, wusste er nicht.
Magie war Scheiße.
Sein Blick ruhte auf der Türklinke. Er hörte das leise Wimmern, kniff die Lippen zusammen. So fing es an. Sie war nie behindert gewesen. Seit letzter Woche war sie es. Ein Schlag zu viel, nur ein einziger. Er hatte sich gehen lassen. Hatte die Dosis versaut. Ihr Wimmern wurde zum Schrei. Er blickte zur Decke.
Dann ging er ins Schlafzimmer.
Noch 64 Jahre.
Auf dem Balkon öffnete sich eine Rosenblüte.
Die Sonne schien.
Es waren einmal sieben Zwerge, die lebten hinter den sieben Bergen, dort, wo weder Menschen, noch die DEA Zugriff hatten. Tag für Tag suchten sie im Bergwerk nach Gold. Jeder der Zwerge war rechtschaffen, fleißig und achtete den Anderen, bis ein Konzern den Berg aufkaufte. Da die sieben Zwerge, deren Namen geändert wurden, um Familienangehörige zu schützen, durch das soziale Netz gerutscht waren, mussten sie sich etwas einfallen lassen, um über die sieben Runden zu kommen.
»Ich mag nicht mehr kochen«, seufzte Dozy mit trübem Blick.
»Wir müssen es nur noch destillieren, dann haben wir’s für heute geschafft«, entgegnete Shy, kippte das Wasser in den Behälter, drehte den Brenner auf und stemmte zufrieden die Fäuste in die Hüfte. »Das Methamphetamin wird immer besser.«
»Ich meine das alles hier«, stöhnte Dozy und breitete die kurzen Arme aus. »Ich möchte endlich mal wieder die Spitzhacke schwingen. Ich vermisse die Mine und die harte, ehrliche Arbeit.«
»Lass das nicht Crabby hören«, hauchte Snotty, wischte sich die triefende Nase am Ärmel ab und warf einen verstohlenen Blick zur Tür. »Der prügelt uns windelweich.«
»Rotz‘ in eine andere Richtung!«, fuhr Shy den verschnupften Zwerg an. »Du verunreinigst die Ware!«
»Ich schätze, dass ein Schnupfen das gerinste Problem für jemanden ist, der Crystal raucht«, entgegnete Snotty.
»Wir singen nicht mal mehr zusammen«, jammerte Dozy. »Der Chef sitzt den ganzen Tag im Büro und zählt die Kohle, Crabby verprügelt die Nutten, und wir müssen hier im Keller die Drogen kochen.«
Shy hob die Schultern. »So hat eben jeder seine Aufgabe, abgesehen von Jolly.« Er nickte zu dem Zwerg, der in einer Ecke des Labors hockte und apathisch hin und her wippte. »Seitdem der Chef ihn als Testobjekt für die Ware ausgewählt hat, ist er gar nicht mehr so Jolly.«
»Davon rede ich die ganze Zeit«, erhob Dozy die Stimme, »der Scheiß verändert uns. Wir waren mal echt nette Kerls, wir haben sogar Snow bei uns aufgenommen. Jetzt geht sie für uns anschaffen!«
»Pst!«, zischte Snotty und legte sich den Finger auf die Lippen. Da wurde die Tür aufgerissen, und der Zwerg schrie auf. »Crabby! Das war Dozy, der den Mist erzählt. Ich hab ihm widersprochen, und ...«
Doch es war nicht Crabby, der hineingestürmt kam, sondern Goony, der über seine eigenen Füße stolperte und mit dem Gesicht auf den Beton klatschte.
»Danke, Snotty«, zischte Dozy und warf dem bibbernden Zwerg einen finsteren Blick zu. »Früher haben wir füreinander eingestanden.«
Snotty eilte zu dem tollpatschigen Neuankömmling und half ihm auf. »Was ist passiert?«
Der sogar für einen Zwerg ausgesprochen kleine Goony gestikulierte wild mit den Armen herum.
»Was sagt er?«, fragte Dozy.
»Etwas ist mit Snow.«
»Oh nein!«, stieß Shy auf, der so spitz auf Snow war wie eine nagelneue Hacke.
»Sie ... isst Kot?«, übersetzte Snotty das Gehampel.
»Iiiiiiih«, riefen die Zwerge im Chor, und der in anderen Sphären schwebende Jolly furzte.
Goony schüttelte den Kopf und gab erneute Armzeichen.
»Ooooh! Sie ist tot«, übersetzte Snotty richtig. »Oh ...«
»Das ist ja noch schlimmer!«, jammerte Shy und zog sich die Zipfelmütze über die Augen. »Glaube ich ...«
Dozy schüttelte den Kopf. »Wie kannst du ihn verstehen?«
»Ach«, winkte der Wicht ab, »so schwer ist das nicht, man braucht nur ...«
»Wir müssen zu ihr!«, unterbrach ihn Shy. »Schnell!«
Die vier Zwerge eilten die Treppe hinauf ins Erdgeschoss und in den Flur, wo die Zimmer der Nutten lagen. Dabei rannten sie beinahe einen Freier über den Haufen, bis sie Snows Raum erreicht hatten.
Sie lag, nur mit einem Slip bekleidet, auf dem Bett. Das schwarze Haar war auf dem weißen Laken ausgebreitet, und sie starrte mit offenem Mund gen Zimmerdecke.
»Sie ist wirklich tot!«, schrie Shy auf. »Meine Snow!«
Dozy trat zu dem Mädchen und hielt ihr die Hand unter die Nase. »Sie lebt«, erklärte er und stieß mit dem Fuß etwas an, das über den Boden rollte. Er bückte sich und hob eine Spritze auf.
»Was treibt ihr hier?«, knurrte eine Stimme hinter den Zwergen. Sie drehten sich erschrocken zur Tür, und da stand Crabby mit vor der Brust verschränkten Armen.
»Was hast du da?«, fragte er und nickte argwöhnisch zu Dozy.
»Wir haben sie so gefunden!«, wimmerte Snotty und heulte Rotz und Wasser. »Ehrlich!«
Crabby stapfte auf die Zwerge zu, stieß sie beiseite und riss Dozy die Spritze aus der Hand. Mit einem prüfenden Blick sah er sich die Reste einer bräunlichen Flüssigkeit an.
»Das ist beschissenes Heroin.«
»Wird ... sie sterben?«, fragte Shy mit zittriger Stimme.
»Woher zum Klabautermann soll ich das wissen?«, zischte Crabby und stieß das Mädchen an, das sich jedoch nicht regte.
»Wer kann ihr das angetan haben?«, hakte Dozy nach.
»Ich hab’ da ’ne beschissene Ahnung«, sagte Crabby und verengte die Augen. »Shy, pass auf Snow auf, und Gnade dir Gott, sollte sie sterben. Sie ist unsere beste Stute. Ihr anderen kommt mit mir.«
Er machte kehrt und stiefelte aus dem Zimmer. Die Zwerge schlossen sich ihm an.
»Hältst du es für klug, Shy mit ihr alleine zu lassen?«, fragte Snotty.
»Wieso nicht?«
»Nun«, druckste der Zwerg herum, »Es ist so, dass er ein kleines bisschen in Snow verliebt ist.«
»Er weiß genau, was passiert, wenn er die Nutten anrührt«, versicherte ihm Crabby und schnappte sich seine alte Spitzhacke, die an der Wand lehnte. Dann blieb er vor einer der Türen stehen, aus der lautes Gestöhne drang. Mit einem Tritt, den man dem kleinen Mann nicht zugetraut hätte, flog die Tür auf.
Auf dem Bett in der Mitte streckte eine verbrauchte Alte, mit Haut, die an abgenutztes Leder erinnerte, ihren Arsch einem stämmigen Burschen entgegen, der sie von hinten penetrierte. An den Wänden und der Decke hingen etliche Spiegel, so dass man die beiden von allen Seiten beim Ficken beobachten konnte, ohne sich zu rühren.
»Wer ist die Schönste?«, stöhnte sie, woraufhin der Mann »Du, Bitch!«, grunzte und ihr auf den Hintern klatschte. Daraufhin kicherte die Frau.
»Hei-ho!«, rief Crabby, da die beiden die Anwesenheit der Zwerge nicht bemerkten.
Der Kerl schrak auf und zog sein saftendes Gemächt aus ihr heraus.
»Was wollt ihr denn hier?«, keifte die Hexe.
»Ich schätze, wir sollten dringend unser Arbeitsverhältnis diskutieren, Queeny«, erklärte Crabby.
»Hey!«, schnauzte der Kerl und stand vom Bett auf. »Ich hab’ für sie bezahlt!«
»Das ist für heut’ gelaufen«, blaffte ihn der Zwerg an und deutete mit dem Daumen über die Schulter zur Tür. »Kriegst dein Geld erstattet, Hunter, und jetzt verpiss dich.«
Dieser dachte nicht daran, baute sich vor Crabby auf und ballte seine Fäuste.
»Das glaube ich nicht ...«
Da schwang der Zwerg die Hacke behände, als hätte er nie das Bergwerk verlassen, und rammte sie dem Nackten mit Wucht zwischen die Beine. Ein Schwall Blut schoss aus der Wunde hervor, als hätte es Tags zuvor ein deftiges Chili zu Mittag gegeben, und der Freier fiel schreiend zu Boden.
»Was soll der Scheiß?«, blaffte ihn Queeny an. »Hunter ist mein bester Kunde!«
»War«, verbesserte Crabby, »und jetzt geht’s zum Chef.«
»Niemals, ihr schrumpelschwänzigen, kleinen ...«
Crabby schwang die Spitzhacke wie ein Drummer seinen Stick und blies ihr mit einem Schwinger mit dem Stiel die Lichter aus. Queeny knallte ohnmächtig zu Boden.
»Ihr tragt sie«, befahl Crabby den entsetzten Zwergen.
***
»Queeny, Queeny, Queeny«, dröhnte eine Stimme, die klang, als würde sie Nägel gurgeln. »Was ist nur aus dir geworden?«
Ihr Schädel pulsierte, als würde ihr ein beschissenes zweites Herz aus dem Kopf wachsen. Da erinnerte sie sich an den Schlag mit dem Griff. Die Nutte blinzelte die Benommenheit weg und erkannte das Gesicht des alten Zwergs. Der Chef.
Die gutmütigen Augen betrachteten sie über die kleine runde Nickelbrille, aber Queeny wusste es besser. Hinter dem freundlichen Antlitz verbarg sich der Kopf der Bande. Ein kriminelles Genie, das sich ein Drogenimperium aufgebaut hatte und sich nebenbei mit Zuhälterei die Taschen vollmachte. Vier weitere Zwerge standen hinter ihm, allen voran Crabby, der immer noch die blutverschmierte Spitzhacke in den Händen hielt und sie grimmig ansah.
Queeny versuchte sich zu bewegen, doch sie war an einen Stuhl gefesselt.
»Bind’ mich los, du verkackter Zw…«
Der Chef klatschte ihr mit der flachen Hand ins Gesicht und brachte sie so zum Verstummen.
»Ich geb’ hier die Anweisungen«, sagte er selbstgefällig. »Wieso willst du Snow tot sehen?«
»Ich? Sie töten?«, empörte sich Queeny, doch mit ihrem schauspielerischen Talent war es nicht weit her, und sie fing sich eine erneute Ohrfeige ein. »Ihr dreckigen Zwerge«, keifte sie, dass dem Anführer die Spucke entgegenflog. »Ich hab’ ein Alibi!«
»Hunter?«, lachte Crabby höhnisch und hob die Hacke in die Höhe. »Sein Sack klebt noch an meinem Werkzeug.«
Der Chef packte sie am Kinn. »Erst wolltest du sie erwürgen, dann die Sache mit dem vergifteten Kamm, und jetzt eine Überdosis? Was ist dein Scheißproblem?«
»Mein Problem?«, zischte Queeny und verengte die Augen zu Schlitzen. »Ich war mal die Schönste in diesem Puff. Alle wollten damals ein Stück von Queeny haben. Sogar du, Chef«- der Zwerg verzog keine Miene - »konntest deine dreckigen, kleinen Fingerchen nicht von mir lassen. Und dann kam diese Bitch Snow. Alle wollten auf einmal sie. Der Einzige, der noch seinen Scheißschwanz in mich stecken wollte, war Hunter.«
»Hat sich damit auch erledigt«, kicherte Crabby, und Queeny funkelte in wütend an.
»Ja, ich war’s!«, gab sie fauchend zu.
Der Chef nickte gutmütig. »Danke für deine Ehrlichkeit.« Dann wandte er sich ab. »Ich hab’ genug gehört. Entsorgt sie.«
»Nicht das schon wieder«, stöhnte Dozy. »Das ist eine ungeheure Sauerei.«
Crabby trat vor, da legte Queeny den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus.
»Was’n so witzig?«, fragte Crabby.
»Glaubt ihr Stummelzwerge tatsächlich, dass das alles war, was Queeny drauf hat?«
»Was meint sie?«, wollte Snotty wissen und zitterte.
In diesem Augenblick drang ein lautes Knacken aus dem Erdgeschoss.
»Da sind sie ja schon«, kicherte Queeny.
Der Chef trat auf sie zu, kletterte auf ihren Schoß und sah ihr tief in die Augen. »WAS – HAST – DU – GETAN?«
»Ich hab’ vielleicht«, Queeny verzog das Gesicht zu einer Grimasse, »der DEA einen itzibitziklitzekleinen Tipp über euren Aufenthalt gegeben.«
Kaum waren die Worte gesprochen, spürte sie etwas wirklich Hartes an ihrer Brust. Sie kannte die vertrocknete Nudel des Zwergs, und wenn ihm in der Zwischenzeit nicht vierzehn Zentimeter mehr gewachsen waren, dann ... Sie sah hinab und in das schwarze Loch eines Revolvers.
Es knallte, und Queenys Kopf wurde durch die Wucht nach hinten geschleudert. Dessen Inhalt verteilte sich wie ein eruptierender Vulkan im Raum.
Der Chef drehte sich zu den Zwergen, die, abgesehen von Crabby, in eine Schreckensstarre verfallen waren.
»Und jetzt«, er sprang von der toten Nutte und eilte zum Schreibtisch, wo er eine Pfeife sowie einen Beutel Methamphetamin aus einer Schublade holte und auf den Tisch knallte, »zeigen wir den Bullen, dass mit uns Zwergen nicht zu scherzen ist.«
***
»Wir gehen rein«, gab der DEA-Agent das Kommando, und die acht Mann starke Truppe trat durch die aufgebrochene Tür. Zwei sicherten den Ausgang, die übrigen teilten sich in Zweiertrupps auf. Ein Duo eilte durch den Flur in Richtung Keller, ein weiteres drang in den Korridor mit den Prostituierten vor. Das dritte Team stieg mit vorgehaltenen Schusswaffen die Treppe empor. Da erschien Snotty an der obersten Stufe. Die beiden stoppten.
»DEA!«, rief einer. »Nehmen Sie die Hände hoch!«
Der Zwerg folgte der Anweisung und der zweite Agent trat näher, während sein Partner ihn absicherte.
»An die Wand, und keine Tricks!«
Snotty tat das Gegenteil, zog eine Grimasse und nieste dem Mann eine Portion grüngelbe Rotze ins Gesicht. Dieser schrie auf, versuchte die schmierige Masse wegzuwischen, da zog der Zwerg eine Pumpgun hinter seinem Rücken hervor. Noch bevor sein Partner Snotty mit einem Headshot ausschalten konnte, verpasste der Zwerg dem desorientierten Agenten eine Ladung in die Brust.
Snotty war tot, ehe er auf dem Boden aufschlug. Den getroffenen Mann hatte es nach hinten geschleudert. Er riss seinen Kollegen von den Füßen und fiel mit ihm die Treppe hinab. Kaum waren sie unten angekommen, tauchte ein weiterer Zwerg auf der obersten Treppenstufe auf, dessen Augen durch die geplatzten Äderchen zu glühen schienen.
Dozy.
Er nahm Anlauf, übersprang sämtliche Stufen und schwang eine Spitzhacke über seinem Kopf.
Der Agent schrie, hob die Waffe, da rammte ihm der Zwerg das Werkzeug in die Stirn, und die Spitze trat aus dem Hinterkopf heraus.
Dozy zog mit aller Kraft, bekam das Eisen jedoch nicht aus dem Schädel gezogen. Die abgestellten Wachen reagierten und verpassten dem Zwerg mehrere Kugeln in den kleinen Leib, bis er tot umfiel.
»Wir haben an der Treppe ein Problem«, gab einer der Polizisten über Funk durch. »Zwei Agents am Boden!«
Das Kellerteam kam aus dem Untergeschoss, und einer zog Jolly am Kragen hinter sich her. Als sie bei ihren Kollegen angelangt waren, ließ der DEA-Agent den Zwerg auf den Fußboden fallen.
»Der ist total weggetreten«, erklärte er. Sein Blick fiel auf das Knäuel aus blutenden Leichen am Fuß der Treppe, und er erkannte seine toten Kameraden.
»Wie viele haben wir erwischt?«, fragte er mit belegter Stimme.
»Mit dem«, der Wachmann nickte zu Jolly, »sind es drei.«
»Bleiben vier übrig.«
Aus dem Korridor mit den Nuttenzimmern trat ein Agent. »Dort drin ist alles sauber, abgesehen von einer übel zugerichteten Leiche und einer Prostituierten. Ray ist bei ihnen.«
Aus dem ersten Stock hörten sie Getrappel. Etwas huschte am Geländer entlang, und die Polizisten zielten mit den Waffen Richtung Obergeschoss.
»Dann haben sich die anderen oben verschanzt«, erklärte einer. »Lasst uns die Ratten ausräuchern.«
Die fünf Agenten stiegen die Stufen hinauf, zwei Mann sicherten die Treppe. Im Flur huschte eine Gestalt von einem Raum zum anderen. Die Polizisten schossen, verfehlten den Zwerg jedoch knapp. Als er erneut quer über den Gang lief, kam er ins Straucheln und knallte gegen die Wand.
»Am Boden bleiben!«, gab der vorderste Agent den Befehl und legte mit der Waffe an, doch Goony regte sich nicht. Langsam trat der Polizist näher.
»Sei vorsichtig«, warnte ihn sein Kollege am anderen Ende des Flurs.
»Ich fass’ es nicht«, lachte der Agent und stupste den Zwerg mit der Fußspitze an. »Der hat sich selbst ...«
Da schoss der Minizwerg hoch und verbiss sich in die Weichteile des Polizisten. Dieser wurde von der Wucht nach hinten geworfen, knallte zu Boden und verlor das Gewehr. Schreiend hämmerte er auf den Körper ein, der nicht von ihm ablassen wollte. In diesem Augenblick sah der Agent eine Schaufel auf sich niedersausen, die ihm den Schädel spaltete.
So schnell wie Crabby zugeschlagen hatte, so schnell war er wieder hinter seiner Deckung, dem Türrahmen, verschwunden. Keine Sekunde zu spät, da zischten schon die ersten Projektile durch den Flur und in Goony, der getroffen torkelte, bis er neben den toten Polizisten zusammenklappte. Die übrigen zwei Agents drückten sich an die Wände und visierten das Versteck an.
»Weg mit der Schaufel!«, brüllte einer.
Kurz darauf flog das Werkzeug in den Flur.
»Und jetzt komm mit erhobenen Händen heraus!«
Crabby trat vor. Seine Hände waren hinter dem Kopf verschränkt.
»Auf den Boden!«
»Fick‘ dich, Bulle«, knurrte Crabby.
»Ich hab’ gesagt: Auf – den – Boden!«
»Und ich hab gesagt« - der Zwerg grinste und zog seine Spitzhacke hinterm Rücken hervor - »Fick‘ – dich – Bulle!«
Brüllend stürmte Crabby auf die beiden zu, die sofort das Feuer auf ihn eröffneten. Die Kugeln trafen ihr Ziel, doch der Zwerg war nicht zu stoppen, duckte sich darunter weg und rammte die Hacke in den Oberschenkel eines der Polizisten. Dieser schrie auf und knallte gegen die Wand.
Sein Kollege fuhr herum und feuerte. Crabby zuckte unter den Einschlägen, bis es klickte.
Der Zwerg war übersät mit Löchern.
»Bastard«, knurrte der verletzte Agent, schnappte sich die Spitzhacke vom Boden und rammte sie Crabby in den Leib.
»Bleiben zwei«, stellte sein Kamerad fest.
»Wenn ich bitten darf«, drang eine Stimme aus dem Raum, aus dem der Zwerg sie überrascht hatte, »kommen Sie herein und holen mich. Falls Sie noch laufen können.« Es folgte ein gehässiges Kichern.
»Mach‘ den Wichser kalt«, sagte der Verletzte und überreichte seinem Partner das Gewehr. Dieser nickte und begab sich mit der Waffe im Anschlag zum Zimmer und spähte hinein.
Der Raum lag im Dunkeln, abgesehen von einer Schreibtischlampe mit grünem Schirm. Die Tote konnte er im Zwielicht dennoch erkennen. Hinter dem Schreibtisch saß der Chef der Bande, augenscheinlich unbewaffnet, denn seine Hände ruhten auf der Tischplatte.
»Sie kommen alleine?«, fragte er zynisch. Der Agent trat vor und visierte den Zwerg an. Dieser grinste ihn so freundlich und gutmütig an, wie es die älteren Männer von einem Werbeplakat für Rentenversicherungen taten. Doch der Agent wusste um dessen Hinterlist.
»Möchten Sie einen Drink?«, bot dieser scheinheilig an und schob seine Hand unter den Schreibtisch.
»Lass die Wichsgriffel, wo ich sie sehen kann!«, befahl der Polizist.
Der Chef hob langsam die Hände.
»Ein Jammer«, seufzte er, rutschte vom Stuhl und verschwand unterm Tisch.
Der Agent feuerte, traf jedoch nur den Schreibtischstuhl. Das Futter stob auf und rieselte wie Neuschnee auf die Tischplatte. Da schwang eine Klappe der Verkleidung auf, und die Läufe von zwei Pistolen lugten daraus hervor.
»Hättest den verdammten Drink nehmen sollen«, knurrte der Chef und schoss aus allen Rohren. Der Agent hechtete zur Seite. Die Projektile zischten knapp an seinem Ohr vorbei, und er rettete sich hinter einem Sofa. Fump, fump – schlug die Munition ins Mobiliar ein, bis der Zwerg das Feuer einstellte.
Der Agent hörte Keuchen, Schritte. Dann richtete er sich langsam auf und blickte in die zwei Läufe der riesigen Kanonen.
»Zeit, zu sterben, B... «
Der Chef rutschte auf der Blutlache, die sich um Queeny gebildet hatte, aus, lag waagerecht in der Luft und schlug heftig auf dem Boden auf. Ein Schuss löste sich, und das faltige Gesicht mit der Nickelbrille explodierte in einem roten Sprühregen.
»Wow ...« Mit offenem Mund, und ungläubig blinzelnd, starrte der Agent auf das Blut, das aus dem Hals des Zwergs pumpte und sich mit dem der Frau vermischte. Dann knackte das Funkgerät.
»Donny«, krächzte es aus dem Gerät. »Was zum Teufel ist bei euch oben los?«
Der Polizist räusperte sich. »Das war der Sechste. Keine Ahnung, wo der andere steckt. Wie sieht’s bei dir aus, Ray?«
***
Ray musterte das Mädchen, das wie tot dalag. Ihr schwarzes Haar stand im Kontrast zu ihrer weißen Haut. Ihr Körper war von einem dünnen Laken bedeckt. Dann sprach er ins Funkgerät: »Die haben einem der Mädchen heftige Drogen gegeben, aber einen Zwerg habe ich nicht gefunden. Hat sich vermutlich aus dem Staub gemacht.«
Er hockte sich zu dem Mädchen.
»Können Sie mich hören?«
Langsam drehte sie den Kopf zu ihm. Ein gutes Zeichen.
»Ich bin Agent Prince«, sagte er. »Sie sind in Sicherheit.«
Sie grinste.
»In Sicherheit?«, zwitscherte sie. »Auf Ihrem Schloss?«
Der Polizist runzelte die Stirn. »Sicher.«
Das Mädchen seufzte erleichtert auf. Dann sagte sie: »Und sie lebten glücklich und zufrieden bis ans Ende ...«
»Deiner Tage, Bulle!«, drang es unter dem Laken hervor, und etwas drückte gegen den Leinenstoff. Bevor der Agent reagieren konnte, knallte es, und eine Shotgun-Ladung in die Brust schleuderte ihn durch das kleine Zimmer.
Shy riss das Laken weg und lud das Gewehr nach.
»Komm, Snow«, sagte er und half ihr auf. »Zeit, die Biege zu machen.«
So flohen sie mit reichlich Schusswechseln und einigen toten DEA-Agenten und lebten fortan glücklich und zufrieden, bis Snow und Shy in einem kleinen Motel an der Grenze von Mexiko geschnappt wurden.
Shy wurde stellvertretend für seine sechs Kameraden eingebuchtet, wohingegen Snow nach ihrem Entzug die Filmrechte an einen Großkonzern verkaufte, der eine familiengerechte Version ihrer Geschichte veröffentlichte.
Snow leistete sich ein Schloss und einen Prinzen, und endlich lebte sie glücklich und zufrieden, bis an ihr Ende.