Alarmstufe Blond - Johanna Marthens - E-Book

Alarmstufe Blond E-Book

Johanna Marthens

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Beschreibung

Der Landarzt ist definitiv der attraktivste Mann, der mir je begegnet ist. Und als ich nach einem Unfall mit blutender Kopfwunde vor ihm stehe, ahne ich bereits, dass er mein Untergang sein wird. Oder ist diese Begegnung der Anfang einer großen, romantischen Liebe? Stadtpflanze Pippa kommt in ein winziges Dorf, wo jeder jeden kennt. Als sie nach einem Unglück beim Dorfarzt landet, verliebt sie sich Hals über Kopf in ihn und versucht danach, einen guten Eindruck bei ihm zu hinterlassen - mit mäßigem Erfolg, um es freundlich zu formulieren. Ihr passiert ein Missgeschick nach dem anderen, und jedes Mal landet die Chaosbraut beim sexy Doktor. Doch dann macht Pippa einen katastrophalen Fehler, vor dessen Konsequenzen sie nicht einmal der attraktivste Arzt der Welt retten kann … LESERMEINUNGEN: *5,0 von 5 Sternen In gewisser Weise bin ich eine Leseanfängerin. Seit Jahrzehnten keine Bücher mehr gelesen ... Zu Weihnachten gönnte ich mir einen Kindle. Dies war das erste Buch, welches ich las. Direkt bei den ersten Seiten bekam ich mehrere Lachanfälle, so dass mein Sohn mich fragte, was denn los sei. Diese Geschichte war so herrlich zu lesen. Ich war immer gespannt, wie es weitergehen würde. Das haben viele Bücher vorher nicht geschafft ... Gefällt mir sehr gut. * Stadt - Land - Liebe Pippa ... möchte in ihrem Urlaub ein Haus, das ihre Freundin Carolin erworben hat, wohnlich herrichten. Wie sie im Örtchen Frankenstein ankommt und sich zurechtfindet. Warum es ihr leichter fällt als gedacht, auf einiges zu verzichten, und zu guter letzt, warum Unfälle manchmal Glücksfälle sind. Bitte bitte nehmt euch die Zeit und lest das Buch. * Sehr witzige, kurzweilige Unterhaltung Wer sich amüsieren will und nette Unterhaltung sucht, ist hier genau richtig. * Witzig und lesenswert * 5,0 von 5 Sternen Es ist so ein typisches Frauenbuch. Es hat Witz, Charme und ist einfach klasse. Kann ich nur weiterempfehlen. * schöner kurzweiliger Liebesroman ein wirklich schönes kurzweiliges Buch mit Happy End, eine typische Liebesgeschichte und somit eine super schöne Sommerlektüre für den Urlaub, empfehlenswert * Herrlich diese Vorurteile, die auch noch bestätigt werden. Könnte mir dieses Buch auch als Film vorstellen. Unterhaltsam und Angriff auf die Lachmuskeln ... * Ein angenehmer Zeitvertreib Die Geschichte ist niedlich und einfach nur herrlich unbekümmert, genau das richtige, um mal so richtig abzuschalten ...

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Dieses Werk ist reine Fiktion. Jegliche Ähnlichkeiten mit real lebenden oder verstorbenen Personen sowie Schauplätzen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle darin beschriebenen Vorkommnisse sind frei erfunden.

 

©Johanna Marthens, 2021

 

 

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren, Vervielfältigen und Weitergabe ist nur zu privaten Zwecken erlaubt. Der Weiterverkauf des eBooks ist ausdrücklich untersagt.

 

 

 

 

Den Reichtum eines Menschen misst man an den Dingen, die er entbehren kann, ohne seine gute Laune zu verlieren.

Henry David Thoreau

Inhaltsverzeichnis

 

TAG 1

TAG 2

TAG 3

TAG 4

TAG 5

TAG 6

TAG 7

TAG 8

TAG 9

TAG 10, jedoch erst aufgeschrieben am TAG 11

TAG 11

TAG 12

TAG 13

TAG 14

TAG 15

TAG 16

TAG 17

TAG 18

TAG 19

TAG 20

TAG 1 IM NEUEN LEBEN

Über die Autorin

Impressum

TAG 1

3.Juli, noch 14 Tage bis zum Erstschlag

 

 

ES HÄTTE SCHLIMMER kommen können. Ehrlich.

Pippa, dachte ich, sei froh, dass sie überhaupt Straßen haben, auch wenn diese mehr Feldwegen gleichen und noch nie Teer oder Asphalt aus der Nähe gesehen haben. Freu dich, dass die Schlaglöcher nur bis zu den Knien reichen und man nicht gleich den Bergrettungsdienst rufen muss, falls man mal hineinfällt. Und genieße es, dass die Bewohner tatsächlich von diesem Planeten stammen, auch wenn sie mich anglotzen, als wäre ich eine Außerirdische.

Ich erinnerte mich dunkel daran, in einer Talkshow gehört zu haben, dass es gesund sei, positiv zu denken und in allem etwas Gutes zu sehen. In dem Moment, als ich in das Dorf mit dem wenig versprechenden Namen »Frankenstein« fuhr, fühlte ich mich unglaublich gesund. Denn was ich da zu sehen bekam, hätte mir fast Schreckenslaute ohne Ende entlockt, aber ich zwang mich weiterhin zum Optimismus. Langsam zuckelte ich, tiefe Schlaglöcher vermeidend, in meinem türkisfarbenen Kleinwagen (Türkis passt hervorragend zu meinem Teint und den blonden Haaren) die Hauptstraße hinunter, an der kleinen Kirche vorbei, und hielt nach dem Ziel meiner Reise Ausschau. Frankenstein 18 lautete die Adresse, es sollte ein leer stehendes Haus mitten im Ort sein – und mein Heim für die nächsten drei Wochen.

Ich seufzte leise bei dem Gedanken an diese kommenden Tage, die ich, fernab meiner geliebten Stadt und jeglicher Zivilisation, in diesem Kaff zubringen musste, und schielte vorsichtig auf die Bewohner, die beim Klang meines Wagens neugierig aus ihren Häusern gelaufen kamen. Sie sahen aus wie Menschen, hatten zwei Beine, zwei Arme und einen Kopf. Als ein Mann seine Hand zum Gruß hob, erblickte ich sogar fünf schmutzige Finger. Eindeutig Homo sapiens. Immerhin befand ich mich wirklich noch auf der Erde.

Wieder wollte ich seufzen, doch zum Wohle meiner Gesundheit rief ich mich schnell zur Ordnung. Positiv denken, Pippa. Drei Wochen, in denen du dich nicht mit deiner neurotischen Chefin herumärgern musst. Drei Wochen, in denen du in Ruhe deine nicht vorhandene Karriere in Gang setzen kannst. Drei Wochen, in denen du dich voll und ganz um die Einrichtung eines Hauses für deine Freundin Caroline kümmern wirst …

Ich wollte gerade noch etwas Positives zu der Liste hinzufügen, als mein Fuß erschrocken vom Gaspedal rutschte, sodass der Motor mit einem hungrigen Ächzen erstarb und mein Auto ungehalten stehenblieb. Verwirrt drehte ich mich zur Seite und starrte zum Fenster hinaus. War das wirklich schon die richtige Adresse? Rechter Hand erblickte ich ein herrschaftliches Haus mit zwei Stockwerken. Außen blätterte etwas Farbe ab, an einer Wand rankte Efeu bis zum Dach. Der Garten war verwildert, aber ansonsten sah das Anwesen beeindruckend groß und imposant aus. Das konnte doch nicht sein! Ich hatte eine kleine Hütte erwartet, maximal ein Bauernhaus mit drei Zimmern, aber keine Villa. Doch die Hausnummer, die etwas ranzig neben dem Tor prangte, belehrte mich eines Besseren. Nummer 18. Falls ich mich tatsächlich im richtigen Dorf befand, war dieses Haus das Ziel meiner Reise. Ich kniff die Augen zusammen und blinzelte zum Klingelschild, wo für sehbehinderte Besucher noch einmal die Hausnummer in Übergröße stand. Die besagte dasselbe. Ich war angekommen.

Langsam stieg ich aus und schnupperte in die Luft.

Es roch anders. Es roch … nach Sauerstoff. Ich hatte zwar keine Ahnung, ob man Sauerstoff wirklich riechen konnte, aber falls man es konnte, musste er so riechen. Sauber. Als wäre die Luft frisch gewaschen. Hin und wieder huschte ein Hauch Kuhmistaroma durch den Duft, aber das kann dir bei frischer Wäsche auch passieren (Hände weg von Billig-Waschmitteln, ich weiß, wovon ich spreche!).

Ich holte tief Luft und verschluckte mich sofort. Nach sechsundzwanzig Jahren Stadtluft mit ihrer täglichen Dröhnung an Auspuffgasen, Staub, Essens- und anderen Lebensausdünstungen aus jedem Fenster und Türspalt, waren es meine Lungen einfach nicht gewohnt, soviel Sauerstoff zu bekommen. Wie, wenn man seine Zimmerpflanze im Frühling zu früh auf den Balkon stellt und sie Sonnenbrand bekommt. Hustend und prustend von meinem inneren Sonnenbrand beziehungsweise meiner Sauerstoffvergiftung torkelte ich zum Tor und stieß es auf. Es knarrte und quietschte und übertönte damit, Gott sei Dank, meinen Hustenanfall, sodass ich in der Stille des Dorfes nicht noch unangenehmer auffiel.

Langsam beruhigten sich meine Lungen und ich ging zu der Treppe, die zur Eingangstür hinaufführte. Dort angekommen musste ich mich erst einmal am Geländer abstützen. Mir war schwindelig. Offensichtlich blockierten die Sauerstoffatome wichtige Hirnwindungen und sorgten für ein Karussell in meinem Kopf. Schnell machte ich mir eine geistige Notiz, über Nacht den Motor meines Wagens vor dem Schlafzimmerfenster laufen zu lassen, um meinen Lungen ihr gewohntes Abgasgemisch zukommen zu lassen. Wie Caroline das in Zukunft aushalten wollte, war mir ein Rätsel, aber sie war auch aus einem anderen Holz geschnitzt als ich. Sie kam mit der Stadt nicht zurecht und wollte ihr den Rücken kehren.

Ich konnte ihre Entscheidung überhaupt nicht nachvollziehen. Was waren schon ein paar Hautprobleme gegen den Luxus, an jeder Ecke Schuhläden zu finden, Eisdielen, Waxing-Studios und Friseure und auch alle anderen Gelüste sofort befriedigen zu können? Seitdem Caroline von einem Arzt die Diagnose einer dubiosen Hautkrankheit aufgrund von schlechter Luft, Stress und permanenter Lärmbelastung erhalten hatte, war sie nicht wiederzuerkennen. Sie badete in Quark, ging mit den Hühnern schlafen und wusch ihre Haare mit einem Extrakt aus Eiern und Avocados. Wenn man sie zu Hause überraschte, traf man sie mit Honig im Gesicht an, vorzugsweise bekleidet mit einem Schlafanzug aus handgepflückter, ökologisch sauberer, fair gehandelter Baumwolle und mit Knöpfen aus Horn. Und kürzlich hatte sie verkündet, ihr erspartes Geld statt in schicke Kleider, Kinokarten und elegante Schuhe, in ein Haus auf dem Land in der Nähe eines Sees angelegt zu haben.

Und vor dem stand ich nun. Es war kein Schloss, aber von außen betrachtet wirklich mehr als annehmbar. Sie hatte einen guten Kauf getätigt.

Gemächlich stieg ich in meinen kurzen Hosen und den Absatzschuhen die Treppe hinauf und fummelte den Haustürschlüssel, den mir Caroline mitgegeben hatte, aus meiner Handtasche. Er passte perfekt ins Schloss.

Ich weiß nicht mehr, was ich erwartet habe, vielleicht ein Wunder wie in einem Märchen, in dem das Haus voller schöner Möbel stand, die nur darauf warteten, dass jemand sie wieder zum Leben erweckte. Als die Tür aufschwang, empfing mich jedoch nur gähnende Leere. Die Räume strahlten Kühle aus, Tapeten hingen in Fetzen herunter, ein paar Bretter lagen herum, ebenso ein einzelner Stuhl. Es roch muffig, als sei jahrelang nicht gelüftet worden.

Ich schloss die Tür hinter mir und stöckelte die Treppe hinauf. Im Obergeschoss erwartete mich dasselbe Bild: leere Räume, renovierungsbedürftige Wände und schmutzige Böden. Ich seufzte leicht, obwohl sie mir genau diesen Anblick eigentlich angedroht hatte. Deshalb war ich hier. Ich sollte für Caroline das Haus in Ordnung bringen, damit sie am Ende des Monats einziehen konnte. Allerdings hatte es in meiner Vorstellung nicht ganz so trostlos ausgesehen.

Erneut an meine Gesundheit denkend, versuchte ich, etwas Positives an meiner Aufgabe zu finden, doch das fiel mir in dem Moment unglaublich schwer. Ich holte tief Luft, um einmal aus tiefstem Herzen zu stöhnen, doch ein weiterer Hustenanfall machte meinen Plan zunichte. Verdammt, war dieser Sauerstoff sogar ins Haus eingedrungen?

Schlurfend schlenderte ich über den alten Dielenboden, klopfte mit den Händen wie wild gegen die Wände und riss ein paar Tapetenfetzen ab, sodass bald der Staub in den Räumen tanzte. Vorsichtig holte ich wieder tief Luft. Kein Husten. So würde ich es aushalten können.

 

***

 

ZWEI STUNDEN SPÄTER hatte ich fünf Koffer und drei Taschen mühsam aus meinem Auto ausgeladen, wobei mich zwei neugierige Augenpaare die ganze Zeit verfolgten. Sie gehörten zu einem alten Mann in einer schmutzigen Hose und einem grauen Hemd, das aussah, als wäre es vor vielen Jahren einmal weiß gewesen, und einer Frau im mittleren Alter, die Jeans und T-Shirt trug. Sie wohnten direkt nebenan in einem kleinen, von Efeu überwucherten Haus und winkten hin und wieder zu mir herüber.

Ich tat so, als würde ich sie nicht sehen, um gar nicht erst in Verlegenheit zu geraten, mich mit ihnen unterhalten zu müssen. Ein Gespräch mit Einheimischen war das Letzte, worauf ich heute Lust hatte. Ich wollte einfach nur das Haus inspizieren, damit ich wusste, was auf mich zukam, dann essen gehen, ein paar SMS an Caroline schicken und den Rest des Tages mit meinem Computer im Internet verbringen, um noch ein paar Sommersachen zu shoppen. Einen neuen Badeanzug zum Beispiel, da es ja hier in der Nähe einen See geben sollte und mein alter nicht mehr der neuesten Mode entsprach.

Es begann zunächst alles ganz geschmeidig nach Plan zu laufen, bis auf einen kleinen Zwischenfall auf der Treppe, als sich plötzlich meine Matratze aufwickelte und der Länge lang auf der Treppe lag, wo sie langsam Stufe für Stufe hinunterrutschte. Ich setzte mich schnell darauf, in der Hoffnung, mein Gewicht würde sie aufhalten, doch mein Einsatz hatte nur den Effekt, dass ich mitgerissen wurde und gut durchgeschüttelt unten ankam. Vorsichtig blickte ich mich um. Wie es aussah, war diese Peinlichkeit von meinen Nachbarn unbemerkt geblieben.

Danach richtete ich mich stolz wieder auf und versuchte, die Matratze unter den Arm zu klemmen, doch sie war zu breit. Ich nahm sie auf den Rücken, aber erneut widersetzte sie sich. Schließlich zog ich sie an einer Ecke die Treppe nach oben, wodurch sie sehr viel Staub aufwirbelte, was mir wiederum beim Atmen half.

Schließlich war alles ausgeladen und ich saß schweißgebadet auf dem einzigen Stuhl im Wohnzimmer und sah zu, wie sich der Staub langsam setzte. Bevor ich wieder Atemnot bekam, sprang ich auf und begann, mit einem Besen die Räume auszufegen. Ich pfiff sogar ein Liedchen dabei, so sehr erinnerte mich die Luft in den Räumen nun an mein städtisches Zuhause an einer dichtbefahrenen Straße.

Als das erledigt war, warf ich den Dreck in einen mitgebrachten Eimer und stellte ihn für den Notfall in die Ecke. Bei einer drohenden Sauerstoffvergiftung konnte ich meinen Kopf hineinhalten.

Danach wollte ich eigentlich nach draußen gehen und mit dem Auto nach einem Restaurant Ausschau halten, weil mein Magen drohend zu knurren begonnen hatte, doch da entdeckte ich eine Treppe. Sie war mir vorher gar nicht aufgefallen, weil sie sich hinter einer Tapetentür versteckte. Aber da ich einige Tapetenbahnen heruntergerissen hatte, klaffte die Lücke zwischen Tür und Wand auffällig deutlich und lud förmlich zu einer Indiskretion ein.

Ich öffnete vorsichtig die Tür und stieg die Stufen hinauf. Es war dunkel, nur diffuses Licht von oben beleuchtete den Weg. Als ich die letzte Treppenstufe erreichte, sah ich mich um. Ich befand mich auf dem Dachboden. Die Sonne schien schräg durch das kleine Dachfenster und malte einen hellen Fleck auf den dunklen Dielenboden. Ein paar Bretter lagen herum, dahinter entdeckte ich einen alten Koffer und eine Kiste. Neugierig ging ich auf die Kiste und den Koffer zu, dabei darauf Acht gebend, mir nicht den Kopf an den schrägen Dachbalken zu stoßen.

In der Kiste lag Gerümpel: ein Pokal, eine CD mit Liedern von U2, eine Lederweste, ein paar leere Schulhefte, ein Teddybär ohne Ohren. Kein verborgener Schatz, keine Juwelen, nicht einmal eine Erstausgabe von »Robinson Crusoe«.

Auch im Koffer befand sich nichts Besonderes, nur ein paar alte Kleidungsstücke, ein Kerzenständer und ein paar Bücher über die Anatomie des menschlichen Körpers. Enttäuscht wollte ich den Koffer wieder zuklappen, als mir doch etwas ins Auge fiel. Es war die Ecke eines Holzrahmens, die zwischen den Sachen hervorlugte. Ich zog den Rahmen hervor und fühlte mich wie vom Donner gerührt. Von dem Foto blickte mir das Gesicht meines Traummannes entgegen. Der Typ sah umwerfend aus. Ende Zwanzig, dunkle, kurze Haare und rehbraune Augen. Durch sein Lächeln zeigte sich ein zartes Grübchen auf der linken Wange. Er war definitiv der attraktivste Mann, der mir je in meinem Leben begegnet war. Dabei waren mir schon viele gut aussehende Männer über den Weg gelaufen, in der Stadt traf man sie an jeder Ecke, aber, wie soll ich sagen, keiner hatte bisher einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Oder ich bei ihm. Nach zwei Jahren Beziehung zu einem Mann, den ich während des Studium kennengelernt hatte, Ralph, musste ich feststellen, dass er eigentlich die ganze Zeit in meine Freundin Josephine verliebt und mit mir nur zusammen war, um hin und wieder in ihrer Nähe sein zu können. Daraufhin hatte ich mich sowohl von ihm als auch von Josephine getrennt, obwohl die eigentlich nichts für das Dilemma konnte.

Seitdem war ich Single und ein gebranntes Kind, und ich würde es wohl auch bleiben, denn der Mann meiner Träume, der mir von diesem Foto entgegenlächelte, war offensichtlich vergeben. Neben ihm stand eine Frau, wie man sie sich nicht schöner vorstellen konnte. Sie hatte ein Lächeln wie von einer Zahnpasta-Werbung und lange braune Locken, die ihr perfektes Gesicht umspielten. Die beiden sahen aus wie das glücklichste Paar auf der ganzen Welt.

Mein Herz begann bei diesem Anblick zu schmerzen. Warum sah er mich nicht so an? Gut, er kannte mich nicht. Das war ein triftiger Grund. Aber selbst wenn ich ihm begegnen würde, würde er sich vermutlich niemals in mich verlieben. Mein strohblondes Haar machte immer, was es wollte, und die Männer dachten, es bedeckte ein leeres Köpfchen, sodass sie bitter enttäuscht waren, wenn ich ihnen von meinem Studienabschluss erzählte. Außerdem besaß ich eine viel zu helle Haut und grüne Augen, von denen mein Ex einmal gesagt hatte, dass sie wie Moos aussahen. Moos! Bei Moos musste ich immer an alte, faltige Baumstämme oder eine betagte Schildkröte denken, aber nicht an eine sexy Geliebte und Traumfrau. Er vermutlich auch nicht, deshalb war er mehr an Josephine mit ihren braunen Haaren und blauen Augen interessiert gewesen.

Ich seufzte leise und nahm das Bild noch einmal zur Hand, um auf der Rückseite zu sehen, wie die beiden hießen, aber da stand nichts. Vorsichtig strich ich mit dem Finger über sein Gesicht. Es hätte ja sein können, dass wie bei Aladdin und seinem Dschinn etwas passierte, nur dass es sich statt um eine alte Lampe um ein Foto handelte. Aber diese Geste erweckte ihn nicht zu Leben.

Als auch beim dritten Darüberstreichen nichts passierte, legte ich das Foto zurück in den Koffer. Was ich mit dem ganzen Krempel machen würde, wusste ich allerdings noch nicht. Er musste den vorherigen Besitzern gehört haben, aber wer das war, entzog sich meiner Kenntnis. Also würde ich vermutlich alles wegwerfen.

Ich stand auf und stakste zurück zur Treppe. Doch wie so oft in meinem Leben, klafften an diesem späten Nachmittag Absicht und Durchführung weit auseinander. Die Abendsonne machte mir leider einen Strich durch die Pläne, unbeschadet die Stufen hinunterzugelangen. Sie musste gemerkt haben, dass ich eine Stadtpflanze war, die die Sonne nur hin und wieder im Park antraf, sie aber sonst in den Häuserschluchten nie zu sehen bekam, und falls doch, nur durch mehrere Staubschichten hindurch. Durch das Dachfenster verpasste sie mir jedenfalls eine volle Ladung. Von den schräg stehenden Strahlen geblendet übersah ich die erste Stufe.

Ich weiß nicht mehr, was lauter war, mein Schrei oder das Poltern, das mein Fallen verursachte. Jedenfalls lag ich ein paar Sekunden später mehrere Treppenstufen tiefer eingequetscht neben der Tür und hielt mir alle Knochen, die ich in meiner Lage berühren konnte. Mir tat alles weh, von oben bis unten.

Sobald ich wieder einigermaßen klar denken konnte und wusste, dass ich Pippa Stoltz hieß, sechsundzwanzig Jahre alt war und als ewige Redaktionsassistentin bei einer bekannten Frauenzeitschrift arbeitete, machte ich den Schnellcheck. Ich versuchte, von unten nach oben jeden Knochen zu bewegen und auf seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Die Zehen schmerzten zwar, aber nicht über Gebühr. Nichts gebrochen. Auch die Beine schienen heil zu sein. Meine Hüfte war verdreht, aber auch nicht gebrochen, dasselbe mit den Armen und Händen. Was mein Schädel sagte, war eine andere Sache. Irgendetwas stach unheimlich schmerzhaft in meiner Schläfe. Ich griff mit der Hand, die weniger wehtat, an die Stelle. Etwas Rotes, Flüssiges klebte an meinen Fingern. Ich blutete.

Mühsam stand ich auf und hinkte durch die Tapetentür zurück ins Haus und dann vorsichtig hinunter ins Freie, bis ich auf der Straße stand. Wohin wollte ich eigentlich? Gab es in diesem Nest einen Arzt? Brauchte ich überhaupt einen oder half nicht vielleicht ein Pflaster weiter?

Vorsichtig tastete ich wieder meine Schläfe ab, doch die Wunde schien größer zu sein, als ich gehofft hatte. Das Blut rann über meine Finger und lief den Arm hinunter.

»Ich bringe Sie zum Arzt«, sagte plötzlich eine weibliche Stimme neben mir. Ich hatte keine Ahnung, woher sie gekommen war, vermutlich befanden sich wichtige Teile meines Gehirns im Schockzustand und versagten ihren Dienst. Ich nickte, was einen leichten Schwindel in meinem Kopf hervorrief. Dann wurde ich vorsichtig zu einem altersschwachen Trecker geführt, der ebenso plötzlich neben mir stand. Nur wenige Augenblicke später tuckerten wir die Straße hinunter, wobei mein Kopf durch das Poltern über die Schlaglöcher noch mehr dröhnte. Kurz danach hielten wir vor einem hellen, einstöckigen Gebäude an.

Die Frau, ich hatte sie inzwischen als meine Nachbarin identifiziert, half mir beim Runtersteigen und führte mich zu einer hellbraunen Tür, die sie aufstieß. Dahinter verbarg sich ein Wartezimmer ohne Patienten. Die Sprechstunde war längst vorüber.

»Leonard! Doktor Diercksen! Ein Notfall!«, rief die Frau und setzte mich auf einen Stuhl, bevor sie zu einer Theke am Ende des Raumes sprang, auf dem sich eine Klingel befand.

›Wie im Hotel‹, dachte ich und wollte noch etwas ähnlich Unsinniges dranhängen, als sich eine Tür öffnete und … mir klappte die Kinnlade herunter. Ich muss gestehen, für einen erschreckend langen Moment dachte ich, jetzt sei es gänzlich aus und vorbei mit mir. Ich befürchtete, mein Sturz hätte größere Schäden in meinem Kopf verursacht und ich halluzinierte nun. Denn vor mir stand der Mann von dem Foto auf dem Dachboden. Nur ein bisschen älter – und noch attraktiver.

Ich musste ihn angesehen haben wie eine Frau, die ihren toten Großvater aus dem Sarg auferstehen sieht, denn er kam sofort auf mich zugestürzt und führte mich in das Sprechzimmer, wo ich mich in einen bequemen Stuhl setzen musste, während er eifrig mit seltsamen Gerätschaften hantierte und dann eine Spritze aufzog.

Er redete dabei auf mich ein, aber, ehrlich gesagt, kann ich mich kaum daran erinnern, und ich will auch nichts Falsches wiedergeben. Dabei nähte er die Wunde. Oder tackerte sie, ich bin mir nicht mehr so sicher. Jedenfalls hörte sie auf zu bluten. Er röntgte auch meinen Kopf und stellte glücklicherweise keinen Schädelbruch fest. Danach stellte er mir ein paar Fragen zu meiner Person, die ich nur mit viel Mühe und mit schleppender Sprache beantworten konnte, weil die Spritze inzwischen nicht nur den Schmerz in meiner Schläfe, sondern auch meinen halben Gesichtsnerv lahmgelegt hatte. Daher denke ich, dass er mich für eine Vollidiotin gehalten haben muss, oder für jemanden mit einem schweren Hirnschaden, was in meinem Fall ja näher lag. Aber er ließ es sich nicht anmerken.

»Ich habe Sie schon gesehen«, murmelte ich und wurde dabei das Gefühl nicht los, die Betäubungsspritze habe nun auch meine Hemmschwelle für abgedroschene Anbaggersprüche runtergesetzt. Fehlte nur noch, dass ich ihn nach seiner Telefonnummer fragte.

»Ich bin der Arzt hier im Dorf, man sieht mich häufig«, lächelte er und klebte ein Pflaster auf meine Schläfe.

»Das meine ich nicht«, versuchte ich zu artikulieren, doch es kam nicht ganz so deutlich raus. »Ich renoviere das Haus meiner Freundin, dort war Ihr Foto auf dem Dachboden in einer Kiste.« Es klang wie eine Frage nach dem Wetter in irgendeinem, längst ausgestorbenen Eskimo-Dialekt. Ich verstand mich, ehrlich gesagt, selbst nicht.

Er antwortete auch nicht darauf. Vielleicht sollte ich mit meiner Eröffnungsrede für einen Flirt lieber warten, bis ich wieder Herrin über meine fünf Sinne und Gesichtsnerven war. Immerhin erhaschte ich einen Blick auf seine Hand und spürte wider Willen ein zartes Herzklopfen, als ich dort den obligatorischen Ehering vermisste. Doch das besagte gar nichts. Vermutlich trug er ihn nicht bei der Arbeit, um ihn bei dem häufigen desinfizierenden Händewaschen nicht zu verlieren. Ich befand mich zwar nicht in der Chirurgie, aber Ärzte mussten doch immer sterile Hände haben, oder etwa nicht?

Nachdem er mich noch mehrere Male durchgecheckt hatte und diagnostizierte, dass ich außer der Platzwunde am Kopf keine Schäden davongetragen hatte, durfte ich wieder gehen. Allerdings mit der Auflage, mich sofort hinzulegen und zu ruhen und in zwei Tagen wieder bei ihm vorbeizuschauen.

Ich nickte kurz, dann verabschiedete ich mich von ihm und ging.

»Und? Was sagt er?«, fragte meine Retterin mit dem Traktor, als ich zu ihr ins Wartezimmer zurückkam.

Ich zuckte leicht mit den Schultern. »Ich habe eine Platzwunde«, nuschelte ich und zeigte mit der Hand auf meine Schläfe, für den Fall, dass sie mich nicht verstand, was sehr wahrscheinlich war.

Sie nickte wissend. »Doktor Diercksen ist ein guter Arzt. Sie werden sehen, bald sind Sie wieder auf den Beinen und es bleibt nicht einmal eine Narbe.«

Ich wollte die gute Frau noch fragen, was denn Frau Diercksen so mache, aber da hatte sie schon den Motor ihres Treckers angeworfen und meine unverständlichen Worte wurden von seinem Tuckern verschluckt.

Wortlos ließ ich mich in das Haus zurückfahren, wo ich mich bei meiner Nachbarin für ihre Hilfe bedankte, was sie mit einem besorgten Kopfschütteln hinnahm. »Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie Bescheid«, sagte sie. »Bei uns können Sie auch telefonieren.«

»Danke«, erwiderte ich. »Ich habe ein Handy.«

»Das nützt Ihnen hier nicht viel. Sie haben nur am Ortseingangsschild Empfang, im Ort nicht mehr.«

Verdutzt starrte ich sie an, doch sie zuckte mit den Achseln. »Seit Jahren kämpfen wir sowohl um einen Mobilfunkmast als auch um einen allgemeinen Internetanschluss, aber bisher hat sich noch niemand bei den Behörden darum gekümmert. Ich hoffe, Sie brauchen solch neumodisches Zeug nicht, so lange Sie hier sind. Es wäre jedenfalls die perfekte Gelegenheit zum Entschleunigen.«

»Naja, eigentlich …«, stammelte ich und spürte auf einmal, wie sich Entsetzen in mir ausbreitete. Drei lange Wochen ohne eigenes Telefon? Ohne Online-Shopping?? Ohne die täglichen Textnachrichten an Caroline???

Sie musste die Bestürzung in meinem Blick gesehen haben, denn sie legte einen mitleidigen Blick auf. »Wie gesagt, am Ortseingangsschild. Aber besser ist, es geht auch ohne.«

»Es muss irgendwie gehen«, sagte ich schließlich und verabschiedete mich von ihr.

Das machte meinen Aufenthalt wesentlich unangenehmer und vor allem meinen geheimen Plan viel schwieriger.

 

NUR WENIG SPÄTER lag ich auf meiner Matratze in einem Zimmer, das zur Straße hinausführte, und starrte fassungslos mein Handy an. Keine Balken, kein Empfang. Meine Nachbarin hatte tatsächlich die Wahrheit gesagt. Also wirklich keine Textnachrichten an Caroline, dass alles in Ordnung war; kein Chat, kein Shoppen, kein neuer Badeanzug.

Auch mein Vorhaben, meine Lungen zu entlasten und über Nacht den Motor laufen zu lassen, entpuppte sich als undurchführbar, weil mein älterer Nachbar, der sich als Vater meiner Retterin entpuppte, zu mir kam und den Motor meines Autos ausstellte. Seine Begründung will ich an dieser Stelle lieber nicht wiedergeben, ich sage nur, dass sie erschreckend oft die Worte »Kopfverletzung« und »Hirnschaden« enthielt.

Schließlich legte ich mein nutzloses Handy zur Seite und lag bewegungslos da, doch ich konnte nicht schlafen. Das hatte allerdings nichts mit meiner Verletzung oder dem üppigen Sauerstoff zu tun, sondern mit dem Dröhnen in meinen Ohren. Zuerst dachte ich, es wäre irgendwo ein Kühlschrank an, der summte. Aber meine Suche im Haus ergab nichts. Dann vermutete ich ein Kraftwerk irgendwo in der Nähe oder einen Flughafen, aber auch das war ein Trugschluss. Als ich zutiefst erschrak, weil vor dem Fenster eine Grille anfing zu zirpen, wusste ich, dass ich das Rauschen in meinen Ohren deshalb hörte, weil es da draußen keine anderen Geräusche gab und ich lediglich meinen eigenen Blutkreislauf vernahm. Kein Straßenlärm, keine Polizeisirenen, keine U-Bahnen, kein Partylärm vom Nachbarn. Nichts. Nur absolute Stille. Es war unerträglich.

Ich überlegte zwar noch, den Motor meines Autos erneut einzuschalten, um der Stille zu entgehen, war jedoch zu träge, noch einmal aufzustehen. Irgendwann gewann schließlich die Müdigkeit Oberhand über die vielen Irritationen in meiner Umwelt, und ich schlief endlich ein.

TAG 2

4.Juli, noch 13 Tage bis zum Erstschlag

 

 

DER MORGEN BEGANN angenehm, wenn auch sehr spät. Normalerweise wurde ich zu Hause immer gegen sieben wach, wenn bei meiner Nachbarin der Wecker klingelte. Durch die dünnen Wände in meinem Haus bekam ich immer mit, was sie machte, wann sie Essen kochte, sich mit ihrem Freund stritt, mit ihrer Mutter telefonierte oder Sex hatte. Eigentlich begann mein Job in der Redaktion erst um neun, aber ich hatte es mir angewöhnt, mit ihr aufzustehen, weil ich so in Ruhe duschen und sogar noch die Zeitung nach Themen »flöhen« konnte. Jeden Morgen gab es in der Redaktion zuerst eine Themenkonferenz, bei der jeder, der unterwegs oder beim Lesen der Zeitung auf ein Thema gestoßen war, dies vortrug, sodass wir es weiterspinnen und für unsere Leserinnen aufarbeiten konnten. Normalerweise fand ich viele spannende Themen, die ich gern weiter bearbeitet und für die Zeitschrift geschrieben hätte, doch die wurden alle von meiner Chefin abgebügelt. Entweder hielt sie wirklich nichts von mir und meiner Schreibe, oder sie wollte mich ewig demütigen und als ihre Kaffeeköchin missbrauchen. Wenn ich positiv dachte, konnte ich es als Kompliment auffassen, dass sie dermaßen von meinem Kaffee und meinem Können als Kopiererin wichtiger Unterlagen begeistert war, dass sie mich nicht an die Redaktion und wirkliche Arbeit als Autorin verlieren wollte. Aber seit einiger Zeit fiel mir das immer schwerer. Ich wollte endlich eine richtige Redakteurin sein, dafür hatte ich schließlich viele Jahre studiert und die Praxis bei der Studentenzeitung erfolgreich erprobt und sogar einen Preis dafür gewonnen. Ich wollte etwas bewirken, jemand sein, der Menschen mit seinen Texten aufrüttelte und zum Nachdenken anregte, und dessen Meinung geschätzt wurde. Immer wieder versuchte ich es, hatte ihr großartige Themen vorgeschlagen, Anreißer geschrieben, sogar einen fertigen Artikel abgeliefert, doch es brachte alles nichts. Sie ignorierte meine Bemühungen.

Um mit der Wahrheit herauszurücken, war das ein weiterer Grund, warum ich hier in Frankenstein war. Ich hatte lange überlegt und die Archive gewälzt, welches Thema am geeignetsten für unsere Leserinnen sei, neu und unverbraucht, und war zu dem Schluss gekommen, dass wir viel zu wenig auf das Landleben eingingen. Die meisten beschrieben unser Stadtleben. Aber niemand kümmerte sich darum, was auf dem Land geschah. Und genau das hatte ich vor. Ich wollte die Zeit in dem Dorf, während ich Carolines Haus auf ihren Einzug vorbereitete, für gründliche Recherchen über das Landleben nutzen und darüber einen Artikel für die Frauenzeitschrift schreiben, der mir endlich meinen Traum erfüllte und meine Aufnahme in die Riege der richtigen Autorinnen garantierte. Aber das wusste außer mir niemand.

An diesem Morgen jedenfalls wachte ich erst nach zehn Uhr auf und streckte mich wohlig auf meiner Matratze. Ich hatte mir für mein Vorhaben Urlaub genommen, ich konnte so lange schlummern, wie ich wollte. Zumal ich eine schwere Kopfverletzung vorzuweisen hatte. Frisch und ausgeschlafen stand ich schließlich auf und sah zum Fenster hinaus auf die Landstraße, auf der eine einsame Radfahrerin rollte und sich eine Katze in der Sonne räkelte. Sonst war nichts los.

Ich streckte mich erneut und spürte dabei noch ein paar blaue Flecke, die mich erneut an meinen Sturz vom gestrigen Abend erinnerten. Und an meine Begegnung mit dem Mann meiner Träume, der mich wahrscheinlich für eine absolute Vollidiotin hielt. Ich jaulte innerlich auf bei dem Gedanken an seinen besorgten Blick aus den rehbraunen Augen, als ich ihm irgendetwas Unverständliches über sein Foto erzählt hatte. Als mir seine feinen, schlanken Hände einfielen, von denen er den Ehering entfernt hatte, zog sich mein Magen zusammen. Aber das konnte auch der Hunger sein. Ich hatte seit langer Zeit nichts mehr gegessen, denn als ich gestern gerade ein Restaurant auftreiben wollte, hatte ich den unsanften Abgang gemacht. Es wurde Zeit, dass ich etwas Essbares fand.

Ich zog mich an, machte mich in dem Provisorium eines Bades im ersten Stock, das ein Waschbecken, eine rostige Badewanne, einen fleckigen Spiegel und immerhin fließendes Wasser anbot, landfein, versuchte dabei, mein Pflaster an der Schläfe großräumig zu vermeiden, und ging aus dem Haus.

Es dauerte gerade mal zwei Minuten und einhundert Meter die Dorfstraße hinunter, da fand ich einen Bäcker, wo ich mir ein paar belegte Brötchen und ein Stück Kuchen genehmigte.

Der Bäcker war ein beleibter Mann mit Brille und wenig Haaren, die er eifrig zur Seite gekämmt hatte. An einem kleinen Tischchen in der Ecke stand ein kleiner, älterer, dünner Mann mit langen Koteletten und kleinen Augen, aus denen er mich anblinzelte.

»Na, wenn das nicht unsere neue Nachbarin ist«, sagte er mit freundlicher Stimme.

Ich hätte ihn ganz gerne übersehen, konnte es nun aber nicht, da er mich direkt ansprach.

»Nur für kurze Zeit, dann verschwinde ich wieder. Ich bin nur die Vorhut.«

»Vorhut wofür? Droht wieder ein Krieg?«

Ich hatte keine Ahnung, ob er das ernst meinte, weil sein Gesicht keinerlei Regung zeigte, deshalb verneinte ich lieber, um jeglichen Missverständnissen aus dem Wege zu gehen. »Meine Freundin hat das Haus gekauft, sie wird hier einziehen, ich bereite nur alles vor.«

»Wenn Ihre Freundin so hübsch ist wie Sie, darf sie gerne kommen«, sagte der Alte, wobei ich mir wieder nicht sicher war, wie ernst er seine Worte meinte.

»Ich denke, Sie werden sie mögen.« Dabei huschte zwar gerade das Bild einer Caroline mit Avocadocreme in den Haaren und honigverkleistertem Gesicht, an dem sich zwei Cornflakes festgeklebt hatten, vor meinem inneren Auge vorüber. Aber vielleicht mochten ihre Nachbarn außergewöhnliche Schönheitsmittel. Obwohl, wenn ich mir den Mann genauer ansah, vermutlich nicht. Ihm wuchsen die Haare büschelweise zu den Ohren hinaus, etwas Erde klebte an seinem Hals (wie die dorthin gekommen war, war mir ein Rätsel), und beim Zahnarzt war er vermutlich auch schon lange nicht mehr gewesen, nach dem Blick in seinen Mund zu schließen.

»Na, dann ist ja gut.« Er schmunzelte. »Konnten Sie denn noch schlafen gestern, auch ohne Motorengeheul?«

»Ja, alles war in Ordnung«, erwiderte ich. »Ich habe trotz Stille und guter Luft fest geschlafen.«

»Und was macht die Verletzung?«

Ich tippte mit dem Finger vorsichtig an meine Schläfe mit dem Pflaster. »Nur eine kleine Platzwunde, tut kaum noch weh«, versuchte ich, ihn zu beruhigen. »Ich fühle mich fast schon, als wäre nie etwas passiert.«

»Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist«, sagte der Alte weise. »Lassen Sie sich nie etwas anderes einreden.«

Ich versuchte zu verstehen, was er damit meinte, aber als ich sah, dass neben seinem Kaffee eine kleine Pulle Schnaps stand, gab ich es auf.

»Vielen Dank für den Tipp«, erwiderte ich, dann drehte ich mich zur Tür und ging hinaus.

Als ich wieder auf der Hauptstraße stand, überlegte ich, in welche Richtung ich gehen musste, um einen Supermarkt zu finden. Ich ließ kurz meinen Blick schweifen, doch er kam nicht weit, denn er blieb an der Praxis hängen, in der ich gestern von Mr. Perfect alias Dr. Diercksen behandelt worden war.

Sofort begann mein Herz zu klopfen und Blut strömte in meinen Kopf. Verstohlen sah ich mich um, ob mich jemand beobachtete. Nachdem ich festgestellt hatte, dass die Luft rein war, schlenderte ich ganz unauffällig auf das Haus zu. Das Gebäude war relativ klein, es konnte nur die Praxis beherbergen, keine Wohnung. Es war weiß gestrichen, sauber und ordentlich. In einem der Fenster prangte ein rotes Kreuz, damit auch jemand, der die Treppe hinuntergefallen war, sehen konnte, wo er im Ernstfall Hilfe fand. Daneben eine Notfallnummer für den Fall der Fälle.

Wieder sah ich mich um, ob jemand beobachtete, dass ich das Haus anstarrte, dann holte ich mein Smartphone aus der Tasche und speicherte die Nummer ein. Man weiß ja nie, wofür man die nochmal braucht.

Danach hätte ich gerne Mutmaßungen darüber angestellt, ob Dr. Diercksen auch auf Notfälle mitten in der Nacht reagieren würde, als sich die Tür öffnete und er aus der Praxis heraustrat. Er sah selbst von weitem unglaublich sexy aus. Er war groß und schlank, seine langen Beine schritten kraftvoll voran. Das dunkle Haar fiel ein bisschen länger als auf dem Foto in die Stirn und wippte bei jedem Schritt keck auf und ab. Die Hände hatte er locker in die Taschen gesteckt, als würde er einen gemütlichen Spaziergang machen.

Schnell versteckte ich mich hinter einem Jasminstrauch. Es roch darin wie in einer Parfümfabrik, aber immerhin war ich vor seinen Blicken geschützt. Er ging die Straße hinunter und bog an einem kleinen Feldweg rechts ab. Kaum war er außer Sichtweite, schälte ich mich aus dem Strauch und lief hinterher. Als ich an der Biegung ankam, an der er die Hauptstraßen verlassen hatte, lugte ich vorsichtig um die Ecke, um gerade noch zu sehen, wie er durch ein Tor auf ein Anwesen trat.

Das musste sein Zuhause sein. Ob dort Frau und Kinder warteten?

Ich konnte meine Neugier nicht mehr zügeln und schlich hinterher.

---ENDE DER LESEPROBE---