The Bad Boy Conspiracy - Johanna Marthens - E-Book

The Bad Boy Conspiracy E-Book

Johanna Marthens

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Beschreibung

»Mr. Wild hat Sie auserwählt!« Chris Wild ist einer der aufregendsten Männer des Landes: leidenschaftlich, steinreich und voller Ambitionen. Und Summer darf als seine Assistentin arbeiten, zehn Stunden pro Tag an seiner Seite. Sie spürt bald, dass zwischen ihm und ihr eine besondere Anziehungskraft besteht. Und dass ihre Beziehung zu ihm sich nicht nur auf das Büro beschränken wird. Eine leidenschaftliche Zeit der heimlichen Liebe beginnt. Doch Chris Wild hat mächtige Feinde, die eine Intrige spinnen, um ihn zu Fall zu bringen. Eine Intrige, die so fein gesponnen ist, dass Summer die Einzige ist, die noch an Chris glaubt. Doch dann entdeckt sie, dass er ein Geheimnis hat, das sogar ihr Vertrauen in ihn ins Wanken bringt ...

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THE BAD BOY CONSPIRACY

 

Johanna Marthens

© 2016, 2022 Johanna Marthens

[email protected]

 

Facebook.com/Johanna.Marthens

 

Lektorat: Tilde Zug

Buchcover: © Dangerous Kisses

 

 

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren, Vervielfältigen und Weitergabe sind nur zu privaten Zwecken erlaubt. Der Weiterverkauf des eBooks ist ausdrücklich untersagt. Abdruck des Textes, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

 

Dieses Werk ist reine Fiktion. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Schauplätzen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle darin beschriebenen Vorkommnisse sind frei erfunden.

 

 

Für dich.

Weil deine Liebe die Ewigkeit überdauert.

 

 

The Bad Boy Conspiracy

 

Johanna Marthens

EIN BRIEF VON MR. WILD

 

I

 

Seine Meinung zu äußern, erfordert Mut, pflegte mein Opa immer zu sagen. Bei vier Brüdern ist es allerdings überlebensnotwendig.

»Troy! Du fauler Sack hast schon wieder vergessen, deine Wäsche in die Waschküche zu bringen!«, rief ich entnervt aus dem Fenster des Zimmers meines Bruders. Ein Haufen schmutziger Wäsche lag in der Ecke des Raumes, drei Paar stinkende Socken fand ich unter dem Bett.

»Sorry, Summer‘«, rief Troy von unten zu mir nach oben. »Danke fürs Waschen!« Ich sah ihn nicht, er befand sich sicherlich in der Garage.

»Grrrr!« Ich klemmte die schmutzigen Sachen unter meinen Arm und brachte sie nach unten in die Waschküche. Dort lief bereits eine Maschine mit den Arbeitsoveralls meiner Brüder. Sie besaßen eine Autowerkstatt, die sie gemeinsam betrieben. Ihre Arbeitssachen waren oft voller Öl und Schmiere. Ich hatte einen Totenkopf auf die Waschmaschine geklebt, damit die Jungs wussten, wohin sie ihre schmutzigen Sachen legen mussten, damit die Schmiere nicht meine Kleider verdarb.

Neben der Waschmaschine für die Overalls stand die Maschine für die alltäglichen Sachen und meine Kleider. In die stopfte ich Troys Wäsche. Ich wollte nicht wissen, was ich alles in den Zimmern meiner anderen drei Brüder finden würde. Für einen Moment überlegte ich, ob ich die stinkenden Socken, die schon so fest und steif waren, dass sie bei jeder Bewegung knisterten und raschelten, auch in die Totenkopf-Waschmaschine legen sollte. Aber dann warf ich sie todesmutig zu den anderen Sachen, unter anderem zu meinen Jeans und dem Bürokleid, die sehnsüchtig darauf warteten, wieder sauber zu werden.

Als die Maschine voll war, stellte ich sie an und ging in die Garage. Ein Auto eines japanischen Herstellers stand aufgebockt in der Mitte der Werkstatt. Ein Paar Schuhe schaute unten daraus hervor.

»Hi Sis‘«, sagte Stanley, mein jüngster Bruder. Er kam aus der Kaffeeküche und gab mir im Vorübergehen einen Kuss auf die Wange. Er war zweiundzwanzig, also ein Jahr jünger als ich, und besaß wie wir alle die braunen Locken meiner Mutter. Er war der Ordentlichste der vier jungen Männer. Dafür legte er wenig Wert auf Pünktlichkeit, und Geburtstage vergaß er sowieso. Ich vermutete, er lebte nur deshalb geordnet, weil er sonst seine Sachen nie wieder finden würde, da er sich nicht daran erinnern konnte, wohin er sie gelegt hatte.

Er ging zu einem Motorrad, das mit einem defekten Motor in der Ecke stand und von einem Kunden stammte, der damit schon bis nach Perth gefahren war. Stanley war der Motorradexperte unter meinen Brüdern. Er fuhr selbst eine schnelle Maschine und hatte dafür viele Bewunderer im Ort.

»Wie war dein Tag?«, fragte Troy. »Ich mach das mit der Wäsche wieder gut, du wirst sehen.« Er stand an einem Stapel alter Autoreifen und machte gerade seine schwarzen Hände an seinem Overall sauber. Ich seufzte. Er war ein Jahr älter als ich und der Vernünftigste der vier Brüder. Das bedeutete jedoch nicht, dass er es schaffte, seine Siebensachen in Ordnung zu halten. Im Gegenteil. Wenn man ihm nicht permanent hinterherlief und seine Kleidung beieinander hielt, würde er bald nackt durch die Gegend stolzieren. Und dass es Lappen gab, an denen er seine Hände saubermachen konnte, schien er auch noch nicht gehört zu haben.

»Na, da bin ich aber gespannt, wie du das machen willst. Mein Tag war okay, eigentlich so wie jeder andere auch. Etwas eintönig. Mr. Paddock ist nicht gerade spannend.«

Troy kicherte. »Dem kann man beim Laufen die Schuhe besohlen. Manchmal denke ich, er stirbt gleich. Dann erbst du vielleicht den Laden!« Er zwinkerte mir zu.

Ich winkte ab. »Ein Buchhaltungsbüro für einen kleinen Fischereibetrieb zu führen, gehört nicht gerade zu meinen Lebensträumen.«

»Das ist verständlich.«

»Summer, reichst du mir mal bitte ein Handtuch?«, sagte eine Stimme zu meinen Füßen. Das Paar Schuhe gehörte zu Ross, meinem ältesten Bruder. Er lebte nicht mehr im Haus, sondern mit seiner Freundin Elisabeth zusammen in einem eigenen Haus, aber seine Overalls wusch ich trotzdem. Ich nahm ein gelbes Handtuch aus dem Schrank an der Wand und reichte es ihm.

»Ich hoffe, du machst es nicht allzu schmutzig«, sagte ich.

»Nein, nein. Nur das Nötigste«, erwiderte er, während es unter dem Auto verschwand.

»Ist das der Wagen von Mr. Carlysle?«, wollte ich wissen. Mr. Carlysle gehörte ein Imbiss in der Nähe des Hafens. Der Wagen roch nach Pommes und gebratenem Fisch, daran war er leicht zu erkennen.

»Ja. Die Ölleitung ist defekt.«

Mir schwante plötzlich, wofür Ross das Handtuch benötigte. Und kaum hatte der Gedanke mein Hirn erreicht, schob sich mein Bruder unter dem Auto hervor und gab mir das Handtuch zurück. Nur dass es nicht mehr gelb war, sondern schwarz.

»Ross! Wer soll das denn wieder sauberkriegen?«, rief ich empört und nahm das Handtuch mit spitzen Fingern, um das Öl nicht an mein Kleid zu schmieren.

»Wirf es einfach zu den anderen Sachen. Du schaffst das schon. Du bekommst immer alles sauber.« Er beugte sich vorsichtig nach vorn, um mich mit seinem schmutzigen Overall nicht zu berühren, und gab mir ein Küsschen auf die Wange.

»Ja ja«, seufzte ich. »Ich mach das schon. Jetzt bereite ich aber erst einmal Abendessen für uns zu. Wo ist Phil?«

»Er holt Ersatzteile in Sydney. Er kommt erst später zurück.« Ross griff in das Regal mit den Handtüchern und nahm ein weiteres heraus, um seine öligen Hände daran abzuwischen. Ich versuchte, nicht hinzusehen, während ich die Garage verließ. Ich achtete allerdings auch nicht auf den Weg, weil ich das Motorrad bewunderte, das in der Ecke stand und um das sich Stanley kümmerte. Es handelte sich um eine Honda Crosstourer mit 129 PS. Sie war schlank und trotzdem kraftvoll. Ich liebte Motorräder, für mich waren sie der Inbegriff von Freiheit, Abenteuer und Selbstbewusstsein. Allerdings würde ich wohl niemals selbst eine solche Maschine besitzen.

In dem Augenblick geschah es. Ich stolperte über die Schwelle und knickte mit meinem hochhackigen Büroschuh um. Ein stechender Schmerz fuhr durch meinen Knöchel.

»Au, verdammt!«, murmelte ich und musste mich an der Wand abstützen. Ich hielt den Fuß hoch, weil ich ihn nicht belasten wollte.

»Was ist los, Sis‘?«, fragte Stanley besorgt. »Hast du dir den Knöchel verstaucht?«

»Ich fürchte, ja.« Ich versuchte, aufzutreten, aber es war zu schmerzhaft. Ich biss mir auf die Lippen, um nicht laut zu stöhnen.

»Wir helfen dir.« Troy legte meinen Arm um seine Schulter, so dass ich mich auf ihn stützen konnte. Stanley huschte schnell auf meine andere Seite, um mir zu helfen. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was ihre schmutzigen Hände mit meinen Sachen anstellten. Es war allerdings gerade schwierig, überhaupt zu denken, weil mein Knöchel zu heftig schmerzte. Zusammen hievten mich die beiden Männer die Stufen nach oben und setzten mich auf einen Sessel im Wohnzimmer.

»Ich hole Verbandszeug«, sagte Troy und rannte aus dem Wohnzimmer. Nur einen Moment später kam er wieder. »Wo ist es überhaupt?«

»Im Gästebad im oberen Schubfach rechts.«

»Bin schon weg.« Er rannte wieder raus.

»Ich … äh …«, sagte Stanley verlegen. »Soll ich dich lieber in die Küche setzen, damit du nebenbei Essen kochen kannst?«

Ich nickte seufzend. Für vier Brüder verantwortlich zu sein, war wirklich nicht leicht. »Das wäre besser. Oder ihr taut eine Pizza auf.«

»O ja, Pizza!« Seine Augen begannen zu leuchten. Tiefkühlpizza war zwar nicht gesund, aber heute handelte es sich um einen Notfall. »Die kriegen wir selbst hin.«

»Da bin ich aber froh.« Ich versuchte, nicht sarkastisch zu klingen. Ich liebe meine Brüder, aber sie sind so unselbstständig wie ein Wurf frisch geborener Welpen.

»Ich bring dir was zu lesen, damit du dich nicht langweilst«, bot er an. Und sie waren genauso süß und liebenswürdig wie frisch geborene Welpen.

»Danke.« Ich lächelte. »Das wäre nett. Und denkt daran, mir auch etwas zu essen zu bringen. Das Mittagessen bei Mr. Paddock bestand nur wieder aus Kohl.« Mein Chef, der knapp siebzigjährige Mr. Paddock, war ein Verfechter von Kohl. Er und seine Frau bauten das Grünzeug im Garten an und aßen kaum etwas anderes. Wenn er dachte, seinen Angestellten etwas Gutes zu tun, brachte er einen Topf Suppe von seiner Frau mit. Sie schmeckte gut, das muss ich wirklich zugeben, aber sie machte mich nicht sonderlich satt. Außerdem sorgte sie für ein »windiges« Gefühl im Bauch.

Stanley lief aus dem Wohnzimmer und ließ mich allein. Ich zog den Schuh aus und betrachtete meinen Knöchel. Er fing an, anzuschwellen. Wenn ich die Stelle knapp über dem Knochen berührte, schmerzte es.

»Hier ist eine Mullbinde«, sagte Troy, als er zurückkam. Er drückte mir die Binde in die Hand. »Verbinden musst du selbst, das kann ich nicht. Ich hole dir inzwischen noch etwas Eis zum Kühlen.«

»Danke.« Ich nahm ihm das Verbandszeug ab und wickelte es um meinen Fuß, so dass ich die Schwellung stoppen konnte.

Als kurz darauf Stanley wiederkam, reichte er mir ein paar Zeitschriften. »Das sind meine Motorradzeitschriften, die neuesten Ausgaben. Kannst sie alle lesen, wenn du willst.«

»Das ist lieb von dir.« Ich nahm sie in die Hand und blätterte sie durch, während ich das Eis von Troy an den Fuß hielt und Stanley und Troy in den Raum neben der Küche gingen, um aus der Tiefkühltruhe fünf Pizzas zu nehmen. Dann hörte ich, wie Stanley den Backofen einschaltete.

»Zweihundert Grad!«, rief ich in die Küche.

»Zweihundert nur? Ich dachte dreihundert!«

»Nein, zweihundert reichen, eigentlich auch hundertachtzig.«

»Okay, Sis‘.«

Ich blätterte durch die Zeitschrift des vorigen Monats und bewunderte eine abgebildete Ducati. Was für eine Maschine! Sie war ein Traum, so schnittig, kraftvoll und elegant. Solch ein Motorrad zu besitzen, würde jedoch immer ein Traum bleiben. Sie war für mich unbezahlbar.

Ich blätterte weiter und stutzte. Ein Brief lag in den Seiten. Er war an mich andressiert! Und auf dem Absender stand …

»Stan?!«, schrie ich schrill auf. »Was macht dieser Brief in deiner Zeitschrift?«

»Was für ein Brief?« Er kam aus der Küche geeilt und betrachtete fragend den Umschlag, den ich in meiner zitternden Hand hielt. »Oh, ich glaube, der kam vor ein paar Wochen. Stimmt, ich wollte ihn dir geben, habe es aber vergessen, weil ich erst einmal die Zeitschrift lesen wollte.«

»Bist du wahnsinnig? Er ist von Chris Wild!« Ich klang immer noch schrill. Meine Hände bebten, als würden zehn Liter Kaffee durch meine Adern fließen. Mein Herz raste, als hätte ich zum Kaffee auch noch Guarana, Koks und Koffein-Pillen genommen.

»Der Chris Wild? Wieso schreibt er dir?«

»Weil ich mich bei ihm beworben habe.« Zitternd öffnete ich den Umschlag. Das war der wichtigste Brief des Jahres. Vielleicht sogar meines Lebens, und mein Bruder hatte ihn einfach vergessen! Ich hatte Mühe, meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Als ich den Umschlag endlich geöffnet hatte, hielt ich ein Blatt feinsten Briefpapiers in der Hand. Es fühlte sich fest und kühl an.

Für einen winzigen Moment schloss ich die Augen, dann las ich den Inhalt des Schreibens.

»Werte Ms. Harris, Mr. Wild hat Sie auserwählt. Unter allen Bewerbern für die Stelle der Persönlichen Assistentin von Mr. Wild erhalten Sie …« Ich las nicht mehr weiter, sondern kreischte auf. »Ich habe den Job! Das ist unfassbar! Ich habe den Job!!!«

Ich sprang auf, um meinen Bruder zu umarmen. Der Fuß schmerzte, aber ich spürte es kaum. Ich war die neue persönliche Assistentin des interessantesten und vielversprechendsten Politikers in Australien, da war ein verknackster Knöchel nebensächlich. Darüber hinaus war Chris Wild steinreich. Sein Vater besaß eine Werft und mehrere Containerschiffe, die die Weltmeere befuhren.

»Ich hatte keine Ahnung, dass du dich beworben hast«, sagte Stanley fassungslos. »Der sitzt doch in Sydney. Willst du etwa nach Sydney gehen?«

»Ja, er sitzt in Sydney und ich würde gern dort arbeiten. Der Job bei Mr. Paddock macht mich nicht glücklich, deshalb habe ich einfach eine Bewerbung abgeschickt, als ich gehört habe, dass Chris Wild für den Posten des Senators kandidieren will und daher eine Assistentin sucht. Ich hätte nicht gedacht, dass es klappt!« Ich war völlig aus dem Häuschen. Das war unglaublich! Ich würde Dolphin Bay verlassen und nach Sydney ziehen!

»Herzlichen Glückwunsch, Sis‘«, sagte Stanley, obwohl ich das Gefühl hatte, dass er nicht ganz so begeistert klang, wie ich es mir gewünscht hätte.

»Danke, Stan. Ich werde trotzdem immer für euch da sein. Und wenn er verliert, bin ich sowieso in ein paar Monaten wieder hier. Bis dahin wird sich sicher Mrs. Darlington um euch kümmern. Sie mag euch.« Mrs. Darlington war unsere Nachbarin. Sie war Mitte siebzig und liebte meine Brüder. Schon als sie kleine Jungs waren, hatte sie ab und zu auf sie aufgepasst und in ihre Wangen gezwickt. Letzteres tat sie heute gerne noch.

Stanley verzog den Mund, nickte jedoch. »Okay. Hauptsache, du bist glücklich, Sis‘.«

Ich umarmte ihn erneut. Dann hörte ich das Piepsen des Backofens. »Die Pizza ist fertig.«

Er ging zum Fenster und pfiff, um die anderen Brüder an den Tisch zu holen, während ich erneut den Brief betrachtete und das Schreiben dieses Mal komplett las. Ich war wirklich unter den zahlreichen Bewerberinnen auserwählt worden. Ich besäße die notwendigen Qualifikationen, schrieben sie. Sogar meine Herkunft aus einem Fischerdorf an der Ostküste Australiens werteten sie als Vorteil, weil ich die Wähler in diesem Gebiet kennen würde. Sie hofften, dass ich mich zu einer wertvollen Mitarbeiterin im Team um Mr. Wild entwickeln würde. Bisher klang alles super. Als ich bei der untersten Zeile angekommen war, erlitt ich jedoch fast einen Herzinfarkt.

»Ich brauche ein Telefon!«, kreischte ich. »Schnell! Ein Telefon!«

Stanley hastete zu mir und reichte mir sein Smartphone. Er war der Einzige in der Familie, der eins besaß. Mir gehörte nur ein altes Nokia, das in meiner Handtasche steckte. Fieberhaft wählte ich die Nummer, die im Brief stand. Es meldete sich jedoch nur ein Anrufbeantworter.

»Hi, hier ist Summer Harris«, sprach ich aufgeregt aufs Band. »Ich habe einen Brief von Mr. Wild erhalten, also von seinem Team, dass ich als seine Assistentin arbeiten kann … darf … werde. Und … äh … leider habe ich den Brief heute erst erhalten, ich hätte mich aber bis gestern zurückmelden müssen. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät. Ich möchte den Job wirklich sehr gerne antreten. Sehr, sehr, sehr gerne. Also bitte, rufen Sie mich an, oder ich melde mich morgen früh noch einmal, gleich nach dem Aufstehen. Danke für Ihr Verständnis. Also, ich will es machen, ganz sicher! Auf Wiederhören.« Ich legte auf. Ich war in Schweiß ausgebrochen. Mehrere Tropfen hingen auf meiner Stirn, unter den Achseln war ich klatschnass.

»Sorry, Sis‘«, sagte Stanley bedrückt.

Ich schüttelte den Kopf und ließ mich in den Sessel fallen. »Was für ein Tag! Ich hoffe, sie haben die Stelle nicht schon einer anderen gegeben, weil ich mich nicht rechtzeitig gemeldet habe.«

»Es tut mir leid, wirklich.« Er wirkte ehrlich zerknirscht.

Ich winkte ab. »Wenn ich dir jetzt den Marsch blase, dreht sich die Zeit auch nicht zurück. Das nächste Mal denkst du bitte sofort daran, mir meine Post zu geben. Oder liegt noch mehr in deinen Zeitschriften? Ein Brief von meinem Traumprinzen vielleicht?« Ich schüttelte halb scherzhaft, halb ernst gemeint die Zeitschriften aus, aber nur nutzlose Werbeflyer segelten heraus.

»Ich schwöre, es wird nie wieder vorkommen.« Stan hob die Hand zum Schwur.

Ich lächelte schief, stand auf und hinkte in die Küche. Der Schmerz war in meinen Fuß zurückgekehrt. Ich holte die Pizzas aus dem Ofen und stellte sie auf den Tisch, an dem nach und nach meine Brüder Platz nahmen.

Dann setzte ich mich ebenfalls. Ich erklärte den Männern nun in allen Einzelheiten, wieso ich mich vor drei Monaten beworben hatte und was ich tun würde, falls ich den Job tatsächlich antreten würde.

»Ich werde ihn betreuen, wenn er Wahlkampfreden hält«, sagte ich. »Darauf achten, dass er seine Termine einhält, immer ein sauberes Hemd trägt und den richtigen Kaffee bekommt. Dass ihn niemand behelligt, wenn er eine Pause macht. Naja, so etwas in der Art.«

»Ich hoffe, er verlangt keine Dinge von dir, die du nicht willst«, knurrte Ross. »Du weißt schon, was ich meine.«

»Ja, ich weiß, was du meinst. Das wird er nicht. Er ist ein Gentleman. Ich bewundere ihn schon lange, vor allem sein Engagement für die Aborigines und bei der Reduzierung von Armut. Er ist ein Ehrenmann mit wertvollen Zielen und würde so etwas niemals tun.«

»Ich hoffe, du hast Recht. Ich halte nicht viel von Politikern. Erst recht nicht von solchen Lackaffen wie Chris Wild.«

»Ross!«, widersprach ich empört. »Er ist kein Lackaffe!«

»Aber ein Politiker. Und die reden und versprechen nur, aber halten nie etwas. Sie denken nur daran, wiedergewählt zu werden, die Menschen sind ihnen aber völlig egal.«

»Er ist eine Ausnahme«, beharrte ich bockig. Auf Chris Wild ließ ich nichts kommen. Seit drei Jahren, seitdem er auf der politischen Bühne erschienen war, verfolgte ich ihn und sein Tun. Bisher hatte er alle Versprechen gehalten, die er gegeben hatte. Als Abgeordneter der Stadt Sydney hatte er dafür gesorgt, dass die Ärmsten der Stadt kostenlose Bustickets bekamen und Kinder für den Zoo und das Aquarium nichts bezahlen mussten. Er hatte auch durchgesetzt, dass es in jedem Stadtteil eine Ambulanz gab, die kostenlose Behandlungen durchführte, wenn die Menschen zu den Bedürftigen gehörten und keine Krankenversicherung besaßen. Das hatte es bisher noch nicht gegeben. Außerdem hatte er eine Klage der Aborigines unterstützt, die im Westen des Bundesstaates Land einforderten, das ihnen unrechtmäßig weggenommen worden war. In meinen Augen war er ein Held.

»Ich will dir deine Illusionen nicht nehmen, aber er ist reich. Er hat gut reden.«

»Umso bedeutender ist es, dass er sich für die Armen engagiert.«

»Wenn er nur die Hälfte seines Vermögens den Armen abgeben würde, gäbe es keine Armen mehr.«

»Das Geld gehört gar nicht ihm, sondern seinem Vater. Vermutlich erbt er die Millionen erst nach dem Tod seines Vaters«, konterte ich.

»Er ist nur ein Playboy und ein verwöhnter Sohn, der sich einen Namen als Politiker machen will, weil er sonst nichts zu tun hat. Oder damit er Frauen aufreißen kann. Siehst du keine Nachrichten? Jede Woche ist eine andere Blondine an seiner Seite.«

»Warum hackst du ständig auf ihm herum?« fragte ich entnervt. »Er hat dir nichts getan.«

»Ich will dich nur vor einer Enttäuschung bewahren. Die meisten Politiker entpuppen sich bei näherer Betrachtung als großer Haufen Mist. Die schöne Welt der Reichen und Mächtigen ist in Wahrheit verlogen und falsch.«

»Und woher weißt du das?«

»Das würde mich auch interessieren«, sagte Stanley.

»Mich auch«, fügte Troy hinzu.

»Ich schaue die richtigen Fernsehsendungen«, antwortete Ross stolz. »Und ich habe einen Computer mit Internet.«

Ich winkte ab. »Da siehst du auch nur, was du sehen sollst. Ich werde meine eigenen Erfahrungen sammeln. Dass er ständig andere Frauen hat, ist völlig legitim. Er sieht gut aus, kein Wunder, dass ihm die Frauen hinterherlaufen. Mich stört das nicht. Ich habe mir geschworen, mich nie in meinen Chef zu verlieben und erst recht nicht, ihm am Arbeitsplatz näherzukommen. Und wenn sich Chris Wild tatsächlich als Lügner entpuppen sollte, was ich nicht glaube, werde ich reumütig zu euch zurückkehren und für immer und ewig eure Wäsche waschen und das Essen kochen. Und Mr. Paddocks Kohlsuppe essen.«

»Ich werde dich und deine Erfahrungen im Auge behalten«, versprach Ross.

»Ich auch. Ich auch«, stimmten Troy und Stanley wie aus einem Mund zu.

»Ich auch! Worum auch immer es geht«, sagte plötzlich Phil hinter mir. Er war zurückgekehrt und hatte sich zu uns in die Küche geschlichen.

»Es geht um Chris Wild«, knurrte Ross. Er schien immer noch nicht überzeugt zu sein, dass Mr. Wild ein guter Mann war. »Summer wird für ihn arbeiten.«

Phil runzelte die Stirn und setzte sich zu uns an den Tisch. »Wie kommt das denn?« Er nahm ein Stück Pizza vom Teller und kaute, während ich ihm alles noch einmal erklärte.

 

 

Die Mitarbeiterin vom Büro von Chris Wild rief mich am nächsten Morgen zurück. Mrs. Allister, die sehr freundlich klang, sagte, dass es noch nicht zu spät für meine Rückmeldung sei. Das Team hätte zwar überlegt, wer an meiner Stelle als Persönliche Assistentin arbeiten solle, es hätte diejenige aber noch nicht kontaktiert. Erleichtert ließ ich mir alle nötigen Informationen geben, dann bedankte ich mich bei ihr für den Rückruf und legte auf. Bereits nächste Woche würde es losgehen.

Ich packte meine Tasche und hinkte aus dem Haus. Dann fuhr ich ins Büro von Mr. Paddock und kündigte meinen Job. Verdutzt hörte er sich meine Gründe an und nahm die Kündigung schließlich an. Er legte mir ans Herz, in Sydney nur biologisches Obst und Gemüse zu kaufen, nicht den gespritzten Mist aus dem Supermarkt, vor allem bei Kohl solle ich darauf achten. Dann erledigte ich die letzten Arbeiten für ihn, bevor ich meine paar Habseligkeiten in dem Büro einpackte und nach Hause fuhr.

Die nächsten vier Tage verbrachte ich damit, die Tiefkühltruhe mit Essen für meine Brüder zu füllen. Außerdem sprach ich mit Mrs. Darlington von nebenan, ob sie ein Auge auf meine Geschwister haben würde. Sie sagte sofort zu. Ich hängte einen großen Zettel mit Anweisungen an die Waschmaschinen, damit die Männer zur Not auch alleine damit umgehen konnten. Dasselbe tat ich mit Herd und Backofen. Die Mikrowelle beherrschten sie glücklicherweise.

Außerdem kümmerte ich mich um ein Zimmer in Sydney. Durch eine Internetanzeige fand ich eine bezahlbare Bleibe bei einer nett klingenden Frau namens May, die bei unserem Telefonat ständig lachte. Es würde mich dreihundert Dollar im Monat kosten, es war also relativ günstig. Der einzige Haken daran war, dass ich es erst am ersten Arbeitstag beziehen konnte.

Dann war ich soweit.

 

 

II

 

 

Eingequetscht auf dem Rücksitz zwischen Troy und Phil fuhr ich am Montagmorgen die reichlich hundert Meilen Richtung Sydney. Ross saß am Steuer eines schicken Mercedes, den ein Kunde zur Reparatur gebracht hatte. Der Auspuff war defekt und ließ den Wagen viel zu laut röhren, aber Ross wollte, dass ich in einem teuren Wagen zu den Politikern fuhr, damit niemand die Nase über mich rümpfen könnte. Ich war mir zwar nicht so sicher, ob der kaputte Auspuff nicht doch für gerümpfte Nasen oder wenigstens für verwunderte Blicke sorgen würde, aber ich hatte in der Beziehung nichts zu melden.

»Wenn er sich als Arschloch entpuppt, rufst du sofort an. Okay?«, sagte Troy.

»Ja, das mache ich«, erwiderte ich brav, während ich versuchte, meine Aufregung im Zaum zu halten.

»Und auch wenn sich jemand anderes als Arschloch outet«, ergänzte Ross knurrend.

»Ganz sicher.« In meinem Bauch grummelte es. Ich hatte zum Frühstück nichts gegessen, weil ich vor Nervosität nichts runterbekommen hatte. Das rächte sich jetzt. Ich fühlte mich aber immer noch zu aufgeregt, um etwas zu mir zu nehmen.

»Und wenn sie dir zu viel Arbeit aufhalsen, rufst du auch an.« Phil drückte mich an sich, obwohl ich schon ganz nah bei ihm saß.

»Das mache ich, Phil.« Ich lehnte meinen Kopf an seine breite Schulter und fühlte für einen Moment so etwas wie Unbehagen bei dem Gedanken, die nächsten Monate fern von meinen Brüdern verbringen zu müssen. Seit dem Tod meiner Eltern waren sie meine einzige Familie. Wir waren immer füreinander da und kümmerten uns umeinander. Bei dem Gedanken, jetzt eine so lange Zeit ohne sie auskommen zu müssen, wurde mir übel. Schnell verscheuchte ich die trüben Gedanken. Dafür durfte ich an der Seite von Chris Wild die Geschicke Australiens mitbestimmen! Das war eine fantastische Chance für eine Frau wie mich, die bisher kaum aus Dolphin Bay herausgekommen war.

»Pass auf dich auf«, murmelte Phil und drückte einen Kuss auf mein Haar. Ich löste mich von ihm und nickte, während ich verlegen eine Träne wegwischte, die aus meinem Auge gekullert war.

»Das mache ich. Ich werde euch jede Woche anrufen und Bericht erstatten. Und ich werde Mrs. Darlington anrufen, um zu erfahren, ob ihr euch ordentlich benehmt.«

Stanley stöhnte vorn auf dem Beifahrersitz. »Meine Wangen sind jetzt schon ganz rot und blau vom vielen Zwicken. Hättest du nicht jemand anderes finden können?«

»Wenn ihr sie bezahlt, könnt ihr euch eine andere holen. Mrs. Darlington macht es umsonst.«

»Ich schaue mich um«, erwiderte Stanley kleinlaut. Die Garage warf nicht so viel ab, dass die vier Männer davon sorgenfrei leben könnten. Im Gegenteil. Das Geld fehlte an allen Ecken und Enden.

Wir fuhren durch das Stadtzentrum von Sydney, und meine Nervosität steigerte sich. Was würde mich erwarten? Wie würde ich mit den Politikern klarkommen, und vor allem mit Chris Wild? Würden wir uns verstehen oder würde er mir das Leben zur Hölle machen?

»Wenn du im Fernsehen erscheinst, dann winke, damit wir dich erkennen«, sagte Troy.

Energisch schüttelte ich den Kopf. »Ich werde nicht vor die Kameras treten, das ist nicht meine Aufgabe. Ich hasse es, in der Öffentlichkeit zu sein. Ich bleibe schön im Hintergrund, das Rampenlicht überlasse ich Mr. Wild.«

Der Mercedes hielt vor einem großen Gebäude.

Eine breite Treppe führte zu einem hohen Eingang. Das Rathaus von Sydney.

Hier arbeitete Mr. Wild als Abgeordneter, und hier würde ich meine Stelle beginnen.

Das Grummeln in meinem Bauch wurde lauter. Das war eindeutig die Aufregung.

»Wir sind da«, sagte Phil und öffnete die Autotür. Er ging zum Kofferraum. Ich rutschte zur Tür und stieg mit wackeligen Knien aus. Phil reichte mir meinen großen Koffer. Fast alles, was ich besaß, befand sich darin.

»Alles Gute, Sis‘«, sagte Stanley und drückte mich an sich. Ich schmiegte mich an ihn und musste mir Mühe geben, nicht in Tränen auszubrechen.

»Bis bald«, murmelte ich und löste mich von ihm, um Phil, Ross und Troy ebenfalls zu umarmen. Am Ende stahlen sich doch ein paar Tränen aus meinen Augen, die ich schnell wegwischte.

»Du wirst den Laden schon schmeißen«, munterte mich Troy auf. »Wenn du uns vier im Griff haben kannst, dann dieses Weichei von Politiker erst recht.«

Ich lächelte. »Bestimmt. Ich hab euch lieb.«

»Ich dich auch«, sagten alle vier zur gleichen Zeit wie aus einem Mund. »Ruf an.«

Ich nickte. »Das mache ich ganz sicher. Heute Abend sage ich euch Bescheid, wie alles gelaufen ist. Und vielen Dank, dass ihr mich hergebracht habt.«

»Kein Problem, Summer«, sagte Ross. »Viel Glück.«

Ich holte tief Luft, um meinen nervösen Magen zu beruhigen, dann nahm ich meinen großen Koffer und zog ihn zur Treppe des Rathauses. Ich drehte mich zu meinen Brüdern um, die am Auto standen, und winkte ihnen zu. Dann zog ich den Koffer die Stufen hinauf. An der Eingangstür angekommen, drehte ich mich ein letztes Mal um. Die Jungs sahen mir immer noch hinterher. Ich winkte ein letztes Mal, dann trat ich ein.

Als sich die Tür hinter mir schloss, fühlte ich mich zum ersten Mal seit dem Tod meiner Eltern wieder allein. Ich schluckte das Gefühl jedoch schnell hinunter, denn das Foyer des Rathauses wimmelte von Menschen. Das Amt öffnete in wenigen Minuten, etwa ein Dutzend Leute warteten darauf, dass ihre Anträge bearbeitet würden. Mehrere Abgeordnete in dunklen Anzügen eilten auf die Fahrstühle am anderen Ende des Raumes zu. Dahin musste auch ich.

Ich lief zum Fahrstuhl, der sich gerade öffnete, und wollte einsteigen, doch ein dicklicher Mann in einem grauen Anzug schubste mich zur Seite und schob sich an mir vorbei. Er stellte sich zu den drei weiteren Personen, die in den Lift getreten waren. Ich strauchelte zur Seite. Als ich mich wieder fing, war der Fahrstuhl voll. Für mich und meinen Koffer war kein Platz mehr. Der Dicke verzog den Mund und blickte hochkonzentriert zu den Knöpfen im Fahrstuhl, als würde davon seine Zukunft abhängen. Offenbar vermied er es, mich anzusehen.

Rüpel!

»Sie sind sehr unhöflich«, sagte ich, während sich die Fahrstuhltür schloss. »Mit einem Menschen wie Ihnen will ich sowieso nicht im Fahrstuhl stehen.«

Kaum hatten die Worte meinen Mund verlassen, hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Ich konnte doch nicht gleich am ersten Tag meine neuen Vorgesetzten und Kollegen vergraulen! Vielleicht war der Mann wichtig!?

»Mr. Eckard ist immer so unfreundlich. Er denkt nur an sich«, sagte plötzlich eine angenehme, männliche Stimme hinter mir. »Schön, dass ihm mal jemand die Wahrheit sagt.«

Ich drehte mich zu dem Sprecher um und hielt die Luft an. Vor mir stand Chris Wild. Er sah in natura noch besser aus als auf Fotos und im Fernsehen. Er war schlanker, als ich gedacht hatte. Schlanker und größer. Er hatte dunkelbraunes, dichtes Haar und faszinierend grüne Augen. Auf seinen Lippen lag ein charmantes Lächeln, das seine Augen verschmitzt funkeln ließ. Das war auf den Fotos niemals zu sehen gewesen. Er sah auch jünger aus als auf Fotos. Ich kannte seinen Lebenslauf und wusste, dass er mit Ende zwanzig als einer der jüngsten, erfolgreichen Politiker galt.

»Hi … äh … es freut mich, Sie kennenzulernen, Mr. Wild«, sagte ich, als ich meine Sprache wieder fand. Mir wurde bewusst, dass ich ihn immer noch anstarrte und dabei hoffnungslos errötete.

»Sie können jetzt eintreten. Und ich werde dafür sorgen, dass niemand Ihnen und Ihrem Koffer den Raum streitig macht.« Er deutete auf den Nachbarlift, der offenbar gerade gekommen war und offenstand. Vor lauter Bewunderung für Chris Wild hatte ich dessen Ankunft gar nicht gemerkt.

»Danke«, murmelte ich verlegen und trat ein. Den Koffer zog ich hinter mir her und stellte ihn auf. Chris Wild folgte mir in den Fahrstuhl und drückte den Knopf in den fünften Stock.

»Wohin wollen Sie?«, fragte er.

»Wohin Sie gehen.«

»Ehrlich? Das ist nett von Ihnen«, schmunzelte er.

»Ich … äh … ich bin Ihre neue Assistentin«, stellte ich mich schnell vor und hoffte, dabei nicht noch röter zu werden. Falls das möglich war.

Ich hatte das Gefühl, als würden sich seine Pupillen für einen winzigen Moment erweitern. Ansonsten verzog er keine Miene. »Sie sind also Ms. Harris aus Dolphin Bay.«

»Summer.« Ich reichte ihm die Hand, fragte mich jedoch im selben Moment, ob das angemessen war. Deshalb zog ich sie schnell wieder zurück. Nun streckte er seine Hand aus, um meine zu schütteln. »Ich bin Chris«, sagte er.

Zögerlich ergriff ich seine Hand. Sie war fest und sauber. Überhaupt wirkte Chris Wild überwältigend rein. Seine Fingernägel waren gepflegt, sein Anzug makellos und ohne eine einzige Fussel. Sein Hemd leuchtete schneeweiß. Er roch gut nach Seife und einem angenehmen, dezenten Aftershave.

»Ich hoffe, ich werde den in mich gesetzten Aufgaben gerecht«, murmelte ich.

»Ich bin mir ganz sicher, dass Sie alles perfekt hinbekommen werden, Summer«, erwiderte er schmunzelnd und entzog mir seine Hand. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich sie immer noch hielt. Zum Glück öffnete sich in diesem Moment der Fahrstuhl. Wir waren im fünften Stock angekommen.

Mr. Wild, Chris, führte mich einen Gang entlang zu einem Büro auf der rechten Seite. Ein Kopierer stand in dem Gang, außerdem ein Tisch mit zwei Sesseln für Besucher. Er öffnete die Tür, auf der in dicken Buchstaben Mr. Wild stand, dann hielt er sie auf, damit ich eintreten konnte.

»Danke«, murmelte ich. Ich befand mich jedoch noch nicht in seinem Büro, sondern in dem seiner Sekretärin, Mrs. Allister. Mit ihr hatte ich bereits gesprochen, sie war diejenige, die mich zurückgerufen hatte.

»Ms. Harris, schön dass Sie es pünktlich geschafft haben«, sagte sie lächelnd. Sie war um die dreißig, hatte kurzes, blondes Haar und trug eine Brille. Sie war sehr hübsch und hatte rosaroten Lippenstift aufgelegt, aber sonst kein Make-up. Ihre Stimme klang zwar nett und freundlich, ich wunderte mich jedoch über ihre Worte. Wieso sollte ich es nicht pünktlich schaffen? Weil ich zu spät angerufen hatte?

»Ich habe den Brief wirklich erst an dem Tag erhalten«, verteidigte ich mich. »Er war bei meinem Bruder gelandet.«

»Es macht ja nichts«, sagte sie lächelnd und winkte ab. »Sie sind ja jetzt pünktlich hier.«

»Ich bin immer pünktlich. Das gehört zu guten Manieren dazu.«

»Das hoffe ich, Ms. Harris. Wir benötigen hier gute Manieren mehr als sonstwo. Australien achtet auf uns. Was wir tun und sagen, wie wir uns in der Öffentlichkeit verhalten, wird von der Presse genau unter die Lupe genommen. Deshalb ist es wichtig, dass Sie fehlerfrei sind. Das war ein Grund, weshalb wir Sie ausgesucht haben. Sie wirken verantwortungsbewusst. Umso erstaunter war ich, dass Sie nicht sofort zurückgerufen haben.«

»Wie schon gesagt, der Brief war falsch gelandet. Ich habe angerufen, sobald ich ihn in den Händen hielt.«

»Aber es war einen Tag zu spät. Sie--«

»Mrs. Allister hat sich bisher gut um mich gekümmert«, unterbrach Chris sie. »Sie ist eine äußerst wertvolle Mitarbeiterin. Aber für den Wahlkampf benötige ich weitere Unterstützung. Deshalb sind Sie hier, Summer. Ich werde Ihre Hilfe vor allem an den einzelnen Wahlkampforten benötigen. Ich hoffe, das ist okay für Sie?«

Ich nickte mit dem Kopf. »Absolut Mr. Wild, Chris. Das ist absolut okay.«

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Mrs. Allister den Kopf einzog.

»Für heute möchte ich, dass Sie sich alles in Ruhe ansehen, um die normalen Abläufe kennenzulernen.« Er sah auf die Uhr. »In einer Stunde beginnt die Parteisitzung. Es wäre schön, wenn ich bis dahin einen Kaffee trinken und meine Post durchsehen könnte.«

Die Bitte war an Mrs. Allister gerichtet, doch ich wollte mich sofort nützlich machen. »Ich kümmere mich um den Kaffee.«

Chris nickte lächelnd. »Schwarz und stark.«

»Okay. Wird sofort erledigt.«

Er wandte sich ab und ging durch eine milchige Glastür in das benachbarte Büro. Ich sah mich nach einer Ecke um, in der ich meinen Koffer parken konnte. Zwischen einem Aktenschrank und dem Papierkorb fand ich eine passende leere Stelle. Danach suchte ich die Kaffeemaschine.

»Die Tür gegenüber vom Fahrstuhl führt in die Küche«, sagte Mrs. Allister. Ich glaubte, eine eisige Note in ihrem Ton zu hören. Sie schien sehr nachtragend zu sein. Wie oft sollte ich mich denn noch entschuldigen? Oder gefiel ihr nicht, dass ich für Mr. Wild den Kaffee kochen wollte?

Ich hatte keine Zeit, länger darüber zu sinnieren. »Danke«, sagte ich und ging aus dem Vorzimmer hinaus in den Flur, wo ich die Küche ansteuerte. In dem kleinen Raum fand ich Filter, Kaffee und eine saubere Tasse. Ich beschloss, Mrs. Allister eine Freude zu machen und ihr ebenfalls eine Tasse Kaffee mitzubringen. Doch als ich ihr die Tasse auf den Schreibtisch stellte, rümpfte sie die Nase.

»Ich trinke nur Tee.«

»O, das wusste ich nicht. Dann trinke ich eben den Kaffee«, sagte ich schnell.

»Das wird Mr. Wild aber nicht gefallen. Sie sind hier, um zu arbeiten.« Sie klang kühl.

Sie mochte mich wirklich nicht. Ich konnte nur hoffen, dass sich die Antipathie im Laufe der Zeit legte und ich sie von meinen Qualifikationen überzeugen würde.

»Es wäre aber schade, ihn wegzuschütten.«

»Lieber wegschütten, als Zeit zu vertrödeln.«

»Vielleicht will Mr. Wild ja zwei Tassen«, sagte ich und ging zu seinem Büro, um zu klopfen.

»Nein«, rief Mrs. Allister. »Auf keinen Fall!«

Es war jedoch zu spät. »Herein!«, ertönte es von innen, und ich trat mit dem Tablett ein.

»Ich habe den Kaffee für Sie«, sagte ich und reichte ihm die Tasse. Er saß an einem großen, schwarzen Schreibtisch, der zu seinem dunklen Anzug passte. Mehrere Briefe lagen geöffnet vor ihm.

»Für wen ist die andere Tasse? Erwarte ich Besuch?«

»Nein. Ich hatte sie für Mrs. Allister gedacht, aber die trinkt nur Tee. Da dachte ich, Sie wollen vielleicht zwei haben.«

»Trinken Sie keinen Kaffee?«

»Doch, aber ich sollte lieber arbeiten, statt Kaffee zu trinken.«

»Hat Mrs. Allister das gesagt? Sie ist manchmal etwas streng, das dürfen Sie nicht so ernst nehmen. Trinken Sie mit mir einen Kaffee und erzählen Sie mir, warum Sie sich beworben haben.«

Ich hatte das Gefühl, schon wieder hoffnungslos zu erröten. Er wirkte so souverän und überlegen, dass ich mir wie ein dummes Schulmädchen vorkam. Ich musste aufpassen, dass ich ihn nicht die ganze Zeit schwärmerisch anglotzte. Dann wäre ich meinen Job mit Sicherheit ruckzuck wieder los.

Ich setzte mich auf einen Stuhl, der auf der anderen Seite seines Schreibtischs stand, und nippte am Kaffee. Er schmeckte sehr gut. Kaffeekochen hatte ich schon vor Jahren gelernt, weil meine Brüder vor einem guten Kaffee morgens immer unausstehlich waren.

»Ich bewundere, was Sie tun«, sagte ich schließlich, um seine Frage zu beantworten. »Sie haben das Herz auf dem rechten Fleck, wie man bei uns in Dolphin Bay sagen würde. Ich habe Ihre Aktivitäten verfolgt und möchte unbedingt dabei helfen, dass Sie Senator werden. Ich denke, dann könnten Sie noch mehr für Australien und seine Bewohner tun. Deshalb habe ich mich beworben.

Er sah mich erstaunt an. »Das denken Sie wirklich?«

Ich nickte. »Ja. Ich wünschte, mehr Politiker wären wie Sie. Allerdings finde ich es schade, dass Sie das Gesetz zum Ausbau des Straßennetzes in Sydney mit unterschrieben haben. Die Umwelt braucht nicht noch mehr Autos auf breiteren Straßen, sondern mehr Menschen, die auf Busse und Fahrräder umsteigen.«

Er antwortete nicht sofort, sondern musterte mich schweigend. »Sie sind sehr offen, Summer«, sagte er schließlich. »Ich weiß Ihre Ehrlichkeit sehr zu schätzen. Und ich bitte Sie, mir weiterhin so aufrichtig gegenüberzutreten, auch – oder besonders – wenn Ihnen etwas nicht passt. Das Gesetz musste ich übrigens unterschreiben, damit ich die Vereinbarung für das Land der Aborigines durchbekomme. Das war der Preis.«

»Ein fauler Kompromiss, um etwas Gutes zu erreichen – ist das Politik?«

»Ja, das ist Politik. Sie lernen schnell.« Er lächelte und sah mir in die Augen. Ich spürte ein eigenartiges Flattern in meiner Magengegend und trank schnell einen Schluck Kaffee. Er machte mich nervös, das war gar nicht gut, wenn ich meinen Job ordentlich erledigen wollte. Ich konnte nur hoffen, dass sich das im Laufe der Zeit legen und sich nicht zu einer erwarteten Komplikation entwickeln würde.

»Wann genau findet die Parteiversammlung statt?« Ich wusste es eigentlich, ich wollte nur ablenken und das Gespräch auf etwas Einfaches bringen, um nicht mehr erröten zu müssen.

Er sah erneut auf die Uhr. »In fünfundvierzig Minuten. Wenn Sie noch Fragen bezüglich Ihres Jobs haben, so wäre jetzt der geeignete Moment dafür.«

Ich hatte viele Fragen, die meisten fielen mir jedoch vor lauter Schreck nicht ein. Daher begann ich mit einer einfachen. »Sitze ich bei Mrs. Allister im Büro?«

»Anfänglich, ja. Ich möchte aber gern ein eigenes Büro für Sie einrichten lassen. Sie werden andere Dinge zu tun haben als Mrs Allister, und wenn Sie beide in einem Raum sitzen, kann es sein, dass Sie sich in die Quere kommen. Das wäre kontraproduktiv.«

»Wenn Sie gewinnen, bleibe ich dann bei Ihnen? Und wenn Sie verlieren, was ich nicht hoffe, bin ich dann arbeitslos und kehre nach Dolphin Bay zurück?«

Er lächelte. »Wenn Sie möchten, können Sie nach einer Niederlage nach Hause fahren. Wir können aber auch versuchen, Ihnen einen anderen Job zu finden, wenn Sie das möchten und wenn es Ihnen hier gefällt. Und wenn ich gewinne, können Sie selbst entscheiden, was Sie tun. Allerdings werde ich im Falle eines Sieges nach Canberra gehen.«

»Und was werden Sie tun, wenn Sie verlieren?«

»Ich werde es in sechs Jahren wieder versuchen. So schnell gebe ich nicht auf.«

Langsam entspannte ich mich. »Was sagt Ihre Familie zu Ihrer Kandidatur? Unterstützt sie Sie?«

»Wie Sie sicher wissen, bin ich nicht verheiratet. Sie meinen sicherlich meine Eltern?«

»Ja, die meine ich.« Verdammt, wieso musste ich schon wieder rot anlaufen?

»Mein Vater ist nicht sonderlich erfreut darüber, erhofft sich aber Vorteile, wenn sein Sohn im Senat sitzt. Meine Mutter und meine Schwester stehen voll hinter mir.«

»Muss ich mit der Presse reden? Ich … äh … ich stehe nicht so gerne in der Öffentlichkeit.«

»Das müssen Sie nicht, wenn Sie es nicht möchten. Dann sagen Sie rechtzeitig dem Pressesprecher Bescheid. Sie werden ihn gleich auf der Sitzung kennenlernen.«

Ich hatte das Gefühl, lockerer zu werden. Langsam fielen mir auch immer mehr Fragen ein, die er ruhig und freundlich beantwortete. Als es schließlich Zeit für die Parteiversammlung war, stand er auf. Ich wollte die Kaffeetassen wegräumen, doch er nahm meinen Arm.

»Das hat Zeit für später. Oder Mrs. Allister erledigt es. Wir müssen jetzt gehen.«

Ich dachte mit Grausen an das Gesicht von Mrs. Allister, wenn sie meine Kaffeetasse wegräumen müsste, aber er ließ mir keine Wahl. Er öffnete die Bürotür und ließ mich raustreten. Mrs. Allister lächelte zwar, als sie mich sah. Es wirkte jedoch, als würde sie mit ihren Augen Blitze in meine Richtung schleudern. Da ich so lange bei Mr. Wild gesessen hatte, hatte ich mich noch unbeliebter bei ihr gemacht.

Chris Wild führte mich aus dem Büro zum Fahrstuhl, und gemeinsam fuhren wir in den zwanzigsten Stock, das oberste Stockwerk des Gebäudes. Dort befanden sich die Konferenzräume. Als ich in den Konferenzraum A eintrat, hielt ich den Atem an, denn vor mir lag Sydney wie ein Gemälde. Durch die großen Fenster sah ich die Oper im Hafen, die Harbour Bridge und die ganze City. Die Sonne spiegelte sich im Ozean, so dass das Wasser glitzerte und funkelte wie ein Haufen Diamanten.

»Wow«, murmelte ich. »Bei so einem Anblick können Sie arbeiten?«

Er lachte leise und nahm meinen Ellbogen, um mich zu einem Platz mitten am Tisch zu führen. »Man gewöhnt sich daran«, sagte er. »Aber es ist wirklich eine berauschende Aussicht. Dann weiß ich, wofür ich hier sitze, nämlich, um die Schönheit dieser Stadt zu erhalten.«

Ich ließ mich nieder. Der Raum war noch leer, doch kaum saß Chris Wild neben mir, öffnete sich die Tür erneut und mehrere Menschen traten ein. Die meisten grüßten kurz und sahen mich neugierig an. Einige begannen ein Gespräch mit Chris und ignorierten mich völlig. Einen der Eingetretenen kannte ich. Es war der Dicke, der mich nicht in den Fahrstuhl gelassen hatte, Mr. Eckard. Er sah mich missmutig an, nickte jedoch, als er bemerkte, dass ich neben Chris saß. Etwa zehn Minuten später war der Konferenzraum voll und ein großer, schlanker Mann um die fünfzig begrüßte alle Anwesenden.

»Das ist der Parteivorsitzende, Mr. Leonhead«, flüsterte Chris mir zu. »Ich denke, Sie können ihm vertrauen.« Ich notierte mir das innerlich und lauschte, was Leonhead zu sagen hatte. Die meiste Zeit ging es um Wahlkampfspenden, die eingetrieben werden mussten. Dafür hatte die Partei für das Wochenende einen Ball geplant, zu dem die Reichsten von Sydney eingeladen worden waren. Sie erhofften sich mehrere Millionen von der Veranstaltung.

»Ich hoffe, Sie werden kommen«, raunte Chris mir ins Ohr.

Ich spürte, wie ein feines Prickeln über meine Haut zog, als ich seinen heißen Atem an meinem Ohr spürte.

Cool bleiben!

»Gehört es zu meinen Aufgaben dazu?«, flüsterte ich zurück.

»Ja.«

»Dann komme ich.«

Er lächelte mich an. »Gut. Das ist übrigens der Pressesprecher.« Er deutete auf einen hageren Mann Mitte zwanzig, der einen dünnen, flauschigen Bart und eine runde Brille trug. Er wirkte wie ein Student aus einem anderen Jahrhundert und sprach gerade von der Presseerklärung, die er verfasst und an die Zeitungen verschickt hatte. Er redete sehr monoton, so dass es mir schwerfiel, mich auf seine Ausführungen zu konzentrieren. Ich wurde erst wieder hellwach, als ein älterer Mann mit Glatze das Wort ergriff.

»Wir müssen uns endgültig um den Hafenausbau kümmern«, sagte er, an Chris gewandt. »Wir haben es einigen Spendern von Wahlkampfgeldern versprochen, dass wir die Sache regeln.«

»Ich weiß, dass Sie das Versprechen gegeben haben«, erwiderte Chris. »Das war nicht sonderlich geschickt, weil wir es nicht halten können. Das Gesetz, auf das sich das Australische Verfassungsgericht vorige Woche bezogen hat, verbietet einen Ausbau des Hafens zum Schutz der Umwelt.«

»Dann müssen wir das Gesetz ändern lassen!«, brauste der Glatzkopf auf. »Wir können die Industrie nicht vergraulen. Sie brauchen einen größeren Hafen, um den Bergbau im Land voranzubringen. Die Wirtschaft muss wachsen, dann bekommen wir auch locker die Gelder für den Wahlkampf. Zur Not erfinden wir einen Angriff durch einen Weißen Hai, um zu zeigen, wie wichtig es ist, einen großen, sicheren Hafen zu haben. Die Bedürfnisse der Menschen stehen über denen der Umwelt. Dann ist es möglich, das Gesetz zu kippen und den Hafen ausbauen zu lassen.«

»Sie wollen den Wahlkampf mit einer Lüge beginnen?«, hörte ich mich fassungslos sagen. »Das finde ich nicht in Ordnung.«

Der Dicke, Mr. Eckard, sah mich stirnrunzelnd an. Mr. Leonhead kniff missmutig die Augen zusammen. »Wer sind Sie?«, fragte der Parteivorsitzende.

Ich öffnete den Mund, um zu antworten, obwohl ich mir sicher war, vor Aufregung ganz heiser zu sprechen. Doch Chris kam mir zuvor.

»Sie ist meine Assistentin«, sagte er. »Und sie hat Recht. Wir werden das Gesetz nicht durch Lug und Betrug ändern lassen. Wir müssen den Hafen auch nicht ausbauen lassen. Er ist groß genug. Wer seine Wahlkampfgelder an solche Bedingungen knüpft, von dem möchte ich sowieso kein Geld erhalten.« Er lehnte sich zurück, als wäre das sein letztes Wort.

Mr. Leonhead und der Glatzkopf schluckten. »Wir brauchen aber das Geld«, sagte der Glatzkopf.

»Ich werde mit meinem Vater sprechen«, versprach Chris. Die Leute im Raum entspannten sich. Offenbar wussten sie, dass es danach einen Geldsegen geben würde.

Ich versteckte mich hinter meiner Hand, um nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Aber zum Glück achteten sie nicht mehr lange auf mich.

»Dann wäre die Sache mit dem neuen Flughafen für Wollongong«, sagte der Glatzkopf. »Er ist zwar schon beschlossene Sache, es werden jetzt aber Stimmen laut, dass er überflüssig wäre. Die Bevölkerung ist plötzlich dagegen, ihnen graust vor dem Lärm und den Abgasen. Angeblich reicht den Leuten der Flughafen von Sydney. Wenn wir abspringen, sitzt uns jedoch der Investor im Nacken. Er hat bereits die Pläne fertigen lassen und freut sich auf einen satten Gewinn. Auch die kleineren Baufirmen würden verzweifeln, weil sie fest mit dem Auftrag gerechnet haben. Eine verzwickte Sache.«

»Wir lassen bauen«, sagte Leonhead. »Wir können nicht ständig hü und hott folgen, sie haben zuerst zugestimmt. Morgen überlegen sie es sich vielleicht wieder anders. Der Flughafen kommt nach Wollongong. Basta.«

»Dort leben aber unsere Wähler. Wenn sie übergangen werden, wählen sie die andere Partei«, gab Mr. Eckard zu bedenken.

Leonhead stöhnte auf. »Dann sagen wir ihnen jetzt, dass wir ihren Meinungswechsel berücksichtigen und der Flughafen nicht gebaut wird. Sobald die Wahl vorüber ist, kommen die Bagger. Sorry, tut uns leid, aber wir können unser Versprechen nicht halten. So ist das nun mal.«

Ich hielt die Luft an, um nicht schon wieder einen Kommentar von mir zu geben.

»Wie lautet Ihre Meinung dazu, Ms. Harris?«, fragte mich Chris von der Seite.

»Ich? Äh … ich habe keine Meinung«, sagte ich unsicher und spürte, wie das Blut in mein Gesicht schoss. Alle Augen waren auf mich gerichtet.

»Wirklich nicht?«, fragte Chris. Er klang herausfordernd. War das ein Test? Wollte er wissen, wie ich mich in solchen Stresssituationen verhielt?

»Ich finde, die Meinung der Menschen sollte berücksichtigt werden«, murmelte ich schließlich. »Es ist natürlich schlecht, dass sich die Bewohner von Wollongong plötzlich anders entscheiden, aber sie zu belügen halte ich für falsch.

---ENDE DER LESEPROBE---