Confessions: Das Geständnis einer fast anständigen Frau - Johanna Marthens - E-Book

Confessions: Das Geständnis einer fast anständigen Frau E-Book

Johanna Marthens

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Beschreibung

Ich spürte beim Tanzen seine Hand in meinem Rücken, wie sie sich sanft einen Hauch nach unten bewegte. Ganz leicht drückte er mich noch etwas mehr an sich. Meine Wange lag an seiner, meine Brust presste sich an seinen Oberkörper. Er fühlte sich fest und muskulös an. Er roch zudem so gut, dass ich meine Nase am liebsten ganz tief in ihm vergraben hätte. Seine Nähe und das Gefühl seines Körpers ließen mich innerlich erbeben. Ich hätte mich gern gegen diese Empfindung gewehrt, aber ich konnte nicht. Sie war einfach zu überwältigend. »Jasper passt nicht zu dir«, sagte Chad plötzlich leise in mein Ohr. Emily fühlt sich wie magisch zu ihrem neuen Nachbarn Chad hingezogen. Er ist attraktiv und unglaublich sexy. Das Fatale an der Sache ist, dass Emily einen Freund hat, mit dem sie auf der Florida-Insel zusammenlebt. Dennoch kann sie sich Chads Anziehungskraft nicht entziehen. Obwohl sich Emily dagegen wehrt, zieht er sie immer mehr in seinen Bann. Als sie schließlich schwach wird und sich Chad hingibt, geschieht ein Unglück, das Emilys Leben für immer verändern wird. Sie ahnt nicht, dass Chad ein düsteres Geheimnis umgibt.

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CONFESSIONS

DAS GESTÄNDNIS EINER FAST ANSTÄNDIGEN FRAU

Johanna Marthens

Romantic Suspense

Dieses Werk ist reine Fiktion. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Schauplätzen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle darin beschriebenen Vorkommnisse sind frei erfunden.

 

 

Copyright © Johanna Marthens, März 2015

 

 

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren, Vervielfältigen und Weitergabe sind nur zu privaten Zwecken erlaubt. Der Weiterverkauf des eBooks ist ausdrücklich untersagt. Der Abdruck des Textes, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

 

Lektorat: Tilde Zug

 

Coverdesign: © Dangerous Kisses

INHALTSVERZEICHNIS

PROLOG

SORGLOS

LAUTLOS

FURCHTLOS

FASSUNGSLOS

RUCHLOS

ATEMLOS

SCHWERELOS

LEBLOS

HEIMATLOS

HEMMUNGSLOS

RATLOS

ACHTLOS

WIRKUNGSLOS

BEDINGUNGSLOS

MUTLOS

SELBSTLOS

LOSGELÖST

IMPRESSUM

PROLOG

 

GEHEIMNISSE. Jeder Mensch hat Geheimnisse. Manche sind einfach und unbedenklich. Sie handeln von Weihnachtsgeschenken und Geburtstagsüberraschungen. Andere wiederum sind schmerzhaft für den, vor dem die Wahrheit versteckt werden soll, so wie Untreue und Falschheit. Und dann gibt es die ganz dunklen Geheimnisse. Die, die Menschen in den Abgrund stürzen können, wenn sie ans Tageslicht kommen. Die so fürchterlich sind, dass selbst Unbeteiligte, die durch Zufall in ihren Schatten geraten, davon verdorben werden.

Ich hatte immer gedacht, ich würde zu denen gehören, die nichts zu verbergen hätten. Ich dachte, ich sei eine Frau, deren Geheimnisse darin bestünden, dem Freund eine hübsche Uhr zum Geburtstag zu schenken, von der er nicht zu früh etwas wissen durfte. Mehr Heimlichkeiten gab es in meinem Leben nicht.

Doch dann kam Chad.

Ich weiß, dass er mich liebte und beschützen wollte, so dass er das Furchtbare vor mir verheimlichte. Es ist mir auch bewusst, dass er litt und dass er vielleicht wirklich keine Wahl hatte. Aber der Schatten seiner düsteren Geheimnisse hat mich besudelt. Ich habe es gewusst und nichts gesagt. Aber auch ich habe es aus Liebe getan.

Er brauchte jemanden, der für ihn da war, um die Last mit ihm zu tragen. Und um ihn davon zu befreien. Meine Liebe zu ihm und meine Unterstützung für ihn sind sündhaft und falsch, das weiß ich. Meine Liebe ist das Verbrechen, das ich begangen habe. Davon kann mich keiner freisprechen. Es wird für immer auf mir liegen und mich quälen.

Aber ich denke, es ist besser, ich erzähle ganz genau, wie alles geschah.

Von Anfang an.

SORGLOS

 

 

DER Schweiß meiner Hand hinterließ eine graue Spur auf der hellen Wand.

»Komm näher«, stöhnte Jasper und zog mich zu sich herunter.

Ich tat, was er wollte, und glitt noch tiefer. Er streichelte mit seinen Händen über meinen nackten Rücken, über meine Schenkel und meine Hüften. Dabei küsste er gierig meine Brüste. Sein Atem strich heiß und lustvoll über meine Haut. Er hatte die Augen geschlossen, seine Wimpern waren feucht vom Schweiß.

»Ja, ja«, keuchte er. »Ja, Baby, ja!« Er stöhnte lauter und schneller, je näher er dem Höhepunkt kam.

Ich zog seinen Kopf an mich heran. Seine Nase berührte die zarte Haut, die sich zwischen meinen Brüsten spannte. Seine Lippen fanden meinen Bauch, während ich vergeblich versuchte, Jaspers Rhythmus zu folgen.

»Ah!«, schrie er auf, während ich an seinem Pulsieren spürte, dass er den Gipfel erklommen hatte.

»O ja«, stöhnte er, wobei seine Worte über meine Haut flogen, warm und weich wie Federn. Danach sackte er zusammen. »Das war das vierte Zimmer«, murmelte er und legte sich auf den Rücken. Die Arme streckte er auf dem Boden aus, als würde er einen Schneeengel malen wollen.

»Ja, das letzte«, erwiderte ich und stieg erschöpft von ihm herunter, um mich neben ihn zu setzen. »Zum Glück hat das Haus nur vier. Mehr würde ich heute nicht schaffen«, gab ich zu.

»Ich auch nicht«, lachte Jasper müde. »Was für ein Tag! Ich weiß nicht, wer diese Tradition erfunden hat, dass Pärchen jedes Zimmer ihres neuen Hauses mit Sex einweihen müssen. Derjenige war wahnsinnig. Oder er hat Drogen genommen.«

»Ich weiß nicht, ob es wirklich eine Tradition ist. Vielleicht hat dir das nur jemand erzählt, dessen Libido zu stark war.«

»Nein, das machen alle.«

»Na gut, wenn es alle machen, müssen wir es auch tun.«

»Wie haben sie das früher in Schlössern mit über hundert Zimmern ge--du hast die Tapete zerkratzt!«, rief Jasper plötzlich empört. »Die war neu!«

Ich blickte zu der Stelle, die Jasper anstarrte. Dort hing wirklich ein schmaler Fetzen Tapete nach unten. Das war wohl mein Nagel gewesen. Daneben hatten meine Finger dunkle Schweißspuren auf dem sonnigen Gelb hinterlassen.

»Dann stellen wir dort eben einen Schrank hin«, sagte ich und zuckte mit den Achseln. »Halb so wild.«

»Ja, halb so wild«, knurrte Jasper. »Du hast die Wand ja nicht gestrichen.«

»Ich habe dafür den Umzug organisiert«, erwiderte ich, fast ein wenig eingeschnappt. Jasper vergaß leicht meine Arbeit. »Das war auch anstrengend.«

»Hoffentlich kommen morgen die Möbel pünktlich«, sagte Jasper, immer noch gereizt wegen der zerstörten Tapete.

»Das wäre wünschenswert. Ich würde gerne morgen schon richtig einziehen. Das Leben aus Kisten und Koffern ist nicht wirklich angenehm.«

»Im Übrigen sollten wir für weiche Teppiche sorgen. Der Boden hier ist echt hart«, meinte Jasper und erhob sich mit einem leisen Ächzen. »Da meldet sich die Bandscheibe.«

»Der Fußboden ist ja auch für Füße gedacht, wie der Name schon sagt. Nicht für Rücken, sonst hieße er ja Rückenboden.«

Jasper warf mir einen ironischen Blick zu, der besagen sollte, dass ich mich bloß nicht für oberschlau halten sollte. »Und was machst du, wenn du mal aus dem Bett fällst, weil wir es zu wild treiben? Dann schreist du vor Schmerzen.«

»Also gut, weiche Teppiche«, lenkte ich ein.

Jasper ging, nackt wie er war, ins Badezimmer. Er war schlank, fast dünn. Seine dunkelblonden Haare waren verwuschelt, das war mein Werk. Normalerweise trug er sie glatt in einem Seitenscheitel. In dieser Beziehung war er eigen. Aber beim Sex durfte ich in sein Haar greifen, dann war er zu erregt, um sich zu wehren.

Ich erhob mich ebenfalls. Der Fußboden war wirklich zu hart.

»Wir brauchen auch unbedingt Vorhänge«, rief ich Jasper zu, der im Badezimmer das Wasser der Dusche angestellt hatte.

»Ja, ganz sicher«, rief er zurück. »Darum kümmerst du dich! Das ist Frauensache!«

»Ja, ja, Frauensache«, murmelte ich und ging zum Fenster. Ich wich jedoch schnell zurück. Denn auf dem Nachbargrundstück – ein großes Grundstück mit einem riesigen, parkähnlichen Garten und einer Villa darauf – befand sich ein Mann. Er trug eine Jeans, sonst nichts, und lehnte an einem Pfosten am Pool. Er telefonierte. Er sah unverschämt gut aus. Sein dunkles Haar war wellig und wirkte etwas durcheinander, – genau wie Jasper sein Haar niemals freiwillig tragen würde. Der Mann hatte einen durchtrainierten Oberköper, muskulöse Arme und schmale Hüften. Er sah aus wie ein Model, oder vielleicht sogar noch besser als ein Model – er wirkte männlich und unglaublich sexy.

Ich beobachtete, wie er das Telefon zuklappte und auf einen Tisch legte. Dann zog er seine Hose aus und stieg in den Pool. Ich hielt die Luft an. Er war splitterfasernackt und schwamm, als gäbe es keine neugierige Nachbarin. Er bewegte sich im Wasser wie ein Profi, es sah großartig aus.

»Das war er also«, unterbricht mich Morales. Er ist klein und etwas rundlich. Seine buschigen Augenbrauen erinnern an eine Dornenhecke, seine Nase ist knollig und von roten Äderchen durchzogen. Er mustert mich aus kühlen, schwarzen Augen.

»Ja, das war er.«

»Wissen Sie, mit wem er telefoniert hat?«, will er wissen.

»Nein, das weiß ich nicht. Er hat nicht so laut gesprochen, dass ich etwas hätte verstehen können.«

»Was geschah danach?«

»Er schwamm ein paar Runden, dann stieg er aus dem Pool, trocknete sich ab und ging, nackt wie er war, ins Haus.«

»Und dann?«

»Dann war nichts Bedeutendes. Ich habe mit Jasper--.«

»Ich meine Chad«, unterbricht mich Morales. »Wann haben Sie ihn wiedergesehen?«

 

ICH traf den Mann am nächsten Tag auf der Straße. Es war eine völlig zufällige Begegnung. Die Möbel waren tatsächlich gekommen. Jasper und ich hatten den ganzen Tag geräumt und Kisten ausgepackt. Ich brachte Verpackungsmaterial zur Mülltonne, die neben dem Gartentor stand. Ich sah aus, als wäre ich gerade aus der Mülltonne gestiegen, und nicht, als würde ich etwas darin unterbringen wollen. Ich war über und über von Staub bedeckt, Klebestreifen hatten sich in meinem Haar verfangen, meine rechte Hand war blutig, weil ich mich an einem Karton verletzt hatte. In diesem Moment kam er mit seinem Auto angefahren. Ein schwarzer Mercedes, neuestes Baujahr. Er hielt vor dem Tor seines Hauses und stieg aus. Er fuhr den Wagen nicht in die Einfahrt, sondern ließ ihn auf der Straße stehen, als wolle er gleich wieder wegfahren. Er trug einen dunklen Anzug und ein weißes Hemd, dazu dunkle Lederschuhe. Er sah lässig, klug und intelligent aus. Ein Geschäftsmann wie er im Buche steht. Und dazu noch umwerfend sexy. Eine äußerst verführerische Kombination.

Ich wäre am liebsten hinter die Mülltonne gekrochen, damit er mich in meinem Zustand nicht bemerkte, aber er hatte mich sofort entdeckt.

»Brauchen Sie Hilfe?«, fragte er mit einem hilfsbereiten Lächeln. Es wirkte so freundlich und offen, als würde er jeden Tag völlig verdreckten Frauen anbieten, ihren Müll wegzubringen.

»Nein, danke, das schaffe ich schon alleine«, erwiderte ich betont salopp und schwang den Deckel der Mülltonne auf. Dabei benutzte ich leider, aus der Verlegenheit heraus, viel zu viel Kraft, mit dem Erfolg, dass die leere Tonne zu viel Schwung bekam und nach hinten kippte. Sie wackelte gefährlich, als wolle sie das Gleichgewicht verlieren. Ich eilte hastig zur anderen Seite, um sie aufzufangen. Dafür musste ich jedoch das Verpackungsmaterial fallen lassen, das ich in der Hand hielt. Als wäre das nicht schlimm genug, blieb ich mit einem Klebestreifen am Zaun hängen, so dass ich zu spät zur Tonne kam. Sie fiel. Ihr Inhalt ergoss sich nicht nur auf das Rosenbeet, sondern auch auf meine Hose und meine Schuhe.

»Scheiße«, sagte ich laut genug, damit jeder im Umkreis von fünf Meilen es hören konnte. Der Nachbar in seinem schicken Anzug vernahm es auf jeden Fall. Jasper hingegen nicht. Mein Freund war im Haus mit dem Aufbau eines Schranks beschäftigt, was seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Ich bückte mich, um den ganzen Dreck aufzuheben. Auf einmal war der Nachbar neben mir. Er war zu mir geeilt und half mir, den Müll und das Verpackungsmaterial aufzusammeln.

»Sie sollten sich mehrere Tonnen anschaffen und besser trennen«, sagte er auf einmal und hielt eine leere Bierflasche hoch. »Die gehört hier nicht hinein.«

»Danke für die Belehrung«, erwiderte ich gereizt. Das musste er mir in dieser Situation nicht unbedingt unter die Nase reiben.

Er lächelte. »So war es nicht gemeint. Aber es gibt Leute, die ihre Nachbarn verpetzen, wenn der Müll nicht richtig entsorgt wird.«

»Das hat er wirklich gesagt?«, fragt Morales dazwischen. Seine kleinen schwarzen Augen sind zu Schlitzen zusammengekniffen. Die Augenbrauen überwuchern sie fast. Er erinnert ein wenig an ein Wildschwein.

»Ja, das hat er gesagt«, bestätige ich.

»Er ist unglaublich dreist. Aber erzählen Sie weiter«, fordert Morales mich kopfschüttelnd auf.

 

Wir räumten zusammen alles Verschüttete zurück in die Mülltonne, wobei ich die Gelegenheit bekam, die Hände meines Nachbarn zu sehen. Sie waren groß und schlank, vollkommen und makellos. Ich hatte vorher noch nie so perfekte Hände an einem Mann gesehen. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass ich Hände äußerst wichtig finde. Sie sagen sehr viel über einen Menschen aus. Wer plumpe Hände mit kurzen, dicklichen Fingern hat, ist meistens sehr gemütlich und mag das einfache Leben. Menschen mit langen, schlanken Händen besitzen oft Witz und Raffinesse. Schmale Hände mit kurzen Fingern deuten auf verborgene Talente und Ausdauer hin. Jasper hatte extrem lange, dünne Finger. Er war jemand, der wenig Durchhaltevermögen besaß und manchmal etwas zerfahren sein konnte. Die Sache mit den Händen ist natürlich keine exakte Wissenschaft, aber ich habe es oft erlebt, dass die Erwartungen an einen Menschen, die ich nach Betrachtung seiner Hände gehabt hatte, erfüllt wurden.

Dieser Nachbar besaß die perfektesten Hände überhaupt.

Er schien nicht zu merken, dass ich sie anstarrte.

»Sie sind gerade eingezogen?«, fragte er lächelnd, als wir endlich fertig waren. Er wartete jedoch nicht auf eine Antwort von mir. »Ich habe den Umzugswagen gesehen. Herzlich willkommen in der Nachbarschaft.« Er wollte mir die Hand zur Begrüßung reichen, merkte jedoch sofort, dass er total schmutzig geworden war. Er lachte und nahm seine Hand zurück. Er hatte ein angenehmes Lachen, nicht zu laut und nicht zu derb. Seine grau-grünen Augen funkelten dabei.

Aus irgendeinem Grund konnte ich dem Drang nicht widerstehen, seine perfekte Hand zu berühren. Deshalb reichte ich ihm meine, um die Begrüßung doch zu vollziehen. Meine Finger waren genauso verdreckt wie seine. »Von einem Schmutzfink zum anderen«, sagte ich lächelnd.

Er lachte erneut, so dass seine Augen funkelten und sich kleine, zarte Lachfältchen an seinen Augen bildeten. Er sah dabei sogar aus nächster Nähe umwerfend aus. Ich hielt unwillkürlich den Atem an, um sein Lachen nicht zu stören. Doch er schien völlig unbekümmert.

»Ja, und von einem Müllsünder zum nächsten«, erwiderte er und schüttelte meine Hand.

»Sie trennen auch nicht?«, fragte ich erstaunt.

»Ich hasse es, wegen jeder Apfelsinenschale zum Komposthaufen gehen zu müssen. Also landet doch hin und wieder eine im Müll.«

»So einer sind Sie!«, sagte ich in gespieltem Tadel und schmunzelte. Dabei wurde mir plötzlich bewusst, dass meine Hand immer noch in seiner lag. Seine Hand fühlte sich warm und fest an und irgendwie bestimmend, als wolle sie meine Finger gar nicht loslassen. Schnell zog ich meine Hand zurück.

»Danke für die netten Begrüßungsworte«, sagte ich. »Wenn jemand mich anzeigt, weiß ich, dass Sie es nicht waren.«

»Ganz bestimmt nicht«, schmunzelte er, wurde aber gleich wieder ernst. »Ist das Ihr Mann darin?«, fragte er und deutete auf den Umriss von Jasper, der durch das Fenster im Wohnzimmer zu sehen war.

»Nein, mein Freund«, erwiderte ich. Ich weiß nicht genau, ob ich es mir nur einbildete, aber ich glaubte, ein erleichtertes Lächeln über sein Gesicht huschen zu sehen. Als wäre er froh, dass ich nicht verheiratet war.

»Wir sind seit Urzeiten zusammen«, erklärte ich.

Er nickte. »Und nun zieht ihr in das erste gemeinsame Haus.«

»Es ist ein Geschenk seines Vaters. Er hat es bei einer Zwangsversteigerung erworben, es stand vorher lange leer. Seine Eltern hoffen, dass ich …« Ich sprach nicht weiter, weil es mir peinlich war, diesem Fremden meine privaten Probleme mitzuteilen. Aber aus irgendeinem Grund wollte ich auch nicht schweigen. »Sie hoffen, dass wir dann endlich heiraten und Kinder haben.«

Er verzog den Mund. »Dabei wollen Sie gar nicht heiraten?«, fragte er nach. »Sie müssen nicht, wenn Sie es nicht möchten. Wir leben in einem freien Land.«

»Doch, ich möchte es«, erwiderte ich und gab mir Mühe, euphorisch und überzeugt zu klingen. »Ganz sicher.« Ich wandte mich abrupt ab, um das Gespräch zu beenden, das mir doch langsam etwas zu persönlich wurde. »Vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich komme jetzt wieder allein zurecht.«

»Wenn Sie erneut Hilfe brauchen, sagen Sie Bescheid. Ich wohne nebenan. Mein Name ist Chad Livingston.«

»Ich bin Emily Coulter.«

»Emily«, wiederholte er langsam, als würde er meinen Namen auf der Zunge kosten. Dann lächelte er und sah mich einen Augenblick lang schweigend an, bevor er zu seinem Haus ging und die Tür öffnete.

Ich klappte die Mülltonne zu und versuchte, so ruhig wie möglich zurück in meine neue Bleibe zu gehen. Jasper sollte nicht sofort merken, dass ich gerade mit einem attraktiven Nachbarn mit perfekten Händen Bekanntschaft geschlossen und ihm Details aus unserer Beziehung mitgeteilt hatte.

»Wieso hat das so lange gedauert?«, fragte mich Jasper trotzdem. Offenbar war ihm aufgefallen, dass ich meine Aufgabe nicht so schnell und zügig wie erwartet erledigt hatte.

»Es gab ein Problem mit der Mülltonne. Ich habe es aber beheben können. Mr. Livingston von nebenan hat mir geholfen.«

»Und wie ist er so?«, fragte Jasper, während er eine Schraube in den Schrank drehte. Es sah aus, als befestigte er das verkehrte Teil, aber ich sagte lieber nichts. Jasper konnte in dieser Beziehung – wie mit seinen Haaren – sehr eigen sein.

»Ganz nett«, erwiderte ich nonchalant. »Er meint, wir sollten unseren Müll besser trennen.«

»Was für ein Spießer«, rief Jasper. »Das sagt er dir beim Einzug? Na, das kann ja heiter werden.«

»Er hat es nett gemeint«, verteidigte ich den Nachbarn. »Er meinte, es gäbe Leute, die würden es melden, wenn jemand nicht richtig trennt.«

»Da hat er wohl sich selbst gemeint.«

»Ich denke nicht«, erwiderte ich. »Er wirkte eigentlich ganz locker.«

»Ganz locker? Da haben wir also einen alten, spießigen Nachbarn, der unseren Müll durchwühlen wird. Na, das kann ja heiter werden«, beklagte sich Jasper, während er kritisch einen Schritt zurücktrat und sein Werk bewunderte. Ich korrigierte ihn nicht und ließ ihn in dem Glauben, dass Chad Livingston ein alter Mann sei. Ich hielt es für besser, wenn Jasper nicht wusste, dass der Nachbar ein junger, attraktiver Typ mit perfekten Händen und einem wunderschönen und erfrischenden Lachen war.

»Sieht das richtig aus?«, fragte mich Jasper.

»Ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte ich. Es sah völlig verkehrt aus, aber das musste er selbst herausfinden, sonst hatte er schlechte Laune.

»Es wirkt irgendwie komisch «, murmelte er.

»Vielleicht haben die Schrankhersteller Mist gebaut«, half ich ihm. »Oder die Anleitung ist falsch gedruckt. So was passiert immer wieder.«

Er nahm die Anleitung zur Hand und studierte sie genau, dann drehte er den Kopf, um die Blickrichtung auf der Zeichnung nachzustellen. »Scheiße«, sagte er plötzlich.

Na endlich. »Ist es verkehrt?«, fragte ich in gespieltem Bedauern.

»Ja, ich habe das falsche Teil angeschraubt.«

»Ach, nicht so schlimm«, erwiderte ich und winkte ab, als hätte er lediglich einen Kugelschreiber verlegt. »Dann machst du es jetzt richtig. Ich koche in der Zwischenzeit etwas zu essen.«

»Ja, danke, das ist lieb von dir«, erwiderte er und widmete sich mit Feuereifer seiner Aufgabe. Manchmal war es leicht, ihn glücklich zu machen.

Wir arbeiteten bis zum Abend. Es gab genügend zu tun in unserem Haus. Es war nicht riesig, aber für zwei Menschen und eventuell ein Kind ausreichend. Im Untergeschoss befand sich das großzügige Wohnzimmer mit riesiger Küche. Eine Terrasse, zum Teil überdacht, schloss sich an. Außerdem gab es ein Gäste-WC und eine Art Bibliothek, die Jaspers Arbeitszimmer würde. Im Obergeschoss befanden sich unser Schlafzimmer sowie ein Gästezimmer. Letzteres würde mein Arbeitszimmer werden und das Aquarium beherbergen.

Jasper baute Möbel auf, während ich die Regale einräumte. Jaspers Bücher waren schwer und staubig, die meisten davon Lexika und Fachbücher. Ich musste aufpassen, dass ich die richtige Reihenfolge beachtete. Wenn er ein Buch lange suchen musste, regte er sich leicht auf.

Bei seiner Kleidung war es leichter, sie in den Schrank zu räumen. Er besaß nur weiße Hemden, außerdem dieselbe Art von Hose in drei Farben: dunkelblau, braun und schwarz. Außerdem besaß er ein weißes Jackett – das war seine ganze Garderobe.

Bei mir sah es anders aus, obwohl auch ich kleidertechnisch nicht gerade großzügig ausgestattet war. Ich zog gern Jeans und T-Shirts an, also hatte ich davon eine ganze Menge. Dazu einfache, flache Sandalen und Turnschuhe. Auch davon besaß ich einige Paare, die sortiert und eingeräumt werden mussten.

Als ich fertig war, kümmerte ich mich darum, uns schon wieder etwas zu essen zu zaubern. Das bestand darin, in der (schon fast komplett eingerichteten) Küche eine Tiefkühlpizza aufzutauen und in den neuen Backofen zu schieben. Als der Geruch nach Salami und zerlaufenem Käse durch das Haus wehte, kam Jasper zu mir in die Küche.

»Hm, hier riecht es aber gut«, sagte er und linste durch das Backofenfenster.

»Damit du mir nicht vom Fleische fällst durch die viele Arbeit«, erwiderte ich und strich Jasper über die dünnen Arme.

»Du wirst sehen, dass ich immer noch genügend Fleisch an mir habe, um dich über die Schwelle tragen und im Bett glücklich machen zu können«, erwiderte er und zog mich an sich.

»Das mit der Schwelle haben wir doch schon probiert. Du hast Angst um deine Bandscheibe.«

»Ja«, gab Jasper knurrend zu. »Vielleicht sollten wir diese Tradition doch weglassen. Muss die Küche eigentlich auch noch eingeweiht werden?«, fragte er plötzlich. Ein pfiffiger Zug umspielte seinen Mund. »Wir haben nur die vier Zimmer geschafft, an die Küche haben wir nicht gedacht.«

»Ich würde die Küche nicht zu den Zimmern rechnen«, antwortete ich.

»Ich schon«, sagte Jasper und zog mich noch fester an sich heran. Sein Mund näherte sich dem meinen. Sein Atem strich lustvoll über meine Haut. Er roch nach Hunger und schaler Cola.

In diesem Moment piepte der Backofen. Die Pizza war fertig.

Ich schob Jasper sanft von mir, um die Klappe des Ofens zu öffnen. Er ließ mich sogar widerstandslos gehen. Offenbar stand er kurz vor dem Verhungern.

Wir aßen in Ruhe, wobei Jasper sein Vorhaben mit dem Einweihen der Küche völlig vergaß. Danach gingen wir zurück an die Arbeit. Ich räumte die Bettwäsche in den Schrank und bezog das Bett. An die Stelle mit der zerkratzten Tapete stellte ich ein Nachtischschränkchen.

Als es später Abend war, erklärten wir die Arbeit für heute beendet. Ich konnte nicht mehr. Meine Arme schmerzten vom Ausräumen der vielen Kisten, meine Knie waren aufgeschrammt, weil ich so viel auf dem Boden herumgerobbt war. Ich war verschwitzt und müde.

Jasper ging es ähnlich. Sobald er anfing, an jedem Gegenstand, der ihm die Hände fiel, herumzunörgeln, selbst wenn es gar keinen Grund dafür gab, wusste ich, dass er unbedingt Ruhe brauchte. Er fluchte laut über eine Lampe, weil sie nicht genau in die Ecke schien, wo er eine Schraube in eine Kommode drehen wollte. Die Kommode selbst hatte angeblich hinterhältige Glieder, weil ein Scharnier genau hinter ihren Fuß gerollt war, was ihm wieder einen Fluch entlockte. Und die Pizzaverpackung war der Staatsfeind schlechthin, weil sie nicht von allein in die Mülltonne gewandert war, sondern ihm im Wege lag.

»Schatz, komm zu Bett. Es ist spät genug«, rief ich aus dem Schlafzimmer zu ihm hinunter, während ich mich auszog und unter die Dusche stieg.

Er schien meiner Aufforderung Folge geleistet zu haben, denn nur wenige Augenblicke später hörte ich ihn im Schlafzimmer rumoren. Danach öffnete sich die Badezimmertür, anschließend die Duschkabine.

»Wenn ich nicht so fertig wäre, würde ich jetzt auch noch das Badezimmer einweihen«, sagte er und gähnte, bevor er zu mir unter die Dusche kam.

»Wir haben alle Zeit der Welt, um die Einweihungen vorzunehmen«, sagte ich und reichte ihm das Duschgel.

»Danke«, erwiderte er. »Ich weiß nicht, wie lange es als Einweihung gilt. Bestimmt nicht mehr, wenn man es erst macht, nachdem man schon zehn Jahre darin gelebt hat.«

»Du musst ja nicht zehn Jahre warten, aber vielleicht ein paar Tage. Und bevor wir keine Einweihungsfeier hatten, gilt es sicherlich nicht als offiziell eingeweiht.«

»Hm«, murmelte Jasper nachdenklich, was ich wohl als Zustimmung deuten konnte.

Ich war fertig und stieg aus der Dusche. Tropfnass, wie ich war, nahm ich das Handtuch und wickelte es um meinen Körper. Dann schritt ich zurück ins Schlafzimmer. Ich hinterließ eine feuchte Spur auf dem Parkett, auf dem noch kein Teppich lag. Es gab auch noch keine Vorhänge. Um solche Dinge würden wir uns in den kommenden Tagen kümmern.

In diesem Moment hörte ich ein Plätschern. Es kam vom Schwimmbecken des Nachbarn.

Vorsichtig trat ich an die Seite des Fensters, um hinausschielen zu können, ohne dass er mich sah. Er schwamm wieder seine Runden in dem riesigen Pool. Seine kräftigen Arme zerteilten mühelos das Wasser. Seine Schultern schoben sich geschmeidig in ruhigem Rhythmus über die Oberfläche, um danach wieder darin zu versinken. Es sah so kraftvoll und athletisch aus, dass ich schon beim Zuschauen Muskelkater bekam. Aber das konnte auch daran liegen, dass ich stocksteif neben dem Fenster stand und mir den Hals verrenkte.

Er schwamm noch drei Runden, dann stieg er aus dem Becken. Er hatte erneut nichts an. Allerdings schien er wohl doch hin und wieder eine Badehose zu tragen, denn sein knackiger Po leuchtete in der Dunkelheit heller als der Rest seines Körpers. Das Wasser tropfte auf die Fliesen, als er mit ruhigen Schritten zu einem blauen Plastikstuhl ging, auf dem ein Handtuch lag.

Er wickelte mit geschickten Handgriffen das Handtuch um seine Lenden, dann ging er zurück zum Haus. Er wirkte so gelenkig und ruhig, während er lief, voller Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit. Er erinnerte mich ein wenig an einen Panther, allerdings nicht im Zoo, sondern in freier Wildbahn – so elegant und geschmeidig, kraftvoll und stark.

Plötzlich drehte er den Kopf zur Seite. In dem kurzen Moment, bevor er ins Haus trat, blickte er hoch zu mir. Er sah genau zu dem Fenster, an dem ich stand, und lächelte.

Erschrocken wich ich zurück.

Was war das? Hatte er bemerkt, dass ich ihn beobachtete? Er konnte mich nicht gesehen haben. Oder etwa doch?

Ich lief knallrot an bei dem Gedanken, dass mein Nachbar Chad Livingston wusste, dass ich heimlich hinter dem Fenster stand und ihn nackt beim Baden beobachtete. Wie oberpeinlich! Bei der nächsten Begegnung mit ihm würde ich davonlaufen müssen, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen.

»Gibt es was zu sehen?«, fragte Jasper und gähnte erneut, als er ins Schlafzimmer kam. »Schleicht der alte Kerl durch die Nachbarschaft und denunziert Müllsünder?«

»Nein«, erwiderte ich rasch und trat zu meinem Freund. Die Röte in meinem Gesicht wollte jedoch nicht so schnell weichen. »Es gibt nichts zu sehen. Ich habe nur den Pool des Nachbarn bewundert. Wir haben leider keinen.«

»Du kannst im Meer baden«, erwiderte Jasper und ließ sich aufs Bett fallen.

Ich legte das Handtuch ab und folgte ihm. »Das stimmt. Der Strand ist nicht weit.«

Noch bevor ich mich zugedeckt hatte, schnarchte Jasper.

Ich lauschte noch eine Weile nach nebenan, ob das Plätschern des Pools erneut ertönte. Mein Gesicht lief bei der Erinnerung erneut knallrot an. Doch bei Chad blieb alles still.

Dann schlief auch ich ein.

LAUTLOS

AM nächsten Morgen verließ ich das Haus schon gegen acht Uhr. Es war mein erster Arbeitstag in der neuen Stadt.

Die Stadt Marathon inmitten der Florida Keys ist nicht riesig, sie besitzt gerade mal achttausend Einwohner. Aber dafür befindet sich in Marathon das größte Zentrum für Meeresbiologie auf den Inseln. Das Institut ist nur halb so groß wie das in Miami, wo ich zuerst gearbeitet hatte, aber es besitzt einen hervorragenden Ruf und bot beste Voraussetzungen für meine Arbeit.

Ich fuhr mit meinem kleinen Auto aus der Garage und schielte nach rechts, wo mein Nachbar Chad Livingston wohnte. Sein Wagen stand nicht vor dem Tor. Entweder war er bereits weggefahren oder sein Wagen befand sich in der Garage.

Bei dem Gedanken daran, wie er mich gestern Abend ertappt hatte, spürte ich noch einmal nachträglich das Blut in mein Gesicht schießen.

Wie peinlich!

Ich fuhr die verschlafenen Straßen der Insel entlang, einmal quer ans andere Ende des länglichen Eilands. Die Palmen wiegten sich in der leichten Brise, die vom Atlantik wehte. Der Sand leuchtete samtig gelb im Licht des frühen Tages. Ein Hund lag faul im Schatten eines Hibiskusbusches.

Ich wusste, wo das Institut lag, weil ich es bereits beim Bewerbungsgespräch besucht hatte. Trotzdem bog ich einmal falsch ab und landete plötzlich in einer Sackgasse. Zum Glück ist die Insel nicht sehr breit, so dass ich sofort zurück und auf den richtigen Weg fand. Schließlich stand ich vor dem Institut und parkte den Wagen.

Der Pförtner ließ mich sofort ein, offenbar erwartete man mich. Tatsächlich kam mir nach einem Augenblick eine junge Frau entgegen, die ich bereits beim Bewerbungsgespräch und beim anschließendem Rundgang kennengelernt hatte. Sie hieß Lauren und war etwa in meinem Alter, also vierundzwanzig.

»Hi Emily«, sagte sie mit einem freudigen Lächeln und nahm mich freundschaftlich in den Arm. »Ich freue mich, dass du bei uns anfängst. Ich habe auch schon deinen Arbeitsplatz vorbereitet. Komm mit!« Sie zog mich sanft auf das große weiße Gebäude zu, das an einen riesigen Würfel erinnerte. Die Fenster darin sahen aus wie schwarze Punkte, die die Augenzahl beim Würfeln anzeigen. Es waren sechs auf jeder Seite, als würde es sich um einen Würfel für gewiefte Betrüger handeln, bei dem es nur Sechsen gab.

Lauren erzählte mir von der Arbeit, die mich erwartete. »Wir beobachten gerade einen Schwarm Delfine, die in Fort Lauderdale mit einem Ortungsgerät markiert wurden. Sie sind also einige Meilen gereist, um hierher zu kommen. Eines davon ist ein trächtiges Weibchen, außerdem drei Jungtiere. Sie werden dir gefallen, sie sind wunderbar verspielt.«

»Sind sie in einem Becken oder draußen im Meer?«

»Im Atlantik«, erwiderte Lauren. »Sie meiden den Golf. Vielleicht ist er ihnen zu warm.«

Die Florida Keys sind eine Inselgruppe, die sich von der Spitze des amerikanischen Festlandes ins Meer hineinzieht. Auf östlicher Seite liegt der Atlantische Ozean, auf westlicher der Golf von Mexiko. Verbunden werden die Inseln durch Brücken, über die sich ein zweihundert Kilometer langer Highway zieht. Als ich das erste Mal von Miami hinunter nach Key West fuhr, war ich fasziniert und wie hypnotisiert von dieser Straße gewesen. Sie scheint schnurgerade über dem Wasser zu schweben, das in den verschiedensten Türkis- und Blautönen schimmert. Neben der Straße ragen die Reste der alten Eisenbahnbrücke aus dem Meer, die vor achtzig Jahren von einem Hurrikan zerstört wurde, was fast ein wenig gespenstisch wirkt. Auf den Pfeilern brüten Vögel und darunter tummeln sich Fische. Delfine spielen zu beiden Seiten der Straße.

»Habt ihr ihnen schon Namen gegeben?«, fragte ich.

»Natürlich«, schmunzelte Lauren. »Das trächtige Weibchen heißt Kaylee, die beiden Jungen sind Tick, Trick und Track. Die beiden Männchen haben wir Zach und Gab genannt.«

»Das sind schöne Namen«, lachte ich.

Wir waren an meinem Arbeitsplatz angekommen. Der Raum war klein, aber gemütlich. An den Wänden standen Regale voller Ordner und Bücher über das Meer, über Fische und andere Meeresbewohner. Am Fenster standen sich zwei Schreibtische gegenüber, für mich und Lauren.

»Hier ist er also, der Ort deiner gegenwärtigen und zukünftigen Forschungen«, sagte Lauren und deutete mit der Hand auf den Schreibtisch.

»Er ist perfekt«, sagte ich und setzte mich sofort auf den Drehstuhl. Er klemmte ein wenig, wenn man sich drehen wollte, aber das war kein Problem für mich. Ich war nicht hier, um einen Drehwurm zu bekommen, sondern um die Gewässer der Keys und deren Flora und Fauna zu studieren.

»Nun zeige ich dir das Aquarium«, meinte Lauren und ließ mich gar nicht lange sitzen. Ich sprang auch sofort wieder auf, um mit ihr durch den Würfel und einen langen Gang hinaus zum Meer zu gehen. Ein Steg führte vom Land aufs Wasser hinaus. An dessen Ende befand sich ein gläserner Fahrstuhl und führte hinab auf den Meeresgrund. Es war nicht tief hier, lediglich zwanzig Meter, ich war jedoch schwer begeistert von dem Konstrukt. Zudem befanden sich in dem Fahrstuhl mehrere Messgeräte, die Strömungsgeschwindigkeit, Wassertemperatur, Lichtintensität und noch vieles mehr aufzeichneten.

Ich muss zugeben, es ist für mich jedes Mal unbeschreiblich, ins Meer hinabzutauchen. Die Stille und scheinbare Unergründlichkeit des Ozeans üben eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Wer selbst taucht, weiß, wie geheimnisvoll und wunderschön das Meer in der Tiefe ist. Und dass es vermutlich keinen mystischeren Ort auf unserem Planeten gibt.

In diesem Fahrstuhl zu stehen, war jedoch ebenfalls ein fantastisches Erlebnis. Ich liebte das Schillern des Wassers, wenn die Sonne die Wasseroberfläche durchbricht. Wenn es an der Oberfläche zart funkelt, während es immer dunkler wird, je tiefer man kommt. Unzählige große und kleine Fische tummelten sich vor meinen Augen, sahen neugierig in den Fahrstuhl und betrachteten mich, als wäre ich das eigenartige Wesen in einem Glaskäfig, das man anglotzen musste. Als ein kleiner Katzenhai in ihre Nähe schwamm, stoben sie hastig davon. Auf dem Meeresboden lagen abgebrochene Korallen herum, etwas weiter entfernt befand sich ein Nest von Seesternen neben ein paar alten Betonbrocken. Ein Seepferchen schwamm direkt vor mir vorüber. Eine Seegurke lag träge im Sand, während ein Babyrochen an ihr vorbeischwebte.

»Es ist wunderschön hier«, sagte ich leise. Ich war fasziniert von diesem Anblick unter Wasser, den sich ein normaler Landbewohner nur schwer vorstellen konnte. Es wirkte alles so ruhig und friedlich hier, so bunt und vielfältig, schillernd und atemberaubend.

»Ja, das ist es«, stimmte Lauren mir zu. »Glücklicherweise sind wir von großen Ölkatastrophen bisher verschont geblieben. Und die Fische kommen mit den Bauarbeiten an der Brücke auch gut zurecht.«

Jeder Eingriff in diese faszinierende Welt hatte dramatische Auswirkungen auf die Meeresbewohner. Wenn tagelang Presslufthämmer Schallwellen durch das Wasser jagten, verloren die Tiere oftmals die Orientierung, fanden nicht zu ihren Laichplätzen oder konnten Feinde nicht mehr spüren. Und wenn Betonreste ins Meer fielen oder Sand herabrieselte, wurden Höhleneingänge verdeckt und Eier vergraben. Von den dramatischen Auswirkungen von Erdöl ganz zu schweigen. Doch wenn Lauren sagte, dass die Tiere einigermaßen damit klarkamen, war das ein gutes Zeichen, dass die Bauarbeiten ökologisch vertretbar waren.

»Ich würde mich gern der Erforschung der Korallen widmen«, sagte ich, »das ist mein Hauptgebiet.«

»Ich weiß, das kannst du auch«, beruhigte mich Lauren. »Wenn du dich umdrehst, wirst du allerdings erschrecken und eine fürchterliche Korallenbleiche entdecken.«

Ich tat, was sie gesagt hatte, und sah auf der anderen Seite des Fahrstuhls aus dem Fenster. Vor mir lag eine kleine Koralleninsel, die ehemals knallig rot und orange geleuchtet hatte, sich aber nun bleich und wie ein graues Skelett aus dem Meeresboden erhob. Ich liebte Korallen. Sie waren schon im Studium mein Hauptfach gewesen und ich wollte nun hier so viel wie möglich über sie in Erfahrung bringen. Korallen gibt es seit über vierhundert Millionen Jahren. Sie sind Nesseltiere und leben zusammen mit einer Algenart auf einer Kalkschicht, die Jahr für Jahr wächst. Sie sind Nahrungsquelle für Fische, bieten Laichplätze und Orte zur Aufzucht von Jungen. Sie gelten neben den tropischen Regenwäldern als artenreichste Lebensräume des Planeten. Für uns Menschen sind solche Korallensiedlungen beispielsweise wichtig, um Rekonstruktionen ehemaliger Zeitalter und vergangener Klimaveränderungen durchzuführen. Durch die globale Erwärmung erhitzt sich das Meerwasser jedoch, was zu einem Absterben der Algen führt, die mit den Korallen zusammenleben und sie ernähren. Dadurch verliert die Koralle ihre Pracht, es bleibt nur noch der Kalkmantel bestehen. Sie sieht bleich und farblos aus. Einige Korallen erholen sich davon, andere nicht.

Vor mir lag ein Haufen sterbender und bereits toter Korallen.

»Ist das Wasser zu warm?«, wollte ich wissen.

»Nein, wir vermuten, dass es am Kohlenstoffdioxid liegt. Das Meer wird zu sauer.«

»Es ist schrecklich!«

»Wir können nichts machen. Aber etwas südlicher von hier, am anderen Ende der Insel gibt es ein intaktes Riff. Jedenfalls war es vor Monaten noch in Ordnung. Dort solltest du sobald wie möglich tauchen gehen.«

»Das werde ich auf jeden Fall. Aber auch hier will ich studieren, welche Auswirkungen das Absterben der Korallen auf die Fische und das ganze Ökosystem überhaupt hat. Schließlich ist das ein weltweites Phänomen.«

»Es gibt viel zu tun«, seufzte Lauren und setzte den Fahrstuhl in Gang, um mit mir wieder nach oben zu fahren, wo wir uns an den Schreibtisch setzten und einen Arbeitsplan für die kommenden Monate aufstellten.

ALS ich am späten Nachmittag in meinem Auto nach Hause kam, wäre ich fast vom Gaspedal gerutscht. Eine Ansammlung von Trucks und Pick-ups parkte auf der Straße neben unserem Haus. Zahlreiche Männer und Frauen luden Getränke, Tische, Stühle und Blumenbuketts aus und brachten sie in die Villa von Chad Livingston. Es war ein Gewimmel wie im Ameisenhaufen. Offenbar wollte der Mann eine größere Party feiern.

Ich fuhr den Wagen in die Garage und ging zu Jasper, der in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch saß und aus dem Fenster starrte. Er hatte direkten Blick auf das rege Treiben nebenan.

»Hallo Schatz«, sagte ich und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

»Ich frage mich, was das für eine Feier werden soll«, meinte Jasper fasziniert. »Es wurden bereits Eisskulpturen, tonnenweise Champagner und sogar drei Pfaue gebracht. Wohnt darin der Alte, den du gestern getroffen hast?«

»Na ja, so alt ist er eigentlich nicht«, gab ich etwas kleinlaut zu. »Eher jünger. Vielleicht sogar wie wir.«

»Hast du nicht gesagt, er würde Müllsünder verpetzen?«, fragte mich Jasper erstaunt und sah endlich auf.

»Nein, ich habe gesagt, dass er mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass es andere tun.«

Jasper verzog den Mund, als er einsah, dass ich Recht hatte. »Aber es klang so, als hättest du es so gesagt«, erwiderte er mürrisch.

»Vielleicht.« Ich wollte mich gerade vom Fenster abwenden und in die Küche gehen, als er aus dem Haus trat: Chad Livingston. Er trug ein weißes Hemd, das er bis zum Ellenbogen aufgekrempelt hatte. Er rief einem der Lieferanten etwas zu. Der Angesprochene reagierte sofort und brachte Chad einen Lieferzettel. Chad studierte ihn, dann unterschrieb er ihn. Danach kehrte er zurück ins Haus. Bevor er eintrat, sah ich, wie sein Blick zu unserem Haus schweifte, doch dieses Mal ertappte er mich nicht dabei, dass ich ihn beobachtete.

»Ich wette, er ist Millionär«, sagte Jasper, wobei es aus seinem Munde irgendwie abfällig klang.

»Dann hat er Glück gehabt«, sagte ich leichthin. »Ich hätte nichts dagegen, Millionärin zu sein.«

»Ich auch nicht. Und vielleicht bin ich ja auch bald stinkreich«, sagte Jasper und umarmte plötzlich meinen Bauch, um mir einen Kuss darauf zu drücken. »Wenn ich diese Doktorarbeit endlich geschrieben habe, bekomme ich eine Anstellung an einer der besten Universitäten in Amerika. Dann werde ich durch die Welt reisen und Vorträge halten, so dass das Geld nur so strömt. Du bleibst zu Hause und kümmerst dich um unsere Kinder.«

»Und was ist mit meinem Job?«, fragte ich und strich über seinen Kopf. »Soll ich den einfach an den Nagel hängen?«

»Na klar, den brauchst du nicht mehr. Du hast mich und mein Super-Gehalt.«

»Ich mache meine Arbeit aber gerne.« Jasper hatte noch nie verstanden, wieso man sich für das Meer und seine Bewohner interessieren konnte. Ihm wäre es lieber gewesen, ich wäre Sekretärin oder Verkäuferin im Supermarkt geworden. Dann wäre ich mehr versessen darauf, zu Hause zu bleiben und seine Babys zu bekommen.

»Ach, die Kinder wirst du noch viel lieber haben. Apropos …« Er knöpfte meine Hose auf und strich mit der Hand unter mein T-Shirt.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Johanna Marthens c/o Johannes Böttger Georgstraße 5 01689 Weinböhla [email protected]

Bildmaterialien © Copyright by Coverdesign: Dangerous Kisses Coverfoto: ASjack, Fotalia.com

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-7394-0757-9