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»Parker Brooks bedeutet Ärger, ganz viel Ärger. Aber dieser Mann ist den Stress auch wert. Stell dir vor, du kannst ein paar himmlische Wochen mit ihm genießen, dann ist es fast egal, ob er dich danach austauscht und fallen lässt wie leeres Kaugummipapier.« Parker Brooks ist der Mann, für den Lilly früher durch die Prüfung gerasselt ist, weil sie so verliebt in ihn war. Parker ist verführerisch und sexy, erfolgreich und bei der Frauenwelt heißer begehrt als Schuhe von Prada. Als Lilly nach Canberra zurückkommt, um sich um eine Freundin zu kümmern, die ein Schicksalsschlag schwer getroffen hat, landet sie aus Versehen auf Parkers Verlobungsfeier. Und Parker verlobt sich ausgerechnet mit Kim, Lillys Erzfeindin! Ehe Lilly sichs versieht, klopft ihr Herz wieder viel zu schnell bei Parkers Anblick, und sie steckt erneut mitten in einem Konkurrenzkampf mit ihrer alten Rivalin Kim. Die leidenschaftlichen Gefühle zwischen Parker und Lilly lassen sich jedoch nicht unterdrücken, und das Verlangen wird zu groß, um ihm noch widerstehen zu können. Und als die beiden zusammen einen Werbespot drehen, wird Lilly schwach. Doch Lilly muss erkennen, dass ihr Geheimnis Parker zugrunde richten kann. Ein Geheimnis, so düster und zerstörerisch, dass sie abermals gezwungen wird, Parker, die große und einzige Liebe ihres Lebens, zu verlassen und sein Herz in tausend Teile zu brechen. Die Einzige, die die Katastrophe verhindern kann, ist Kim, Lillys große Konkurrentin um Parkers Herz ... »Voller Liebe, Sehnsucht und einem Hauch Erotik – The Bad Boy Mystery ist ein spannender Liebesroman, den man nicht aus der Hand legen kann!«
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© 2016, 2022 Johanna Marthens
Facebook.com/Johanna.Marthens
Lektorat: Tilde Zug
Buchcover: © Dangerous Kisses
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Dieses Werk ist reine Fiktion. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Schauplätzen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle darin beschriebenen Vorkommnisse sind frei erfunden.
Du kannst deine Augen schließen, wenn du etwas nicht sehen willst, aber du kannst nicht dein Herz verschließen, wenn du etwas nicht fühlen willst.
Johnny Depp
WIE AUS EINEM DICHTEN NEBEL taucht eine Frau mit besorgtem Blick vor meinem Gesicht auf und leuchtet mit einer schmalen Taschenlampe in meine Augen. Der Lichtschein ist so grell, dass er mich unangenehm blendet und ich die Augen zusammenkneifen muss.
Mein Kopf schmerzt höllisch, über meinen Oberschenkel scheint ein Truck gefahren zu sein, so lädiert fühlt er sich an.
Ich versuche, mental meinen Körper zu scannen, um weitere Schmerzen zu lokalisieren, aber irgendwie ist es schwierig, weil mein Kopf so dröhnt, als hätte er sich als Landebahn für Düsenjets zur Verfügung gestellt.
»Sie ist bei Bewusstsein«, sagt die Fremde zu einem Mann, der auf der anderen Seite von mir sitzt. Beide tragen Uniformen, auf denen in großen Lettern »Notarzt« steht. Wo bin ich? Was ist passiert?
Ich spüre eine schaukelnde Bewegung des Bettes, auf dem ich liege. Allerdings fühlt es sich nicht an, als befände ich mich auf dem Meer. Die Bewegungen sind gleichmäßiger und mit weniger Auf und Ab. Dafür werde ich zur Seite gedrückt, als würde das Fahrzeug eine scharfe Kurve nehmen. Die Sirene eines Krankenwagens dringt durchdringend an mein Ohr. Direkt über mir. Befinde ich mich etwa in einem Krankenwagen?
»Sie hatten einen Unfall«, sagt die Frau mit der Taschenlampe, als wäre sie in der Lage, meine Gedanken zu lesen. »Wir befinden uns auf dem Weg ins Krankenhaus. Können Sie uns Ihren Namen nennen? Oder den Namen unseres Premierministers?«
Ich versuche, in dem Lärm des Düsenjets in meinem Kopf ein paar klare Gedanken und auch meinen Namen zu finden. Mein Name ist … Ich bin … Ich heiße … Das kann doch nicht so schwer sein! Ich habe ganz sicher einen Namen!
Er fällt mir nicht ein.
Und der Premierminister? Wer soll das sein? Wieso gibt es keinen Präsidenten?
»Ich … äh … es geht nicht«, sage ich und höre, wie krächzend und leise meine Stimme klingt.
»Sie haben eine Kopfverletzung erlitten«, erklärt mir der Mann. »Wir werden Sie im Krankenhaus gründlich untersuchen. Strengen Sie sich nicht zu sehr an, wenn Ihnen Ihr Name nicht einfällt. Eine retrograde Amnesie gehört häufig zu Gehirnerschütterungen dazu und verschwindet bald wieder.« Er legt beruhigend seine Hand auf meine Schulter.
Ich weiß nicht, ob es seine Berührung ist oder weil der Wagen in diesem Moment um die Kurve fährt und ich aus dem Fenster die Spitzen des Parlaments sehen kann. Denn in diesem Moment sickert langsam die Erinnerung in mein Bewusstsein zurück. Ich bin Lillianne Kinsella. Die Frau mit der tödlichen Liebe. Ich erinnere mich plötzlich wieder an meine Rückkehr nach Canberra, an das billige Hotel in der Stadt, an Ryan und an die Verlobungsfeier. Parkers Verlobung.
Er stand an einem festlich gedeckten Tisch in der Nähe der Bühne und hatte mir seinen Rücken zugekehrt, aber ich wusste genau, dass er es war. Sein sandblondes Haar, der breite Rücken, die aufrechte Haltung – ich hätte ihn unter Tausenden erkannt. Mit verbundenen Augen.
Und dann drehte er sich um und sah mich an.
»Miss, ich messe Ihren Blutdruck, erschrecken Sie nicht«, sagt die Frau neben mir und legt eine Manschette um meinen Oberarm.
Parker ist in Canberra und wird bald heiraten. Ich hatte gehofft, ihn nie wiedersehen zu müssen, aber er ist hier. Mit Kim.
Mir wird plötzlich schlecht. Ich drehe mich zur Seite und übergebe mich auf den Boden des Krankenwagens. Die Ärztin neben mir springt schnell auf, damit ich ihre Schuhe nicht treffe. Ich erwische dennoch die Kappe ihres linken Turnschuhs. Immerhin ist er aus Stoff und sie kann ihn in der Waschmaschine waschen.
»Sorry«, murmele ich.
»Schon gut, kein Problem.« Sie holt ein paar Papiertücher und wischt den Mist vom Boden auf.
Ich fühle mich jetzt nicht unbedingt besser. Und ich wünschte, die Erinnerung wäre nicht zurückgekommen. Es wäre so schön, wenn sie einfach ausgelöscht bliebe. Wenn es keinen Parker in meinen Gedanken gäbe und keine Kim. Wenn ich einfach von vorn anfangen könnte, ohne zurückblicken zu müssen. Ohne Schuldgefühle und diesen stechenden Schmerz im Herzen.
Eine Träne läuft aus meinem rechten Auge. Die Ärztin sieht sie und drückt beruhigend meine Hand. »Die Erinnerung wird bestimmt zurückkehren«, sagt sie tröstend. Sie glaubt, ich würde weinen, weil ich nicht weiß, wer ich bin. Sie hat keine Ahnung.
Nur wenige Minuten später halten wir vor dem Krankenhaus. Ich werde mit der Liege in das Gebäude gefahren und sehe von jedem Raum nur die Decke. Eine graue Decke im Gang, die lauter zerrissene Platten aufweist. Eine gelbe Decke im Röntgenraum, von der ein paar Spinnweben hängen. Und eine weiße Decke in dem Krankenzimmer, in dem ich über Nacht im Bett liegen muss.
Der Arzt erklärt mir in medizinischem Fachjargon meinen Befund, so dass ich nur die Hälfte verstehe. Immerhin begreife ich, dass nichts Dramatisches vorliegt. Mein Röntgenbild ist okay, mein Schädel nicht gebrochen. Auch mein Bein und meine Hüfte sind in Ordnung. Wie es aussieht, bin ich mit einer Gehirnerschütterung und einer Prellung am Oberschenkel davongekommen. Er macht noch mal den Test mit dem Premierminister, den ich absichtlich nicht bestehe, dann geht er.
Um ehrlich zu sein, drei verschiedene Ärzte fragen mich nach meinem Namen und möchten wissen, wie der Premierminister heißt, welcher Tag heute ist und wann ich geboren wurde. Doch ich halte meinen Mund geschlossen und gebe vor, ich befände mich immer noch in dem herrlichen Zustand des Gedächtnisverlustes. Vielleicht tritt er ja ein, wenn ich nur fest daran glaube?
Schließlich geben sie auf und lassen mich in Ruhe.
»Wie geht es Ihnen?«, fragt die Krankenschwester, als sie etwas später meinen Tropf überprüft. Sie wartet einen winzigen Moment auf meine Antwort, dann spricht sie weiter. »Die Ärzte haben gesagt, Sie haben keine Erinnerung. Sie wird schon zurückkommen. Normalerweise hilft es, wenn Sie ein bekanntes Gesicht sehen.«
Ich rede immer noch nicht. Mit einer Kopfverletzung kann man es sich leisten, etwas kauzig zu sein.
»Gute Nacht.«
Ich lächele, was sie so auffasst, als hätte ich ihr ebenfalls eine gute Nacht gewünscht. Dann löscht sie das Licht und lässt mich allein.
Ich habe gedacht, die Erinnerung an Parker und diese grauenhafte Begegnung heute Abend würde mich die ganze Nacht verfolgen. Aber zum Glück haben mir die Ärzte etwas Bezauberndes in den Tropf gespritzt. Kaum ist die Schwester aus dem Raum, schlafe ich ein.
Als ich erwache, steht ein Arzt neben meinem Bett. Er ist um die fünfzig, fast kahl und trägt eine riesige Brille wie in den Serien der 1970er Jahre. Mein Vater trug früher auch so eine Brille.
»Wie geht es Ihnen?«, fragt er.
Ich beschließe, einen Teil der Farce aufzugeben und wenigstens wieder zu sprechen. Die Morgensonne scheint durch das Fenster und lässt meine Welt nicht mehr ganz so düster wirken. »Geht so«, erwidere ich. Meine Stimme klingt heiser, als hätte ich zu viel gesungen.
»Ist Ihre Erinnerung zurückgekehrt?
Für einen Moment überlege ich, was ich ihm antworten soll. Ich tendiere dazu, die Wahrheit zu sagen. Doch in diesem Augenblick öffnet sich die Tür, und meine Worte bleiben mir im Hals stecken.
Parker tritt ein. Er trägt einen grauen Anzug und ein weißes Hemd, der oberste Hemdknopf ist offen. Sein Lächeln wirkt selbstbewusst und lässt ihn cool und überlegen erscheinen. Früher trug er bevorzugt T-Shirts und Jeans, jetzt scheint er auf Anzug umgeschwenkt zu sein. Auch darin sieht er überwältigend aus.
Auf dem Flur bleibt ein Mann zurück, an dessen Seite sich sein Anzug beult, als würde er eine Waffe tragen. Ein Bodyguard.
Ich bin froh, dass der Arzt nicht gerade meinen Blutdruck prüft, denn dann wüsste er sofort, dass ich den Eintretenden erkenne. Mein Puls rast. Mein Herz klopft zum Zerspringen.
In letzter Sekunde entdecke ich die Blumen in Parkers Hand. Margeriten, die leuchten wie kleine Sonnen. Dann starre ich die Zimmerdecke an, um mich zu beruhigen.
Der Arzt dreht sich zu Parker um. »Es ist noch keine Besuchszeit. Kommen Sie bitte später wieder.«
»Ich weiß«, erwidert Parker und legt die Blumen auf den Tisch neben der Tür. »Ich möchte mich nur kurz nach dem Befinden der Patientin erkundigen. Immerhin ist das Unglück auf meiner Verlobungsfeier passiert.«
»Sie sind Senator Brooks!« Der Doktor lächelt zufrieden, als wäre Parker ein Filmstar. Ich weiß gar nicht, dass auch Ärzte von Promis fasziniert sein können. »Sie hat eine retrograde Amnesie«, erklärt er meinen Zustand. »Das passiert häufig bei Kopfverletzungen. Die Erinnerung wird aber nach und nach zurückkehren.«
»Das ist beruhigend«, sagt Parker und lässt sein charmantes Lächeln blitzen. Danach wendet er sich an mich. »Wie geht es Ihnen, Ms. Kinsella? Ihre Bandkollegen haben mir Ihren Namen genannt.«
Ms. Kinsella? Entgeistert starre ich ihn an und sage kein Wort. Er behandelt mich, als wäre ich eine Unbekannte. Hat er mich vergessen? Habe ich ihn damals so tief verletzt, dass er mich verleugnet? Oder weiß er selbst nicht mehr, was vor Jahren passiert ist?
Er fährt sich mit der Hand durch sein dichtes, blondes Haar. »Ich werde dafür sorgen, dass der Unfall als Arbeitsunfall behandelt wird und Ihnen von Ihrer Versicherung kein Schaden entsteht. Sie sind schließlich während meiner Veranstaltung nach draußen gegangen und von einem Lieferwagen angefahren worden.«
Ich schweige entsetzt. Ich bin vor Parker davongelaufen und fast blind vor Entsetzen gegen den Van gerannt. Die Versicherung ist mir gerade so egal wie ein geplatzter Fahrradreifen in Peking.
»Mein Büro wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.« Er zögert einen Moment, dann lächelt er erneut. »Ich wünsche Ihnen gute Besserung, Ms. Kinsella.«
Mein Herz presst sich zusammen, so dass ich Mühe habe, Luft zu holen.
Er mustert mich. Ich habe keine Ahnung, wie ich aussehe. Mein Make-up ist sicherlich verschmiert, die Haare sind zerzaust. An meiner linken Schläfe klebt ein dickes Pflaster.
Seine blauen Augen wirken wie Seen, in denen ich in diesem Moment ertrinken möchte. »Es tut mir leid, dass meine Verlobung Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet hat. In wenigen Wochen werde ich heiraten. Ich werde dafür sorgen, dass dann kein ähnliches Unglück passiert.«
Er sieht mich an, als würde er eine Antwort erwarten. Doch mir ist schon wieder so schlecht, dass ich mich übergeben möchte. Nur mühsam beherrsche ich mich und wende mich stattdessen ab, um die Decke anzustarren.
Der Arzt fummelt an meinem Tropf herum, als würde mein Leben davon abhängen. Er will, dass Parker verschwindet.
Ich auch.
Parker bleibt noch einen Augenblick schweigend stehen, dann schreitet er zur Tür. Er öffnet den Mund, als würde er noch etwas sagen wollen, klappt ihn aber wieder zu.
Dann geht er aus der Tür und schließt sie hinter sich. Sein Duft bleibt im Raum zurück, wie winzige Teilchen seiner Existenz, die sich in meinem Kopf zu Erinnerungen zusammensetzen. Ich merke, wie der Anblick der Decke verschwimmt. Tränen sammeln sich in meinen Augen.
Ich wische sie schnell weg, damit der Arzt sie nicht entdeckt.
Wieso hat Parker mich nicht erkannt? Was zum Teufel geht hier vor?
Das erste Mal sah ich Parker Brooks an einem heißen Sonntag. Ich kann mich noch so genau an den Wochentag erinnern, weil Parker in der gut besuchten Fußgängerzone im Zentrum Canberras stand und die Passanten aufforderte, ins Tierheim zu gehen und ausgesetzten Hunden ein neues Zuhause zu geben. Es herrschten mindestens 35 Grad Celsius an dem Tag, feine Schweißperlen standen auf seiner perfekten Stirn. Seine sandblonden Haare wurden von der Sonne noch heller gebleicht, und er hatte sich die feine, gerade Nase verbrannt. Aber er ließ sich wegen dieser Lappalien nicht davon abhalten, die unglücklichen Tiere zu vermitteln.
Jemand reichte ihm eine Flasche Wasser, eine Frau kaufte ihm sogar ein Eis.
Die Leute liebten ihn, und ich glaube, das Tierheim konnte an dem Tag so viele Neu-Adoptionen verbuchen wie noch nie. Parker war mit einem natürlichen Charme gesegnet, der die Herzen der Menschen öffnete. Jeder auf dem Campus der Universität von Canberra mochte ihn, sogar die Professoren. Ein Lächeln von ihm – und die Mädchen bettelten um einen Hund, um eine Katze oder um ein Date mit ihm. Er besaß einen dementsprechend großen weiblichen Fanclub, mit dessen Vertreterinnen er regelmäßig auf dem Campus gesehen wurde. Meist hatte er sich ein hübsches Mädchen ausgesucht, mit dem er ein paar Wochen ausging, händchenhaltend auf der Lehne der Parkbank saß und Französisch-Vokabeln von sich gab. Wenn er französisch sprach, wurden sofort die Höschen dieser Mädchen feucht, hieß es.
Ich hingegen konnte ihn nicht ausstehen.
Ich mochte ihn nicht, weil ich wusste, dass sein Lächeln niemals mir gelten würde. Weil er in einer anderen Liga spielte als ich und er mich niemals zu sich auf die Parkbank einladen würde. Er war reich, der Sohn eines betuchten Vaters aus der Nähe von Sydney. Mein Vater war ein einfacher Musiklehrer. Parker war auf eine Privatschule gegangen, ich in die öffentliche von Canberra, wo dreißig Schüler in einer Klasse mit völlig überarbeiteten Lehrern gesessen hatten. Er besaß hunderte Verehrerinnen, ich war noch nicht einmal richtig geküsst worden, wenn man von einem Schmatzer von Benny Underwood absah.
»Hey, Schönheit, ein Hund würde dir hervorragend stehen«, hörte ich Parkers Stimme in der Nähe. Er klang neckisch, fast verführerisch. Ich wollte eigentlich an ihm vorübergehen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, doch seine Worte ließen mich aufhorchen. Wen meinte er damit? Wer war dieses Mal die Glückliche, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte?
Als ich zu ihm sah, ruhte sein Blick auf mir. Er lächelte mich an. »Vielleicht ein schwarzer Labrador? Der würde super zu deinen dunklen Haaren passen.«
Meinte er etwa mich? Ich musste ihn angesehen haben, als hätte er mir gerade gesagt, mir würde bis zum Abend ein zweiter Kopf wachsen, denn er begann zu lachen. Er klang amüsiert und sogar ein bisschen schelmisch. »Oder lieber einen kleinen Mops, der nicht so schnell beißt?«, fügte er hinzu.
Ich bemerkte die Blicke seiner Freunde, ein junger Mann namens Chris, der mit ihm studierte, Caroline, die ihren Arm um Chris gelegt hatte, und Kim. Kim Albridge war groß und schlank und hatte endlos lange Beine. Sie warf ihre brünetten Haare über ihre Schulter, während sie mich geringschätzig musterte. Ich wusste, dass sie derzeit mit Parker liiert war. Sie war eines jener Mädchen aus seinem Fanclub, nur dass sie gute Chancen hatte, von ihm erhört zu werden. Sie stammte aus einer reichen Familie, in der beide Elternteile bekannte Anwälte waren. Ihre Großeltern hatten sich nach dem Krieg durch geschickte Landspekulation in Canberra ein Vermögen aufgebaut. Die Albridges besaßen ein Haus in der Stadt und zwei am Meer.
Fast alle Mädchen am College sprachen davon, dass Parker und Kim ein hübsches Paar abgäben. Allerdings sagten sie es mit Neid in der Stimme und Eifersucht im Herzen.
»Ich habe schon ein Haustier, das beißt«, erwiderte ich und wandte mich ab. Ich hatte keine Ahnung, welches Tier das sein sollte. In meinem Zimmer tummelten sich ein paar Fliegen, aber kein echtes Haustier. Ich wollte nur schnell eine pfiffige Erwiderung geben und dann verschwinden.
»Was ist es?«, fragte Parker. »Eine Katze? Ein Leguan?«
»Vielleicht ein Krokodil, so mürrisch wie die ist«, sagte Kim abfällig.
Ich schüttelte den Kopf und schlenderte betont locker an ihm vorüber. »In mir wohnt ein Monster, das ich regelmäßig mit Studenten füttere, die mir auf den Keks gehen.«
Kim schnaubte verächtlich. Parker stutzte kurz, dann lachte er belustigt. »Pass auf, dass du es vor den Ferien nicht im Tierheim abgibst. Es könnte Komplikationen verursachen.«
»Ich werde deinen Rat im Hinterkopf behalten«, sagte ich cool und war endlich weit genug weg von ihm. Kaum befand ich mich außer Sichtweite, versuchte ich, meinen Puls unter Kontrolle zu bekommen. Er hatte sich während des Dialogs mit Parker rasant beschleunigt. Außerdem war ich ins Schwitzen geraten. Die Schweißtropfen liefen in riesigen Bächen über meine Stirn und meinen Rücken hinunter.
Ich hatte mit Parker Brooks gesprochen! Und er hatte mich Schönheit genannt!
Ich lief leicht taumelnd etwa hundert Meter, bis ich mir den Schweiß abwischen musste. Ich hatte eigentlich geplant, in einen Musikladen am Ende der Fußgängerzone zu gehen, aber ich hatte keine Lust mehr auf Musik. Parker hatte mich völlig durcheinandergebracht. Bezeichnete er alle Frauen als eine Schönheit oder hatte das nur mir gegolten? Bedeutete es etwas, dass er mich so genannt hatte? Fand er mich wirklich hübsch?
Ich ließ mich auf einer Parkbank nieder und blickte zurück zu dem Stand, an dem Parker immer noch Passanten ansprach. Er flirtete gerade mit einer älteren Frau und deren erwachsener Tochter.
Er hatte mich offensichtlich längst vergessen.
Ich lief in mein Zimmer im Studentenwohnheim und zog mich aus, um unter die Dusche zu gehen. Sally, meine Mitbewohnerin, schaute verwundert über die Modezeitschrift hinweg, die sie gerade studierte. »Hast du Sport getrieben? Du bist klatschnass.«
»Es sind mindestens fünfzig Grad draußen«, erwiderte ich brummig.
»Was ist los?«, hakte sie nach. Ich konnte vor ihr leider nichts verheimlichen. Sie war in dieser Beziehung schrecklich aufmerksam. Unter ihren blonden Locken saß ein aufgeweckter Kopf mit viel Sinn für Humor und einem cleveren Verstand.
»Nichts.« Ich nahm frische Sachen aus dem Schrank und ging ins Bad, um ihrer Befragung zu entkommen. Bevor ich jedoch die Tür verriegeln konnte, stieß Sally sie auf.
»Wenn du denkst, dass du so einfach vor mir fliehen kannst, hast du dich geschnitten«, sagte sie. »Ich werde Psychologin, ich merke sofort, dass dich etwas nervt.«
Sally wollte jeden Monat etwas anderes werden. Im Oktober war es Anwältin, im November Schauspielerin. Je nachdem, welchen Kurs sie gerade am spannendsten fand. Oder welchen Mann sie vergötterte. Diesen Monat himmelte sie den Tutor des Psychologie-Kurses an. Er hieß Ethan und konnte in einem Satz mehr Fremdwörter unterbringen als ich in einem ganzen Buch.
Sally hatte es schon einmal fast geschafft, von Parker angesprochen zu werden. Aber am Ende hatte er ihr nur einen Flyer in die Hand gedrückt, der sie aufforderte, kein Fleisch mehr zu essen und das Leben der Tiere zu respektieren.
Ich drehte die Dusche auf. »Sag mal, was hältst du davon, einen Hund zu halten?«, fragte ich sie über das laufende Wasser hinweg.
»Einen Hund? Wie kommst du denn darauf?«
»Nur so. Die Idee kam mir gerade.«
»Ist Parker nicht heute unterwegs, um für die Tiere aus dem Heim Werbung zu machen?«
An dieser Universität sprach sich aber auch alles sofort herum.
»Kann sein«, erwiderte ich verärgert.
»Hat er dich angesprochen?«, fragte mich Sally sofort. »Es wird vermutlich nichts bedeuten. Er quatscht heute alles an, was zwei Beine hat und einen Hund ausführen kann.«
»Ich weiß«, knurrte ich und schob sie zur Tür. »Ich muss mich ausziehen und duschen. Entschuldige bitte, aber das mache ich gerne alleine.«
»Mit wem war er da? Mit dieser schrecklichen Kim?« Sally machte keinerlei Anstalten, mich allein zu lassen.
»Ja, sie stand bei ihm.«
»Dieses Weibsbild will ihn sich unter den Nagel reißen. Und ich sage dir, sie hat es faustdick hinter den Ohren. Vor der musst du dich in Acht nehmen.«
»Ich weiß. Aber da ich mit Parker ohnehin nichts anfangen kann, ist sie mir völlig egal. Lässt du mich nun allein?«
Sally verzog den Mund. »Weil du es bist, Lilly. Nur weil du es bist.« Sie drehte sich um und ging hinaus, so dass ich endlich in Ruhe duschen konnte. Als ich ins Zimmer zurückkehrte, in frische Sachen gekleidet und mit feuchten Haaren, hatte Sally den Computer eingeschaltet und ihren Freund Google bemüht.
»Hundehaltung ist für Studenten sehr empfehlenswert, sagt ein Experte«, erklärte sie. »Bei den regelmäßigen Spaziergängen kann man das Gelernte aus den Seminaren verinnerlichen. Außerdem erzieht ein Tier zur Verantwortung.« Sie sah zu mir auf. »Du kannst den Hund also wirklich in die engere Wahl ziehen. Ich bin auch nicht allergisch.«
Ich schüttelte den Kopf. »Und wenn Parker morgen für Kühe wirbt, weil sie gesündere Milch geben, wollen wir eine Kuh? Ohne mich.«
»Du hattest gefragt«, sagte sie schulterzuckend und klappte den Computer zu. »Immerhin weiß er, dass du existierst. Das ist schon mal ein wichtiger Schritt. Und hast du nicht eigentlich vor, in diesem Semester endlich mal deine Unschuld zu verlieren? Dafür wäre Parker genau der richtige Mann.«
Entsetzt riss ich die Augen auf. »Bist du wahnsinnig? Parker Brooks? Der Kerl hat schon mehr Mädchen entjungfert als ich Bücher gelesen habe. Und ich bin Power-Leserin in der Bibliothek! Nein, niemals mit Parker. Ich möchte, dass es jemand Besonderes ist, jemand, den ich mag und vielleicht sogar liebe. Das trifft auf Parker definitiv nicht zu.«
Ich setzte mich betont lässig aufs Bett und nahm demonstrativ ein Buch zur Hand. Mein Lieblingsbuch, »Die Straße« von Cormac McCarthy.
Sally seufzte. »Ich würde für solch eine Aufgabe lieber jemanden nehmen, der sein Handwerk versteht. Und da denke ich, wäre Parker genau der Richtige. Aber das musst du wissen.«
»Ja, das weiß ich auch.« Ich tat, als würde ich intensiv lesen, damit Sally das Thema endlich beendete.
»Ich wünschte, er würde mich mal ansprechen«, sagte Sally. »Dann würde ich sofort Jura und Französisch studieren wie er.«
»Das solltest du nicht tun. Mit ihm zu reden ist nicht so erbaulich, wie man denkt.« Er hatte mich Schönheit genannt, das war eigentlich extrem erbaulich. Wenn ich nicht genau wüsste, dass er das niemals ernst meinte. Krampfhaft blickte ich in mein Buch, um endlich zu lesen und die Sache zu vergessen.
»Wahrscheinlich nicht«, seufzte Sally. »Trotzdem würde ich mich darüber freuen.«
»Hm«, grunzte ich.
Sallys Computer piepste, weil eine Mail von Ethan eingetroffen war. Damit hatte sich das Thema Parker endlich erledigt. Ich lag eine Stunde auf meinem Bett und versuchte, mich auf mein Buch zu konzentrieren, doch es gelang mir nicht. Meine Gedanken schossen kreuz und quer und blieben überall, nur nicht in der Handlung des Buches.
Schließlich stand ich wieder auf und ging hinaus. Ich weiß, es klingt erbärmlich, aber ich musste es tun. Ich setzte mich in den Bus und fuhr ins Tierheim.
Das Hundegebell war ohrenbetäubend. Ich ging durch die gefliesten Flure des Gebäudes und betrachtete die Tiere, die ein neues Zuhause suchten. Es gab zwar mehrere leere Boxen, weil die Bewohner der Käfige vermittelt worden waren, aber es waren immer noch zu viele Tiere einsam. Ein Hund mit einem Fell, das an Sand erinnerte – und an Parkers Haarschopf, wedelte mit dem Schwanz, als ich auf ihn zutrat.
»Hey, Buddy, wie geht’s?«, fragte ich ihn. Er schien mich anzulächeln, denn sein Maul zog sich in die Breite. Sein Schwanz wedelte noch stärker.
»Ich würde dich sofort nehmen, wenn es ginge«, erklärte ich ihm leise. Er legte den Kopf schief, als würde er auf nähere Erläuterungen warten. »Es ist jedoch zu wenig Platz in unserem Zimmer. Und wenn ich in den Ferien bei meinem Dad bin, kannst du auch nicht mitkommen. Dad lebt in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung mitten in der Stadt. Das ist nichts für dich. Vielleicht später, wenn ich mit dem Studium fertig bin und in einem Haus mit Garten wohne.«
Für einen winzigen Moment huschte das Bild eines schicken Hauses durch meinen Kopf. Im Garten grünte und blühte es. Ich saß an einem gedeckten Frühstückstisch, zwei Kinder befanden sich an meiner Seite, und Parker stand am Herd und kochte Eier mit Speck. »O Gott«, murmelte ich und wischte diesen Wunschtraum schnell aus meinem Bewusstsein. »Das wird niemals passieren. Ich meine, dass Parker da ist. Aber du bist bei uns.« Ich holte das Bild des Frühstückstisches wieder vor mein inneres Auge und platzierte den Hund, den ich Buddy genannt hatte, in die Küche. Er wartete darauf, dass Parker ein Stück Speck fallen ließ.
»Es geht nicht«, stöhnte ich leise. »Ich krieg die Vorstellung nicht hin, ohne dass dieser Mann darin auftaucht. Ich mag ihn nicht einmal. Verstehst du das?«
Buddy sah mich mit großen Augen an und wedelte weiterhin unbekümmert mit dem Schwanz.
Ich lächelte. »Das ist dir schnuppe, stimmt’s? Weißt du was? Wenn du heute kein neues Herrchen oder Frauchen findest, komme ich jeden Sonntag her und gehe mit dir spazieren. Was hältst du davon?«
Buddy schien sehr viel dazu zu halten, denn er bellte kurz auf. Es klang wie eine freudige Zustimmung.
»Dann ist das abgemacht.« Ich steckte meine Hand durch das Gitter und streichelte ihn. Er leckte meine Hand ab, dann richtete ich mich auf.
»Bis nächsten Sonntag, Buddy!«
Buddy bellte wieder und sah mir lange hinterher, als ich den Gang hinunterging, um auch noch kurz die Katzen und Vögel zu besuchen. Am späten Nachmittag fuhr ich schließlich wieder nach Hause. Ich hatte keinen Hund adoptiert, aber immerhin herausgefunden, dass ich eine hoffnungslose Romantikerin war und niemals mit einem Mann wie Parker anbändeln könnte.
Ich sah Parker in den nächsten Wochen nur aus der Ferne, wenn überhaupt. Er hatte eine Initiative ins Leben gerufen, die sich darum kümmerte, das Leben auf dem Campus besser zu gestalten, und er befragte dazu seine Mitstudenten und –studentinnen. Ich machte jedoch einen großen Bogen um ihn.
Dann kam der Tag, an dem ich zu den Jacksons fuhr.
Seit einem Jahr arbeitete ich als Babysitterin bei einer Familie, deren ältestes Kind bei meinem Vater Klavierunterricht erhielt. Der Kleine hatte überhaupt kein musikalisches Ohr und würde bald aufhören, das Klavier zu quälen, um lieber einen Sportkurs zu besuchen, aber die Jacksons besaßen zudem jüngere Zwillinge und brauchten gelegentlich jemanden, der die Kleinen betreute. Mein Vater vermittelte den Job, und da ich Geld immer gut gebrauchen konnte, hatte ich ihn angenommen. Das einzige Problem war, dass die Jacksons in Thorndale, etwas außerhalb der Stadt, wohnten und ich kein Auto besaß. Ich musste eine Stunde mit dem Bus fahren, um zu ihnen zu gelangen.
An jenem Tag stand ich an der Bushaltestelle und wartete auf die Linie 34, die mich nach Thorndale bringen sollte. Es regnete, und ich stellte mich in das Wartehäuschen, das mehrere Löcher im Dach hatte, so dass es nur wenige trockene Stellen darunter gab.
Ich holte ein Buch aus meiner Tasche, um die Wartezeit sinnvoll zu überbrücken. Doch da hupte es vor mir.
Als ich aufblickte, setzte mein Herz einen Schlag aus. Ein dunkelblauer Mustang hielt am Bürgersteig, und Parker blickte vom Fahrersitz zu mir.
»Steig ein. Ich bring dich dahin, wohin du willst«, rief er und lächelte.
Ich schaute mich um, um zu sehen, ob sich noch jemand im Wartehäuschen befand, den er ansprechen könnte. Aber da war niemand außer mir. Er meinte mich.
»Nein, danke, ich nehme den Bus«, erwiderte ich und versuchte, meiner Stimme einen selbstbewussten Klang zu geben, obwohl ich das Gefühl hatte, dass sie viel zu dünn und schüchtern wirkte. Ich wollte nicht bei ihm mitfahren, weil er dann merken würde, dass ich nur eine langweilige, nichtssagende Studentin im zweiten Semester war, die noch nicht einmal richtig geküsst worden war. Und die trotzdem heimlich von ihm träumte. Er würde sich totlachen darüber und ich vor Scham über die Blamage sterben.
»Ich finde es gut, dass du die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt, um die Umwelt zu entlasten. Bei dem Wetter bist du in einem trockenen Auto aber besser aufgehoben.«
»Nein, nicht nötig.«
Ich sah demonstrativ wieder in mein Buch und las verkrampft ein paar Zeilen, damit er endlich weiterfuhr. Seine Anwesenheit machte mich hochgradig nervös. Ich wollte nicht, dass er bemerkte, wie sehr er mich aus dem Konzept brachte. Und dass ich kurz vor einem Herzinfarkt stand.
Er machte allerdings keinerlei Anstalten, sich zu entfernen.
»Wohin willst du denn?«, fragte Parker.
»Das verrate ich dir lieber nicht«, brummelte ich, aber nicht laut genug, um von ihm im Straßenlärm gehört zu werden.
»Die Linie fährt nach Thorndale«, stellte er fest. »Das ist ein Stück weit weg.«
»Ich weiß.«
Er grinste. »Okay, Sonnenschein. Wenn du im Regen stehen bleiben willst, dann will ich dich nicht daran hindern.« Er zuckte mit den Schultern und gab Gas.
Enttäuscht und erleichtert zugleich sah ich seinen Rücklichtern hinterher, während mein Herz immer noch viel zu schnell klopfte. Parker Brooks hatte mir angeboten, in seinem Auto mitzufahren! Diesen Tag würde ich mir im Kalender rot ankreuzen. Sally würde aus allen Wolken fallen, wenn ich ihr davon berichtete.
Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, das Buch wanderte zurück in meine Tasche. Und ich hatte auf einmal das Gefühl, als wäre der Himmel nicht mehr grau. Als hätten sich die Regenwolken gelichtet und die Sonne wäre herausgekommen. Es tropfte zwar immer noch im Buswartehäuschen, aber das war mir plötzlich egal. Ich stellte mich sogar in den Regen und drehte mich lachend einmal um mich selbst.
Als dann endlich der Bus kam, saß ich tropfnass auf dem Sitz und lächelte zum Fenster hinaus. Ich entdeckte auf einmal, wie schön die Stadt und die Vororte waren, wie leuchtend die Blumen blühten und wie nett die Menschen grüßten.
Als ich bei den Jacksons ankam, versuchte ich, meine gute Laune ein wenig zu zügeln. Parker Brooks hatte mir zwar angeboten, mich in seinem Auto mitzunehmen, doch das bedeutete gar nichts. Er war ein Bad Boy, er vernaschte die Mädchen reihenweise. Noch keine hatte es geschafft, ihn länger an sich zu binden. Für ein Mädchen bedeutete Parker Ärger und mit Sicherheit ein gebrochenes Herz. Und darauf hatte ich absolut keine Lust. Mal davon abgesehen, dass ich aus einer anderen Liga stammte und er mich sicherlich viel zu öde fand. Er mochte noch so kunstfertig in der Liebe sein, ich suchte etwas völlig anderes in einem Mann.
Kerry und Peter Jackson wollten mit Freunden ins Theater gehen und hatten sich hübsch angezogen. Kerry war Mitte dreißig, Peter schon um die vierzig. Sie waren beide sehr nett und unkompliziert, so dass ich super mit ihnen klarkam. Ich gab ihnen Komplimente zu ihren Kleidern, die sie gern entgegennahmen. Kerry trug ein zauberhaftes Abendkleid in schimmernder, blauer Seide, Peter hatte einen neuen, schwarzen Anzug eines englischen Designers an. Dann wünschte ich ihnen viel Spaß.
Als sie davongefahren waren, ging ich zu den jüngsten Kindern ins Kinderzimmer. Die dreijährigen Zwillinge Farah und Leona spielten mit ihren Bauklötzern und warfen sich gegenseitig ihre Türme um. Sie sahen kaum auf, als ich eintrat. Deshalb ließ ich sie in Ruhe und schaute nach Paul. Der Achtjährige saß in seinem Zimmer und spielte mit dem Gameboy. Auch er sah nicht einmal auf, als ich eintraf.
»Hey, Kumpel, hast du deine Hausaufgaben gemacht?«, fragte ich ihn trotzdem. Er benötigte etwas mehr Aufmerksamkeit als die jüngeren Geschwister. Er hatte Schwierigkeiten in Mathe und musste zusätzliche Aufgaben lösen, um besser zu werden.
Er reagierte nicht, er war viel zu sehr ins Spiel vertieft.
Ich überlegte, ob ich ihn dazu verdonnerte, mir von seinen Schularbeiten zu berichten, aber dann ließ ich ihn auch in Ruhe. Der Abend war viel zu schön, ich wollte ihm sein Spiel nicht verderben. Der Ernst des Lebens würde früh genug beginnen.
Ich ging zurück zu den Zwillingen und spielte eine Weile mit ihnen. Wir bauten ein Traumschloss für eine Prinzessin und setzten ein paar Puppen hinein. Als es für die Kinder an der Zeit war, ins Bett zu gehen, machte ich zuerst die Kleineren bettfertig.
Als sie in ihren Nachthemdchen in ihren Betten lagen, holte ich ein Buch hervor, um es ihnen vorzulesen. Doch die beiden bestanden darauf, dass ich ihnen etwas vorsang. Ich legte mich zu ihnen und begann, ein Gute-Nacht-Lied zu singen. Es handelte von einer Prinzessin und einem Prinzen, die sich liebten, aber nicht zueinander kommen konnten, weil ein tiefer Fluss sie voneinander trennte.
Leona fummelte an meiner Kette herum, die um meinen Hals hing. Als mein Lied fertig war, zupfte sie an dem Anhänger.
»Das ist eine hübsche Kette«, sagte sie mit ihrer zarten Stimme.
»Sie stammt von meiner Mama«, antwortete ich.
»Sie hat sie dir geschenkt?«, wollte nun Farah wissen.
»Ja, als ich klein war, ungefähr so alt wie ihr.«
Es handelte sich um ein Herz, das man aufklappen konnte. Ich öffnete es. Darin befand sich das Bild einer dunkelhaarigen Frau. Sie war atemberaubend schön mit mandelförmigen Augen, perfekten Wangenknochen und weichen, vollen Lippen.
»Ist das deine Mom?«, fragte Leona.
»Ja, das ist sie.«
»Ist sie jetzt auch im Theater wie unsere Mama?«
Ein winziger Hauch von Wehmut schlich sich in mein Herz. Ich hatte keine Ahnung, wo meine Mutter war, ob sie das Theater besuchte oder lieber in Konzerte ging. Ich wusste nicht einmal, ob sie noch am Leben war.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich leise. »Sie ist weggegangen, als ich vier Jahre alt war.«
»Einfach weggegangen?« Farah konnte es kaum glauben. »Aber sie muss doch wiederkommen!«
»Nein, sie kam nicht wieder.«
»Da warst du bestimmt traurig.«
»Ja. Und mein Papa erst. Es hat ihm das Herz gebrochen.«
Leona streichelte mich. »Es wird alles wieder gut.«
»Ja, inzwischen ist alles wieder gut. Ich bin nicht mehr traurig.« Ich hatte den Verlust meiner Mutter besser verkraftet als mein Vater. Es ist erstaunlich, wie schnell man sich als Kind an neue Umstände anpasst. Mein Vater hingegen hat jahrelang darunter gelitten. Er hat nie richtig verstanden, wieso sie ihn im Stich gelassen hat. Sie war eines Morgens aus dem Haus gegangen, um mit dem Bus zu ihrer Freundin zu fahren, und nicht zurückgekehrt. Mein Vater hatte alle Krankenhäuser abgefragt, sämtliche Polizeistationen angerufen und sogar einen Privatdetektiv angeheuert. Ihre Vermisstenanzeige hatte drei Monate lang an jeder Litfaßsäule in der Stadt gehangen, bis die Polizei ihm sagte, dass meine Mutter einen Flug nach Hongkong gebucht hätte. Das warf meinen Vater so aus der Bahn, dass er krank wurde. Drei Jahre lang kämpfte er gegen eine Depression, die ihm jeglichen Lebensmut raubte. Er verlor seinen Job als Musiklehrer an der Schule, ich musste für ein Vierteljahr zu Pflegeeltern, bis meine Großeltern sich um mich kümmerten. Erst als er sich mit Tabletten aus Versehen fast ins Jenseits befördert hatte, kam mein Vater zur Besinnung. Er suchte einen Therapeuten auf, der ihm auf die Beine half. Ich konnte wieder zu ihm ziehen, wo er sich liebevoll um mich kümmerte. Bei manchen Gelegenheiten hatte ich ihn dabei erwischt, wie er mich mit Tränen in den Augen angesehen hatte, weil ich ihn an meine Mutter erinnerte. Ich würde aussehen wie sie, sagte er.
Ich drückte den beiden Mädchen Küsschen auf ihre Wangen, bevor ich mich vom Bett erhob und das Licht löschte. Dann ging ich zu Paul. Als er im Bett lag, lasen wir zusammen ein Kapitel von Harry Potter. Dann war auch er endlich soweit, die Augen zu schließen.
Ich setzte mich ins Wohnzimmer und holte meine Lehrbücher hervor. Ich studierte Pädagogik, um Lehrerin zu werden. Mein Vater hatte mir immer gesagt, es wäre ein Job mit Zukunft und würde Spaß machen. Und weil ich nichts Besseres wusste, hatte ich mich für ein Stipendium beworben. Da mein Vater darauf geachtet hatte, dass ich die Schule mit einem glatten Einser-Durchschnitt abschloss, wurde das Stipendium bewilligt. Ich konnte sogar auf dem Campus wohnen und nicht in der engen Zwei-Zimmerwohnung meines Vaters.
Als Kerry und Peter nach dem Theaterbesuch zurückkehrten, war es fast Mitternacht. Ich hatte leider keine Zeit, mich länger mit ihnen zu unterhalten, weil in zehn Minuten der letzte Bus zurück in die Stadt fuhr. Sie erzählten mir nur rasch, dass sie ein Abonnement für das Theater gekauft hätten und nun einmal im Monat bis in die Nacht in Canberra unterwegs wären. Außerdem wollten sie mit ihren Freunden regelmäßig essen gehen und jeden Freitag zum Ausgehen nutzen. Das war für mich in Ordnung, denn es bedeutete sicheres Geld für meine Kasse. Ich verabschiedete mich von ihnen und rannte zum Bus.
Als ich eine Woche später wieder nach Thorndale fahren wollte, hielt Parker merkwürdigerweise abermals mit seinem Wagen vor der Bushaltestelle und fragte mich, ob er mich zu meinem Ziel bringen solle.
»Hallo Sonnenschein! Willst du mitfahren?«
»Nein, danke, ich bin versorgt. Ich liebe Busfahren.«
Ich hatte das Gefühl, dass er sich einen Spaß daraus machte, mich anzusprechen. Er lachte, wenn er mich ansah, so dass die Sonne in seinen blauen Augen funkelte. Wenn es mir nicht so unangenehm gewesen wäre, wäre ich bei diesem Anblick dahingeschmolzen. Aber ich war äußerst misstrauisch, was seine Person betraf. Wer wusste schon, mit wem er eine Wette abgeschlossen hatte, um zu beweisen, dass er jede noch so störrische Frau rumkriegen konnte?
Ich schickte ihn weg und steckte die Nase wieder in mein Buch.
Auch am nächsten Freitag, als ich nach Thorndale wollte und an der Bushaltestelle stand, war Parker da. Und die Woche darauf wieder. Jede Woche etwa drei Monate lang hielt er an der Bushaltestelle und fragte mich, ob ich einsteigen wolle. Und jedes Mal lehnte ich ab. Es wurde schon fast so etwas wie ein Ritual zwischen uns, ein stillschweigendes Übereinkommen, dass er fragte und ich ablehnte. Jedes Mal blitzte das Lachen in seinen Augen, ein freches Grinsen lag auf seinem Mund. Danach fuhr er davon, und ich nahm den Bus.
Doch dann geschah die Vergewaltigung in Canberra.
Eine Frau war auf dem Weg nach Hause von drei Männern überfallen, ausgeraubt und vergewaltigt worden. Sie lag schwer verletzt im Krankenhaus auf der Intensivstation. Die Zeitungen waren voll davon, auch von der Suche nach den Tätern. Zwei Männer konnte die Polizei schließlich erwischen, nachdem das Opfer eine ausführliche Beschreibung abgegeben hatte. Der dritte Kerl befand sich noch auf freiem Fuß.
Daraufhin wurde die Sicherheit an der Uni erhöht, worum sich Parker kümmerte.
Ein paar Tage nach dem Verbrechen fuhr ich wieder zu den Jacksons, und Parker war das erste Mal nicht an der Haltestelle.
An dem Abend, an dem Parker mich allein gelassen hatte, blieben die Jacksons lange im Theater. Ich versuchte, meine Enttäuschung über Parker zu verdrängen, indem ich für meine Prüfungen lernte, die bald anstanden. Es funktionierte nur schlecht. Immer wieder wanderten meine Gedanken zu ihm, und ich fragte mich, ob er wohl schon genug von diesem Spiel hätte, oder ob ich zu langweilig für ihn geworden wäre.
Als Kerry und Peter zurückkehrten, verabschiedete ich mich rasch von ihnen und wollte zum Bus rennen. Doch als ich aus dem Gartentor trat, traf mich fast der Schlag. Parkers blauer Mustang stand davor. Parker stieg aus und öffnete die Beifahrertür.
»Ich lass dich nicht alleine durch die Nacht fahren«, sagte er. »Steig ein.«
»Ich will aber nicht bei dir mitfahren«, erwiderte ich und wandte mich ab, um die Bushaltestelle anzusteuern. Die Lichter des Busses waren in der Dunkelheit bereits zu sehen.
Parker bewegte sich mit einer flinken Bewegung auf mich zu und hielt mich fest.
»Sei nicht dumm, sondern steig ein. Oder willst du so enden wie die Frau auf der Intensivstation?«
Völlig unerwartet streckte er plötzlich seine Hand aus und legte sie auf meine Brust.
Ich stand wie erstarrt.
»Eine Vergewaltigung ist nicht witzig, Lilly«, sagte er, während seine Hand es sich auf meiner Brust gemütlich machte.
Woher wusste er meinen Namen? Woher wusste er, wo ich arbeitete?
Die Berührung seiner Hand brannte auf meiner Brust. Er sah mich unverwandt an, als wollte er mich testen. Sein Blick wanderte von meinen Augen zu meinem Mund. Ich hätte einen Schritt zurücktreten müssen, aber ich konnte nicht. Ich stand wie das Kaninchen vor der Schlange, während mein Puls ein neues Rekordhoch erreichte.
Endlich nahm er seine Hand zurück und grinste. »Das war nur ein kleines Beispiel, wie es sein könnte, wenn die bösen Kerle dich erwischen und mit dir machen, was sie wollen.«
»Woher weißt du, wo ich arbeite?«, fragte ich mit heiserer Stimme.
»Ich habe meine Kontakte.«
Das Lachen blitzte in seinen Augen, während sein Blick zu meinem Busen wanderte.
Ich zog es vor, nicht weiter auf ihn einzugehen, und drehte mich zur Seite, um zur Bushaltestelle zu rennen. Doch ich war zu spät. Der Busfahrer sah nur eine leere Haltstelle, mich nahm er nicht wahr, und raste vorüber. Das war der letzte Bus für heute. Der nächste fuhr erst am Morgen.
»Verdammter Mist!«, rief ich in die Stille von Thorndale. Ich überlegte kurz, Kerry und Peter zu fragen, ob sie mich nach Hause brächten. Aber ich ließ den Gedanken schnell wieder fallen. Ich wollte sie nicht stören.
Parker lehnte lässig an seinem Auto und lächelte mich an. »Es sieht wohl so aus, als müsstest du nun doch mit mir mitfahren«, sagte er mit einer satten Portion Triumph in der Stimme.
»Nur über meine Leiche«, knurrte ich und stiefelte an ihm vorbei Richtung Innenstadt.
Entsetzt sah er mir hinterher. »Willst du etwa die ganze Strecke laufen? Das sind zwölf Kilometer!«
»Dank dir bleibt mir nichts anderes übrig.«
»Du kannst bei mir mitfahren«, bot er erneut an.
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte mich schon lächerlich gemacht, indem er meine Brust anfassen durfte, ohne dass ich ihn zurechtgewiesen hatte. Ich würde nicht noch einen Schritt nachgeben. Selbst wenn es bedeutete, dass ich mitten in der Nacht zwölf Kilometer laufen müsste.
»Okay, dann läufst du eben«, sagte er und setzte sich in sein Auto. Er öffnete das Fenster und fuhr neben mir her, während er das Radio aufdrehte. »Magst du Five for Fighting?«
Entgeistert sah ich zu ihm, während ich weiterlief. »Willst du mich etwa die ganze Zeit begleiten?«
»Ich lass dich nicht allein durch die Nacht laufen. Dir könnte sonst etwas passieren. Und einsteigen willst du nicht. Also fahre ich neben dir her, um auf dich aufzupassen. Was ist nun? Was willst du hören? Ich hätte noch Coldplay, Annie Lennox und Adam Levine im Angebot.«
Ich verstand ihn nicht. Er war gewillt, stundenlang neben mir herzufahren, um mich zu beschützen, als wäre es das Normalste auf der ganzen Welt? Warum?
»Verpasst du keine schönen Träume bei einem deiner Mädels aus dem Fanclub?«, fragte ich ihn durch das offene Fenster.
Er lachte. »Bist du eifersüchtig?«
»Natürlich nicht!« Ich ging gleich ein paar Schritte schneller.
»Willst du mit mir ausgehen?«
»Natürlich nicht!«
»Warum nicht?«
Ich blieb abrupt stehen und drehte mich zu ihm. »Weil du Parker Brooks bist.«
Er stutzte kurz, dann lachte er. »Das ist kein Grund, Sonnenschein.«
»O doch, das ist es.« Mehr fiel mir dazu nicht ein. Mein Herz raste viel zu schnell, allerdings nicht wegen des zügigen Laufens. Deshalb ging ich rasch weiter. Sein leises Lachen war über die Musik deutlich zu hören.
»Ich bin kein schlechter Kerl«, sagte er.
»Da bin ich mir nicht so sicher«, knurrte ich.
Er lachte wieder. »Du bist ein echter Sonnenschein.«
Ich antwortete nicht, sondern setzte meinen Weg unbeirrt fort.
Ich brauchte fast zwei Stunden, bis ich am Campus ankam. Parker ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Er spielte Musik und erzählte von den Professoren, die ihn auf dem Kieker hatten, weil er zu viele Fragen stellte und Dinge verbessern wollte. Ich genoss es, ihm zuzuhören, auch wenn ich so tat, als würde es mich nicht interessieren. Dazwischen lachte er ständig, und ich stellte mir vor, wie seine Augen dabei blitzten. Ich vermied es jedoch, ihn anzusehen. Ich hatte Angst, dass er merkte, dass ich langsam schwach wurde und kurz davor stand, ihn anzulächeln.
Als ich an meinem Wohnheim angekommen war, hielt er an. »Gute Nacht, Lilly«, sagte er. »Träum was Schönes.« Er grinste mich an, als hätte er mir etwas Schmutziges gesagt.