Bad Boy Boss - Johanna Marthens - E-Book

Bad Boy Boss E-Book

Johanna Marthens

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Beschreibung

Wenn du eine heiße Nacht erlebst und dann einfach gehst, ohne den Namen deines ONS in Erfahrung zu bringen, solltest du dafür sorgen, dass du weit genug wegläufst, um diesem Mann nie wieder zu begegnen. Es ist einfach zu peinlich, wenn du Jahre später einen neuen Job beginnst und plötzlich jenem ONS gegenüberstehst – und er ist dein neuer Chef. Eine heiße Nacht – ein unverzeihlicher Fehler – ein unglaubliches Angebot Wenn Esther nicht so dringend Geld benötigen würde, würde sie nie im Leben den Job bei Marc Morton antreten. Ihr neuer Chef hat den allerschlechtesten Ruf: notorischer Frauenheld und Lügner, der sogar Verbindungen zur organisierten Kriminalität haben soll. Kaum beginnt ihr erster Tag, macht sie die Bekanntschaft des Bad Boy in ihrem Büro. Marc Morton steht splitterfasernackt vor ihr und schert sich nicht im Geringsten darum, dass sie ihn in voller Pracht sieht. Zu ihrem Leidwesen entdeckt Esther bei dieser Begegnung, dass sie vor Jahren mal einen One-Night-Stand mit ihrem Boss hatte, den er offenbar völlig vergessen hat. Kann es noch schlimmer kommen? Kann es. Denn Esther muss vor ihrem Boss unbedingt verheimlichen, dass sie noch einen weiteren Job hat. An den Abenden arbeitet sie nämlich als Escort und Begleitung für reiche Männer. Da bekommt sie plötzlich ein unglaubliches Angebot von einem anonymen Kunden: Wenn sie ihm 1001 Nacht exklusiv zur Verfügung steht, erfüllt er ihr ihren sehnlichsten Wunsch. Daran geknüpft sind zwei Bedingungen: Sie darf ihn niemals sehen und auch keine anderen Männer in der Zeit haben. Sie lässt sich darauf ein und verfällt dem Fremden jede Nacht ein bisschen mehr. Bis sie erfährt, wer er ist und warum er ausgerechnet sie ausgewählt hat ... Romantic Thriller mit ausführlichen, eindeutigen Szenen. Abgeschlossener Roman

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BAD BOY BOSS

 

Johanna Marthens

 

 

 

Romantic Thriller

© 2017, 2022 Johanna Marthens

[email protected]

 

Facebook.com/Johanna.Marthens

 

Buchcover: © Dangerous Kisses

 

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren, Vervielfältigen und Weitergabe sind nur zu privaten Zwecken erlaubt. Der Weiterverkauf des eBooks ist ausdrücklich untersagt. Abdruck des Textes, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

 

Dieses Werk ist reine Fiktion. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Schauplätzen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle darin beschriebenen Vorkommnisse sind frei erfunden.

INHALTSVERZEICHNIS

 

PROLOG

NACKTE TATSACHEN

EIN MÄRCHENHAFTES ANGEBOT

ENTSCHEIDUNGSFREUDE SIEHT ANDERS AUS

DAS KLEINGEDRUCKTE

DAS ELIXIER DER MÄCHTIGEN

SPONSORED BY ...

BESESSEN

NIE UND NIMMER

BAD BOY BOSS

SCHWER AUF DRAHT

DON’T WORRY, BE HAPPY

KEINE LÜGEN MEHR

MAULWÜRFE BELLEN NICHT

IN DER HITZE DER NACHT

BLUE MOUNTAINS

DIE GESCHICHTE WIEDERHOLT SICH

WILD AT HEART

EPILOG

IMPRESSUM

Du bist ihm bestimmt schon begegnet, einem dieser Männer. Er nimmt dir den Atem und lässt mit jedem Lächeln, das er dir schenkt, dein Herz unvernünftige Dinge tun. Du kannst nicht aufhören, ihn anzustarren. Und in dem Moment, in dem er den Blick aus seinen faszinierenden Augen auf dich wirft, bist du verloren.

Es ist so schwer, diesem Mann zu widerstehen, selbst wenn du genau weißt, dass dieser Mann dein Schicksal besiegeln wird.

BAD BOY BOSS

Johanna Marthens

PROLOG

 

 

ICH HATTE DAS GEFÜHL zu fliegen. Zum ersten Mal seit Wochen fühlte ich mich wieder frei. Mein Herz klopfte im Rhythmus der Musik, mein Haar wehte im Nachtwind. Ununterbrochen tanzten meine Füße über den Boden des Pavillons am Strand der Bucht. Ich war barfuß und trug kurze Hosen, dazu nur ein leichtes Tanktop. Und trotzdem lief der Schweiß in der heißen Sommernacht über meinen Körper. Aber er störte mich nicht. Meine gebräunten Beine konnten nicht genug von der Musik bekommen. Meine Arme wirbelten durch die Luft. Meine Hüften kreisten.

Tanzen!

Nach den bestandenen Prüfungen hatte ich mir diese ausgelassene Nacht bei der Strandparty mehr als verdient.

»Hey, Süße, wollen wir zusammen tanzen?«, fragte mich plötzlich ein Typ und riss mich aus meinem Rausch.

»Warum sollte ich?«, antwortete ich unbekümmert. Er war aus meinem Jahrgang, ich kannte ihn vom VWL-Kurs. Lang und schlaksig, ein bisschen zu dünn und mit einem Leberfleck an der Lippe. Er hatte mich nie interessiert, und das würde sich heute Nacht auch nicht ändern. »Du würdest mich nur behindern.«

»Das ist nicht nett«, beschwerte er sich.

»Tut mir leid, aber du hast mich einfach unterbrochen, da reagiere ich ungehalten. Und ich tanze prinzipiell nicht mit anderen. Aber tu dir keinen Zwang an, die Tanzfläche ist groß genug für uns alle.«

Missmutig zog er ab und ließ mich wieder allein. Ich tanzte weiter und wollte die Augen schließen, um mich besser der Musik hingeben zu können, doch da sah ich ihn. Er stand lässig an den Pfeiler des Pavillons gelehnt und sah mich an. Unverwandt, als wäre ich die einzige Person auf der Tanzfläche. Ich hatte ihn noch nie gesehen, vermutlich war er aus dem Jahrgang über mir. Die Männer, die das Studium schon hinter sich hatten und nun einen Aufbaustudiengang absolvierten. Er hatte wildes, etwas längeres Haar, das bis zu seinem Kinn reichte. Die Hälfte seines Gesichts war von einem Bart verdeckt, sodass ich nicht einmal richtig sehen konnte, ob er lächelte. Es sah so aus, denn an seinen Augen kräuselten sich Lachfältchen.

Er merkte, dass ich seinen Blick erwiderte, doch er rührte sich nicht von der Stelle. Sein T-Shirt war nassgeschwitzt wie mein Top. Wo kam er her?

Ich strich meine nassen Haare aus dem Gesicht und schloss wieder die Augen, um mich ganz der Musik zu widmen. Doch der DJ hatte inzwischen den Rhythmus gewechselt. Er war langsamer als vorher, nicht mehr so mitreißend.

Der Bann war gebrochen.

Ich verließ die Tanzfläche und ging zur Bar neben dem Pavillon, wo ich einen Gin mit Tonic bestellte.

»Lust auf eine Abkühlung?«, fragte auf einmal eine dunkle Stimme hinter mir.

Als ich mich umdrehte, sah ich in ein bärtiges Gesicht mit amüsiert funkelnden Augen. Der Typ vom Pfeiler.

»Ich habe schon bestellt.«

»Das meine ich nicht.« Er deutete mit dem Kopf auf das Meer, das hinter dem Strand dunkel rauschte. Köpfe tauchten hin und wieder aus den Fluten auf, lachten und kicherten.

»Das ist keine schlechte Idee, aber erst nach dem Gin Tonic. Ich habe Durst.«

Er lächelte, dieses Mal war es deutlich zu sehen. Er sah aus der Nähe sehr gut aus, jedenfalls das, was von seinem Gesicht zu sehen war. Sein Blick hatte etwas Geheimnisvolles und Unbestimmbares, wie das Meer, kurz bevor der Sturm losbricht.

Er bestellte sich auch einen Drink und kippte ihn hinter, sobald er ihn bekommen hatte. Ich ließ mir etwas mehr Zeit, obwohl ich wirklich sehr durstig war. Doch als der schlaksige Typ mit dem Leberfleck wieder in meine Richtung kam, um sich erneut über mein Verhalten zu beschweren, beschloss ich, mich auf das Angebot des Bärtigen einzulassen. Kurzerhand zog ich ihn zum Wasser.

»Ich brauche jetzt unbedingt etwas Kühles.«

Ich zog meine Shorts aus, danach das T-Shirt, und ging im Bikini ins Meer hinein. Der Bärtige folgte mir. Er war gut gebaut, athletisch und sehnig und ohne ein Gramm Fett an seinem Körper. Er rannte an mir vorüber und sprang schließlich kopfüber in die Wellen, wobei das Wasser aufspritzte. Ich tat es ihm nach und schwamm ein paar Meter unter Wasser, bis ich wieder auftauchte, direkt vor ihm. Als hätte er nur auf mich gewartet.

»Du bist heiß«, sagte er leise und zog mich an sich. »Wie kommt es, dass ich dich vorher noch nie gesehen habe?«

Sein Atem streifte meine Haut, die vom Tanzen noch erhitzt war. Er roch nach Rum mit Cola.

»Keine Ahnung«, flüsterte ich und küsste ihn einfach, weil ich keine Lust mehr auf Reden hatte. Ich wollte die Leichtigkeit des Seins genießen. Die Prüfungen waren bestanden. Das Leben lag vor mir, ich musste nur mit beiden Händen danach greifen.

Er küsste mich zurück. Und wie! Es war der heißeste Kuss, den ich bisher erlebt hatte. Heiß und voller Verlangen. Seine Zunge spielte mit mir und jagte einen Schauer nach dem anderen durch meinen Körper. Ich spürte die Härte seiner Erektion durch die Badehose und das Verlangen nach mir in jeder Faser seiner perfekten Muskeln.

»Du machst mich verrückt«, flüsterte er, als wir Luft holen mussten.

»Ist das gut oder schlecht?«

Er lächelte. »Da bin ich mir noch nicht ganz so sicher.«

»Ich nehme es mal als Kompliment.«

»Das ist es auf jeden Fall.«

Danach küsste er mich wieder. Noch heißer. Ich schlang meine Beine um seinen Körper und wünschte mir, nicht mehr im Meer zu stehen, sondern mich in einem Bett zu befinden, wo ich mehr von ihm bekommen konnte.

Wir gingen zu ihm. Er wohnte in einem Studentenwohnheim direkt in der City. Das Zimmer war klein, sein Mitbewohner übernachtete bei seiner Freundin. Wir hatten alles für uns allein.

Er zog mich aufs Bett, als könnte er es nicht erwarten, mir die Sachen vom Leib zu reißen. Als ich nackt vor ihm lag, küsste er mich am ganzen Körper, von der Stirn bis zu meinen Zehen.

»Du bist wunderschön«, flüsterte er. »Aufregend und unglaublich sexy.«

Ich antwortete nicht, sondern genoss seine Zärtlichkeiten. Seine Hände, die mich streichelten und immer mehr in einen Zustand des Rausches versetzten, der noch viel besser war als der der Musik. Seine Lippen, die mich wieder und wieder sanft neckten und schließlich kunstfertig auf den ersten Gipfel dieser Nacht schubsten. Und als er in mich eindrang und der nächste Höhepunkt kam, hatte ich das Gefühl, wirklich fliegen zu können, weil das Gefühl so überwältigend war, dass ich jegliche Orientierung verlor.

In jener Nacht lachte ich so viel wie in den fünf Jahren meines Studiums zusammengenommen. Wir alberten herum, gelöst und glücklich, als würden wir uns seit Jahren kennen und beste Freunde sein. Und als ich ein Muttermal an seiner Hüfte entdeckte, machte ich aus Scherz ein Foto davon, das er am liebsten gelöscht hätte. Aber ich schaffte es, mich gegen ihn durchzusetzen. Ein Andenken an diese unglaubliche Nacht.

Wir liebten uns dreimal in dieser Nacht. Anschließend schlief er erschöpft ein und rührte sich nicht mehr.

Ich lag lächelnd neben ihm und dachte an die vielen Möglichkeiten, die sich mir in meinem Leben jetzt boten. Ich hatte mit Auszeichnung abgeschnitten, ich würde die besten Jobs annehmen können. Vielleicht sollte ich nach Amerika gehen, wie meine Schwester Dorothea. Dort war mehr Geld zu machen als in Sydney.

Ich sah auf die Uhr. In sechs Stunden musste ich auf dem Flughafen sein und mit Doro nach Kalifornien fliegen. Sie hatte sich in den Ferien in einen Amerikaner verliebt und wollte in Los Angeles ihr Glück versuchen.

Leise stand ich auf und suchte meine Sachen zusammen. Als ich angezogen war, fiel mir auf, dass ich nicht einmal wusste, wie der Typ hieß, mit dem ich die Nacht verbracht hatte. Wir waren so heiß aufeinander gewesen und hatten so viel Spaß zusammen gehabt, dass wir uns nicht gegenseitig nach unseren Namen gefragt hatten.

Es war auch egal. Wir würden sowieso unserer Wege gehen. Ich dachte nicht eine Sekunde an eine feste Bindung. Ich wollte die Welt erobern, den besten Job ergattern und meine Karriere in Angriff nehmen.

Ich warf einen letzten Blick auf den jungen Mann auf dem Bett, dessen Brust sich beim Atmen regelmäßig hob und senkte. Danach ging ich hinaus und schloss die Tür hinter mir.

NACKTE TATSACHEN

 

EINIGE JAHRE SPÄTER

 

WIE IST DAS doch gleich mit Murphys Gesetz? Das Toastbrot fällt immer auf die Marmeladenseite? Und wenn es ganz schlimm kommt, direkt auf meine Bluse.

Ich fluche laut. Die Himbeermarmelade hat einen riesigen roten Fleck auf dem Stoff hinterlassen. Und das ausgerechnet jetzt! Ich bin ohnehin schon spät dran und werde nur mit Ach und Krach pünktlich bei meinem neuen Job erscheinen. Dieses Unglück bringt mich noch mehr in Schwierigkeiten.

Ich stecke den Rest des Marmeladenbrotes in den Mund, während ich die Bluse ausziehe. Die Krümel, die aus meinem Mund fallen, landen auf dem Fußboden, aber darum muss ich mich später kümmern. Jetzt muss ich mich erst mal für die Arbeit fertigmachen.

Ungeduldig schaue ich auf die Uhr. 7:10 Uhr. Punkt acht beginnt mein neuer Job und ich habe noch einen weiten Arbeitsweg vor mir.

Ich werfe die Bluse mit dem großen Marmeladenfleck in den Wäschekorb und haste in mein Zimmer, um im Kleiderschrank nach einer neuen Bluse zu suchen. Doch dort herrscht gähnende Leere. Ich besitze nur zwei gute Blusen. Eine ist nun in der Wäsche, die andere passt farblich nicht zu meinem Rock. Aber wenn ich nicht im T-Shirt vor meinem neuen Boss erscheinen möchte, muss ich wohl in den sauren Apfel beißen. Mein Bleistiftrock ist dunkelblau, die Bluse ein zartes Hellgrün. Ich könnte natürlich dazu die schwarze Hose anziehen, aber die ist viel zu warm heute. Hastig entscheide ich mich für das kleinere Übel – die grüne Bluse zum blauen Rock – und ziehe sie über. Danach nehme ich meine Handtasche und eile aus der Wohnung.

In meinen hohen Schuhen flitze ich über den Bürgersteig zur U-Bahn-Station und renne die Stufen hinunter. Unten angekommen spüre ich schon den kühlen Luftzug der U-Bahn. Das ist ein schlechtes Zeichen. Den Zug schaffe ich nie und nimmer! Hektisch ziehe ich die Monatskarte durch den Schlitz am Automaten. Die Schranke zuckt sich nicht. Auch beim zweiten Mal rührt sich nichts. Der Automat erkennt sie erst beim dritten Mal und kostet mich wertvolle Sekunden.

Als ich endlich drinnen bin, eile ich zum Bahnsteig. Doch ich bin zu spät. Ich sehe nur noch die Rücklichter der U-Bahn. Mein Haar weht im Fahrtwind.

Fuck!

Wieder blicke ich auf die Uhr. In fünfunddreißig Minuten muss ich im Büro sein. Das wird verdammt knapp. Aber ich zwinge mich, ruhig zu bleiben. Unter meinen Achseln wird es bereits feucht. Eine durchgeschwitzte Bluse an meinem ersten Arbeitstag gehört auch nicht gerade zu dem, was ich einen idealen Einstieg in den neuen Job nenne.

Ich hole mein Telefon aus der Tasche und will die Kopfhörer in meine Ohren stecken, um mich abzulenken, als mein Blick auf ein riesiges Werbeplakat fällt, das genau gegenüber von mir an der Wand der U-Bahnstation hängt. Ich spüre ein unangenehmes Gefühl im Magen. MAM Finanzberatung. Meine neue Firma. Und als Werbeträger dient kein Geringerer als mein neuer Chef: Marc Morton. Er sieht unglaublich gut aus, fast wie ein Model. Dunkelgrüne Augen, eine feine gerade Nase und hohe Wangenknochen. Auf dem Bild trägt er Anzug und Krawatte und blickt mit einem sympathischen Lächeln in die Kamera. »Keine Angst, wir kümmern uns um ihr Geld, damit sie in Ruhe Golf spielen und um die Bahamas segeln können«, sagt das Lächeln.

Wenn man ihn auf diesem Foto sieht, könnte man fast denken, dass er ein verantwortungsbewusster und freundlicher Zeitgenosse ist. Aber ich weiß, dass der Eindruck täuscht. Marc Morton ist das ganze Gegenteil. Er hat den schlechtesten Ruf, den ein Unternehmer nur haben kann. In den einschlägigen Blättern der Branche wird er als Bad Boy bezeichnet, dessen Privatleben eine Katastrophe ist, aber der im Geschäft erstaunliche Ergebnisse erzielt. Manche Kunden vergöttern ihn, weil er das Risiko liebt und auf diesem Weg das Beste aus ihrem Geld macht. Ich kenne allerdings auch Geschäftsleute, die große Angst haben, diesem Mann ihr Geld anzuvertrauen. Sie tun es trotzdem, weil sie wissen, dass er der Einzige ist, der Wunder vollbringen kann. Ein Kunde hat ihm mal drei Millionen gegeben, die er vermehren sollte, und nach zwei Jahren hat dieser Mann sechs Millionen zurückerhalten. Das sind Geschäfte, die sich keiner so schnell durch die Lappen gehen lassen möchte.

Auf der anderen Seite ist Marc Morton unberechenbar. Wenn er einen Kunden nicht mag, lässt er ihn am ausgestreckten Arm verhungern. Oder nimmt ihn gar nicht erst als Kunden an. Und Frauen hassen ihn sowieso, weil er sie wie Dreck behandelt.

Das also ist mein neuer Chef. Ich seufze leise. Aber ich habe keine Wahl. Ich brauche das Geld. Und alle anderen Firmen wollten mich nicht haben. Ich bin nicht mehr sonderlich beliebt in der Branche.

Ich spüre den Luftzug der nächsten U-Bahn. Nur wenig später rast sie durch den Tunnel und hält am Bahnsteig. Ich steige ein und kann sogar einen Sitzplatz ergattern. Eingequetscht zwischen einer dicken italienischen Mama, die die ganze Zeit am Telefon hängt und lauthals mit ihrer Tochter schimpft, und einem älteren Mann mit weißem Bart, der schniefend die Zeitung liest, während hin und wieder ein Tropfen aus seiner Nase auf die Seite fällt, bereite ich mich mental auf den kommenden Tag vor. Wie ein Mantra wiederhole ich immer wieder dieselben Sätze:

Ich werde alles tun, was mein Boss von mir verlangt.

Ich werde nicht aufmüpfig, wenn er Fehler macht, sondern ihn ganz ruhig und bestimmt darauf hinweisen.

Ich werde ihn niemals in Schutz nehmen, wenn er Mist baut.

Ich werde meine Arbeit machen, nach bestem Wissen und Gewissen.

Ich werde mich nicht um seine privaten Angelegenheiten scheren.

Ich werde die beste Mitarbeiterin sein, die er je hatte, damit er mich nicht feuern kann.

Ich brauche diesen Job genauso dringend wie mein tägliches Toastbrot am Morgen.

Die dicke Mama neben mir steigt an der nächsten Station aus, dafür setzen sich zwei Schülerinnen auf den Platz und spielen an ihren Handys. Endlich ist es etwas ruhiger neben mir und mein Blick wandert zur Zeitung meines Nachbarn. Schon wieder ein Erdbeben in Europa. Und der amerikanische Präsident hat erneut irgendwelchen Mist verzapft, weshalb der Rest der Welt sauer auf ihn ist. Und Marc Morton hat einen Preis gewonnen.

Ich kneife die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Aber ich habe mich nicht verlesen. Mein neuer Boss hat tatsächlich einen Preis gewonnen, aber keinen guten. Der silberne Kaktus für den kontroversesten Unternehmer in ganz New South Wales ging an ihn.

Na toll.

Darunter ist ein Bild von ihm, wie er an der Seite einer wunderschönen Frau mit ewig langen Beinen und aufreizend tiefem Dekolleté zur Preisverleihung geht. Er lächelt souverän in die Kamera, als würde er einen Oscar bekommen. Es stört ihn nicht einmal, dass er umstritten ist. Als wäre ihm die Meinung anderer völlig gleichgültig. Oder er genießt einfach die Aufmerksamkeit, die ihm dieser Preis bringt.

Wieder rattere ich meine Sätze runter, in der Hoffnung, dass ich sie verinnerliche. Ich darf Marc Morton auf keinen Fall verärgern. Ich brauche den Job. Ich brauche den Job. Ich brauche den Job.

Schließlich steige ich aus und stehe vor dem riesigen Hochhaus im Central Business District von Sydney. Darin sind zwei Banken, vier Anwaltskanzleien, acht Steuerberater und ein Finanzunternehmen untergebracht. Letzteres sitzt im obersten Stock.

MAM – Financial Services Millen, Asperger & Morton.

Dahin muss ich.

Ich schlucke das unangenehme Gefühl hinunter und gehe in das Gebäude. Während mich der Fahrstuhl nach oben bringt, wiederhole ich meine Sätze erneut.

Ich werde alles tun, was mein Boss von mir verlangt.

Ich werde nicht aufmüpfig, wenn er Fehler macht.

Ich werde ihn niemals in Schutz nehmen, wenn er Mist baut.

Und dann stehe ich in dem stillen Flur. Ein dicker Teppich liegt auf dem Boden und schluckt jedes Geräusch, sogar meine Schritte in den hohen Absätzen. Er ist so weich, dass ich das Gefühl habe, darin zu versinken. Er muss ein Vermögen gekostet haben. Von dem Flur gehen mehrere Büros ab, einige Türen stehen offen. Darin sitzen Finanzberater ins Gespräch mit Kunden vertieft oder am Computer, um Exposés zu schreiben, die sie den Kunden vorlegen können. Sehnsüchtig schaue ich in ihre Büros und versuche, nicht wehmütig zu werden. Auch ich habe mal in einem solchen Büro gesessen und an Exposés gearbeitet, an verdammt guten. Ich bin der aufstrebende Stern am Finanzhimmel von Sydney gewesen. Doch ich habe einen Fehler gemacht. Und nun ist der beste Job, den ich bekommen kann, die Stelle der persönlichen Assistentin vom umstrittensten Unternehmer in New South Wales. Ein knallharter Abstieg.

Ich stehe vor der letzten Tür des Flurs. Dahinter liegt mein Büro. Und direkt dahinter seines. Ich bin nah genug bei ihm, um ihm all seine Wünsche zu erfüllen. Während des Bewerbungsgesprächs vor einer Woche hat mir Lucy Kafer, die Chefsekretärin auf der Etage, bereits die Räumlichkeiten gezeigt. Ich bekam sogar einen kurzen Blick auf meinen neuen Chef. Er ist für einen Moment ins Bewerbungsgespräch geplatzt, hat mir eine Frage zu meinen Erwartungen gestellt, dann ist er wieder gegangen, als wäre es ihm völlig gleichgültig, wer in Zukunft seine persönliche Assistentin ist. Ich habe zuerst gedacht, er würde mich auch nicht nehmen wollen, wie all die anderen Arbeitgeber in Sydney. Aber der Anruf von Lucy kam noch am selben Tag. Lucy hat mir auch verraten, warum meine Vorgängerin gekündigt hat, obwohl ich es eigentlich nicht wissen wollte. Offiziell hieß es, sie wäre nach Brisbane zu ihrem Verlobten gezogen. Aber die Wahrheit ist, dass sie nicht mehr mit Marc Morton zusammenarbeiten konnte, weil sie eine Affäre mit ihm gehabt und er sie nach ein paar heißen Wochen eiskalt abserviert hat.

Wieder rattere ich meine Sätze herunter und betone den mit den persönlichen Problemen meines Chefs ganz besonders deutlich. Ich werde mich nicht um seine privaten Angelegenheiten scheren.

Danach trete ich ein.

Doch kaum befinde ich mich in dem Vorzimmer, das von nun an mein Arbeitsplatz sein wird, erstarre ich vor Schreck. Die Tür zum Büro meines Chefs steht sperrangelweit offen und erlaubt mir einen ungehinderten Blick in den Raum. Und dort steht Marc Morton und ist – splitterfasernackt. Sein Anzug liegt auf dem Stuhl, sein Hemd auf dem Boden, als hätte er es gerade ausgezogen. Der Ärmel zuckt noch leicht. Er hat nicht einmal Schuhe an, gar nichts. Überhaupt nichts.

Und es scheint ihm nicht einmal peinlich zu sein, dass ich ihn in dem Moment so sehe. Denn er tut nichts, um seine Blöße zu verstecken.

Im Gegenteil.

Ungerührt sieht er zu mir. »Gut, dass Sie endlich kommen. Sie können die Sachen in die Reinigung bringen. Und holen Sie dabei gleich neue Unterwäsche für mich. Ich kann keine Unterhosen mehr im Schrank finden.«

Ich stehe wie erstarrt und sehe ihn an. Das Lächeln, das seinen Mund umspielt, als würde er es genießen, mich total durcheinander zu bringen. Seine grünen Augen, die amüsiert funkeln, während ich um meine Fassung ringe. Der Schatten auf seinen Wangen, als hätte er es heute noch nicht geschafft, sich zu rasieren. Als wäre er gerade erst aus dem Bett einer Frau gekommen. Mein Gott! Er sieht in natura noch viel besser aus als auf dem Werbefoto. Wieso ist mir das nicht schon beim Bewerbungsgespräch aufgefallen? Und das ist nur sein Gesicht. Das Darunter ist noch viel besser. Marc Morton besitzt breite Schultern und den Oberkörper eines Sportlers. Unter der sonnengebräunten Haut sitzen perfekte Muskeln, ein Brustmuskel zuckt leicht, als ich ihn anstarre. Keine Brustbehaarung, nur eine Spur dunkler Haare, die an seinem Bauchnabel beginnt und hinunter zu seinem ... Oh mein Gott!

Als würde beim Anblick seines männlichen Körperteils mein Organismus aus seinem akuten Schockzustand gerissen, schlucke ich und spüre, dass mir das Blut ins Gesicht schießt. Und wie! Ich habe das Gefühl zu glühen.

»Können Sie das nun für mich erledigen oder nicht?«, fragt er. Und er klingt auch noch belustigt dabei, als würde er sich köstlich über meine Verlegenheit amüsieren.

»Was?«

So langsam erwache ich aus meiner Erstarrung, auch wenn noch nicht alle Hirnbereiche wieder voll funktionsfähig sind.

»Bringen Sie meine Sachen in die Reinigung und besorgen Sie mir frische Unterwäsche«, sagt er ganz langsam, als wäre ich geistig behindert. Oder eine Ausländerin. »Sie sind doch Esther Lindbergh? Erinnere ich mich richtig?«

»Ja, Sie erinnern sich richtig.« Langsam bin ich wieder ich selbst. Ich erwarte, dass er sich abwendet, damit ich Platz habe, seinen Anzug zu nehmen und sein Hemd aufzusammeln, aber er rührt sich keinen Zentimeter von der Stelle.

Hoch erhobenen Hauptes gehe ich in sein Büro und bücke mich, um sein Hemd aufzuheben. Als mein Kopf auf der Ebene seines Unterleibs ist, schiele ich kurz zu seinem beeindruckenden Freund zwischen den Oberschenkeln, nur um mich ganz schnell wieder auf meine Aufgabe zu konzentrieren. Nach dem Hemd hebe ich auch seinen Anzug auf, lege alles über meinen Arm und verlasse danach sein Büro. Er beobachtet mich die ganze Zeit, als würde er einen Zusammenbruch oder etwas ähnlich Dramatisches erwarten. Aber ich gebe mir keine Blöße. Als müsste ich ständig meinem nackten Chef die Sachen hinterherräumen, schließe ich die Tür hinter mir und falle erst in meinen Stuhl, als er mich nicht mehr sehen kann.

Was für ein Arschloch!

Meine Hände zittern, mein Herz rast. Nur langsam wandert das Blut aus meinem Gesicht wieder in die anderen Gefilde meines Körpers, wo es dringender benötigt wird. Will mich dieser Mann bereits an meinem ersten Arbeitstag aus der Fassung bringen? Es hätte ihm doch klar sein müssen, dass ich jeden Moment durch die Tür kommen würde!

Na, das kann ja heiter werden!

Ich falte den Anzug zusammen. Etwas steckt in seiner Hosentasche. Ich nehme es heraus und halte einen Schlüssel in der Hand. Außerdem eine leere Kondomverpackung und eine Packung Kaugummis. Die Kondomverpackung werfe ich mit spitzen Fingern in den Papierkorb. Den Schlüssel und die Kaugummis lege ich an den Rand meines Schreibtisches, wo ich sie sehe, damit ich ihn später darauf hinweisen kann.

Danach nehme ich meine Tasche und will aus dem Raum gehen, um die nächste Reinigung aufzusuchen. Doch das Telefon auf dem Schreibtisch klingelt.

Er ist es.

»Hal...«, sage ich, doch er lässt mich nicht aussprechen.

»Wo ist mein Kaffee?« Er klingt so ungehalten, als hätte ich ihn stundenlang warten lassen.

»Ich wollte gerade Ihren Anzug wegbringen, aber wenn Sie ...«

»Ich will meinen Kaffee. Der Anzug ist doch völlig unwichtig.«

»Aber Sie brauchen auch neue Unterwäsche, deshalb dachte ich ...«

»Es geht auch ohne. Bringen Sie mir endlich den Kaffee.« Er legt auf, ohne dass ich noch einmal Gelegenheit habe, etwas zu sagen. Schon wieder schießt das Blut in meinen Kopf. Aber dieses Mal, weil er mich wie eine dumme Pute behandelt.

Ich schlucke den Ärger hinunter und suche die Kaffeeküche. Ich erinnere mich, dass sie am anderen Ende des Flures liegt. Hastig laufe ich über den weichen Teppich und gieße dort eine Tasse mit dem schwarzen Getränk voll. Da ich nicht weiß, ob er ihn schwarz, weiß oder süß mag, lege ich Zuckerstücke daneben und entdecke sogar ein kleines Sahnekännchen im Kühlschrank. Leider befindet sich hier gerade niemand von den Mitarbeitern, der mir Auskunft über Mortons Trinkgewohnheiten geben könnte. So schnell wie möglich laufe ich zurück und klopfe an seine Tür. Als er »Herein« ruft, trete ich ein und bringe ihm die Tasse. Dieses Mal sitzt er an seinem Schreibtisch und spielt an seinem Handy herum, als hätte er nichts Besseres zu tun. Neben ihm liegt ein Exposé, als würde es darauf warten, dass er sich darum kümmert. Er trägt ein sauberes weißes Hemd und die Hose eines dunkelgrauen Anzugs. Vermutlich ohne Unterhose. Bei dem Gedanken wird mir heiß, ohne dass ich es verhindern kann.

»Da ich nicht weiß, was Sie wollen, habe ich ...« Mehr kann ich nicht sagen, denn er sieht mich entgeistert an.

»Was soll ich denn mit dem Scheiß? Denken Sie, ich trinke dieses Zeugs aus der Kaffeeküche? Ich trinke nur den Kaffee von Fernando.«

»Entschuldigen Sie, das wusste ich nicht.« Ich murmele nur, während mein Gesicht schon wieder rot anläuft.

»Bringen Sie mir Fernandos Kaffee, schwarz und ohne Schnickschnack. Ich mag den Kaffee genauso wie die Frauen: heiß und unverfälscht, sodass es auf der Zunge brennt.«

Ein amüsiertes Grinsen umspielt seinen Mund.

Dieses Mal lasse ich mich jedoch nicht so schnell aus der Fassung bringen.

»Apropos: Sie haben etwas in Ihrer Hosentasche vergessen. Ein bisschen Schnickschnack scheinen Sie also doch zu benötigen.«

Ich kehre ihm den Rücken zu und gehe hoch erhobenen Hauptes aus seinem Büro. Ich kann nicht sehen, was er macht, aber ich höre ein leises Lachen.

Verdammt! Ich denke, ich habe ihm eine Breitseite gegeben, aber er amüsiert sich nur darüber! Was für ein arroganter Bastard!

Langsam dämmert mir, was ich mir mit diesem Job eingebrockt habe. Das wird eine unglaublich harte Zeit bei ihm. Er wird es mir mit Sicherheit nicht leichtmachen. Wenn ich in diesem Büro an seiner Seite überleben will, muss ich mir eine unzerbrechlich harte Schale zulegen.

Kaum bin ich draußen, stehe ich vor dem nächsten Problem. Wer zum Teufel ist Fernando? Und wo bekomme ich dessen Kaffee her?

Ich wollte mir nicht die Blöße geben und Morton danach fragen. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als mich an eine Kollegin im Flur zu wenden. Oder an Lucy. Sie ist zwar die Chefsekretärin und für alle anderen Teilhaber ebenfalls zuständig, aber ich hoffe, dass sie mir helfen kann.

Ich laufe wieder den Flur entlang und biege vor der Kaffeeküche rechts ab. Ein noch längerer Gang liegt vor mir. Hastig laufe ich an den Türen lang und hoffe, dass sich Lucys Büro bald zeigt, aber ich habe Pech. Ich lande nur vor der Tür von Rick Asperger, dem zweiten Teilhaber der Firma. Er steht im Rahmen seines Büros, sieht mich verwundert an und nickt mir zur Begrüßung zu.

»Guten Tag. Haben Sie sich verlaufen?« Er wirkt viel freundlicher und netter als Marc Morton. Er lächelt mich sogar an.

»Guten Tag. Ich suche Lucy Kafer«, erwidere ich. Wieso kann ich nicht für ihn arbeiten? Bitte, darf ich?

Er hört meine innere Bitte nicht, sondern deutet mit der Hand ans entgegengesetzte Ende des Flures.

»Es kann sein, dass sie gerade in einer Besprechung mit Dean sitzt.«

Dean Millen, der dritte Teilhaber. Dort kann ich sie kaum stören und nach Fernandos Kaffee fragen.

»Sie wissen nicht zufällig, wo Fernando ist?«, frage ich unsicher.

Er lächelt mitleidig. »Sind Sie die neue Assistentin von Marc?«

Ich nicke. »Ja, es ist mein erster Tag heute.«

»Lassen Sie sich nicht verrückt machen. Fernando ist der Junge bei Starbucks, der ihm immer seinen Kaffee reicht. Gehen Sie hin und sagen Sie dem Jungen, er soll das Übliche für Marc bringen. Dann klappt das schon.«

»Schwarz und ohne Schnickschnack?«

Er lacht. »Nicht ganz ohne Schnickschnack, das würde nicht zu Marc Morton passen. Er gibt den Schnickschnack nur nicht zu. Glauben Sie mir.« Er zwinkert mir zu.

Ich danke ihm, haste zum Fahrstuhl und fahre hinunter. Starbucks liegt an der Ecke, auf dem Weg zur U-Bahn. Eine lange Schlange bewegt sich langsam vorwärts auf die Kasse zu. Ungeduldig stelle ich mich an, nachdem ich überprüft habe, ob es tatsächlich einen Jungen mit Namen Fernando gibt. Als ich an der Reihe bin, bestelle ich bei ihm einen Becher für Marc Morton. Er weiß auch wirklich Bescheid und gibt mir einen Kaffee mit einem Hauch Karamell und einem Spritzer Vanille. Tatsächlich mit Schnickschnack.

Morton hätte mich voll auflaufen lassen, wenn ich mich nicht erkundigt hätte.

Wütend gehe ich zurück in sein Büro. Ich klopfe wieder, bevor ich eintrete und den Kaffee auf seinen Schreibtisch stelle. Als er den Becher von Starbucks sieht, lächelt er amüsiert.

»Ohne Schnickschnack, wie Sie es wünschen.« Den spitzen Tonfall kann ich mir nicht verkneifen. Er nippt an dem Becher und nickt. Aber kein Wort des Lobes kommt über seine Lippen. Stattdessen sieht er wieder in sein Telefon, als wäre ich gar nicht vorhanden. Das Exposé liegt immer noch unangetastet neben ihm.

Ich mache auf dem Absatz kehrt und will sein Büro verlassen, als ich seine Stimme noch einmal höre.

»Wenn Sie von der Reinigung wieder da sind, können Sie meine Schuhe putzen. Sie haben in der Nacht etwas gelitten und ich brauche sie heute Abend wieder.«

Ich soll seine Schuhe putzen? Nur mühsam kann ich mich beherrschen, um ihm nicht meine Meinung darüber an den Kopf zu werfen. Aber wenn ich will, dass er mich besser behandelt, muss ich trotzdem etwas sagen.

»Es wäre nett, wenn Sie nicht mit mir umspringen würden, als wäre ich eine Sklavin«, sage ich ruhig und nur leicht zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch. »Ich habe studiert und weiß zum Beispiel genau, dass Sie die Idee in dem Exposé, das neben Ihnen liegt, nicht umsetzen werden, weil sie gravierende Fehler enthält. Das ist von hier aus zu erkennen.«

Er sieht auf, als würden ihn meine Worte überhaupt nicht interessieren. »Wenn Sie denken, dass ich Sie nach Ihren Worten für bessere Arbeiten in Betracht ziehe, haben Sie sich getäuscht. Sie können froh sein, dass ich Sie überhaupt eingestellt habe. Kein Arbeitgeber in dieser Stadt fasst Sie auch nur mit der Kneifzange an.«

Er hat recht. Und es macht mich fertig. »Ich weiß, dass ich Mist gebaut habe, aber ich bin keine Betrügerin.«

»Das hat das Gericht anders gesehen. Sie wurden verurteilt.«

Ich schlucke. Es war klar, dass diese Diskussion kommen würde und ich habe sie im Geist schon unzählige Male geführt. Aber es ist etwas anderes, wenn ich sie von Angesicht zu Angesicht machen muss. Ich hätte gern schon die Chance gehabt, mich im Bewerbungsgespräch rechtfertigen zu können, aber bisher bin ich nie so weit gekommen. Alle anderen Firmen haben schon meine schriftliche Bewerbung unter fadenscheinigen Gründen abgelehnt. Nur Marc Morton ist es egal gewesen. Ich habe gehofft, er hätte nichts von meinem Dilemma gehört, weil auch im Bewerbungsgespräch niemand darüber gesprochen hat, aber das war wohl ein Irrtum. Er hat es sich aufgehoben, um mich später demütigen zu können.

»Ich habe einen Fehler gemacht, indem ich einem Mann vertraut habe«, sage ich.

»Philipp Thorne, ich habe von ihm gehört. Er war Ihr Liebhaber?«

Auch das weiß er also. »Ja, wir haben zusammengearbeitet. Aber ich habe aus meinen Fehlern gelernt.« Ich beiße mir auf die Unterlippe. Philipp hat zwei Millionen seiner Firma veruntreut und die Beweise seines Tuns vernichtet, als sein Boss ihm auf die Schliche kam. Leider sah es aus, als hätte ich ihm dabei geholfen, obwohl ich nichts dergleichen getan habe. Mein einziger Fehler war gewesen, dass ich davon gewusst und ihn nicht verraten habe, weil ich ihn liebte. Philipp hat jedoch nichts getan, um die Sache geradezurücken. Letzten Endes wurde ich gefeuert und wegen Vernichtung von Beweisen zu einem halben Jahr auf Bewährung verurteilt, während er mit einem Freispruch davonkam. Ich bin ein riesiger Idiot gewesen. So etwas wird mir nicht noch einmal passieren. Ganz gewiss nicht.

Marc Morton lächelt ein seltsames Lächeln, als würde er mir kein Wort glauben. Es ist mir aber auch egal, ob er mir glaubt oder nicht. Hauptsache, ich habe den Job, auch wenn er mies bezahlt wird und er mich quält. Ich brauche jeden Cent. Und ich brauche die Anstellung in meinem Lebenslauf, weil ich hoffe, dass ein Job bei MAM meinen Ruf etwas verbessern wird, damit ich später bessere Jobs bekomme.

»Ich gehe zur Reinigung«, sage ich und wende mich ab, um hinauszugehen.

»Und vergessen Sie nicht, danach meine Schuhe zu putzen«, ruft er mir hinterher.

Ich verkneife mir eine bittere Erwiderung und schließe die Tür hinter mir.

 

ICH ÜBERLEBE DEN Tag mehr schlecht als recht. Sobald ich eine Aufgabe erledigt habe, kommt Morton mit der nächsten. Und meistens ist diese noch demütigender als die vorherige. Ich muss eine Packung Kondome kaufen, seinen Kumpel auf den Bahamas nach dem Wetter dort fragen, Blumen an seine Mutter schicken und eine WhatsApp-Nachricht an seine Bekanntschaft von vergangener Nacht senden, um sie loszuwerden. Nicht einmal das will er selbst machen.

Als endlich Feierabend ist, klopfe ich an seine Bürotür.

Er sitzt noch immer an seinem Schreibtisch und tippt eifrig in sein Handy.

»Ist noch etwas? Ich würde sonst gehen«, sage ich.

Er sieht kurz auf. »Bringen Sie mir morgen gleich den richtigen Kaffee mit, wenn Sie ins Büro kommen«, erwidert er, als ob ich nicht schon selbst auf die Idee gekommen wäre. »Und ziehen Sie eine Bluse an, die zum Rock passt. Die Kombi, die Sie heute tragen, beleidigt schon die ganze Zeit meine Augen.« Danach widmet er sich wieder seiner Nachricht.

Ich schnappe nach Luft. Ich hätte nicht gedacht, dass er es selbst in den letzten Minuten des Arbeitstages noch schafft, mich zu beleidigen.

»Danke, Ihnen wünsche ich auch einen schönen Feierabend«, entgegne ich und schließe die Tür. Draußen muss ich erst einmal tief durchatmen. Dieser Mann bekommt es hin, dass ich die Wände hochgehe. Aber ich brauche den Job. Verdammt!

Außer, ich gehe wieder den anderen Weg.

Ich habe vor ein paar Monaten einen Nebenjob angefangen, bei dem nicht nach meiner Verurteilung gefragt wird. Noch habe ich mich nur hin und wieder auf die Nebentätigkeit eingelassen, aber vielleicht sollte ich es ausbauen, um nicht nur von einem Idioten wie Marc Morton abhängig zu sein.

Ich verlasse das Gebäude und laufe aber nicht zur U-Bahn, sondern nur zwei Straßen weiter. In einem hellen Bürohochhaus mit mehreren Firmenschildern fahre ich in den sechsten Stock. »Agentur Paulsen« steht auf einem seriösen goldenen Schild neben der Tür im rechten Flur. Es ist jedoch keine herkömmliche Agentur, sondern ein Escort-Service. Der Teppich ist nicht halb so tief wie bei MAM und auch nicht sonderlich weich, aber er dämpft genauso gut die Schritte.

Ich klingele. Nur einen Moment später höre ich ein Klicken und schaue zur Kamera in der Ecke über der Tür. Kurz darauf ertönt der Türsummer.

Leila, eine hübsche Rothaarige kommt mir entgegen. »Stella, schön dass du mal wieder da bist. Ich denke, sie hat Zeit für dich.«

Stella. Das ist nicht mein richtiger Name. Mein echter Name ist Esther Lindbergh, aber hier benutzen alle nur ihre künstlichen Namen, um ihre Identität zu verbergen. Nur Anita Paulsen, die Chefin, kennt unser wahres Ich.

Leila geht zu einer braunen Holztür und klopft. Als ein munteres »Herein« ertönt, steckt sie ihren Kopf hinein und kündigt mich an. Dann darf ich eintreten.

Anita Paulsen ist eine Frau um die fünfzig mit kurzen, dunklen Haaren und warmen, braunen Augen. Sie sieht über ihre Lesebrille hinweg zu mir.

»Hi Stella, was führt dich her?«

»Ich ... ich wollte nach einem neuen Auftrag fragen.«

Zurückhaltend setze ich mich auf den Stuhl gegenüber ihres Schreibtischs. Der Sessel ist riesig und bequem, damit sich die, die darin sitzen, nicht wie unwillkommene Bittsteller fühlen. Aber das macht die Sache für mich nicht besser.

»Was möchtest du? Nur Begleitung oder mehr?«

Ich habe bisher vier Jobs bei der Agentur Paulsen gehabt. Einmal bin ich mit einem amerikanischen Geschäftsmann, der allein nach Sydney gekommen ist, in die Oper gegangen. Er hat mich nett ausgeführt und sich gern mit mir über Musik unterhalten, aber mehr ist nicht passiert. Ein Job ohne Sex. Auch der zweite ist ohne gewesen. Da habe ich einen australischen Politiker zu einem offiziellen Bankett begleitet, da er nicht ohne Frau an seiner Seite erscheinen wollte. Er ist schwul und noch nicht so weit, seine sexuelle Orientierung offen zuzugeben. Der dritte Job ist bei einer Party gewesen. Ein Möchtegern-Promi gab ein riesiges Fest und wollte den Anschein erwecken, ganz viele Frauen zu kennen, um damit neue Freunde zu gewinnen. Dabei musste ich ein wenig flirten und auch knutschen, aber ich konnte mir den Mann dafür aussuchen und es hat Spaß gemacht. Der vierte Job war erst vorigen Monat gewesen. Ein Japaner wollte eine Stadtführung, bei der er die verruchtesten Clubs und unanständigsten Ecken kennenlernen wollte. Ich hatte ein paar Tage vorher alle zwielichtigen Etablissements ausfindig gemacht, die ich in Sydney finden konnte, und sie ihm an dem Abend gezeigt. Dabei hat er sich in eines der Girls in einem Club verliebt und mich sitzenlassen.

»Ich bin mir nicht sicher«, sage ich und verziehe unschlüssig den Mund.

»Es gibt nur wenige Kunden, die nur eine Begleitung wollen, ohne nachher auch noch mehr zu verlangen. Ich bekomme nicht sonderlich viele Anfragen in diese Richtung.«

»Ich weiß.« Ich zögere immer noch. Ich habe schon mehrere Männer in meinem Leben gehabt und Sex hat mir auch schon immer viel Spaß gemacht. Aber es ist etwas anderes, Sex mit einem wildfremden Mann zu haben, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Von dem ich nichts weiß, möglicherweise nicht einmal seinen richtigen Namen.

»Ich kann dich verstehen, Stella. Viele Mädchen zögern am Anfang. Aber ich garantiere dir, dass ich keinen Kunden zulasse, den ich nicht vorher geprüft habe. Und du kannst ihn immer ablehnen, wenn du nicht willst.«

»Kann ich ihn mir vorher ansehen wie in einer Kartei?«

Sie lacht leise. »Nein, das geht nicht. Aber ich sage dir über ihn, was ich weiß. Hier zum Beispiel habe ich einen Mann aus Perth, der verheiratet ist und drei Kinder hat. Er liebt seine Familie, aber jedes Mal, wenn er in Sydney ist, verbringt er die Nacht mit einem Mädchen von mir. Er braucht das Gefühl, eine andere Frau haben zu können, damit er zu Hause nicht durchdreht. Alle Mädchen haben mir gesagt, dass er nett und zuvorkommend ist. Kein Überflieger im Bett, eher Durchschnitt. Er kommt nächste Woche wieder her.« Sie sieht mich aufmunternd an. »Er würde dir aus der Hand fressen. Er steht auf clevere, gebildete Frauen, mit denen er sich unterhalten kann.«

Ich überlege noch einen Moment. »Wie viel würde ich dabei verdienen?«

»Hundert Dollar die Stunde. Das ist dein reiner Gewinn, der Anteil der Agentur ist dabei schon abgezogen.«

Das ist viel Geld. Wenn er die ganze Nacht mit mir zusammen sein will, würde ich mit achthundert Dollar nach Hause gehen. Das ist mehr, als ich bei Marc Morton in einer Woche verdiene.

»Okay«, sage ich nach einem letzten Augenblick der Überlegung. Was die anderen können, kann ich auch. Es ist nur Sex mit einem netten Mann, der Zuneigung braucht. Mehr nicht. Seitdem ich mit Philipp Schluss gemacht habe, bin ich vorsichtig, was meine Freunde und Liebhaber betrifft. Ich möchte nicht schon wieder ausgenutzt und dann weggeworfen werden. Aber ich brauche Sex ebenfalls, wenn ich nicht ständig neue Batterien für meinen Vibrator kaufen will. Außerdem ist dieses Arrangement immer noch besser, als Marc Morton die Schuhe putzen zu müssen.

»Gut. Ich trage dich ein und schicke ihm ein Foto von dir. Er wird begeistert sein.«

Ich nicke. »Gibst du mir noch die genauen Angaben zum Treffpunkt?«

»Ich schicke sie dir, sobald ich sie habe.«

»Alles klar.«

Ich stehe auf. »Danke für die Geduld mit mir.«

Sie lächelt und sieht mich wieder mit ihrem typischen Blick über der Lesebrille an. »Kein Problem, Stella. Du bist nicht die Erste, die Ermutigung braucht. Du wirst sehen, danach geht es immer besser.«

»Ganz sicher.« Ich reiche ihr zum Abschied die Hand und verlasse ihr Büro. Ich plaudere noch ein wenig mit Leila, bevor ich wieder hinausgehe und den Bus ansteuere. Ein Ibis stolziert vor mir auf und ab, als würde er patrouillieren und darauf warten, dass ich etwas zu essen fallen lasse. Aber er hat schlechte Karten. Ich habe selbst Hunger, weil ich vor lauter Stress während meines ersten Arbeitstages nicht zum Essen gekommen bin.

Als endlich der Bus kommt, steige ich ein und fahre über die Harbour Bridge nach Norden. Wie jeden Tag steige ich in Mosman aus und gehe zu einem weißen Gebäude, nur zwei Straßen von der Bucht entfernt. Es ist ein langgezogener Altbau mit vielen Fenstern, von denen die meisten geschlossen sind.

»Hallo Esther«, begrüßt mich eine freundliche Schwester mit braunen Haaren, die sie in zwei Zöpfen trägt. Sie ist um die sechzig, aber noch ist in ihrem Flechtwerk kaum Grau zu sehen.

»Guten Abend, Nellie. Wie geht es ihr?«

»Nicht sonderlich gut. Heute früh war sie etwas klarer. Es kommt und geht, du weißt ja, wie es ist.« Sie macht ein bedauerndes Gesicht und geht mit mir in den ersten Stock. Dort befindet sich am Ende eines Ganges ein gemütlicher Aufenthaltsraum. Etwa zwanzig Personen sitzen darin, spielen Karten oder »Mensch ärgere dich nicht«. Ein älterer Mann klimpert auf der Gitarre und singt dazu. Es klingt sogar ganz hübsch. Vier Leute sind Besucher, bei den anderen handelt es sich um Insassen des Heims. Ich gehe zu einer älteren Frau, die auf dem Sofa sitzt und sich monoton mit einer anderen Frau in ihrem Alter unterhält.

»Hi Mom«, sage ich, als ich zu ihr trete.

Sie sieht auf und betrachtet mich, als wüsste sie nicht, wen sie vor sich hat. »Wer sind Sie?«

»Ich bin’s, deine Tochter Esther.«

»Meine Tochter heißt Dorothea.«

Mit leerem Blick wendet sie sich ab, als wäre ich eine Erscheinung, von der sie überhaupt nichts hält. Ich schlucke.

Ich weiß schon lange, dass sie Alzheimer hat, die früh einsetzende Demenz. Aber es trifft mich immer wieder, dass sie sich zwar an meine Schwester erinnert, aber nicht an mich. Doro lebt schon seit Jahren in Kalifornien und kommt nur zu Weihnachten und Silvester nach Sydney. Ich hingegen besuche meine Mutter fast täglich.

»Du hast auch eine jüngere Tochter, das bin ich. Esther.«

Sie überlegt einen Moment. Hoffnung kriecht in mein Herz, dass sie mich doch noch erkennt. Doch die zarte Hoffnung wird sofort zerschmettert.

»Esther?«, fragt sie mit einem verächtlichen Schnauben. »Esther ist arrogant. Sie redet aufgeblasen, als wäre sie etwas Besseres, bloß weil sie studiert hat. Eingebildete Zicke.«

Die Kränkung lässt meinen Kopf heiß werden und meine Hände kalt. »Mom, ich bin nicht eingebildet, auch wenn ich studiert habe.«

»Esther ist eine Klugscheißerin, niemand mag sie.« Sie schüttelt den Kopf und tut so, als wäre ich gar nicht mehr da. Sie widmet sich wieder ihrer Gesprächspartnerin und redet mit ihr in einem leisen, fast monotonen Ton über die beste Art, Geranien zu züchten. Offenbar findet sie das Thema viel spannender als mich.

Mein Kopf glüht immer noch, als hätte sie mit ihren Worten eine Heizung in mir angezündet. Als sie noch klar war, hat sie mir oft vorgeworfen, ich würde mich für etwas Besseres halten, weil ich Worte wie dividieren und Kontamination benutzte. Worte, die ich beim Studium oder von anderen Studenten gelernt hatte. Dabei habe ich die Fremdworte nicht einmal mit Absicht gesagt, sie waren einfach rausgerutscht, weil sie an der Uni völlig normal waren. Aber meine Mutter, die eine einfache Verkäuferin gewesen ist, haben sie offenbar gestört.

Ich hole mir einen Stuhl und setze mich zu ihr, ohne sie zu unterbrechen. Im Stillen hoffe ich, dass sie heute doch noch etwas klarer wird und mich erkennt, aber ich habe nicht so viel Glück. Als das Abendprogramm beginnt, steht sie auf und lässt mich links liegen, als wäre ich ein unnützes Möbelstück.

»Gute Nacht, Mom«, sage ich und lasse sie ziehen. Es hat keinen Sinn, mich erneut bei ihr in Erinnerung zu bringen. Es würde sie nur gegen mich aufbringen. Sie reagiert allergisch darauf, wenn sie Dinge tun soll, auf die sie keine Lust hat.

Ich gehe zu Nellie, die den kurzen Wortwechsel zwischen mir und meiner Mutter verfolgt hat. »Du darfst es nicht persönlich nehmen«, tröstet sie mich.

»Ich weiß. Trotzdem tut es weh.«

Sie nickt und streicht über meinen Arm. »Wenn du willst, melden wir sie wieder bei der Musiktherapie an.«

Ich zucke innerlich zusammen. Die Therapie kostet vierhundert Dollar mehr im Monat. Ich habe so schon Mühe, das Geld für das Heim aufzutreiben. Meine Mutter hat nur vor der Geburt von uns Kindern als Verkäuferin gearbeitet und sich danach immer auf meinen Vater verlassen. Als sich die ersten Symptome ihrer Krankheit zeigten, rannte Dad jedoch auf und davon und suchte sich eine jüngere Frau. Er ließ meine Mutter mit einem minimalen Einkommen zurück, das gerade mal ihre Grundbedürfnisse deckte. Das Geld für ein Heim war nicht drin. Für mich stellte sich die Frage, sie zu Hause zu pflegen und dabei von der Sozialhilfe abhängig zu sein, weil ich nicht arbeiten gehen konnte; oder sie in ein Heim zu geben, wo sie professionelle Pflege bekommen konnte. Ich entschied mich für das Heim und bat auch meine Schwester um Unterstützung. Doch Doros Mann war Setdesigner beim Film und besaß kein regelmäßiges Einkommen. Und nach Doros zweitem Kind schaffte sie es finanziell nicht, mich zu unterstützen. Das bedeutet, dass seitdem die ganze Last der Pflege auf meinen Schultern ruht.

»Erkennt sie mich, wenn sie die Therapie macht?«, frage ich leise, obwohl ich die Antwort schon weiß.

»Das kann niemand garantieren. Aber die Chancen steigen. Durch die Musik werden tiefsitzende Erinnerungen angeregt und andere Hirnareale stimuliert. Man weiß nie, was dabei herauskommt, aber bisher wurden teilweise großartige Erfolge erzielt. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«

»Okay, dann macht sie die Therapie.«

Nellie legt wieder ihre Hand auf meinen Arm. »Wenn du willst, können wir auch eine Ratenzahlung vereinbaren.«

Ich lächele schief. »Ich weiß nicht, was es nützen soll. Wenn jetzt kein Geld da ist, ist es später auch nicht vorhanden. Da besteht nur die Gefahr, dass ich es für andere Dinge ausgebe.«

»Ich verstehe. Ich sage Bescheid, wann die erste Stunde stattfindet. Damit du dabei sein kannst, falls sie sich erinnert.«

»Danke.«

Ich verabschiede mich von ihr und fahre nach Hause. Als ich in der U-Bahnstation stehe und auf die Bahn warte, lächelt von der Wand gegenüber wieder Marc Morton, als würde er mich verhöhnen. Sein freundliches Lächeln, das Vertrauen wecken soll, wirkt wie geheuchelt auf mich. Morgen erwartet mich ein neuer Tag in meiner persönlichen Hölle, die sich sein Büro nennt. Ich bin inzwischen so müde, dass ich schon fast lachen muss über diesen Tag. Konnte der noch schlimmer sein?

Seine schrecklichen Aufträge und natürlich der Empfang, als er splitterfasernackt vor mir stand und ich einen perfekten Blick auf seine Männlichkeit bekam. Auf seinen athletischen Körper, den runden Hintern und das ...

Ich verschlucke mich fast an meiner Spucke, als mir plötzlich das Muttermal an seiner Hüfte einfällt. Ich habe es vorhin nicht bewusst wahrgenommen, nur jetzt, bei der Erinnerung an seine Nacktheit fällt es mir auf.

Dort war ein Muttermal in der Form eines Apfels!

---ENDE DER LESEPROBE---