The Bad Boy Wedding - Johanna Marthens - E-Book

The Bad Boy Wedding E-Book

Johanna Marthens

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Beschreibung

Sally Hallmarks Überlebens-Regeln für das Büro und den Umgang mit Dave Brooks 1. Du bist der Boss in deiner Praxis, niemand, der deine Zeit verschwendet, auch wenn er so unverschämt attraktiv ist wie Dave, bekommt eine Sonderbehandlung. 2. Wenn dich ein Klient in romantischer oder erotischer Weise interessiert, mache einen großen Bogen um ihn. Vor allem, wenn er ein Bad Boy wie Dave ist. 3. Starre niemals auf die Tattoos deines Klienten und erst recht nicht auf seine Beule im … äh … du weißt schon. 4. Ignorier die Grübchen eines Bad Boys, denn sie sorgen für Lustgefühle und deshalb für Ärger. 5. Glaube niemals einem Bad Boy, wenn er sagt, sein T-Shirt sei unterwegs von einer Horde wilder Frauen zerrissen worden 6. Verliebe dich niemals in einen Bad Boy 7. Verliebe dich nie in einen Mann, der dich belügt 8. Verliebe dich nie in einen verheirateten Mann 9. Verliebe dich nicht in einen Mann, dessen Lächeln deine Knie weich werden lässt 10. Verliebe dich nicht in Dave Brooks! Doch Regeln sind da, um gebrochen zu werden. Sally erleidet einen mittelschweren Schock, als sie splitterfasernackt in einem fremden Bett aufwacht. Und der unverschämt attraktive Mann neben ihr ist ebenfalls nackt. Doch es handelt sich ausgerechnet um Dave, ein Bad Boy, der zu viel spielt, zu viel trinkt und sich in zu vielen Betten herumtreibt. Als wäre das noch nicht schlimm genug, befindet sich das Bett auf einer Yacht, die unterzugehen droht, mitten im Ozean, umkreist von Haien. Wie sind sie dahingekommen? Was ist passiert? Sally und Dave können sich an nichts erinnern. Eigentlich wollte Sally zur Hochzeit ihrer Freundin Lily gehen, doch dort war auch Dave, der Bruder des Bräutigams, und baggerte Sally unverfroren an. Und danach begann für Sally eine atemberaubende Reise sowohl durch Australien als auch zu ihrem Herzen …

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THE

BAD BOY

WEDDING

 

Johanna Marthens

 

 

 

 

Sally Hallmarks Überlebens-Regeln für das Büro und den Umgang mit Dave Brooks

 

Du bist der Boss in deiner Praxis; niemand, der deine Zeit verschwendet, auch wenn er so unverschämt attraktiv ist wie Dave, bekommt eine Sonderbehandlung.

Wenn dich ein Klient in romantischer oder erotischer Weise interessiert, mache einen großen Bogen um ihn. Vor allem, wenn er ein Bad Boy wie Dave ist.

Starre niemals auf die Tattoos deines Klienten und erst recht nicht auf seine Beule im … äh … du weißt schon.

Ignorier die Grübchen eines Bad Boys, denn sie sorgen für Lustgefühle und deshalb für Ärger.

Glaube niemals einem Bad Boy, wenn er sagt, sein T-Shirt sei unterwegs von einer Horde wilder Frauen zerrissen worden

Verliebe dich niemals in einen Bad Boy

Verliebe dich nie in einen Mann, der dich belügt

Verliebe dich nie in einen verheirateten Mann

Verliebe dich nie in einen Mann, dessen Lächeln deine Knie weich werden lässt

Verliebe dich nie in Dave Brooks!

 

Doch Regeln sind da, um gebrochen zu werden.

© 2016, 2022 Johanna Marthens

[email protected]

 

Facebook.com/Johanna.Marthens

 

Lektorat: Tilde Zug

Buchcover: © Dangerous Kisses

 

Der Inhalt dieses eBooks ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren, Vervielfältigen und Weitergabe sind nur zu privaten Zwecken erlaubt. Der Weiterverkauf des eBooks ist ausdrücklich untersagt. Abdruck des Textes, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin.

 

Dieses Werk ist reine Fiktion. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sowie Schauplätzen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle darin beschriebenen Vorkommnisse sind frei erfunden.

 

BÖSES ERWACHEN

 

DAVE

 

 

ES SCHAUKELT EIGENARTIG.

Ich versuche, die Augen zu öffnen, aber meine Lider sind schwer wie Blei. Sie verweigern die Kooperation und bleiben einfach geschlossen.

Was habe ich denn gestern getrunken?

Das eigenartige Schaukeln sorgt für ein unangenehmes Gefühl in meinem Magen. Es könnte aber auch zu viel Gin sein. Oder Wodka? Selbst die Erinnerung fällt mir schwer. Es dringt nicht ein einziger Fetzen vom gestrigen Abend an die Oberfläche meines Hirnes. Meine Zunge liegt in meinem Mund wie ein plumper Stein. Und schmeckt genauso.

Ich höre ein Plätschern, dann ein Tapsen.

Mühsam gelingt es mir, doch ein Auge zu öffnen.

Und mit einem Schlag geht es mir besser. Da ist sie. Sally. Die schönste Frau im ganzen Universum. Und sie ist nackt. Was für ein Anblick! Das Einzige, was mich daran stört, ist ihr entsetzter Blick. Gilt der etwa meinem Körper? Weil ich ... verdammt, ich bin genauso nackt wie sie! Und sie starrt direkt auf mich. Auf mein Tattoo und einen gewissen Körperteil, der gerade versucht, sich beim Morgensport zu recken.

»Einmal richtig strecken ersetzt eine Stunde Schlaf«, sage ich und versuche ein Grinsen, aber meine Stimme klingt zu rau. Und mein Gesicht fühlt sich steif an. Steifer als mein Freund beim Morgensport. Bevor mich ihre Blicke töten können, schiebe ich das Laken über meine Hüften, um seine sportlichen Höchstleistungen zu verbergen.

Sie antwortet nicht, sondern steigt, nackt wie sie ist, eine kleine Treppe nach oben und öffnet eine Tür, die nach außen führt. Wenn sie nicht so verwirrt wirken würde, könnte ich den Anblick total faszinierend finden und für jeden Morgen bestellen. Ihr knackiger Po, die schönen Beine, ihr verführerischer Körper.

Sie bleibt einen Moment stehen, dann kehrt sie zurück zu mir.

»Was ist passiert?«, fragt sie. Panik schwingt in ihrer Stimme mit. Jeder ihrer Schritte verursacht ein leicht plätscherndes Geräusch. Nun wird mir ebenfalls bewusst, dass unsere Umgebung etwas ungewöhnlich ist. Braune Holzvertäfelung befindet sich an den Wänden und an der Decke. Ich liege auf einem schmalen Bett, eine Kommode steht an der Wand.

Das lässt nur eine Schussfolgerung zu.

»Was soll denn passiert sein? Wir haben uns ein Zimmer genommen und hatten eine fantastische Nacht miteinander.«

Ich kann mich zwar an nichts erinnern, aber so wird es gewesen sein. Sie ist nackt, ich ebenfalls. Das wäre nicht das erste Mal, dass wir ...

»Wie sind wir hierhergekommen?«, unterbricht sie meinen angenehmen Gedankengang.

»Hierher?«

»Ja, auf das Boot.«

»Was für ein Boot?«

Ungeduldig verdreht sie die Augen über meine Begriffsstutzigkeit.

»Wir befinden uns auf einem Motorboot mitten im Ozean, Land ist weit und breit nicht zu sehen. Also, wie sind wir hierhergekommen?«

Nun werde ich doch misstrauisch. Haben wir uns ein Zimmer auf einem Boot genommen? Das wäre nicht typisch für mich. Enge Räume machen mich nervös. Ich brauche Fluchtmöglichkeiten. Wortlos stehe ich auf, runzele verwundert die Stirn über das Wasser auf dem Boden und steige die vier Stufen hinauf, wie Sally nur eine Minute zuvor.

»Shit«, murmele ich, als ich sehe, was sie soeben entdeckt hat. »Was soll das denn?« Wir befinden uns tatsächlich auf einem Boot. Mitten im Ozean. Und das Ding liegt verdammt tief im Wasser, als würde es langsam sinken. Die Wellen lecken an der Reling. Ein kühler Wind jagt eine Gänsehaut über meinen Körper.

»Wie sind wir auf das Boot gekommen?«

»Ich habe keine Ahnung.« Ratlos zuckt sie mit den Schultern. »Du hast gesagt, wir hatten eine fantastische Nacht miteinander. Also musst du dich doch an etwas erinnern können!«

Ich grinse, um meine Unsicherheit zu verstecken. »Das … äh … das habe ich gesagt, weil ich es annehme. Nächte mit mir und dir sind immer fantastisch. Und sieh uns an! Wir sind nackt. Da ist es doch klar, was passiert ist.«

»Du kannst dir also nicht ins Gedächtnis rufen, was geschehen ist?«

Ist sie enttäuscht, wenn ich ihr sage, dass ich nicht den blassesten Schimmer habe? »Das sollte man einer Frau eigentlich nie sagen, aber nein. Tut mir leid. Es war wohl zu viel Alkohol oder andere--«

»Ich auch nicht«, unterbricht sie mich geschockt.

Mein Grinsen verschwindet. Sie kann sich auch nicht erinnern? Was ist denn wirklich passiert? Dass wir beide Aussetzer wegen zu viel Alkohols haben, ist äußerst unwahrscheinlich.

»Wir müssen von diesem Boot runter, es sieht aus, als würde es nicht mehr lange durchhalten.«

»Und es scheint so, als würden ein paar Kreaturen schon sehnsüchtig darauf warten.« Ich starre auf das Meer hinaus. Als sie meinem Blick folgt, zuckt sie erschrocken zusammen.

»Sind das Finne?«

»Ja, vom großen Weißen.«

Drei Haie umkreisen unser Schiff, die Flossen ragen bedrohlich aus dem Wasser. Sie lauern nur darauf, dass das Boot sinkt und uns in die Tiefe zieht. Und immer noch ist kein Land in Sicht. Nicht einmal, als ich die Augen zusammenkneife, um im gleißenden Sonnenlicht und über dem glitzernden Wasser besser blicken zu können.

Auf einmal dringt die Spur einer Erinnerung in mein Bewusstsein. Es ist nur ein kleiner Fetzen, aber Sally kommt darin vor. Sally und ich. Und ich möchte ihr etwas sagen. Aber was?

Sie friert, und ich schlinge meine Arme um sie. Was ist es nur, was ich ihr sagen wollte?

»Wenn wir das überleben, möchte ich …« Ich breche ab, denn auf einmal weiß ich, was ich ihr sagen wollte. »Ich ...« Der kleine Satz bleibt mir im Halse stecken.

Stattdessen ziehe ich sie noch näher an mich heran.

»Das ist ein Albtraum«, wispert sie kaum hörbar. »Ein entsetzlicher Albtraum.«

»Wir kommen hier weg, Sally«, flüstere ich in ihr Ohr. »Ich verspreche dir, dass ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen werde, um uns zu retten.«

»Und was willst du tun?«

Ich will etwas erwidern, doch erneut dringt ein Fetzen Erinnerung in mein Gedächtnis. Er. Sally und ich. Und ... Was noch?

Nichts. Mehr ist da nicht.

Ich vergrabe mein Gesicht in ihrem Haar. Sie riecht verdammt gut, nach Sally und Salzluft. Meine Nase berührt ihr Ohr und die zarte Haut ihres Halses.

»Ich ...« Wieder breche ich ab. Der Satz, den ich ihr sagen wollte, liegt mir auf der Zunge. Drei kleine Worte, aber so verdammt schwer auszusprechen. Ich muss sie ihr endlich gestehen, unbedingt. Sie ist die einzige Frau, mit der ich eine Chance habe, glücklich zu werden. Sie hält mein Herz in der Hand. Sally ist die Frau, die mir den Weg aus der Hölle ins Paradies weisen kann. Nur sie hat so viel Macht.

Ich merke, wie sie sich in meinen Armen versteift. Es ist ein Erinnerungsfetzen, der an die Oberfläche ihres Bewusstseins gedrungen ist. »Ich glaube, sie waren wieder da«, flüstert sie. »Ich erinnere mich an etwas.«

»Ich strenge auch mein Gedächtnis an, um herauszufinden, was passiert ist, aber es liegt alles im Dunkel.«

»Ich fühle etwas.«

»Was?«

Sie antwortet nicht, sondern wird noch steifer in meinen Armen. Eine weitere Erinnerung. Was sieht sie?

Ich öffne den Mund, um sie noch einmal zu fragen. Doch mit einem Schlag fällt mir ein, was passiert ist. Weshalb wir hier auf diesem Boot und in dieser Misere gelandet sind. Jedes einzelne Detail, jede schreckliche Stunde kommen ans Licht meines Bewusstseins. Jede ihrer Berührungen und meine entsetzliche Dummheit.

Es fing an dem Tag an, an dem Sally den Brief erhielt und ich das letzte Mal vor ihrer Tür stand.

DER BRIEF

 

EINE WOCHE ZUVOR

 

FREITAG

 

SALLY

 

DER MENSCH TRIFFT etwa zwanzigtausend Entscheidungen am Tag. Zwanzigtausend winzig kleine und auch große Entscheidungen, die unser Leben bestimmen und vorwärtstreiben. Lese ich dieses Buch weiter oder klicke ich lieber ein anderes an? Zack, eine Entscheidung. Löse ich an der Kasse bei Amazon meinen Gutschein ein? Dann müsste ich jetzt aufstehen und ihn suchen, also hebe ich ihn mir für ein anderes Mal auf. Wieder eine Entscheidung. Fahre ich heute noch zum Gemüsehändler oder lieber morgen? Will ich wirklich die schwarzen Schuhe zum roten Kleid anziehen? Nehme ich die Regenjacke mit oder reicht der Schirm? Kaufe ich den VW oder lieber einen Ford? Will ich jetzt ein Kind oder erst später? Alles Entscheidungen, die wir treffen müssen. Und das zwanzigtausend Mal am Tag. Eine Entscheidung aller vier Sekunden. Da kann es schon mal passieren, dass man falsch liegt. Es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass man sich vertut. Meistens sind es kleine Irrtümer oder unbedeutende Fehler. In meinem Leben schien sich jedoch seit einiger Zeit eine schwerwiegende Fehlentscheidung an die andere zu reihen. Deshalb hielt ich an jenem Tag, kurz bevor ich Feierabend machen wollte, diesen Brief in den Händen.

Sehr geehrte Ms. Hallmark,

wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Ihr Geschäftskonto aufgrund fehlender Einzahlungen in Kürze auflösen müssen. Sie haben das Girokonto mit 6432 Dollar überzogen, Ihr Dispo beträgt nur 3000 Dollar. Alle Lastschriften wurden durch uns bereits storniert. Wenn Ihr Konto nicht innerhalb von sieben Tagen gedeckt ist, sehen wir uns gezwungen, die Geschäftsbeziehung mit Ihnen zu beenden und das Konto fristlos aufzulösen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Ihre WUTHERLY BANK

 

Entsetzt las ich das Schreiben dreimal durch, weil ich dachte, mich beim ersten Mal verlesen zu haben, aber der Wortlaut änderte sich beim wiederholten Lesen leider nicht. Wenn ich nicht schnell etwas mehr als sechstausend Dollar auftrieb, am besten siebentausend, existierte mein Konto nicht mehr. Und damit auch … O mein Gott! Ich hatte die Miete für die Praxis auch noch nicht bezahlt! Die tausend Dollar wären nächste Woche fällig! Ohne Konto keine Miete und ohne Miete keine Praxis!

Wann kamen die Honorare, die meine Patienten an mich überweisen mussten?

Ich fühlte mich sofort wie schweißgebadet. Ich stand kurz vor dem Feierabend und dachte, ich hätte den Tag gut überstanden, doch nun war ich unter meinem Businessanzug klatschnass geworden.

Wie betäubt stakste ich zum Aktenschrank mit den Honorarrechnungen an der Wand und sah den Ordner für den vergangenen Monat durch. Die meisten Privatpatienten hatten bereits bezahlt. Die Gelder von den Krankenkassen würden erst Ende dieses Monats eintreffen. Und die Rechnungen am Anfang des Stapels, würden niemals bezahlt werden, weil ich zu gutmütig gewesen war.

Entsetzt ließ ich mich auf meinem Bürostuhl nieder. Wie konnte ich nur so dumm sein?

Ich eilte zur Kaffeemaschine auf dem Tischchen neben dem Fenster und machte mir einen Kaffee. Doch ich trank ihn nicht. Mein Herzschlag hatte sich sowieso schon zu Rekordhöhen aufgeschwungen. Es klopfte in meiner Brust, als stünde ich kurz vor einem Herzinfarkt. Daher stellte ich die Tasse nur auf meinen Schreibtisch und starrte auf das Schreiben.

»Ms. Hallmark, ich würde jetzt gerne nach Hause gehen«, sagte plötzlich Dominique, die in mein Sprechzimmer getreten war. »Ist das okay?« Sie saß normalerweise im Vorraum und verwaltete meine Patienten. Sie war zwar nicht sonderlich hübsch, ihr Haar zu kurz und die Nase etwas schief, aber dafür war sie sehr gründlich und fleißig.

»Ja, Dominique, gehen Sie nur«, sagte ich und versuchte mich zu fangen.

»Danke, Ms. Hallmark. Bis morgen.«

»Bis morgen.«

Solange es noch ein Morgen gab. Wo sollte ich nur auf die Schnelle siebentausend Dollar hernehmen, um die Miete für die Praxis zu bezahlen und mein Konto zu decken? Mein Privatkonto war genauso leer. Meine Mutter hatte selbst genug Probleme, und Lilly, meine beste Freundin, heiratete morgen. Die konnte ich auch nicht anpumpen. Ich musste eine andere Bank um einen Kredit bitten, der mich mit seinen Zinsen auffressen würde. Aber eine andere Möglichkeit sah ich nicht.

Ich nahm meinen Mantel vom Garderobenständer und wollte ihn überziehen, um nach Hause zu gehen. Doch im Vorraum ertönten plötzlich Schritte, so dass ich in der Bewegung innehielt.

»Hi Sally«, sagte eine bekannte Stimme in der Tür. »Sorry, ich bin ein bisschen spät dran. Aber mir ist etwas dazwischengekommen. Ich habe Ihnen dafür Blumen mitgebracht.«

Dave Brooks. Mein Sorgenkind. Er hatte bereits sechs Sitzungen hinter sich gebracht, bei denen wir keinen Schritt vorangekommen waren. Und heute wäre sein siebenter Termin gewesen, allerdings nicht jetzt.

»Ein bisschen spät dran? Sie sind fünf Stunden zu spät.« Ich nahm die verwelkten Blumen in die Hand, die aussahen wie brutal gemeuchelte Gräser von der Wiese, und warf sie in den Papierkorb, um sie von ihrem Leiden zu erlösen.

Mit einem amüsierten Lächeln beobachtete er mich und ließ sich auf den Sessel fallen, als wäre nichts geschehen und er tatsächlich nur fünf Minuten zu spät, nicht fünf Stunden.

»Das war ein Tag!«, seufzte er. »Sie werden nicht glauben, was ich erlebt habe.«

»Es interessiert mich, ehrlich gesagt, nicht. Ich habe jetzt Feierabend.«

»Echt?« Er sah mich so überrascht an, als hätte ich ihm gesagt, ich wolle jetzt meine Wanderschuhe anziehen, um den Mount Everest zu besteigen.

»Haben Sie vor kurzem mal auf die Uhr gesehen? Es ist nach achtzehn Uhr.«

»Das ist noch früh am Abend«, grinste er und machte keinerlei Anstalten, aufzustehen und mich in Ruhe zu lassen. »Ich muss Ihnen erzählen, was mir passiert ist.«

»Das müssen wir ein anderes Mal machen. Ich will nach Hause.«

»Aber wir haben keine weiteren Termine mehr. Die habe ich heute schon telefonisch abgesagt. Das ist jetzt unser letzter. Ihre finale Möglichkeit, mich zu reparieren.«

Ich zögerte einen Augenblick, dann gab ich nach. Wenn ich mich weigerte, vergab ich vielleicht die letzte Chance, dem Mann zu helfen, sein Leben in Ordnung zu bringen. Ich zog meinen Mantel wieder aus, hängte ihn an den Haken und ließ mich ihm gegenüber auf dem Sessel nieder.

Da war sie wieder, meine Gutmütigkeit, und zwickte mich in den Allerwertesten.

»Also, erzählen Sie, Dave, was ist geschehen?«

»Ich habe ein Jobangebot.« Er grinste über das ganze Gesicht. Er besaß ein äußerst attraktives Gesicht. Das war mir schon bei unserer ersten Sitzung vor ein paar Wochen aufgefallen. Mit einem verschmitzten Grinsen und Augen, die einen mit ihren Blicken auszogen. Wenn ich nicht seine Psychologin gewesen wäre, hätte ich seinem Äußeren sicherlich eine Menge abgewinnen können. Wie er so lässig in dem Sessel hing, in verwaschenen Jeans, die viel zu tief saßen. Und einem lockeren schwarzen T-Shirt, auf dem vorn ein eindeutig zweideutiger Spruch abgedruckt war. Sein Haar sah aus, als hätte es heute noch keinen Kamm gesehen. Und rasiert hatte er sich auch noch nicht, doch der Bartschatten stand ihm ausgesprochen gut. Dave war viel zu sexy, um anständig zu sein. Und genau das war sein Problem. Er schlug immer wieder über die Stränge, trank zu viel, spielte zu viel, nahm Drogen, wenn sie sich ihm boten. Und er ließ keine Frau aus, die seinen Weg kreuzte. Sein Bruder hatte ihn vor ein paar Wochen in meine Praxis geschleift, nachdem Dave nach einem Trinkgelage sein ganzes Geld verspielt hatte und einem Kredithai in die Hände gefallen war. Ich solle ihn von seinen Süchten befreien und auf die gerade Bahn bringen, hatte Parker Brooks, der Bruder gesagt. Er hatte nur leider vergessen zu erwähnen, dass es sich bei Dave um einen hoffnungslosen Fall handelte, dem es völlig egal war, ob er Mist baute oder andere mit seinem Verhalten verletzte. Bei meinen Sitzungen hatte er nichts gesagt, was uns irgendwie vorangebracht hätte. Es war absolut verschwendete Zeit.

»Was ist das für ein Job?« Ich versuchte, nicht skeptisch zu klingen. Ich konnte allerdings kaum glauben, dass das ein ernstgemeintes Angebot war. Wer würde jemanden wie Dave Brooks einstellen wollen?

»Ich könnte mit einem Freund eine Investment-Firma in Perth aufbauen. Er rief mich heute an.«

»Und er weiß, dass Sie Probleme haben?«

»Was für Probleme? Ich habe ihn neulich beim Pokerspiel getroffen und wir haben ein paar Gläser zusammen getrunken. Ich habe keine Probleme.« Er setzte das Wort mit seinen Fingern in Anführungszeichen.

Ich seufzte leise. »Sie sind spielsüchtig und ein Alkoholiker, Dave. Das würde ich schon als Problem bezeichnen.«

»Ich könnte jederzeit aufhören.«

»Sind Sie sicher?«

»Sie glauben mir nicht. Aber ich könnte es Ihnen beweisen.«

»Sie müssen mir nichts beweisen, Sie müssen Ihr Leben auf die Reihe bekommen. Es ist Ihr Leben, Sie haben nur das eine.«

»Das bekomme ich locker hin.«

Ich wünschte ihm, dass es ihm gelang. Auch wenn er es mir nicht immer leicht machte, ihn in einem positiven Licht zu sehen. »Ich drücke Ihnen die Daumen.«

Er wurde auf einmal ernst. »Ich bringe zehntausend Dollar als Startkapital in die Firma mit, dann bin ich in Perth dabei. Und ich denke, die neue Umgebung wird mir Schwung geben. Wenn ich fern von den Schatten meiner Vergangenheit bin, kann ich ein neues Leben anfangen. Das ist meine große Chance auf einen Neubeginn.«

»Wie wollen Sie denn ein neues Leben anfangen?«, fragte ich abgelenkt. Als er die zehntausend Dollar erwähnte, kam mein eigenes Problem wieder hoch. Wo sollte ich das Geld für die Bank auftreiben? Und das innerhalb einer Woche?

Dave erzählte noch etwas von seinem Freund, der ihm in Perth eine neue Chance bieten würde, doch ich konnte mich nicht darauf konzentrieren.

»Woher haben Sie die zehntausend Dollar?«, unterbrach ich ihn.

»Gewonnen.« Er grinste mich an. »Ich gehe hin und wieder zu Pferderennen, wo ich wette. Ich habe überlegt, den Gewinn sofort wieder zu verspielen, habe es aber nicht getan. Schließlich haben Sie mir empfohlen, damit aufzuhören. Nun kommt mir das Geld zugute. Wie Sie sehen, funktioniert Ihre Therapie.« Er zwinkerte mir frech zu.

Ich ignorierte ihn und dachte nach. Pferderennen waren nichts für mich, um an Geld zu kommen. Ich hatte nicht den blassesten Dunst, wer da irgendwelche Chancen hatte. Auf diese Weise würde ich mein Konto nicht retten können. Außerdem war die Haltung der Tiere nicht mit dem Tierschutz vereinbar.

»Gibt es auch Hunderennen? Oder etwas, wo Tiere besser gehalten werden?«

»Sie meinen, Bio-Tierrennen? Davon habe ich noch nichts gehört.«

»Wenn Sie dringend Geld benötigen, wie würden Sie es anstellen?«

Nun wurde er neugierig. »Sie fragen nicht mehr wegen meiner Therapie, oder?«

»Doch, doch«, wiegelte ich ihn ab. »Ich muss alles über Sie wissen. Also, wie funktioniert das mit den Wetten?«

Er grinste mich an und setzte sich auf die vordere Kante seines Sessels. »Was haben Sie denn für ein Problem, Frau Doktor? Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«

Ich stöhnte innerlich und verdrehte die Augen. »Ich denke nicht.«

»Bei Schulden kenne ich mich aus.«

Es war vielleicht ein bisschen ungewöhnlich, einem Patienten meine Sorgen zu berichten, aber vielleicht konnte er mir wirklich helfen. Außerdem war er heute das letzte Mal da. Ich würde ihn danach nie wiedersehen. »Meine Bank kündigt mein Konto, wenn ich nicht innerhalb von sieben Tagen siebentausend Dollar überweise. Und ich habe keine Ahnung, woher ich das Geld nehmen soll. Ich bin pleite.«

Er versuchte, sich sein Erstaunen nicht anmerken zu lassen. »Haben Sie so wenige Patienten? Ich dachte, Sie sind immer ausgebucht.«

»Ich habe genügend Patienten. Es ist nur …«

»Was?«

»Ich hatte …« Ich zögerte immer noch.

»Erzählen Sie, Sally, was geschehen ist«, sagte er aufmunternd und imitierte meine eigenen Worte. »Ich muss alles über Sie wissen.« Wenn ich nicht seinen Rat gebraucht hätte, hätte ich ihm und seinem frechen Grinsen gar nichts erzählt.

Doch ich gab nach. »Ich habe in den vergangenen Monaten eine Frau und deren Tochter hier gehabt, die von ihrem Mann und Vater misshandelt worden waren. Sie haben eine Menge Stunden in Anspruch genommen, aber weil sie vor ihm davongelaufen sind und Mühe hatten, sich ohne ihn ein neues Leben aufzubauen, konnte und wollte ich ihnen nichts berechnen. Sie hatten schon Mühe, das Geld für die Busfahrt für mich aufzutreiben. Deshalb ist mein Konto leer.«

Er sah mich mehrere Sekunden wortlos an, als würde er versuchen, in meinen Kopf hineinzusehen.

»Für solche herzergreifenden Geschichten interessiert sich die Bank heutzutage leider nicht«, sagte er schließlich. »Haben Sie keinen Mann, den Sie anpumpen können? Oder einen reichen Vater?«

»Nein, habe ich nicht«, sagte ich eine Spur zu hastig. Aber er schien es nicht zu merken. »Vergessen Sie es, ich kriege das schon irgendwie hin.«

»Sie könnten ein paar Sachen über eBay verkaufen«, schlug er vor. »Ihr Auto vermieten. Kochbücher in verschiedenen Sprachen bei Amazon anbieten. Es gibt viele Möglichkeiten, um an Geld zu kommen.«

»Aber nicht innerhalb einer Woche.«

»Als ich dringend Geld brauchte, habe ich alte, ausrangierte Wohnwagen gekauft, sie aufpoliert und für viel Geld an Touristen vermietet. Oder verkauft. Damals hatte ich einen Kumpel, der mir vom Schrottplatz alle möglichen Ersatzteile besorgt hat. Das lief gut. Da habe ich mal ein altes Mercedes-Wohnmobil für fünfhundert Dollar erstanden und für fünftausend für drei Monate vermietet. Das hat sich gelohnt.«

»Wow. Das war ein gutes Geschäft.«

»Ja, so was gibt es aber nicht allzu oft.«

Ich seufzte. »Ich habe keine Ahnung, wie man einen Wohnwagen aufpoliert. Ich wüsste auch nicht, wo man die Touristen auftreibt, an die man das Ding dann vermietet.«

Er lachte. Das Lachen klang genauso sexy wie er aussah. Unwillkürlich musste ich lächeln.

»Das nehme ich Ihnen sofort ab«, sagte er. »Aber das lernt man.«

»Und warum bauen Sie keine Wohnwagen mehr, sondern wetten beim Pferderennen?«

»Erstens, weil mein Kumpel vom Schrottplatz einen anderen Job angefangen hat, so dass ich nicht mehr günstig an Ersatzteile komme. Zweitens, weil das Wetten mehr Spaß macht.«

»Und damit wären wir bei Ihrem Problem, Dave. Ihnen fehlt die Einsicht, dass zum Leben auch Verantwortungsbewusstsein gehört. Sie erwarten nur Spaß, aber den müssen Sie sich erarbeiten.«

Dave lächelte mich einen Moment lang an. Dann stand er auf und streckte seine Glieder, so dass sein T-Shirt am Bauch hochrutschte und sein Sixpack zu sehen war. »Die Zeit ist um. Es war sehr nett mit Ihnen, Sally. Ich wünsche Ihnen viel Glück.« Er reichte mir seine Hand, die ich, völlig verdattert von seinem plötzlichen Aufbruch, schüttelte.

»Sie wollen gehen?«

»Ja, ich will Ihnen nicht den Feierabend stehlen.«

Typisch Dave. Sobald man ihn auf einen Fehler hinwies, verschloss er sich und brach ab.

»Ich wünsche Ihnen auch alles Gute, Dave. Viel Erfolg in ... wohin gehen Sie nochmal?«

»Perth.«

»Viel Glück in Perth. Und mit Ihrem Leben und allem.« Ich fühlte mich plötzlich völlig durcheinander. Es wurde wirklich höchste Zeit, dass der Feierabend kam.

»Sie kriegen das mit Ihrem Konto schon hin. Geben Sie mir am besten sofort die Rechnung mit, dann kann mein Bruder Ihnen das Geld überweisen.«

»Ja. Nein, die muss Dominique morgen schreiben. Oder am Montag.« Ich war wirklich konfus.

Er lächelte wieder. »Sie sollten sich beeilen, damit das Geld rechtzeitig zu Ihnen kommt, bevor Ihr Konto gesperrt wird. Sie wissen ja, so ist das mit der Verantwortung.«

Wieder nutzte er meine Worte, um mich zu ärgern. »Sie sind unmöglich. Frech.«

»Ich weiß.« Er ging zur Tür und blieb einen Augenblick stehen. Dann drehte er sich zu mir um und öffnete den Mund, als würde er noch etwas sagen wollen, aber er blieb stumm. Er lächelte wieder und sah mich mit seinem typischen Blick an, als würde er überlegen, welche Farbe meine Unterwäsche hätte. Dann wandte er sich ab und ging hinaus. Ich glaubte, einen seltsamen Schimmer in seinen Augen gesehen zu haben. Aber das konnte auch die untergehende Sonne gewesen sein, die sich im Fenster spiegelte.

Für den Bruchteil einer Sekunde bedauerte ich, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Aber ich schüttelte das Gefühl schnell ab.

Sobald er draußen war, nahm ich erneut das Schreiben der Bank zur Hand. Aber der Wortlaut hatte sich immer noch nicht geändert. Sie wollten mein Konto auflösen, wenn ich das Geld nicht überwies. Daran war einfach nichts zu rütteln. Ich steckte den Brief ein, nahm meinen Mantel und verließ endlich die Praxis.

 

 

PAUL FIRTH HATTE alle Hände voll zu tun, als ich auf dem Gelände des Tierrettungsdienstes ankam. Eine ausgewachsene Pitbull-Hündin, die dünn und ausgemergelt wirkte, bellte ihn drohend an, während er versuchte, acht Welpen aus ihrer Obhut zu nehmen und vom Tierarzt untersuchen zu lassen. Zum Glück lag die Hundemutter an der Kette, sonst hätte Paul wahrscheinlich schon keine Kehle mehr.

»Hi, Sally, geh zu Adele, sie wird dir Rasmus rausgeben«, sagte er abgelenkt, als ich vorsichtig zu ihm trat. Er legte eines der Hundebabys in einen weichen Korb zu zwei Geschwistern, wo sich die Kleinen zusammenkuschelten. Sie sahen aus, als wären sie erst ein paar Tage alt.

»Woher habt ihr die Tiere?«, wollte ich wissen.

»Jemand hat uns die Mutter als Streunerin angezeigt, und als wir sie einfangen wollten, haben wir die Babys entdeckt. Sie muss erst vor ein paar Tagen geworfen haben. Sie ist total unterernährt, wir sind froh, dass wir sie erwischt haben, bevor es ihr noch schlechter geht.«

»Was geschieht nun mit ihr und ihren Kindern?«

»Sie werden untersucht, aufgepäppelt und dann an liebevolle Familien vermittelt.«

Ich beobachtete, wie er ein weiteres Fellbündel aufnahm, kurz ansah und dann in den Korb zu den anderen legte. Sie waren unbeschreiblich süß, und die Mutter tat mir leid, die sicherlich dachte, dass Paul ihren Babys etwas antun wollte. Dabei wollte er ihr und den Kleinen nur helfen. Sie beruhigte sich nicht und zerrte an der Kette. Da ich zu ihrem Stress auch noch beitrug, ließ ich sie allein und ging ins Gebäude, um Adele zu suchen. Sie spritzte einen Zwinger mit Wasser aus, um ihn zu reinigen.

»Sally, Rasmus ist im Garten. Dort kannst du mit ihm üben.« Sie sah mich nur kurz an, konzentrierte sich dann aber sofort wieder auf ihre Aufgabe. Die Tierrettungsstelle hatte nur vier Mitarbeiter, die den ganzen Tag alle Hände voll zu tun hatten. Zwei kümmerten sich um die Tiere auf dem Gelände, die anderen gingen Hinweisen aus der Bevölkerung in Canberra nach und stöberten gequälte und herrenlose Tiere auf, denen sie halfen.

»Danke, Adele. Ich gehe zu ihm.«

»Viel Spaß!«

Ich lächelte und ging hinüber zu der umzäunten Wiese, die Adele so freundlich als »Garten« bezeichnet hatte. Ein paar Blumen waren tatsächlich zu sehen, und die Sträucher blühten wunderschön, aber eigentlich war es nur ein Gelände zum Auslauf für die Hunde.

Rasmus erkannte mich schon, als ich durch die Tür ins Freie trat. Freudig bellend rannte er auf mich zu und stoppte erst kurz vor dem Zaun.

»Rasmus, mein kleiner Freund«, sagte ich leise und kraulte seinen Kopf durch den Zaun durch. Dann ging ich zum Tor, sah mich auf dem Gelände um, ob weitere Hunde in der Nähe der Tür wären, die ausbüxen könnten. Aber die vier anderen Tiere auf der Wiese hielten sich im hinteren Teil auf. Ich öffnete die Tür und ließ Rasmus heraus.

»Dann üben wir heute wieder mit dir«, sagte ich und kraulte seinen Hals, was er sichtlich genoss.

Seit ein paar Monaten strebte ich eine Weiterbildung an, die mich befähigte, Tiere zur Behandlung von psychisch kranken Patienten einzusetzen. Dafür benötigte ich mehrere Stunden Training mit Hunden. Und ich hatte mich für ein Pilotprojekt eingetragen, das Gefängnisinsassen dabei betreute, vernachlässigte Hunde zu trainieren und fit für Pflegefamilien zu machen. So wurde nicht nur den Tieren geholfen, sondern auch den Häftlingen, die eine lohnenswerte Aufgabe fanden und merkten, dass auch Tiere resozialisiert werden konnten. Das half ihnen, für sich selbst eine Zukunft nach ihrer Entlassung zu sehen.

Aber wenn ich meine Praxis verlöre, wäre diese Zusatzausbildung hinfällig.

Ich seufzte tief, und Rasmus blickte mich aus seinen großen, braunen Augen erstaunt an.

»Ja, Rasmus, das Leben hält eine Menge Fallstricke bereit. Aber ich sage dir, es ist alles lösbar. Kein Grund, den Kopf hängen zu lassen.« Ich wusste nur noch nicht, wo die Lösung meines Problems lag.

Plötzlich musste ich an Dave Brooks denken. Ich hätte gern gewusst, was er sagen wollte, bevor er meine Praxis verließ. Etwas Nettes? Ein Dankeschön? Oder nur ein Lebewohl? Ich erinnerte mich an sein freches Grinsen, an sein unrasiertes Kinn und die tiefsitzende Hose.

Schnell wischte ich die Gedanken aus meinem Kopf. Dave Brooks war ganz sicher kein Mann, über den man sich in Tagträumereien verlieren sollte. Er war unzuverlässig, voller Probleme und genau der Mann, den ich niemals haben wollte. Also sollte ich meine Zeit auch nicht damit verschwenden, über ihn nachzudenken.

Ich nahm die Leine vom Haken und befestigte sie an Rasmus‘ Halsband. Dann gingen wir zusammen in den Übungsraum des Gebäudes und versuchten, miteinander klarzukommen. An Rasmus lag es nicht, dass an diesem Tag nur wenige Übungen gelangen. Es war allein meine Schuld. Ich war unkonzentriert, weil ich an meine Sorgen dachte. Und weil aus irgendeinem Grund ständig Dave Brooks durch meinen Kopf spukte, obwohl ich mir größte Mühe gab, ihn daraus zu verbannen. Ob er wohl in Perth Erfolg haben würde? Wer würde sich dort um ihn kümmern? Vielleicht würde ein Neuanfang wirklich Wunder an ihm bewirken?

Als Rasmus merkte, dass er heute mit mir machen konnte, was er wollte, und mein Übungsprogramm gänzlich in den Wind pfiff, gab ich auf. Ich ging mit ihm eine Runde spazieren, um ihm noch eine kleine Freude zu machen. Dann brachte ich ihn zurück und lief nach Hause.

Ich besaß ein großes, geräumiges Apartment mitten in Canberra, das ich alleine bewohnte. Meine Freundin Lilly hatte für eine kurze Zeit mit mir darin gelebt, aber sie war nun mit Parker zusammen. Und da ich mich von meinem Freund getrennt hatte, war die Wohnung gespenstisch still, als ich eintrat. Ich stellte sofort das Radio an, um der Stille zu entkommen. Dann machte ich mir etwas zu essen.

Den Rest des Abends bemühte ich mich um weitere Lösungen für mein Problem, aber die Banken waren bereits geschlossen, und sonst wollte ich niemanden anpumpen.

Deshalb saß ich einfach nur stundenlang am geschlossenen Fenster, sah auf Canberra herab und trank ein Glas Wein nach dem anderen. Als sich die Stadt vor meinen Augen zu drehen schien, torkelte ich ins Bett.

ZWEI HOCHZEITEN UND EIN ZWISCHENFALL

 

SAMSTAG

 

DAVE

 

 

ICH WAR MIT SICHERHEIT nicht der einzige Mann, der es hasste, am Morgen von schrillem Klingeln geweckt zu werden. Und das an einem Samstag! Schlaftrunken blinzelte ich in das Morgenlicht, das durch das Fenster strahlte.

Sechs Uhr. Viel zu früh, um aufzustehen. Unwillig stellte ich den Wecker aus und wollte mich noch einmal umdrehen. Doch dann fiel mir ein, weswegen der Wecker geklingelt hatte.

Shit!

Mit der Hand strich ich über mein Kinn. Es kratzte. Und wie!

Und ich roch, als wäre ich gestern Abend noch in einer Bar gewesen und hätte mit drei Engländerinnen Poolbillard gespielt. Genau das hatte ich auch getan. Wenigstens hatte ich gewonnen. Danach waren die Mädels zu ihren Männern gegangen, die an der Bar hingen. Eine hatte mir ihre Telefonnummer in Liverpool zugesteckt, für den Fall, dass ich mal in der Gegend wäre. Aber das würde nicht so schnell passieren.

Meine Augen wollten wieder zufallen, doch nun klingelte mein Handy. Die Melodie von »Spiel mir das Lied vom Tod« schallte durch das Schlafzimmer wie eine unheilvolle Botschaft. Als ich den Anruf beantworten wollte, legte der Anrufer auf. Stattdessen kam eine SMS an.

Steh auf, Dave!

Das war Parker. Mein Bruder.

Er machte Ernst.

Widerwillig schälte ich mich aus dem Bett und ging unter die Dusche.

Als ich mich wieder wie ein Mensch fühlte und über mein Kinn streichen konnte, ohne mich dabei zu verletzen, schlurfte ich zum Schrank. Jetzt kam der schwierigste Teil dieses Morgens. Ich musste einen Anzug anziehen.

Mit spitzen Fingern, als wäre er ein mit tödlichen Viren kontaminiertes Gewand, holte ich das Kleidungsstück aus dem Schrank. Dann zog ich mich an.

Parker zappelte nervös bei meiner Ankunft. Es war immer noch verdammt früh für mich, aber Parker wirkte, als wäre er schon seit Stunden wach und würde vor der Kirche auf das Eintreffen der Hochzeitsgäste warten. Und er sah dabei sogar glücklich aus.

»Dave, zum Glück bist du pünktlich.« Mit bedeutungsvoller Miene kam er auf mich zu, als wäre ich ein Kronzeuge, um die Mafia ein für alle Mal auszuschalten, und nicht nur ein Trauzeuge bei seiner Hochzeit.

»Bist du nüchtern?«, hakte er sofort misstrauisch nach.

»Ja, bin ich«, knurrte ich. »Ich wollte eine Flasche Wodka frühstücken, aber ich dachte, bei euch gibt es was Besseres.«

»Reiß dich heute bitte am Riemen«, sagte er zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch. »Dieser Tag ist Lilly sehr wichtig. Und mir auch.«

»Ich weiß.«

In diesem Moment kam ein Wagen vorgefahren.

»Die Braut kommt! Es geht los!«

Parker zerrte mich zum Kircheneingang, wo ich neben ihm am Altar auf die Braut warten sollte. Und das ausgerechnet ich, der Todfeind aller Hochzeiten!

Ich gehorchte jedoch. Ich musste ihm den Gefallen tun, auch wenn es schwerfiel und ich am liebsten gar nicht erst gekommen wäre. Aber Parker war mein kleiner Bruder, der mir in schweren Stunden immer geholfen hatte. Er hatte es verdient, dass ich heute wenigstens so tat, als wäre seine Hochzeit eine gute Idee.

Als ich durch die Kirchenpforte ging, warf ich einen Blick auf Lilly, die in einem weißen Kleid, das sogar mir den Atem nahm, aus dem Auto stieg. Sie war wunderschön und hoffentlich anders als meine Ex. Ich wünschte es Parker jedenfalls.

Hinter ihr ging … war sie das etwa?

Die Frau bei Lilly sah aus wie meine verdammte Psychologin.

»Was macht sie denn hier?«, fragte ich Parker, als wir im Kirchgang auf den Altar zueilten, und deutete auf die Brautjungfer.

»Wen meinst du? Meine Braut? Sie sollte schon hier sein, da es unsere Hochzeit ist.« Er klang noch nervöser. »Hast du doch etwas geschluckt?«

»Nein, ich meine Blondie.«

»Sally? Sie ist die Trauzeugin. Du fährst nach der Trauung mit ihr in einem Wagen zu uns.«

Ich war plötzlich froh, heute nüchtern zu sein. Und bei der Dusche die Rasierklinge angesetzt zu haben. Und einen sauberen Anzug zu tragen. Sie war jemand, der Wert auf solche Oberflächlichkeiten legte. Aber vielleicht hätte ich sie ärgern können, wenn ich wie ein Penner erschienen wäre. Das hätte ihr sicherlich etwas zu denken gegeben.

»Hättest du mich nicht warnen können, dass sie da ist?«

»Warum? Wärst du dann nicht gekommen?«

Auch möglich. Der Gedanke, die ganze Zeit mit der Psychotante zusammen sein zu müssen, behagte mir gar nicht. Obwohl sie eine verdammt hübsche Psychotante war.

Der Pfarrer lächelte uns freundlich an und zeigte uns die genaue Stelle, an der wir stehen sollten. Die Hochzeitsgäste saßen in den Reihen und redeten leise miteinander. Zwischendurch sahen sie uns erwartungsvoll an. Ein paar Nachzügler kamen in die Kirche geflitzt und ließen sich auf den wenigen noch leeren Sitzplätzen nieder. Es war voll. Im hinteren Teil der Kirche sah ich ein paar Presseleute. Parker war Politiker und seine Hochzeit ein gefundenes Fressen für die Medien.

Und dann ging es los. Der Pfarrer gab dem Organisten ein Zeichen, so dass der die passende Musik für das Nahen der Braut spielte. Dann dauerte es noch ein paar Sekunden, in denen alle Gäste in der Kirche ihre Hälse verrenkten. Parker sah nervös zum Eingang der Kirche.

Dort kam sie. Sie lief halb verdeckt hinter der Braut, ich konnte nur ihre blonden Locken sehen, die sie hochgesteckt hatte.

Ich hörte, dass Parker den Atem anhielt, als er Lilly sah. Ihr kleines Babybäuchlein war unter dem Hochzeitskleid zu sehen. Ihr Gesicht war hinter einem Schleier verborgen. Ich konnte dennoch sehen, dass sie Parker anlächelte. Und ein unangenehmer Schmerz zuckte durch mein Herz. Ich hatte jahrelang versucht, die Erinnerung an meine Hochzeit auszulöschen, mit Alkohol, mit allen möglichen Drogen und Exzessen, und ich glaubte, einigermaßen erfolgreich damit gewesen zu sein. Aber in diesem Moment kamen die Gedanken daran zurück. Und sie taten weh wie tausend Messer, die in den Wunden mehrmals herumgedreht werden. Das Lächeln der Braut, das dem Bräutigam galt, hatte ich leider nie gesehen. Meine Braut hatte mich nie angelächelt. Sie war in Gedanken schon bei ihrem Geliebten gewesen.

Sally trat zur Seite und ließ Lilly zum Altar gehen, wo sie mit Parker zusammentrat. Und nun hielt ich die Luft an.

Sally trug ein eng anliegendes rotes Kleid, das ihre aufregenden Kurven betonte und in einem atemberaubenden Kontrast zu ihren blonden Haaren stand. Ihre blauen Augen leuchteten wie Diamanten. Sie sah umwerfend aus. Sexy und heißer als die australische Sonne mitten im Outback. Sie lächelte, als sie Lilly und Parker beobachtete, die zusammen zum Pfarrer traten. Dann wanderte ihr Blick zu mir. Und auf einmal huschte Erschrecken über ihr schönes Gesicht. Und der zarte Hauch einer Röte.

Sie errötete bei meinem Anblick?

Ich nickte ihr zu und grinste.

Sie nickte kurz zurück, dann wandte sie sich ab und stellte sich am Altar an die Seite der Braut, genau mir gegenüber.

Ich versuchte, mich auf die Trauung zu konzentrieren, aber es fiel mir verdammt schwer. Immer wieder wanderte mein Blick zu Sally, die wie gebannt das Brautpaar beobachtete. Sie sah jedoch nicht noch einmal zu mir, und ich hatte das Gefühl, dass sie sich große Mühe gab, ihre Blicke im Zaum zu halten und nicht zu mir schweifen zu lassen.

Irgendwann hatten wir es endlich geschafft, Lilly und Parker waren offiziell verheiratet, und ich und Sally gingen hinter den beiden aus der Kirche.

»Ich hatte keine Ahnung, dass Sie hier sein würden«, sagte ich so locker und leicht wie möglich, als sie neben mir den Gang entlangschritt.

»Ich bin die beste Freundin der Braut«, erwiderte sie, als wäre das eine einleuchtende Erklärung für ihre Anwesenheit. Sie klang eigenartig. Als würde sie sich bemühen, besonders kühl und sachlich zu wirken.

»Was für eine interessante Überraschung an diesem frühen Hochzeitsmorgen.« Ich grinste wieder. Sie reagierte jedoch nicht.

Wir traten hinaus ins Freie. Die Kameras klickten, um das Glück des Brautpaars für die Ewigkeit festzuhalten, die der Reporter waren besonders laut. Jemand wollte ein Statement von Parker haben, der nur sagte, »Wir sind sehr, sehr glücklich«. Dann gingen Parker und Lilly zu einer weißen Kutsche.

Ich hielt mich an Sally, mit der ich, laut Anweisung von Parker, zusammen zu Parkers Anwesen fahren würde.

»Was für eine schöne Trauung«, sagte meine Mutter gerührt und putzte sich die Nase. Sie hatte leicht gerötete Augen, als hätte sie geweint. »Und Lilly sieht hinreißend aus. Die beiden wirken so glücklich miteinander.«

»Es hat ja auch lange genug gedauert, bis sie zusammenkamen«, knurrte mein Vater. Er vermied meinen Blick und starrte an mir vorbei auf die Baumwipfel, die über das Kirchengelände ragten.

»Vielleicht stimmt es ja doch, dass etwas gut wird, wenn es lange währt.« Meine Mutter seufzte sehnsüchtig.

»Nicht unbedingt«, erwiderte ich missmutig. Ich war mit meiner Frau sechs Jahre verlobt gewesen, bevor wir heirateten. Drei Wochen später war sie davongerannt.

Mein Vater sah mich immer noch nicht an. »Es kommt auf den Mann an, ob eine Ehe gelingt«, entgegnete er genauso missmutig wie ich.

»Oder auf die Erwartungen, die andere haben«, knurrte ich zurück.

»Sie sollten sich mal in Ruhe hinsetzen und miteinander sprechen«, sagte auf einmal Sally neben mir, als spürte sie genau, welche Spannungen zwischen mir und meinem Vater herrschten.

Entsetzt starrte ich sie an. Verdammte Psychologin! Sie konnte in meinen Kopf schauen, als wäre er aus Glas. Dabei hatte ich ihr nie etwas wirklich Persönliches über mich erzählt, erst recht nicht über meine verkorkste Ehe, sondern immer alles schön abgeblockt.

»Nicht heute, Blondie«, knurrte ich und wandte mich ab.

»Nein, eher nicht«, entgegnete mein Vater genauso brummig und drehte sich zur anderen Seite. Ich konnte Sallys Blick spüren, als wir zum Auto gingen, das hinter der Kutsche parkte.

»Was ist passiert?«, fragte sie, während wir einstiegen. Immerhin tadelte sie mich nicht, weil ich sie Blondie genannt hatte.

»Mein Bruder hat soeben geheiratet«, erwiderte ich und versuchte, zu meiner typischen Allzweckwaffe zurückzufinden, meinem Grinsen. »Eine Hochzeit ist passiert. Sie waren dabei. Muss ich mir Sorgen um Ihr Erinnerungsvermögen machen?«

Sie gab sich Mühe, nicht genervt die Augen zu verdrehen. »Sie wissen genau, was ich meine. Ihr Vater und Sie, da herrschen gewaltige Spannungen.«

»Die Diskussion darüber heben wir uns für die nächste Sprechstunde auf. Ups, es gibt ja keine mehr. Also können wir wohl nicht darüber sprechen.« Ich schenkte ihr mein charmantestes Lächeln, um meine Worte etwas zu entschärfen. Ich wollte sie nicht ganz verprellen, immerhin sah sie umwerfend aus. Ich wollte sie nur von der Spur abbringen.

Sie schüttelte den Kopf und sah zum Fenster hinaus.

»Sind Sie gar nicht mit Ihrem Freund hier?«, fragte ich, nachdem der Chauffeur den Wagen in Bewegung gesetzt hatte.

»Nein.« Sie klang kurz angebunden.

Wahrscheinlich hatte sie keinen. Oder es gab Stress mit ihm. Hervorragend. Wenn alles gut ging, musste ich heute Nacht nicht allein schlafen. Ich musste nur meinen Charme-Motor anstellen und warmlaufen lassen, dann gehörte sie mir.

»Ich hoffe, Sie schenken mir heute einen Tanz«, sagte ich. »Sozusagen als Abschied, weil ich ja bald nach Perth gehe.«

Sie löste ihren Blick von der Aussicht aus dem Fenster und sah zu mir. Ihre großen blauen Augen schimmerten erstaunt. Ihre Lippen glänzten feucht. Sie hatte verführerischen Lipgloss aufgelegt. Und ich fragte mich, wie ihre Lippen schmeckten.

»Ich tanze nicht mit Patienten«, erwiderte sie knapp, dann sah sie wieder zum Fenster hinaus.

Das war unerwartet gekommen. Ein kurzer Rückschlag, aber nichts, worüber ich mir ernsthafte Gedanken machen müsste. Ich hatte den ganzen Hochzeitstag Zeit, sie um den kleinen Finger zu wickeln.

»Ich bin nicht mehr Ihr Patient. Ich bin ein Mann wie jeder andere. Einem Tanz steht also nichts im Wege. Aber ich will Sie nicht drängeln.« Ich grinste.

Sie sah es jedoch nicht, da sie immer noch zum Fenster hinaussah.

Harter Brocken. Aber so schnell würde ich mich nicht ins Bockshorn jagen lassen.

 

Das Mittagessen ging problemlos über die Bühne. Ich hatte ein paar Gläser Wein getrunken, aber nichts, was ich nicht locker wegstecken konnte. Sally trank nur Wasser und aß einen Salat. Sie saß nur wenige Plätze von mir entfernt, so dass ich einen fast ungehinderten Blick auf sie und ihre Trinkgewohnheiten hatte. Wasser, zwischendurch eine Apfelschorle, dann wieder Wasser. Was war das für eine Frau?

»Sally, Sie sollten den Tag genießen«, sagte ich, als sie aufstand, um sich nach dem Essen die Füße zu vertreten, und ich zufällig ihren Weg kreuzte. Na gut, ich gebe es zu, es war nicht ganz zufällig.

Sie lächelte mich an, obwohl es etwas gekünstelt wirkte. »Ich genieße den Tag, Dave.«

»Tatsächlich? Ich habe eher den Eindruck, sie sehen es als einen Arbeitstag. Ich lasse Sie aber nicht in meinen Kopf hinein.«

»Das habe ich auch nicht vor. Sie sind nicht mehr mein Patient.«

Jetzt klang sie schnippisch. Ihre glänzenden Lippen hatte sie geschürzt, ihre Augenbrauen leicht zusammengezogen. Sie sah hinreißend aus. Zum Küssen sexy. Aber ich hielt mich zurück.

»Dann trinken Sie ein Glas Wein mit mir. Das wird Sie etwas auflockern.«

»Ich brauche keinen Alkohol, um locker zu sein. Und Sie sollten vorsichtig sein. Solche Begebenheiten wie eine Hochzeit können unangenehme Gefühle auslösen, so dass Sie die Kontrolle verlieren.«

Shit. Sie wusste es. Hatte Parker es ihr erzählt? Oder Lilly? Ich war es jedenfalls nicht. Aber vielleicht hatte sie auch in einem alten Klatschblatt über mich gelesen. »Meine verkorkste Hochzeit geht Sie nichts an«, zischte ich. Sie sah verdammt heiß aus, aber ich ließ sie nicht in meinem Kopf herumdoktern.

»Sie waren verheiratet?« Erstaunt sah sie mich an.

»Ich dachte, das wussten Sie?«

»Nein. Ich meinte Hochzeiten im Allgemeinen. Das Überangebot an alkoholischen Getränken, die ausgelassene Stimmung und vielen Menschen, mit denen man auf engem Raum klarkommen muss, können Stress auslösen. Was ist bei Ihrer Hochzeit passiert?«

»Nichts«, knurrte ich und wandte mich ab. Ich ergriff das nächstbeste Glas, das auf einem der Tische stand, und leerte es. Mit entgeistertem Blick sah sie zu.

»Das sollten Sie nicht tun, wenn Sie Ihr Leben in den Griff bekommen wollen.«

Nonchalant zuckte ich mit den Schultern. »Das Leben hat mich im Griff und macht mit mir, was es will. Pläne sind völlig für die Katz, weil es sowieso immer anders kommt. Das Leben passiert einfach, und man muss mit den Dingen klarkommen, die geschehen. «

»Das ist nicht wahr. Das Leben besteht aus den Entscheidungen, die man trifft. Ob man sich von einer Niederlage herunterziehen lässt oder sie als eine neue Chance sieht. Diese Entscheidungen haben Sie selbst im Griff.«

»Sie sind sehr naiv, Frau Psychologin«, sagte ich mit süffisantem Tonfall. »Denken Sie, ich hatte es im Griff, dass meine Frau mit meinem Anwalt durchgebrannt ist, und das ziemlich genau drei Wochen nach unserer Hochzeit?«

Erstaunt zog sie eine Augenbraue nach oben. »Die Ereignisse haben Sie selbst nicht im Griff, das gebe ich zu. Aber Sie können steuern, wie Sie damit umgehen. Sie können es als Ausrede benutzen, um sich völlig gehen zu lassen. Oder Sie lernen daraus, dass diese Frau offensichtlich nicht die Richtige für Sie war, und Sie probieren es mit einer anderen.«

»Ich weiß, dass sie nicht die Richtige war, aber ich werde es auf keinen Fall erneut probieren. Nie wieder! Das war mir eine Lehre!«

»Das ist dumm!«, sagte sie. Sie hatte rote Wangen bekommen, während sie mit mir sprach. »Sie verderben sich wegen einer Niederlage Ihr ganzes Leben, nur weil sie zu bequem oder zu eitel oder zu arrogant sind, um über Ihren Schatten zu springen und diese Schmach als das zu sehen, was es ist: eine Niederlage, die Sie zwar schwer verletzt, aber nicht umgebracht hat.«

O mein Gott, sah sie scharf aus. Ihre Locken wippten bei jedem Wort in ihr Gesicht. Ihre Augen funkelten. Ich starrte auf ihren Mund, der so feucht schimmerte, als würde er mich einladen, sie zu küssen. Ich merkte langsam den Alkohol in meinem Kopf. Ich musste aufpassen, dass ich keine Dummheit beging. Sie war keine Frau, die ich für eine Nacht einfach rumkriegen würde und dann vergessen konnte. Sally Hallmark bedeutete Ärger, nicht nur, weil sie in meinen Kopf schauen konnte.

»Verdammter Mist«, murmelte ich und wandte mich ab. Ich ließ sie einfach stehen und ging zur Bar, wo ich mir einen Wodka geben ließ. Als ich mich zu ihr umdrehte, stand sie verdattert im Raum und sah mir mit rotem Kopf hinterher. Ich hatte sie mit meinem Abgang verletzt, aber ich musste erst einmal etwas trinken, bevor ich weiter mit ihr umgehen konnte.

»Hey, Onkel Dave«, sagte auf einmal eine helle Stimme aus der Nähe meiner Hüfte.

Die Stimme gehörte zu einem etwa siebenjährigen Jungen, den seine Eltern in einen viel zu großen Anzug gesteckt hatten, so dass seine Hände nicht zu sehen waren. Immerhin waren die Hosenbeine umgeschlagen, so dass er nicht darauf trat.

»Hey, du bist Jasper, richtig?«

»Ja. Meine große Schwester hat bei deiner Hochzeit Blumen gestreut.«

Verdammt. Wieso mussten mich heute alle an meine Hochzeit erinnern?

»Und was kann ich für dich tun, Jasper? Du bist so groß geworden. Willst du einen Drink?« Er war der Sohn meines Cousins aus Sydney. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hatte er mit Schnuller im Kinderwagen gesessen.

Die Augen des Jungen begannen zu leuchten. »Würdest du mir einen geben? Mit richtigem Alkohol?«

Er sah so hoffnungsvoll aus, dass es mir fast leid tat, ihn enttäuschen zu müssen. »Für das Teufelszeug bist du noch zu jung. Sonst kannst du alles haben.«

Enttäuscht sackte er in sich zusammen. »Ich trinke schon die ganze Zeit Saft. Das ist langweilig.«

»Sammle den Saft und lass ihn lange genug stehen, bis er anfängt zu gären, dann hast du selbst Alkohol.«

»Das funktioniert?«

»Wenn du es schaffst, den Schimmel fernzuhalten, ja.«

»Das ist cool!«

»Ich sollte dir das aber eigentlich gar nicht sagen.

---ENDE DER LESEPROBE---