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Erst auf dem Sterbebett vertraut Elisabeth Bronthaler ihrem einzigen Sohn Anselm ein schreckliches Geheimnis an: Clemens, sein Vater, starb damals nicht durch einen tragischen Unfall - er wurde in der Lainachklamm ermordet! Doch die schreckliche Tat blieb immer ungesühnt.
Das soll sich nun ändern. Und so reist Anselm nach dem Tod seiner Mutter in das kleine Bergdorf, wo das grausame Verbrechen vor über zwanzig Jahren geschah. Anselm will den Mörder seines Vaters zur Rechenschaft ziehen ...
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Seitenzahl: 137
Cover
Impressum
Mord an der Lainachklamm
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Anne von Sarosdy / Bastei Verlag
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5452-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Mord an der Lainachklamm
Packender Roman um eine ungesühnte Schuld
Von Rosi Wallner
Erst auf dem Sterbebett vertraut Elisabeth Bronthaler ihrem einzigen Sohn Anselm ein schreckliches Geheimnis an: Clemens, sein Vater, starb damals nicht durch einen tragischen Unfall – er wurde in der Lainachklamm ermordet! Doch die schreckliche Tat blieb immer ungesühnt.
Das soll sich nun ändern. Und so reist Anselm nach dem Tod seiner Mutter in das kleine Bergdorf, wo das grausame Verbrechen vor über zwanzig Jahren geschah. Anselm will den Mörder seines Vaters zur Rechenschaft ziehen …
»Wie geht es ihr?«, fragte Anselm Bronthaler besorgt, als er das Krankenzimmer seiner Mutter betrat.
»Sie schläft gerade ein wenig«, antwortete Gabriele Diringer, in deren Obhut die Kranke die letzten beiden Stunden verbracht hatte.
Das sollte tröstlich klingen, doch der besorgte Ausdruck in Gabrieles freundlichen Augen stand dazu im Widerspruch.
»Ich bleib jetzt bei ihr. Vielen Dank, dass du dich um sie gekümmert hast.«
Gabriele, eine mütterliche Frau, der die Reife gut zu Gesicht stand, erhob sich von ihrem Stuhl neben dem Bett, und Anselm nahm ihren Platz ein. Kummervoll ruhte sein Blick auf dem Gesicht seiner Mutter, das im Schlaf gelöst wirkte.
Wie schön Elisabeth Bronthaler noch immer war trotz der schweren Krankheit, die unbarmherzig in ihrem Körper wütete und alle Lebenskraft aus ihr sog!
Er lauschte ihren ungleichmäßigen Atemzügen, die manchmal in ein Seufzen übergingen, sodass er zusammenzuckte. Am liebsten hätte er dann nach ihrer Hand gegriffen, doch er hielt sich zurück, denn er wollte sie nicht wecken. Es war schwer genug für seine Mutter geworden, Schlaf zu finden.
Langsam brach die Dämmerung herein und verschattete die Kammer unter dem Dach des Diringerhofs. Hier hatte Elisabeth einst Arbeit und Unterkunft gefunden, und sie und ihr Sohn waren zu Familienmitgliedern geworden. Eine glückliche Kindheit hatte er hier verbracht. Die Diringers hielten ihn wie einen Sohn, und ihre einzige Tochter war seine Spielgefährtin und Vertraute gewesen.
Doch nun schien Elisabeths Leben lang vor der Zeit zu erlöschen, und damit würde auch diese unbeschwerte Jugendzeit zu Ende gehen.
Er versank tief in Gedanken und schrak erst auf, als seine Mutter fast unhörbar seinen Namen flüsterte. Sofort stand er auf, machte die Nachttischlampe an und stützte behutsam ihren Kopf, damit sie in durstigen Zügen von dem Tee trinken konnte, der immer bereitstand. Die Krankheit schien sie innerlich zu verbrennen, und auch wenn sie inzwischen die Nahrung verweigerte, so litt sie doch ständig unter Durst.
Danach ließ sie den Kopf wieder auf das Kissen sinken.
»Bring du mir das Kastl, Anselm«, sagte sie tonlos.
Das »Kastl«, das Elisabeth in der Kommode aufbewahrte, enthielt alles, was ihr in ihrem kurzen Leben so von Bedeutung erschienen war, dass sie es sorgsam in dem geschnitzten Holzkästchen hortete. Einiges davon hatte sie Anselm in seiner Kindheit gezeigt – Kinderbilder, ihr Elternhaus und eine Ansicht des Gebirgsdorfes, aus dem sie stammte –, doch er hatte immer den Eindruck gehabt, dass sie ihm vieles verschwieg.
Elisabeth nahm das Kästchen mit zitternden Händen in Empfang und öffnete es. Dann fuhren ihre Finger suchend darin herum.
»Es ist an der Zeit, dass du alles erfährst, Anselm. Du bist inzwischen alt genug«, sagte sie.
Sie zog eine Fotografie mit zerfaserten Rändern heraus, die sie wohl oft in den Händen gehalten hatte.
»Das ist der Bronthalerhof, dort bin ich aufgewachsen. Hof ist eigentlich übertrieben, es war nur ein kleines Gütl, wir waren Kleinbauern. Aber die Mutter hat noch durch Näharbeiten dazuverdient, und so hat es uns an nichts gemangelt. Immer hab ich mich dorthin zurückgesehnt, immer …«
Tränen waren in die Augen seiner Mutter gestiegen, und Anselm streichelte beruhigend ihre Hand.
»Warum bist eigentlich von zu Hause weggegangen?«, fragte Anselm.
Er hatte gewusst, dass seine Mutter unter Heimweh litt, doch niemals hatte sie preisgegeben, warum sie die geliebte Bergheimat verlassen und in eine ländliche Gegend in der Nähe von München gezogen war. Soweit er wusste, hatte sie nie mehr dem kleinen Dorf einen Besuch abgestattet.
»Das will ich dir heut erklären. Ich hätte es schon längst tun müssen, aber ich hab es immer wieder hinausgeschoben. Denn es ist keine schöne Geschichte.«
Ihre Züge nahmen einen gequälten Ausdruck an, der Anselm zutiefst beunruhigte.
»Hat es etwas mit meinem Vater zu tun?«
Von seinem Vater wusste Anselm nur, dass er schon vor seiner Geburt gestorben war. Sonst durfte nicht über ihn gesprochen werden, weil alles, was mit ihm zusammenhing, Elisabeth unerträgliche Schmerzen zu bereiten schien. Nie war sie über den Tod seines Vaters hinweggekommen, nie hatte es einen anderen für sie gegeben.
Elisabeth gab keine Antwort, sondern suchte erneut in dem Kästchen herum, bis sie ein ganz bestimmtes Bild gefunden hatte. Mit zitternden Händen reichte sie es ihrem Sohn, der es behutsam in Empfang nahm.
»Das ist er, dein Vater, Clemens Rottinger. Damals war er so alt wie du jetzt«, sagte sie mit schwankender Stimme.
Anselm erschrak, als er die Aufnahme in Augenschein nahm.
Das Foto zeigte einen jungen Mann in ländlicher Tracht, der lachend auf einer blühenden Alm stand. Mit seinen regelmäßigen Zügen, den leuchtenden Augen und dem dunklen Lockenhaar war er ungewöhnlich gut aussehend. Er strahlte Lebensfreude und Frohsinn aus, nicht ahnend, wie kurz seine Daseinsspanne auf Erden bemessen sein würde.
»Er schaut genauso aus wie ich«, stieß Anselm hervor.
»Du bist sein Ebenbild, sogar seine grünen Augen hast du von ihm geerbt. Nur im Wesen unterscheidet ihr euch. Du bist ernster, nachdenklicher. Mein Clemens war immer heiter, hatte immer einen Scherz auf den Lippen. Aber er war net oberflächlich, er hat ein gutes Herz gehabt. Dass du ihm so ähnlich bist, war immer ein Trost für mich. So, als ob er in dir weiterleben tät«, schloss sie mit versagender Stimme.
Anselm reichte ihr die Teetasse und wartete, bis sie wieder zu Kräften gekommen war, um weiterzusprechen.
»Und hier ist noch ein Bild von uns beiden, das hat ein Freund aufgenommen. Da hatten wir gerade beschlossen zu heiraten.«
Das junge Paar stand eng beieinander, Clemens hatte den Arm zärtlich um Elisabeth gelegt. Wie schön seine Mutter in diesem Augenblick, der ihr Glück erfasste, gewesen war! Seine Eltern schienen damals untrennbar vereint, und doch würde ein grausames Schicksal sie bald auseinanderreißen.
»Wir haben uns schon als Kinder gekannt, wie das halt so ist auf dem Dorf. Doch erst auf einem Schützenfest haben wir uns plötzlich mit anderen Augen gesehen. Beim anschließenden Tanz hat Clemens mich aufgefordert, und wir sind bis zum Kehraus zusammengeblieben. Und bald danach waren wir uns einig, dass wir unser ganzes Leben zusammenbleiben wollten. Wir waren so selig damals, wahrscheinlich, weil uns nur diese kurze Zeit geschenkt worden war …«
Ein Seufzer, der wie ein Schluchzen klang, kam über ihre blassen Lippen.
»Dabei hatten wir es nicht leicht«, fuhr Elisabeth schließlich fort.
»Wie meinst du das?«
»Nun, du musst wissen, dass der Clemens aus einer sehr reichen Familie stammte. Sein Vater war net nur der größte Bauer im Tal, sondern er besaß auch ein Sägewerk im Nachbarort, weil ihm ein großes Waldgebiet gehörte, das er bewirtschaftete.«
Anselm war froh, endlich etwas über seinen Vater zu erfahren, und er hörte der Mutter aufmerksam zu.
»Außerdem hatte er in der ganzen Gegend Grund und Boden an sich gerissen und an die Kleinbauern verpachtet. Viele Menschen waren von ihm abhängig, und er spielte bereits in der Lokalpolitik eine Rolle. Da kannst du dir denken, dass ein armes Madl ihm als Schwiegertochter net willkommen war.«
»Hat er versucht, euch auseinanderzubringen?«, fragte Anselm erregt.
»Ja, ihm war jedes Mittel recht. Wir konnten unsere Liebe halt net verbergen, und sobald es im Dorf herumging, dass wir ein Paar waren, fing er an, Clemens davon zu überzeugen, dass ich net die Richtige für ihn wäre. Aber dein Vater hat zu mir gehalten. Eher hätt er alles aufgegeben, als mich zu verlassen. Sogar mein Vater ist vom Rottinger bedroht worden, er wollte dafür sorgen, dass er sein Gütl verliert. So ein Mensch war Sixtus Rottinger, man hätt net meinen können, dass Clemens sein Fleisch und Blut war.«
»Gab es eigentlich noch Geschwister?«
»Ja, einen jüngeren Bruder, Franz, der ist mehr nach seinem Vater geschlagen. Er hat mir nachgestellt, um einen Keil zwischen Clemens und mich zu treiben. Wahrscheinlich hat sich das der alte Rottinger ausgedacht, das hätt ihm ähnlich gesehen.«
»Das ist ja eine schöne Verwandtschaft«, bemerkte Anselm kopfschüttelnd.
»Aber du bist anders«, wandte Elisabeth mit weicher Stimme ein.
»Ich weiß, dass es dir schwerfällt, darüber zu reden. Aber wie ist mein Vater überhaupt zu Tode gekommen – war es ein Unfall?«, fragte Anselm nach einer Weile zögernd.
Elisabeths Züge verzerrten sich.
»Es war kein Unfall. Dein Vater ist ermordet worden.«
Anselm fuhr zurück.
»Deshalb hast du nie … du wolltest mich schonen«, stammelte er.
»Ja. Ich wollt deine Kindheit net mit dem Verbrechen, das an deinem Vater begangen worden ist, verdunkeln. Doch jetzt sollst du alles erfahren.«
»Aber wer hätt ihm denn etwas antun sollen? Er soll doch beliebt gewesen sein und hat sich nichts zuschulden kommen lassen, so wie du ihn mir geschildert hast. Eher warst doch du im Weg und nicht er.«
Elisabeth wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht.
»Du musst wissen, dass ich viele Verehrer gehabt hab zu meiner Zeit. Dass Clemens nicht nur ein großes Erbe zu erwarten hatte, sondern auch noch das schönste Madl im Tal bekam, hat man ihm natürlich geneidet. Jemand muss ihn aus tiefster Seele gehasst haben, denn sein Tod war so grausam.«
Während des Sprechens traten erneut Tränen in Elisabeths Augen.
»Er ist erschlagen worden, und dann hat man ihn die Lainachklamm hinuntergestürzt. Vielleicht hat er da sogar noch gelebt. Man hat ihn lang net gefunden, denn die wilden Wasser gingen über ihn. Noch net amal anschauen durft ich ihn und Abschied nehmen, bevor er beerdigt worden ist.«
Anselm war so erschüttert, dass sich seine Kehle zusammenschnürte. Was musste seine Mutter gelitten haben!
»Und danach fingen die Gerüchte an. Es hieß, Clemens hätte heimlich gewildert und sei mit anderen Paschern aneinandergeraten, was zu seinem tragischen Ende geführt hätte. Am schlimmsten war aber, dass ich verdächtigt wurde, ein Gspusi mit einem anderen Mann zu haben, der Clemens aus Eifersucht erschlagen hätte. Das hat bestimmt Sixtus Rottinger aufgebracht, denn er ließ seinen ganzen Schmerz und seine Wut über den Tod seines Sohnes an mir und meiner Familie aus.«
Es kostete Elisabeth große Anstrengung, über all das zu sprechen.
»Er hat sogar dafür gesorgt, dass ich net zur Beerdigung hab gehen können. Aber ich hätt es eh net ertragen, wie mein geliebter Clemens … Das alles war zu viel für meinen Vater, der seit dem Verlust von meiner Mutter nimmer derselbe war. Er erlitt einen Herzanfall und starb kurz darauf. Nun war ich auf mich allein gestellt. Immer hab ich meine Bergheimat geliebt, hab mir nie vorstellen können, woanders zu leben.«
Mühsam rang Elisabeth um Fassung.
»Doch die Verleumdungen und Verdächtigungen, die Gerüchte, die im ganzen Dorf herumgingen, waren unerträglich für mich. Immer hab ich darüber nachgegrübelt, wer imstande gewesen sein könnte, meinem Clemens das Leben zu nehmen. Sogar seinen Spezis hab ich misstraut, obwohl er von Kind an mit ihnen befreundet war und sich jede Woche mit ihnen zum Stammtisch getroffen hat. Wart, hier ist eine Aufnahme von ihnen.«
Anselm betrachtete eingehend die etwas unscharfe Fotografie, die fünf lachende junge Männer zeigte. Selbst auf diesem Bild war nicht zu übersehen, dass Clemens den Mittelpunkt der kleinen Gruppe bildete, denn er war eine beeindruckende Erscheinung mit großer Ausstrahlung. Ohne Zweifel war er eine starke Persönlichkeit gewesen.
»Kannst du mir was über die Spezis erzählen?«, fragte er in beiläufigem Tonfall.
Elisabeth versuchte sich aufzurichten, aber es misslang.
»Neben ihm steht sein engster Freund, der Hirzler-Toni. Dem trau ich das am wenigsten zu. Er war von Natur aus ein zufriedener Mensch und bereits Ehemann. Auf der anderen Seite, das ist der Sohn vom Bürgermeister, der Luitpold Zauner, aus dem bin ich nie richtig klug geworden. Er hat mir amal einen Antrag gemacht, bevor dein Vater und ich ein Paar geworden sind. Und das sind die Hofeggers, zwei Brüder, die nur ein Jahr auseinander sind und sich so ähnlich sehen, dass man sie für Zwillinge gehalten hat. Das waren zwei wilde Burschen, denen war nichts heilig«, schloss sie.
»Schon seltsam, dass die sich zusammengetan haben«, meinte Anselm, während er unverwandt auf die Fotografie sah.
Elisabeth schien das weniger zu wundern.
»Auf dem Dorf ist das halt so, da kann man sich seine Spezis net so aussuchen wie in einer größeren Stadt. Aber im Allgemeinen halten die, wie Pech und Schwefel zusammen, manchmal sogar im Alter noch.«
»Und so bleiben die Dorfgeheimnisse oft lange, manchmal sogar für immer gewahrt, weil jeder die Missetaten des anderen deckt.«
Ein Schauder lief über Elisabeths Körper.
»Wie das klingt, Bub …«
»Ist es nicht so? Jedenfalls kann ich verstehen, dass du schließlich lieber von dort weggegangen bist.«
»Ja, bei Nacht und Nebel, wie man so sagt. Das Gütl ist verpachtet worden, und durch eine glückliche Fügung hab ich hierhergefunden. Als dann offenbar war, dass ich ein Kind von meinem Liebsten erwartet hab, hat mein Leben wieder einen Sinn bekommen. Mein geliebter Clemens hat mir ein Vermächtnis hinterlassen, einen Sohn, der mir immer nur Freude bereitet hat.«
Ihre Hände fanden sich, und Anselm schämte sich der Tränen nicht, die ihm in die Augen gestiegen waren.
»Und danach bist du nie wieder in deinen Heimatort zurückgekehrt, und niemand weiß, dass du einen Sohn hast«, sagte Anselm nachdenklich.
Elisabeth nickte. »Und so soll es auch bleiben. Ich bin es dir schuldig gewesen, dass du die Wahrheit über den frühen Tod deines Vaters erfährst, aber es ist besser, wenn du die Dinge ruhen lässt. Denn ich will net, dass du dich in Gefahr begibst«, fügte sie mit großem Nachdruck hinzu.
Mit zitternden Fingern sammelte sie den Inhalt des Kästchens ein und schloss mit einer entschiedenen Bewegung den Deckel.
»Mach dir keine Sorgen, Mutterl«, beschwichtigte Anselm sie.
»Welche Mutter macht sich keine Sorgen. Versprich mir, dass du nichts unternimmst, Anselm«, beschwor sie ihn.
»Du weißt doch, dass ich nie etwas überstürze und erst sehr lange darüber nachdenke, bevor ich etwas in Angriff nehme. Deswegen bin ich schon oft genug verspottet worden«, gab Anselm mit einem Lächeln zur Antwort.
Anselm war schon von frühester Jugend an besonnen gewesen und hatte sich alles genau überlegt, bevor er handelte. Das wurde fälschlicherweise oft als Langsamkeit und mangelnde Entschlusskraft ausgelegt, doch das traf nicht zu. Er wusste immer ganz genau, was er wollte, und setzte sein Vorhaben zielstrebig in die Tat um.
»Leg es zurück in die Kommode«, wies sie ihn an. »Und denk nimmer dran. Vielleich hätt ich dir doch net …«
Sie verstummte, und Schweißperlen traten auf ihre Stirn. Die schmerzliche Rückerinnerung war über ihre Kräfte gegangen. Anselm, der sich von der Kommode umwandte, um wieder seinen Platz einzunehmen, erschrak.
»Brauchst du deine Medizin?«
»Ja, aber net so viel. Ich will mich noch ein Weilchen mit dir unterhalten«, sagte sie mit mattem Lächeln.
Nachdem sie das Schmerzmittel genommen hatte, entspannte sie sich wieder und griff nach Anselms Hand.
»Aber es hat dann doch noch schöne Zeiten für mich gegeben, und das verdanke ich hauptsächlich dir«, sagte sie zärtlich.
Und während sie sich unterhielten, wurden jene glücklichen Stunden wieder lebendig, die Mutter und Sohn miteinander verbracht hatten. Ausflüge zur Alm, aber auch Besuche in die Landeshauptstadt, wo der kleine Anselm an der Hand Elisabeths staunend durch die Straßen gewandert war.
Später hatten sie sogar den Turm von St. Peter bestiegen, von wo aus man einen weiten Blick bis ins Gebirge hatte. Damals hatte sie ihm nicht verraten, dass sie deshalb so lange in eine Richtung blickte, weil dort in weiter Ferne ihre Bergheimat lag.
Anselm war froh, seine Mutter so unerwartet lebhaft zu sehen, einmal klang sogar ihr warmes Lachen auf, das er immer so an ihr geliebt hatte, als sie von einem seiner eher harmlosen Streiche erzählte.
»Ich wünsch dir ein gutes Leben, Anselm. Und bleib dir selber treu«, sagte sie plötzlich mit einer ganz anderen Stimme, die von weither zu kommen schien.
»Schlaf jetzt, Mutterl«, sagte er liebevoll und legte behutsam ihre Hand auf die Bettdecke, nachdem sie die Augen geschlossen hatte.