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Der Band enthält vier anrührende Erzählungen mit den Titeln: Am Ende der Welt. – Trommelwirbel. – Der Osterhase. – Osterglocken.-
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Unterhaltungserzählungen, Liebe, Ostern, Frauenschicksale, Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts, Gesellschaft
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Seitenzahl: 173
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Nataly von Eschstruth
Saga
Am Ende der Welt
German
© 1905 Nataly von Eschstruth
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711472866
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Droben im Hochgebirge, wo die Fahrstrasse sich mühsam über den Pass windet und die letzten, hohen, schwarzgrünen Tannen den Weg säumen, ehe sie mehr und mehr zusammenschrumpfen zu Unterholz und niederem Busch, steht ein kleines, dürftiges Häuschen, in welchem der Wildhüter jahraus, jahrein in tiefster Weltabgeschiedenheit haust.
Obwohl das armselige Gebäude sehr geschützt steht, eine hohe Felswand die eine Seite und die mächtige Tannenkulisse jenseits der Fahrstrasse seine Front schützt, ist das tief niederhängende Dach doch mit gewaltigen Felssteinen beschwert, die winzigen Fensterchen tragen verwitterte Holzläden und die Haustür ist durch einen dicken Querbalken geschlossen, als gälte es, eine Festung vor dem Feind zu schützen.
Der Postillon, welcher alle zehn oder vierzehn Tage, je nachdem im Sommer Verkehr und Bestellgut vorhanden, an dem Häuschen vorüberfährt, hat selten, fast nie, Fenster und Türen offen gesehen.
Er kennt den Wildwärter kaum von Angesicht, denn der hat tagsüber in den Forsten seinen Dienst zu versehen, und trifft es sich zufällig mal, dass eine Extrapost mit eiligen Touristen am Sonntag fährt, so sieht man vielleicht den wetterharten, kernigen Mann in der grauen Joppe, den wildledernen Kniehosen und nägelbeschlagenen Bergschuhen auf der Bank sitzen und allerlei hölzernen Hausrat schnitzen. Er schaut dann kaum auf, nickt kurz und ernsthaft sein „Grüss di Gott!“ und hat nie ein Schneid darauf, sich in einen längeren Schwatz einzulassen.
Wer sonst noch bei ihm haust, weiss der Schwager nicht, — nur der hochwürdige Herr Kaplan, welcher zu den hohen kirchlichen Festtagen selber über den Pass nach dem hochgelegenen Dörfchen D. an der jenseitigen Gebirgswand fährt, — oder seinen Vertreter schickt, des heiligen Amts zu walten, der hat ein paarmal am Wildhüterhäuschen angeklopft, und da ihm voll freudiger Hast und mit grosser Ehrerbietung geöffnet wurde, hat er ein Stündchen in Stube oder Garten verweilt, einmal sogar vom Wildhüter mit blassem Angesicht und schmerzbebenden Lippen erwartet, mit der Bitte, sein sterbendes Weib zu segnen und das Neugeborene zu taufen.
Der Kaplan war wohl der einzige, welcher im Hause des Aloys Beckhaber Bescheid wusste. Frohes aber konnte er nicht davon erzählen. Der Aloys war ehemals Flosserknecht gewesen, ein hübscher, bildsauberer Bub, welcher es der hübschen Kathi, dem Stubenmadel aus dem Herrenschloss, angetan hatte.
Waren beide wohl reich an Liebe und Hoffnung, aber blutarm an Geld und Gut, und an Heiraten konnte der Aloys schon gar nicht denken.
Da kam der Kathi ein gescheiter Gedanke. Sie hatte in der Johannisnacht geträumt, sie hause als des Aloys schmuckes Weiblein in einem gar saubern, kleinen Waldhaus, und am Morgen kam der Forstläufer ins Schloss und erzählte, der alte Nazi, der Wildhüter am Pass droben, sei in eine Klamm abgestürzt und tot liegen geblieben.
Es sei gut, dass Seine Kaiserliche Hoheit der Erzherzog nun bald zu den Jagden hier einkehre, da werde er wohl selbst des Nazi Nachfolger bestimmen!
Allsogleich schoss der Kathi der gute Gedanke durch den Kopf, und als der Erzherzog und seine erlauchten Jagdgäste wie alljährlich im Schlosse eintrafen, da machte sich die Kathi eines Morgens ganz besonders schmuck und wusste so lange im Zimmer des hohen Herrn zu hantieren, bis der Erzherzog eintrat und auf das respektvolle „Grüss Gott!“ der Kleinen in leutseliger Weise durch eine Ansprache antwortete.
Da war der wichtige Augenblick gekommen. Wohl schlug der Kathi das Herz im Halse, aber sie nahm allen Mut zusammen und fing an, dem Erzherzog zu erzählen, dass sie ja wohl eine grosse Bitte auf dem Herzen habe — der aber lachte lustig auf und rief: „Kathi — ich schau dir’s an der Nas’ an, das gilt um einen Schatz!!“
„O mei! was bist’ gescheit!!“ entsetzte sich das Dirndel, und nun sprudelte es über ihre Lippen vom Aloys, der ganz gewiss der schönste, schneidigste und feschste Bub im Land sei — Eure Kaiserliche Hoheit ausgenommen! — und dass er wie kein anderer zum Wildhüter passen täte — und dass sie dann gleich Hochzeit machen könnten, und dass dies eine Guttat vom Erzherzog sein würde, die alle Engerl im Himmel auf ein goldnes Papierl schreiben würden!
Da lachte der hohe Herr noch mehr und sagte: „Wenn du das mit dem goldenen Papierl für gewiss hältst, dass es nachen nit etwa doch nur ein silbernes ist — dann schick mir deinen bildsauberen Aloys morgen früh in die Rentei, will seh’n, ob er noch nit ein Wild gehieselt hat, — und wenn er wirklich so ein Blitzbub ist wie du sagst, dann soll er das Pöstel haben und die Kathi dazu!“
O Jankerl, war das ein Freud’!
Mit blitzenden Augen hat der Aloys im besten Sonntagsstaat vor dem fürstlichen Herrn gestanden, und der Erzherzog hat wieder schalkhaft gelacht und gemeint: „Das Katherl hat recht, der Bub ist so grausi schön, dass er und nie ein anderer Wildhüter werden muss!“
Da war das Glück da!
Viele meinten, es sei bescheiden genug, und die Einsamkeit droben wäre nicht allzu verlockend, aber die beiden Liebesleute waren anderer Meinung und so glückselig, dass allen das Herz aufging, die sie nur sahen.
Und nach vierzehn Tagen schon war Hochzeit, und der Erzherzog und alle hohen Jagdgäste standen just im Schlosshof, als die Neuvermählten aus der Kirche kamen.
Da rief der Erzherzog: „Frau Katherl, tu einmal die Schürz auf!“
Und hui flog ein Goldstück hinein.
Die anderen Herren drängten lachend herzu und kling-kling-kling ging es in die buntblumige Schürze.
Atemlos stand die Kathi und vergass in ihrem starren Staunen jedes „Vergelts Gott!“, der Aloys aber ward blutrot im Gesicht, lachte, dass seine weissen Zähne blitzten, und drehte den Grünhut in den Händen.
„Da weiss i auch rein gar nix zu sagen, ihr hohen Herren!“ stammelte er, und als er sich endlich auf eine schickliche Rede besonnen hatte, da waren die vornehmen Jäger schon auf und davon, — aus dem Schloss heraus hörte man noch ihre heiteren Stimmen.
Nun war das Kathi nicht nur eine glückliche, sondern auch sehr reiche Frau geworden, denn an hundert Gulden waren es wohl, die da in seiner Schürze klangen.
Auf das Wildhüterhäuschen aber schien die Sonne heller wie je zuvor, und wenn dermalen die Postchaise vorbeirollte, so sah der Postillon jedesmal ein blühendes junges Weib in der Tür stehen, der lagen die dicken Zöpfe wie gesponnenes Gold um den Kopf, die lachte und nickte ihm zu, und noch fern am Fels droben hörte er ihren hellen Gesang über die Alm klingen. Der Aloys war ein pflichttreuer, glückseliger Mann, und der Erzherzog meinte im andern Jahr, so gut wie heuer sei das Hochwild noch nie überwintert, der Beckhaber sei gut auf die Futterplätze bedacht gewesen.
Jahr um Jahr verging.
Das schlanke Katherl ward allweil ein wenig rundlicher, und lachen und singen tat es auch noch, aber der Postillon meinte: „Ganz so lustig wie eh’ sei es nicht mehr.“
Und auch der Aloys rauchte oft still und nachdenklich die Pfeife, und dann sah er seinem Weib in die Augen und beide seufzten tief auf. —
Ja, was nützte nun Haus und Hof und das Geld im Kasten, wenn es gar so öd und still im Stüblein blieb und die grosse, holzgeschnitzte Wiege Jahr um Jahr leer stand? —
Die schönsten Enzianen, Almrausch und Windröslein suchte die Kathi, brachte es zu dem Bildstöckel am Weg, kniete nieder und betete so recht voll Inbrunst und heisser Zehnsucht.
Jahr um Jahr. —
Und als der Hochzeitstag zum zwölftenmal wiedergekehrt war und das Kathi mit rotgeweinten Augen der heiligen Mutter Gottes die schönsten Edelweisssterne brachte, welche der Aloys seinem armen Weibe zur Freude für diesen Tag gesucht hatte, da deuchte es der Beckhaberin, als ob die hohe Himmelskönigin ihr gar wundersam ernst und wehmütig zugenickt habe, grad als wolle sie sagen: „Wenn du mir gar keine Ruhe lässt, so magst deinen Willen haben, ob aber so was Ertrotztes gut ist, das ist eine andere Sache!“ —
Das hörte und verstand aber das Kathi nicht, und als wieder ein paar Wochen ins Land gezogen waren, da schritt es plötzlich umher mit verklärtem Angesicht und lächelte ganz still und heimlich, der Aloys aber war wie von Sinnen und warf sein Grünhütel in die Luft und fing’s mit einem hellen Juchzschrei wieder auf. —
„Kathi, — wann’s ein Bub ist — nachen soll er Wendl heissen, nach dem heiligen Wendelin, zu dem i alle Tag bet’ hab!“
„Und wann’s ein Madel ist, nennen wir’s Mirl, denn weisst, i hab der heiligen Gottesmutter alle Tag die schönsten Blümerln bracht, da hat’s mi erhört!“
Als an den Kiefern die gelben Blütenkolben ihren duftigen Staub streuten und Tausende von Bienen sie umschwärmten, da hielt die gelbe Postchaise vor dem Wildwärterhaus still, und eine alte Frau, die Mutter des Aloys, kletterte andächtig heraus, drückte ihrem glückstrahlenden Sohn die Hände und fragte ernsthaft: „Ist’s so weit?“
„Grad recht, dass Ihr kommt, Mutterl!“ nickte der mit bebender Stimme, fasste glückselig die beiden Bündel, welche die Alte mitbrachte, und trug sie ins Haus. —
Dann kam das Glück noch einmal, so hell, so gross und sonnig, dass es die Augen blendete. In der Wiege lag ein dicker, strammer Prachtbub, so gross und stark wie kein anderer, und die Kathi und der Aloys schluchzten vor Glückseligkeit. —
Dann versiegten die Tränen der jungen Mutter, und die, welche der Beckhaber allein noch weiter weinte, waren Tränen bittern, unsäglichen Herzeleids.
Die Kathi war tot, die alte Grossmutter wiegte den Wendl, und der Aloys irrte wie ein Verzweifelter durch die dunklen Wälder, und als er heim kam, war er ein stiller, ernster Mann geworden.
Die Grossmutter blieb bei dem Wendl und führte dem Sohn die Wirtschaft.
Sie sah wohl schon alt und runzlig aus, aber das kam nur von der harten Arbeit, von Not und Sorge ums tägliche Brot, welche ihr das ganze Leben hindurch ein trauriges Geleit gegeben.
So hoch bei Jahren war die Beckhaberin noch nicht, dabei eisern und hart geschmiedet in dem Feuer des Lebens, und so konnte sie die Arbeit im Häuschen und in dem kleinen Garten noch gut bewältigen, auch das Büblein sorgsam pflegen, damit das mutterlose dennoch zu seinem Rechte kam.
Ja, die Grossmutter fühlte sich gar bald wohl und behaglich in dem stillen Heim, welches ihr so üppig und schön deuchte, dass sie vermeinte, auf ihre alten Tage noch ein gar reputierliches Leut geworden zu sein.
Sie sang zwar noch mit leiser, kurzatmiger Stimme das kleine Hascherl in den Schlaf, aber sonst war es so ruhig im Hause geworden, wie ein Grab.
Der Aloys schaffte den ganzen Tag im Walde draussen, und die Grossmutter schloss die Fensterläden und die Tür nach der Strasse zu ab und sprach: „Die Zeiten sind unsicher, ich bin ein altes Weiblein und kann nicht gegen Gesindel aufkommen; der Aloys mag durch das Gartenpförtchen heimkommen, das liegt hinten am Fels und kennt keiner.“ So sass sie Tag für Tag in der Küche am Herdfeuer und spann, und der Wendl wuchs zu ihren Füssen heran, sein lustig krähendes Stimmlein war der einzig frohe Laut, welcher den heimkehrenden Wildhüter begrüsste.
So gingen drei Jahre hin, und die Grossmutter sprach zu ihrem Sohn: „Schaff Holz herzu, mein Bub, und zimmere eine sichere und hohe Wand um den kleinen Hof, damit der Wendl allein sein kann, ohne Schaden zu nehmen. Schau, ich hab’ mein’ Arbeit, und die Füss sind nimmer flink, — ich kann nicht arg viel auf das Hascherl passen, und wenn es auf und davon läuft in den Forst, ist’s aus mit ihm. Da find sich’s nimmer z’rück und stürzt ab in die Klamm und geht zugrunde.“
Der Aloys war aschfahl im Gesicht bei solchen Worten, nahm Axt und Säge und schaffte mit nervigen Armen.
Da stand bald eine gewaltig hohe Lattenwand rings um den kleinen Hof und das Wurzgärtchen, über die konnten höchstens die Vögel, aber nie nit der Wendl hinaus, und der Beckhaber wischte sich aufatmend den Schweiss von der Stirn und sprach: „Nun setz das Bübli in aller Heiligen Namen ins Gras, nun kann es nicht zu Schaden kommen und du hast’s allweil unter Augen.“
So geschah’s, und der Wendl spielte einsam und allein in seinem einsamen, weltvergessenen Winkel.
Der Herbst war gekommen.
Von dem Hochgebirge herab sauste der eisige Sturm und warf den Felszacken und schlüchtigen Wänden den ersten weissen Mantel um. Die Tannen rauschten und ächzten und schütteten über den Lattenzaun herüber ihre langen Zapfen auf den Hof, damit sie der Wendl gar geschäftig zusammentragen und neben dem Herd aufschütten konnte, dieweil die Grossmutter lachte und sagte: „Nun hab’ ich’s fein kommod, das Feuerzünden!“
Die Fahrstrasse herauf keuchten die vier Rosse und schleppten mit sturmgezausten Mähnen die Post über den Pass, aber vor dem Wildhüterhäuschen knallte plötzlich des Schwagers Peitsche.
„Brr!“ schrie er. „Beckhaber, bist daheim?“ und dann wandte er sich zurück und schaute auf eine junge Frau, welche mit einem kleinen Kind auf dem Arm aus der gelben Postkutsche herauskletterte und mit betroffenem Blick auf das totenstille Häuschen starrte, das mit seinen geschlossenen Fensterläden dastand wie tot und ausgestorben. „Macht nix, Frau, dass es so still ist! Schlag a Lärm und klopf! Nachen tut schon eins auf!“
Und die junge Bäuerin mit dem schwarzen Kopftuch seufzte und sagte kopfschüttelnd: „Jessas! ist dös a Einsamkeit! Wer hier a paar Jahrdeln haust, wird verrückt!“ — Aber sie schritt zur Haustüre, griff ein Stück Holz auf und hämmerte gegen die Tür.
„Heda! Frau God! seid’s nöt daheim?“
„Allweil kommt’s!“ nickte der Postillon.
Ein Fensterladen ward ein klein wenig aufgetan.
„Wer ist draus?“ fragte die Beckhaberin.
„Ei liebe Frau God! kennt’s Euch nit mehr aus auf mi? ’s Lenerl, — der Silkbäuerin ihr armes Lenerl, das Ihr über die Tauf gehalten habt, bin i, und weil i so arg tief im Elend bin, vermein’ i, — Ihr nehmt mi um der heiligen Jungfrau willen auf!“
„’s Lenerl! — Gott erbarm’ sich, ’s ist das Lenerl!“ klang die Stimme der alten Frau, der Fensterladen schlug zu und es blieb ein Weilchen still, dann rief eine Stimme hinter der Haustür: „Gleich komm’ ich! Schau, Lenerl, die Tür ist zug’pflöckt, — geh’ um den Zaun herum, ich lass dich zum Hinterpförtel ein!“
„Na, da bist ja aufgenommen, Frau!“ sagte der Postillon zufrieden. „Gehab dich wohl, und verlustier dich nit allzuviel hie droben!“ Er lachte und schnalzte den Pferden mit der Zunge, da zogen sie wieder an.
Das Lenerl aber machte ein recht sauertöpfisches Gesicht und murmelte: „Spott mich nur aus! Ich hab kein’ Wahl mit ’m Unterschlupf, und mit dem Verlustieren ist’s für eine Witfrau so schon aus!“
Sie wickelte das Kind auf ihrem Arm fester in das Tuch und schritt um das Haus herum, bis sie die kleine Pforte im Zaun fand, an welcher bereits die Grossmutter stand und der Nahenden mit angstvoll grossen Augen entgegenstarrte.
„Ei, Lindbäuerin, äfft mich’s Gesicht, oder bist’s fein selbst? und um solche Zeit kommst da herauf, mit dem Kind gar ... und hast ein schwarz Tüchel um ... und hab’ vermeint, du sitzest drunten im reichen Bauernhof zwischen lauter Speck und Würst und weisst gar nix mehr von der alten God am Pass droben!“
Da fing die junge Frau bitterlich an zu weinen, und das Kind auf ihrem Arm weinte auch, und sie traten in das Haus.
„Ach God, was Ihr an mir schaut, ist nix als ein Häuflein Elend! — Speck und Wurst sind aufgebrannt. — Der Lindbauer, mein Mann, ist ein Loderer gewest und hat gesoffen und gespielt und all sein reiches Erbe verbracht, und wie ihm das Messer am Hals gesessen ist, dass er nimmer aus und ein gewusst hat, da hat er an seine hohe Feuerkass’ gedacht, und hat selber Haus und Hof in Brand gesteckt. — Der Nazi aber, der grad bei der Evi gefensterlt hat, — der is’ gewahr worden und hat Lärm geschlagen und den Lindbauer ein’ Brandstifter genannt, und wie die Gendarmen kommen sind, da hat mein Mann sich in der Angst im Garten am Nussbaum aufhängt. — Der Hof liegt in Schutt und Asche, und ich bin als ein bettelarm’s Witweib z’rückblieben, hier mein unglückliches Wurmel, das kleine Creszenzl, ist alles, was der reichen Lindbäuerin noch z’ eigen geblieben ist!“
Die Grossmutter hatte mit Stöhnen und Seufzen die Hände über dem Kopfe zusammengeschlagen, die Sprecherin aber fuhr schluchzend fort: „Da hab’ ich kein Obdach g’habt, denn mein Vater ist ein hartes Leut und will das Weib von einem Brandstifter nit aufnehmen, und meine Brüder sind arg geizig und wollen nicht zwei Fresser mehr im Haus, denn für den Winter ist keine Arbeit da, und für nix futtern’s uns nit durch. Da hab’ ich auf Euch gedacht, liebe God Beckhaberin, weil Ihr mich doch über die Tauf’ gehalten und gelobt habt, mir ’mal ein zweites Mutterl zu sein! — Schaut, God, ich will kein Obdach und Brot für umsonst, ich will für Euch alle Arbeit tun und mein Teil schaffen! Da hat der Aloys doch ein Büblein im Haus, das will ich fein warten, mit meinem Cenzerl zusammen, und nach dem Vieh schau ich, weil es im Winter für Euch doch arg kalt ist drauss ... und alles sonst ...“
„Na, sei stad! Davon red’ fein gar nix!“ sagte die alte Frau und fasste das Lenerl warmherzig bei der Hand. „Da bist, und da bleibst, und damit basta.“
„Und der Aloys? Was sagt der?“ forschte die Bäuerin angstvoll.
„Ein Grüass di Gott! sagt er — sonst nix!“ und die Beckhaberin griff nach dem weinenden kleinen Dirndel und nahm’s auf den Arm.
„Ach, du arm’s, arm’s Hascherl! Hunger hast, gelt? Na, da guck hier, ein Napferl mit Milch ... und da kommt der Wendl angetratscht, der wird a Freud’ an seinem neuen Gespiel haben!“
Und richtig, der Wendl stand wie erstarrt und schaute auf die fremden Menschen wie auf etwas furchtbar Ungeheuerliches und wich scheu zurück in der Grossmutter Rockfalten.
Das Lenerl lockte ihn mit freundlicher Stimme, — da verkroch sich das Büblein noch tiefer, als aber die kleine Creszenz mit lautem Jubel die Ärmchen nach ihm ausstreckte, all ihre Tränen vergass und „Seppl! — Seppl!“ stammelte, da kam er jählings hervor, seine Augen leuchteten wie verzückt, er fasste scheu nach der kleinen drallen Hand und blickte fragend zu der Grossmutter auf, als wolle er sagen: „Ist dies auch ein Menschenkind oder was sonst?“
Das Lenerl flüsterte lachend: „Schau! Sie hält ihn für den Sepp, den Bub unserer Grossmagd, mit dem’s allweil gespielt hat!“ — und die Beckhaberin setzte das Dirndel auf die Erde und freute sich, wie es so zärtlich die Ärmchen um den einsamen Wendl schlang. „Schau, das hast du ’mal gut gemacht, dass du dem armen, verlassenen Büberl so eine Kameradin mitbracht hast! Ich mein’, die sind bald vertraut zusammen und dem Wendl seine Einsamkeit hat ein End’! Wird sich da der Aloys freuen! — Nun komm aber, Lenerl, und greif zu, dass du mit dem Kind isst und trinkst, und wenn du neu zu Kräften kommen bist, dann legst a Hand an, dass wir dir ein Stüberl herrichten! O mei! wird das nun a Leben hier im stillen Häuserl sein! Ich mein’, der Aloys kann sich’s gar nit besser wünschen für uns alle!“
Die Lindbäuerin dankte der God mit herzbewegenden Worten, und ass und trank und musterte dann neugierig ihr Kämmerlein, in welchem sie hinfort hausen sollte. Sie trug das Bündel Kleider, welches sie mitgebracht, herbei und sprach: „Ich hab’ dem Postkutscher a Auftrag geb’n, God! Wenn Ihr mir so barmherzig’n Unterschlupf gebt, dann soll er mir mit dem nächsten Mal, dass er hier vorbeifährt, all mei bissel Hab’, das mir verblieben ist, mitbringen! Ich gab’s der Evi in Verwahr’, — die schickt’s.“
„Recht so!“ lobte die Grossmutter: „da ist mehr wie genug Platz hier im Häusel.“
Als der Aloys heimkam, riss auch er die Augen weit auf.
Er bot der Bäuerin gutmütig die Hand und sagte: „Red’ kein Wort, Lenerl, — hier im Haus kommandiert mein Mutterl, und wenn die dich haben mag, bin ich’s schon lang zufrieden.“ Er sah aber dabei so ernst und traurig aus wie stets, und seine Augen leuchteten erst auf, als er das Cenzerl gewahrte, welches neben dem Wendl am Herd sass und abwechselnd mit ihm das brave Waldmannel auf den platten Rücken patschte.
Dazu lachte und krähte es, und der Wendl folgte wie verzaubert jeder Bewegung des fremden Kindes, schaute ihm atemlos vor Wonne in das Gesichtchen und tatschte es nur hie und da einmal vorsichtig an, ob es auch wirklich da und keine Täuschung sei!
„Das ist aber mal gut!“ atmete der Wildhüter tief auf, „nun ist mein arm’s Büberl nimmer allein!“