Am See - Nataly von Eschstruth - E-Book

Am See E-Book

Nataly von Eschstruth

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Beschreibung

Am See. – Am Ende der Welt. – Trommelwirbel. – Der Osterhase. – Osterglocken. – Die lange Erzählung "Am See", die den halben Band ausfüllt, handelt von zwei Männern, wie sie gegensätzlicher kaum sein könnten: Boris von Reifen und Heinz von Wynburg. Boris ist ernst, fein und bescheiden, Heinz dagegen laut, derb und rücksichtslos. Heinz ehelicht die zarte Lita, und lange scheint es, als wäre das Glück ihnen nicht hold, zumal die vergnügungssüchtige Cousine Esther aufkreuzt und Heinz den Kopf verdreht. Heinz und Lita scheinen sich einander mehr und mehr zu entfremden. Aber da ist noch Boris, der eines Nachts als Wanderer auf Schloss Wynburg erscheint ...-

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Nataly von Eschstruth

Am See

Erzählung

Saga

Am See

© 1903 Nataly von Eschstruth

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711472842

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

Er sass an seinem Schreibtisch, stützte das Haupt in die Hand und starrte auf den geöffneten Brief nieder, welcher vor ihm lag.

Ein elegantes, steifes Papier, „gelbe Herrenpost“, mit dem erhabenen Wappen in schillernder Bronze schräg in der linken Ecke, — und auf dem Bogen nur wenige Zeilen, flüchtig hingeworfen, mit einer auffallend dicken, grossen beinah ungefügen Schrift.

Wie oft hatte Boris von Reifen schon auf solche Briefe mit den trotzig-energischen Buchstaben niedergeblickt, — vor langen Jahren schon, als er noch Knabe war und die lateinischen Nachhilfestunden mit dem liebsten, einzigen Jugendfreund, dem kleinen Heinz Wynburg, dem verwöhnten Gräflein und künftigen Majoratsbesitzer, bei dessen Hauslehrer teilte! —

Da hatte er oft lachend gesagt: „Heinz, du schreibst wie mit einem Schwefelholz, man stolpert ja förmlich über diese Balken auf dem Papier!“ — worauf der Genannte den blonden, wildlockigen Kopf zornmutig in den Nacken warf und in seiner derben Art antwortete: „Besser meine Besenstiele, die selbst ein Blinder lesen kann, als deine scheusslichen Spinnenbeine, die einen schwindeln machen, wenn man drauf sieht!“ —

Der Kandidat aber lächelte nachdenklich vor sich hin und sagte: „Da soll ein Mensch noch sagen, es sei Unsinn mit der Graphologie! Eure beiden Schriften sind die besten ‚Seelenphotographien‘, welche man je von einem Menschen sehen konnte. Bei Heinz: derb, kraftvoll, ungestüm, gleichgültig gegen jede äussere Form und geradezu rücksichtslos in stürmischem ‚Drauflos‘! und bei Boris: zart, fein, schönheitssinnig und edel, zaghaft und bescheiden, in vielen Linien sogar eine stille Duldsamkeit, welche zur Resignation wird. — Heinzens wilde Phantasie fehlt völlig, seine Leidenschaftlichkeit ist wohl da, aber bei Boris in so idealen Zügen gebunden, dass sie nie jenen Vulkanausbrüchen gleichen wird, mit welchen ein Wynburg oft Welt und Menschen schrecken wird!“ —

„Also mit anderen Worten ehrlich gesagt: Boris ist ein famoser, braver, anständiger Kerl, so wie sich der liebe Gott seine Kostgänger und der Kaiser seine Bürger wünscht, — und ich bin ein Raufbold und Tunichtgut, ein wüster Gesell, vor dem ehrsame Jungfern und Pastoren drei Kreuze schlagen, — was?“

„Nicht ganz so schroff, liber Heinz, — aber im grossen ganzen ... so völlig unrichtig ist dieses Bild nicht ...“

Krachend flog das Tintenfass, neben dem Sprecher her, gegen die Wand, und während Boris und der Kandidat entsetzt aufsprangen und auf die Verwüstung starrten, welche der schwarze Schreibsaft in dem eleganten Zimmer angerichtet, dehnte Heinz mit wohligem Gähnen die Arme und sagte: „So ... bon ... mit diesem Bekenntnis einer schönen Seele wollen wir die Stunde schliessen, eben schlägt’s zwölf!“ —

„Aber Heinz ... das Tintenfass ... die ganze Wand ... das Sofa ... der Teppich ...“

Da richtete sich das Gräflein empor und schaute die Verheerung an, steckte die Hände in die Taschen und lachte: „Alle Donner! Hat das blöde Gestell von einem Weisheitskasten nicht dicht gehalten! Ich wollte das Tintenfass nämlich auf mein Pult drüben stellen und war zu faul, aufzustehen!“ —

.... Und später ....

Boris war bereits seit Jahr und Tag Offizier, als Heinz endlich, endlich nach verschiedensten „Press“versuchen die Ulanka angelegt hatte, — da trafen sie sich in der Residenz wieder, — zwei Menschen, so verschieden wie Tag und Nacht, und dennoch die treusten und besten Freunde. Oft standen dem so sehr soliden, in jeder Weise nur vornehm denkenden, stillen und ernsten Boris die Haare zu Berge, wenn er das Leben seines leichtsinnigen, allezeit übermütigen und skrupellosen Freundes ansah. —

Da war keine Tiefe des Amüsements zu tief, keine Höhe zu hoch —, Heinz musste hinauf und hinab, musste durchkosten, was das Dasein an Genüssen feil hielt — und was sich ihm nicht freiwillig bot, das zwang er mit eiserner Faust, das riss er eigenwillig und rücksichtslos an sich, gleichviel, welche Händel ihm daraus erwuchsen. Und dennoch war der ‚wilde Junker‘ beliebt und gefeiert, wo er sich blicken liess.

Vollends die Weiberherzen flogen ihm zu, kaum, dass er die begehrlichen Hände nach all den Blüten ausstreckte, welche sich ihm zuneigten.

Er brach sie mit rauher Hand, — der Sturmwind der Leidenschaft fegte sie ein Weilchen an seiner Seite dahin, und wenn er ihrer überdrüssig ward, schleuderte er sie weit ab oder trat sie grausam und ohne Erbarmen unter die Füsse ...

Und die armen Dinger verwelkten wie die Goetheschen Veilchen, voll schwärmerischen und demutvollen Entzückens: ‚Und sterb ich denn, durch ihn! durch ihn! — zu seinen Füssen doch!‘

Diesmal ward es kein trällerndes, holdes Mädchen, welches sie nicht ‚in acht genommen‘, sondern ein wüster Knabe, welcher über sie dahinschritt, wie über buntes Herbstlaub, welcher weder Blick noch Gedanken für sie hatte, geschweige, dass er voll zärtlicher Treue einer einzigen nachgetrauert hätte!

Und man kannte seine Art ... man wusste, wie wenig ihm ein Mädchenherz galt ... und doch! ... und doch! ...

Er kommt, er sieht und siegt ... —

Es scheint eine wundersame, unheimliche Zauberkraft von diesen unersättlich heissen, begehrlich flackernden Augen auszugehen .... sie sind die Flammen, an welchen manch arme, schillernde kleine Eintagsfliege rettungslos die zarten Flügel verbrennt. —

Boris entsinnt sich so genau, wie er einst mit dem Freund in Wiesbaden zu der ‚schwarzen Lene‘ ging, jener deutschen Lenormand, welche ihrerzeit so viel von sich reden machte und zu der die Menschen hinströmten — aus Neugierde, aus Gruselsucht, aus innerster Überzeugung, oder zum Scherz und Witz, weil es nun einmal in der guten Gesellschaft Mode geworden war, sich mit den Sibyllensprüchen der Kartenlegerin interessant zu machen. Heinz bestand selbstverständlich auf einem Besuch bei ihr, und was sie ihm sagte, gefiel ihm so gut, dass er in hellem Lachen die festen perlweissen Raubtierzähne zeigte.

„Glück bei den Weibern! — haha! ... Ehrenhändel! haha ... Geld und Gut ... haha! ... Erbschaften ... hahaha! und ein dunkler Flecken ... dunkelrot ... wie Blut. — Hüten Sie sich vor dem Jähzorn und der blinden Wut, junger Herr ... Hüten Sie sich vor dem Wein —!“ —

Darüber lachte er am allermeisten.

Er lachte auch noch weiter, als die schwarze Lene nun auch die Karten für den schweigsamen Boris auflegte.

Er mochte es eigentlich nicht, aber Heinz befahl ... und wenn Heinz etwas wollte ...! — —

So geschah es auch jetzt.

Die schwarze Lene schüttelte erstaunt den Kopf und musterte den jungen Mann mit schnellem Blick.

„So schön — so jung ... so brav ... und doch ... die Weiber machen sich nichts aus Ihnen! — Sind zu zart und rücksichtsvoll ... zu sanft und gut, — so, das gibt einen vortrefflichen Ehemann ... aber zum Liebhaber taugt’s nicht ... seltsam ... wo der Hase gehetzt wird, da grast er am liebsten ... und wo die Weiber schlecht behandelt werden, da laufen sie zu! Seltsam, — seltsam ... nein, junger Mann ... kein Glück in der Liebe ... und dann ... wenn es endlich kommt ... Gott erbarme sich ...“ — und die Alte warf jäh die Karten zusammen und schüttelte den Kopf: „Was soll ich da warnen? es hilft doch nichts, — seinem Schicksal entgeht man nicht.“ —

Wie oft hatte Boris an diese Worte zurückgedacht!

Glück bei den Weibern! —

Ja, Heinz hatte es, — er nicht. —

Warum nicht? — Ernstlich darüber nachgedacht hatte er kaum, denn fürerst interessierten ihn lediglich seine Studien.

Man nannte ihn einen aussergewöhnlich begabten Offizier, einen ‚Moltke im Flügelkleid‘, und der Generalstab war ihm sicher. Ihm galt auch all sein Streben, Tag und Nacht sass er über den Büchern und Karten, kaum dass ihn noch ein anderer Gedanke erfüllte als strategische Probleme, als diese oder jene brennende Frage, welche man wohl in Offizierskreisen erörterte, im Salon aber nicht zur Sprache brachte.

Mit Damen plaudert man über andere Dinge.

„Aber just diese ‚anderen Dinge‘, dieses heitere Wortgeplänkel, die lustigen Flirts und schwülen kleinen Pikanterien, welche die Unterhaltung mit einer ‚Frau von dreissig Jahren und darüber‘!! würzen, jene elegischen Schwärmereien, welche das Herz der Backfischchen erobern und die süsse, sinnige Poesie, welche junge Damen lieben, all dieses fröhliche, neckische, kecke und graziöse ‚Zu-Feldeziehn‘ mit Amors Waffen, war dem ernsten Streber von der Kriegsakademie sehr ungewohnt und unsympathisch.

Er verstand die Damen und ihre Passionen nicht und ward auch nicht von ihnen verstanden. Graue Haare hatte er sich darum noch nicht wachsen lassen, im Gegenteil, sein Lachen klang sehr herzlich und gar nicht beleidigt, als ihm die Frau eines Kameraden ernstlich in das Gewissen sprach, doch endlich aus seiner Reserve herauszutreten und mit der Jugend jung zu sein.

„Wissen Sie auch, Herr von Reifen, welch ein Urteil jüngsthin die lustige, allerliebste Komtesse Bohlen über Sie fällte? Nein? — Je nun, ich riskiere Ihre Ungnade und hinterbringe es Ihnen! Nur so, wenn Sie die Kritik dieser kleinen Kommandierenden hören, werden Sie kuriert!“ —

Und die Sprecherin machte ein schalkhaft ernstes Gesicht, setzte sich in Positur und sprach feierlich: „Reifen wäre der hübscheste, netteste Mensch unter der Sonne, wenn er nur nicht so ... wahnsinnig langweilig wäre!“ — „So! da haben Sie Ihr Fett, Sie Sünder, und nun schlagen Sie an Ihre Brust, — bessern Sie sich und machen Sie heute abend auf dem Ministerball der bösen kleinen Gräfin derart den Hof, dass sie schon binnen einer halben Stunde alle Segel vor Ihnen streicht!“

Versprochen hatte er es der jungen Frau damals, aber getan hatte er es nicht.

Warum nicht?

Komtesschen war bildhübsch, lustig, reich und hatte ganz entschieden die reellsten Absichten sich für ihn zu interessieren ... wenn ... ja, wenn er eben nicht zu langweilig gewesen wäre!

Das ist eben sein Unglück!

Er kann nicht über oberflächliche Dinge scherzen und lachen, er ist zu ernst, zu schwerfällig, und die lebenslustigen Damen mit ihren flotten Grossstadtinteressen passen nicht für ihn.

Er kann ihren Passionen nicht gerecht werden, und sie begreifen die seinen nicht, — — daher sein Unglück bei den Frauen!

Wahrlich Unglück!

Bisher hatte Boris es noch nie als ein solches empfunden, wenn ihm die Herzen nicht zuflogen. Im Gegenteil, es würde ihm sehr peinlich und unangenehm gewesen sein, denn ... mochte Heinz noch so schallend darüber lachen und ihn in seiner derben Art verspotten, Boris hatte viel zu viel Achtung und Teilnahme für das weibliche Geschlecht, um auch nur eine einzige, und wäre es die geringste gewesen, zum Spielzeug und Zeitvertreib, zum Inhalt einer leichtfertigen Laune zu machen.

Macht er einer Dame den Hof, dann heiratet er sie auch, — zur Ehe aber gehört gar viel, soll sie glücklich sein, vor allen Dingen Liebe, viel heisse, innige Liebe, und die hatte er bisher noch für keine gefühlt!

Bisher! vor ein ... zwei Tagen noch ... da hatte er noch nie ein Mädchenantlitz geschaut, welches all sein Sinnen und Denken fesselte, ein so holdes, stilles, sinniges Antlitz, wie es ein Weib haben muss, dass er einmal lieben soll, — so rein, vor der er mit einem tiefen Atemzug des Entzückens stille steht und sagt: „Ja, du! du, oder nie eine andere auf dieser weiten Welt!“ —

Vor zwei ... drei Tagen noch ... und heute?

Sinnend streicht der junge Offizier das Haar aus der heissen Stirn und starrte auf die Photographie, welche neben dem steifen Briefblatt liegt.

Heinz, sein grosser, kraftvoller Heinz, im sehr kleidsamen Jagdzivil, — den dicken Schnurrbart forsch emporgestrichen, die Augen keck, triumphierend, siegesfreudig grad ausgerichtet ... und in seinem Arm ... etwas sehr fest und gewaltsam an ihn gedrückt ... so wie Heinz immer mit eisernem Griff zufasst ... eine schlanke, elfenhaft graziöse Mädchengestalt.

Wie ein Schleierstoff, dünn, spitzenumwogt, märchenhaft duftig, rieselt das lichte Kleid an ihr nieder, ihre beiden schlanken, zierlichen Kinderhände sind ineinandergeschlungen, wie bei einer betenden Dulderin, welche sich resigniert ihrem Schicksal fügt, und das Köpfchen, das sich gegen die Schulter des Bräutigams zurücklehnt, gleicht einem matten Blütenkelch, welcher sich hilflos dem wilden Knaben, der das Röslein gebrochen, neigt.

Eine Rose! Ja, aber eine weisse, stille, bleiche Rose, so wie sie auf Gräbern blüht, nicht aber aus dem Füllhorn der Lust flattert. Boris vermeint, er sehe die zarte, marmorkühle und blütenreine Blässe ihres Angesichts lebendig vor sich, — jene Sammethaut, durch welche nur hie und da ein warmer, rosiger Hauch leuchtet, wie ein Tropfen Burgunder durch Kristall.

Und die Augen!

Sie sehen ihn an, unverwandt, so wie er sie anschaut, — schon seit Stunden — seit Tagen ... seit er Heinzens Brief erbrochen.

Was für Augen!

So dunkel — so traurig ... so tief und still, — Augen, welche leuchten, aber nicht funkeln, welche weinen, aber nicht in wilder Lust aufblitzen können, — Augen — mit denen ein Reh seinen Mörder ansieht. —

Er hat darum niemals Freude an der Jägerei gehabt und begriff es nicht, wie Heinz voll zügellosen Ungestüms das Wild zu Tode hetzen konnte.

Heinz war passionierter Jäger, — lediglich um sich dieser Leidenschaft völlig hingeben zu können, quittierte er schon nach wenig Jahren den Militärdienst und zog sich sofort auf seine ausgedehnten Besitzungen zurück, nachdem sein Vater in einer Nervenheilanstalt, nach jahrelangem, schwerem Siechtum gestorben und das Majorat in den Besitz des Sohnes übergegangen war.

Ja, mit Leib und Seele Jäger!

Sogar auf seinem Brautbild im Jagdzivil! — Boris runzelte die Stirn.

Solch ein Verstoss gegen Form und Sitte deucht ihm in diesem Fall denn doch zu arg!

Weiss Heinz denn gar nicht mehr, was er den Damen, was er seiner Verlobten schuldet? Ach, nein! Danach hat er selten, fast nie gefragt. Er war schon Fremden gegenüber von rücksichtsloser Nachlässigkeit, welche man seltsamerweise stets originell an ihm fand und dem ‚wilden Junker‘ als charakteristische Eigenart verzieh. —

Wie wird er seiner Braut, seinem Weibe gegenüber eine Ausnahme von der Regel machen!

Er beginnt gar nicht erst, jenes zarte, liebliche Wesen in seinem Arm zu verwöhnen, sie soll ihn lieben ... ihn anbeten ... ihm in blinder Demut dienen, — so wie er ist.

Wird sie es tun?

Die Stirn umwölkt, greift Boris abermals nach dem Brief des Freundes.

„Mein lieber, alter Junge!

Na, was sagst Du nun? Grossartige Überraschung, he? Heinz Wynburg unter der Haube!! Hättest Du auch nicht gedacht! Und siehst Du, grade die einzige habe ich mir genommen, die mich nicht haben wollte! Spasshaft, wie? Wollte sich sperren, die kleine Lita und mir durch die Lappen gehn ... aber da kannte sie Deinen ollen tollen Heinz schlecht. Weisst es ja, wie ich es stets gehalten habe: ‚Wenn ein Mädchen mir gefällt, dann hilft kein Widerstreben! —‘ Und nun ist sie mein! Verteufelt hübscher kleiner Racker! Nimm eine Portion Mondenschein, ein Dutzend weisse Lilien, die Lieder einer Nachtigall, dann hast Du Lita! Hübsch gesagt, was? Ist auch nicht von mir!! — Der Kerl ist verrückt geworden! wirst Du denken: — das alles war doch sonst nicht sein Geschmack!! — — Was da! Abwechselung muss sein, sprach der Hanswurst und ass die Milch mit der Heugabel!! — Na, Prost, alter Junge! Wollen Dein Wohl in Champi—Champa—Champutzi trinken! Das heisst, ich werde es tun, — Lita rührt keinen Alkohol an! Närrischer kleiner Käfer! Wird es hoffentlich bald lernen! Adio —! Halte Dich zur Hochzeit bereit, wir warten nicht lange! —

Wie stets Dein

urfideler Heinz.“

Boris blickte regungslos auf den Brief nieder. Ja, das war Heinz, — ganz und gar Heinz. Selbst in diesen Tagen. —

Arme Lita!

Die einzige, welche ihn nicht gewollt hat!

Warum nicht!

Ahnte die scheue weisse Taube, in welch eines rauhen Gesellen Hand sie sich lieferte?

Warum tat sie es dennoch? —

Heinz hat schon srüher von ihr berichtet.

Sie ist die Tochter seines Gutsnachbarn, eines Mannes, der in jeder Weise mit Wynburg harmoniert. — Also wohl desselben Schlags wie er.

Litas Mutter ist lange tot, — sie selber ward in einem Herrnhuter Stift erzogen und kehrte erst vor wenig Monaten in das Vaterhaus zurück.

Lita ist nicht nur ‚ein sanftes, holdes Kind, allzu weich und ruhrselig und furchtbar schwärmerisch!‘ wie Heinz zuerst über sie berichtete, sondern auch reich begabt, — sonstiger Reichtum vakat. Dieser letzte Satz deuchte Boris die Antwort auf seine Frage.

Ein armes Mädchen, welches nicht lange gefragt wird, ob sie einen Freier mag oder nicht!

Boris seufzt tief auf und streicht mit der Hand über die Stirn, als wolle er solch’ traurigen Gedanken Einhalt tun.

Sein Blick aber kehrte wieder und immer wieder von der gedruckten Verlobungsanzeige, über welcher das erhabene, goldgepresste Wappen der Wynburgs prunkt, zu dem blassen, so rührend ergebenen Gesichtchen der jungen Braut zurück.

Ja, das schwere goldene Wappenschild!

Ihm ist’s, als zerdrücke, es das kleine, zuckende Mädchenherz, — jenes einzige, welches dem verwöhnten Weiberideal Heinz nicht bei dem ersten Blick zugeflogen ist.

Warum hat er, Boris, dieses holde, scheue Kind nicht zuvor kennen gelernt?

Würde sie in seine dargereichte Hand wohl lieber eingeschlagen haben, als in die des ungestümen Freundes?

Wer weiss!

Boris hat kein Glück bei den Frauen.

Hastig schiebt er das Bild in seinen steifen Umschlag zurück und wirft es mitsamt dem Brief in die Schreibtischschublade.

Dann wirft er hastig, wohl zum erstenmal im Leben mit nervös bebender Hand, ein paar Zeilen nieder und gratuliert dem Freund zu dem grossen, sonnigen Glück, welches er gefunden, und welches ihm, so Gott will, stets in all seinem Glanze treu bleiben wird. — Soll er noch ein paar ernste, wohlmeinende Worte hinzufügen, dass Heinz sich seiner Pflichten gegen dieses junge, bräutliche Weib stets bewusst bleiben möge, dass er die zarte Rose, welche hinfort an seiner Brust blühen wird, vor jedem Sturm und Wetter schützen, dass er sie hegen und pflegen soll mit liebevoller Hand, als sein Höchstes, Bestes und Heiligstes? —

Nein! — undenkbar!

Boris kennt den so leicht aufbrausenden Sinn Wynburgs, er kennt seine masslose Heftigkeit, welche keine Ermahnungen duldet, er entsinnt sich nur zu wohl, wie oft Heinz gerade das Gegenteil getan, wenn der ‚gute alte Pedant Boris‘ ihn ‚schulmeistern‘ wollte!

Nein, Wynburg ist nicht der Mann, welcher sich in gutem Sinne beeinflussen lässt; — wenn er nicht selber aus seines tiefsten Herzens Überzeugung heraus die liebliche Perle, welche er an sich gerissen, hütet, so hilft alles Ermahnen und Predigen nichts, — die Liebe und zärtliche Rücksicht lassen sich nicht erzwingen, am wenigsten bei einem so heftigen und jähzornigen Menschen wie Heinz Wynburg.

Boris schliesst den Brief, schellt dem Diener und lässt das Schreiben besorgen, — dann schreitet er gedankenvoll im Zimmer auf und nieder.

Welch ein Glück ist dem Freund zuteil geworden!

Eine junge, holdselige Herrin wird in sein Schloss einziehn, es wird licht, warm, friedlich und zauberschön in den traulichen Gemächern werden.

Ach, wie anders sieht es in einer Wohnung aus, wo milde Frauenhände walten, wo alle holden Genien und Musen ihr Schönstes zusammentragen, der Liebe Reich zu schmücken. — Zum erstenmal im Leben schweift der Blick des Denkers durch sein kühles, dämmriges Arbeitszimmer.

Wie kahl, wie nüchtern ... wie einsam ...

Er hat es noch nie so auffällig empfunden.

Sonst deuchte ihm alles elegant, komfortabel, gemütlich ...

Und jetzt?

Wie ein grauer Schleier liegt’s über allem, und die Uhr tickt nicht mehr auf dem Wandbord, sondern seufzt leife und unaufhörlich, als fühle auch sie sich plötzlich einsam zwischen all dem Gelehrtenkram, zwischen den strategischen Werken und Landkarten, — als sehne auch sie sich plötzlich nach einem weichen kleinen Händchen, welches mit dem Staubtuch kosend über sie hinstreicht. —

Lita hat sehr kleine, zierliche Hände ... er sah sie freilich nur flüchtig an ... und doch sind es grade die Frauenhände, welche ihn seit jeher besonders interessierten!

Mechanisch öffnete er die Schreibtischschublade wieder und nimmt abermals das Bild heraus, — tritt an das Fenster und blickt unverwandt darauf nieder. —

Als er den anderen Tag heimkommt, trägt er einen in Seidenpapier gewickelten Gegenstand in der Hand.

Einen Bilderrahmen.

Er kann unmöglich das Bild seines besten Freundes in der Schublade liegen lassen.

Seltsam, er hat den Rahmen zuvor nicht näher angesehen, — solche Dinge haben ihn niemals interessiert, und auch diesmal hatte er gekauft, was das Ladenfräulein ihm als besonders schön, modern und geschmackvoll angepriesen hatte.

Selbstredend Jugendstil!

Eines jener undefinierbaren, steifen, langbeinigen Ranken- und Blattgewirre ...

Wie Dornen sieht es aus! —

Gewiss, es sollen auch Dornenreiser sein, mit wunderlich austretenden Ecken ineinander gewunden, ... ganz dem absonderlich bizarren Geschmack moderner Kunst entsprechend, welche nicht mehr die Rose als Symbol der Schönheit verherrlicht, sondern die Dornen bevorzugt!

Und nun schaut Litas liebliches Antlitz mit den ernsten, traurigen Augen wie unter einer Dornenkrone aus dem Rahmen hervor. —

Das Bild stand auf dem Schreibtisch, und der junge Offizier arbeitete nicht mehr so fleissig und andauernd wie früher, oft überraschte er sich selber dabei, wenn die Hand mit der Feder auf dem Papier ruhte und sein Vlick voll träumerischen Sinnens auf dem ungleichen Brautpaar haftete, dem wilden Knaben und dem scheuen Röslein, welches es doch leiden musste, dass seine ungestüme Hand es brach! —

Die Wochen vergingen, und eines Tages traf das ein, was Boris von Reifen gefürchtet hatte wie ein Schicksal, dem man nicht entgehen kann, — die Einladung zur Hochzeit.

Heinz schrieb für seine Verhältnisse einen langen Brief dazu.

Er teilte mit, dass die Hochzeit das wahre Völkerfest werden solle, — Menschen über Menschen, und ein Trubel und Jubel, dass jedwedem die Ohren gellen würden!

„Du weisst, mein alter Junge, dass ich seit jeher solchen Summs liebe, — je toller, je besser! Man muss hören und sehen, dass etwas Fideles los ist!“ hiess es in seiner etwas derben Weise: „Essen, trinken, lachen, küssen! — Aus dem Tanzen mache ich mir nicht mehr allzuviel, obwohl ich einen forschen Galopp nicht verachte. — Lita ist ja in allen Dingen das direkte Gegenteil von mir, und eigentlich hätte ich galant sein und mich ihrem Geschmack anpassen sollen; aber so eine ‚stimmungsvolle‘ Hochzeit, halb feierlich, halb rührselig ... brrr! ... ist mir ein Greuel! Auch finde ich es richtiger, dass sich die Frau beizeiten daran gewöhnt, ihre Ansichten und Passionen denjenigen des Gatten anzupassen. — Ich bin Herr im Hause und werde es stets sein! Nun zieh, bitte, nicht die Stirn kraus und denke Dir die grässlichsten Szenen von Tyrannei und Gewalttaten aus, — es wird nie bei uns einen Zank geben, und das ist Litas Verdienst! Sie ist ein Engel, — rührend, fügsam und dienstwillig, — ohne Murren, mit allem einverstanden, was ich will. Würde auch gar nicht anders für mich passen! — Also wird Lita eine Musterfrau sein, ohne jedweden Kampf und jedwede Revolte. — Apropos ... es soll viel gepoltert werden. Auch auf Dich rechnet man stark. — Sollst Quadrille tanzen, — glaube, als alter Grenadier. — Meine Tante Wreden, welche mit Tochter die Honneurs bei mir machen wird, will noch das Nähere an Dich schreiben. Du sollst mit Esther tanzen, ... Glückspilz! — Cousine Esther ist nämlich ein famoses Weib, ... Vollblut ... grossartiges Temperament, — Sprühteufel und entzückender Pariser Taugenichts! Ist nämlich in Paris ihrem unglaublich dämlichen Mann einfach davongelaufen ... wollte eigentlich zur Oper, Stimme reichte aber nicht aus ... na, und da kam sie schliesslich zu Mama Wreden zurück. Zum Heiraten ist sie nichts für Dich ... obwohl nichts ernstlich Gravierendes gegen sie vorliegt, aber zum Amüsieren!! — Grossartig! Pikant à la fin de siècle ...“

Mit gefurchter Stirn warf Boris den Brief aus der Hand, — ein tiefer Atemzug der Erleichterung hob seine Brust.

Gott sei Lob und Dank, dass grade jetzt so viel unvorhergesehene Arbeit zu erledigen ist. Ein Generalstabsoffizier hat selten Zeit und Herr von Reifen ist dienstlich verhindert, der fidelen Hochzeit des Freundes beizuwohnen. Er will seine Absage sofort zu Papier bringen.

Arme Lita!

Vielleicht flicht dir Cousine Esther die Myrte ins Haar! —

Die grossen, dunklen Augen blicken wie durch Tränen aus den Dornenzweigen zu ihm empor, ein Lichtstrahl flimmert über das Bild, da sieht es aus, als zuckten die feinen Lippen unter Tränen.

Arme Lita! —

Nein, Boris kann dem Jubelfeste nicht beiwohnen, welches dich zum gehorsamen, willenlosen Weib eines ungeliebten Mannes macht! —

Es war ein stürmischer Tag.

Der Sturm pfiff um die Mauern des Schlosses Wynburg, welches, neu erbaut, wie ein prächtiges Wunderwerk moderner Architektur inmitten des ausgedehnten Parkes lag.

In den weiten, überaus prunkvoll ausgestatteten Hallen und Gemächern herrschte lebhaftes Treiben, nicht freundlich und sinnig heiter wie ein Psalter freundlichen Glücks, sondern laut und lärmend, beinah wüst aus Küche und Keller emporschallend oder voll ungeduldiger Hast aus Hof und Stallungen herübertönend, wo Hammerschläge und Gepolter, Hundegekläff und Pferdewiehern erscholl.

Musste doch viel Platz für Rosse und Wagen der eintreffenden Gäste geschaffen werden, denn die Hochzeit des Herrn Grafen ward nicht im Elternhause der Braut, sondern hier in Wynburg gefeiert.

Aus verschiedenen Gründen.

Erstlich war Fräulein Litas Vaterhaus unlängst durch eine Feuersbrunst stark beschädigt und zum grössten Teil unwirtlich und unschön geworden.

Es wurde zurzeit renoviert und bot kaum für Vater und Tochter genügend Raum, geschweige denn für die ungeheure Zahl der Gäste, welche Graf Heinz aus der ganzen Umgegend geladen hatte, und ohne die ihm seine Hochzeitsfeier ganz undenkbar schien. Schloss Wynburg aber war wie geschaffen für derartige Feste, und obwohl es der jungen Braut einen schweren Kampf kostete, die Trauung in ihrer lieben, heimatlichen kleinen Dorfkirche aufgeben zu müssen, fügte sie sich dennoch widerstandslos den Wünschen ihres Verlobten.

Als ihr Vater dem Grafen Heinz nach sehr animiertem Jagddiner das Jawort im Namen der Tochter gegeben, hatte er der ‚beneidenswerten Erwählten‘ mit sehr energischen Worten klar gemacht, dass die Werbung Wynburgs ein geradezu märchenhaftes Glück für sie bedeute.

Wer so arm, langweilig und unbedeutend sei, wie die kleine Lita, müsse Gott auf den Knien danken, wenn der reichste Grundbesitzer der Umgegend, der hübscheste und flotteste Kavalier, sie zur Frau begehre.

Da habe sie allen Grund, stets von Herzen demütig, folgsam und geduldig zu sein. Ein Weib, welches das Gnadenbrot im Hause des Gatten isst, hat keine Ansprüche zu machen und keinen Willen zu äussern.

Das alles sah Lita vollkommen ein.

Sie hatte es nie kennen gelernt, einen eigenen Willen zu haben.

Ihre Erziehung war streng und nüchtern gewesen, — sowohl in dem Stift wie daheim bei dem Vater, der nie Sinn und Interesse für Kinder gehabt und den Besitz einer Tochter mehr als eine Prüfung, denn als ein Glück erachtete.

Ob sie Graf Heinz lieb habe?

Danach hatte sie kein Mensch gefragt, und das war gut, — sie hätte wahrlich nicht gewusst, was darauf antworten.

Liebe!

Sie kannte keine Liebe, wenigstens keine Liebe im weltlichen und bräutlichen Sinne.

In dem Stift hatte man sie gelehrt, ihren Herrn und Gott lieben. —

Romane gab es dort nicht zu lesen, und Männer und Jünglinge waren schier fabelhafte Wesen, von welchen man kaum sprach, geschweige liebenswerte Meinungen entwickelte.

Als Lita den Grafen Heinz zuerst kennen lernte, gefiel er ihr gar nicht sonderlich.

Sein lautes, derbes, übermütiges Wesen erschreckte sie, und die Art und Weise, wie er mit jungen Frauen verkehrte, und der etwas freie Ton, welchen er sich selbst den jungen Mädchen gegenüber erlaubte, waren ihr unsympathisch, ohne dass ihr so sehr reiner und kindlicher Sinn sich eine Rechenschaft darüber geben konnte.

Sie zog sich scheu zurück und mied ihn.

Gerade das überraschte den Verwöhnten, so viel Umworbenen und reizte ihn.

Je öfter ihn Lita sah, desto mehr gewöhnte sie sich an die Art und Weise des jungen Majoratsherrn, wenngleich sie stets ein instinktives Bangen vor ihm empfand, und seine kraftstrotzende, blühende, beinah rüde Schönheit eher Befangenheit als zärtliche Gefühle in ihr erweckte.

So ward sie Braut, — keine Liebe, sondern nur zitternde, ahnungsvolle Sorge im Herzen, ob sie, die schlichte, einfache, reizlose Mädchenblüte wahrlich imstande sei, einen Mann wie Graf Heinz dauernd zu fesseln und glücklich zu machen.

Und nun war ihr Hochzeitstag gekommen, an welchem sie viel der herrlichsten, irdischen Güter erhalten — und so wenig, so gar nichts dafür opfern sollte.

Rein und unberührt lag das Herz in ihrer Brust, und Lita wähnte, das Gefühl tiefer Dankbarkeit, welches sie dem Gatten entgegenbringe, ihre demütige Freude über all die vielen, prunkhaften Beweise seiner Zuneigung, mit welchen er sie überhäufte, sei die Liebe, die er von ihr forderte. —

Welch ein unwirtlicher Herbsttag!

Der Sturm pfiff daher, riss das welke Laub von den Parkwipfeln und peitschte es gegen die hohen Spiegelscheiben, hinter denen Lita stand und geduldig des Rufs ihrer neu engagierten Kammerfrau harrte, dass es Zeit sei, Toilette zu machen.

Sie hielt einen Strauss köstlicher weisser Lilien in der Hand, welcher soeben mit der Post eingetroffen war und welchen Heinz ihr mit ärgerlichem Gesicht, ungestüm in das Zimmer tretend, in den Schoss geworfen hat.

„Hier, Kleine! Der Glückwunsch von Boris Reifen! Er lässt sich dir zu Füssen legen und bedauert sehr, es nicht persönlich tun zu können —“

„Ah ... er kommt nicht?“ Lita fragte es hastig, sie atmete erleichtert auf, wie bei jeder Absage, welche den ungeheuren Schwarm der Gäste etwas verminderte; dann aber fiel ihr ein, dass Reifen der beste Freund Wynburgs war und voll gutmütiger Teilnahme fügte sie hinzu: „Wie kommt das? Du hofftest doch so bestimmt, ihn trotz seiner ersten Absage noch zu der Reise bewegen zu können?“

Heinz zuckte die Achseln und schlug mechanisch den Deckel von dem Etui zurück, in welchem das köstliche Brillantgeschmeide, der Familienschmuck der Wynburgs, funkelte.

„Langweiliger Bengel! Telegraphiert trotz all unserer Bitten im letzten Moment noch ab! Na, Esther wird toben! Hatte sich darauf kapriziert, ihn wenigstens zum Tischherrn zu haben, nachdem er sie zu der Quadrille so nett hatte sitzen lassen ... und nun auch Essig!“ — Heinz lachte kurz auf: „Ich glaube, die schöne Esther hatte ein paar Leimruten auf Lager! Reifen ist eine gute Partie, und so eine längere Witwenschaft ist doch verteufelt langweilig! Na — kann’s nicht ändern — werde mir alle Mühe geben, die zürnende Göttin zu versöhnen! — Adio, cara mia! Riech nicht zu lang an Reifens ‚heiligen Lilien‘, sie machen eine gelbe Nase! Lilien!! zu verrückt! als ob du ins Kloster gingst! — Na — ein aparter Kerl war er immer, — der reine Traumjürgen, lebte beständig in Idealen und Illusionen!

Ah ... Cousine Esther! — en parlant du coup — voilà la queue! Na, was sagen Sie zu Reifen? Infamer Schlingel! he?“

In der Türe stand Frau Esther van der Keerk, die geschiedene Gattin des ehemaligen holländischen Leutnants.

Eine junonische Gestalt, üppig, — schweigsam, mit raffiniertestem Geschmack gekleidet.

Dunkles Haar lockte und puffte sich um den schlanken Kopf, die Erregung färbte die Wangen noch höher, schwarze Augen blitzten, und die etwas dicken, sinnlich aufgeworfenen Lippen bebten in verhaltener Leidenschaft.

Die Toilette von lachsfarbenem Brokat mit den dicken Sträussen von tiefdunkel gefärbten Malven im Flittertüll war auffallend und kostbar, aber nicht dezent.

Hals und Arme waren tief entblösst; — „da ich keinen künstlichen Schmuck an Perlen und Brillanten besitze, muss ich desto mehr den natürlichen zeigen!“ — hatte sie schon gestern mittag beim Diner in etwas frivoler Weise gescherzt.

Wynburg neckte sich mit Vorliebe mit ihr, die Pikanteren dieser Frau, ‚mit ein klein wenig Vergangenheit‘ amüsierten ihn ganz besonders, und da auch jetzt das Gespräch sehr bald die intime Würze erhielt, die ihm fast nie fehlte, zog sich Lita in die tiefe Fensternische zurück und atmete voll Entzücken den süssen Lilienduft, welcher wie eine wehmütige Liebkosung um ihre heissen Wangen strich.

Lita war nicht eifersüchtig, dieses Gefühl war ihr völlig fremd; aber sie empfand den Verkehr zwischen Esther und Heinz sehr unangenehm, wie etwas Unwürdiges und Entweihendes für eine Zeit, die doch sonst für Brautpaare ernst und heilig sein soll.

Sie wandte sich daher noch mehr dem Fenster zu, als sie Esthers schrilles Auflachen hörte. „Ich wütend? ich beleidigt sein, wenn Herr von Reifen abtelegraphiert? Nee, alter Junge, da irrst du! Der Monsieur schneidet sich höchstens in sein eigenes Rindfleisch, wenn er bei diesem famosen Feste fehlt!“

Nun lachte auch Heinz laut auf. — „Sehr gut gesagt! Ja, in sein eigenes Rindfleisch! Der Mensch ahnt ja gar nicht, welch eine Tischnachbarin er versäumt!“

„Glaube ich auch! und das soll seine Entschuldigung sein! — Brrr ... ein ander Bild! — Hast du schon den ‚Stellvertreter‘ gefunden, welcher mich schadlos halten soll?“

Heinz trat einen Schritt näher und blickte mit ganz wunderlichem Ausdruck recht kühn in die Augen der geschiedenen Frau.

„‚Stellvertreter‘ ist gut! Denkst du etwa dabei an den famosen französischen Schwank gleichen Titels? Dann bedauere ich lebhaft, dass ich heute dienstlich verhindert bin, selber die Rolle dieses Schwerenöters zu spielen!“

Esther warf einen schnellen, blitzartigen Blick nach der Fensternische und seufzte tief auf. „Ja, das ist ewig schade, caro mio!“ sagte sie mit ganz wunderlicher Betonung der wenigen Worte, dann sprühte ihr Auge auf, sie warf den Kopf zurück und trällerte leicht hin: „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist!“

Wynburg aber neigte sich und küsste ihren vollen, nackten Arm. — Ein ... zweimal. —

„Ja, was nicht mehr zu ändern ist!“ wiederholte er in einem Gemisch von Bedauern und Ironie: „Die Tischordnung ist aber noch zu ändern, darum fliege ich, dir für einen Nachbarn zu sorgen, welcher ... mir nicht im mindesten gefährlich werden soll!“ — Lachend schritt er zur Tür, Esther aber hob drohend die Hand: „Unverbesserlicher Spötter!“

Die Tür schloss sich und die junge Frau trat an den Tisch, um hastig den Juwelenkasten zu öffnen.

Ein leiser, halberstickter Aufschrei.

„Himmel, welche Pracht! — Welche Brillanten! Lita ... Kind ... ist das etwa das Hochzeitsangebinde deines Verlobten?“

Das junge Mädchen legte mechanisch die welkenden Lilien aus der Hand.

„Es ist der Wynburgsche Familienschmuck, und Heinz wünschte, dass ich ihn heute anlegen soll!“

Der Blick Esthers schillerte, tausend Teufelchen von Neid und Ärger schauten aus ihren Augen und schnitten ihre Grimassen.

„Wie unangenehm solch einen Wunsch erfüllen zu müssen!“ spöttelte sie, nahm das köstliche Halsgeschmeide empor und legte es einen Augenblick um ihren Nacken. —

„Ja, das sieht freilich anders aus, als mein armseliges Kettchen! Du liebe Zeit, wenn man derart in Brillanten wühlen kann! Mynherr van der Keerk legte mir freilich keine Solitäre um den Hals! — Es gab deren allerdings genug in der Familie, aber sie gehörten dem ältesten Sohn und Erben aller väterlichen Herrlichkeit! — O, es war ein Unglück, dass ich auf den Drittgeborenen hereinfiel! — Du hast die Sache schlauer gefingert, kleine Lita, und dich besser in die Wolle gesetzt als ich! — Kind! — Begreifst du überhaupt dein grosses, riesengrosses Glück?“ — und die Sprecherin warf die Steine jäh zurück und legte mit fast schmerzendem Druck die Hände auf die Schultern der zarten Mädchengestalt. „Ein Schloss, ein Majorat, Geld in Hülle und Fülle, und last not least einen Gatten, um welchen dich selbst die Engel im Himmel beneiden könnten!“

Esther lachte schroff auf, trat jäh zurück und blickte in Litas erschrockenes Gesichtchen — „und zu all diesem traumhaften Glück deine grossen, naiven, erstaunten Lämmeraugen, welche gar nicht ahnen, in wie viel Glanz sie schauen!“ —

Sie unterbrach sich, denn die Türe öffnete sich, und die Kammerjungfer erschien auf der Schwelle.

„Darf ich bitten, gnädiges Fräulein, es ist alles bereit!“ —

„Ah! das Opferlamm wird bekränzt!“ lachte Esther abermals voll nervöser Heiterkeit auf: „Wenn es gestattet ist, bleibe ich bei euch und sehe zu! Ich langweile mich sonst zu Tode! — Es ist in diesem Schloss voller Gäste ein derartiger Mangel an Zofen, dass die meine noch ein Dutzend Damen frisieren und ankleiden muss, — nun — und als höfliche Wirtin musste ich natürlich den Anfang machen und kann nun im vollen Wichs noch zwei Stunden sitzen und die Daumen umeinander drehn!“

Lita hatte schweigend vor dem Toilettentisch, um welchen die zartrosa, spitzenüberrieselten Seidengardinen wallten, Platz genommen, und Esther schien auch gar keine Aufforderung zum Bleiben abzuwarten, sondern warf sich in eines der nächststehenden Sesselchen und musterte mit scharfem Blick das wunderbar schöne Brautkleid, welches seitwärts auf dem Divan ausgebreitet lag.

Der missgünstige Ausdruck ihres Gesichtes verschärfte sich, obwohl sich die junge Frau bemühte, sehr heiter und harmlos zu plaudern.

„Vergiss nur nicht deinen Umhang umzulegen, Herzchen!“ sagte sie beinah zärtlich. „Es ist ein furchtbares Wetter draussen, so gar kein Hochzeitswetter, wie man es auch gewünscht hätte! — Höre doch nur diesen Sturm! — Sehr fatal! — Bist du abergläubisch, liebe Lita? Ich hoffe es nicht!“

„Abergläubisch? O, nicht im mindesten! Warum fragst du danach?“

„Das ist gut! Das ist sehr vernünftig! Warum ich danach frage! Ei, mein Gott, weil man doch sagt, dass ein stürmischer Hochzeitstag Unglück bringt! — Der Sturm fegt das Glück aus dem Hause, weisst du das nicht?“

Die grossen dunkeln Augen der Braut blickten ganz erschrocken aus dem lieblichen Antlitz. Unwillkürlich hob sie das Köpfchen und lauschte auf den Windstoss, welcher um die Fenster schrillte!

„O, das sagt man nur so, gnädige Frau!“ begütigte die Jungfer eifrig. „Bei mir zu Hause mag man keinen Nebel am Hochzeitstag leiden und behauptet, der bedeute ein Leichentuch, — aber Sturm schadet nichts, im Gegenteil, der fegt die Wolken weg!“

„Nebel? — ach wie schrecklich!“ entsetzte sich Esther beinah naiv, „und heute morgen, als ich aufstand, waren kaum die Parkbäume vor Nebel zu sehn ... — — Je nun! Herbstnebel! Die sollen uns die Laune noch lange nicht verderben, nicht wahr, mein kleiner Schatz?“ —

„O, gewiss nicht, liebe Esther!“ —

„Wie vernünftig du bist!“ Frau van der Keerk nahm einen sehr schönen und eleganten Reisehut, der seitwärts auf dem für die Hochzeitsreise gepackten Koffer lag, zur Hand und musterte ihn mit Kennerblicken.

Der hatte sicher seine hundertfünfzig Mark gekostet, wenn nicht mehr! Frau Esther entsann sich nicht, je im Leben ein so kostbares Stück besessen zu haben.

Wieder streifte ein beinah gehässiger Blick das bräutliche Weib. —

„Ja, grade für dich ist es doppelt günstig, wenn du dir keine törichten Gedanken machst und keinen Aberglauben hegst! Hier im Hause nämlich ... oder weisst du schon Bescheid, hat Heinz dir schon die romantische Spukgeschichte erzählt?“

Ein leises, harmloses Auflachen, Lita aber fragte erstaunt: „Hier in Wynburg eine Spukgeschichte? Nein, davon ahne ich nichts!“

Nun seufzte Esther recht sorgenvoll auf.

„Das Glück wohnt nicht in diesem Hause, das hat meine Mutter — welche ja eine geborene Wynburg ist, seit Jahren selber beobachtet. So weit man zurückblickt und die Chroniken liest, war stets ein bitteres Wenn und Aber bei all dem Glück, und wenn es von aussen noch so prächtig und glänzend schien, die Schlange lauerte jedesmal im Paradies. Du liebe Zeit, wenn man nur an die Eltern von Heinz zurückdenkt, — — war das ein Glück? Ich glaube, nur ein paar Jahre haben sie vereint hier in ihrem herrlichen Schloss gelebt, dann erfüllte sich das Verhängnis; — Krankenhaus — Irrenanstalt, — so hiess das Ende vom Lied! Und wenn man weiter forscht ... überall Unglück, nichts als Herzeleid und Elend! — Als das alte Schloss abbrannte, hatte man geglaubt, der unselige Bann sei nun gebrochen, aber nein, auch in dieses neue Schloss spann sich der Fluch der armen Wassernixe herüber!“

Die Jungfer hatte ganz entsetzt den Myrtenkranz, welchen sie schon zur Hand genommen, sinken lassen, und Lita schlang die bebenden Finger ineinander und starrte die Sprecherin mit weit offenen Augen an.

„Ein Fluch? ein Spuk? — O, bitte, erzähle! was ist es für eine Wassernixe, von der du sprichst, Esther?“ —

Wieder heulte ein Windstoss um die Fenster, und Esther beugte sich geheimnisvoll näher und flüsterte mit beinah scheuem Umblick durch das herbstlich trübe Gemach!

„Hast du noch nichts von der alten Familiensage der Wynburgs gehört? — Nein? Seltsam, sie ist doch durch das ganze Land bekannt und wird, wie man so sagt, von den Spatzen vom Dach gepfiffen! Heinz wird dir freilich nichts davon erzählt haben, denn auch die Herren der Schöpfung sind nicht ganz frei von Aberglauben und machen es gern wie der Vogel Strauss, welcher auch den Kopf in den Sand steckt und denkt, wenn man eine Gefahr nicht sieht und anerkennt, ist sie auch nicht da — —“

„Gewiss, gewiss!“ flüsterte Lita ein wenig nervös und beklommen; „und die Sage? Erzähle doch schnell, wir haben gar nicht mehr allzu lange Zeit!“ —

„Zu meiner Geschichte reicht sie noch aus!“ lächelte die junge Frau mit flimmerndem Blick, „es ist ja nur das alte Liedchen, ‚es klingt so süss, es klingt so trüb, — sie mussten beide sterben, sie hatten sich viel zu lieb‘ ...“

„Ach Gott doch ... so schrecklich?“ seufzte die Jungfer mit scheuem Blick nach der dunklen Kaminecke auf und legte den Brautkranz, welchen sie aus dem Karton genommen, mechanisch auf den Toilettentisch nieder.

Frau van der Keerk aber verschlang die Hände um das Knie, dass die Seidenwogen mit leisem Frou-frou aufrauschten, und fuhr mit gedämpfter Stimme fort:

„Du kennst den kleinen See im Park drunten? Recht melancholisch und dunkelgrün, endlos und unerforschlich