Ausgewählte Reden - Johannes Chrysostomos - E-Book

Ausgewählte Reden E-Book

Johannes Chrysostomos

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Beschreibung

Der Erfolg der Predigten des Chrysostomos beruht vor allem auf seiner großen natürlichen Redegewandtheit, die selbst für Griechen außergewöhnlich war, auf der Fülle seiner Gedanken sowie der leicht begreiflichen Art, sie darzulegen und zu veranschaulichen, und nicht zuletzt auf dem rückhaltlosen Ernst und der Überzeugung, mit der er die Botschaft verkündete, die ihm seiner Meinung nach aufgetragen worden war. Spekulative Erklärungen zogen seinen Geist nicht an, noch hätten sie dem Geschmack seiner Zuhörer entsprochen. Er bevorzugte gewöhnlich moralische Themen und folgte in seinen Predigten nicht nur sehr selten einem regelmäßigen Plan, noch legte er großen Wert darauf, Abschweifungen zu vermeiden, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot. In dieser Hinsicht ist er keineswegs ein Vorbild für unsere modernen, thematischen Predigten, die, so sehr wir es auch bedauern mögen, die alte homiletische Methode in hohem Maße verdrängt hat. Aber die häufigen Beifallsausbrüche in seiner Gemeinde mögen Chrysostomuos verraten haben, dass er auf dem richtigen Weg war. Dieser Band beinhaltet seine wichtigsten Reden.

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Seitenzahl: 572

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Ausgewählte Reden

 

JOHANNES CHRYSOSTOMOS

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Ausgewählte Reden, J. Chrysostomos

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849660222

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Auf die Neujahrskalenden (In kalendas)2

Auf Weihnachten (In diem natalem)16

Auf Epiphanie (Oratio de epiphania)32

Von der Buße (De paenitentia)44

Zwei Anreden an die Täuflinge. 55

Erste Anrede an die Täuflinge. 55

Zweite Anrede an die Täuflinge. 67

Ueber den Verrath des Judas (In proditionem Iudae)81

Von der Auferstehung der Todten (De resurrectione mortuorum)96

Ueber die Himmelfahrt unseres Herrn Jesus Christus (In ascensionem d.n. Iesu Christi)116

Erste Homilie auf das Pfingstfest  (De sancta pentecoste homilae 1)127

Zweite Homilie auf das Pfingstfest  (De sancta pentecoste homilae 2)140

Ueber das Almosen (De eleemosyna)147

Auf das Erdbeben und über Lazarus. 162

Sieben Lobreden auf den heiligen Paulus. 185

Erste Lobrede. 186

Zweite Lobrede. 193

Dritte Lobrede. 199

Vierte Lobrede. 204

Fünfte Lobrede. 216

Sechste Lobrede. 224

Siebte Lobrede. 232

Lobrede auf alle heiligen Martyrer (Encomium in martyres omnes)240

Auf den Tag seiner Priesterweihe. 248

Rede vor seiner Verbannung  (Sermo antequam iret in exsilium)257

Rede nach seiner Rückkehr aus der Verbannung (Sermo post reditum a priore exsilio)261

Rede an Eutrop (Homilia de capto Eutropio)264

Fußnoten. 272

 

 

Ausgewählte Reden

 

Bibliographische Angaben:

 

Titel Version: Ausgewählte Reden (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Ausgewählte Schriften des heiligen Chrysostomus, Patriarch von Konstantinopel. Übersetzt von Dr. Matthias Schmitz. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 13), Kempten 1879. Unter der Mitarbeit von: Uwe Holtmann.

 

 

 

 

Auf die Neujahrskalenden (In kalendas)

 

Vorbemerkungen.

 

 Bei Montfoucon I, 697 ff.

In der Einleitung bedauert der heilige Chrysostomus die Abwesenheit des Bischofs. Daraus erhellt, daß er die vorliegende Predigt vor seiner Erhebung auf den Patriarchenstuhl in Konstantinopel, als Presbyter in Antiochien gehalten hat.

Gleicher Weise ist aus innern Gründen der Tag, an dem sie gehalten wurde, mit Sicherheit zu bestimmen. Es war der erste Januar; denn an diesem Tage wurde nach dem Zeugnisse des Libanius1 der Anfang des neuen Jahres durch jene Unordnungen und Ausschweifungen gefeiert, die hier so kräftig gerügt werden. Heiden und Christen pflegten bei dieser Gelegenheit nicht bloß ihre Häuser zu bekränzen und zu illuminiren, sondern auch in ausgelassener Fröhlichkeit, in wüsten Gast und Trinkgelagen gleichsam eine Gewähr für den glücklichen Verlauf des neuen Jahres zu suchen. Dieser Unfug und der zu Grunde liegende Aberglaube wird hier mit großem Nachdruck bekämpft.  wodurch sich der Christ das Glück dieses und des zukünftigen Lebens sichern soll, wird dann ebenso einfach als praktisch dargelegt in der ausführlichen Erklärung der Worte des Apostels: „Thuet Alles zur Ehre Gottes!“2

  

Inhalt.

 

Obgleich dem Leibe nach abwesend, ist der Bischof durch das Band der Liebe innigst mit uns vereinigt. Auf sein Gebet vertrauend will ich gegen die am heutigen Tage von sehr vielen Antiochenern begangenen Sünden zu Felde ziehen, gegen die abergläubische Feier der Kalenden durch Unmäßigkeit und Ausschweifungen.

I. Es ist ein thörichter Aberglaube und ein großes Unrecht gegen Gott, wenn man gewisse Tage des Jahres an und für sich als glückliche oder unglückliche bezeichnet. Jeder Tag ist für uns ein Tag des Glücks oder des Unglücks, je nachdem wir uns an dem betreffenden Tage der Tugend befleissigen oder der Sünde hingeben. Was der Christ beim Jahreswechsel bedenken soll.

II. Um allezeit glücklich zu sein, müssen wir Alles zur Ehre Gottes thun. Erklärung der Worte des Apostels: Thuet Alles zur Ehre Gottes! Diese Vorschrift wird an einer Reihe von Beispielen erläutert: die Ehre Gottes sollen wir im Auge behalten, wenn wir essen und trinken, daheimbleiben oder ausgehen, loben, tadeln und schelten, Freundschaften schließen und Freundschaften aufgeben, reden und schweigen u. s. w. Was nicht zur Ehre Gottes ist, sollen wir auch nicht thun.

 

Text

 

1.

 **

Predigt des Heiligen [Chrysostomus] auf den Tag der Kalenden, da Flavianus, der Bischof von Antiochien nicht erschienen war. Er tadelt die Christen, welche die Neumonde [in abergläubischer Weise] feierten und Tänze in der Stadt aufführten. Über das Wort des Apostels: Thuet Alles zur Ehre Gottes!

**

 Wie der Chor seinen Meister, die Schiffsmannschaft ihren Steuermann, nicht minder wünscht auch diese Priesterschaar heute ihren gemeinsamen Vater, ihren Bischof bei sich zu sehen. Während aber ein Chor und ein Schiff durch die Abwesenheit seines Oberhauptes an Sicherheit und Ordnung oft nicht wenig verliert, ist Das bei uns ganz anders. Denn unser Bischof ist, wenn auch nicht dem Leibe nach, doch im Geiste bei uns gegenwärtig; er ist in dieser Stunde hier in unserer Mitte, ob er gleich zu Hause bleiben muß, so wie auch wir bei ihm sind, ob wir gleich hier stehen. Das bewirkt die Macht der Liebe. Ihr ist es eigen, die Liebenden zusammenzuführen, zu vereinigen, auch wenn diese durch weite Entfernung von einander getrennt bleiben. Denn wenn einer von unsern Lieben in einem fernen Lande weilt und durch das weite Meer von uns geschieden ist, dann sehen wir ihn trotzdem alle Tage mit den Augen des Geistes; und umgekehrt, wenn ein Mensch, der uns zuwider ist, ganz nahe bei uns steht, sehen wir ihn nicht, — so scheint es wenigstens oft. Die räumliche Entfernung kann also nicht schaden, wenn nur die Liebe nicht fehlt; im andern Falle kann aber auch die räumliche Nähe Nichts helfen. Als wir gestern den heiligen Paulus priesen, da habt ihr euch dermaßen gefreut, als hättet ihr ihn hier in unserer Versammlung gesehen; und doch ruht sein Leib in der Kaiserstadt Rom und seine Seele in den Händen Gottes; denn „die Seelen der Gerechten sind in der Hand des Herrn, und die Qual berührt sie nicht.“3 Gleich  wohl hat die Macht der Liebe ihn vor eure Augen gestellt. Ich hatte nun zwar vor, auch heute wieder denselben Gegenstand [Lob des heiligen Paulus]4 zu behandeln; allein ich finde es dringend nothwendig, daß ich eilends zu einem andern übergehe, daß ich nämlich über die Sünden rede, die heute von der ganzen Stadt begangen worden. Denn wer das Lob des heiligen Paulus hören will, der muß zuvor Nacheiferer seiner Tugenden und muß solcher Predigten werth sein. — Da nun unser Vater nicht anwesend ist, wohlan, so will ich auf sein Gebet vertrauen und in diesem Vertrauen die Unterweisung beginnen. Wie er für uns betet, so hat einst Moses während einer Schlacht betend die Arme ausgestreckt und eben dadurch den Seinigen Hilfe geleistet und den Feinden Schrecken eingejagt. Durch sein Gebet hat er nicht weniger, ja noch mehr als die kämpfenden Krieger [durch ihre Tapferkeit] zur Entscheidung der Schlacht beigetragen, obgleich er nicht bei ihnen war dem Leibe nach. Wie nämlich die Macht der Liebe, so wird auch die Wirksamkeit des Gebetes durch räumliche Entfernung nicht gehemmt, und wie die Liebe die Getrennten vereinigt, so vermag auch das Gebet aus der Ferne sehr großen Nutzen zu stiften. Gehen wir daher muthig in den Kampf! Denn auch bei uns wüthet ein Krieg. Es sind nicht die Amalekiter, wie in jener Zeit, die einen Angriff unternommen, es sind überhaupt keine Barbaren, die uns überfallen haben, — Teufel sind es, die auf dem Markte ihren Aufzug halten. Denn diese nächtlichen Teufelsfeste, diese Schande und Lästerreden, diese nächtlichen Tänze, diese ganze lächerliche Komödie, das sind die Feinde, die unsere Stadt belagert  und besetzt halten, und sie sind schlimmer als irgend ein anderer Feind. Deßwegen wäre es geboten, sich zu demüthigen, sich zu betrüben, sich zu schämen; und Das müßten sowohl die Schuldigen selbst —nämlich wegen ihrer Sünden, als auch die Unschuldigen — nämlich wegen der Schamlosigkeit, die sie heute an ihren Brüdern sehen. Aber in Wirklichkeit ist es anders: unsere Stadt ist ganz ausnehmend fröhlich, ist herrlich geschmückt und bekränzt, und der Marktplatz hat sich heute prunkvoll geziert wie ein putzsüchtiges, verschwenderisches Weib, ist mit goldenem Geschmeide behangen, mit kostbaren Kleidern und Schuhen und andern dergleichen Sachen ausgestattet, und unter den Handwerkern und Künstlern sucht jeder Einzelne durch Schaustellung seiner Arbeiten die Genossen zu überflügeln. Doch ist dieser Wetteifer, wenn er auch von einem kindischen Unverstand einer niedrigen, kleinlich denkenden Seele zeugt, gleichwohl ohne allzu schlimme Folgen; es sind eben nur unnütze Bemühungen, die Nichts als Spott und Gelächter einbringen. Denn wenn du schmücken willst, dann schmücke nicht deinen Laden, sondern deine Seele, nicht den Markt, sondern das Herz, damit die Engel dich bewundern die Erzengel deine Bemühungen mit Wohlgefallen betrachten und der Herr der Engel dir mit seinen Gütern und Gnaden vergelte. Diese Schaustellung aber, deren man sich jetzt befleissigt, bewirkt nur, daß man von den Einen verlacht, von den Andern beneidet wird: verlacht von Denen, die auf Höheres denken, heftig beneidet von Denen, die an derselben Schwachheit leiden.

 

2.

 

Doch, wie gesagt, dieser Wetteifer ist so sehr nicht zu tadeln. Aber Das, was heute von so Vielen in den Weinschenken um die Wette getrieben wird, Das betrübt mich am meisten; denn da werden Ausschweifungen und auch Sünden gegen den Glauben in großer Menge verübt. Da sündigt man gegen Glaube und Religion, indem man Tagwählerei5 und Zeichendeuterei treibt und der Meinung  ist, wenn man den Anfang dieses Monats unter Freuden und Vergnügungen hinbringe, dann werde es auch das ganze Jahr so gehen. Da wird durch Ausschweifung gesündigt, indem gegen Morgen Weiber und Männer in der ausgelassensten Weise volle Becher ungemischten Weines leeren. Solche Dinge sind eures christlichen Glaubens unwürdig, sei es, daß ihr sie selber thut, oder daß ihr sie Andern, euren Knechten, Freunden und Nachbarn hingehen laßt. Hast du nie gehört, was Paulus sagt?6 „Tage nehmt ihr in Acht und Monde und Zeiten und Jahre! Ich bin in Sorge, daß ich nicht etwa vergeblich gearbeitet habe für euch!“ Übrigens ist es auch eine Thorheit sonder Gleichen, wenn ihr darum von dem ganzen Jahre Glück und Heil erwartet, weil ein einziger Tag glücklich verlaufen ist; und nicht bloß höchst thöricht, sondern auch eine Wirkung des Teufels ist dieses Urtheil, welches uns verleitet, daß wir unser Schicksal nicht von der eigenen Thätigkeit, von dem eigenen guten Willen, sondern von dem Verlaufe bestimmter Jahrestage abhängig wähnen. Das Jahr wird von Anfang bis zu Ende ein glückliches für dich sein, nicht wenn du am Neumondstage der Trunkenheit fröhnst, sondern wenn du an diesem Tage und an jedem andern thust, was Gott wohlgefällt. Ein Tag unterscheidet sich nicht vom andern; jeder Tag ist ein guter oder ein böser nicht seiner Natur nach, sondern je nach unserm Eifer oder unserer Nachläßigkeit im Guten. Wenn du Gerechtigkeit übest, ist dir der Tag zum Heile; wenn du Sünde thust, ist es  für dich ein böser Tag, ein Tag der Strafe. Wenn du so denkst und gesinnt bist und dich also jeden Tag des Gebetes und der Wohlthätigkeit befleissigst, dann wird das ganze Jahr für dich ein glückliches sein; wenn du aber die Übung der Tugend vernachläßigst, und dafür dein Wohlergehen den Anfängen der Monate und den Nummern der Tage anvertraust, dann wird dir Alles fehlen, was dir wahrhaft gut ist. Das hat der Teufel sehr wohl gewußt, und um uns nun von dem mühevollen Streben nach Tugend abzubringen, um den guten Willen in unsern Herzen zu ertödten, hat er diesen Wahn aufgebracht, daß man Glück und Unglück der natürlichen Beschaffenheit der Tage zuschreibt. Denn wer sich überredet hat, daß für ihn der eine Tag ein böser, der andere ein guter sei, der wird sich weder am bösen noch am guten Tage guter Werke befleissen. Am bösen Tage wird er denken, wegen des Verhängnisses, das auf diesem Tage liege, sei Alles nutzlos und vergeblich, und am guten Tage, wegen des Glückes, das dieser Tag bringe, werde ihm seine Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit keinen Schaden bringen. So wird er jedes Mal sein Seelenheil preisgeben und wird in seiner Trägheit und Sündhaftigkeit verharren, um sich nicht an dem einen Tage vergeblich, an dem andern überflüssiger Weise abzumühen. Da ihr Das nun wißt, sollt ihr euch den Ränken des Teufels entziehen, sollt dieses verkehrte Urtheil aufgeben, keine Tagwählerei treiben, nicht den einen Tag hassen und den andern lieben. Denn nicht bloß um uns in Gleichgiltigkeit zu versenken, sondern auch um den Werken Gottes eine Makel anzuheften, hat der böse Feind diese List in’s Werk gesetzt, und so sucht er uns in den Abgrund der Gottlosigkeit und zugleich der Nachlässigkeit herabzuziehen. Wir aber müssen vor ihm fliehen und wohl wissen, daß es nichts Böses gibt als nur die Sünde, und nichts Gutes als nur die Tugend und das Streben, Gott in allen Dingen wohlgefällig zu sein. Nicht Trunkenheit, sondern Herzensgebet macht fröhlich, nicht der Wein, sondern die erbauende Rede. Jener bewirkt stürmische Aufregung, diese bringt heitere  Ruhe; jener erzeugt Verwirrung, diese vertreibt die Unruhe; jener umnachtet den Geist, diese hellt den verfinsterten auf; jener bringt neuen Verdruß, diese treibt den vorhandenen aus.

Denn es gibt Nichts, was in so hohem Grade Zufriedenheit und Fröhlichkeit zu erzeugen pflegt, als die Grundsätze des Christenthums, die Verachtung der gegenwärtigen und das angestrengte Streben nach den zukünftigen Gütern, dann die Überzeugung von dem Unbestande alles Irdischen: des Reichthums, der weltlichen Gewalt, der Ehrenstellen, des stattlichen Gefolges. Wenn du dich zu dieser Gesinnung zu erheben vermagst, dann kannst du die Reichen sehen, ohne von Neid gequält zu werden, kannst selbst in Armuth gerathen, ohne dich durch die äusserste Dürftigkeit niedergedrückt zu fühlen. Dann wird jeder Tag für dich ein Fest sein. Denn der Christ soll nicht bloß in gewissen Monaten, nicht bloß an Neumondstagen oder an Sonntagen feiern, sondern während seines ganzen Lebens so feiern, wie es sich für ihn geziemt. Und was ist Das für eine Feier? Hören wir den heiligen Paulus! „Lasset uns festfeiern, nicht im alten Sauerteig und nicht im Sauerteig der Bosheit und Argheit, sondern im Ungesäuerten der Aufrichtigkeit und Wahrheit.“7 Wenn du also ein reines Gewissen hast, dann ist dir jeder Tag ein Fest; denn allezeit erquicken dich die seligsten Hoffnungen und erfreut dich die Erwartung der zukünftigen Herrlichkeit. Und umgekehrt: wenn du keine herzliche Freundschaft mit Gott dem Herrn unterhältst, wenn du dich vieler Sünden schuldig gemacht hast, dann wirst du trotz zahlloser Feste und Festaufzüge um Nichts besser daran sein, als wer in tiefer Trauer ist. Denn was hilft mir der Glanz eines festlichen Tages, wenn meine Seele durch die Nacht des bösen Gewissens  verfinstert ist? — Also wenn du von den Neumondstagen einen wahren Nutzen erzielen willst, dann mache es so: Sieh auf das verflossene Jahr, und danke dem Herrn, daß er dich diese Reihe von Jahren hat erleben lassen. Dann erwecke in deiner Seele einen heftigen Schmerz, indem du der entschwundenen Lebenszeit gedenkest und zu dir selber sagst: Die Tage verrinnen und eilen vorüber, die Jahre endigen eins um das andere, einen großen Theil des Lebensweges haben wir schon zurückgelegt. Was haben wir nun Gutes gethan? Werden wir nicht von aller Gerechtigkeit entblößt, alles Guten baar sein, wenn wir von hinnen scheiden müssen? Das Gericht steht vor der Thür, zum Greisenalter eilt schon raschen Schrittes unser Leben.

  

3.

 

Das sind die Gedanken und Erwägungen, zu denen der Neumondstag und der Ablauf des Jahres uns veranlassen sollen. Des Gerichtstages sollen wir gedenken, damit Niemand zu uns sagen könne, was einst der Prophet zu den Juden gesagt hat: Es entschwanden ihre Tage in Nichtigkeit, ihre Jahre in Eile.“8Dieses immerwährende Fest, von dem ich sprach, das den Umlauf des Jahres nicht abwartet, das an keinen Tag gebunden ist, kann der Arme und der Reiche gleichermaßen begehen. Denn da bedarf es keines Geldes und keiner Schätze, sondern nur einer tugendhaften Gesinnung. Du hast vielleicht kein Geld? Aber du hast die Furcht Gottes, und Das ist ein Schatz, der dich reicher macht als alles Gold der Welt, der auf Niemand übergehen, der niemals verbraucht, niemals erschöpft werden kann. Sieh den Himmel an, sieh den Himmel des Himmels, die Erde, das Meer, die Luft, die verschiedenen Arten der Thiere, die vielfältigen Gewächse, das ganze Geschlecht der Menschen; denke an die Engel, die Erzengel, die Heerschaaren des Himmels,  und dann erinnere dich, daß Dieß alles deinem Herrn gehört. Wie kann denn der Knecht eines so reichen Herrn arm sein, wenn sein Herr ihm gewogen ist?

Die Tagwählerei ist ein Ausfluß heidnischen Wahns und hat Nichts mit der christlichen Wahrheit zu schaffen. Dein Name ist eingetragen in das Verzeichniß der Himmelsbürger, du hast dich den Engeln zugesellt, und seitdem gehörst du zur himmlischen Gemeinde. Das Licht, das dort leuchtet, wandelt sich nie in Finsterniß, nie geht dort der Tag in nächtliches Dunkel über, der Tag und das Licht dauert für und für. Dahin laßt uns unablässig schauen! Denn Paulus sagt: „Was droben ist, suchet, wo Christus ist zur Rechten Gottes sitzend.“9 Mit dieser Welt, wo die Sonne auf und untergeht, die Zeiten und die Tage stetig wechseln, hast du Nichts gemein. Wenn du tugendhaft lebst, dann wird für dich die Nacht zum Tage, wie auch umgekehrt den Prassern, den Trunkenbolden und Wollüstlingen der Tag sich in nächtliche Finsterniß wandelt — nicht als ob für sie die Sonne verlöschte, sondern weil ihr Geist umnachtet ist durch das Laster der Unmäßigkeit. Solche Tage leidenschaftlich lieben, an ihnen sich mehr als sonst dem Vergnügen hingeben, auf dem Markte Laternen anzünden und Kränze winden — das sind kindische Thorheiten. Du hast dich doch von diesen Schwächen losgesagt, du zählst zu den Männern und bist sogar unter die Himmelsbürger gerechnet. Anstatt auf dem Markte ein sichtbares Licht anzuzünden, entzünde ein übersinnliches Licht in deiner Seele. Denn so sagt der Herr: „Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, auf daß sie eure guten Werke sehen und euren Vater preisen, der in den Himmeln ist.“10 Dieses Licht wird dir großen Lohn einbringen. Anstatt deine Hausthür zu bekränzen, befleisse dich eines solchen Wandels, daß einst die Hand des Erlösers deinem Haupte die Krone der  Gerechtigkeit aufsetze. Nichts geschehe vergeblich, Nichts in Gleichgültigkeit. So gebietet uns Paulus, Alles zur Ehre Gottes zu thun: „Ihr möget essen oder trinken,“ sagt er, „thut Alles zur Ehre Gottes.“11

Wie ist es denn möglich, sagt man, zur Ehre Gottes zu essen und zu trinken? Lade einen Armen zu Tische, mache dadurch Christum zu deinem Tischgenossen, dann wirst du zur Ehre Gottes essen und trinken. Aber nicht allein Das, sondern auch alles Andere will der Apostel zur Ehre Gottes gethan wissen, z. B. ausgehen und zu Hause bleiben — Beides um Gottes willen. Wie kann man denn Beides um Gottes willen thun? Wenn du in die Kirche gehst, wenn du am Gebete und am christlichen Unterrichte Theil nimmst, dann ist dein Ausgang zur Ehre Gottes. Ein anderes Mal kannst du zur Ehre Gottes zu Hause bleiben. Wie Das denn? Wenn du hörst, wie draussen in dem wilden, zügellosen Lärm die Teufel ihren Aufzug halten, wenn nichtswürdige, zuchtlose Menschen sich auf den Strassen drängen, dann bleibe zu Hause, halte dich fern von dieser Unordnung — und du bist zur Ehre Gottes zu Hause geblieben.

Zur Ehre Gottes kann man nicht bloß daheim bleiben, und ausgehen, sondern auch loben und tadeln. Wie kann man denn Jemand zur Ehre Gottes loben oder heruntersetzen? Manchmal sitzt ihr in eurer Werkstätte, und seht dann schlechte, nichtswürdige Menschen vorübergehen, die in ihrer Aufgeblasenheit hochmüthig um sich her sehen, einen ganzen Schwarm von Schmarotzern und Speichelleckern hinter sich haben, kostbare Kleider tragen, mit vielem Prunk umgeben sind — Menschen, die in ihrer Habsucht Jedermanns Gut an sich reissen. Wenn dann Einer sagt: Ist Das nicht ein beneidenswerther, ein glücklicher Mann? —  so fahr’ ihn an, schilt, stopf’ ihm den Mund, bedauere und beklage den Vorübergehenden: das heißt tadeln um Gottes Willen. Ein solcher Tadel ist für deine Kameraden eine Unterweisung in der christlichen Tugend und Weisheit, eine Mahnung, nicht so übermäßig an den Dingen dieser Welt zu hängen. Zu Demjenigen, der solche Worte geredet hat, sollst du sagen: Warum ist dieser Mensch denn glücklich? Weil er einen goldgezäumten Gaul hat, der Bewunderung erregt? weil er viele Sklaven besitzt, einen prächtigen Rock trägt und alle Tage beinahe erstickt in Unmäßigkeit und Wollust? Deßwegen ist er gerade zu bedauern, zu beklagen, unendlich zu beweinen. Ich sehe, daß ihr an ihm selbst Nichts zu loben findet, und nur lobt, was um ihn und neben ihm ist und nicht zu seiner Person gehört, z. B. seine Pferde, Zügel, Kleider. Nein, einen elendern Menschen gibt es nicht. Sein Pferd und der Zügel seines Pferdes, die Schönheit seiner Kleider, die Wohlgestalt seiner Sklaven wird bewundert — er selbst geht vorüber und wird nicht gelobt. Niemand kann ärmer sein als dieser Mensch, der nichts Gutes und Schönes recht zu eigen hat, Nichts, was er aus dieser Welt mitnehmen kann, und sich nur allein mit fremden Federn schmückt. Denn der Schmuck und Reichthum, der wahrhaft unser eigen ist, besteht nicht in Kleidern, Rossen oder Sklaven, sondern in der Tugend des Herzens, im Reichthum an guten Werken, in der Freundschaft mit Gott.

  

4.

 

Bei Montfaucon c. V.

Ein anderes Mal siehst du einen Bettler vorüber gehen, einen Menschen aus dem niedrigsten Stande, ganz verachtet, der aber in seiner Armuth ein tugendhaftes Leben führt. Wenn ihn dann deine Kameraden für einen recht bedauernswerthen Mann ausgeben, dann lobe ihn, so wird das Lob des vorübergehenden Bettlers zugleich eine Mahnung und Ermunterung zu einem frommen, tugendhaften Lebens  wandel sein. Wenn sie sagen: das ist doch ein höchst elender und beklagenswerther Mensch — dann sage du: Nein, es ist der allerglücklichste, weil er Gott zum Freunde hat, ein tugendhaftes Leben führt und in seinem guten Gewissen einen unerschöpflichen Reichthum besitzt. Daß er kein Geld hat, was schadet ihm Das? Wird er doch einst die himmlischen Güter und Freuden erben. Wenn du solche Erwägungen vorbringst, wenn du so deine Genossen und andere Leute unterweisest, dann lobst und tadelst du zur Ehre Gottes, und wirst einst für Beides reichlich belohnt werden.

Indem ich euch dazu ermahne und anleite, rede ich fürwahr nicht leichthin, nicht ohne guten Grund. Nein, es ist so, wie ich sagte: Wer so gesinnt ist, Dem ist von Gott dem Herrn ein großer Lohn hinterlegt, und solche Urtheile werden wirklich als Verdienst angerechnet. Höret nur, wie über die Menschen, welche sich so verhalten, der Prophet redet, und wie er es unter die guten Werke rechnet, wenn man die Gottesfürchtigen preist, die Gottlosen verachtet!12 An jener Stelle spricht er davon, wie Derjenige beschaffen sein müsse, der im heiligen Zelte wohne, er müsse nämlich untadelig sein, Gerechtigkeit üben, unschuldig sein, und nachdem er also die übrigen Tugenden aufgezählt hat, die man besitzen muß, um von Gott geehrt zu werden, nachdem er gesagt hat: „Der Täuschung nicht auf seiner Zunge hegt, der seinem Nächsten nichts Übles thut,“13 setzt er hinzu: „In seinen Augen ist der Bösewicht Nichts werth; die aber den Herrn fürchten, preis’t er.“ Da habt ihr den Beweis, daß es etwas Verdienstliches ist, wenn man die Gottlosen verachtet, die Gottesfürchtigen aber lobt und selig preist. An einer andern Stelle lehrt er ganz dasselbe mit den Worten: „Bei mir sind aber hoch in Ehren, o Gott, deine Freunde, gar sehr gekräftigt ist ihre Herrschaft.“14 Wer von Gott  gelobt wird, Den sollst du nicht tadeln — er lobt den Gerechten, auch wenn er ein Bettler ist. Wer von Gott verabscheut wird, den sollst du nicht loben — er verabscheut den Bösewicht, auch wenn er noch so reich ist. Wenn du aber lobst, und wenn du tadelst, thue Beides so, wie Gott es will.

Man kann auch sogar schelten zur Ehre Gottes. Und wie denn? Wir sind oft ungehalten über unsere Dienstboten. Wie können wir nun um Gottes willen schelten? Wenn du siehst, daß Einer dem Trunke fröhnt, oder stiehlt, sei es nun ein Dienstbote oder Freund oder Angehöriger, oder daß er in’s Theater läuft, sein Seelenheil vernachläßigt, daß er schwört, falsch schwört, Lügen redet, dann werde ungehalten, strafe, weise zurecht, bessere — und Das alles hast du um Gottes willen gethan. Wenn du aber merkst, daß er sich gegen dich verfehlt, daß er in deinem Dienste Etwas versieht, dann verzeihe — und du hast um Gottes willen verziehen. Aber in Wirklichkeit machen Viele es mit ihren Freunden und Dienstboten gerade umgekehrt. Wenn man sich nämlich gegen ihre Person verfehlt, dann werden sie scharfe, unnachsichtige Richter; | wenn man aber Gott den Herrn beleidigt und die Seele zu Grunde richtet, Das rechnen sie für | Nichts. — Wieder ein anderes: Mußt du dir Freunde suchen? Thue es, aber um Gottes willen. Oder du mußt dir Jemand zum Feinde machen? Auch Das geschehe nur um Gottes willen. Wie können wir uns denn um Gottes willen Freunde und Feinde machen? Wenn wir uns nicht um solche Freundschaften bemühen, die uns Geldgewinn, Gastgelage und Menschengunst in Aussicht stellen; wenn wir vielmehr solchen Freunden nachspüren und uns anschließen, die es verstehen, in unserer Seele die Ordnung herzustellen, uns zur Pflichterfüllung anzutreiben, uns für unsere Sünden zu schelten, für Vergehungen ernstliche Vorstellungen zu machen, uns auszurichten, wenn wir gestrauchelt sind, und die durch Gebet und gute Lehren uns helfen, Gott dem Herrn näher zu kommen. So kann man um  Gottes willen sich auch Jemand zum Feinde machen. Wenn du merkst, daß ein nichtswürdiger Mensch, ein Mensch ohne Zucht und voll Bosheit, ein Mensch von schlechten Grundsätzen, dich zum Falle bringt, deiner Seele schadet, dann verlaß ihn, wende dich eilends von ihm ab. Das hat Christus befohlen mit den Worten: „Wenn dein rechtes Auge dich ärgert, reiß es aus und wirf es von dir.“15 Es ist also sein Gebot, daß wir solche Freunde, die unser Seelenheil gefährden, um jeden Preis aufgeben und verlaufen, wären sie uns auch so lieb wie unsere Augen, und noch so nothwendig in unsern irdischen Angelegenheiten.

Wenn du an einer Zusammenkunft Theil nimmst und dich in weitläufigen Reden ergehst, thue auch Das um Gottes willen, und wenn du schweigst, dann schweige um Gottes willen. Wie kann man denn um Gottes willen an einer Zusammenkunft Theil nehmen? Wenn du in der Gesellschaft mit Andern nicht von weltlichen Dingen, nicht von solchen Angelegenheiten redest, die uns ganz gleichgiltig sein sollen, die uns Nichts angehen, sondern von den Wahrheiten der christlichen Lehre, von der Hölle und vom Himmelreich. Aber nicht von allerlei überflüssigen und unnützen Dingen, z. B.: Wer hat das Amt erhalten? Wer ist abgesetzt worden? Warum ist Dieser bestraft worden? Wodurch hat Jener seinen Gewinn gemacht und sein Vermögen gemehrt? Was hat Dieser bei seinem Ableben Jenem hinterlassen? Wodurch ist Dieser um die Erbschaft gekommen, der doch erwartet hatte, unter den Erben in erster Reihe zu stehen? Und so gibt es noch manches Andere. Laßt uns doch nicht von solchen Dingen reden, und auch nicht zugeben, daß Andere davon reden. Laßt uns vielmehr erforschen, was wir thun und reden müssen, um Gott zu gefallen.

Auch schweigen kannst du um Gottes willen: wenn du nämlich beleidigt, geschmäht und aus mancherlei Weise gequält wirst, und Das alles edelmüthig erträgst, und gegen den Beleidiger kein verletzendes Wort ausstößt.

Aber nicht allein loben und tadeln, daheim bleiben und ausgehen, reden und schweigen, sondern auch trauern und weinen, sich freuen und fröhlich sein kann man zur Ehre Gottes. Wenn du nämlich siehst, daß dein Bruder sich vergeht, oder daß du selbst in eine Sünde gefallen bist, und wenn du darüber seufzest und trauerst, so bringt dein Schmerz dir Heil, das niemals zu bereuen ist, wie Paulus sagt: „Denn die Gott gemäße Trauer wirkt unbereutes Heil.“16 Wenn du ferner siehst, daß ein anderer in Ehren ist, dann werde nicht mißgünstig, sondern danke Gott dem Herrn, daß er deinen Bruder auszeichnet; danke ihm dafür ebenso wie für die Wohlthaten, welche er dir erweis’t, und für diese Freude wird dir großer Lohn.

  

5.

 

Montfaucon c. VI.

Wer könnte auch wohl mehr zu beklagen sein als ein neidischer Mensch? Während es ihm frei steht, sich über das Glück seiner Mitmenschen zu freuen, und aus dieser Freude überdieß noch Gewinn zu erzielen, zieht er vor, sich zu betrüben, und sich für den Verdruß auch noch Strafen, unerträgliche Züchtigungen von Gott zuzuziehen.

Allein ich habe gar nicht nöthig, hier von Lob und Tadel, von Traurigkeit und Freude zu reden; kann uns doch selbst die geringste und unbedeutendste Handlung sehr großen Nutzen bringen, wenn wir sie um Gottes willen verrichten. Kann wohl Etwas geringfügiger sein, als wenn man sich das Haar schneidet? Und selbst Das kann man um Gottes willen thun. Wenn du nämlich dein Haar  nicht zierlich zu ordnen, dein Angesicht nicht zu schmücken suchst, wenn du dich nicht aufputzest zur Bethörung und Verführung derer, die dich sehen, sondern dabei ganz einfach und kunstlos zu Werke gehst, und nur Das thust, was eben nöthig ist: dann hast du es um Gottes willen gethan und wirst ganz gewiß deinen Lohn erhalten, weil du eine verkehrte Begierde niedergehalten und ein unberechtigtes Verlangen nach Auszeichnung unterdrückt hast. Denn wenn Derjenige, der um Gottes willen nur einen Becher kalten Wassers reicht, das Himmelreich erlangen soll, wie großen Lohnes wird sich einst Derjenige freuen können, der Alles um Gottes willen thut?17

So kann man es auch selbst mit seinem Gang, mit seinen Blicken halten — Alles um Gottes willen! Wie kann man Das denn? Wenn du nicht zur Sünde hinläufst, wenn du dich nicht um fremde Schönheit kümmerst, wenn du beim Anblick eines Weibes deine Augen beherrschest und durch die Furcht Gottes in Schranken hältst: dann hast du es um Gottes willen gethan; wenn wir ferner keine kostbaren, keine weichlichen Kleider tragen, sondern nur solche, die zu unserer Bedeckung genügen. Sogar bis herab zu den Schuhen läßt sich diese Regel beobachten. Denn es sind jetzt manche Menschen in ihrer Weichlichkeit und Verschwendung so tief heruntergekommen, daß sie sogar ihre Schuhe schmücken und rundum verzieren, gerade wie Andere ihr Angesicht. Das zeugt von einer unreinen, verderbten Seele. Es scheint zwar geringfügig zu sein, aber es ist ein Zeichen, ein sicherer Beweis von großer Verkehrtheit bei Männern und Weibern. Man kann also selbst Schuhe um Gottes willen tragen, wenn man nämlich immer nur das Nothwendige im Auge behält und sich dadurch in seiner Wahl und seinem Gebrauche bestimmen läßt. Daß man ferner auch durch den Gang, durch die Kleidung Gott ver  herrlichen kann, das laßt euch mit den Worten eines weisen Mannes sagen: „Die Kleidung eines Mannes, das Lachen der Zähne und der Gang der Füße verräth, was an ihm ist.“18 Wenn wir mit Bescheidenheit, Ernst und Würde auftreten, wenn wir in jeder Beziehung eine große Selbstbeherrschung an den Tag legen, dann wird auch selbst ein ungläubiger oder ein ganz zuchtloser Mensch, auch ein Schreier und Polterer, mag er sonst noch so wenig Gefühl haben, uns seine Bewunderung nicht versagen können. **Wenn wir ein Weib nehmen, soll auch Das um Gottes willen geschehen. Sehen wir nicht auf Vermögen, sondern auf edle Eigenschaften des Herzens, nicht auf Überfluß an Hab und Gut, nicht auf Adel der Familie, sondern aus tugendhaften Wandel, auf Sanftmuth und Bescheidenheit; die Frau soll uns durch das Leben geleiten, nicht in der Schenke Gesellschaft leisten.

Wozu soll ich Alles aufzählen? Nach Dem, was ich schon gesagt habe, können wir ja Alles durchgeben, was geschieht und was zu thun ist, und können Alles um Gottes willen thun. Wir sollen es machen wie die Handelsleute. Wenn solche auf ihren Seefahrten bei gewissen Städten vor Anker gehen, dann verlassen sie den Hafen nicht eher, und begeben sich nicht eher auf den Markt, als bis sie erfahren haben, daß an den dort verkäuflichen Waaren Etwas zu verdienen ist. So sollst auch du Nichts thun und Nichts reden, wenn es nicht einen Gewinn bei Gott dem Herrn für dich abwirft. Sage mir nicht: man kann nicht Alles um Gottes willen thun. Denn wenn du um Gottes willen Schuhe tragen, das Haar schneiden, Kleider anziehen, gehen, sehen, reden, an Gesellschaften Theil nehmen, ein und ausgehen, schelten, loben, tadeln, preisen, Freundschaft schliessen und Feindschaft anfangen kannst: bleibt dann noch Et  was übrig, was nicht zur Ehre Gottes geschehen kann, wenn wir nur wollen?

Es kann doch kaum ein Mensch tiefer stehen als ein Kerkermeister. Scheint es nicht wirklich, daß ein solcher das allerschlechteste Leben führt? Und doch kann sich Einer auch in diesem Stande, wofern er nur will, Verdienste erwerben, wenn er mit den Gefangenen schonend umgeht, wenn er sich der ungerecht Eingekerkerten besonders annimmt, wenn er fremdes Unglück nicht zu seinem Gewinne ausbeutet, wenn er allen Gefangenen Schutz und Zuflucht gewährt. Auf solche Weise ist jener Kerkermeister zur Zeit Pauli zum Heile gelangt.19 Daraus geht hervor, daß wir aus allen Dingen, wenn wir nur wollen, Nutzen ziehen können.

  

6.

 

Bei Montfoucon c. VII.

Kann es wohl etwas Ärgeres geben als einen Todtschlag? Und doch ist es vorgekommen, daß selbst ein Todtschlag Dem, der ihn beging, zur Rechtfertigung diente. So groß ist das Verdienst, wenn man Etwas um Gottes willen thut. Wie konnte denn ein Todtschlag Rechtfertigung wirken? Vernehmet es.20 Um die Juden mit Gott dem Herrn zu verfeinden, und in der Hoffnung, ihnen nach der Entziehung des göttlichen Wohlgefallens eine Niederlage beizubringen, schickten die Madianiter aufgeputzte Dirnen vor das Lager, und es gelang ihnen, die Juden zu bethören, sie zur Unzucht und dann auch zum Götzendienste zu verführen. Das sah Phinees; er ergriff ein Schwert und durchbohrte zwei, die mit einander Unzucht trieben, gerade bei ihrem Verbrechen — und dadurch hemmte er den Zorn Gottes und wandte das Strafgericht ab. Seine That war ein Todtschlag, sein Verdienst aber die Rettung der ganzen Menge, die schon daran war, zu Grunde zu gehen. Darum  trug ihm diese That Rechtfertigung ein. Dieser Mord, weit entfernt, seine Hände zu beflecken, machte sie nur noch reiner. Wohl begreiflich: denn er that es ja nicht aus Haß gegen die beiden Erschlagenen, sondern um den Übrigen Schonung zu erwirken. Er tödtete zwei und rettete viele Taufende. Wie der Arzt ein faulendes Glied ausschneidet, um den ganzen sonst gesunden Leib zu retten, so hat auch er gethan. Darum sagt von ihm der Psalmist: „Da stellte Phinees sich hin und schaffte Sühne, und die Züchtigung hörte auf. Und es ward ihm zur Gerechtigkeit angerechnet von Geschlecht zu Geschlecht, auf ewig.“21 Unsterblich bleibt also das Andenken an diese verdienstvolle That.

Ein Anderer hat Gott beleidigt durch sein Gebet; so schlimm ist es, wenn man Etwas nicht um Gottes willen thut. Ich meine den Pharisäer.22 Wie Phinees, nachdem er den Todtschlag begangen, [wegen seiner reinen Absicht] gelobt und ausgezeichnet wird: so hat der Pharisäer nicht durch das Beten, sondern durch die Gesinnung bei seinem Gebete gesündigt und Gott beleidigt. So kann also selbst ein Heilswerk, wenn es nicht um Gottes willen geschieht, großen Schaden bringen, wie andererseits ganz weltliche Beschäftigungen, wenn man ihnen um Gottes willen und in der Liebe zu Gott obliegt, von sehr großem Nutzen sind. Was ist schlimmer und ärger als ein Todtschlag? Und dennoch hat ein solcher den Mann, der ihn beging, gerecht gemacht. Wenn wir also sagen: Es ist nicht möglich, Alles verdienstlich zu machen, Alles um Gottes willen zu thun— wie wäre Das zu entschuldigen, da wir gefunden haben, daß ein Mann sich sogar durch Todtschlag Verdienst erworben hat?

Wofern wir nur recht Acht haben, können wir das ganze Leben hindurch dieses für unsere Seele so vortheilhafte Geschäft fortführen, auch beim Kaufen und Ver  kaufen: wenn wir z. B. beim Verkauf nicht mehr als den gesetzmäßigen Preis fordern, wenn wir die schlechten Zeiten und die Noth des Mitmenschen nicht ausbeuten, und unter solchen Umständen den Bedürftigen mittheilen. „Denn wer den Fruchtpreis in die Höhe treibt,“ heißt es, „der wird vom Volke verflucht.“23

Doch wozu soll ich von allen Einzelheiten reden? Ich muß durch ein Gleichniß das Ganze zusammenfassen und anschaulich machen. Wie die Bauleute, wenn sie eine Mauer ausführen, von einem Ende zum andern die Meßschnur ausspannen, und ihren Bau so einrichten, daß an der ganzen Oberfläche keine Unebenheit zu entdecken ist: so sei unsere Meßschnur dieses Wort des Apostels: „Ihr möget essen oder trinken oder sonst Etwas thun, thut Alles zur Ehre Gottes.“24 Ob wir also beten, fasten, schelten, verzeihen, loben, tadeln, ein und ausgehen, kaufen, verkaufen, reden, schweigen, oder irgend etwas Anderes thun, thun wir es zur Ehre Gottes, und was nicht zur Ehre Gottes ist, Das soll von uns gar nicht gethan und gesagt werden. Schreiben wir dieses Wort in unsere Seele ein, tragen wir es überall bei uns als einen kräftigen Stab, als Schutz und Waffe, als einen Schatz von unendlichem Werthe, damit wir, nachdem wir Alles zur Ehre Gottes gethan, geredet, betrieben haben, hier auf Erden und auch nach unserm Hinscheiden seiner Herrlichkeit theilhaftig werden. Denn er sagt ja: „Die mich verherrlichen, werde ich verherrlichen.“25 Laßt uns denn nicht durch Worte allein, sondern auch durch die That ihn unaufhörlich verherrlichen, zugleich mit Christus, unserm Gott, denn ihm gebührt alle Herrlichkeit, Ehre und Anbetung, jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.

 

 

 

 

 

Auf Weihnachten (In diem natalem)

 

Vorbemerkungen.

 

Bei Montfoucon II. 354 ff.

Die folgende Rede hielt der heilige Chrysostomus, wie mit Sicherheit anzunehmen ist, am Weihnachtsfeste des Jahres 386 in Antiochien. Die nachstehenden Daten geben einen Anhalt zur Bestimmung der Zeit.

1.       In Kap. 6 kündigt der Redner an, daß nach ihm der κοινὸςδιδάσκαλος, d. i. ohne Zweifel der Bischof, predigen werde. Er selbst war demnach noch nicht Bischof und noch nicht in Konstantinopel, sondern erst Verwalter des Predigtamts Antiochien (386—398).

2.       „Noch sind es nicht zehn Jahre,“ heißt es im ersten Kapitel, „seitdem dieser Tag (er meint den Tag der Geburt des Herrn) zu unserer Kenntniß gelangt ist.“ Zwischen 370 und 380 war es, daß im Morgenlande die Feier des 25. Dezembers aufkam. Diese stelle steht also dem Jahre 386 wenigstens nicht entgegen.

3.       Aus der Art und Weise, wie der Redner sein Thema ankündigt, scheint deutlich hervorzugehen, daß er nach seiner  Priesterweihe, die er im Jahre 386 empfing, die erste passende Gelegenheit benutzen wollte, um die Feier des 25. Dezembers zu empfehlen. Diese Gelegenheit bot sich ihm natürlich am Weihnachtsfeste des Jahres 386.

4.       In Capitel 5 spricht er von seinen Reden gegen die Juden, die er um die Zeit des letzten Laubhüttenfestes (im September) gehalten habe. Das sind nach Moutfaucon die drei ersten Reden contra Judaeos, abgedruckt im ersten Bande der Maurinerausgabe, gehalten im Jahre 386.

Demnach ist diese Weihnachtspredigt aller Wahrscheinlichkeit nach in das Jahr 386 zu setzen. Zweck derselben ist, die Antiochener zur allgemeinen Feier des 25. Dezembers als des Geburtstages des Herrn zu bestimmen. Bis vor kurzem hatte die morgenländische Kirche das festliche Andenken an dieses gnadenreiche Ereigniß zugleich mit der Feier der Epiphanie am 6. Jannuar begangen. Das „neue“ Fest des 25. Dezembers stieß noch auf Widerspruch. Was Chrysostomus zu dessen Empfehlung vorbringt, ist kurz zusammengefaßt in der unten folgenden Inhaltsangabe. Von besonderm Interesse ist sein drittes Argument, hergenommen aus der Erzählung des Evangelisten Lukas über die dem Zacharias gewordene Erscheinung. Aus dieser Erzählung, sagt der Redner, gehe mit Bestimmtheit hervor, daß der Tag der gedachten Erscheinung kein anderer gewesen sein könne, als der große Versöhnungstag der Juden. Denn Zacharias habe ein Rauchopfer dargebracht, der Rauchopferaltar habe im Allerheiligsten gestanden, und das Allerheiligste habe nur der Hohepriester, und zwar nur am Versöhnungstage betreten dürfen. Da nun dieser Tag in den September siel, habe Elisabeth im September den Johannes empfangen; sechs Monate später, also im März, wurde der Engel Gabriel zu Maria gesandt; also wäre es im Dezember gewesen, daß Maria den Heiland gebar. Indessen — diese ganze Beweisführung wird hinfällig durch die unzweifelhafte Thatsache, daß der Rauchopferaltar im Heiligthum, nicht aber im Allerheiligsten seine Stelle hatte, wie aus II. Mos. 30, 6 vgl. 40, 26 zweifellos sich ergibt.

War Zacharias Hoherpriester, wie Chrysostomus und ver  schiedene andere alte Exegeten annehmen? Die Erzählung des heiligen Lukas spricht eher dagegen als dafür: „Da kam er, nach der Sitte des Priesterthums, durch das Loos daran, daß er, eingetreten in den Tempel des Herrn, zu räuchern hatte.“26

Übrigens hängt mit jener Annahme, nach welcher der Rauchopferaltar im Allerheiligsten gestanden hätte, der weitere Irrthum zusammen, daß der Altar für die blutigen Opfer in das Heiligthum statt in den Vorhof versetzt wird.

Will man nach dem Grunde dieser Irrthümer fragen, darf vielleicht auf Hebr. 9, 4 verwiesen werden. Hier wird nämlich unter den heiligen Gegenständen, welche „innerhalb des Vorhanges“ d. i. im Allerheiligsten aufbewahrt wurden, auch das θυμιαστήριον genannt. Nach einer jetzt viel verbreiteten Erklärung versteht man darunter ein Rauchfaß oder eine Schale für Rauchwerk; Chrysostomus hielt es für den Rauchopfer altar. Da ferner an derselben Stelle27 gesagt wird, daß die Priester allezeit in das „vordere Gezelt“ d. i. in das Heiligthum eingingen, wenn sie Opferhandlungen vollzogen, versetzte er in das Heiligthum den Brandopferaltar.28 Es ist unleugbar ein sprödes undankbares Thema, das in dieser Rede behandelt wird. Selbst die Beredsamkeit des Goldmundes konnte nicht verhüten, daß sich im Auditorium einmal Unruhe und Ungeduld sich bemerklich machte.29 Was dieser Predigt noch besonders viel Werth verleiht, sind die herrlichen Lehren und Ermahnungen im Schlußkapitel, welche sich auf die heilige Eucharistie beziehen.

  

Inhalt.

 

Freude über die allgemeine Feier des erst kürzlich aufge  kommenen Weihnachtsfestes. Für die Berechtigung dieses Festes spricht erstens der Anklang, den es bereits gefunden hat, zweitens das Zeugniß römischer Urkunden, die sich auf die Schatzung unter Augustus beziehen, drittens auch der Bericht des Lukasevangeliums, insofern sich daraus erschließen läßt, daß der Herr gegen Ende des Monats Dezember geboren ist. — Die Heiden und die Ketzer haben Unrecht, wenn sie die katholische Lehre von der Menschwerdung des göttlichen Wortes als eine Herabwürdigung Gottes ausdeuten und schmähen. — Zur heiligen Kommunion muß man mit ehrfurchtsvoller, reumüthiger Gesinnung und in guter Ordnung hinzutreten.

 

Text

 

1.

 

** Auf Jesu Christi, unseres Erlösers, Geburtstag, den man damals noch wenig kannte und erst vor einigen Jahren durch abendländische Christen, welche davon Kunde brachten, kennen gelernt hatte. **

Was in alten Zeiten von Patriarchen sehnlich gewünscht, von Propheten vorausverkündigt, von Gerechten zu schauen begehrt ward, Das ist heute geschehen und in Erfüllung gegangen: Gott ist auf Erden im Fleische erschienen und mit den Menschen gewandelt.30 Deßhalb, Geliebte, wollen wir jubeln und frohlocken. Ist nicht Johannes im Schooße seiner Mutter Elisabeth, als Maria sie besuchte, vor Freude aufgehüpft? Wir aber schauen heute nicht etwa Maria, sondern unsern neugebornen Erlöser selbst; daher sollten wir noch weit mehr frohlocken und jauchzen, zugleich aber voll Bewunderung anstaunen dieses große Geheimniß, das unser Begreifen weit überragt. Denn wie würde es uns vorkommen, sähen wir die Sonne  vom Himmel herabsteigen, auf der Erde umher wandeln und von hier aus allen Menschen ihre Strahlen zusenden? Würde nicht dieses Ereigniß alle Zuschauer mit Staunen erfüllen? Und doch ist die Sonne nichts weiter als eine Spenderin sichtbaren Lichtes; nun siehe zu und erwäge, was es heissen will, daß die Sonne der Gerechtigkeit aus unserer fleischlichen Natur heraus ihre Strahlen entsendet und unsere Seelen erleuchtet!

Schon längst hat es mich verlangt, diesen Tag zu schauen, und zwar zu schauen inmitten einer so zahlreich versammelten Gemeinde; und immer wünschte ich, dieser Schauplatz unserer Andacht möchte so gut besetzt sein, wie er sich jetzt unsern Blicken darstellt. Das ist also nun wirklich geschehen. Noch sind es nicht zehn Jahre, seitdem dieser Tag zu unserer Kenntniß gelangt ist; und trotzdem ist dieses Fest durch euren frommen Eifer zu einer solchen Blüthe gediehen, als wäre es ein altes Erbstück aus längst vergangenen Zeiten. Deßhalb könnte man diesen Festtag mit Recht einen neuen und auch wieder einen alten nennen; einen neuen, weil er erst jüngst zu unserer Kenntniß gekommen, einen alten und längst gewohnten, weil er dem ältern so schnell ebenbürtig geworden und auf dieselbe Stufe emporgestiegen ist. Gleichwie Pflanzen von edler Art, schon bald nachdem sie in das Erdreich eingesetzt sind, bis zu einer bedeutenden Höhe herangewachsen und binnen kurzer Frist mit Früchten reich beladen sind: so hat auch dieser Festtag, der den Abendländern längst bekannt, bei uns aber erst jetzt vor wenigen Jahren in Übung gekommen ist, in ähnlicher Weise schnell an Bedeutung gewonnen und jetzt schon reiche Früchte getragen; denn dieser unser Versammlungsort ist ja vollständig gefüllt und unsere Kirche zu klein geworden für die Menge Derer, die sich hier eingefunden haben. Den Lohn, welchen ihr für einen solchen Eifer verdient, erwartet von Christus, der heute dem Fleische nach geboren ist. Er wird euch diese fromme Gesinnung sicherlich vergelten. Ist doch das liebevolle Interesse, das  ihr für dieses Fest an den Tag legt, ein vielsagendes Zeugniß eurer Liebe zu Demjenigen, dessen Geburt wir feiern. Wenn es aber zugleich an mir, eurem Mitknecht, ist, euch einigermaßen zu belohnen: ich werde thun, was in meinen Kräften steht; oder besser gesagt: ich werde um eures Heiles willen reden, wie es die Liebe Gottes mir verleiht. Was wollt ihr also heute von mir hören? Ganz gewiß wünscht ihr, daß ich mich eben über dieses Fest verbreite; denn ich weiß recht wohl, daß Manche auch jetzt noch darüber streiten, und der Eine dafür, der Andere dagegen spricht. Es werden allenthalben über dieses Fest viele Worte gewechselt: die Tadler weisen darauf hin, daß es noch ganz jungen Datums und erst jetzt eingeführt ist; die Vertheidiger sagen, es sei alt, sogar uralt; da ja die Propheten von der Geburt des Herrn geweissagt, und dieser Tag seit alten Zeiten von Thrazien bis Cadix wohlbekannt und gefeiert sei. Nun wohlan, Das sei der Gegenstand meiner Rede. Denn es ist ja klar: wenn dieses Fest schon jetzt, wo seine Berechtigung noch viel bestritten wird, sich eurer Gunst in so hohem Grade erfreut, so werdet ihr ihm noch weit mehr Eifer zuwenden, wenn ihr einmal besser darüber Bescheid wißt, und wenn die genauere Kenntniß, welche euch diese Belehrung verschaffen soll, euch noch günstiger dafür gestimmt hat.

Drei Beweisgründe habe ich zu erörtern, aus denen durchaus erhellt, daß Dieß der Zeitpunkt ist, wo das göttliche Wort, unser Herr Jesus Christus, als Mensch geboren ward. Den ersten Grund finde ich darin, daß dieses Fest in so kurzer Zeit überall bekannt geworden, zu einer solchen Bedeutung gelangt ist und so vielen Beifall gefunden hat. Von der Predigt des Evangeliums sagte einst Gamaliel: „Wenn es von Menschen ist, wird es in Zerfall gerathen; wenn es aber aus Gott ist, könnt ihr es nicht zerstören, auf daß ihr nicht etwa als Widersacher Gottes befunden werdet.“31 Dasselbe möchte ich im Hin  blick auf das heutige Fest zu behaupten wagen: weil es von Gott ist,32 darum ist dieser Tag, statt in Vergessenheit zu gerathen, vielmehr von Jahr zu Jahr bedeutender und herrlicher geworden. So hat ja auch die Predigt des Evangeliums sich in wenigen Jahren über die ganze bewohnte Erde verbreitet, obgleich es Zeltmacher, Fischer, ungelehrte und ganz gewöhnliche Leute waren, welche dieses Evangelium überall hin trugen. Allein die Unscheinbarkeit seiner Diener brachte ihm keinen Schaden; es war die innere Kraft des von ihnen verkündigten Wortes, die Alles schon gleich Anfangs in Besitz nahm, alle Hindernisse überwand und ihre eigenthümliche Stärke bewährte.

  

2.

 

Sollte aber Jemand nach Art rechthaberischer Menschen sich bei dem Gesagten nicht beruhigen wollen, so habe ich noch einen zweiten Grund anzuführen; und was für einen? Ich nehme ihn von der Volkszählung her, die im Evangelium berichtet wird.33 „Es geschah“ — so erzählt nämlich der Evangelist — „in jenen Tagen, daß ein Befehl ausging von dem Kaiser Augustus, den ganzen Erdkreis zu beschreiben. Diese Aufschreibung, die erste, geschah unter dem Statthalter von Syrien, Kyrenius. Und Alle gingen hin, um sich aufschreiben zu lassen, ein Jeder in seine Stadt. Es ging denn auch Joseph von Galiläa aus der Stadt Nazareth hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Bethlehem genannt wird, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, um sich aufschreiben zu lassen sammt Maria, seinem angetrauten Weibe, die gesegneten Leibes war. Es geschah aber, als sie dort waren, daß erfüllt wurden die Tage, da sie gebären sollte; und sie gebar  ihren Sohn, den Erstgebornen, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, weil für sie in der Herberge kein Platz war.“ Daraus geht hervor, daß der Herr zur Zeit der ersten Volkszählung geboren ward. Wer nun die alten, in Rom aufbewahrten öffentlichen Urkunden lesen will, der kann daraus die Zeit dieser Volkszählung genau erfahren. Aber was geht Das uns an, sagt ihr, da wir doch nicht in Rom sind und auch nicht dahin kommen? Höre nur und sei nicht ungläubig: Wir haben dieses Fest von Leuten überkommen, die es genau wissen und selbst in jener Stadt wohnen. Denn die Römer sind es, die dieses Fest seit langer Zeit und nach einer alten Überlieferung feiern, und die jetzt auch uns die Kunde davon gebracht haben. Der Evangelist hat nämlich nicht umsonst diesen Zeitpunkt angedeutet, sondern einmal, um uns über den Tag der Geburt des Herrn zu unterrichten, und dann auch um das Walten der göttlichen Vorsehung zu zeigen. Denn der Kaiser Augustus hat damals jenen Befehl nicht aus eigener Eingebung und aus eigenem Antrieb gegeben, sondern Gott hat seinen Sinn darauf gelenkt, damit er, wenn auch ohne und gegen seinen Willen, der Menschwerdung des Sohnes Gottes dienstbar würde. Aber was konnte denn diese Schätzung zur Erfüllung des göttlichen Rathschlusses beitragen? Nicht wenig, mein Lieber! nicht ein Geringes, sondern sehr viel, ja sie war nothwendig und von großer Wichtigkeit. Wie so denn? Galiläa ist eine Landschaft in Palästina, und Nazareth eine Stadt in Galiläa. Auch Judäa — so wird es von den Eingebornen genannt — ist eine solche Landschaft, und Bethlehem eine Stadt in Judäa. Nun aber verkündigten alle Propheten, daß der Erlöser nicht von Nazareth, sondern von Bethlehem kommen und hier geboren werden sollte. Denn so steht geschrieben:34 „Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Juda’s,  denn aus dir wird der Herrscher hervorgehen, der mein Volk Israel regieren wird.“ Darum wiesen auch damals die Juden den Herodes, der sie nach dem Geburtsorte des Erlösers fragte, auf dieses Zeugniß hin. Damit hängt auch zusammen, daß Christus von Nathanael sagte: „Siehe, ein wahrer Israelit, in dem kein Falsch ist!“35 Als nämlich Philippus sich gegen Nathanael geäussert hatte: „Wir haben Jesum von Nazareth [den Erlöser] gefunden,“36 da hatte Nathanael zur Antwort gegeben: „Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen“? Weßhalb hat nun Jesus den Nathanael gelobt? Weil dieser sich durch die Mittheilung des Philippus nicht gleich einnehmen ließ, vielmehr genau wußte und festhielt, daß nicht in Nazareth und nicht in Galiläa der Erlöser sollte geboren werden, sondern in Judäa—wie es denn auch geschehen ist. Während Philippus Das nicht wußte, war es dem schriftkundigen Nathanael wohl bekannt, daß der Messias nicht von Nazareth kommen sollte, und so stimmte denn seine Antwort mit jener alten Weissagung überein; darum sagte der Herr: „Siehe, ein wahrer Israelit, in dem kein Falsch ist!“ Ein anderes Zeugniß: Einige Juden sagten zu Nikodemus: „Forsche nach, und siehe, daß aus Galiläa nimmer ein Prophet erstehet!“37 Und an einer andern Stelle: „Kommt Christus nicht aus der Stadt Bethlehem, wo David war?“38 Es war das allgemeine Urtheil, daß der Erlöser unzweifelhaft von Bethlehem kommen müsse, und nicht aus Galiläa.

Wie es nun aber häufig und bei vielen Leuten der Fall ist, daß sie aus ihrer Heimath ausgewandert und nun in einer andern Stadt ansäßig sind, wo sie nicht herstammen: so hatten auch Joseph und Maria, obgleich Bürger von Bethlehem, diese Stadt verlassen, waren nach Nazareth übergefiedelt und hatten hier ihren Wohnsitz.  Und doch mußte Christus in Bethlehem geboren werden. Da erging denn jenes Gebot, das Maria und Joseph auch gegen ihre Absicht nach Bethlehem zu reisen nöthigte. So lag es im Plane der göttlichen Vorsehung. Der Befehl des Kaisers Augustus, nach welchem Jeder sich in seiner Vaterstadt mußte anschreiben lassen, zwang sie, von Nazareth sich aufzumachen und sich nach Bethlehem zu begeben, um sich dort aufschreiben zu lassen. Das ist es also, was der Evangelist andeutet, wenn er sagt: „Es ging aber auch Joseph von Galiläa aus der Stadt Nazareth hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, welche Bethlehem genannt wird, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, um sich aufschreiben zu lassen sammt Maria, seinem angetrauten Weibe, die gesegneten Leibes war. Und es geschah, als sie dort waren, da wurden erfüllt die Tage, daß sie gebären sollte, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgebornen.“39

  

3.

 

Ihr habt also gesehen, Geliebte, das Walten der göttlichen Vorsehung, die sowohl durch die Ungläubigen als durch die Gläubigen ihre Absichten in’s Werk setzt, damit auch die Verächter der Frömmigkeit die Macht und die Gewalt Gottes kennen lernen. Der Stern war es, der die Weisen aus dem Morgenlande herbeiführte, und der Befehl des Kaisers war es, der Maria in ihre Vaterstadt zog, die von den Propheten im Voraus bezeichnet war.

Auch ist uns diese Reise ein Beweis, daß die Jungfrau ebenfalls aus dem Geschlechte Davids war. Denn wenn sie aus Bethlehem stammte, so ist klar, daß sie auch aus dem Hause und Geschlechte Davids war. Darüber hatte uns auch schon im Vorhergehenden der Evangelist belehrt, ehe er sagte: „Es ging auch Joseph aus Galiläa hinauf sammt Maria, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war.“ Die Herkunft Josephs ist uns zwar mitgetheilt, aber  die Vorfahren Marias hat uns Niemand in gleicher Weise angegeben. Damit du nun nicht zweifelst und nicht fragest, woraus denn ihre Abstammung von David erhelle — so höre, was vorhergegangen ist: „Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa geschickt, mit Namen Nazareth, zu einer Jungfrau, die vermählt war mit einem Manne, der Joseph hieß, aus dem Hause Davids.“40 Es ist anzunehmen, daß der Zusatz: „aus dem Hause Davids“ sich auf die Jungfrau bezieht. So ist also auch hier die Abstammung Maria’s angegeben.

Nun ist klar, warum damals jene Verordnung, jenes Gebot ergangen ist, das Joseph und Maria nach Bethlehem führte; denn kaum waren sie in der Stadt angekommen, als Jesus geboren wurde. Nun ist auch klar, warum er in der Krippe liegen mußte: es eilten nämlich damals [wegen der Volkszählung] von allen Seiten viele Leute nach Bethlehem, und sie hatten schon alle Wohnungen besetzt, so daß man wegen eines Unterkommens in großer Verlegenheit sein konnte. Dort war es auch, wo die Weisen ihn angebetet haben.

Doch ich will euch einen Beweis beibringen, der noch deutlicher und überzeugender ist. Jetzt merkt auf, ich bitte euch, denn ich muß euch eine weitläufige Untersuchung vortragen und alte Gesetze anführen, damit euch meine Rede in jeder Beziehung verständlicher werde. Bei den Juden bestand ein altes Gesetz — doch ich will weiter ausholen. Als Gott das Volk der Hebräer von dem Elend in Ägypten, und von der Tyrannei des fremden Königs befreit hatte, waren sie noch von einem Reste heidnischer Vorstellungen beherrscht; sie ließen sich nämlich von der Pracht der sichtbaren Dinge noch gleichsam bezaubern, und bewunderten namentlich große und schöne Tempel über die Maßen. Im  Hinblick auf diese ihre Schwäche ließ ihnen Gott einen Tempel bauen, der nicht bloß durch Kostbarkeit des Materials und kunstvolle Ausstattung, sondern auch in Rücksicht auf Plan und Bauart alle Tempel der Welt in Schatten stellen mußte. Gott machte es hier ähnlich wie ein zärtlich liebender Vater mit seinem Sohne, wenn dieser sich nach langer Zeit dem Vater wieder zuwendet, nachdem er sich inzwischen mit lasterhaften Menschen, mit Verführern und Wüstlingen umhergetrieben und ein üppiges, schwelgerisches Leben geführt hat. Wie nämlich ein solcher liebevoller Vater dem Sohne noch größern Überfluß an Gütern zuweis’t, die er mit Ehren und ohne Sorgen besitzen und genießen soll, damit nicht der Sohn, etwas kurz gehalten, wieder seiner frühern Verhältnisse gedenkt und sie zurückwünscht: so wollte auch Gott den Juden, weil er ihre leidenschaftliche Vorliebe für äussere Schönheit kannte, das Herrlichste und Prachtvollste zur Verfügung stellen, damit sie sich nie nach Ägypten und nach Dem, was sie dort gesehen hatten, zurücksehnen möchten. Deßhalb ließ er den Tempel bauen nach dem Bilde der ganzen, der sinnlichen und übersinnlichen Welt. Die Welt besteht aus Himmel und Erde, und dazwischen ist dieses Firmament, das wir sehen, als Scheidewand aufgerichtet: ähnlich ließ er auch den Tempel einrichten. Auch diesen Tempel theilte er in zwei Abtheilungen, und ließ dazwischen einen Vorhang anbringen; der Raum ausserhalb des Vorhanges sollte für Jedermann zugänglich, dagegen der innere Raum für Alle — den Hohenpriester allein ausgenommen, — unnahbar und unsichtbar sein.41 Das ist nicht lediglich meine Ansicht; nein der Tempel war in der That als ein Abbild der ganzen Welt eingerichtet. Zum Beweise höret nur, was Paulus sagt, indem er von der Himmelfahrt Christi redet: „Denn nicht in ein mit Händen gemachtes Heiligthum, ein  Abbild des wahren, ist Christus eingegangen.“42 Damit zeigt er, daß dieses Heiligthum ein Abbild des wahren Heiligthums ist. Und daß auch der Vorhang das Allerheiligste von dem äussern Heiligthum trennte, so wie dieser Himmel Das, was darüber ist, trennt von Allem, was hier auf Erden ist, auch Das gibt er zu verstehen, indem er den Himmel einen Vorhang nennt. An einer andern Stelle nämlich, wo er über die Hoffnung spricht, daß wir an ihr einen sichern und starken Anker für unsere Seele besitzen, fügt er hinzu: „und der hineindringt in das Inwendige des Vorhanges, wohin als Vorläufer für uns eingegangen ist Jesus, über den Himmel in die Höhe.“43 Siehst du, wie er den Himmel einen Vorhang nennt? Ausserhalb des Vorhanges befanden sich nun der Leuchter, der Tisch und ein eherner Altar für die Schlacht und Brandopfer.44 Im Innern aber, hinter dem Vorhange, war die Bundeslade, ganz mit Gold überzogen, mit den Gesetzestafeln, dem goldenen Mannabecher, dem grünenden Stab Aarons und mit dem goldenen Altar, der nicht für Schlacht und Brandopfer, sondern nur für Rauchopfer bestimmt war. Jenen äussern Theil durften Alle betreten, den innern nur der Hohepriester. Auch dafür will ich euch wieder ein Zeugniß beibringen. Paulus sagt wie folgt:45 „Es hatte also allerdings das erste Zelt Gerechtsame des Gottesdienstes und das weltliche Heiligthum, (weltliches Heiligthum nennt er das äussere Zelt, weil alle Welt dort eintreten durfte), in welchem die Leuchter waren und der Tisch und die Vorlage der Brode. Hinter dem zweiten Vorhange aber war ein Zelt,  genannt das Allerheiligste, enthaltend ein goldenes Rauchfaß46 und die Lade des Bundes, ganz mit Gold überzogen, in welcher ein goldener Becher mit dem Manna, und der Stab Aaron’s, der geknospet hatte, und die Tafeln des Bundes, und über derselben waren Cherubim der Herrlichkeit, überschattend die Sühnstätte. Indem nun Dieß also eingerichtet war, gingen in das vordere Gezelt allezeit die Priester, wenn sie die Opferhandlungen vollzogen, in das zweite aber einmal im Jahre einzig der Hohepriester, nicht ohne Blut, welches er darbringt für seine und des Volkes Vergehungen.“ Siehst du, daß nur der Hohepriester hineingeht, und nur einmal im ganzen Jahre?

  

4.

 

Was hat Das nun, sagt ihr, mit dem heutigen Tage zu thun? Geduldet euch ein wenig, und werdet nicht unruhig. Denn wir sind bis auf den letzten Grund der Sache zurückgegangen; und nun kommen wir bald zum Ziele, wo ihr Alles ganz leicht begreifen werdet. Allein damit meine Rede nicht zu lange dunkel bleibt, und euch nicht durch ihren Mangel an Klarheit bei dieser Ausführlichkeit überdrüssig macht, will ich euch schon sagen, warum ich Das alles vorgebracht habe. Was ist also der Grund? Als Maria empfing, waren es sechs Monate, daß Elisabeth den Johannes empfangen hatte. Wenn wir nun wissen, was für ein Monat dieser sechste Monat war, dann wissen wir auch, wann Maria empfangen hat. Wenn wir Das wissen, können wir auch leicht berechnen, wann sie geboren hat, indem wir nämlich von der Zeit der Empfängniß an um neun Monate weiter zählen. Woher werden wir nun wissen, welches der sechste Monat der Schwangerschaft der Elisabeth war? Zuerst müssen wir wissen, wann sie empfangen hat. Und woher werden wir erfahren, in welchem Monat sie empfangen hat? Wenn wir wissen, wann Zacharias, ihr  Mann, jene frohe Botschaft erhalten hat. Und wie wird uns Das wieder bekannt? Aus der heiligen Schrift. Denn das heilige Evangelium sagt, daß der Engel dem Zacharias die frohe Botschaft in das Allerheiligste brachte, und dort über die Geburt des Johannes zu ihm redete. Wenn wir nun aus der heiligen Schrift mit Bestimmtheit nachweisen, daß der Hohepriester einmal im Jahre und zwar allein in das Allerheiligste hineinging, und ferner, wann, in welchem Monat er dieses eine Mal hineinging, dann haben wir offenbar die Zeit gefunden, in welcher Zacharias jene frohe Botschaft erhielt. Dann wird auch der Zeitpunkt, wo Elisabeth empfing, Allen ersichtlich sein. Daß nun der Hohepriester nur einmal im Jahre in das Allerheiligste hineinging, Das hat uns Paulus schon gesagt, und Dasselbe verkündigt uns Moses, indem er erzählt wie folgt: „Und der Herr redete zu Moses und sprach: „Sage Aaron, deinem Bruder, daß er die ganze Zeit nicht betrete das Heiligthum, welches innerhalb des Vorhanges vor der Sühnstätte ist, die über der Lade des Zeugnisses ist, auf daß er nicht sterbe.“47 Und wiederum: „Und kein Mensch sei in dem Zelte des Zeugnisses, wenn er hineingeht in das Heiligthum, um zu flehen, bis er herauskommt, und er wird flehen für sich selbst und für sein Haus, und für die ganze Gemeinde der Kinder Israels. Und er wird flehen über der Sühnstätte vor dem Angesichte des Herrn.“48 Daraus geht also hervor, daß er nicht zu jeder beliebigen Zeit in das Allerheiligste einging, und daß, während er drinnen war, Niemand mit ihm in Berührung kommen durfte, sondern Alle draussen, ausserhalb des Vorhanges stehen mußten. Das behaltet nur ganz genau im Gedächtnisse. Es erübrigt nämlich noch zu zeigen, zu welcher Zeit er in das Heiligthum einging, und daß er Das ganz allein, einmal des Jahres that. Woraus läßt sich Das nachweisen? Aus dem  selben Buche; denn so heißt es dort: „Im siebenten Monat, am zehnten des Monats, sollt ihr strenge sein gegen euch selbst, und keine Arbeit verrichten an demselben, sowohl der Eingeborne als der Fremdling, der bei euch weilt. Denn an diesem Tage wird eure Versöhnung statt haben, euch zu reinigen von allen euren Sünden; vor dem Herrn sollt ihr gereinigt werden. Das soll der große Sabbath, Ruhe für euch sein; und strenge sollt ihr sein gegen euch selbst. Das soll immerdar Verpflichtung für euch sein. Und die Sühnung soll der Priester vollziehen, der da gesalbt ist, und dessen Hände geweiht sind, um das Priesterthum zu verwalten nach seinem Vater. Er soll das heilige Gewand anziehen, und sühnen das Allerheiligste und das Zelt des Zeugnisses und den Altar sühnen, und sühnen die Sünden der Priester und die ganze Gemeinde sühnen. Und Das soll euch immerdar Gesetz sein, die Sühnung zu vollziehen für die Kinder Israels wegen aller ihrer Sünden. Einmal im Jahre soll es geschehen, wie der Herr dem Moses befohlen hat.“49 Von dem Laubhüttenfest50 ist hier die Rede. Dann nämlich, und nur dann im ganzen Jahre ging der Hohepriester in das Allerheiligste hinein; Das wurde auch deutlich erklärt in den Worten: einmal im Jahre soll Das geschehen.

  

5.

 

Wenn also zur Zeit des Laubhüttenfestes der Hohepriester, und zwar er allein in das Allerheiligste eingeht, nun, so habe ich noch zu zeigen, daß damals der Engel dem Zacharias erschien, als dieser in dem Allerheiligsten war. Er war allein und brachte eben das Rauchopfer dar, als ihm der Engel erschien. Nun geschieht es aber nur dieses eine Mal, daß der Hohepriester, und zwar er allein hineingeht. Doch es steht Nichts im Wege, daß wir die Worte  der heiligen Schrift selbst vernehmen. „Es war in den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa, ein Priester mit Namen Zacharias, und sein Weib, aus den Töchtern Aarons, und ihr Name war Elisabeth. Es begab sich aber, während er Priesterdienst that in der Ordnung seiner Reihe vor Gott, da kam er nach der Sitte des Priesterthums durch das Loos daran, daß er, eingetreten in den Tempel des Herrn, zu räuchern hatte. Und die ganze Menge des Volkes war betend draussen zur Stunde des Rauchopfers. (Hier erinnert euch, Geliebte, jenes Zeugnisses, das da besagt: Und kein Mensch soll in dem Zelte des Zeugnisses sein, wenn er in das Allerheiligste hineingegangen ist, um zu sühnen, bis er wieder herauskommt.)51 Und es erschien ihm ein Engel des Herrn, stehend zur Rechten des Rauchopferaltars.“52 Es heißt nicht: des Schlacht oder Brandopferaltars, sondern des Rauchopferaltars; denn der Altar welcher draussen stand, Das war der Altar für Schlacht und Brandopfer; aber der Altar im Innern, Das war der Rauchopferaltar. Hieraus, und aus dem Umstande, daß der Engel ihm allein erschien, und auch aus der Bemerkung, daß draussen das Volk stand und auf ihn wartete, aus alledem folgt mit Gewißheit, daß er in das Allerheiligste eingetreten war. „Und Zacharias erschrack bei dem Anblick, und Furcht überfiel ihn. Es sprach aber zu ihm der Engel: Fürchte dich nicht, Zacharias, denn dein Gebet ist erhört worden, und dein Weib Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, und seinen Namen sollst du Johannes nennen. Und das Volk wartete auf Zacharias, und sie wunderten sich bei seinem langen Verweilen. Als er aber hinausging, winkte er ihnen und konnte nicht reden.“53