Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Philipper und Kolosser - Johannes Chrysostomos - E-Book

Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Philipper und Kolosser E-Book

Johannes Chrysostomos

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Beschreibung

Der Philipperbrief ist ein Brief aus dem Neuen Testament der christlichen Bibel. Die Epistel wird dem Apostel Paulus zugeschrieben, während Timotheus als Mitverfasser genannt wird. Der Brief ist an die christliche Gemeinde in Philippi gerichtet. Paulus, Timotheus, Silas (und vielleicht auch Lukas) besuchten Philippi in Griechenland (Mazedonien) zum ersten Mal während der zweiten Missionsreise von Antiochia aus, die etwa zwischen 49 und 51 nach Christus stattfand. Der Brief an die Kolosser ist das zwölfte Buch des Neuen Testaments. Dem Text zufolge wurde er vom Apostel Paulus und von Timotheus geschrieben und war an die Gemeinde in Kolossä gerichtet, einer kleinen phrygischen Stadt in der Nähe von Laodizea und etwa 160 Kilometer von Ephesus in Kleinasien entfernt. Einige Gelehrte haben die Urheberschaft des Paulus zunehmend in Frage gestellt und den Brief stattdessen einem frühen Nachfolger zugeschrieben, andere verteidigen ihn jedoch nach wie vor als authentisch.

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Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Philipper und Kolosser

 

JOHANNES CHRYSOSTOMOS

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Philipper und Kolosser, J. Chrysostomos

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849663087

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Kommentar zum Brief des  Heiligen Paulus an die Philipper3

Einleitung. 3

Erste Homilie (Einleitung)6

Zweite (Erste) Homilie. Phil. I, 1-7.12

Dritte (Zweite) Homilie. Phil. I, 8—19.23

Vierte (Dritte) Homilie. Phil. I, 18—24.35

Fünfte (Vierte) Homilie. Phil. I, 22—30.45

Sechste (Fünfte) Homilie. Phil. II, 1—4.57

Siebente (Sechste) Homilie. Phil. II, 5—8.65

Achte (Siebte) Homilie. Phil. II, 5—11.80

Neunte (Achte) Homilie. Phil. II, 12—18.95

Zehnte (Neunte) Homilie. Phil. II, 19—30.105

Elfte (Zehnte) Homilie. Phil. III, 1—7.120

Zwölfte (Elfte) Homilie. Phil. III, 7—12.131

Dreizehnte (Zwölfte) Homilie. Phil. III, 13—17.141

Vierzehnte (Dreizehnte) Homilie.  Phil. III, 18 bis Phil. IV, 3.150

Fünfzehnte (Vierzehnte) Homilie. Phil. IV, 4—9.159

Sechzehnte (Fünfzehnte) Homilie. Phil. IV, 10—23.166

Kommentar zum Brief des  Heiligen Paulus an die Kolosser182

Erste Homilie. Kol. I, 1—8.182

Zweite Homilie. Kol. I, 9—15.197

Dritte Homilie. Kol. I, 15—20.211

Vierte Homilie. Kol. 1, 21—25.222

Fünfte Homilie. Kol. I, 26 bis Kol. II, 5.233

Sechste Homilie. Kol. II, 6—15.244

Siebente Homilie. Kol. II, 16 bis Kol. III, 4.254

Achte Homilie. Kol. III, 5—15.268

Neunte Homilie. Kol. III, 16—17.282

Zehnte Homilie. Kol. III, 18 bis Kol. IV, 4.290

Elfte Homilie. Kol. IV, 5—11.302

Zwölfte Homilie. Kol. IV, 12—18.313

Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Philipper und Kolosser

Bibliographische Angaben:

Titel Version: Einleitung Sprache: deutsch Bibliographie: Einleitung In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Philipper und Kolosser / aus dem Griechischen übers. von Wenzel Stoderl. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 7; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 45) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1924 Unter der Mitarbeit von: Ottmar Strüber.

Titel Version: Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Philipper (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Philipper (In epistulam ad Philippenses) In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Philipper und Kolosser / aus dem Griechischen übers. von Wenzel Stoderl. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 7; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 45) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1924 Unter der Mitarbeit von: Regina Gramm, Veit Ruland und Ottmar Strüber.

Titel Version: Einleitung Sprache: deutsch Bibliographie: Einleitung In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Philipper und Kolosser / aus dem Griechischen übers. von Wenzel Stoderl. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 7; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 45) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1924 Unter der Mitarbeit von: Ottmar Strüber.

Titel Version: Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Kolosser (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Kolosser (In epistulam ad Colossenses commentarius) In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Philipper und Kolosser / aus dem Griechischen übers. von Wenzel Stoderl. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 7; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 45) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1924 Unter der Mitarbeit von: Regina Gramm und Veit Ruland

Kommentar zum Brief des Heiligen Paulus an die Philipper

Einleitung

 Die Homilien zum Philipper- und Kolosserbriefe tragen das Gepräge des großen Kirchenlehrers auf dem byzantinischen Bischofsstuhle so deutlich an sich, daß es nicht erst des Hinweises auf die ununterbrochene äußere Bezeugung bedarf’, um ihre Echtheit darzutun.

Wann und wo der Heilige den Philipperbrief homiletisch bearbeitet hat, läßt sich nicht mit Sicherheit feststellen, weil positive Anhaltspunkte so gut wie gänzlich fehlen. Nur die XVI. (Schluß-) Homilie macht eine kleine Ausnahme hiervon. Hier schildert Chrysostomus — freilich ohne Namensnennung — einige traurige Vorkommnisse aus der Geschichte des regierenden Herrscherhauses, welche sich in den letzten Dezennien zugetragen haben. Wenn er von dem Regenten seiner Tage sagt: „Und das Leben des gegenwärtigen Regenten, ist es nicht, seitdem er das Diadem trägt, eine ununterbrochene Kette von Mühen, Gefahren, Beschwerden, Verdrießlichkeiten, Unglücksfällen und Nachstellungen?“ — so haben wir wohl kaum an die Regierung des als Herrscher, Feldherr und Gesetzgeber gleich tüchtigen Theodosius I. (379—395 n. Chr.), sondern eher an die seines Sohnes und Nachfolgers Arcadius (395—408 n. Chr.) zu denken. Dieser, energielos und unbegabt, wurde zum willenlosen Werkzeug in der Hand einer intriganten Hofkamarilla. Ob der Heilige bei seiner Schilderung bereits die politischen Vorgänge des Jahres 399 im Auge hatte, läßt sich mit Bestimmtheit weder bejahen noch verneinen. Wir hätten demnach als Abfassungszeit unserer Homilien den Anfang des fünften Jahrhunderts und als Abfassungsort Konstantinopel zu betrachten. Damit steht einigermaßen im Widerspruch, wenn Chrysostomus an den Tod des Kaisers Valens (364—378) die Bemerkung knüpft: „Seine Gattin trauert als Witwe“, sie also noch am Leben sein läßt. Doch gehört ein Alter von 70—80 Jahren bei Frauen nicht zu den Seltenheiten.

 Weitaus klarer liegen die Verhältnisse bei den Homilien zum Kolosserbriefe. Unser Heiliger hat sie gehalten, als er Bischof von Konstantinopel war. Man vergleiche seine eigenen Worte in der III. Homilie: „Findest du mich (der priesterlichen Würde) entkleidet, dann verachte mich! So lange wir aber auf diesem Stuhle sitzen, so lange wir die oberhirtliche Stelle (τὴνπροεδρίαν) einnehmen, so lange haben wir sowohl die Würde als die Gewalt, wenn wir dessen auch unwürdig sind.“ Und wiederum: „Auch wir nun haben ein Gesandtschaftsamt überkommen und erscheinen im Namen Gottes. Darin nämlich besteht die bischöfliche Würde.“ Kraft seiner bischöflichen Autorität droht er (VII. Homilie) den putzsüchtigen Frauen: „Wenn ihr dieses Treiben fortsetzt, so werde ich es nicht dulden, euch nicht aufnehmen und euch nicht über diese Schwelle treten lassen.“ Und abermals: „Siehe, ich ermahne und befehle, sowohl die Schmuckgegenstände als die genannten Gefäße zu zerbrechen … Wer will, mag austreten; wer will, mag darüber losziehen; aber ich dulde keinen solchen Mißbrauch mehr. Wenn ich mich dereinst vor dem Richterstuhle Christi verantworten muß, so steht ihr weit weg, und eure Gunst nützt mir gar nichts; denn ich habe die Rechenschaft abzulegen.“ — Die einzige Schwierigkeit gegen unsere Annahme bildet eine Bemerkung in der VII. Homilie, wo er von Antiochia als von „unserer“ Stadt spricht, so als ob er noch des Predigtamtes daselbst waltete. Man hat versucht, diese Stelle für den antiochenischen Ursprung der Kolosser-Homilien auszuspielen; wie mir scheinen will, zu unrecht. Den Zuhörern jener Stadt gegenüber wäre die Redensart: ὅπερδὲπερὶτῆςπόλεωςπρὸςἀλλήλουςλέγετε wenig am Platze gewesen. Am nächsten liegt wohl die Annahme, daß der Heilige in der Rückerinnerung an jene aufgeregten Zeiten sich wieder als Priester und Prediger in Antiochia fühlt, als welcher er damals eine hochbedeutsame Rolle gespielt hat. — Eine nähere Bestimmung der Abfassungszeit ermöglichen die Worte derselben Homilie: „Der gestern noch hoch zu Gerichte saß, der durch Herolde mit lauter Stimme seine Befehle ausrufen ließ, dem Scharen von Dienern vorangingen und Platz machten, wenn er sich öffentlich zeigte: der ist heute ein gewöhnlicher und unbedeutender Mensch, jener ganzen Herrlichkeit beraubt und entkleidet, gleich dem vom Winde aufgewirbelten Staube, gleich der vorübergespülten Welle.“ Das Geschehnis, auf das Chrysostomus hier anspielt, läßt sich mit ziemlicher Sicherheit angeben: es ist der Sturz des Eunuchen Eutropius, der mehrere Jahre hindurch nach Willkür geschaltet und gewaltet hatte, aber schließlich seinen Ungerechtigkeiten und Gewalttätigkeiten zum Opfer fiel. Der Sturz erfolgte im Jahre 399. Um den verhaßten Günstling vor der Volkswut zu schützen, kam Chrysostomus persönlich in die Kirche, wohin sich derselbe geflüchtet hatte, und hielt dort eine seiner berühmtesten Reden (in Eutropium, M. 51,391—5). Da er den (gewaltsamen) Tod des Eutropius nicht erwähnt, scheint die Homilie bald nach dem Sturze des Günstlings gehalten worden zu sein.

In der Form stehen die Homilien zum Philipper und Kolosserbriefe andern Erzeugnissen der Johanneischen Muse nach. Commentarii certe mediocres sunt (Savilius). Der Sprache fehlt die letzte feilende Hand, der Satzbau ist lose, mitunter flüchtig, die Disposition nicht selten verworren und unklar. Doch fehlt es auch nicht an Stellen, wo die glänzende Beredsamkeit des Heiligen mit elementarer Wucht zum Durchbruch kommt.

Über die ethische Seite der Homilien urteilt Savilius richtig: Ethica demus esse bona et tanto auctore digna. Aus dem reichen Inhalte seien hervorgehoben: Philipperbrief V. Hom. (Die Pflicht der Barmherzigkeit), IX. Hom. (Das Murren gegen die göttliche Vorsehung), XII. Hom. (Trennung von Gott), XIV. Hom. (Verlust des Himmels), XVI. Hom. (Segnungen der Trübsal); Kolosserbrief I. Hom. (Unwert der Tafelfreundschaften), VIII. Hom. (Dankbarkeit gegen Gott), IX. Hom. (Notwendigkeit des Lesens der heiligen Schriften), XII. Hom. (Macht und Segen der Tränen). Ein Kapitel für sich bildet der Kampf des Heiligen gegen die Prunksucht und den Luxus namentlich der Frauen, gegen Hartherzigkeit und Geldgier, gegen Aberglaube und Sittenlosigkeit. — Dogmatisch interessant ist die Heerschau der christologischen Häresien (Phil. VII) und deren Widerlegung (ebd. VIII), die Beantwortung der Frage, warum Christus nicht früher gekommen ist (Kol. IV), der Exkurs über die Unzulänglichkeit der menschlichen Vernunft als Erkenntnisquelle (ebd. V), über die Taufe als Zerstörung und Neubildung (ebd. VII), über die Zerreißung des Schuldbriefes der Menschen durch Christus (ebd. VI).

Der Übersetzung wurde die Oxforder Ausgabe zugrunde gelegt. Von deutschen Übersetzungen wurde die des P. Narcissus Liebert O.S.B. in der Bibliothek der Kirchenväter 8. Bd. 1883 zu Rate gezogen.

Prag-Weinberge, im Juni 1920.

Der Übersetzer.

 

 

Erste Homilie (Einleitung)

 

1.

 

 Die Philipper sind die Bewohner einer Stadt in Mazedonien, einer Pflanzstadt, wie Lukas sagt[1]. Hier bekehrte sich die Purpurhändlerin, ein sehr frommes und aufmerksames Weib[2]; hier nahm der Synagogenvorsteher[3] den Glauben an; hier wurden Paulus und Silas gegeißelt[4]; hier bat sie die Obrigkeit, (die Stadt) zu verlassen und geriet ihretwegen in Angst[5]; und (hier) nahm die Predigt des Evangeliums einen glänzenden Anfang. Paulus selbst stellt ihnen ein herrliches Zeugnis aus, indem er sie seine Krone nennt[6] und erklärt, sie hätten vieles gelitten. „Denn euch“, sagt er, „wurde von Gott die Gnade gewährt, nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden[7].“ — Zu der Zeit aber, als er an sie schrieb, lag er gerade in Banden. Deshalb sagt er: „So daß meine Bande in Christo kund geworden sind im ganzen Hoflager[8]“, wobei er unter Hoflager den Palast des Nero meint. Er wurde jedoch aus dieser Kerkerhaft wieder entlassen, wie er im Briefe an Timotheus andeutet mit den Worten: „Bei meiner ersten Verantwortung ist mir niemand beigestanden, sondern alle haben mich verlassen; möge es ihnen nicht zugerechnet werden! Aber der Herr stand mir bei und stärkte mich[9].“ Er redet mithin von den Banden, in welchen er vor jener Verantwortung schmachtete. Denn daß damals Timotheus nicht anwesend war, ist klar. „Bei meiner ersten Verantwortung“, sagt er, „ist mir niemand beigestanden.“ Und diesen Umstand teilte er ihm brieflich mit. Wenn nun jener schon darum wußte, so hätte er ihm sicher nicht geschrieben. Als Paulus aber den vorliegenden Brief abfaßte, war Timotheus bei ihm. Dies erhellt aus den Worten: „Ich hoffe aber im Herrn Jesus, den Timotheus in Bälde euch schicken zu können[10]“, und wiederum; „Diesen nun hoffe ich euch sofort schicken zu können, sobald ich ersehe, wie es um mich steht[11].“ Er wurde nämlich aus der Haft entlassen und wiederum in Haft gesetzt, seitdem er zu ihnen gekommen war. Wenn er aber schreibt: „Ich will selbst hingeopfert werden über dem Opfer und Dienste eures Glaubens[12]“, so spricht er nicht so, als ob dies unmittelbar bevorstände, sondern will sagen: Selbst wenn mir dies begegnen sollte, so freue ich mich, um sie von ihrer Mutlosigkeit wegen seiner Gefangenschaft aufzurichten. Denn daß der Tod ihm damals nicht drohte, ergibt sich aus seinen Worten: „Ich hoffe aber im Herrn, daß ich auch selber bald zu euch kommen werde[13]“, und wiederum: „Und dieses weiß ich zuversichtlich, daß ich bleiben und mit euch allen zusammenbleiben werde[14],“

Es hatten aber die Philipper an ihn den Epaphroditus abgeschickt, damit er ihm Geldbeiträge überbringe und sich nach seiner Lage erkundige; denn sie waren ihm sehr in Liebe zugetan. Über diese Sendung höre ihn selber: „Ich bin mit allem versehen, und mehr als genug; ich habe in Hülle und Fülle, seitdem ich von Epaphroditus eure Geschenke erhalten[15].“ Sie hatten zu eben diesem Behufe geschickt, um über seine Lage Erkundigungen einzuziehen. Denn daß sie auch in der Absicht geschickt hatten, etwas über seine Lage zu erfahren, ergibt sich daraus, daß er gleich am Anfange seines Briefes auf seine Verhältnisse zu sprechen kommt und schreibt: „Ich will euch aber in Kenntnis setzen, daß meine Lage vielmehr zur Förderung des Evangeliums gediehen ist[16]“, und wiederum: „Ich hoffe, den Timotheus in Bälde euch schicken zu können, damit auch ich guten Mutes sei, wenn ich erfahre, wie es um euch steht[17].“ Die Worte: „damit auch ich …“ wollen (offenbar) besagen: So wie ihr, um volle Tröstung und Zuversicht zu erlangen, geschickt habet, euch zu erkundigen, so will auch ich tun, „damit ich guten Mutes sei, wenn ich erfahre, wie es um euch steht“, — Da sie nun längere Zeit nicht geschickt hatten — dies erhellt aus seinen Worten: „Endlich einmal seid ihr (wieder) aufgeblüht, für mich besorgt zu sein[18]“ — und jetzt über die Nachricht von seiner Einkerkerung mit Recht bestürzt sein mußten — denn wenn sie schon um Epaphroditus, der doch kein so ausgezeichneter Mann war wie Paulus, bangten, als sie die Kunde von seiner Erkrankung vernahmen, wieviel mehr dann um Paulus —: deswegen führt er im Eingange des Briefes zahlreiche Trostgründe bezüglich seiner Kerkerhaft an und zeigt, daß sie sich darüber nicht nur nicht betrüben, sondern sogar freuen sollen. Sodann rät er zu Eintracht und Demut, indem er sie belehrt, darin liege für sie der sicherste Schutz, und dadurch könnten sie die Feinde leicht besiegen. Denn nicht die Kerkerhaft, sagt er, ist für eure Lehrer betrübend, sondern die Uneinigkeit der Schüler. Jene bewirkt ja mit die Förderung des Evangeliums, diese dagegen dessen Zerstörung.

 

2.

 

Nachdem er sie nun zur Eintracht ermahnt und gezeigt hat, daß die Eintracht aus der Demut hervorgehe; nachdem er sich gegen die Juden, die unter dem Scheine des Christentums überall die Glaubenswahrheiten entstellten, auf das entschiedenste ausgesprochen, dieselben Hunde und schlechte Arbeiter[19] genannt und vor dem Umgange mit ihnen gewarnt; nachdem er ihnen ans Herz gelegt, worauf sie ihre Aufmerksamkeit richten sollten, und sich über viele Punkte der Sittenlehre verbreitet; nachdem er sie gehörig unterrichtet und durch die Worte: „Der Herr ist nahe[20]“ für sich gewonnen hat: gedenkt er mit der ihm eigenen Einsicht auch der übersandten Gaben und gewährt ihnen auf diese Weise reichen Trost. — Sichtlich schreibt er gerade an sie mit großer Hochachtung und bringt nirgends eine tadelnde Bemerkung vor, was ein Beweis ihrer Tugend ist, indem sie nämlich dem Lehrer keinerlei Anlaß zu Tadel boten, so daß sein Schreiben an sie nirgends den Charakter der Rüge, sondern durchaus den der Ermunterung an sich trägt. Was ich gleich anfangs erwähnte: diese Stadt bewies große Empfänglichkeit für den Glauben, wenn sogar der Kerkermeister — ein Amt, mit dem bekanntlich alle mögliche Roheit verbunden zu sein pflegt — auf ein einziges Wunder hin sofort herbeieilte und sich mit seinem ganzen Hause taufen ließ. Denn das vorgefallene Wunder hatte nur er allein gesehen, aber die Frucht davon genoß nicht er allein, sondern sein Weib und sein ganzes Haus mit ihm. Aber auch die Stadtobrigkeit, die ihn hatte geißeln lassen, hat dies mehr aus Übereilung und nicht aus Bosheit getan. Das ergibt sich daraus, daß sie ihn alsbald frei abziehen ließ und hinterher in Angst geriet. — Paulus stellt ihnen aber nicht bloß über ihren Glauben und die bestandenen Gefahren ein ehrenvolles Zeugnis aus, sondern auch über ihre Wohltätigkeit, indem er schreibt: „Gleich im Anfange des Evangeliums sandtet ihr einmal und (noch) ein zweites Mal zu meiner Notdurft“, während sonst niemand dieses tat. „Denn keine Gemeinde“, sagt er, „trat mit mir in das Verhältnis von Einnahme und Ausgabe[21].“ Daß sie es (fernerhin) unterließen, sei mehr der Ungunst der Verhältnisse als dem Mangel an gutem Willen zuzuschreiben. „Nicht als wäret ihr für mich nicht besorgt gewesen,“ erklärt er, „aber ihr waret nicht in der Lage[22].“

 

3.

 

Da wir also dieses wissen und so herrliche Vorbilder vor Augen haben und seine Liebe zu ihnen — denn daß er sie innig liebte, liegt klar zutage. Sagt er doch: „Ich habe keinen so Gleichgesinnten, der so red-* *lich an eurem Wohl und Wehe Anteil nähme[23]“, und wiederum: „Weil ich euch im Herzen trage, selbst in meinen Banden[24]“ —, da wir nun dieses wissen, so wollen auch wir uns solcher Beispiele würdig zeigen, indem wir bereit sind, für Christus zu leiden. — Aber jetzt gibt es keine Verfolgung mehr! — So wollen wir denn an ihnen, wenn schon nichts anderes, doch wenigstens die unermüdliche Wohltätigkeit nachahmen und nicht glauben, wir hätten schon alles getan, wenn wir ein- oder zweimal Almosen geben. Die Wohltätigkeit muß das ganze Leben hindurch geübt werden. Denn nicht nur einmal sollen wir Gott gefallen, sondern beständig. Wenn der Wettläufer elfmal[25] die Rennbahn durchmißt, aber den letzten Umlauf unterläßt, ist alles verloren; so ist auch für uns alles verloren, alles umsonst, wenn wir nur anfangs gute Werke ausüben und später darin ermüden. Vernimm die heilsame Mahnung, die da lautet: „Barmherzigkeit und Treue sollen dich nicht verlassen[26].“ Es heißt nicht: übe sie ein-, zwei-, drei-, zehn-, hundertmal, sondern unablässig; „sie sollen dich nicht verlassen“. Es heißt auch nicht: du sollst sie nicht verlassen, sondern; „sie sollen dich nicht verlassen“, um anzuzeigen, daß wir ihrer bedürfen, nicht sie unser, und um zu lehren, daß wir verpflichtet sind, alles aufzubieten, um sie bei uns festzuhalten. „Binde sie“, heißt es, „um deinen Hals[27].“ Gleichwie nämlich die Kinder der Reichen einen goldenen Schmuck um den Hals haben und ihn nie ablegen, da sie ihn als Zeichen ihrer edlen Abkunft tragen: so sollen auch wir stets den Schmuck der Barmherzigkeit anlegen, um zu zeigen, daß wir Kinder des erbarmungsvollen Vaters sind, der seine Sonne aufgehen läßt über Böse und Gute. — Aber die Heiden glauben ja nicht an ihn! — Nun, wenn wir diese guten Werke üben, so werden sie durch dieselben zum Glauben gebracht werden. Wenn sie sehen, daß wir gegen alle barmherzig sind und daß wir uns zu ihm als (unserem) Lehrmeister bekennen, so werden sie einsehen, daß wir mit dieser Handlungsweise (nur) sein Beispiel nachahmen. — „Barmherzigkeit und wahre Treue“, sagt die Schrift, Treffend heißt es: wahre; nicht aus geraubtem, nicht von gestohlenem Gut. Denn dies ist nicht Treue, ist nicht Wahrheit. Der Dieb muß lügen, muß falsch schwören; du aber sollst nicht also handeln, sondern mit der Barmherzigkeit die Treue verbinden, will die Schrift. — Laßt uns diesen Schmuck anlegen! Laßt uns die Seele mit goldenem Bande zieren, mit der Barmherzigkeit meine ich, so lange wir hienieden sind! Denn wenn dieses Leben vorüber ist, werden wir sie nicht mehr betätigen können. — Wieso? — Im Jenseits gibt es keine Armen, im Jenseits gibt es kein Geld, im Jenseits gibt es keine Dürftigkeit mehr. So lange wir Kinder sind, wollen wir uns dieses Schmuckes nicht berauben! Gleichwie nämlich die Kinder, wenn sie ins männliche Alter treten, den kindlichen Zierat von sich abtun und nach anderem Schmucke streben, so auch wir: es gibt dann nicht mehr die Barmherzigkeit, die sich durch Almosen betätigt, sondern eine andere, weit höhere. Darum wollen wir uns dieser nicht berauben, wollen wir die Seele in schönem Schmucke erscheinen lassen! — Etwas Großes ist das Almosen, ein köstlich Kleinod, etwas Großes ist die milde Gabe; oder vielmehr etwas Großes ist die Güte. Wenn wir das Geld verachten lernen, so werden wir damit auch anderes lernen. Denn sieh nur, wie viele Vorteile daraus entspringen! Wer Almosen gibt, wie er soll, lernt das Geld verachten; wer das Geld verachten lernt, rottet das Böse mit der Wurzel aus. So daß er nicht so fast Wohltaten erweist, als Wohltaten empfängt, nicht nur weil der Barmherzigkeit Lohn und Vergeltung in Aussicht gestellt ist, sondern auch weil die Seele dadurch weise, erhaben und reich wird. Wer Almosen gibt, gewöhnt sich daran, Geld und Gut nicht mehr zu bewundern; wer aber seine Anschauungsweise darauf eingestellt hat, der hat einen mächtigen Anlauf genommen himmelwärts und zahllose Veranlassungen zu Hader und Zwietracht, Neid und Verdruß beseitigt. Denn ihr wißt es, ihr wißt es ja selbst, daß wegen des Geldes alles Unheil, daß wegen des Geldes zahllose Händel entstehen. Wer es aber verachten gelernt hat, der liegt im windstillen Hafen geborgen. Er fürchtet nicht mehr den Verlust; denn daran hat ihn die Mildtätigkeit gewöhnt. Er begehrt nicht mehr des Nächsten Gut; wie sollte er auch, da er das eigene veräußert und verschenkt? Er beneidet nicht mehr den Reichen; denn wie sollte er, da er selbst arm werden will? Er reinigt das Auge seiner Seele ganz und gar. — Und diese Vorteile werden ihm schon hienieden zuteil; welch große Güter er aber im Jenseits erlangen wird, das läßt sich gar nicht in Worte fassen. Er wird nicht draußen bleiben mit den törichten Jungfrauen, sondern mit den klugen im Gefolge des Bräutigams eingehen, die brennende Lampe in Händen; und so wird er besser fahren als jene, welche unter großen Mühen ein jungfräuliches Leben geführt haben, ohne daß er die Kämpfe derselben verkostete. So groß ist die Macht der Barmherzigkeit. Frei und zuversichtlich führt sie ihre Jünger ein; denn sie ist den Torhütern im Himmel, welche die Türe des Brautgemaches bewachen, wohlbekannt; aber nicht nur bekannt, sondern auch achtunggebietend. Und so wird sie diejenigen, welche sie als ihre Verehrer erkennt, mit vieler Zuversicht einführen, und niemand tritt ihr entgegen, sondern alle machen ihr ehrfurchtsvoll Platz. Denn wenn sie Gott auf die Erde herabzog und ihn vermochte, Mensch zu werden, so wird sie noch weit eher den Menschen in den Himmel hinaufzuführen vermögen; denn groß ist ihre Kraft. Wenn Gott aus Erbarmen und Menschenfreundlichkeit Mensch geworden ist und sich herbeigelassen hat, Knechtsgestalt anzunehmen, so wird er um so mehr die Knechte in sein Haus einführen.

Diese Tugend laßt uns lieben, diese laßt uns eifrig pflegen, nicht einen Tag oder zwei, sondern das ganze Leben hindurch, damit sie uns erkenne! Wenn sie uns erkennt, wird auch der Herr uns erkennen; wenn sie uns verleugnet, wird auch der Herr uns verleugnen und sprechen: „Ich kenne euch nicht[28].“ Doch Gott verhüte, daß wir diese Anrede zu hören bekommen! Mögen wir vielmehr jenen beseligenden Ruf vernehmen: „Kommet, ihr Gesegneten meines Vaters, nehmet in Besitz das Reich, welches euch bereitet ist von Grundlegung der Welt an[29]!“ Dessen wir alle teilhaftig werden mögen in Christo Jesu, unserem Herrn, mit welchem dem Vater gleichwie dem Hl. Geiste Herrlichkeit, Macht und Ehre sei, jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.

 

 

 

Zweite (Erste) Homilie. Phil. I, 1-7.

 

1.

 

V. 1: „Paulus und Timotheus, Diener Jesu Christi, an alle Heiligen in Christo Jesu, die in Philippi sind, an die Mitbischöfe[30]und Diakone:“

V. 2: „Gnade euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“

Hier, wo er an Gleichgestellte schreibt, setzt er nicht seine lehramtliche Würde bei, sondern eine andere, ebenfalls erhabene. Und was ist das für eine? „Diener“ nennt er sich, nicht Apostel. Denn auch dies ist in der Tat eine erhabene Würde, ja das höchste aller Güter, Diener Christi zu sein und nicht bloß zu heißen. Wer ein Diener Christi ist, der ist in Wahrheit frei von der Sünde und als echter Diener keines andern Diener; denn sonst wäre er nicht (ganz) Diener Christi, sondern nur zur Hälfte. Auch im Briefe an die Römer wieder schreibt er: „Paulus, Diener Jesu Christi[31]“; in den Briefen an die Korinther und an Timotheus dagegen nennt er sich „Apostel[32]“. Warum nun das? Nicht als ob die Philipper vor Timotheus einen Vorzug hätten, — nein —; sondern er ehrt sie eben und zeichnet sie am meisten aus von allen, denen er schrieb; er gibt ihnen ja auch das Zeugnis großer Tugend. Dort nämlich gab es manches zu ordnen, darum kleidete er sich in die Würde des Apostels; hier dagegen erteilt er ihnen keine Vorschriften, außer was sie schon von selbst einsahen. — „An die Heiligen in Christo Jesu, die in Philippi sind.“ Weil wahrscheinlich auch die Juden sich Heilige nannten nach jenem ersten Gottesspruche, wo sie ein heiliges, eigentümliches Volk genannt werden[33], deswegen setzte er hinzu: „an die Heiligen in Christo Jesu“. Denn diese allein sind heilig, jene aber nunmehr der Heiligkeit bar. — „An die Mitbischöfe und Diakone.“ Was soll das heißen? Gab es denn für eine Stadt mehrere Bischöfe? Keineswegs; sondern er nennt so die Priester. Damals nämlich waren die Namen noch gemeinschaftlich, auch Diakon wurde der Bischof genannt. Deswegen sagt er im Briefe an Timotheus: „Erfülle deine Diakonie[34]“, obschon derselbe Bischof war. Daß er nämlich Bischof war, geht aus folgender Mahnung an ihn hervor: „Lege niemandem voreilig die Hände auf[35]“, und wiederum aus den Worten: „… welche dir verliehen wurde unter Auflegung der Hände des Priestertums[36]“. Priester aber hätten ihn nicht zum Bischofe weihen können. Und im Briefe an Titus wieder sagt er; „Um dessentwillen habe ich dich in Kreta zurückgelassen, damit du in jeder Stadt Priester aufstellest, wie ich dich angewiesen habe: wenn einer unbescholten ist, nur eines Weibes Mann[37]“; welche Stelle sich auf den Bischof bezieht. Und unmittelbar nach diesen Worten fährt er fort: „Denn der Bischof muß unbescholten sein als Verwalter Gottes, nicht selbstsüchtig[38] Es wurden also, wie gesagt, in der ältesten Zeit die Priester Bischöfe und Diakone Christi genannt und die Bischöfe Priester; daher adressieren jetzt noch viele Bischöfe (ihre gegenseitigen Briefe) „an den Mitpriester und Mitdiakon“. In der Folge aber wurden die Namen „Bischof“ und „Priester“ einem jeden nach dem ihm zukommenden Range zugeteilt. – „An die Mitbischöfe und Diakone“, heißt es, „Gnade euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“ Wie kommt es denn, daß Paulus, der seine Briefe sonst nirgends an den Klerus richtet, weder den in Rom, noch den in Korinth, noch den in Ephesus, nirgends sage ich, sondern allgemein „an alle Heiligen“, „an die Gläubigen“, „an die Geliebten“, hier an den Klerus schreibt? — Weil der Klerus es war, der Botschaft gesandt, der reiche Frucht getragen, der den Epaphroditus an ihn abgeschickt hatte.

V. 3: „Ich danke meinem Gott“, fährt er fort, „in all meiner Erinnerung an euch“

V. 4: „allezeit…“

In einem andern Briefe sagt er: „Gehorchet euren Vorstehern und seid ihnen Untertan, denn sie wachen über eure Seelen als solche, die Rechenschaft geben müssen, damit sie mit Freuden dieses tun und nicht mit Seufzen[39].“ Wenn also das schlechte Verhalten der Schüler (den Vorgesetzten) Seufzer erpreßt, so bewirkt ihr guter Fortgang, daß sie des Amtes mit Freuden walten. So oft ich eurer gedenke, sagt er, lobpreise ich Gott. Dies aber tut er wegen des vielen Guten, das er an ihnen bemerkt. — Er sagt: Ich lobpreise und bete. Wenn ihr auch in der Tugend Fortschritte gemacht habt, so höre ich doch nicht auf, für euch zu beten, sondern „ich danke meinem Gott in all meiner Erinnerung an euch allezeit, in allen meinen Gebeten für euch alle mit Freuden auch das Gebet verrichtend …“ [„Allezeit“,] nicht bloß wenn ich bete. — [„Mit Freuden.“] Denn es kann dies auch mit Schmerzen geschehen, z. B. wenn er an anderer Stelle sagt: „Denn mit großer Trübsal und Beklemmung des Herzens schrieb ich euch unter vielen Tränen[40].“

 V. 5: „… wegen eurer Teilnahme am Evangelium vom ersten Tage an bis jetzt.“

 

2.

 

Ein großartiges Zeugnis stellt er ihnen hier aus, ein überaus großartiges, wie man es nur Aposteln und Evangelisten ausstellen kann. Er will sagen: Wenn auch nur eine Stadt euch anvertraut ist, so sorgt ihr (darum) doch nicht für diese allein, sondern tut alles, um Teilnehmer meiner Mühen zu werden, indem ihr überall mir zur Seite steht, mitarbeitet und mitwirkt bei der Verkündigung des Evangeliums. Nicht ein- und zwei- und dreimal bloß, sondern allezeit, von der Stunde an, da ihr gläubig wurdet, bis jetzt habt ihr den Eifer von Aposteln betätigt. Sieh, wie die Christen in Rom sich von ihm zurückzogen! Höre seine Klage: „Das wirst du wissen, daß die in Asien sich alle von mir abgewendet haben[41]“, und wiederum: „Demas hat mich verlassen[42]“, und: „Bei meiner ersten Verantwortung ist mir niemand beigestanden[43].“ Diese hingegen nahmen, obschon sie abwesend waren, an seinen Drangsalen teil, indem sie Abgesandte zu ihm schickten, ihn nach Kräften unterstützten und es überhaupt an nichts fehlen ließen. Nicht allein jetzt, versichert er, sondern immer und auf alle Weise habt ihr mir geholfen. Also ist es eine „Teilnahme an diesem Evangelium“. Denn wenn jener predigt, du aber dem Prediger Dienste leistest, so nimmst du Teil an seinen Kränzen. Gebührt ja auch bei den körperlichen Wettkämpfen der Kranz nicht dem Kämpfer allein, sondern auch dem Lehrmeister, dem Diener, überhaupt allen, die zur Ausbildung des Wettkämpfers beigetragen haben. Denn wer ihn stärkt und erfrischt, dieser nimmt auch an dem Siege billigerweise teil. Auch in den Kriegen hat nicht der siegreiche Held allein Anspruch auf die Trophäen, sondern auch alle, die ihm Dienste geleistet, können sich rechtens davon zueignen und mit in den Ruhm teilen, da sie durch ihre Dienstleistung mit ihm am Kampfe beteiligt waren. — Der Dienst der Heiligen ist nicht von geringem, sondern sogar von hohem Werte; denn er macht uns zu Teilnehmern an der für sie hinterlegten Belohnung. Es hat z. B. einer ein großes Vermögen um Gottes willen aufgegeben, widmet sich beständig dem Dienste Gottes, führt ein sehr tugendhaftes Leben, indem er in Worten, in Gedanken, in allem die größte Strenge beobachtet. An der Belohnung, die ihm dafür hinterlegt ist, kannst auch du teilnehmen, und zwar ohne daß du so große Strenge betätigst. — Wie? — Wenn du ihn durch Wort und Tat unterstützest, wenn du ihn anspornst durch Gewährung des notwendigen Lebensunterhaltes, durch Leistung jeglichen Dienstes. Denn so wirst du es sein, der jenen rauhen Weg leichter macht. — Wenn ihr daher die Einsiedler in der Wüste bewundert, sie, die das Leben der Engel sich erwählt haben, sie, die das gleiche wie diese in den Kirchen vollbringen; wenn ihr sie bewundert und schmerzlich fühlt, wie sehr ihr hinter ihnen zurückbleibt: nun denn, ihr könnt auf andere Weise deren Genossen werden dadurch, daß ihr (ihnen) dient, daß ihr (sie) unterstützt. Denn auch das ist ein Beweis der Menschenfreundlichkeit Gottes, daß er die Lässigeren, die sich nicht zu einem so abgetöteten, rauhen und strengen Leben verstehen können, auch diese auf einem andern Wege wieder zur gleichen Stufe emporführt wie jene. Und dies nennt Paulus „Teilnahme“. Sie nehmen teil, will er sagen, an unsern leiblichen, wir an ihren geistigen Gütern[44]. Denn wenn Gott für Geringes und Nichtiges das Himmelreich schenkt, so gewähren seine Diener ihrerseits für Geringes und Irdisches das Geistige; oder vielmehr Gott selbst ist es, der durch ihre Vermittlung das eine wie das andere verleiht. Du bist nicht imstande zu fasten, ein einsames Leben zu führen, auf dem Boden zu schlafen, ganze Nächte zu durchwachen? Du kannst den Lohn für all dieses auf andere Weise erhalten, indem du jenen, der diese beschwerliche Entsagung übt, unterstützest, erquickst, unablässig zur Ausdauer stärkst, ihm die daraus erwachsende Mühe erleichterst. Er steht im Kampfe, er empfängt auch Wunden; du pflege ihn, wenn er vom Kampfe zurückkehrt, nimm ihn mit offenen Händen auf, laß ihn ausruhen und trockne ihm den Schweiß ab, tröste, ermuntere, erfrische seinen abgematteten Geist. Wenn wir mit solchem Eifer den Heiligen dienen, werden wir Teilnehmer an ihren Belohnungen sein. Dies sagt auch Christus: „Machet euch Freunde mittels des ungerechten Reichtums, damit sie euch aufnehmen in ihre ewigen Wohnungen[45].“ — Siehst du, daß sie[46] Teilnehmer geworden sind? „Vom ersten Tage an“, heißt es, „bis jetzt.“ — Ich freue mich aber, sagt er, nicht nur über das Vergangene, sondern auch über das Zukünftige; denn aus der Vergangenheit schließe ich auch auf die Zukunft.

V. 6: „Indem ich eben das mit Zuversicht holte“, fährt er fort, „daß der, welcher in euch das gute Werk angefangen hat, es vollenden wird bis auf den Tag Jesu Christi.“

 

3.

 

Siehe, wie er sie auch lehrt, bescheiden zu sein! Er hat ihnen nämlich ein großartiges Zeugnis ausgestellt. Um sie nun vor menschlicher Eitelkeit zu bewahren, leitet er sie sofort an, das Vergangene sowohl als das Zukünftige auf Christum zurückzubeziehen. — Wie? Er sagt nämlich nicht: Indem ich hoffe, daß ihr, wie ihr angefangen, so auch vollenden werdet, sondern was? „…daß der, welcher in euch das gute Werk angefangen hat, es vollenden wird.“ Er will ihnen einerseits nicht das Verdienst der Tugendhaftigkeit rauben — denn er sagt: „Ich freue mich wegen eurer Teilnahme“, offenbar, weil sie die Tugend übten —, andrerseits sie belehren, daß ihre guten Werke nicht ihnen allein, sondern vorzugsweise Gott zuzuschreiben seien; „ich hoffe zuversichtlich,“ schreibt er, „daß der, welcher in euch das gute Werk angefangen hat, es vollenden wird bis auf den Tag Jesu Christi“, nämlich — Gott. Nicht (bloß) bezüglich eurer (Person) aber, will er sagen, hege ich diese Überzeugung, sondern auch be-* *züglich der von euch ausgehenden (Werke)[47]. Denn auch das ist kein geringes Lob, daß Gott in jemand wirke. Wenn nämlich Gott kein Ansehen der Person kennt, wie er es auch tatsächlich nicht kennt, sondern im Hinblick auf die Willensrichtung uns bei der Verrichtung guter Werke beisteht, so hängt es offenbar von uns ab, seine Hilfe zu gewinnen. Also auch in dieser Hinsicht beraubte Paulus die Philipper nicht des verdienten Lobes. Denn wenn Gott schlecht- und einfachhin wirkte, dann müßte er notwendigerweise auch in den Heiden, überhaupt in allen Menschen wirksam sein, wenn er uns nämlich wie Holz und Stein in Bewegung setzte, ohne von unserer Seite eine Mitwirkung zu verlangen. Wenn daher Paulus sagt: „Gott wird es vollenden“, so gereicht auch dieser Ausdruck ihnen wieder zum Lobe, weil sie bestrebt waren, Gottes Gnade zu gewinnen, um mit ihrer Hilfe sich über die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur zu erheben. Anders ausgedrückt liegt das Lob darin: Eure guten Werke sind derart, daß sie nicht mehr in der Kraft des natürlichen Menschen liegen, sondern daß Gott den Ausschlag geben muß. Wenn aber Gott es vollenden wird, so wird auch die Anstrengung nicht groß sein, sondern ihr dürft zuversichtlich hoffen, daß euch alles leicht von statten gehen wird, da ja er euch seinen Beistand gibt.

V. 7: „Wie es denn gerecht ist, daß ich solches von euch allen denke, weil ich euch im Herzen trage, in meinen Banden und bei meiner Verteidigung und Befestigung des Evangeliums, euch, die ihr insgesamt Mitteilnehmer an meiner Gnade seid.“

Diese Stelle mag einstweilen als Beweis seiner großen Sehnsucht gelten, wenn er die Philipper im Herzen trug und selbst in Kerker und Ketten sich ihrer erinnerte. Es liegt aber (auch) kein geringes Lob für diese Männer darin, da die Liebe unseres Heiligen nicht die Frucht bloßer Voreingenommenheit, sondern reif-* *licher Prüfung und richtiger Überlegung ist. Wenn daher jemand von Paulus so innig geliebt wird, so ist das ein Beweis, daß er wirklich eine große und bewunderungswürdige Persönlichkeit sein muß — „Und bei der Verteidigung“, heißt es, „und Befestigung des Evangeliums.“ Was Wunder, wenn er sie im Kerker im Herzen trug? Seid ihr ja, versichert er, nicht einmal während der Zeit, da ich vor Gericht erscheinen mußte, um mich zu verteidigen, meinem Gedächtnisse entschwunden. So bezwingend ist die Macht der geistlichen Liebe, daß sie keinen Augenblick sich zurückdrängen läßt, sondern stets in der Seele des Liebenden festhaftet und keiner Trübsal, keinem Schmerze gestattet, die Seele vollständig zu übermannen. Gleichwie nämlich in dem Feuerofen zu Babylon, so gewaltig auch die Flammen emporloderten, für jene heiligen Jünglinge die Kühle der Tauzeit herrschte[48], so schlägt auch die Liebe, wenn sie einmal von der Seele eines gottglühenden und gottgefälligen Mannes Besitz genommen hat, jede Flamme zurück und erzeugt wundersam kühlenden Tau. — „Und Befestigung des Evangeliums“, setzt er hinzu. Also waren die Ketten eine Befestigung des Evangeliums, eine Verteidigung desselben? Allerdings. Inwiefern? Weil man ihn für einen Betrüger hätte halten können, wenn er sich der Haft entzogen hätte; nun er aber alles, Gefangenschaft und Trübsal, geduldig erträgt, liefert er damit den deutlichen Beweis, daß er solches nicht aus irgendwelchem menschlichen Beweggrunde leide, sondern um Gottes, des Allvergelters, willen. Denn niemand hätte es sich erwählt, den Tod zu erleiden und so große Gefahren auf sich zu nehmen, niemand hätte sich unterfangen, bei einem so mächtigen Fürsten wie Nero anzustoßen, wenn er nicht seine Augen auf einen andern, viel erhabeneren König gerichtet hatte. Also eine „Befestigung des Evangeliums“ waren die Ketten. Beachte, wie er zum Überfluß alles ins Gegenteil verkehrt! Was nach menschlicher Ansicht Schwäche und Beschuldigung war, das nennt er „Befestigung“; den Gegenfall hätte er als Schwäche empfunden. — Sodann zeigt er, daß seine Liebe nicht bloßer Voreingenommenheit, sondern reiflicher Prüfung entsprang. Warum? „Ich trage euch im Herzen,“ schreibt er, „in meinen Banden und bei meiner Verteidigung, weil ihr Mitteilnehmer an der Gnade seid.“ Was soll das heißen? Bestand die Gnade des Apostels darin, daß er gefesselt, daß er vertrieben, daß er mit zahllosem Ungemach überhäuft wurde? — Ja gewiß; denn es heißt: „Es genügt dir meine Gnade; denn meine Kraft wird in der Schwachheit vollendet[49].“ „Darum habe ich Wohlgefallen“, fährt er fort, „an Schwachheiten, an Misshandlungen[50].“ Da ich nun sehe, daß ihr durch die Werke eure Tugend betätigt und tatsächlich Teilnehmer an dieser Gnade seid, und zwar mit Freudigkeit, so ziehe ich mit Recht diesen Schluß. Denn ich habe euch erprobt, ich kenne am meisten von allen euch und eure vollkommene Tugendübung, daß ihr, obschon so weit von uns getrennt, euch alle Mühe gebet, uns in den Trübsalen nicht zu verlassen, sondern die Prüfungen für das Evangelium mit uns zu teilen und hinter mir, der ich in den Kampf gegangen bin, in nichts zurückzustehen, obschon ihr in weiter Ferne seid; darum bin ich berechtigt, euch dieses Zeugnis auszustellen. — Warum aber sagt er nicht Teilnehmer, sondern „Mitteilnehmer“? Auch ich selber, meint er, teile mich andern mit[51], „damit ich Teilnehmer am Evangelium werde[52]“, d. h. damit ich Anteil bekomme an den für die Verkündigung des Evangeliums verheißenen Gütern. — Und was vollends wunderbar ist: sie alle waren von solcher Gesinnung beseelt. Denn er sagt: „Die ihr insgesamt Mitteilnehmer an meiner Gnade seid“. Aus solchen Anfängen nun schöpfe ich die zuversichtliche Hoffnung, daß ihr bis zum Ende so bleiben werdet. Denn unmöglich kann ein so glänzender Beginn (vorzeitig) erlöschen und zum Ende kommen; er weist vielmehr auf einen großartigen Abschluß hin.

 

4.

 

Da man also auch auf andere Weise an der Gnade, an den Prüfungen und Trübsalen nämlich, teil-* nehmen kann, so bitte ich inständig, laßt auch uns daran teilnehmen! Wie viele von den hier Anwesenden möchten — ja ihr alle möchtet wohl mit Paulus teilnehmen an den verheißenen Gütern! Ihr könnt es, wenn ihr entschlossen seid, denen, welche das Amt des Apostels übernommen haben, in ihren Bedrängnissen, die sie um Christi willen erdulden, Beistand und Hilfe zu leisten. Du siehst den Bruder in Gefahr? Reiche ihm die Hand! Du siehst den Lehrer angegriffen? Steh ihm zur Seite! – Aber, wendet man ein, keiner läßt sich mit Paulus vergleichen. — Siehe die Verwegenheit, siehe das vermessene Urteilen! Keiner läßt sich mit Paulus vergleichen: Das räume auch ich ein. Allein der Herr sagt: „Wer einen Propheten aufnimmt auf den Namen eines Propheten hin, wird den Lohn eines Propheten empfangen[53].“ Verdienten etwa die Philipper deshalb Bewunderung, weil sie den Paulus unterstützten? Nein, nicht deshalb, sondern weil sie (in seiner Person) einen unterstützten, der die Verkündigung des Evangeliums übernommen hatte. Paulus selbst war nur deshalb so ehrwürdig, weil er solches um Christi willen litt. Dem hl. Paulus freilich kommt niemand gleich. Doch was rede ich von Gleichkommen? An diesen Heiligen reicht niemand auch nur von ferne heran. Aber die Verkündigung des Evangeliums ist gegenwärtig dieselbe wie damals. — Doch nicht nur, als Paulus in Banden lag, nahmen die Philipper an ihm Anteil, sondern von allem Anfang an. Höre nämlich seine eigenen Worte: „Aber auch ihr, Philipper, wißt, daß im Anfange des Evangeliums keine einzige Gemeinde mit mir in das Verhältnis von Einnahme und Ausgabe getreten ist, als ihr allein[54].“ Auch abgesehen von Gefahren, hat der Lehrer viele Mühe auszustehen: Nachtwachen, ermüdendes Reden in Predigt und Lehre, Vorwürfe, Anklagen, Beschuldigungen, Verleumdungen. Ist das eine Kleinigkeit, sich dem Tadel von tausend Zungen auszusetzen, während man bloß für sich selbst sorgen könnte? — Ach, was soll ich tun? Mitten zwischen zwei Schwierigkeiten bin ich hin- *eingeraten. Ich möchte euch anspornen und ermahnen, den Heiligen Gottes Unterstützung und Beistand zu leisten; ich fürchte aber, man möchte dies dahin mißverstehen, daß ich nicht so fast in eurem, als in ihrem Interesse spreche. Wisset aber, daß ich dies nicht in ihrem, sondern in eurem Interesse sage! Und wenn ihr mir Gehör schenken wollt, so sollen euch meine Worte selbst davon überzeugen. — Der Gewinn ist nicht der gleiche für euch und für sie. Ihr nämlich, wenn ihr gebet, gebt nur das, was ihr ein bißchen später gern oder ungern doch aufgeben und andern überlassen müßt; was du aber empfängst, ist weit größer und wertvoller. Oder seid ihr nicht der Meinung, daß ihr empfangen werdet, wenn ihr gebet? Denn wenn ihr nicht dieser Meinung seid, so mute ich euch auch nicht zu, daß ihr geben sollt; so wenig führe ich das Wort zu Gunsten jener. Wer nicht schon im voraus die Überzeugung gewonnen hat, daß er viel mehr empfängt statt gibt, daß er tausendfach (dabei) gewinnt, daß er Wohltaten erhält, nicht Wohltaten spendet, der gebe nichts! Wer da meint, dem Empfänger eine Gnade zu erweisen, der gebe nichts! Denn es ist mir nicht so sehr darum zu tun, daß die Heiligen ihren Unterhalt bekommen; wenn du nicht gibst, so wird ein anderer geben. Meine eigentliche Absicht geht somit dahin, euch Trost zu verschaffen wegen eurer Sünden; wer aber nicht in der angedeuteten Weise gibt, der wird keinen Trost daraus schöpfen. Denn nicht in dem Geben an sich besteht die Barmherzigkeit, sondern darin, daß man bereitwillig, daß man freudig, daß man mit dem Gefühle schuldiger Dankbarkeit gegen den Empfänger gibt. Denn es heißt: „Nicht mit Traurigkeit noch aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber liebt Gott[55].“ Wer also nicht solcherart geben will, der gebe lieber nichts; denn das wäre eine Geldbuße, nicht ein Almosen. Wenn ihr demnach wißt, daß ihr dabei gewinnt, nicht jene, so wißt ihr (auch), daß euch der größere Gewinn zufällt. Denn jene empfangen nur den Unterhalt für den Leib, ihr aber die Gottwohlgefälligkeit für die Seele; jenen wird keine ihrer Sünden nachgelassen, wenn sie Almosen empfangen, euch aber wird eine Menge von Missetaten getilgt. — Laßt uns also teilhaben an ihren Kämpfen, damit wir auch teilhaben an ihren großen Kampfpreisen! Wer den König zum Erben einsetzt, glaubt weniger zu geben, als zu empfangen. Setze du Christus zum Erben ein, so wirst du volle Sicherheit erlangen! Du möchtest mit Paulus Anteil haben? Was sage ich mit Paulus, da doch Christus selbst der Empfänger ist?

 

5.

 

Damit ihr aber einsehet, daß ich mit allem, was ich rede und tue, nur euer Bestes will und mich nicht um das sorgenfreie Auskommen der andern kümmere —: Wenn irgendein Vorsteher der Kirche im Wohlstande lebt und nichts bedarf, so gib ihm nichts, selbst wenn er ein Heiliger wäre, sondern ziehe ihm den vor, der sich in dürftigen Verhältnissen befindet, ob er auch nicht so vortrefflich ist! Warum denn das? Weil auch Christus es so haben will, z. B. wenn er sagt: „Wenn du ein Mittag- oder Abendmahl gibst, so lade nicht deine Freunde und Verwandten ein, sondern die Krüppel, die Lahmen, die Blinden, die es dir nicht vergelten können[56].“ Denn nicht darauf kommt es an, daß man überhaupt derartige Empfänge veranstaltet, sondern daß es für die Hungrigen, die Durstigen, die Nackten, die Fremdlinge, die aus Reichtum zu Bettlern Gewordenen geschieht. Christus sagte nicht schlechthin; „ich wurde gespeist“, sondern: da ich hungerte. „Denn ihr habt mich hungrig gesehen“, heißt es, „und habt mich gespeist[57].“ — Die Verpflichtung ist eine doppelte: Muß man überhaupt schon den Hungrigen speisen, dann um so mehr, wenn der Hungrige dazu ein Heiliger ist. — Wenn also einer heilig ist, aber nichts bedarf, so gib ihm nichts! Denn dabei ist kein Gewinn; das hat Christus nicht befohlen; noch mehr: Wer im Wohlstande lebt und dennoch Almosen annimmt, der ist gar nicht heilig. — Siehst du jetzt, daß dies nicht aus schnöder Gewinnsucht von uns gesprochen worden ist, sondern um eures Vorteils willen? Speise den Hungrigen, damit du nicht das Feuer der Hölle speisen mußt! Indem jener von dem Deinigen gibt, segnet er sogar die Überbleibsel. Erinnere dich, wie die Witwe den Elias speiste[58]! Sie speiste ihn nicht so fast, als sie von ihm gespeist wurde; sie gab ihm nicht so fast, als sie von ihm empfing. Dies geschieht in viel großartigerer Weise auch jetzt noch. Denn nicht Mehltopf und Ölkrug, sondern was? — hundertfältiger Lohn und ewiges Leben ist die Vergeltung für solchen Liebesdienst. Du wirst der Gegenstand des göttlichen Erbarmens, die geistige Speise, ein reiner Sauerteig. — Jenes Weib war Witwe, der Hungertod stand ihr bevor, und doch hinderte sie das alles nicht. Sie hatte Kinder, und doch ließ sie sich dadurch nicht abhalten. Sie glich jener andern Witwe, welche zwei Heller[59] in den Opferkasten warf[60], Sie sprach nicht bei sich selber; Was werde ich von diesem bekommen? Er selbst bedarf ja meiner. Wenn er etwas vermöchte, so würde er nicht Hunger leiden; er würde der Trockenheit ein Ende machen, würde nicht der gleichen Not unterworfen sein. Vielleicht hat auch er Gott beleidigt. Sie dachte nichts Derartiges. Siehst du, wie gut es ist, mit Einfalt wohlzutun und nicht kleinlich dem nachzufragen, welchem man die Wohltat erweist! Hätte sie sich neugierig erkundigen wollen, so wäre sie vielleicht an ihm irre geworden, hätte ihm keinen Glauben geschenkt. So würde wohl auch Abraham die Engel nicht gastlich aufgenommen haben, wenn es ihm einfiel, sie vorwitzig auszuforschen. Denn es ist unmöglich, ganz und gar unmöglich, daß einer, der hierin mit peinlicher Genauigkeit verfährt, jemals zu dem (erwünschten) Ziele kommt; sondern gerade solche fallen zumeist Betrügern in die Hände. — Wieso? — Ich will es euch sagen. Der Fromme will seine Frömmigkeit nicht zur Schau tragen und umgibt sich selten mit einem Heiligenscheine, selbst auf die Gefahr hin, verächtlich abgewie-* *sen zu werden; der Betrüger dagegen, der die Sache handwerksmäßig betreibt, bindet sich die schwer zu durchschauende Maske großer Frömmigkeit vor. Wer daher auch gegen die scheinbar Nichtfrommen wohltätig ist, wird die Frommen nicht verfehlen; wer hingegen nur die im Rufe der Frömmigkeit Stehenden aufsucht, wird häufig auf Nichtfromme verfallen.

Darum laßt uns, ich bitte euch, alles mit Einfalt tun! Denn gesetzt auch, derjenige, der sich an uns wendet, sei ein Betrüger; du bist nicht verpflichtet, dieses auszuklügeln. Denn es steht geschrieben: „Jedem, der dich bittet, gib[61]!“ und: „Unterlaß nicht zu erlösen, die man zum Tode führt[62]!“. Nun aber erleiden die zur Hinrichtung Geführten der Mehrzahl nach diese Strafe als überwiesene Verbrecher; dennoch heißt es: „Unterlaß nicht!“ Denn dadurch werden wir Gott ähnlich sein, so werden wir Bewunderung ernten und die ewige Seligkeit erlangen, deren wir alle teilhaftig werden mögen durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater gleichwie dem Hl, Geiste Herrlichkeit, Macht und Ehre sei, jetzt und allezeit und in alle Ewigkeit. Amen.

 

 

Dritte (Zweite) Homilie. Phil. I, 8—19.

 

1.

 

V. 8: „Denn Gott ist mein Zeuge, wie sehr ich mich nach euch alten sehne im Herzen Jesu Christi.“

V. 9: „Und um das bete ich, daß eure Liebe noch mehr und mehr zunehme in Erkenntnis und in allem Verständnis:“

V. 10: „Damit ihr anerkennet das Bessere, auf daß ihr rein und ohne Anstoß seiet auf den Tag Christi,“

V. 11: „erfüllt mit Früchten der Gerechtigkeit durch Jesum Christum zur Ehre und zum Lobe Gottes“

Nicht als ob er sonst keinen Glauben fände, ruft er Gott zum Zeugen an, sondern er tut dies in über-* wallendem Affekte und um sie wirksam zu überzeugen und mit Zuversicht zu erfüllen. Er hatte nämlich gesagt, daß sie ihm Teilnahme bewiesen. Damit sie nun nicht glaubten, er sehne sich bloß aus diesem Grunde nach ihnen und nicht um ihrer selbst willen, deswegen fügt er bei: „im Herzen Christi“. Was heißt das? So viel als: nach dem Beispiele Christi; weil ihr Gläubige seid, weil ihr Christus liebt, um der Liebe Christi willen. — Er bedient sich nicht des Ausdruckes „Liebe (ἀγάπη)“, sondern des wärmeren Ausdruckes „Herz (σπλάγχνα) Christi“; da ich gleichsam euer Vater geworden bin durch die Verwandtschaft in Christo. Denn diese verleiht uns ein von Liebe warmes und glühendes Herz; ein (solches) Herz gibt der Herr seinen echten Dienern. „In diesem Herzen“, spricht er; als ob einer sagen würde: ich liebe euch nicht mit meinem natürlichen Herzen, sondern mit einem, das viel heißer schlägt, dem Herzen Christi. — „Wie sehr ich mich nach euch allen sehne“, heißt es. Ich sehne mich nach allen, weil ihr auch alle so (herrlich) beschaffen seid. Ich kann es nicht in Worte fassen, wie sehr ich mich sehne; es läßt sich unmöglich ausdrücken. Deswegen muß ich die Kenntnis (meiner Liebe) Gott überlassen, der die Herzen durchdringt. Er würde aber Gott nicht zum Zeugen angerufen haben, wenn er ihnen bloß schmeicheln wollte; denn dies war nicht ohne Gefahr. — „Und um das bete ich,“ fährt er fort, „daß eure Liebe noch mehr und mehr zunehme.“ Diese edle Leidenschaft nämlich ist unersättlich. Denn beachte: obschon so heiß geliebt, begehrte er doch noch mehr geliebt zu werden. Wer nämlich den Geliebten (wirklich) liebt, will auf keiner Stufe der Liebe stille stehen; denn diese schöne Neigung kennt nicht Maß noch Ziel. In dieser Beziehung sollen wir immer Schuldner bleiben, so will es Paulus. „Bleibet niemanden etwas schuldig,“ mahnt er, „außer daß ihr einander liebet[63].“ Das ist das Maß der Liebe, daß sie nirgends stille steht. „Daß eure Liebe,“ heißt es, „noch mehr und mehr zunehme.“ Beachte den Zusammenhang der Worte! „Noch mehr und mehr“, sagt er. — „Daß sie zunehme in Erkenntnis und in allem Verständnis.“ Nicht die Freundschaft überhaupt findet er bewundernswert, nicht die Liebe überhaupt, sondern jene, welche auf Erkenntnis beruht. Er will sagen: Ihr sollt nicht gegen alle die gleiche Liebe hegen; denn das wäre nicht Liebe, sondern Gleichgiltigkeit. — Was heißt „in Erkenntnis“? So viel als: mit Prüfung, mit Überlegung, mit Verständnis. Denn es gibt Leute, die unvernünftig, planlos und aufs Geratewohl lieben; daher ist es möglich, daß eine derartige Liebe auch nicht besonders tief geht. „… in Erkenntnis“, heißt es, „und in allem Verständnis: damit ihr anerkennet das Bessere (τὰδιαφέροντα)“, d. h. das Heilsame (τὰσυμφέροντα). Nicht um meinetwillen sage ich dies, versichert er, sondern um euer selbst willen; denn es besteht die Gefahr, es könnte der eine oder andere durch die Liebe zu den Häretikern sich verführen lassen. Denn dieses alles deutet er an. Und beachte die Art und Weise, wie er es tut! Nicht meinetwegen, versichert er, sage ich dies, sondern „auf daß ihr rein seiet“, d. h. auf daß ihr keine falsche Glaubenslehre unter dem Vorwande der Liebe annehmet. Wie kann er da schreiben: „Wenn möglich, lebet mit allen Menschen in Frieden[64]“? Er sagt: „Lebet in Frieden“, nicht: Liebet so, daß ihr durch die Liebe Schaden leidet. Denn es steht geschrieben: „Wenn dich dein rechtes Auge ärgert, so reiße es aus und wirf es von dir[65]!“ — „Auf daß ihr rein seiet“ — in bezug auf Gott — „und ohne Anstoß“ — in bezug auf die Menschen. Denn vielen gereichen vielfach die Freundschaften zum Nachteil. Wenn auch du selbst keinen Schaden nimmst, will er sagen, so kann doch ein anderer daran Anstoß nehmen. — „Auf den Tag Christi“, d. h. auf daß ihr alsdann rein erfunden werdet, da ihr niemand Ärgernis gegeben habt. — „Erfüllt mit Früchten der Gerechtigkeit durch Jesum Christum zur Ehre und zum Lobe Gottes“, d. h. mit dem rechten Glauben auch den rechten Lebenswandel verbindend; und zwar einen Lebenswandel, der nicht nur einfachhin recht ist, son- *dern der „erfüllt ist mit Früchten der Gerechtigkeit“. Denn es gibt (auch) eine Gerechtigkeit, die nicht nach Christus ist, z. B. ein (natürlich) tugendhaftes Leben. — „Durch Jesum Christum zur Ehre und zum Lobe Gottes!“ Siehst du, daß ich nicht meine Ehre wahrnehme, sondern die Ehre Gottes? — Vielfach aber bezeichnet er als Gerechtigkeit das Almosen. — Die Liebe, sagt er, soll der Erkenntnis dessen, was für euch heilsam ist, keinen Eintrag tun, und du sollst deshalb, weil du diesen oder jenen liebst, nicht zu Falle kommen. Ich wünsche zwar, daß eure Liebe zunehme, jedoch nicht so, daß ihr dadurch Schaden leidet; ich wünsche es nicht auf ein bloßes Vorurteil hin, sondern nach reiflicher Prüfung, ob wir recht haben mit dem, was wir sagen. Er sagt nicht; damit ihr unserer Lehre den Vorzug gebet, sondern; „damit ihr anerkennet“. Auch sagt er nicht geradewegs heraus; Mit dem und dem dürft ihr nicht umgehen, sondern; Ich wünsche, daß die Liebe zu eurem Besten gereiche, nicht daß ihr ohne Verständnis dabei zu Werke gehen sollt; denn es ist töricht, wenn ihr nicht um Christi willen und durch ihn die Gerechtigkeit übet. — Siehe, wieder einmal der Ausdruck: „durch ihn“. Hat er etwa damit Gott zum untergeordneten Diener machen wollen? Das sei ferne[66]! Der Sinn seiner Worte ist: Nicht damit ich gelobt, sondern damit Gott verherrlicht werde.

V. 12: „Ich will euch aber in Kenntnis setzen, Brüder, daß meine Lage vielmehr zur Förderung des Evangeliums gediehen ist,“

V. 13: „so daß meine Bande in Christo kund geworden sind im ganzen Hoflager und bei allen andern…“

 

2.

 

Es war natürlich, daß sie auf die Nachricht von seiner Gefangensetzung hin in Betrübnis gerieten und die Verkündigung des Evangeliums gehindert glaubten. Was also? Er verscheucht sofort diese Besorgnis. Auch das zeugt von Liebe, daß er ihnen, die um ihn bekümmert waren, über seine Lage Aufschluß gibt. — Was sagst du? Du liegst in Ketten, bist der Freiheit beraubt: wie kann da von einem Wachstum des Evangeliums die Rede sein? — „So daß meine Bande in Christo“, schreibt er, „kund geworden sind im ganzen Hoflager.“ Und dieses hat die andern nicht nur nicht zum Schweigen gebracht und entmutigt, sondern gerade das hat ihnen nur um so größere Zuversicht eingeflößt. Wenn also diejenigen, welche den Gefahren zunächst standen, dadurch nicht bloß keinen Schaden litten, sondern sogar noch größeren Mut gewannen, so müßt ihr letzteres um so mehr. — Hätte er nämlich seine Verhaftung als Unglück hingenommen und geschwiegen, so würde die Wirkung bei jenen naturgemäß die gleiche gewesen sein; wenn er aber in Ketten noch größeren Freimut gewann, so müßte sie das mit größerem Mute erfüllen, als wenn er nicht eingekerkert worden wäre. — Wie aber konnten die Bande „zur Förderung des Evangeliums“ dienen? — Gott hat es so gefügt, antwortet er, daß meine Bande, oder (besser gesagt) die Bande, die ich in Christo, die ich um Christi willen trage, nicht verborgen bleiben „im ganzen Hoflager“ — so nannte man nämlich damals den kaiserlichen Palast — und in der ganzen Stadt, versichert er.

V. 14: „… und daß die Mehrzahl der Brüder im Herrn vertrauend auf meine Bande um so mehr wagten, furchtlos das Wort Gottes zu verkünden.“

Daraus geht hervor, daß sie auch schon früher guten Mutes waren und mit Unerschrockenheit predigten, jetzt aber noch weit mehr. — Wenn also andere, meint er, durch meine Bande Zuversicht gewinnen, so noch viel mehr ich; wenn ich andern Anlaß zu freudigem Mute gebe, so noch viel mehr mir selbst. — „… und daß die Mehrzahl der Brüder im Herrn …“ Weil es als Großsprecherei hätte gedeutet werden können, wenn er sagte: Meine Bande erhöhten ihren Mut, darum beugt er solchem Mißverständnisse vor durch den Zusatz: „im Herrn“. Siehst du, wie er selbst dann, wenn er sich in die Notwendigkeit versetzt sieht, rühmlich von sich zu sprechen, die Bescheidenheit nicht aus dem Auge verliert? — „… um so mehr wagten,“ fährt er fort, „furchtlos das Wort Gottes zu verkünden.“ Der Ausdruck „um so mehr“ läßt erkennen, daß sie bereits vorher entschlossen waren.

V. 15: „Einige zwar predigen Christum aus Neid und Streitsucht, einige aber aus guter Gesinnung.“

Es verlohnt sich, den Sinn dieser Stelle näher kennen zu lernen. Nachdem Paulus festgenommen worden war, suchten viele Ungläubige den Kaiser zu einer heftigen Verfolgung aufzustacheln und predigten (in dieser Absicht) gleichfalls Christum; die Erbitterung des Kaisers sollte durch die zunehmende Ausbreitung der christlichen Lehre gesteigert werden und dessen ganzer Grimm sich auf das Haupt des hl. Paulus entladen. Zweierlei Wirkungen also verursachte (meine) Gefangenschaft: den einen erhöhte sie bedeutend den Mut, die andern veranlaßte sie, Christum zu predigen, in der Hoffnung, mich verderben zu können. [„Einige zwar aus Neid“,] d. h. sie machen sich zu meinen Mitarbeitern, weil sie meinen Ruhm und mein Auftreten beneiden, auf mein Verderben ausgehen und um jeden Preis Händel mit mir suchen; oder aber um selbst auch geehrt zu werden und in der Meinung, von meinem Ruhme etwas an sich reißen zu können, „Einige aber aus guter Gesinnung“, d. h, ohne Heuchelei, aus purem Eifer.

V. 16: „Die einen verkünden Christum aus Streitsucht, nicht lauter (ἁγνῶς) …“,

nicht aus reiner Absicht (εἰλικρινῶς), nicht um der Sache selbst willen, sondern warum? „… indem sie wähnen, meine Bande durch Drangsale noch zu erschweren.“ In dem Glauben nämlich, ich würde dadurch in noch größere Gefahr stürzen, häufen sie Drangsal auf Drangsal. O der Grausamkeit, o des teuflischen Beginnens! Sie sahen ihn gefesselt und in den Kerker geworfen und beneideten ihn noch; sie gingen darauf aus, seine unglückliche Lage noch zu verschlimmern und den Zorn (des Kaisers) gegen ihn noch zu schüren. — Treffend sagt er: „indem sie wähnten“; denn es kam nicht so. Jene meinten, mich dadurch zu kränken; ich aber freute mich, daß die Predigt des Evangeliums Fortschritte machte.

 V. 17: „Die andern aber aus Liebe, weil sie wissen, daß ich zur Verantwortung des Evangeliums bestimmt bin[67].“

Was bedeuten die Worte: „daß ich zur Verantwortung des Evangeliums bestimmt bin“? Soviel als: Sie wollen meine Rechenschaft gegen Gott vorbereiten helfen und legen (deshalb) mit Hand ans Werk. — Was heißt: „zur Verantwortung.“? Ich habe den Auftrag erhalten zu predigen; ich muß dereinst Rechenschaft ablegen und mich verantworten über das Werk, das mir aufgetragen worden. Um mir also diese Verantwortung zu erleichtern, darum legen sie mit mir Hand ans Werk. Denn wenn sich viele finden werden, die im Christentum unterrichtet worden sind und den Glauben angenommen haben, so wird mir die Verantwortung leicht fallen. — So kann man ein gutes Werk tun, nicht aus guter Absicht; und dafür steht nicht nur keine Belohnung in Aussicht, sondern sogar Strafe. Da sie nämlich nur in der Absicht Christum predigten, um den Herold Christi in größere Gefahren zu stürzen, so werden sie nicht nur keinen Lohn empfangen, sondern sogar der Rache und Strafe verfallen. — „Die andern aber aus Liebe“, d. h. sie wissen, daß ich Rechenschaft ablegen muß über das Evangelium.

V. 18: „Was liegt daran? Wenn nur auf jegliche Weise, sei es zum Schein, sei es in Wirklichkeit, Christus verkündigt wird.“

Aber beachte die Weisheit dieses Mannes! Er erhebt keine heftige Anklage gegen sie, sondern berichtet nur den Tatbestand. „Was liegt daran“, sagt er, ob so oder so? „Wenn nur auf jegliche Weise, sei es zum Schein, sei es in Wahrheit, Christus verkündigt wird.“ Er sagt nicht: (Christus) soll verkündigt werden, wie manche (irrtümlich) meinen, indem sie die Behauptung aufstellen, Paulus rede hier den Häresien das Wort, sondern: „wenn er nur verkündigt wird“. Denn fürs erste spricht er nicht im Tone eines Gesetzgebers: er soll verkündigt werden, sondern konstatiert einfach den Tatbestand; und zweitens, wenn er auch als Gesetzgeber gesprochen hätte, würde er damit keineswegs die Häresien verteidigt haben.

 

3.

 

Laßt uns denn die Sache untersuchen! Wenn er selbst geboten hätte, so zu predigen wie jene, würde er damit keineswegs die Häresien verteidigt haben. — Wieso? Weil jene die gesunde Lehre vortrugen; und weil zwar der Zweck und die Absicht, womit sie dies taten, schlecht war, die Lehre selbst aber keine Veränderung erlitt. Ja sie waren direkt gezwungen, ebenso zu predigen. — Warum? — Weil sie, wenn sie anders predigten, nicht wie Paulus, wenn sie anders lehrten, nicht wie dieser, nimmermehr den Grimm des Kaisers hätten schüren können. Nun sie aber sein Evangelium verbreiteten, in Übereinstimmung mit ihm lehrten und gleich ihm Schüler gewannen, vermochten sie den Kaiser dadurch gegen ihn aufzubringen, weil die Zahl der Schüler sich sichtlich vergrößerte. — Aber da greift ein gottloser und unverständiger Mensch diese Stelle auf und behauptet; Jene hätten doch das gerade Gegenteil tun müssen, sie hätten die bereits Gläubigen abspenstig machen, nicht auf die Vermehrung der Gläubigen hinarbeiten müssen, wenn sie ihm in der Tat empfindlich schaden wollten. — Was sollen wir nun darauf erwidern? Daß jene nur den einen Zweck im Auge hatten, ihn in die gegenwärtigen Gefahren zu verwickeln, ihn nicht entkommen zu lassen; eher denn auf jene glaubten sie auf diese Weise ihn kränken und der Predigt des Evangeliums ein Ende machen zu können. Andernfalls nämlich hätten sie den Zorn des Kaisers beschwichtigt und dazu beigetragen, daß der Apostel freigelassen wurde und die Predigt wieder aufnahm; so aber meinten sie, mit ihm die ganze Sache aus der Welt zu schaffen, wenn sie nämlich ihn beseitigten. Solch raffinierten Plan auszuhecken, war nicht vielen gegeben, sondern nur einigen verbissenen Menschen. — „Und darüber“, fährt er fort, „freue ich mich, ja werde ich mich auch ferner freuen. Was heißt das: „ja werde ich mich auch ferner freuen“ ? Er will sagen: Auch wenn es noch mehr geschieht. Denn sie arbeiten mir, ob sie wollen oder nicht, in die Hände; und für ihre Bemühungen werden jene Strafe, ich aber, ohne etwas dabei zu tun, Belohnung empfangen. — Kann es etwas Ruchloseres geben als den Teufel? Für die Predigt Züchtigung, für die Mühen Strafe zu ersinnen! Siehst du, in welches Unglück er seine Anhänger stürzt? Wie hätte sonst auch ein Feind und Widersacher ihres Heiles das Ganze so angelegt? Siehst du, daß jener, welcher die Wahrheit bekämpft, nichts ausrichtet, sondern vielmehr sich selbst verwundet, wie derjenige, der wider den Stachel löckt[68]?

V. 19: „Denn ich weiß“ fährt er fort, „daß dieses mir zum Heile gereichen wird durch euer Gebet und den Beistand des Geistes Jesu Christi.“

Nichts ist verruchter als der Teufel. Solcherart überhäuft er allenthalben seine Anhänger mit fruchtlosen Arbeiten und reibt sie auf. Ja er läßt sie nicht nur keiner Belohnung (dafür) teilhaftig werden, sondern bewirkt auch, daß sie der Züchtigung verfallen. Er versteht es, ihnen nicht bloß die Predigt des Evangeliums zum Gesetze zu machen, sondern auch ein Fasten und eine Jungfräulichkeit, welche nicht allein des Lohnes beraubt, sondern auch denen, die sich ihrer befleißigen, großes Unglück zuzieht. Von diesen gilt sein Wort: „Gebrandmarkt sind sie in ihrem eigenen Gewissen[69].“

Darum bitte ich euch, laßt uns für alles Gott danken, daß er uns die Arbeit erleichtert und den Lohn vermehrt hat! Denn des Lohnes, welchen bei uns die keuschen Eheleute erhalten, werden bei jenen selbst die jungfräulichen Seelen nicht teilhaftig; vielmehr sind bei den Häretikern diejenigen, welche die Jungfräulichkeit bewahren, demselben Gerichte verfallen wie diejenigen, welche Unzucht treiben. Das alles, weil sie nicht in der rechten Absicht handeln, sondern nur um die Geschöpfe Gottes und seine unerforschliche Weisheit zu lästern. — Laßt uns also nicht sorglos sein! Gott hat uns Kämpfe zu bestehen gegeben, denen unsere Kräfte gewachsen sind, die keine Anstrengung erfordern; sehen wir sie doch darum nicht als geringfügig an! Denn wenn die Häretiker sich mit fruchtlosen Arbeiten abmühen, wie werden wir es dann verantworten, wenn wir nicht einmal die geringeren und mit reichlicherem Lohne verbundenen auf uns nehmen wollen?

Welches der Gebote Christi ist denn lästig, welches schwer? Du kannst nicht jungfräulich leben? Es steht dir ja frei, zu heiraten. Du kannst dich nicht all deiner Güter entäußern? Es steht dir ja frei, von deinem Besitze Unterstützung zu gewähren. „Euer Überfluß soll dem Mangel jener abhelfen[70]