Homilien über den Brief an die Hebräer - Johannes Chrysostomos - E-Book

Homilien über den Brief an die Hebräer E-Book

Johannes Chrysostomos

0,0
13,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Diejenigen, an die der Hebräerbrief geschrieben wurde, scheinen daran zu zweifeln, ob Jesus wirklich der Messias sein könnte, auf den sie warteten, denn sie glaubten, dass der in den hebräischen Schriften prophezeite Messias als kämpferischer König kommen und die Feinde seines Volkes vernichten würde. Jesus jedoch kam als einfacher Mann, der von den jüdischen Anführern verhaftet wurde und der unter den Römern litt und gekreuzigt wurde. Und obwohl er als Auferstandener erkannt wurde, verließ er dennoch die Erde und sein Volk, das nun eher Verfolgung als Sieg erlebte. der Brief an die Hebräer löst dieses Problem, indem er argumentiert, dass die hebräischen Schriften auch voraussagten, dass der Messias ein Priester sein würde (wenn auch von einer anderen Art als die traditionellen levitischen Priester) und Jesus kam, um diese Rolle zu erfüllen, als ein Opfer für Gott, um für die Sünden der Menschen zu sühnen. Seine Rolle als König käme erst noch, und so sollten diejenigen, die ihm folgen, geduldig sein und sich nicht wundern, dass sie vorerst litten. Der Brief betont auch im Besonderen die Bedeutung des Glaubens.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 636

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

Homilien über den Brief an die Hebräer

 

JOHANNES CHRYSOSTOMOS

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Homilien über den Brief an die Hebräer, J. Chrysostomos

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849660178

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Einleitung. 2

Erste Homilie.8

Zweite Homilie.15

Dritte Homilie.25

Vierte Homilie.38

Fünfte Homilie.50

Sechste Homilie.60

Siebente Homilie.69

Achte Homilie.79

Neunte Homilie.90

Zehnte Homilie.100

Elfte Homilie.108

Zwölfte Homilie.117

Dreizehnte Homilie.125

Vierzehnte Homilie. 137

Fünfzehnte Homilie.146

Sechzehnte Homilie.155

Siebenzehnte Homilie.161

Achtzehnte Homilie.169

Neunzehnte Homilie.175

Zwanzigste Homilie.181

Einundzwanzigste Homilie.188

Zweiundzwanzigste Homilie.196

Dreiundzwanzigste Homilie.204

Vierundzwanzigste Homilie.213

Fünfundzwanzigste Homilie.220

Sechsundzwanzigste Homilie.228

Siebenundzwanzigste Homilie.237

Achtundzwanzigste Homilie.246

Neunundzwanzigste Homilie.261

Dreissigste Homilie.269

Einunddreissigste Homilie.275

Zweiunddreissigste Homilie.282

Dreiundreissigste Homilie.290

Vierunddreissigste Homilie.299

Fußnoten. 306

 

 

Homilien über den Brief an die Hebräer

 

Bibliographische Angaben:

 

Einleitung: Homilien über den Brief an die Hebräer In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Homilien über den Brief an die Hebräer. Aus dem Urtexte übers. von Joh. Chrysostomus Mitterrutzner (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 77), Kempten, 1884. Unter der Mitarbeit von: Birgit Genten.

 

Titel Version: Homilien über den Brief an die Hebräer (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Homilien über den Brief an die Hebräer In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Homilien über den Brief an die Hebräer. Aus dem Urtexte übers. von Joh. Chrysostomus Mitterrutzner (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 77), Kempten, 1884. Unter der Mitarbeit von: Birgit Genten

 

 

 

 

Einleitung

 

Der heilige Paulus schreibt in seinem Römerbriefe: „Solange ich Heiden-Apostel bin, will ich meinem Amte Ehre machen: ob ich etwa auf irgend eine Weise Die, mit denen ich dem Fleische nach verwandt bin, zur Nacheiferung anzuregen vermöge.“1 Und wieder an einer andern Stelle: „Denn Der mit Petrus wirksam war zum Apostelamte bei den Beschnittenen, der war auch mit mir wirksam unter den Heiden.“2 Wenn er also Heiden-Apostel war (denn in der Apostelgeschichte spricht der Herr zu ihm: „Ziehe hin, denn ich will dich ferne unter die Heiden senden!“3, was hatte er denn mit den Hebräern zu thun, und warum schrieb er an diese sogar einen Brief, zumal sie gegen ihn, wie Das aus vielen Stellen hervorgeht, feindlich gesinnt waren? Höre, was Jakobus zu ihm spricht: „Siehst du, Bruder, wie viele Tausende der Juden es gibt, welche gläubig geworden? ... und Diese alle haben von dir gehört, daß du den Abfall vom Gesetze lehrest.“4 Auf diese Weise wurde er oft und vielfach angegangen.

Warum aber, könnte Jemand fragen, schickte ihn Gott nicht zu den Juden, ihn, der durch seine Gesetzeskunde (denn zu den Füßen Gamaliels war er im Gesetze unterrichtet worden und eiferte sehr für dasselbe) am meisten im Stande war, sie zu bekehren? Weil sie ihn dann gerade darum mehr angefeindet hätten. Da nun Gott vorauswußte, daß sie ihm nicht Gehör schenken würden, sprach er zu ihm: „Ziehe hin zu den Heiden; denn Jene werden dein Zeugniß über mich nicht annehmen.“5 Und er sprach: „Ja, Herr, Diese wissen, daß ich Diejenigen, welche an dich glaubten, in Gefängnisse verschließen und in den Synagogen geißeln ließ. Und als das Blut des Stephanus, deines Zeugen, vergossen ward, stand ich dabei, billigte seine Ermordung und verwahrte die Kleider Derer, die ihn tödteten.“6 Und Dieß führt er an zum Zeichen und Beweise, daß sie ihm nicht glauben würden. Und so verhält es sich wirklich. Wenn ein ganz niedrig gestellter Mensch, über den man kaum ein Wort verlieren soll, von irgend einem Volke abtrünnig geworden, so kränkt Das Diejenigen, von denen er abgefallen ist, nicht besonders; fällt aber ein hochangesehener Mann, der bisher die Interessen der Seinigen mit großem Eifer und mit Thatkraft verfochten, von seinen Genossen ab, so schmerzt Das dieselben im höchsten Grade und versenkt sie in ein Übermaß von Betrübniß, weil er durch seinen Abfall und Übertritt ihrem Bekenntnisse einen schweren Schlag versetzt.

Aber noch ein anderer Grund trat hinzu, sie im Unglauben zu erhalten. Was ist das für einer? Weil Petrus und seine Genossen mit Christus zusammen waren und seine Zeichen und Wunder sahen, Paulus aber sich keines solchen Vortheiles erfreute, sondern streng zu den Juden hielt, dann aber plötzlich abfiel und Einer der Unsrigen wurde, was unsere Sache in hohem Grade fördern half. 

Es könnte auch Jemand sagen, Jene hätten aus Zuneigung und weil sie ihren Meister zärtlich liebten, für diesen Zeugniß abgelegt; Dieser aber trete als Zeuge für die Auferstehung auf, da er doch zumeist nur die Stimme gehört hätte. Darum sind sie seine grimmigen Feinde, thun Alles gegen ihn und zetteln Aufruhr an, um ihn zu vernichten. Aus diesem Grunde hatten die Ungläubigen gegen ihn eine gehässige Gesinnung.

Aber weßhalb waren ihm denn die Gläubigen abgeneigt? Weil er genöthiget war, als Heiden-Prediger das Christenthum rein zu verkünden; wäre er aber in Judäa geblieben, so hätte er darauf keine Sorge zu verwenden gebraucht. Denn da Petrus und die mit ihm waren, zu Jerusalem predigten, woselbst der Gesetzeseifer groß war, mußten sie die Beobachtung des Gesetzes befehlen. Paulus aber stand ganz frei da. Auch die Zahl der gläubigen Heiden war größer als die der Juden, die gleichsam draussen waren. Das löste das Gesetz, und sie beobachteten nicht so große Sorgfalt in Bezug auf dasselbe, weil er das Christenthum rein verkündete. Wohl scheinen sie in dieser Beziehung ihn durch die Menge einschüchtern zu wollen, indem sie sagen: „Siehst du, Bruder, wie viele Tausende der Juden es gibt, welche gläubig geworden? . . und Diese alle haben von dir gehört, daß du den Abfall vom Gesetze lehrest.“7

Warum schreibt er denn an die Juden, da er doch nicht ihr Lehrer war? Wohin schreibt er an sie? Mir scheint nach Jerusalem und nach Palästina. Und in welcher Weise schreibt er? In der Weise, in der er auch taufte, ohne dazu einen Befehl erhalten zu haben; „denn ich bin,“ sagt er, „nicht ausgesendet worden, zu taufen;“8 es war ihm aber auch nicht verboten; er that es so nebenbei. Warum sollte er aber Denen nicht schreiben, für welche er sogar im Banne sein wollte?9 Darum sagt er: „Wisset, daß unser Bruder Timotheus freigelassen ist; mit ihm will ich, wenn er bald eintrifft, euch sehen;“10 denn Paulus war noch nicht gefangen genommen. Zwei Jahre verlebte er dann zu Rom in Gefangenschaft; darauf wurde er freigelassen und kam nach Spanien, worauf er nach Judäa reiste und die Judenchristen besuchte. Nachdem er wieder nach Rom gekommen war, wurde er auf Befehl des Kaisers Nero hingerichtet. - Der Brief an Timotheus muß demnach älter sein als dieser, da er in demselben schreibt: „Denn ich werde jetzt geopfert;“11 und wiederum: „Bei meiner ersten Verantwortung ist mir Niemand beigestanden.“12 Denn oftmals kämpfte er zu seiner Vertheidigung, wie er im Briefe an die Thessalonicenser schreibt: „Ihr seid Nachahmer geworden der Gemeinden Gottes, die in Judäa sind.“13 Und im Briefe an diese selbst (Hebräer) spricht er: „Mit Freuden ertruget ihr den Raub euerer Güter.“14 Siehst du ihre Kämpfe? Wenn sie aber den Aposteln nicht nur in Judäa, sondern auch mitten unter den Heiden so hilfreich begegneten, wie werden sie nicht erst den Gläubigen Beistand geleistet haben? Darum legt er auch für sie, wie man sieht, eine besondere Sorgfalt an den Tag; denn er sagt: „Ich reise nach Jerusalem, den Heiligen zu dienen,“15 und da er die Korinther zur Mildthätigkeit mit dem Bemerken ermuntert, daß die Macedonier bereits einen Beitrag geleistet, und beifügt: „Wenn es der Mühe werth ist, daß auch ich reise,“16 spricht er sich in diesem Sinne aus. Und durch die Worte: „Nur sollten wir der Armen eingedenk sein, was auch ich zu thun beflissen gewesen,“17 besagt er Dasselbe. Und wenn er spricht: „Sie gaben mir und Barnabas die Hand zur Gemeinschaft, daß wir unter den Heiden, sie aber unter den Beschnittenen predigen sollten,“18 sagt er wieder Dasselbe. Denn Dieses spricht er nicht von den dortigen Armen überhaupt, sondern in der Mildthätigkeit gegen dieselben sollte Gemeinschaft bestehen. In Bezug auf die Verkündigung des Wortes haben wir die Vertheilung getroffen, daß wir den Heiden, Jene den Beschnittenen predigen sollten; in der Fürsorge für die Armen haben wir keine solche Theilung vorgenommen. Und überall sieht man, daß Paulus um diese gar sehr besorgt ist. Das war aber ganz natürlich. Unter den anderen Völkern, wo Juden und Heiden durcheinander lebten, war die Sache anders gestaltet. Da sie dort (in Judäa) bis dahin ihre eigene Gesetzgebung und Regierung zu besitzen und Vieles nach eigenen Gesetzen zu verwalten schienen, weil die Regierung, die sich noch nicht gänzlich in den Händen der Römer befand, noch keine festen Normen hatte, so übten sie begreiflicher Weise eine bedeutende Gewaltherrschaft aus. Denn wenn sie auch in anderen Städten, z. B. in Korinth,19 den Vorsteher der Synagoge vor dem Richterstuhle des Proconsuls mit Schlägen bedienten, und Gallio sich darum gar nicht kümmerte, wird Das in Judäa nicht auch so gewesen sein?

Du siehst nun, wie man sie in anderen Städten vor die Obrigkeit führt und diese, wiewohl sie heidnisch ist, auffordert, Hilfe zu leisten. Dort aber machen sie sich keine solche Sorge, sondern setzen selbst ein Gericht zusammen und verurtheilen, welche sie wollen. So haben sie den Stephanus hingerichtet, so die Apostel gegeißelt, ohne sie vor die Obrigkeit geführt zu haben. So würden sie auch den Paulus getödtet haben, hätte sich ihnen nicht der Tribun widersetzt. Dieses geschah, als noch die Hohenpriester waren und der Tempel mit seinem Gottesdienste und den Opfern bestand. Siehe, wie selbst Paulus vor dem Richterstuhle des Hohenpriesters spricht: „Ich wußte nicht, daß es der Hohepriester ist,“20 und zwar in Gegenwart des römischen Archon. Denn damals besaßen sie noch eine bedeutende Macht. Bedenke nun, wie viel demnach die Gläubigen zu Jerusalem und in Judäa zu leiden hatten! Wenn daher der Apostel für Diejenigen, die noch nicht gläubig geworden, im Banne sein wollte; wenn er für die Gläubigen so dienstbereit war, daß er im Falle der Noth selbst reifen wollte und für sie überall sorgt: wie kann man sich wundern, daß er auch durch einen Brief sie ermuntert und tröstet und die Wankenden und bereits Gefallenen aufrichtet? Denn sie schienen ob der vielen Trübsale fast hoffnungslos zu verzweifeln. Das scheint er auch am Ende des Briefes auszudrücken, indem er spricht: „Darum richtet wieder auf die erschlafften Hände und die wankenden Kniee!“21 Und wiederum: „Denn nur noch eine kleine Weile, und es wird kommen, der da kommen soll, und er wird nicht zögern.“22 Und an einer anderen Stelle: „Wenn ihr ohne Züchtigung wäret, deren Alle theilhaftig geworden, so wäret ihr Bastarde und keine Kinder.“23 Denn als Juden hatten sie von ihren Vätern gelernt, daß man Gutes und Schlimmes naheliegend erwarten und demgemäß leben müsse; damals aber bestand das Gegentheil: das Gute nur in der Hoffnung und nach dem Tode, das Schlimme aber jetzt gleich, und so war es ganz natürlich, daß Viele nach langem Ausharren kleinmüthig wurden, worüber sich Paulus weitläufig ausspricht. Dieß jedoch werden wir zur rechten Zeit erklären; bis dahin genüge die Bemerkung, daß er nothwendiger Weise Denen schrieb, für welche er so große Fürsorge an den Tag legte. Der Grund, warum er nicht zu ihnen geschickt wurde, war offenbar; ihnen aber zu schreiben, war ihm nicht verwehrt. Daß sie aber kleinmüthig wurden, zeigt er mit den Worten: „Darum richtet wieder auf die erschlafften Hände und die wankenden Kniee und macht gerade Tritte!“24 Und wieder: „Denn Gott ist nicht ungerecht, daß er vergessen sollte eures Thuns und der Liebe.“25 Die Seele wird nämlich, wenn sie von vielen Versuchungen ergriffen wird, oft vom Glauben abgezogen; darum gibt er die Mahnung, festzuhalten an dem Gehörten (den empfangenen Heilslehren) und nicht ungläubigen Herzens zu sein. Darum redet er auch in diesem Briefe besonders viel über den Glauben und zeigt zu diesem Ende in vielen Beispielen, daß auch Jenen (den Vätern) nicht alsbald die Güter gegeben wurden, die ihnen verheissen waren. Und damit sie überdieß nicht wähnen möchten, daß sie ganz verlassen seien, empfiehlt er folgende zwei Stücke: Erstens Alles, was da kommen mag, muthig zu ertragen; dann zuversichtlich die Vergeltung zu erwarten; denn Gott werde weder den gerechten Abel noch die anderen Gerechten der Folgezeit unbelohnt lassen. Er tröstet sie aber auf dreifache Weise: Erstens durch die Leiden, welche Christus erduldet hat, der da selber spricht: „Der Knecht ist nicht größer als sein Herr;“26 zweitens durch die Güter, welche für die Gläubigen hinterlegt sind; drittens durch die Übel. Und er bekräftigt Das nicht bloß durch das Zukünftige, was weniger überzeugt hätte, sondern auch durch das Vergangene, was ihren Vätern begegnet war. Dasselbe thut auch Christus, indem er spricht: „Der Knecht ist nicht größer als sein Herr;“ und wieder: „Viele Wohnungen sind bei dem Vater,“27 und beklagt das unsägliche Elend Derjenigen, die nicht geglaubt haben. Er redet auch viel über das alte und neue Testament, was ihm sehr nützte, um von der Auferstehung zu überzeugen. Und damit sie etwa nicht ob seiner beiden Zweifel an seiner Auferstehung schöpfen könnten, beweist er dieselbe aus den Propheten und zeigt, daß nicht das Judenthum, sondern das Christenthum ehrwürdig sei. Und weil der Tempel mit seinen Opfern noch stand, sagte er: „Lasset uns nun hinausgehen ausserhalb des Lagers und seine Schmach tragen.“28 Es stand ihm aber auch Dieses entgegen: Es war natürlich, daß Einige sagten: Wenn Das nur Schatten und Bild ist, warum ist es nicht vorübergegangen und gewichen, als die Wahrheit erschien, sondern blühet noch fort? Leise deutet er an, daß Dieß seiner Zeit geschehen werde. Daß sie aber lange Zeit im Glauben und in den Trübsalen ausharrten, erklärt er in den Worten: „Denn die ihr Lehrer sein sollet der Zeit nach;“29 und: „Daß nicht in Einem von euch sei ein böses, ungläubiges Herz;“30 und: „Ihr seid Nachahmer geworden Derjenigen, welche durch Glauben und Geduld Erben der Verheissungen wurden.“31

 

Fußnoten:

 

 

1.       Röm 11,13.14 

2.       Gal 2,8 

3.       Apg 22,21 

4.       Apg 21,20 

5.       Apg 22,18 

6.       Apg 22,19.20 

7.       Apg 21,20 

8.       1 Kor 1,17 

9.       Röm 9,3. Ἀνάϑεμα γενέσϑαι - im Banne sein, mit dem Vertilgungsfluche beladen werden - ist die Formel der kirchlichen Verdammung. Ἀνάϑεμα bedeutet ursprünglich ein Weihegeschenk, das der Gottheit gebracht wurde, und ist die Uebersetzung des hebräischen חדם. Dieß bedeutet aber hauptsächlich solche Personen oder Sachen, die der Gottheit devovirt, ihrem Strafgerichte unwiderruflich verfallen sind, z. B. die Kanaaniter, ihre Städte, ihr Hab und Gut. Es schließt also den Begriff der Vertilgung in sich. Auf's Christenthum übertragen verliert es nun natürlich jenen äusserlichen Charakter, erhält aber eine um so intensivere geistige Bedeutung: es bezeichnet den Ausschluß von den Gnadengütern Christi oder die ewige Verdammniß. Vrgl. Al. Meßmer, Erklärung des Briefes an die Galater S. 24. 

10.    Hebr 13,23 

11.    2 Tim 4,6 

12.    2 Tim 4,16 

13.    1 Thess 2,14 

14.    Hebr 10,34 

15.    Röm 15,25 

16.    1 Kor 16,4 

17.    Gal 2,10 

18.    Gal 2,9 

19.    Apg 18,17 

20.    Apg 23,5 

21.    Hebr 12,12 

22.    Hebr 10,37 

23.    Hebr 12,8 

24.    Hebr 12,12.13 

25.    Joh 15,20 

26.    Joh 15,20 

27.    Joh 14,2 

28.    Hebr 13,13 

29.    Hebr 5,12 

30.    Hebr 3,12 

31.    Hebr 6,12 

 

 

 

Erste Homilie.

 

I.

 

 Kap. I.

 

1. 2. Mannigfaltig und auf vielerlei Weise hat einst Gott zu den Vätern durch die Propheten geredet, zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns durch den Sohn geredet, den er zum Erben des All gesetzt, durch den er auch die Welt gemacht hat.

„Wirklich, als die Sünde überschwenglich war, wurde die Gnade noch überschwenglicher.“1 Auf diese Wahrheit deutet der heilige Paulus auch hier im Eingange seines Briefes an die Hebräer hin. Denn weil diese von Mühen und Beschwerden fast aufgezehrt waren und darnach die Dinge beurtheilten, und für sie der Schluß nahe lag, daß sie selbst geringer als alle Anderen wären: so zeigt er, daß sie einer viel größern, ja überschwenglichen Gnade gewürdiget seien, und gibt gleich in den ersten Worten des Briefes dem Zuhörer eine besondere Anregung. Darum sagt  er: „Mannigfaltig und auf vielerlei Weise hat einst Gott zu den Vätern durch die Propheten geredet, zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns durch den Sohn geredet.“ Warum stellt er sich selber den Propheten nicht gegenüber? War er doch weit größer als diese, da ihm Größeres anvertraut war. Das thut er aber nicht. Warum? Erstens, weil er sich selber nicht rühmen wollte; zweitens, weil die Zuhörer noch nicht die nöthige Reife besaßen; drittens, weil er sie zu heben beabsichtigte und zeigen wollte, daß sie einer großen Auszeichnung theilhaftig würden, - als wollte er sagen: Was Großes liegt darin, daß Gott zu unseren Vätern die Propheten gesandt, da er uns seinen eigenen eingebornen Sohn geschickt hat? - Recht schön beginnt er mit den Worten: „Mannigfaltig und auf vielerlei Weise;“ denn er zeigt, daß nicht einmal die Propheten Gott geschaut haben, wohl aber der Sohn ihn geschaut hat. Denn der Ausdruck: „Mannigfaltig und auf vielerlei Weise“ hat die Bedeutung: in verschiedenen Gesichten und Gleichnissen; denn er spricht: „Ich mehre die Gesichte und erscheine in Gleichnissen durch die Propheten.“2 Das ist also nicht der einige Vorzug, daß zu Jenen zwar Propheten gesandt wurden, zu uns aber der Sohn, sondern daß auch keiner der Propheten Gott geschaut hat, wohl aber der eingeborne Sohn. Das aber schreibt er nicht gleich im Anfang, sondern beweist es erst im Folgenden, wo er von der Menschheit (Christi) spricht: „Denn zu welchem der Engel sprach Gott je: Du bist mein Sohn?“ und: „Setze dich zu meiner Rechten.“3 Betrachte seine große Klugheit. Zuerst zeigt er die durch die Sendung der Propheten ihnen gewordene Auszeichnung, und nachdem er Dieß als Thatsache dargelegt hat, beweist er das Übrige, daß nämlich Gott zu Jenen durch die Propheten, zu uns aber durch seinen  Eingeborenen gesprochen. Hätte er aber sogar durch Engel zu ihnen geredet (und in der That haben Engel mit ihnen verkehrt), so hätten wir auch in dieser Beziehung den Vorzug, und zwar in so weit, als zu uns der Herr, zu Jenen aber die Diener geredet; denn die Engel sind wie die Propheten nur Diener. Schön spricht er auch: „Zuletzt in diesen Tagen;“ denn auch Das richtet sie auf und tröstet sie in ihrer Betrübniß; wie er denn auch an einer anderen Stelle schreibt: „Der Herr ist nahe, seid nicht ängstlich besorgt;“4 und wieder: „Denn jetzt ist unser Heil näher, als da wir gläubig wurden;“5 so auch hier. Was will nun Paulus damit sagen? Daß ein Jeder, der im Kampfe seine Kräfte erschöpft hat, sobald er das Ende des Kampfes vernimmt, ein wenig ausathmet, indem er weiß, daß nun das Ende der Mühen und der Anfang der Ruhe gekommen. - „Zuletzt hat er in diesen Tagen zu uns in dem Sohne geredet.“ Die Worte: „in dem Sohne,“ „durch den Sohn“ spricht er gegen Diejenigen aus, welche behaupten, Dieß passe auf den heiligen Geist. Siehst du, daß das „in“ dem „durch“ entspricht? Ferner haben die Ausdrücke: „einst“ und „zuletzt in diesen Tagen“ ihren besonderen Sinn. Welchen denn? Nach Verlauf einer geraumen Zeit, da wir der Strafe gewärtig waren, die Gnadengaben aufgehört hatten, es keine Aussicht auf Erlösung gab, als wir von allen Seiten Verluste befürchteten: da erlangten wir größeren Vortheil. Nun erwäge, wie klug er sich ausdrückt! Er sagt nicht: „Christus hat geredet,“ obgleich er es war, der so gesprochen, sondern da sie noch schwach waren und Das, was auf Christus Bezug hatte, nicht zu fassen (zu hören) vermochten, sagt er: „Er hat zu uns durch den Sohn geredet.“ Was sagst du? Gott hat durch den Sohn geredet? Ja. Wo ist dann der Vorzug? Denn hier hast du gezeigt, daß das neue und  das alte Testament denselben Urheber haben, was doch keinen Vorzug (des neuen vor dem alten) in sich schließt. Darum läßt er eine Erörterung in den Worten folgen: „Er hat zu uns durch den Sohn geredet.“ Siehe, wie Paulus die Sache zu einer gemeinschaftlichen machte und sich seinen Schülern gleichstellt mit den Worten: „Er hat zu uns geredet.“ Hat er doch nicht zu ihm gesprochen, sondern zu den Aposteln und durch sie zur Schaar (der Gläubigen). Allein er hebt sie und zeigt, daß er auch zu ihnen geredet; gleichzeitig aber tadelt er gewisser Maßen auch die Juden; denn beinahe Alle, zu denen die Propheten gesprochen, waren schlechte und verruchte Menschen. Ohne sich hierüber weiter zu verbreiten, redet er über die von Gott gespendeten Wohlthaten. Darum fügt er auch bei: „Den er zum Erben des All gesetzt.“ Hier meint er das Fleisch (die Menschen), wie auch David im zweiten Psalm sagt: „Begehre von mir, so will ich dir geben die Heiden zu deinem Erbe!“6 Denn nicht mehr ist Jakob des Herrn Antheil noch Israel sein Erbe, sondern Alle sind es. Was besagen die Worte: „Den er zum Erben gesetzt hat“? Sie besagen: Diesen hat er zum Herrn über Alles gesetzt. Dasselbe sagt auch Petrus in der Apostelgeschichte: „Zum Herrn und zum Christus hat Gott ihn gemacht.“7 Den Ausdruck „Erbe“ hat er gebraucht, um ein Zweifaches anzuzeigen, nämlich daß er wirklicher Sohn sei, und daß ihm deßhalb die Herrschaft nicht entrissen werden könne. Erbe des All soll so viel heissen als: Erbe der ganzen Welt. Sodann führt er die Rede wieder auf das Frühere zurück: „Durch den er auch die Welt8gemacht hat.“

  

II.

 

Wo sind Diejenigen, die da sprechen: Es war eine Zeit, wo er nicht war? Dann steigt er stufenweise höher und spricht sich weit erhabener als im Gesagten in folgenden Worten aus:

3. 4. Welcher, da er der Abglanz ferner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens ist, durch das Wort seiner Kraft Alles trägt und, nachdem er uns von Sünden gereiniget hat, sitzet zur Rechten der Majestät in der Höhe; der um so viel besser als die Engel geworden, je vorzüglicher der Name ist, den er vor ihnen ererbt hat.

Ha! welch apostolische Weisheit! Jedoch nicht so fast über die Weisheit des Paulus, als über die Gnade des heiligen Geistes müssen wir staunen; denn so sprach er nicht aus selbsteigener Erkenntniß, noch hat er eine solche Weisheit aus sich selber geschöpft. Woher hat er sie denn? Etwa vom Messer oder von den Häuten oder aus der Werkstätte? Nein! Eine solche Sprache ist göttliches Werk. Denn diese Gedanken waren nicht das Erzeugniß seines Verstandes, welcher damals so ärmlich und so gering war, daß er nicht mehr besaß als Einer aus dem gewöhnlichen Volke. Denn wie konnte Derselbe auch, der sich mit Handelsgeschäften und Häuten befaßte, einen größeren Aufschwung haben? Aber die Gnade des heiligen Geistes, welche nach freier Wahl ihre Werkzeuge wählt, zeigte ihre Kraft. Denn wie Jemand, der einen kleinen Knaben auf eine Höhe, die bis zum Himmelsscheitel hinaufreicht, bringen wollte, Dieß  allmählig und in kleinen Absätzen thun und von unten ihn hinaufführen würde; dann, wenn er oben stände und den Kleinen abwärts blicken hieße und diesen dann bestürzt und ängstlich und schwindelig sähe, - ihn nehmen und auf einen niedriger liegenden Punkt hinabführen würde, auf daß er aufathmen könnte, dann den Neugekräftigten wieder bergan und wieder bergab führen würde -: so macht es auch der heilige Paulus sowohl bei den Hebräern als an allen anderen Orten, wie er es ja von seinem Meister gelernt hatte. Bald führt er feine Zuhörer hinauf in die Höhe, bald geleitet er sie wieder hinab und läßt sie nicht lange auf demselben Standpunkt verweilen. So betrachte ihn auch hier, wie er sie über viele Stufen hinaufführt und sie auf den Gipfel der Gottseligkeit stellt, dann aber, ehe sie von Verwirrung und Schwindel ergriffen werden, sie wieder tiefer hinabführt und sie aufathmen läßt, indem er spricht: „Er hat zu uns geredet durch den Sohn;“ und wieder: „Den er zum Erben des All gesetzt hat.“ Denn der Name „Sohn“ hat in soweit eine gemeinsame Bedeutung. Wird nun darunter der wirkliche Sohn (Gottes) verstanden, so ist er über Alles erhaben; wie er aber in diesem Betrachte sei, zeigt er im Folgenden, wo er darthut, daß er von oben ist. Sieh’ aber, wie er sie vorerst auf eine niedrigere Stufe hinstellt, indem er sagt: „Den er zum Erben des All gesetzt hat.“ Denn die Worte: „Zum Erben hat er gesetzt“ haben einen gewöhnlichen Sinn. In dem Zusatze: „Durch den er auch die Welt gemacht hat“ stellt er ihn auf eine höhere Stufe; dann stellt er ihn auf die höchste, über welche hinaus keine mehr ist, mit den Worten: „Welcher, da er der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens ist…“ Wahrhaftig, er hat ihn zum unzugänglichen Lichte, zum Abglanze selbst hingeführt. Und siehe, wie er ihn, ehe sich die Dunkelheit ausbreitet, wieder allmählig erniedrigt, indem er sagt: „Welcher durch das Wort seiner Kraft Alles trägt und, nachdem er uns von Sünden gereiniget hat, sitzet zur Rechten der Majestät in der Höhe.“ Er  sagt nicht einfach: „er sitzet,“ sondern: „nachdem er uns von Sünden gereiniget hat;“ denn er übernahm die Menschwerdung, wodurch er etwas Unerhabenes ausspricht. Hierauf spricht er wiederum Hohes, indem er sagt: „zur Rechten der Majestät in der Höhe,“ und fügt alsdann nochmals die mehr niedrigen Worte hinzu: „Der um so viel besser als die Engel geworden, je vorzüglicher der Name ist, den er vor ihnen ererbt hat.“ Hier spricht er nämlich von seiner menschlichen Natur, da der Ausdruck: „besser geworden“ keinen Bezug hat auf seine mit dem Vater gleiche Wesenheit, - denn diese ist nicht geworden, sondern gezeugt, - sondern auf seine menschliche Natur, - diese ist geworden. Jedoch über die Wesenheit spricht er jetzt nicht, sondern wie Johannes mit den Worten: „Der nach mir kommen wird, ist vor mir gewesen, denn er war eher als ich,“ darthun will, daß er größerer Ehre werth und ruhmreicher sei, - so will auch hier Paulus, da er sagt: „Um so viel besser als die Engel geworden, je vorzüglicher der Name ist, den er vor ihnen ererbt hat,“ erklären, daß er höher stehe und gepriesener sei. Du siehst, daß hier von der Menschheit die Rede ist; denn den Namen: „Gott das Wort“ hatte er immer und nicht etwa später ererbt; auch wurde er nicht erst damals besser als die Engel, nachdem er uns von Sünden gereiniget hatte, sondern er war immer besser und zwar unvergleichbar besser. Paulus spricht demnach über seine menschliche Natur, sowie auch wir, wenn wir von einem Menschen sprechen, über ihn Hohes und Niedriges auszusagen gewöhnt sind. Denn wir sagen: Nichts ist der Mensch, Erde ist der Mensch, Staub ist der Mensch, so benennen wir das Ganze nach seinem geringeren Bestandtheile. Wenn wir aber sagen: Ein unsterbliches Wesen ist der Mensch, der Mensch hat Vernunft und Verwandtschaft mit den himmlischen Wesen, so bezeichnen wir hinwieder das Ganze nach seinem edleren Bestandtheile. So redet auch Paulus bald von seiner geringeren, bald von seiner höheren  Wesenheit, je nachdem er über die Menschwerdung handeln oder über dessen pure Natur belehren will.

  

III.

 

Nachdem er uns also von unseren Sünden gereiniget hat, wollen wir auch rein bleiben und keine Makel mehr annehmen, sondern die uns verliehene Schönheit und Würde so unbefleckt und makellos zu bewahren bestrebt sein, daß sich kein Flecken, keine Runzel oder sonst Etwas der Art vorfinde. Denn Flecken, und Runzeln sind die kleinen Sünden, z. B. Schelten, Übermuth, Lüge, - doch auch diese sind keine kleinen Sünden, sondern sehr große, so große, daß sie uns sogar des Himmelreiches berauben. Wie und auf welche Weise? „Wer zu seinem Bruder sagt: Du Narr! wird des höllischen Feuers schuldig sein,“ heißt es.9 Wenn aber schon Derjenige, welcher „du Narr!“ sagt, was doch die allergeringfügigste Schimpfrede und eine Knabenneckerei zu sein scheint, diese Strafdrohung hört, welche Strafe wird dann Der auf sich laden, welcher seinen Bruder einen Bösewicht, einen Schurken, einen Verläumder schilt und mit zahllosen andern Schmähungen überhäuft? Was ist furchtbarer als Das? Jedoch ertraget meine Worte, ich bitte darum. Wenn nämlich Derjenige, der Einem der Geringsten Etwas thut, es ihm (Christo) selber thut, wenn er es aber Einem der Geringsten nicht thut, es gegen ihn selber unterläßt,10 wie sollte das nicht auch der Fall sein in Bezug auf Lob und Tadel? Wer seinen Bruder mit Übermuth behandelt, der übt gegen Gott selber Übermuth; und wer seinen Bruder ehrt, der ehret Gott. Lernen wir also die Zunge bezähmen, auf daß sie wohlrede; denn der Psalmist sagt: „Bewahre deine Zunge vom Bösen!“11 Denn Gott hat uns dieselbe nicht darum gegeben, daß wir der Tadelsucht und dem Übermuth dienen und einander verleumden, sondern auf daß wir Gott loben, daß  wir Solches reden, was den Zuhörern Segen bringt, was Erbauung und Nutzen schafft. Redest du irgend Jemandem Böses nach? Welchen Gewinn hast du davon, da du dich mit Jenem in Schaden verwickelst? Du gewinnst den Ruf eines schmähsüchtigen Menschen; denn es gibt gar kein Übel, das nur bis zu Dem dringt, der es erduldet, und nicht zugleich Den ergreift, der es verursacht; so stellt der Neidische scheinbar einem Andern nach, ärntet aber selbst zuerst die Frucht seiner Ungerechtigkeit, denn er zehrt dabei selber ab und geht, von Allen verabscheut, zu Grunde. Der Habsüchtige vergreift sich am Eigenthume des Nächsten, beraubt sich aber selber der Liebe (Anderer), und was noch mehr ist, er bringt sich bei Allen in schlechten Ruf. Ein guter Name steht nämlich weit höher als Reichthum; denn einen schlechten Ruf kann man nicht leicht abwaschen, Güter aber leichter erwerben. Noch mehr: der Mangel an Glücksgütern schadet Demjenigen, welchem sie fehlen, Nichts; wem aber der ehrliche Name verloren gegangen, der wird beschimpft und verspottet und ist Allen verhaßt und zuwider. So wird auch der Zornige zuerst für sich selbst eine Zuchtruthe, dann für Den, welchem er zürnt. Ebenso schändet der Verläumder zuerst sich selber und darnach erst Denjenigen, den er verläumdet; oder auch Das hat er nicht einmal vermocht, sondern er selbst trägt den Ruf eines verruchten und verächtlichen Menschen davon, während er Jenem zu einer um so größeren Liebe verhilft. Denn sobald Dieser von der üblen Nachrede Kunde erhält, und anstatt sich an dem Ehrenräuber mit Gleichem zu rächen, vielmehr mit Lob und Achtung über ihn redet, fällt das Lob nicht Diesem zu, sondern auf ihn selber zurück. Denn wie oben bemerkt worden, rächen sich die Verläumdungen gegen den Nächsten an den Ehrenräubern zuerst, - gerade so schafft auch das dem Nebenmenschen erwiesene Gute seinen Urhebern das erste Wonnegefühl; denn der Urheber sowohl des Guten wie des Bösen hat davon natürlich den ersten Genuß; und wie das Wasser der Quelle, mag dasselbe bitter oder süß sein, die Gefäße der  Schöpfenden füllt, ohne daß die Fülle der Wasser sprudelnden Quelle sich mindert: so bereitet die Tugend ihrem Urheber Wonne, das Laster aber richtet Den, der es verübt, zu Grunde. So verhält es sich im Diesseits; welche Worte aber sind wohl im Stande, das Jenseits in seinen Belohnungen und Strafen zu schildern? Gar keine. Denn die Güter der Ewigkeit sind nicht nur unaussprechlich, sondern sie übersteigen sogar allen Verstand; das Gegentheil aber von ihnen wird uns mit Ausdrücken bezeichnet, an die wir gewöhnt sind; denn Feuer, heißt es, ist dort und Finsterniß, Bande sind dort und ein Wurm, der nie stirbt. Allein nicht nur Dieses, was da aufgezählt wird, stellt sich unserem Geiste dar, sondern noch viel Schwereres. Damit du Das einsehest, erwäge vorerst Dieses schnell! Wenn dort Feuer ist, wie ist da Finsterniß möglich? Siehst du, daß jenes Feuer unerträglicher ist als das gewöhnliche? Denn es hat ja kein Licht. Wenn dort Feuer ist, wie brennt es denn immer? Siehst du, daß es schwerer zu ertragen ist als das gewöhnliche? Denn es erlischt nicht; darum nennt man es auch ein unauslöschliches Feuer. Bedenken wir also, welch ein großes Unglück es ist, ewig zu brennen und in der Finsterniß zu sein und unendliches Jammergeschrei unter Zähneknirschen auszustoßen und - nimmer Erhörung zu finden. Denn wenn schon hier Jemand von edler Erziehung in ein Gefängniß geworfen würde und den Gestank daselbst und die öde Finsterniß und die mit Mördern gemeinsame Fesselung für schwerer halten würde als jedweden Tod, so bedenke, was Das ist: mit den Mördern des ganzen Erdkreises zu brennen, ohne zu sehen und gesehen zu werden, vereinsammt unter einer so gewaltigen Menge! Denn die undurchdringliche Finsterniß laßt uns auch Jene nicht einmal erkennen, welche uns die Nächsten sind, sondern ein Jeder wird sich in einer Lage befinden, als hätte er alle diese Leiden allein zu ertragen. Wenn aber die Finsterniß schon für sich allein unsere Seelen drücket und ängstigt, was wird erst sein, wenn sich zur Finsterniß auch noch viele andere Qualen und Feuerschmerzen  gesellen? Deßhalb bitte ich, Das unaufhörlich in Erwägung zu ziehen und die Trauer, die uns aus dem Gesagtem erwächst, zu ertragen, damit wir nicht durch unsere Werke den Qualen verfallen. Denn Dieß alles wird unfehlbar stattfinden, und Diejenigen, welche Böses gethan, wird jenem Orte der Peinen Niemand entreissen, weder Vater noch Mutter noch Bruder, selbst wenn er viel Zuversicht hätte und bei Gott Großes vermöchte. „Ein Bruder erlöset ja nicht,“ heißt es, „wird denn ein Mensch erlösen?“12 Gott selbst ist es, der einem Jeden nach seinen Werken vergilt, und diese bringen Rettung oder Verwerfung. „Machet euch Freunde mittelst des ungerechten Reichthums!“13 Gehorchen wir also, denn es ist ein Gebot des Herrn; vertheilen wir den Überfluß des Reichthums unter die Armen; geben wir Almosen, solange wir können; denn das heißt sich Freunde machen vermittelst des Reichthums! Legen wir diese Güter in die Hände der Armen, damit wir befreit bleiben von jenem Feuer, damit wir es auslöschen, damit wir jenseits Zuversicht haben; denn dort sind es nicht diese, die uns aufnehmen, sondern unsere Werke. Daß wir aber nicht ohne Weiteres schon darum das Heil finden können, weil diese unsere Freunde sind, ist aus dem Beisatz ersichtlich. Denn warum sagt er nicht: Machet euch Freunde, damit sie euch in die himmlischen Wohnungen aufnehmen, sondern fügt auch noch die Art und Weise hinzu? Denn durch die Worte: „vermittelst des ungerechten Reichthums“ zeigt er, daß man sich durch zeitliche Güter diese Freunde verschaffen solle, daß aber die Freundschaft an und für sich offenbar uns nicht zu schirmen vermöge, wenn wir nicht gute Werke haben, wenn wir nicht den ungerecht erworbenen Reichthum auf gerechte Weise vertheilen. Was ich da über das Almosen sage, paßt nicht allein für die Reichen, sondern auch für die Armen; ja, diese Worte gelten sogar für Diejenigen, die sich vom Bettel ernähren;  denn es ist Niemand so arm, und müßte er noch so sehr darben, daß er nicht etwas Weniges hätte. Nun ist es möglich, daß Jemand, der von seinem kleinen Besitze auch nur Weniges mittheilt, die Wohlhabenden übertreffe, wenn diese auch mehr geben, sowie es bei jener Wittwe der Fall war. Denn nicht nach der Größe der Gabe, sondern nach dem Können und dem guten Willen des Gebers wird der Werth des Almosens bemessen. Überall müssen wir also guten Willen, überall Liebe zu Gott haben. Wenn wir mit dieser Alles thun, und wenn wir dann auch nur Weniges geben, weil wir nur Weniges haben, so wird Gott von uns sein Antlitz nicht abwenden, sondern unsere Gabe so aufnehmen, als hätten wir Großes und Erstaunliches geleistet; denn er sieht nicht auf die Gaben, sondern auf den guten Willen, und wenn er sieht, daß dieser stark ist, so wird er darnach richten und entscheiden und uns der ewigen Güter theilhaftig machen, in deren Besitz wir alle durch seine Menschenfreundlichkeit und Gnade gelangen mögen.

 

Zweite Homilie.

 

I.

 

3. Welcher, da er der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens ist, durch das Wort seiner Kraft Alles trägt und, nachdem er uns von Sünden gereiniget hat …

Wir bedürfen zwar überall eines frommen Sinnes, am meisten aber, wenn wir von Gott sprechen oder über ihn Etwas hören; denn weder ist die Zunge befähigt, Gottes Würdiges zu sprechen, noch das Ohr, etwas Solches zu hören. Ja, was rede ich von Zunge und Ohr? Denn nicht einmal der Verstand, welcher diese doch weit übertrifft, wird es vermögen, wann wir von Gott sprechen wollen, etwas Gründliches darüber zu sagen. Wenn nämlich schon der Friede Gottes allen Verstand übersteigt, und in eines Menschen Herz noch nicht gekommen ist, was Gott Denen bereitet hat, die ihn lieben, so überragt weit mehr noch er selbst, der Gott des Friedens, der Urheber aller Dinge unsere Vernunft im vollsten Maaße. Wir sollen daher mit Glauben und Frömmigkeit Alles beginnen; und wenn dann die Sprache sich unfähig fühlt, ihren Ausdrücken die rechte Tiefe zu geben, dann wollen wir ganz  besonders den Herrn preisen, daß wir einen Gott haben, den unser Verstand und unsere Vernunft nimmer zu erfassen vermag. Denn Vieles, was wir von Gott erkennen, vermögen wir nicht in Worten auszudrücken, und Vieles reden wir von ihm, was wir nicht begreifen; so z. B. wissen wir, daß Gott allgegenwärtig ist; wie aber Das stattfinde, sehen wir nicht ein. Wir wissen, daß eine gewisse unkörperliche Kraft die Ursache alles Guten ist, das Wie aber kennen wir nicht. Siehe, wir reden und verstehen nicht! Ich sage: Er ist allgegenwärtig, aber ich verstehe es nicht; ich spreche: Er ist ohne Anfang, allein ich begreife es nicht; ich sage: Er hat sein Dasein durch sich selbst, und wiederum weiß ich nicht, wie ich mir Das denken soll. Es gibt nun aber auch Dinge, die wir nicht ausdrücken können; so z. B. erkennt der Verstand Etwas, wofür ihm jedoch der Ausdruck versagt ist. Und damit du dich überzeugest, daß hierin auch Paulus noch schwach ist und seine Ausdrucksweise der Vollendung entbehrt, und damit du selber erbebest und dich nicht weiteren Grübeleien hingibst, so merke auf! Nachdem er ihn Sohn genannt und als Schöpfer hingestellt hat, was fügt er hinzu? „Welcher, da er der Abglanz feiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens ist.“ Das aber müssen wir mit frommem Sinne aufnehmen und alles Unstatthafte davon ausscheiden. „Abglanz der Herrlichkeit,“ sagt er. Siehe nun, wie er selbst Das versteht, und darum faß’ es auch du so, nämlich: daß er (der Sohn) aus ihm sei, daß er leidensunfähiger Natur, daß er nicht weniger noch geringer sei. Denn es gibt Manche, welche dem Ausdrucke „Abglanz“ eine abgeschmackte Bedeutung beilegen. Abglanz, sagen sie, hat in sich selber keinen Bestand, sondern hat den Grund seines Daseins nur in einem Anderen. Fasse also die Sache nicht so auf und leide nicht an der Krankheit des Marcellus und des Photinus. Gleich bietet dir Paulus das Mittel, daß du nicht jener Sinnesauffassung verfallest und dich nicht von jener verderblichen Krankheit erfassen lassest. Was sagt er weiter? „Und das  Ebenbild seines Wesens.“ Durch diesen Zusatz zeigt er, daß, wie der Vater in sich selbst ist und besteht und zu seinem Sein und Bestehen keines Anderen bedarf, so der Sohn ein Gleiches besitze. Mit diesen Worten will er hier zeigen, daß keine Wesensverschiedenheit zwischen ihnen bestehe, daß das Ebenbild neben dem Urbilde Selbstbestand habe und selbstwesenhaft sei. Nachdem er oben gesagt hat, daß Gott durch ihn Alles erschaffen hat, spricht er ihm hier die Selbstherrschaft zu. Denn was fügt er bei? „Da er durch das Wort Alles trägt;“ damit wir daraus nicht nur die Ebenbildlichkeit der Wesenheit entnehmen, sondern auch die Selbstmacht, womit er Alles regiert. Sieh’ also, wie er Das dem Sohne zueignet, was dem Vater eigenthümlich zugehört! Darum sagt er auch nicht einfach: „Da er Alles trägt,“ noch auch: „durch seine Kraft,“ sondern: „durch das Wort seiner Kraft.“ Denn wie wir ihn früher allmählig sich erheben und wieder herabsteigen sahen, so steigt er auch jetzt stufenweise hinauf und wieder herab, indem er spricht: „Durch den er auch die Welt gemacht hat.“ Siehe, wie er auch hier zwei Wege einschlägt! Er will uns nämlich von den Neuerungen des Sabellius und Arius, von denen der Eine den Unterschied der Person aufhebt, der Andere die eine Natur in eine Ungleichheit zertrennt, ferne halten und widerlegt alle Beide vortrefflich. Wie macht er Das? Fortwährend bespricht er Eins und Dasselbe, damit man nicht glaube, er habe keinen Daseinsursprung, noch auch, er sei verschiedener Natur mit Gott dem Vater. Und staune nicht über diese Rede, mein Lieber! Denn wenn nach einer solchen Beweisführung dennoch Manche behauptet haben, er sei anderer Natur, und ihm einen anderen Vater gegeben haben, mit dem er im Streite stehe: was würden Diese von ihm erst ausgesagt haben, wenn Paulus Dieß alles nicht mitgetheilt hätte? Wenn er nun gezwungen ist, zu heilen, dann ist er auch genöthigt, Niedriges auszusagen, wie er z. B. sich ausdrückte: „Den er zum Erben des All gesetzt,“ und: „Durch den er die Welt gemacht hat.“ Und  damit er andererseits nicht verletze, so erhebt er ihn, nachdem er Niedriges von ihm ausgesagt hatte, wieder auf die Stufe der höchsten Würde und zeigt, daß er mit dem Vater gleichgeehrt und zwar so gleichgeehrt sei, daß Viele der Ansicht waren, er sei der Vater selbst. Betrachte aber seine große Klugheit. Vorerst beweist er, und zwar mit Schärfe und Gründlichkeit, daß er Sohn Gottes und von Diesem keineswegs verschiedener Natur sei; und nachdem Dieß gezeigt worden, spricht er in der Folge jegliches Hohe, was er nur immer will. Und da er, weil er Großes von ihm ausgesagt hat, Viele zu jener Ansicht veranlaßte, so stellt er zuerst Niedriges hin und steigt dann mit Sicherheit zu jeglicher Hohe empor. Nachdem er gesagt hat: „Welchen er zum Erben des All gesetzt,“ und daß er durch ihn die Welt gemacht hat, fügt er hinzu: „Da er durch das Wort seiner Kraft Alles trägt;“ denn wer mit dem bloßen Worte Alles regiert, wird auch Niemandes bedürfen, um Alles zu Stande zu bringen.

  

II.

 

Daß Dieß sich also verhalte, erkenne aus dem Verlaufe der Rede, worin er ihm die Selbstmacht zuschreibt und auch die Worte: „durch welchen“ beseitigt. Denn nachdem er durch diese Worte, was er wollte, erreicht hat, ist im Folgenden keine weitere Rede davon, sondern es heißt: „Du hast im Anfang, o Herr, die Erde gegründet, und die Werke deiner Hände sind die Himmel.“ Nirgends finden sich hier die Worte: „durch welchen“, noch daß er durch ihn die Welt gemacht hat. Wie aber? Ist sie denn von ihm nicht gemacht? Allerdings, aber nicht, wie du sprichst oder vermuthest, daß er nämlich als Werkzeug gedient, oder daß er sie nicht gemacht haben würde, falls ihm nicht der Vater die Hand gereicht hätte. Denn so wie jener Niemanden richtet, und geschrieben steht, daß er durch den Sohn richte, weil er diesen als Richter gezeugt hat, so heißt es auch, er erschaffe durch ihn die Welt, weil er ihn als Weltschöpfer gezeugt hat. Wenn nämlich er selbst den Grund des Daseins im Vater hat, um wie viel mehr die  Dinge, die durch ihn geworden sind! Wenn er nun zeigen will, daß er vom Vater ist, so spricht er nothwendig Unerhabenes aus; will er aber Erhabenes melden, so greifen Das Marcellus und Sabellius gierig auf; allein die Abirrung Beider vermeidet die Kirche und hält den Mittelweg inne, indem sie weder bei dem Unerhabenen stehen bleibt, damit nicht Paulus von Samosata Boden gewinne, noch immer bei dem Hohen verweilt, sondern neuerdings dessen niedere Seite zeigt, damit Sabellius sich nicht wieder geltend mache. Er sagte: „Sohn“, und alsbald stützte sich Paulus von Samosata darauf mit der Behauptung, er sei ein Sohn wie die vielen anderen; allein der Apostel versetzt ihm einen gemessenen Schlag, indem er den Sohn einen „Erben“ nennt. Aber er (Paulus von Samosata) und Arius verharren in ihrer Unverschämtheit, indem Beide den Ausdruck: „Er hat ihn zum Erben gesetzt“ festhalten, woraus Jener den Beweis der Schwäche führen, Dieser aber seinen Kampf auch noch gegen das Folgende fortsetzen will. In den Worten: „Durch den er auch die Welt gemacht hat“ hat Paulus jenen schamlosen Samosatener ganz und gar zu Boden gestreckt; Arius aber scheint noch Kampfeskraft zu besitzen. Aber siehe, wie er auch Diesen durch die Worte: „Welcher, da er der Abglanz seiner Herrlichkeit ist,“ darniederwirft! Allein es rüsten sich wieder zum Anlauf Sabellius, Marcellus und Photinus; jedoch auch Diesen allen versetzt er einen einzigen Schlag, indem er spricht: „Und das Ebenbild seines Wesens, welcher durch das Wort feiner Kraft Alles trägt.“ Hier versetzt er auch wieder dem Marcion einen wenn auch nicht sehr kräftigen Streich, jedoch er trifft ihn; denn durch den ganzen Brief streitet er gegen sie. Allein wie ich schon gesagt habe, nennt er den Sohn den „Abglanz seiner Herrlichkeit“. Daß diese Bezeichnung eine zutreffende sei, erschließe aus den Worten Christi, die er von sich selber aussagt: „Ich  bin das Licht der Welt.“14 Darum nannte er ihn aber „Abglanz“, um zu zeigen, daß er auch dort so genannt sei, und zwar offenbar als ein Licht vom Lichte. Aber nicht allein Das wird gezeigt, sondern daß er auch unsere Seelen erleuchtet hat. Durch den Ausdruck „Abglanz“ aber zeigt er die Gleichheit der Wesenheit mit dem Vater und sein nahes Verhältniß zu ihm. Betrachte, wie scharfsinnig Das ausgedrückt ist! Er nimmt eine Wesenheit und eine Person, um zwei Personen zur Vorstellung zu bringen, was er auch in Bezug auf die Erkenntniß des heiligen Geistes thut. Denn wie er sagt, daß nur eine Erkenntniß des Vaters und des heiligen Geistes sei, die thatsächlich nur eine und ohne alle Verschiedenheit ist: so hat er auch hier nur eine Bezeichnung gewählt, um zwei Wesenheiten zu zeigen. Ferner fügt er bei: „und Ebenbild;“ denn das Ebenbild ist ein anderes neben dem Urbilde, aber es ist nicht ganz und gar ein anderes, sondern nur neben dem Urbilde, da denn auch hier die Bezeichnung „Ebenbild“ nicht nur keine Verschiedenheit mit dem Urbilde, sondern vielmehr eine allseitige Ähnlichkeit zeigt. Da er ihn nun gar „Gestalt und Ebenbild“ nennt, was werden sie sagen? „Der Mensch ist ja auch ein Bild,“ heißt es.15 Wie aber? etwa so wie der Sohn? Keineswegs; denn ein Bild zeigt noch keine Wesensähnlichkeit. Und doch wird der Mensch nur insoferne ein Bild genannt, als er eine Ähnlichkeit mit ihm zeigt, wie sie im Menschen stattfinden kann. Denn was Gott im Himmel ist, Das ist der Mensch auf der Erde, nämlich in Bezug auf die Herrschaft; und wie dieser über Alles auf der Erde gebietet, so regiert Gott Alles im Himmel und auf der Erde. Übrigens wird der Mensch nicht Abbild, nicht Abglanz, nicht Gestalt genannt, was die Wesenheit oder auch die Wesensähnlichkeit anzeigt. Wie nun die Gestalt des Menschen nichts Anderes  erkennen läßt als einen natürlichen Menschen, so zeigt auch die Gestalt Gottes nichts Anderes als Gott. - „Welcher, da er der Abglanz seiner Herrlichkeit ist;“ - siehe, was Paulus thut! Den Worten: „Welcher, da er der Abglanz seiner Herrlichkeit ist,“ fügt er wieder hinzu: „sitzet zur Rechten der Majestät.“ Siehe, welche Bezeichnungen er gebraucht, da er den Namen der Wesenheit selbst nirgends gefunden! Denn weder der Name „Majestät“ noch die Bezeichnung „Herrlichkeit“ können ausdrücken, was er sagen will; den (eigentlichen) Namen findet er nicht. Denn Das ist es ja, was ich Anfangs gesagt, daß wir nämlich oft Etwas erkennen, wofür uns die Bezeichnung abgeht. Denn weder ist der Ausdruck Gott der Name seiner Wesenheit, noch ist überhaupt für diese Wesenheit ein Name zu finden. Und was Wunder, daß Dieses bei Gott der Fall ist, da wohl schwerlich Jemand einen Namen zu finden vermöchte, der geeignet wäre, das Wesen eines Engels zu erklären, vielleicht nicht einmal das Wesen einer Seele (ψυχή); denn dieser Ausdruck scheint mir nicht passend, um das Wesen darzustellen, sondern das Athmen (ψύχειν) zu bezeichnen; denn für Seele findet man ja auch die Bezeichnungen Herz und Sinn gebraucht. „Schaffe, o Gott, ein reines Herz in mir!“ heißt es.16 Aber nicht allein Das; man findet auch an vielen Stellen die Seele Geist genannt. „Welcher Alles durch das Wort seiner Kraft trägt.“ Siehst du, was er sagt?

  

III.

 

Wie kannst du nun, sage mir, Häretiker, die Behauptung aufstellen, daß nach den Worten der Schrift: „Gott sprach: Es werde Licht!“ der Vater befohlen, der Sohn den Befehl ausgeführt habe? Sieh’ aber, auch hier wirkte er durch das Wort! - „Welcher,“ heißt es, „Alles trägt,“ d. h. Alles regiert und es vor dem Verfalle bewahrt; denn  nicht geringer ist die Erhaltung der Welt als die Erschaffung, ja um noch Erstaunlicheres zu sagen, sie ist noch mehr. Denn erschaffen heißt aus Nichts Etwas in’s Dasein rufen; das Gewordene (die Geschöpfe) aber vor dem Zerfalle bewahren und zusammenhalten und das Widerstrebende harmonisch mit einander verbinden. Das ist groß und wunderbar und das Zeichen einer gewaltigen Macht. Um aber die Leichtigkeit anzudeuten, sagt er nicht: „welcher regiert,“ sondern: „welcher trägt,“ nach Ähnlichkeit Derer, welche Etwas einfach mit dem Finger bewegen und machen, daß es sich dreht. Hier zeigt er auch, daß der Umfang der Schöpfung groß, und daß das Große ihm Nichts sei. Ferner zeigt er in dem Ausdruck: „durch das Wort seiner Macht“, daß Alles ohne Mühe geschehe. Schön sagt er: „durch das Wort;“ denn da das Wort bei uns schwach zu sein scheint, zeigt er, daß Dieß bei Gott nicht so der Fall sei. Aber er sagt, daß er durch das Wort trage; wie er aber durch das Wort trage, fügt er nicht bei; denn Das ist unmöglich zu wissen. Darnach spricht er von der Majestät. So macht es auch Johannes; denn nachdem er gesagt, daß er Gott sei, fügt er hinzu, er sei der Schöpfer der Welt; denn was Jener in den Worten andeutet: „Im Anfang war das Wort“ und: „Alles ist durch ihn gemacht worden,“17 Das zeigt Dieser in den Worten: „Durch den er auch die Welt schuf;“ denn er zeigt, daß er sowohl Weltschöpfer, als auch vor allen Zeiten da war. Wie nun, wenn der Prophet vom Vater spricht: „Von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du,“18 kann dann vom Sohne gesagt werden, daß er vor allen Zeiten da sei und das All erschaffen habe? Mehr noch: Was vom Vater gesagt wurde, der vor aller Zeit da ist, sollte man Das auch vom Sohne gesagt finden? Und wie Jener (Johannes) sagt: „Er war das Leben,“ um anzudeuten, daß er die  Schöpfung erhält, weil er selbst das Leben von Allem ist, so sagt auch Dieser: „Welcher Alles trägt durch das Wort seiner Macht,“ im Gegensatz zu den Heiden, welche, sofern es auf sie ankommt, ihm die Erschaffung der Dinge und die Fürsehung absprechen und seine Macht bis zum Mond hin beschränken. - „Nachdem er uns von Sünden gereiniget hat.“ Nachdem er über jene bewunderungswürdigen großen Wahrheiten, die so erhaben sind, gesprochen, redet er auch über seine Fürsorge um die Menschen. Jene Worte: „Welcher Alles trägt“ haben auch einen weitumfassenden Inhalt, aber diese besagen viel mehr; auch sie haben den Sinn der Allgemeinheit, denn seinerseits hat er Alle erlöst. Dasselbe zeigt auch Johannes. Nachdem er durch die Worte: „Er war das Leben“ seine Fürsehung klar gemacht hatte, sagt er wieder: „Und er war das Licht,“ wodurch er Dasselbe klarmacht. „Nachdem er uns,“ sagt er, „durch sich selbst19von Sünden gereiniget hat, sitzt er zur Rechten der Majestät in der Höhe.“ Hier gibt er zwei sehr wichtige Zeugnisse seiner Fürsorge an: daß er uns von Sünden gereiniget hat, und daß er Dieß durch sich selber gethan. Und an vielen Stellen findet man ihn es rühmend hervorheben, daß wir nicht nur mit Gott ausgesöhnt wurden, sondern auch, daß Dieß durch den Sohn geschah; denn das ohnehin so große Geschenk habe dadurch einen um so größeren Werth, weil es durch den Sohn zu Theil ward. Denn nach den Worten: „Er sitzet zur Rechten“ und: „Nachdem er uns durch sich selbst von Sünden gereiniget hat,“ wodurch er an das Kreuz erinnerte, lenkt er die Rede gleich auf die Auferstehung und die Himmelfahrt. Betrachte aber seine unaussprechliche Klugheit. Er sagt nicht: „Es wurde ihm zu sitzen befohlen,“ sondern: „Er sitzt. Dann wieder, damit du nicht wähnest, er stehe, fügt er bei: „Denn zu welchem der Engel hat er je gesagt: Setze  dich zu meiner Rechten?“20„Er sitzet,“ sagt er, „zur Rechten der Majestät in der Höhe.“ Was heißt Das: „in der Höhe“? Beschränkt er Gott auf einen Ort? Mit nichten. Eine solche Meinung hat er in uns durch diese Sprache keineswegs erwecken wollen, sondern wie er durch die Worte: „zur Rechten“ ihm nicht eine Haltung gegeben, sondern gezeigt hat, daß er gleiche Ehre wie der Vater genieße, so hat er auch, indem er sich des Ausdruckes: „in der Höhe“ bediente, ihn nicht dort eingeschlossen, sondern erklärt, daß er über Alles erhaben sei und Alles übertreffe, als ob er sagte: Selbst auf den väterlichen Thron ist er gekommen. Wie also der Vater in der Höhe ist, so auch er; denn der Sitz zeigt nichts Anderes an als die gleiche Ehre. Wenn sie aber sagen, er habe gesprochen: „sitze“, so fragen wir sie, was nun? Hat er denn zu ihm so gesprochen, da er stand? Das werden sie nicht nachweisen können. Übrigens heißt es nicht, daß er befohlen oder beauftragt, sondern daß er gesprochen habe: „sitze“, und Dieß aus keinem anderen Grund, als damit du nicht glaubest, er habe keinen Daseinsursprung und keinen Daseinsgrund. Daß er deßhalb so gesprochen, ist klar aus dem Orte des Sitzens. Denn hätte er sagen wollen, er sei geringer, so würde er nicht gesprochen haben: „zur Rechten“, sondern: „zur Linken“.

4. Der um soviel besser als die Engel geworden, je vorzüglicher der Name ist, den er vor ihnen ererbt hat.

Der Ausdruck „geworden“ steht hier, wie man sich etwa ausdrücken könnte, für „erklärt“;21 dann erhärtet er  Das. Woher? Vom Namen. Siehst du, daß der Name Sohn die wahre Abstammung zu bezeichnen sich eignet? Und fürwahr, wenn er nicht wirklicher Sohn wäre, würde er nicht so gesprochen haben. Warum? Weil er durch nichts Anderes wirklicher Sohn ist, als weil er aus ihm sein Dasein hat. Daher nimmt er also den Beweis. Denn wäre er Sohn nur aus Gnade, so wäre er nicht nur nicht vorzüglicher, sondern noch geringer als die Engel. Wie so? Weil auch gerechte Männer „Söhne“ genannt wurden, und der Name „Sohn“, wenn er nicht wirklicher Sohn ist, keinen Vorzug zu bezeichnen vermag. Und indem er darthut, daß zwischen den Geschöpfen und dem Schöpfer ein Unterschied sei, höre, was er sagt:

**5. Denn zu welchem der Engel hat er je gesprochen: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt? Und wiederum: Ich werde ihm Vater, und er wird mir Sohn sein.

Dieß ist auch in Bezug auf seine Menschheit gesagt; denn die Worte: „Ich werde ihm Vater, und er wird mir Sohn sein,“ bezeichnen treffend die Menschwerdung; die Worte aber: „Mein Sohn bist du“ besagen nichts Anderes, als daß er aus ihm das Dasein hat. Wie aber das Wort „sein“ sehr passend von der Gegenwart gebraucht wird, so scheint mir auch der Ausdruck „heute“ in Bezug auf die Menschheit gesprochen zu sein. Denn wenn er darauf zu reden kommt, bespricht er Alles ohne Ängstlichkeit; es nimmt ja auch die Menschheit an der Erhabenheit Theil wie die Gottheit an der Niedrigkeit; denn Gott hat es nicht verschmäht, Mensch zu werden; und hat er die Sache nicht ausgeschlagen, wie sollte er denn die Worte verschmähen?

  

IV.

 

Da wir Das wissen, wollen wir in Nichts uns schämen und nicht hochmüthig sein. Denn wenn er selbst, der da Gott und Herr und Gottes Sohn ist, es nicht verschmäht  hat, Knechtesgestalt anzunehmen, sollen wir um so mehr Alles gerne thun, und sei es auch noch so gering. Denn woher, sprich, o Mensch, fassest du stolze Gedanken? Aus dem irdischen? Das ist, kaum erschienen, auch schon wieder verschwunden. Oder aus deinen geistigen Vorzügen? Aber auch Das gehört zur Tüchtigkeit des Geistes, nicht hochmüthig zu sein. Oder bildest du dir Etwas ein auf deine Rechtschaffenheit? Höre, was Christus spricht: „Wenn ihr Alles gethan habt, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte, denn wir haben nur unsere Schuldigkeit gethan.“22 Oder bläht dein Reichthum dich auf? Sage mir doch, warum? Hast du nicht gehört, daß wir nackt in dieses Leben eingegangen und auch nackt wieder aus demselben scheiden werden? Ja noch mehr. Siehst du nicht, daß Diejenigen, welche vor dir gelebt, nackt von hinnen gegangen? Wer soll nun im Besitze fremder Güter hochmüthig sein? Denn Diejenigen, welche sie nur zum eigenen Genusse verwenden wollen, verlieren sie auch wider Willen, oft noch vor ihrem Lebensende, im Tode ganz sicher. Aber solange wir leben, sagt man, gebrauchen wir sie doch nach Belieben. Schwerlich dürfte sich Jemand finden, der sie so bald nach Wunsch gebrauchen könnte, und vermöchte er auch, sie nach Belieben zu verwenden, so ist auch Das noch nichts Großes; denn kurz ist diese Zeit im Vergleiche mit der endlosen Ewigkeit. Du bist hochmüthig, o Mensch! weil du wohlhabend bist? Warum denn? Das können auch Räuber sein und Diebe und Mörder und Weichlinge und Hurer und alle schlechten Menschen. Warum bist du nun stolz? Wenn du nämlich den Reichthum pflichtmäßig verwendest, so darfst du nicht hochmüthig sein, damit du nicht das Gebot übertretest; verwendest du ihn aber auf pflichtwidrige Weise, so sollst du eben darum noch demüthiger sein, weil du ein Sklave von Geld und Gut geworden und unter deren Herrschaft schmachtest. Denn sage mir: wenn ein  Fieberkranker viel Wasser hinunterstürzte, das für den Augenblick den Durst löschte, später aber die Fieberflamme vermehrt, sollte sich dieser darauf Etwas einbilden? Wie aber, wenn du dir nun gar viele thörichte Sorgen machst, sollte Das deinen Sinn aufblähen? Warum? Sprich! Weil du viele Gebieter hast? weil dich tausend Sorgen quälen? weil dir Viele schmeicheln? Das ist aber Knechtschaft. Damit du aber einsehest, daß du ein Sklave bist, so höre aufmerksam zu! Die andern Leidenschaften, die sich in uns regen, sind zuweilen nützlich, wie der Zorn nicht selten es ist, denn es heißt: „Ein ungerechter Zorn wird nicht ohne Strafe sein,“23 woraus folgt, daß es auch einen gerechten Zorn gibt. Und wiederum: „Wer seinem Bruder ohne Grund zürnt, wird der Hölle schuldig sein.“24 Ferner können der Wetteifer und die Begierde gut sein; letztere nämlich, wenn sie sich die Kindererzeugung zum Ziele setzt, dieser aber, wenn er Wetteifer im Guten ist; wie auch Paulus sagt: „Der Eifer im Guten ist allzeit gut;“25 und wiederum: „Strebet an die besseren Gnadengaben!“26 Beide also sind nützlich; die Tollkühnheit aber ist nirgends ersprießlich, sondern überall unnütz und schädlich. Will aber Jemand stolz sein, so sei er stolz auf die Armuth, nicht auf den Reichthum! Warum? Weil Derjenige, welcher mit Wenigem zu leben vermag, viel größer und besser ist, als wer Das nicht kann.

  

V.

 

Denn sage mir, wenn Etliche in eine königliche Stadt gerufen würden, und die Einen weder Zugthiere noch Dienerschaft noch Zelte noch Herberge noch Schuhe noch Geräthe nöthig hatten, sondern es ihnen genügte, nur Brod zu haben und Wasser aus der Quelle zu schöpfen; die Andern aber sagten: Wenn ihr uns nicht Fahrzeuge gebt und ein weiches Lager, so können wir hier nicht wohnen, und wenn wir kein zahlreiches Gefolge haben und nicht  fortwährend in behaglicher Ruhe leben können, so ist’s uns unmöglich, zu bleiben. Auch muß man uns ein Gespann zur Verfügung stellen und durch einen kleinen Theil des Tages einen Spaziergang vergönnen und noch vieles Andere: - welche möchten wir wohl bewundern? Diese oder Jene? Offenbar Diejenigen, welche keine Bedürfnisse haben. So ist es auch hier. Diese haben auf ihrem Wege durch’s Leben Vieles, Jene aber Nichts nöthig, so daß, wenn überhaupt ein Stolz stattfinden sollte, man seinen Ruhm in der Armuth suchen müßte. Aber der Arme ist verächtlich, sagt man. Nicht der Arme, sondern Diejenigen, die ihn wegwerfend behandeln. Denn wie sollte ich nicht Jene verachten, die es nicht verstehen, Achtung zu zollen, wem Achtung gebührt? Wird ja auch ein Maler die unwissenden Spötter verlachen und sich keineswegs an ihr Geschwätz kehren, sondern in seinem Selbstbewußtsein seine Zufriedenheit finden. Sollten nun wir uns von dem Urtheile des großen Haufens abhängig machen? Wie wäre Das verzeihlich? Darum verdienen wir verachtet zu werden, wenn wir Diejenigen, denen wir wegen unserer Armuth verächtlich erscheinen, nicht geringschätzen und nicht als erbärmliche Menschen ansehen wollten. Ich will es unterlassen, zu sagen, wie viele Sünden aus dem Reichthum entstehen, wie viel Gutes die Armuth erzeugt; jedoch sind weder Reichthum noch Armuth an sich etwas Gutes, es kommt nur darauf an, welchen Gebrauch man davon macht. Für den Christen ist die Armuth eine größere Quelle des Ruhmes als der Reichthum. Wie so? Wer in Armuth lebt, wird demüthiger, besonnener und gemessener, bescheidener und verständiger sein; wer aber im Reichthume sitzt, findet dagegen viele Hindernisse. Besehen wir uns einmal die Werke, welche der Reiche vollbringt oder vielmehr Derjenige, welcher vom Reichthum einen schlechten Gebrauch macht. Ein Solcher raubt, übervortheilt, übt Gewalthätigkeit. Was weiter? Wirst du nicht finden, daß die sündhaften Liebeshändel und die zügellosen Fleischesgelüste und die Zauberei und die Giftmischerei und alle  anderen Schlechtigkeiten aus dem Reichthum entsprießen? Siehst du, daß es leichter ist, in der Armuth die Tugend zu üben als im Reichthum? Denn wähne ja nicht, daß die Reichen, wenn sie auch hier ungestraft bleiben, sich keiner Vergehen schuldig machen; wäre es nämlich leicht, sie (nach Gebühr) zu bestrafen, so würde man die Gefängnisse davon angefüllt finden. Aber zu den anderen Übeln gesellt sich für den Reichen auch Dieses, daß er im Besitze seiner Geldmacht seine Schlechtigkeiten ungestraft ausübt und von feinen bösen Thaten nicht absteht; daß er Wunden empfängt ohne die Heilmittel und Niemand ihm einen Zügel anlegt. Wollte sich aber Jemand bemühen, so würde er finden, daß die Armuth auch vielfache Mittel zum Vergnügen darbietet. Wie denn? Weil sie von Sorgen, von Haß, Kampf, Streitsucht, Zwist und zahllosen bösen Dingen befreit ist. Jagen wir darum dem Reichthum nicht nach und beneiden wir nicht immer Die, welche Vieles besitzen! Haben wir aber Glücksgüter, so wollen wir dieselben, wie es Pflicht ist, gebrauchen; sind sie uns aber versagt, so sollen wir uns darüber nicht grämen, sondern wir wollen in Allem Gott loben, daß er es uns möglich gemacht, bei weniger Mühe denselben Lohn wie die Reichen oder noch einen größeren, wenn wir wollen, zu gewinnen, und Geringes wird für uns die Quelle großer Vortheile sein; denn auch Derjenige, der zwei Talente gebracht, wurde gleichen Lobes und gleicher Ehre theilhaftig wie Der, welcher fünf vorgelegt hat. Warum? Weil Jener, dem zwei Talente anvertraut waren, Alles, was an ihm lag, erfüllt und das Empfangene verdoppelt zurückgebracht hat. Was beeifern wir uns denn, Vieles in Verwaltung zu bekommen, da es uns möglich ist, aus Wenigem den gleichen, ja noch größeren Nutzen zu ziehen, da die Arbeit geringer, der Lohn aber reichlicher ist? Auch wird der Arme von Dem, was er hat, leichter sich trennen als der Reiche, welcher viele und große Schätze besitzt. Oder wisset ihr nicht, daß, je mehr Reichthümer Jemand zusammengerafft, desto mehr derselben ersehnt? Damit uns also Das nicht begegne,  wollen wir nicht nach Reichthum haschen, nicht verdrießlich die Armuth ertragen, nicht nach irdischen Schätzen schmachten, sondern was wir etwa besitzen, nach der Vorschrift des heiligen Paulus gebrauchen, der da spricht: „Welche haben, als hätten sie nicht, und welche diese Welt gebrauchen, als gebrauchten sie dieselbe nicht,“27 damit wir der verheißenen Güter theilhaftig werden durch die Liebe und Barmherzigkeit (Gottes).

 

 

 

 

Dritte Homilie.

 

I.

 

6. 7. 8. Und wenn er den Erstgebornen abermal in die Welt einführt, spricht er: Es sollen ihn anbeten alle Engel Gottes. - Und in Hinsicht auf die Engel sagt er: Er macht seine Engel zu Winden und seine Diener zu Feuerflammen; - aber zum Sohne spricht er: Dein Thron, o Gott, steht immer und ewig.

Unser Herr Jesus Christus nennt seine Ankunft im Fleische Ausgang, wie er auch spricht: „Ein Saemann ging aus, zu säen;“28 und wieder: „Ich bin von meinem Vater ausgegangen und komme.“29 Dieß kann man an vielen Stellen so finden. Paulus aber nennt dieselbe Eingang, da er schreibt: „Und wenn er den Erstgebornen abermal in die Welt einführt.“