Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer - Johannes Chrysostomos - E-Book

Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer E-Book

Johannes Chrysostomos

0,0
16,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kaum ein anderes Buch der Heiligen Schrift ist so oft und mit so viel Aufwand von geistiger Kraft, freilich auch mit so weit auseinandergehenden Resultaten von den christlichen Theologen aller Jahrhunderte kommentiert worden wie der Brief des Heiligen Paulus an die Römer. Dass der Römerbrief den Scharfsinn der Theologen zur Untersuchung reizte, mehr als jede andere der heiligen Schriften, liegt in der gewaltigen Gedankenmacht, die in ihm beschlossen ruht. Die schwierigsten Probleme der christlichen Glaubenslehre wirft er auf, wie: Heilserlangung durch alttestamentliche Gesetzestreue und neutestamentlichen Glauben, das Verhältnis von Sünde und Gesetz, Verdienst und Gnade, eigener Mitwirkung zum Heil und göttlicher Vorherbestimmung, die Dogmen von der Erbsünde und der Erlösung durch Christus, und handelt über diese Fragen in oft recht verwickelten Gedankengängen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 910

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

 

 

Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus an die Römer

 

JOHANNES CHRYSOSTOMOS

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus and die Römer, J. Chrysostomos

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849660161

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

ALLGEMEINE EINLEITUNG... 2

1.2

2. EIGENART UND ECHTHEIT.. 3

3. ZEIT UND ORT DER ABFASSUNG... 4

4. DRUCKAUSGABEN UND ÜBERSETZUNGEN.. 5

FUSSNOTEN... 6

ERSTE HOMILIE. * EINLEITUNG. *. 7

ZWEITE HOMILIE. * KAP. I, V. 1—7. *. 12

DRITTE HOMILIE. * KAP. I, V. 8—17. *. 21

VIERTE HOMILIE. * KAP. I, V. 18—25. *. 35

FÜNFTE HOMILIE. * KAP. 1, V. 26 UND 27. *. 44

SECHSTE HOMILIE. * KAP. 1, V. 28—31 UND KAP. II, V. 1—16. *. 52

SIEBENTE HOMILIE. * KAP. II, V. 17—28 UND KAP. III. V. 1—8. *. 68

ACHTE HOMILIE. * KAP. III, V. 9—31. *. 81

NEUNTE HOMILIE. KAP. IV, V. 1—21. *. 100

ZEHNTE HOMILIE. * KAP. IV, V. 23—25 UND KAP. V, V. 1-11 *. 119

ELFTE HOMILIE. * KAP. V, V. 12—21 UND KAP. VI, V. 1—4. *. 130

ZWÖLFTE HOMILIE. * KAP. VI, V. 5—18. *. 143

DREIZEHNTE HOMILIE. * KAP. VI, V. 19—23. 158

VIERZEHNTE HOMILIE. * KAP. VII, V. 14—25. 178

FÜNFZEHNTE HOMILIE. * KAP. VIII, V. 12—27. *. 202

SECHZEHNTE HOMILIE. * KAP. VIII, V. 28—39. *. 225

SIEBZEHNTE HOMILIE. * KAP. IX, V. 1—33. *. 238

ACHTZEHNTE HOMILIE. * KAP. X, V. 1—13. *. 263

NEUNZEHNTE HOMILIE. * KAP. X, V. 14—21 U. KAP. XI. V. 1—6. *. 275

ZWANZIGSTE HOMILIE. * KAP. XI. V. 7—36. *. 291

EINUNDZWANZIGSTE HOMILIE. * KAP. XII, V. 1—3. *. 310

ZWEIUNDZWANZIGSTE HOMILIE. * KAP. XII, V. 4—13. *. 320

DREIUNDZWANZIGSTE HOMILIE. * KAP. XII V. 14—21. *. 331

VIERUNDZWANZIGSTE HOMILIE. * KAP. XIII, V. 1—10. *. 339

FÜNFUNDZWANZIGSTE HOMILIE. * KAP. XIII, V. 11—14. *. 350

SECHSUNDZWANZIGSTE HOMILIE. * KAP. XIV, V. 1—13. *. 359

SIEBENUNDZWANZIGSTE HOMILIE * KAP. XIV, V. 14—23. *. 373

ACHTUNDZWANZIGSTE HOMILIE. * KAP. XIV, V. 25—27. 383

NEUNUNDZWANZIGSTE HOMILIE. * KAP. XV, V. 8—13. *. 392

DREISSIGSTE HOMILIE. * KAP. XV, V. 14—24. *. 398

EINUNDDREISSIGSTE HOMILIE. * KAP. XV, V. 25—33 409

ZWEIUNDDREISSIGSTE HOMILIE. * KAP. XVI, V. 5—16. *. 419

DREIUNDDREISSIGSTE HOMILIE. * KAP. XVI, V. 17—24. *. 431

FUßNOTEN... 439

 

 

Kommentar zum Briefe des Heiligen Paulus and die Römer

 

Bibliographische Angaben:

 

Titel Version: Einleitung Sprache: deutsch Bibliographie: Einleitung In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer / aus dem Griechischen übers. von Josef Jatsch. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 5-6; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 39 und 42) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1922. Unter der Mitarbeit von: Uwe Holtmann.

 

Titel Version: Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer (In epistula ad Romanos commentarius) In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Briefe des hl. Paulus an die Römer / aus dem Griechischen übers. von Josef Jatsch. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 5-6; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 39 und 42) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1922. Unter der Mitarbeit von: Uwe Holtmann.

 

 

 

 

Allgemeine Einleitung

 

1.

 

Kaum ein anderes Buch der Hl. Schrift ist so oft und mit soviel Aufwand von geistiger Kraft, freilich auch mit so weit auseinandergehenden Resultaten von den christlichen Theologen aller Jahrhunderte kommentiert worden wie der Brief des hl. Paulus an die Römer.

Daß der Römerbrief den Scharfsinn der Theologen zur Untersuchung reizte, mehr als jede andere der hl. Schriften, liegt in der gewaltigen Gedankenmacht, die in ihm beschlossen ruht. Die schwierigsten Probleme der christlichen Glaubenslehre wirft er auf, wie: Heilserlangung durch alttestamentliche Gesetzestreue und neutestamentlichen Glauben, das Verhältnis von Sünde und Gesetz, Verdienst und Gnade, eigener Mitwirkung zum Heil und göttlicher Vorherbestimmung, die Dogmen von der Erbsünde und der Erlösung durch Christus, und handelt über diese Fragen in oft recht verwickelten Gedankengängen.

Den ersten Kommentar zum Römerbriefe schrieb griechisch 0rigenes. In der Urschrift verloren gegangen, besitzen wir denselben nur in einer lateinischen Bearbeitung durch Rufinus (Migne, P. gr. XIV, 831–1294). Dieser hat jedoch die Urschrift nach eigenem Gutdünken gekürzt oder auch erweitert, so daß sich nicht immer genau feststellen läßt, was Urschrift und was Zugabe ist. Der älteste lateinische Kommentar ist der des Ambrosiaster aus der Zeit des Papstes Damasus (366—384). In der handschriftlichen Überlieferung dieses Kommentars wird als sein Verfasser ein Hilarius genannt, den der hl. Augustinus irrtümlich für Hilarius von Poitiers hielt. Wer dieser Hilarius war, ist nicht festzustellen, jedenfalls war es nicht der hl. Ambrosius, dem seit Kassiodors Zeiten diese „Commentaria in tredecim epistolas B. Pauli“ zugeschrieben wurden. Seitdem Erasmus den Irrtum des Kassiodor aufgedeckt hat, heißt der Autor gewöhnlich Ambrosiaster, d. i. Pseudo-Ambrosius (Migne, P. l. XVII, 45–184). Ein dritter Kommentar des Römerbriefes der in die Zeit vor Johannes Chrysostomus hin aufreicht, ist der des hl. Ephraem des Syrers (ca. 306–373), „eine ziemlich sprunghafte und flüchtige Besprechung ausgewählter Stellen“1. Er ist in armenischer Übersetzung erhalten (herausg. von den Mechitaristen, Venedig 1836) und wurde von derselben Genossenschaft später ins Lateinische übertragen (S. Ephraem Syri comm. in epist. D. Pauli a patribus Mekitharistis translati, Venetiis 1893, 2–46).

  

2. Eigenart und Echtheit

 

Die exegetische und homiletische Eigenart des hl. Johannes Chrysostomus spiegelt sich in dem Kommentare so unverkennbar wider, daß er aus diesem inneren Grunde allein als unzweifelhaft echt angesprochen werden darf. Als Exeget war Chrysostomus ein Vertreter der antiochenischen Schule, die im Gegensatz zur alexandrinischen bei der Schrifterklärung ihre Hauptaufgabe darin erblickte, den Wortsinn festzustellen, während die Alexandriner in der Schrift in erster Linie den allegorischen Sinn suchten. An zahlreichen Stellen geht Chrysostomus in der Zergliederung einzelner Worte soweit, daß seine Rede mehr den Ton der Schule als den der Kanzel annimmt.

Nüchtern wie in der Exegese bleibt Chrysostomus auch in der dogmatischen Spekulation, ja hier grenzt seine Sparsamkeit schon fast an Mangel. Die großen dogmatischen Probleme, die der Römerbrief anschneidet, können ihn nicht veranlassen, sich tiefer mit ihnen zu beschäftigen, so daß wir uns oft geradezu enttäuscht fühlen in der Erwartung, etwas Entscheidendes von ihm über jene Fragen zu hören. Dafür entschädigt er uns aber reichlich durch die homiletische Ausmünzung seines Stoffes. Kaum entgeht ihm etwas, was eine Anwendung auf das christliche Leben seiner Zuhörer zuließe, ungenützt. Mit apostolischem Eifer, der aber auch die psychologisch wirksamste Aneinanderreihung der Argumente nicht übersieht und rhetorische Kunstmittel nicht verschmäht, dringt er stets auf die sittliche Besserung seiner Zuhörer. Dabei läßt er sich von seinem Eifer manchmal etwas zu lange bei der Strafrede gegen die Laster festhalten und zu Ausdrücken und Vergleichen hinreißen, die unser feinfühliges Empfinden überraschen. Ein Redner und Menschenkenner wie er hat aber jedenfalls wohl abgewogen, wie weit er mit Rücksicht auf die sittliche und ästhetische Eigenart seiner Zuhörerschaft gehen durfte. Echt chrysostomische Art ist auch die Häufigkeit von Vergleichen und Bildern, die diese Homilien auszeichnet. In ihrer sinnenfälligen Darstellung und praktischen Tendenz sind sie vielfach auch für den heutigen Prediger mustergültig und des Studiums wert; weniger nachahmenswert ist des großen Redners μακρολογία — manche seiner Homilien würden wohl zwei Stunden zum Vortrag in Anspruch nehmen — und seine ἀκρίβεια in der Untersuchung des Schrifttextes, die eine mit dem Wortlaut der Hl. Schrift sehr vertraute Zuhörerschaft voraussetzt. Der an Chrysostomus oft bewunderte Attizismus der Sprache zeichnet die Homilien zum Römerbrief hervorragend aus und läßt sie auch stilistisch als echte Geisteskinder des größten Redners der Ostkirche erscheinen.

Sprechen somit unabweisbare innere Gründe für die Echtheit dieser Chrysostomus-Homilien, so fehlt es auch nicht ganz an äußerer Bezeugung. Der Hauptzeuge ist Augustinus, der im ersten Buch seiner Streitschrift gegen den Pelagianer Julian (1, 27) zahlreiche Stellen aus der elften (zehnten) Homilie zum Beweis dafür anführt, daß Chrysostomus über die Erbsünde keineswegs pelagianisch gedacht habe. Isidor von Pelusium (ca. 370–440) kennt ebenfalls die Homilien des Chrysostomus zum Römerbrief und rühmt ihnen ein Verständnis für den paulinischen Text und eine Eleganz der Sprache nach, daß Paulus selbst, wie er meint, sich nicht besser hätte kommentieren können (Epist lib. V 32. Migne, P. gr. LXXVIII 1348).

  

3. Zeit und Ort der Abfassung

 

Die Ausgefeiltheit der Sprache und der kunstgemäß rhetorische Aufbau, wodurch sich die Homilien zum Römerbrief auszeichnen, sind nicht allein ein Zeugnis für ihre Echtheit, sondern geben auch einen Fingerzeig für die Zeit und den Ort ihrer Abfassung. Photius und nach ihm Savile wenigstens erblicken darin einen Beweis, daß sie von Johannes während der Zeit seines Wirkens als Diakon und Presbyter in Antiochien (381–398) gehalten worden seien, weil seine Predigten aus dieser Zeit durch sorgfältigere Ausarbeitung vor den als Patriarch in Konstantinopel gehaltenen hervorstechen. Tillemont hält dieses Argument allein freilich nicht für entscheidend, da auch sicher von Johannes in Konstantinopel gehaltene Predigten nicht weniger sorgfältig gearbeitet seien. Doch kommt er zu demselben Schluß auf Grund mancher Bemerkungen in den Predigten selbst, die auf Antiochien als Ort ihrer Abfassung hinweisen. In der neunten (achten) Homilie spricht nämlich Johannes davon, daß er und seine Zuhörer „unter demselben Hirten“ stehen. Das läßt den Schluß zu, daß er damals noch nicht Bischof war, also noch Diakon oder Priester unter dem Bischof Flavian in Antiochien. Noch deutlicher geht aus der einunddreißigsten (dreißigsten) Homilie hervor, daß sie zu Antiochien gehalten wurde. Um die Zuhörer in inniger Liebe zu dem Weltapostel zu entflammen, weist der Prediger nämlich darauf hin, daß der Ort, wo sie leben, voll Erinnerungen an Paulus sei. Nun war aber Paulus niemals in Konstantinopel, wohl aber in Antiochien gewesen. Dem gegenüber wollen manche in einem Ausfalle in der Homilie gegen solche, welche es mit scheelen Blicken betrachten, wenn andere durch ihre Beredsamkeit geistlichen Nutzen schaffen, eine Anspielung auf Severian von Gabala und den Patriarchen Theophilus von Alexandrien, zwei der schärfsten Gegner des Chrysostomus in seiner Konstantinopeler Zeit, erblicken. Doch sind die hier geschilderten Äußerungen des Neides viel zu unbestimmt, als daß sie den oben angeführten Beweisgründen für die antiochenische Zelt die Waage halten könnten. Es kann also mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden, daß die Homilien zum Römerbrief von Chrysostomus in Antiochien gehalten worden sind.

  

4. Druckausgaben und Übersetzungen

 

Über Ausgaben und Übersetzungen unterrichtet die vorzügliche Chrysostomusbibliographie von Baur2. Darnach wurde der Kommentar erstmals griechisch gedruckt in der Ausgabe der Chrysostomuskommentare zu den paulinischen Briefen, die der Bischof Gibert von Verona im Jahre 1529 durch die Druckerei der Brüder Sabio in Verona in vier Bänden veranstaltete. Die erste kritische Ausgabe des griechischen Textes veröffentlichte Henry Savile in seiner Gesamtausgabe der Chrysostomusschriften zu Eton 1612, die letzte Friedrich Field zu Cambridge 1839 als ersten Band seines Chrysostomuskommentars zu den paulinischen Briefen. Er hat elf Handschriften dazu benützt. In der Migne-Ausgabe der Patrologia Graeca ist der Chrysostomuskommentar zum Römerbrief im sechzigsten Band, S. 385–682 enthalten.

Die Übersetzungen ins Lateinische sind zahlreich3. Ins Deutsche übertragen sind die Homilien zum Römerbrief von Wilhelm Arnoldi, Trier 1831, zweite Auflage Regensburg 1858, und von J. Wimmer in der Kemptener „Bibliothek der Kirchenväter“, Kempten 1880.

Der vorliegenden Neuübersetzung ist der von Field rezensierte griechische Text (Editio nova, Oxonii 1849) zugrunde gelegt. Auch die Fieldsche Zählung der Homilien, die der gewöhnlichen um eins voraus ist, da sie die Einleitung als erste Homilie zählt, wurde angewendet und die Einteilung der Homilien in Paragraphen nach der griechischen Vorlage wie in den bisher erschienenen Bänden beibehalten, obgleich sie nicht immer sinngemäß ist. Daneben wurde der besseren Übersicht wegen der Text auch nach den Versen des kommentierten Briefes eingeteilt. Die Übersetzung bindet sich nicht an das Wort des griechischen Textes, sondern strebt vor allem nach einer gut deutschen, leicht verständlichen Wiedergabe desselben, entfernt sich jedoch auch nicht unnötig weit von der Urschrift. Fremdwörter sind nach größter Möglichkeit vermieden. Angestrebt wurde ein gut deutscher Pedigtstil, weil ja, wie Chrys. Baur in der Einleitung zum ersten Band der Chrysostomus-Homilien dieser Sammlung bemerkt, „die Übersetzung wohl in erster Linie für solche Geistliche und Studierende bestimmt ist, die etwa aus Zeitmangel sich nicht an den Originaltext halten wollen“ (S. 10). Ob diese Absicht immer erreicht worden ist, mag der geneigte Leser beurteilen.

Prag, am 28. Februar 1918.

Der Übersetzer.

 

Fußnoten

 

1.       Zahn, Der Brief des hl. Paulus an die Römer, 1910, S. 24.

2.       Chr. Baur, S. Jean Chrysostome et ses oeuvres dans l’histoire littéraire. Louvain et Paris 1907.

3.       Vgl. ebd. S. 139–182.

 

 

 

ERSTE HOMILIE. * Einleitung. *

 

1.

Einleitung

Immer wenn ich aus den Briefen des hl. Paulus vorlesen höre — und es ist dies wöchentlich zweimal der Fall, oft aber auch dreimal und viermal, wenn wir nämlich Gedächtnistage heiliger Märtyrer feiern —, erfreue ich mich daran, den Schall dieser geistigen Posaune zu genießen. Ich gerate in Entzücken und erglühe vor Sehnsucht, wenn ich diese mir so liebe Stimme vernehme, und es kommt mir vor, als sähe ich den Apostel, im Sprechen begriffen, wie leibhaftig vor mir stehen. Ich bedaure es, und es tut mir weh, daß nicht alle diesen Mann kennen, wie sie es sollten, sondern daß manche so wenig Kenntnis von ihm haben, daß sie nicht einmal die Zahl seiner Briefe genau wissen. Das kommt aber nicht von Wissensunfähigkeit, sondern weil sie nicht beständig mit diesem Heiligen vertrauten Umgang pflegen wollen. Denn auch wir danken unser Wissen von ihm, wenn wir ein solches besitzen, nicht unserer Begabung und Geistesschärfe, sondern dem beständigen Umgang mit diesem Manne und unserer innigen Verehrung für ihn. Denn geliebte Menschen kennen vor allen andern gerade die gut, welche sie lieben, weil sie ihnen am Herzen liegen. Das will auch unser Heiliger ausdrücken, wenn er im Briefe an die Philipper sagt; „Wie es billig ist, daß ich für euch diese Gesinnung hege, weil ich euch im Herzen habe, in meinen Banden und bei der Verteidigung und Befestigung des Evangeliums“ 1. Wenn ihr darum nur der Vorlesung (aus dem Apostel) mit Zuneigung folgen wollt, so braucht ihr nichts weiter; denn untrüglich ist das Wort Christi, das er gesprochen hat: „Suchet, und ihr werdet finden, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden“ 2. Weil aber die Mehrzahl der hier Versammelten die Sorge um die Kindererziehung, um Weib und Hausstand auf sich hat, sind sie nicht in der Lage, sich ganz einer solchen Arbeit hinzugeben. Darum seid wenigstens bereit, die von andern gesammelten Gedanken anzunehmen, und laßt euch die Anhörung ihres Vortrages wenigstens so sehr angelegen sein wie den Erwerb von Geld. Wenn es auch fast eine Schande ist, nur eine solche Sorgfalt von euch zu verlangen, so bin ich doch damit zufrieden, wenn ihr nur diese aufbringt. Unzählige Übelstände schreiben sich her von der Unkenntnis der hl. Schriften; von da quillt der Schlamm der vielen Irrlehren auf, darauf geht das sorglose Leben so vieler zurück, davon kommt es her, daß ihre Arbeiten ohne Ertrag sind. Denn gerade so wie die des Augenlichtes Beraubten nicht ihre geraden Wege gehen können, ebenso müssen die, welche kein Auge haben für das Licht, das aus den göttlichen Schriften strahlt, in vielen Dingen und beständig irren, da sie ja in dichtester Finsternis dahinschreiten. Damit dies nicht geschehe, wollen wir unsere Augen für die Lichtstrahlen der apostolischen Worte offen halten. Denn die Sprache dieses Apostels überstrahlt ja an Glanz die Sonne, und alle andern übertrifft er durch seinen Lehrvortrag. Weil er sich mehr als sie abgemüht hat, darum hat er auch die Gnade des Hl. Geistes in vollem Maße auf sich gezogen. Das kann ich nicht bloß aus seinen Briefen beweisen, sondern auch aus der Apostelgeschichte. Denn wenn es irgendwo erforderlich war, öffentlich aufzutreten, wiesen (die andern Apostel) dies immer ihm zu. Darum wurde er von den Heiden für Hermes gehalten, weil er das Wort in seiner Gewalt hatte.

Im Begriff, auf den vorliegenden Brief überzugehen, müssen wir zunächst die Zeit bestimmen, um die er geschrieben worden ist. Er ist nämlich nicht, wie viele meinen, früher als alle andern Briefe geschrieben, wohl aber früher als alle aus Rom geschriebenen, jedoch später als die andern, wenn auch nicht später als alle andern. Die beiden Briefe an die Korinther sind vor diesen abgeschickt worden. Das ist nämlich aus einer Stelle am Schlusse des vorliegenden Briefes ersichtlich, wo es heißt: „Jetzt aber reise ich nach Jerusalem, den (dortigen) Heiligen einen Dienst zu leisten; Mazedonien und Achaia haben es nämlich für gut befunden, eine Sammlung zu veranstalten zugunsten der Armen unter den Heiligen in Jerusalem 3. Den Korinthern schreibt der Apostel: „Wenn es dafür steht, daß auch ich reise, so sollen sie mit mir reisen 4; er meint damit die, welche das (gesammelte) Geld dorthin überbringen sollten. Daraus geht hervor, daß ihm zur Zeit, als er an die Korinther schrieb, seine Reise (nach Jerusalem) noch zweifelhaft war, als er aber an die Römer schrieb, sie ihm bereits feststand. Hält man dies zusammen, so ist ersichtlich, daß der Brief an diese nach dem an jene geschrieben ist. Der Brief an die Thessalonicher scheint mir aus noch früherer Zeit zu sein als der an die Korinther. Denn im ersten Brief an sie erwähnt er auch diese Almosensammlung, wenn er sagt: „Was aber die Bruderliebe betrifft, so haben wir nicht nötig, auch darüber zu schreiben; ihr seid ja von Gott selbst belehrt, daß ihr einander lieben sollt; ihr tut dies ja auch allen Brüdern gegenüber“ 5. Dann erst schrieb er den Korinthern und brachte ihnen dasselbe zur Anzeige, wenn er sagte: „Ich kenne ja eure Bereitwilligkeit, beizusteuern, von der ich zu eurem Lobe den Mazedoniern rühmend erzähle, daß Achaia schon seit Jahresfrist damit fertig ist; und gerade der Wetteifer mit euch war es, der viele angespornt hat“ 6. Damit zeigt er an, daß er mit ihnen vorher bereits darüber gesprochen hatte. Der Römerbrief ist also aus späterer Zeit als diese Briefe, aber der erste unter den aus Rom geschriebenen. Denn der Apostel hatte die Stadt der Römer noch nicht betreten, als er den vorliegenden Brief schrieb. Dies deutet er an, wenn er sagt: „Ich sehne mich, euch zu sehen, damit ich euch etwas geistige Gabe mitteile zu eurer Stärkung“ 7 . Von Rom aus schrieb er den Philippern; darum heißt es: „Es lassen euch alle Heiligen grüßen, besonders die aus dem Hause des Kaisers“ 8. Den Hebräern schrieb er ebenfalls von da aus. Darum sagt er, daß sie alle die aus Italien grüßen lassen 9. Auch der Brief an Timotheus schickte er von Rom aus ab, als er in Banden lag. Dieser Brief scheint mir der letzte von allen zu sein. Es geht dies aus dem Schlusse desselben hervor: „Denn ich werde schon geopfert, und die Zeit meiner Auflösung steht bevor“ 10. Daß aber Paulus sein Leben in Rom beschloß, ist allgemein bekannt. Auch der Brief an Philemon ist einer der letzten; denn der Apostel schrieb ihn in seinem letzten Greisenalter. Darum heißt es in demselben: „Als der Greis Paulus, nun aber auch in Banden um Christi Jesu willen“ 11. Dem Brief an die Kolosser freilich geht er noch voran; und das ist wieder aus der Schlußstelle ersichtlich. Den Kolossern nämlich schreibt Paulus: „Tychikus wird euch alles kundtun, den ich mit Onesimus, dem treuen und geliebten Bruder, geschickt habe“ 12. Es war dies aber derselbe Onesimus, dessentwegen er den Brief an Philemon geschrieben hatte. Daß es nicht ein anderer war, der denselben Namen hatte wie jener, geht aus der Erwähnung des Archippus hervor. Diesen hatte sich nämlich Paulus im Briefe an Philemon zum Mitfürsprecher in der Angelegenheit des Onesimus erkoren; denselben führt er auch im Briefe an die Kolosser an, wenn er sagt: „Sagt dem Archippus: Hab acht auf das Amt, das du übernommen hast, damit du es voll verwaltest!“ 13. Mir scheint auch der Brief an die Galater dem an die Römer voranzugehen. Wenn er in der Bibel eine andere Stelle einnimmt, so ist das nichts Auffallendes. So lebten ja auch die zwölf Propheten der Zeit nach nicht hintereinander, sondern weit voneinander entfernt; in der Reihenfolge der Bibel jedoch kommen sie hintereinander. Aggäus, Zacharias und der Engel(prophet) 14 weissagten nach Ezechiel und Daniel und lange nach Jonas und Sophonias und den andern allen; gleichwohl stehen sie in derselben Reihe mit jenen allen, von denen sie doch der Zeit nach so sehr abstehen.

2.

Niemand halte diese Arbeit für eine nebensächliche und eine solche Untersuchung für eine überflüssige Spielerei; denn die Zeit, in welcher die einzelnen Briefe abgefaßt worden sind, unterstützt uns nicht wenig bei unsern Untersuchungen. So sehe ich, daß Paulus an die Römer und an die Kolosser über dieselben Dinge schreibt, aber nicht in gleicher Weise über dasselbe, sondern an jene mit großer Herablassung (zu ihren falschen Ansichten), wenn er z. B. sagt: „Den, der schwach ist für den Glauben, nehmt auch auf, nicht um Meinungen zum Austragen zu bringen; denn der eine glaubt alles essen zu dürfen, der Schwache aber ißt nur Gemüse“ 15. Den Kolossern schreibt er über denselben Gegenstand, aber mit mehr Geradheit: „Wenn ihr abgestorben seid mit Christus, was stellt ihr noch Regeln auf, als lebtet ihr in der Welt: ‚Faß ja nicht an, koste nicht, rühr’ nicht an’? Alles das sind Dinge, die Verderben bringen durch Mißbrauch, zur Überwindung des Fleisches sind sie nichts nutze" 16. Ich finde für die Verschiedenheit keinen andern Grund als die Zeit, in der es geschah. Am Anfang war es nötig, sich herabzulassen, nachher nicht mehr. So kann man den Apostel noch an vielen andern Stellen dieselbe Schreibweise befolgen sehen. So pflegen es ja auch der Arzt und der Lehrer zu machen. Der Arzt behandelt die Kranken am Anfange ihrer Krankheit nicht ebenso wie gegen Ende derselben, und der Lehrer geht mit den Kindern, welche die Anfangsgründe des Wissens lernen, nicht ebenso um wie mit Schülern, die der Vollendung ihres Wissens obliegen.

Den andern (Christengemeinden) schrieb der Apostel durch irgendeine (bestimmte) Ursache und Veranlassung bewogen; im Brief an die Korinther bringt er dies zum Ausdruck, wenn er sagt: „Worüber Ihr mir geschrieben habt“ 17, und den Galatern hält er (die Veranlassung des Briefes), gleich eingangs und während des ganzen Briefes vor Augen. Aus welchem Grunde und warum schrieb er den Brief an die Römer? Er scheint ihnen ja das Zeugnis zu geben, daß sie ganz guter Gesinnung vollkommen seien, voll jeglichen Wissens, imstande, sogar andern Ermahnungen zu geben. Warum schrieb er also einen Brief an sie? „Wegen der Gnade Gottes“, sagt er, „die mir gegeben ist dazu, ein Diener Jesu Christi zu sein“. Deshalb sagt er eingangs: „So bin ich, was an mir liegt, bereit, auch euch, die ihr zu Rom seid, das Evangelium zu verkünden“ 18. Wenn er sagt, sie könnten sogar andern Ermahnungen geben und Ähnliches, so ist das mehr eine Verneigung vor ihnen und ein Mittel, sich ihre Gunst zu erwerben; denn auch für sie war es eine Notwendigkeit, durch einen Brief auf den rechten Weg gewiesen zu werden. Weil er noch nicht zu ihnen hatte kommen können, darum weist er diesen Leuten den rechten Weg auf eine doppelte Weise: durch den Nutzen, den sie aus dem Briefe ziehen konnten, und dadurch, daß er ihnen sein (persönliches) Erscheinen in Aussicht stellt. So war diese heilige Seele geartet: die ganze Welt nahm er in sein Herz auf und trug alle darin. Als die nächste Verwandtschaft betrachtete er die, welche aus dem (gleichen) Verhältnis zu Gott hervorgeht. Als ob er der Vater aller geworden wäre, so liebte er sie, ja eine größere Liebe noch als jeder (leibliche) Vater legte er an den Tag. So ist die Gnade des Hl. Geistes; sie geht über das natürliche Kindschaftsverhältnis und ist der Quell einer noch innigeren Liebe. Das ist besonders an der Seele des Paulus zu sehen. Unter dem Einfluß dieser Liebe nahm er gewissermaßen Flügel an; beständig war er auf dem Wege, alle zu besuchen, nirgends machte er Halt und rastete aus. Nachdem er das Wort Christi gehört hatte: „Petrus, liebst du mich? Weide meine Schafe“ 19, womit dieser den höchsten Ausdruck der Liebe gekennzeichnet hatte, befliß er sich desselben mit überschwänglichem Eifer.

Ahmen also auch wir den Apostel nach! Haben wir nicht die ganze Menschheit, ganze Städte und Völker zu lehren, so führe ein jeder wenigstens seine Hausgenossen, sein Weib, seine Kinder, seine Freunde, seine Nachbarn auf den rechten Weg! Niemand wende mir ein: „Ich bin zu ungelehrt, zu schwerfällig dazu.“ Niemand war ungelehrter als Petrus, niemand schwerfälliger als Paulus. Dieser gesteht es ja selbst und schämt sich dessen nicht, wenn er sagt: „Bin ich auch schwerfällig in der Rede, so doch nicht in der Erkenntnis“ 20. Und doch haben dieser Schwerfällige und jener Ungelehrte unzählige Weltweise überwunden, unzählige Schönredner zum Schweigen gebracht. Das haben sie alles zustande gebracht durch ihren Eifer und die Gnade Gottes. Welche Entschuldigung werden wir haben, die wir nicht zwanzig Leute gewonnen, nicht einmal unsern Hausgenossen das Heil gebracht haben? Alles leere Ausrede und eitler Vorwand! Nicht Ungelehrtheit, nicht Unbeholfenheit hindert die Unterweisung, sondern Trägheit und Schläfrigkeit. — Laßt uns also abschütteln diese Schläfrigkeit, laßt uns allen Eifer aufwenden für unsere Angehörigen, damit wir hienieden in reichem Maße Seelenfrieden genießen, wenn wir die, welche uns nahe stehen, auf den Weg der Furcht Gottes führen, und im Jenseits unendlicher Güter teilhaftig werden durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, durch den und mit dem Ehre sei dem Vater zugleich mit dem Hl. Geiste in alle Ewigkeit. Amen.

 

 

 

 

ZWEITE HOMILIE. * Kap. I, V. 1—7. *

 

1.

Kap. I, V. 1—7.

V. 1: „Paulus, ein Diener Jesu Christi, berufener Apostel, auserwählt für das Evangelium Gottes“,  V. 2: „welches er zuvor durch seine Propheten in den heiligen Schriften versprochen hatte.“

Moses hat den fünf von ihm geschriebenen Büchern nirgends seinen Namen beigesetzt, desgleichen nicht die Geschichtschreiber nach ihm; aber auch Matthäus nicht, noch Johannes noch Markus noch Lukas. Dagegen setzt der hl. Paulus allen seinen Briefen seinen Namen voran. Warum? Weil die andern an Anwesende schrieben; darum war es unnötig, sich selbst als anwesend erscheinen zu lassen, Paulus aber schickte seine Schreiben in die Ferne und in Briefform; darum war die Beisetzung seines Namens notwendig. Wenn er dies nur im Briefe an die Hebräer nicht tat, so geschah es mit Vorbedacht. Er war nämlich den Juden verhaßt; damit sie nun nicht, wenn sie seinen Namen hörten, von vorneherein für seine Rede unzugänglich wurden, verschwieg er ihnen denselben und verschaffte sich so bei ihnen Gehör. Was die Propheten und Salomon betrifft, die ihre Namen beisetzten, so überlasse ich es euch, zu untersuchen, warum es die einen taten, die andern nicht. Ihr müßt ja nicht alles von mir erfahren, sondern sollt auch selbst euren Geist anstrengen, damit ihr nicht zu denkfaul werdet.

„Paulus, ein Diener Jesu Christi.“

— Warum änderte wohl Gott den Namen des Apostels und nannte ihn, den Saulus, Paulus? — Damit er nicht deswegen als geringer angesehen werde unter den Aposteln, sondern dieselbe Auszeichnung besitze wie das Haupt der Jünger und so ihrem Kreise um so enger einverleibt werde. Christi „Diener“ nennt er sich, und das nicht ohne Grund. Es gibt verschiedene Arten, (Gott gegenüber) Diener zu sein. Die eine schreibt sich von der Erschaffung her; in diesem Sinne heißt es: „Alles dienet dir“ 21, ebenso: „Mein Diener Nabuchodonosor“ 22; denn das Werk, das jemand geschaffen hat, ist zu seinem Dienste da. Eine andere Art, Diener zu sein, kommt vom Glauben her; davon heißt es: „Dank sei aber Gott, daß ihr Knechte der Sünde gewesen, aber von Herzen gehorsam geworden seid jenem Lehrinhalte, in dem ihr unterwiesen wurdet“ 23. Eine dritte Art gründet sich auf eine besondere Lebensführung. In diesem Sinne heißt es: „Moses, mein Diener, ist gestorben“ 24. Wenn auch alle Juden Gottes Diener waren, so leuchtete doch Moses ganz besonders hervor durch seine Lebensführung. Da nun Paulus nach allen diesen Beziehungen ein Diener (Gottes) war, darum setzt er diesen Namen als seine höchste Würde voran, indem er spricht: „Ein Diener Jesu Christi“. Diese zwei Namen reiht er so aneinander, daß darin ein Aufsteigen von unten nach oben liegt. Denn der Name Jesus kam durch einen Engel vom Himmel herab, als er aus der Jungfrau geboren ward; Christus aber heißt er von der Salbung, die ebenfalls seinen (angenommenen) Leib betrifft. — Mit was für Öl, fragt man, ist er dann gesalbt worden? — Nicht mit wirklichem Öl, sondern mit dem Geiste. Solche pflegt die Hl. Schrift „Gesalbte“ zu nennen. Das wichtigste bei der Salbung ist ja der Geist; das Öl gehört dazu nur nebenbei. Und an welcher Stelle der Schrift werden solche, die nicht mit Öl gesalbt sind, doch „Gesalbte“ genannt? Da, wo es heißt: „Tastet nicht an meine Gesalbten und tuet kein Leid meinen Propheten!“ 25. Damals gab es gar nicht die Zeremonie der Ölsalbung.

„Berufener Apostel.“

— Ständig nennt sich Paulus „berufen“. Er bringt damit seine Dankbarkeit zum Ausdruck: er habe nicht das Heil gesucht und (durch eigenen Fleiß) gefunden, sondern er sei von Gott berufen worden und habe nur  dem Ruf Folge geleistet. In demselben Sinne nennt er auch die Christen „berufene Heilige“. Freilich waren diese nur zum Glauben berufen; ihm dagegen war noch etwas ganz anderes anvertraut worden, das Apostelamt nämlich, ein unschätzbar hohes Gut, größer als alle Gnadengaben und sie alle umfassend. Was braucht man mehr davon zu sagen, als daß es das Amt ist, welches Christus selbst auf Erden ausübte und das er bei seinem Scheiden ihnen übergab? Darum ruft Paulus, die Würde der Apostel preisend: „Wir sind also Gesandte an Christi Statt, indem Gott gleichsam durch uns ermahnt“ 26, — d, h. wir stehen an Christi Stelle.

„Auserwählt für das Evangelium Gottes.“

— Wie in einem Haushalte für die verschiedenen Verrichtungen je eine Person bestimmt ist, so sind auch in der Kirche die verschiedenen Ämter an einzelne Personen verteilt. Es scheint mir übrigens, daß der Apostel nicht bloß andeuten will, er sei wie durch das Los berufen worden, sondern er sei von oben dazu vorausbestimmt gewesen. So sagt auch Jeremias, Gott habe zu ihm gesagt; „Eh’ du hervorgingest aus dem Mutterschoß, heiligte ich dich und verordnete dich zum Propheten für die Völker“ 27. Denn da er an eine stolze, prunkvolle Stadt schrieb, lag ihm daran, nach jeder Richtung zu zeigen, daß seine Berufung Gottes Werk sei; Gott habe ihn berufen, Gott habe ihn auserwählt. Das tut er, um seinem Briefe Glaubwürdigkeit und gute Aufnahme zu sichern.

„Für das Evangelium Gottes“

Also nicht Matthäus allein ist ein Evangelist oder Markus, wie auch Paulus nicht allein ein Apostel ist, sondern auch die andern; aber er heißt in besonderer Weise Apostel, wie jene „Evangelisten“. „Evangelium“ frohe Botschaft — nennt er es, nicht bloß mit Rücksicht auf die bereits empfangenen Güter, sondern auch mit Rücksicht auf die, welche es für die Zukunft im Jenseits in Aussicht stellt. Wieso kann er aber sagen,  daß Gott durch ihn verkündigt werde? „Auserwählt für das Evangelium Gottes.“ — Nun, Gott, war ja auch vor dem Evangelium den Menschen bekannt, aber eigentlich doch nur den Juden, und auch denen allen nicht so, wie es sein sollte. Sie kannten ihn nämlich nicht in seiner Eigenschaft als Vater und fabelten im Alten Bunde viel von ihm, was seiner gar nicht würdig war. Darum sagte Christus: „Die wahren Anbeter werden erst kommen“, und: „Der Vater will solche haben, die ihn anbeten“ 28. Später dagegen offenbarte er sich mit dem Sohne der ganzen Welt. Das war es, was Christus vorausverkündete, wenn er sprach: „Damit sie Dich erkennen, den einzig wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus“ 29. „Evangelium“ — Frohbotschaft — Gottes nennt er es, um dem Hörer gleich von Anfang an Mut zu machen. Er kam ja nicht mit einer traurigen Kunde, wie die Propheten mit Vorwürfen und Anklagen und Mahnungen, sondern mit einer frohen Botschaft, und zwar einer frohen Botschaft Gottes, einer Botschaft von unermeßlichen Schätzen ewig dauernder, unveränderlicher Güter. — „Welches er zuvor durch seine Propheten in den heiligen Schriften verheißen hatte.“ Es heißt ja: „Der Herr wird geben das Wort den Freudenbotschaftern mit großer Kraft“ 30. Und wiederum: „Wie schön sind die Füße derer, die Friedensbotschaft bringen“ 31.

2.

Siehst du, wie Name und Art des Evangeliums bereits im Alten Testamente enthalten sind? Nicht bloß mit Worten, will der Apostel (mit Bezug auf die angeführten Stellen) sagen, verkünden wir das Evangelium, sondern auch durch Taten. Es ist ja auch nichts Menschliches, sondern etwas Göttliches, Unsagbares, ganz und gar Übernatürliches. Weil man ihm aber den Vorwurf machte, es sei eine Neuerung, so zeigt der Apostel, daß es älter sei, als die Griechen uns in den Propheten im voraus beschrieben. Wenn es nicht gleich von Anfang  zutage trat, so lag es an denen, die es nicht zulassen wollten. „Abraham, euer Vater“, heißt es, „hat gefrohlockt, daß er meinen Tag sehen werde; er sah ihn und freute sich“ 32. Wieso heißt es dann aber, daß „viele Propheten und Gerechte danach verlangten, zu sehen, was ihr sehet, und sahen es nicht“? 33 So, will das heißen, sahen sie es nicht, wie ihr es sehet und höret, in körperlicher Gestalt mitsamt den sichtbaren Zeichen. — Beachte hier, wie lange vorher alles das vorausverkündigt war! Denn wenn Gott etwas Großes in Szene setzen will, so tut er es lange im voraus kund und ebnet ihm die Wege, daß es Gehör findet, wenn es geschieht.

„In den heiligen Schriften.“

— Die Propheten drückten nämlich das, was sie sagten, nicht bloß in Worten aus, sondern sie schrieben es auch nieder; ja, sie schrieben es nicht bloß nieder, sondern sie drückten es auch in figürlichen Handlungen aus; so Abraham, als er Isaak zur Opferung führte, Moses, als er die Schlange erhöhte, als er seine Hände ausstreckte gegen Amalek, als er das Osterlamm opferte.

V. 3: „Von seinem Sohne, der dem Fleische nach aus dem Geschlechte Davids geboren ward“

Was soll das heißen, Paulus? Vorher hast du unsern Geist einen Höhenflug nehmen lassen, hast unsagbar Großes unserer Phantasie vorgezaubert, hast uns vom Evangelium gesprochen, und zwar vom Evangelium Gottes, hast uns den Reigen der Propheten vorgeführt und uns gezeigt, wie sie alle vor vielen Jahren Zukünftiges geweissagt haben; und nun führst du uns wieder zurück zu David? Von welchem Menschen, sag’ an, sprichst du da, dem du Jesses Sohn zum Vater gibst? Wie stimmt das zur Erhabenheit des vorher Gesagten? — Wohl stimmt es dazu; denn nicht von einem bloßen Menschen, will er sagen, ist die Rede; darum habe ich beigesetzt: „Dem Fleische nach“, um damit anzudeuten, daß er auch eine Abstammung dem Geiste nach habe.  Und warum ging er von jener aus, nicht von dieser, der höheren? Weil auch Matthäus, Lukas und Markus von jener ausgingen. Denn wer zum Himmel emporführen will, muß von unten nach oben führen. In derselben Ordnung ging es auch bei der Heilstatsache zu. Zuvörderst sahen die Apostel den Erlöser als Menschen auf der Erde, und von da aus lernten sie ihn erkennen als Gott. Denselben Lehrgang hält auch sein Schüler ein. Er spricht zuerst von Abstammung des Erlösers dem Fleische nach, nicht als ob sie die erste wäre, sondern um den Zuhörer von dieser zu jener zu führen.

V. 4: „Der bestimmt war zum Sohne Gottes in Kraft und im Geiste der Heiligung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“

Aus der sonderbaren Wortfügung ist es unklar, was der Apostel sagen will; darum muß sie aufgelöst werden. Was will er sagen? Wir verkünden ihn als Sprößling aus dem Geschlechte Davids, sagt er; und das ist klar. Woher wissen wir aber, daß dieser, der Menschgewordene, Gottes Sohn ist? Zunächst von den Propheten. Darum spricht er: „Was er zuvor durch seine Propheten in den heiligen Schriften versprochen hatte.“ Das ist keineswegs ein geringfügiger Beweisgrund. Zweitens von der Art seiner Abstammung, die er selbst angibt, wenn er spricht: „Aus dem Geschlechte Davids dem Fleische nach.“ Damit entsprach er dem Gesetze der Natur. Drittens von den Wundern, die er wirkte und durch die er einen Beweis seiner großen Kraft gab. Das will jenes „in Kraft“ sagen. Viertens von dem Geiste, den er denen gab, die an ihn glaubten und durch den er alle heilig machte; darum heißt es: „im Geiste der Heiligung“. Nur in Gottes Macht lag es, so große Geschenke zu geben. Fünftens von der Auferstehung des Herrn. Er war nämlich der erste und der einzige, der sich selbst erweckte. Auf dieses Zeichen wies er darum selbst hin als auf das geeignetste, die Unverschämtheit der Gegner zum Schweigen zu bringen: „Löset, brechet diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn wieder aufbauen“ 34, und: „Wenn ihr mich werdet  erhöht haben von der Erde, dann werdet ihr erkennen, daß ich es bin“ 35, und wiederum: „Dieses Geschlecht verlangt ein Zeichen, und es wird ihm kein anderes Zeichen gegeben werden als das Zeichen des Jonas“ 36. Was will jenes „bestimmt“ sagen? Offenkundig gemacht, kenntlich gemacht, von andern unterschieden, von der allgemeinen Meinung und dem allgemeinen Urteil einerkannt auf Grund der Propheten, der wunderbaren Geburt dem Fleische nach, der aus den Wunderzeichen hervorleuchtenden Kraft, der durch den Geist verliehenen Heiligung, der Auferstehung endlich, durch die er die Gewaltherrschaft des Todes brach.

V. 5: „Durch den wir empfangen haben Gnade und Apostelamt zum Gehorsam des Glaubens“

Beachte den dankbaren Sinn des Dieners! Nichts will er als sein, sondern alles als vom Herrn kommend betrachtet wissen. Auch der Geist ist sein Geschenk. Darum sprach er: „Ich habe euch noch vieles zu sägen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener Geist der Wahrheit kommen wird, so wird er euch in alle Wahrheit einführen“ 37. Und wiederum: „Sondert mir ab den Paulus und Barnabas“ 38. Und im Korintherbriefe heißt es: „dem einen wird durch den Geist verliehen das Wort der Weisheit, einem andern das Wort der Wissenschaft“ 39, und: „Er teilt alles aus, wie er will.“ In der Predigt an die Milesier: „In welcher euch der Hl. Geist gesetzt hat zu Hirten und Bischöfen“ 40. Siehst du, wie er das, was dem Hl. Geiste zukommt, als Sache des Sohnes bezeichnet, und was dem Sohne zukommt, als Sache des Hl. Geistes?

„Gnade und Apostelamt“ . — Das heißt: nicht wir haben es bewirkt, daß wir Apostel geworden sind; denn nicht durch unsere Mühe und Arbeit haben wir diese Würde erlangt, sondern wir haben Gnade empfangen, und von oben ist uns als Geschenk dieses Amt übertragen worden.

3.

„Zum Gehorsam des Glaubens“ — Also nicht die Apostel haben es erwirkt, sondern die ihnen zuvorkommende Gnade. Ihnen oblag es, umherzuziehen und zu predigen; zu überzeugen aber, das stand bei Gott, der in ihnen wirkte, wie Lukas sagt: „Er öffnete ihr Herz“ 41, und wieder: „Denen gegeben ist, zu hören das Wort Gottes.“ „Zum Gehorsam.“ Der Apostel sagt nicht: „Zur Forschung“, oder: „Zur Beweisführung“, sondern: „Zum Gehorsam.“ Wir sind nämlich nicht gesandt, will er sagen, Vernunftbeweise zu führen, sondern wiederzugeben, was wir empfangen haben. Denn wenn der Herr etwas sagt, dürfen die Hörer an seinem Wort nicht die Silben stechen und es viel hin- und herdrehen, sondern sie müssen es einfach annehmen. So waren auch die Apostel nur dazu gesandt, zu sagen, was sie gehört hatten, nicht aber von ihrem Eigenen etwas hinzuzufügen; und uns bleibt nichts anderes übrig, als zu glauben. — An was zu glauben? „An seinen Namen.“ Wir sollen nicht nach seinem Wesen forschen, sondern an seinen Namen glauben. Denn der war es, welcher auch Wunder wirkte. „Im Namen Jesu“, heißt es, „steh’ auf und wandle“ 42. Dazu gehört Glaube; durch Vernünfteln läßt es sich nicht erfassen.

V. 6: „Unter allen Völkern, unter welchen auch ihr seid als Berufene Jesu Christi“

Was heißt das? Hatte denn Paulus allen Völkern gepredigt? Daß er von Jerusalem nach Illyrien gereist und von da zurück bis an die Grenzen der Erde gelangt ist, geht aus dem Briefe an die Römer hervor. Aber wenn er auch nicht zu allen gekommen ist, so ist das, was er sagt, doch nicht Lüge. Er spricht nämlich nicht von sich allein, sondern auch von den zwölf Aposteln und allen, die mit ihnen das Wort verkündigten. Übrigens, wenn man dieses Wort auch nur auf Paulus allein beziehen wollte, so könnte man ihm nicht widersprechen, wenn man nämlich seinen Eifer betrachtet, und wie er bis zu seinem Tode nicht aufhörte, überall zu predigen.  Betrachte, wie er das ihm gemachte Geschenk (das Apostelamt) hochhält und wie er es als ein großes und viel erhabeneres als das des Alten Bundes nachweist! Das alttestamentliche Predigtamt bezog sich nur auf ein Volk; seines dagegen umfaßt Land und Meer. — Betrachte auch dabei, wie Paulus jeder Schmeichelei abhold ist! Er spricht zu den Römern, die (damals) den Gipfelpunkt der ganzen Menschheit einnahmen; und doch gesteht er ihnen nicht mehr zu als den andern Völkern. Mögen sie auch sonst den andern über sein und sie beherrschen, im Geistlichen haben sie, meint er, keinen Vorzug; sondern wie wir allen Völkern predigen, will er sagen, so auch euch, und zählt sie so unter einem mit den Thrakern und Skythen auf. Hätte er nämlich nicht das ausdrücken wollen, so wäre es überflüssig gewesen zu sagen: „Unter welchen auch ihr seid“. Das tut er, um ihren Hochmut und ihre Einbildung zu dämpfen. Er lehrt sie, daß sie den andern gleich seien; deswegen fügt er hinzu: „Unter welchen auch ihr seid Berufene Jesu Christi“, d.h. zu denen auch ihr gehört. Er sagt nicht, die andern gehören zu euch, sondern ihr gehört zu den andern. Denn wenn in Jesus Christus nicht Sklave und nicht Freier ist, um so mehr nicht König und nicht Privatmann; denn auch ihr seid berufen worden und nicht von selbst gekommen.

V. 7 „An alle Geliebte Gottes, die in Rom sind, berufene Heilige, Gnade euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.“

Beachte, wie oft der Apostel das Wort „berufen“ anwendet! „Berufener Apostel“, spricht er; „unter welchen auch ihr seid Berufene“; „an alle Berufenen, die in Rom sind.“ Diese Wiederholung ist nicht umsonst: er will damit auf die Wohltat der Berufung aufmerksam machen. Weil es wahrscheinlich war, daß es unter den Gläubigen sowohl solche in leitenden Stellungen und den besten Klassen Angehörige wie auch Arme und Privatleute gab, sieht er von der Ungleichheit der Lebensstellungen ab und gibt allen nur einen einzigen Titel. Wenn nun in notwendigeren und geistlichen Dingen Sklaven und Freien alles gemeinsam ist, wie: die  Liebe zu Gott, die Berufung des Evangelium, die Annahme an Kindesstatt, Gnade, Friede, Heiligung und alles übrige, wie wäre es nicht äußerste Torheit, unter denen, die Gott verbunden und in größeren Dingen gleichwertig gemacht hat, einen Unterschied gelten zu lassen auf Grund ihres irdischen Berufes? Darum treibt dieser heilige Mann gleich von Anfang an diese gefährliche Krankheit aus und leitet hin zur Mutter alles Guten, zur Demut. Dadurch wurde den Sklaven ihre Stellung erleichtert. Sie lernten nämlich einsehen, daß ihnen aus ihrem Sklavenstand kein Schaden erwachse, da sie ja doch die wahre Freiheit genössen. Auch die Herren erhielten eine gute Lehre, die nämlich, daß ihnen die Freiheit nichts nütze sei, wenn sie nicht in bezug auf den Glauben vorangingen. Damit man aber sehe, daß Paulus damit nicht Verwirrung anrichten wolle, indem er etwa alles durcheinander mische, sondern daß er den wahrsten Standesunterschied kenne, schrieb er nicht einfach: An alle, die zu Rom sind, sondern mit der Unterscheidung: „den Geliebten Gottes“. Darin besteht der wahrste Standesunterschied, und daraus wird zugleich ersichtlich, woher die Heiligung kommt.

4.

Woher also kommt die Heiligung? Von der Liebe. Nachdem er gesagt hat: „an die Geliebten“, setzt er hinzu: „die berufenen Heiligen“, und deckt so auf, wo die Quelle alles Guten für uns liegt. „Heilige“ nennt er alle Gläubigen, — „Gnade euch und Frieden“. O tausendfach segensvoller Gruß! Dieses Wort hatte auch Christus die Apostel beim Betreten der Häuser als erstes sprechen geheißen. Darum hebt auch Paulus überall damit an: „Gnade und Friede.“ Der Krieg, den Christus bis ans Ende geführt hat, war kein kleiner, sondern er war vielgestaltig, allseitig und langwierig; er wurde geführt nicht durch unsere Anstrengungen, sondern durch seine Gnade. Da nun die Gnade ein Geschenk der Liebe, der Friede aber ein Geschenk der Gnade ist, will der Apostel, indem er in seiner Begrüßung Gnade und Friede nebeneinander stellt, beide fest aneinander gekettet wissen, so daß niemals wieder ein neuer Krieg ausbreche, und er bittet den Geber von  beiden, daß er sie fest verbunden fortdauern lasse, indem er spricht: „Gnade euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.“ — Beachte, wie hier das „von“ dem Vater und Sohne gemeinschaftlich ist, was das gleiche bedeutet wie „aus ihm“. Er sagt nicht: Gnade und Friede von Gott dem Vater durch unsern Herrn Jesus Christus, sondern: von Gott dem Vater und unserm Herrn Jesus Christus. O, was doch die Liebe Gottes vermag! Aus Feinden und Verworfenen werden wir auf einmal Heilige und Kinder. Wenn er das Wort „Vater“ ausspricht, deutet er damit das Beziehungswort „Kinder“ an. Wenn er aber von Kindern spricht, deckt er einen Schatz von Gütern auf.

Laßt uns immerdar einen Wandel führen, würdig solchen Geschenkes, indem wir den Frieden und die Heiligung bewahren! Die andern Würden sind ja vergänglich und entschwinden mit dem gegenwärtigen Leben; auch sind sie käuflich um Geld. Der Sache nach sollte man sie gar nicht Würden nennen, sondern sie sind es nur dem Namen nach. Ihr Wesen besteht ja nur darin, daß man aufgebauschte Gewänder trägt und von einem Troß von Dienern umschmeichelt wird. Dagegen wird uns dieses von Gott verliehene Geschenk der Heiligung und Kindschaft nicht einmal durch den Tod entrissen, sondern es verklärt (unser Leben) hienieden und geht mit uns hinüber ins künftige Leben. Wer nämlich die (Gottes-) Kindschaft bewahrt und über seine Heiligung sorgfältig wacht, der lebt um vieles verklärter und seliger als der, welcher eine Herrscherkrone trägt und in Purpur gekleidet ist. Er genießt in diesem gegenwärtigen Leben viel inneren Frieden und wird aufrecht gehalten durch frohe Hoffnung, er ist nicht (inneren) Stürmen und Aufregungen ausgesetzt, sondern ist allzeit in seinem Innern vergnügt. Denn Seelenfrieden und Seelenfreude schafft weder ein großes Reich noch viel Geld noch Machtdünkel noch Körperkraft noch Tafelfreuden noch Kleiderpracht noch irgend etwas Irdisches, sondern einzig und allein innere Rechtschaffenheit und ein gutes Gewissen. Wer sich das rein erhält, der mag in Lumpen gekleidet sein und mit dem  Hunger kämpfen, er ist doch wohlgemuter als die, welche im Lebensgenüsse schwelgen, wie andererseits jemand mit einem bösen Gewissen, mag er umgeben sein mit allem möglichen Reichtum, doch der unglücklichste von allen ist. So war auch Paulus, obzwar er Hunger und Blöße litt und täglich Geißelstreichen ausgesetzt war, doch fröhlichen Sinnes und genoß mehr Lebensfreude als die Könige seiner Zeit. Achab dagegen, obzwar er König war und in allerlei Genüssen schwelgte, stöhnte voll Angst, nachdem er jene Sünde begangen hatte, und sein Gesicht war eingefallen vor der Sünde wie nach derselben. — Wollen wir also Freude genießen, so laßt uns vor allem die Schlechtigkeit fliehen und der Tugend nachstreben! Anders läßt sich dies nicht erreichen, auch wenn wir den Königsthron bestiegen. Darum spricht Paulus: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Frieden“ 43. Diese Frucht also laßt uns pflegen, damit wir hier wahre Lebensfreude genießen und das zukünftige Reich erwerben durch die Gnade und Liebe unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem Ehre sei dem Vater zugleich mit dem Hl. Geiste nun und allezeit bis in alle Ewigkeit. Amen.

 

 

 

 

DRITTE HOMILIE. * Kap. I, V. 8—17. *

 

1.

Kap. I, V. 8—17.

V.8: „Vor allem danke ich meinem Gott durch Jesus Christus für euch alle, daß euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird.“

Diese Einleitung entspricht der heiligen Seele und ist darnach angetan, alle zu lehren, zu Beginn guter Worte und Taten Gott zu huldigen und ihm nicht bloß für die eigenen guten Werke zu danken, sondern auch für die anderer. Das macht die Seele rein von Neid und Mißgunst und macht Gott den Dankbaren noch geneigter. Darum sagt der Apostel anderswo: „Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allem geistlichen Segen“ 44. Dank sagen sollen nicht bloß die Reichen, sondern auch die Armen; nicht bloß die Gesunden, sondern auch die Kranken; nicht bloß die vom Glück Begünstigten, sondern auch die von Unglück Heimgesuchten. Denn Gott zu danken, wenn alles gut geht, ist nichts Besonderes; wenn aber ein widriger Wind weht, wenn der Nachen schwankt und umkippen will — dann noch danksagen, das ist ein vollgiltiges Zeugnis von Ausdauer und Dankbarkeit. Darum ist auch Job gekrönt worden; er hat dem Teufel das unverschämte Maul gestopft und klar erwiesen, daß er, als es ihm wohl erging, nicht des irdischen Besitzes wegen dankbar war, sondern aus reiner Liebe zu Gott. — Beachte weiter, wofür Paulus danksagt: Nicht für irdische und vergängliche Dinge, wie für Herrschaft, Macht und Ruhm — denn die sind nicht der Rede wert —, sondern für wirkliche Güter, den Glauben und das Freisein von Menschenfurcht. Und mit welch tiefem Empfinden dankt er! Er spricht nicht einfach: „Gott“, sondern: „meinem Gott“. Auch die Propheten tun das; sie beziehen das allen Gemeinsame auf sich allein. Kein Wunder, daß sie es tun. Geht ihnen ja Gott selbst mit seinem Beispiele voran, wenn er von sich seinen Dienern gegenüber spricht. So nennt er sich immer Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. „Daß euer Glaube in der ganzen Welt verkündet wird.“ — Was? Die ganze Welt hat vernommen vom Glauben der Römer? Jawohl, und das ist nichts Unwahrscheinliches. Die Stadt war ja nicht verborgen, sondern wie auf einem Berggipfel gelegen und allseits sichtbar. Du aber beachte einmal die Kraft der Missionspredigt, wie sie in kurzer Zeit durch Zöllner und Fischer bis selbst in die Hauptstadt gedrungen ist, und wie Syrer die Lehrer und Führer von Römern geworden sind! Zwei Dinge bezeugt der Apostel von seinen Zuhörern als recht getan: daß sie geglaubt haben und daß sie frei waren von Menschenfurcht, und zwar so frei,  daß der Ruf davon in die ganze Welt gedrungen ist. Denn euer Glaube, spricht er, wird in der ganzen Welt verkündet. „Der Glaube“, nicht Wortgezänke, nicht Silbenstechereien, nicht Vernünfteln. Und doch gab es dort viele Hindernisse für die Lehre. Die Römer, eben erst Herren des Erdkreises geworden, bildeten sich viel ein und lebten in Reichtum und Genuß dahin. Da brachten Fischer die Botschaft vom Evangelium, Juden, Stämmlinge von Juden, einem verhaßten und von allen verabscheuten Volke. Dazu geboten sie die Anbetung des Gekreuzigten, der im Judenlande erzogen war. Und mit dieser Glaubenslehre verkündeten ihre Lehrer ein strenges Leben und das Leuten, die nur nach Genuß lechzten und nur das Gegenwärtige schätzten. Und die, welche es verkündeten, waren arme Leute ohne Bildung und ohne Geburtsadel. Aber nichts von dem hielt das Wort in seinem Laufe auf. So groß war die Kraft des Gekreuzigten, daß er überall das Wort verbreitete.

„Er wird verkündet“, sagt er, „in der ganzen Welt.“ Er sagt nicht: „Er wird offenbart“, sondern: „Er wird verkündet“, gleichsam als ob ihn alle im Munde trügen. Wo er dasselbe den Thessalonichern bezeugt, fügt er noch etwas anderes bei. Nachdem er nämlich gesagt hat: „Von euch aus erscholl das Wort Gottes“, fügt er hinzu: „so daß wir nicht nötig haben, etwas davon zu sagen“ 45. Die Schüler nämlich waren in den Rang der Lehrer getreten, indem sie durch ihr freimütiges Bekenntnis alle im Glauben unterwiesen und sie an sich zogen. Nirgends machte die Missionspredigt halt, sondern verbreitete sich rascher als Feuer über den Erdkreis. An dieser Stelle aber heißt es bloß, daß der Glaube verkündigt wird. Ganz gut sagt er, daß er verkündigt wird; er deutet damit nämlich an, daß den Worten nichts hinzugefügt und nichts weggenommen werden darf. Aufgabe des Überbringers einer Kunde ist es ja, daß er das meldet, was ihm gesagt worden ist. Darum wird auch der Priester „Engel“, das ist Überbringer einer Kunde, oder „Bote“ genannt, weil er nicht  sein eigenes verkündet, sondern das, was er von dem hat, der ihn schickt. Dort (in Rom) hatte ja auch Petrus gepredigt; aber das Werk dieses gilt dem Paulus wie sein eigenes, so frei ist er, wie ich oben sagte, von aller Mißgunst.

V. 9: „Denn mein Zeuge ist Gott dem ich diene in meinem Geiste im Evangelium seines Sohnes.“

2.

Aus einem apostolischen Herzen kommen diese Worte, sie bekunden väterliche Fürsorge. Was will der Apostel damit sagen, und weswegen ruft er Gott zum Zeugen an? Von seiner Zuneigung (zu den Römern) war soeben die Rede. Da er sie aber noch niemals gesehen hatte, darum ruft er keinen Menschen zum Zeugen an, sondern den, der in das Innerste des Herzens schaut. Er hatte gesagt, daß er sie liebe, und als Zeichen davon angeführt, daß er beständig für sie beten und daß er zu ihnen kommen wolle; da aber das nicht äußerlich sichtbar war, so nimmt er seine Zuflucht zu einer ganz glaubwürdigen Zeugenschaft. Kann sich wohl einer von uns rühmen, daß er bei seinen Gebeten daheim der vielen gedenke, welche die Kirche bilden. Ich glaube nicht. Aber Paulus betete zu Gott nicht für eine einzige Stadt, sondern für den gesamten Erdkreis, und das nicht einmal oder zweimal oder dreimal, sondern beständig. Jemanden nur beständig im Gedächtnisse haben, kann nicht geschehen ohne große Liebe zu ihm; seiner aber noch im Gebete eingedenk sein und beständig eingedenk sein, bedenke, eine wie große Zuneigung und Liebe dies verrät! Wenn er aber sagt: „Dem ich diene in meinem Geiste, in dem Evangelium seines Sohnes“, so offenbart er uns damit Gottes Gnade und zugleich seine eigene Demut: Gottes Gnade, daß er ihn mit einem so großen Werke betraut hat; seine eigene Demut, weil er nicht seinem Eifer, sondern dem Beistand des Geistes alles zuschreibt. Der Zusatz „in dem Evangelium“ bezeichnet die Art des Dienstes. Es gibt nämlich viele und verschiedene Arten des Dienstes im allgemeinen und des Gottesdienstes im besonderen. Wie bei den Königen zwar alle dem einen Herrscher unterstehen, aber nicht alle denselben Dienst leisten — der eine dient als Heerführer, der andere als Städteverwalter, wieder ein anderer als Schatzmeister —, so ist es auch in geistlichen Dingen: der eine verehrt Gott und dient ihm damit, daß er glaubt und sein Leben gut einrichtet, der andere damit, daß er Fremde gastfreundlich aufnimmt, ein dritter damit, daß er der Armenpflege obliegt. So war es auch bei den Aposteln selbst: Stephanus und die mit ihm waren, dienten Gott durch Witwenfürsorge, ein anderer durch Wortverkündigung. Zu diesen gehörte Paulus, der Gott durch die Missionspredigt verehrte. Bas war seine Art des Dienstes, dazu war er bestellt. Darum ruft er nicht allein Gott zum Zeugen an, sondern er sagt auch, daß er von ihm mit einem Amte betraut worden sei. Darin liegt ein Hinweis, daß er, durch so großes Vertrauen ausgezeichnet, doch nicht den zum Zeugen von Lügen anrufen werde, der ihn mit dem Amte betraut hat. Daneben will er auch anzeigen, daß die Liebe und Sorge für sie seine Pflicht sei. Damit sie nicht sagen können: Wer und woher bist du, daß du sagst, du hättest für eine so große Kaiserstadt Sorge zu tragen? weist er darauf hin, daß diese Sorge für ihn Pflicht sei, da ihm diese Art des Dienstes, das Evangelium zu predigen, aufgetragen sei. Wer einen solchen Beruf hat, der hat die Pflicht, derer zu gedenken, die sein Wort einmal annehmen sollen. Auch deutet er noch etwas anderes an mit den Worten: „in meinem Geiste“; daß nämlich diese Religion viel erhabener sei als die hellenische und die jüdische. Die hellenische ist falsch und sinnlich; die jüdische ist zwar wahr, aber auch sinnlich; die Religion der Kirche aber steht im Gegensatz zur hellenischen und auf einer viel höheren Stufe als die jüdische. Denn nicht durch Schafe und Kälber und Opferrauch und Opferduft geschieht unsere Gottesverehrung, sondern durch die Seele, die ein Geist ist. Das wollte auch Christus ausdrücken, wenn er sprach: „Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geiste und in der Wahrheit anbeten“ 46.

„In dem Evangelium seines Sohnes.“ Oben hat er gesagt, das Evangelium sei das des Vaters, hier  nennt er es das des Sohnes; so nennt er es ohne Unterschied bald des Vaters, bald des Sohnes. Er kannte ja jenes heilige Wort, daß das, was des Vaters ist, auch dem Sohne gehört, und das, was des Sohnes ist, auch dem Vater gehört: „Alles“, heißt es, „was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein“ 47.

„Daß ich ohne Unterlaß eurer gedenke in meinen Gebeten.“ — Das ist echte Liebe. Eines sagt er scheinbar, und vier Dinge legt er hinein: daß er ihrer gedenkt, daß er ihrer ohne Unterlaß gedenkt, daß er ihrer im Gebete gedenkt, und daß es sich dabei um wichtige Dinge handelt.

V. 10: „Und ich bitte, daß ich doch einmal so glücklich sein möge mit Gottes Willen, zu euch zu kommen; denn ich sehne mich, euch zu sehen.“

Siehst du, wie sehr er wünscht, sie zu sehen, und sie doch nicht gegen das Wohlgefallen Gottes sehen will, sondern wie seine Sehnsucht mit Gottesfurcht verbunden ist? Er liebt sie und fühlt sich zu ihnen hingetrieben; und doch, so sehr er sie liebt, will er sie nicht sehen gegen das Wohlgefallen Gottes. Das ist echte Liebe, nicht wie wir lieben, die wir auf beiden Seiten die Schranken der Liebe zu überschreiten pflegen. Denn entweder lieben wir niemanden, oder wenn wir etwa jemanden lieben, so lieben wir dem Wohlgefallen Gottes zuwider und handeln so in beiden Fällen gegen das göttliche Gesetz. Wenn es mißlich ist, das zu sagen, so ist es noch mißlicher, daß es geschieht.

3.

Und wie lieben wir dann dem Wohlgefallen Gottes zuwider? fragt man. — Wenn wir Christus, wie er Hunger leidet, nicht beachten, dagegen übersehen, Kindern, Freunden und Verwandten mehr als nötig verabreichen. Brauche ich mehr davon zu sagen? Wenn jeder sein Gewissen erforscht, wird er auf vielerlei derartige Handlungen stoßen. Aber jener heilige Mann war nicht so; er verstand es sowohl zu lieben, als auch zu lieben, wie es recht ist und wie es sich ziemt; er  übertraf alle im Lieben und überschritt doch nicht die Grenzen der Liebe. Sieh, wie beides überschwenglich in ihm glüht, Furcht Gottes und Sehnsucht nach den Römern. Sein beständiges Beten, mit dem er nicht aussetzte, auch wenn er nicht erhört wurde, war ein Beweis seiner heißen Liebe; sein Bleiben trotz all seiner Liebe, gehorsam dem Winke Gottes, ein Beweis seiner überaus großen Frömmigkeit. Ein andermal, als er dreimal den Herrn um etwas gebeten und es nicht nur nicht empfangen hatte, sondern sogar das Gegenteil, sagte er doch großen Dank dafür, daß er nicht war erhört worden. So war sein Auge in allen Dingen auf Gott gerichtet. Hier jedoch empfing er zwar, aber nicht wann er es haben wollte, sondern später, und er murrte nicht darob. Das sage ich, damit wir nicht mißmutig werden, wenn wir gar nicht Erhörung finden oder erst später. Sind wir ja doch nicht besser als Paulus, der für beides Dank sagt, und das mit Fug und Recht. Nachdem er sich nämlich einmal der alles leitenden Hand übergeben und sich ihrer Fügung unterworfen hatte, wie der Ton dem Töpfer, folgte er Gottes Führung, wohin immer es gehen mochte. Er hat gesagt, daß er sich sehne, die Römer zu sehen, und spricht nun auch den Grund seines Verlangens aus. Welcher ist dies?

V. 11: „Damit ich euch etwas geistige Gabe mitteile zu eurer Stärkung.“

Nicht ohne Zweck, wie heutzutage viele unnötige und zwecklose Reisen machen, wollte er reisen, sondern notwendiger und sehr dringlicher Dinge halber. Ganz ausdrücklich will er aber das nicht sagen, sondern nur andeutungsweise. Er sagt nämlich nicht: Damit ich euch lehre, damit ich euch unterweise, damit ich das noch Fehlende vervollständige, sondern: „Damit ich euch etwas mitteile.“ Er will damit andeuten, daß er ihnen nicht sein Eigenes geben, sondern das mitteilen werde, was er empfangen habe. Und hier wählt er noch einen einschränkenden Ausdruck, indem er spricht: „etwas“. Etwas Weniges, heißt das, und nach dem geringen Maß  meiner Kraft. Und was ist denn dieses Wenige, das du nun mitteilen willst? Das ist, spricht er, „zu eurer Stärkung“.

Also auch das ist Gnade, nicht zu wanken, sondern festzustehen. Wenn du jedoch von „Gnade“ hörst, so meine nicht, daß damit der Lohn der freien Willensentschließung aufgegeben werde. Denn den Ausdruck „Gnade“ gebraucht Paulus nicht, um die Tat der freien Willensentschließung zu mißachten, sondern um dem Stolz auf die eigene Tat einen Riegel vorzuschieben. Werde darum auch nicht kleinmütig, wenn Paulus sie eine Gnadengabe nennt. Denn aus übergroßer Dankbarkeit pflegt er auch die guten Werke „Gnadengaben“ zu nennen, weil uns dazu denn doch auch ein gut Teil Anregung von oben kommt. Durch die Worte: „zu eurer Stärkung“ deutet er versteckt an, daß sie einer starken Zurechtrichtung bedürfen. Was er nämlich sagen will, ist das: Seit langer Zeit schon hatte ich das Verlangen und den Wunsch, euch zu sehen aus keinem anderen Grunde, als um euch fest zu machen, zu stärken und in der Furcht Gottes zu kräftigen, damit ihr nicht immerfort hin und her schwanket. Aber so sagte er es nicht; denn er hätte sie damit zu hart angefaßt. Er gibt es ihnen darum durch eine andere gelindere Wendung zu verstehen; indem er nämlich sagt: „zu eurer Stärkung“ deutet er darauf hin. Weil aber auch das noch schwer erträglich war, mildert er es durch einen Zusatz. Damit sie nämlich nicht sagen könnten: Was? schwanken wir denn, lassen wir uns denn hin und her treiben und bedürfen wir denn deines Zuspruches, um fest zu stehen? nimmt er einen solchen Einwand vorweg, indem er sagt:

V. 12: „Das ist, um in eurer Mitte uns mitsammen zu ermuntern durch unsern wechselseitigen Glauben, den euren und den meinen.“

Wie wenn er sagen wollte: Argwöhnt nicht, als sagte ich das, um gegen euch eine Anklage zu erheben. Nicht so war jenes Wort gemeint; sondern was wollte ich sagen? Ihr habt viele Drangsale auszustehen gehabt von euren Verfolgern; es verlangte mich darum, euch  zu sehen, um euch zu trösten, vielmehr nicht bloß um euch zu trösten, sondern um auch selbst Trost zu schöpfen.

4.