Homilien über den zweiten Brief an die Korinther - Johannes Chrysostomos - E-Book

Homilien über den zweiten Brief an die Korinther E-Book

Johannes Chrysostomos

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Beschreibung

Die beiden Briefe, die an die christliche Gemeinde in Korinth gerichtet waren, sind zusammen mit dem Römerbrief die längsten der paulinischen Episteln. Sie sind von einzigartigem Interesse und besitzen einen besonderen Wert, was auf die enge Bekanntschaft des Apostels mit den Mitgliedern der angesprochenen Gemeinde und deren Umständen zurückzuführen ist. Infolge dieses intimen Charakters bietet der Erste Korintherbrief ein in Fülle und Farbe unerreichtes Bild des Lebens einer paulinischen Gemeinde, während der Zweite Brief, der aus einer starken Emotion heraus geschrieben wurde, eine Offenbarung der innersten Gefühle und des charakteristischen Temperaments des Paulus selbst gibt, wie sie nirgendwo sonst zu finden ist. Da sich beide Briefe mit konkreten Problemen der Moral und mit solchen Tendenzen des Denkens und Lebens befassen, die in allen Zeiten ihre Parallele finden, sind sie voller Belehrungen für die moderne Kirche; und diese Belehrungen werden umso wirksamer, je besser wir die antiken Denkweisen in ihrer Verschiedenheit von den unseren verstehen.

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Homilien über den zweiten Brief an die Korinther

 

JOHANNES CHRYSOSTOMOS

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Homilien über den zweiten Brief an die Korinther, J. Chrysostomos

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849660215

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Erste Homilie.2

Zweite Homilie.12

Dritte Homilie.28

Vierte Homilie.44

Fünfte Homilie.58

Sechste Homilie.68

Siebente Homilie.76

Achte Homilie.91

Neunte Homilie.98

Zehnte Homilie.107

Eilfte Homilie.116

Zwölfte Homilie.125

Dreizehnte Homilie.137

Vierzehnte Homilie.146

Fünfzehnte Homilie.153

Sechzehnte Homilie.164

Siebenzehnte Homilie.172

Achtzehnte Homilie.179

Neunzehnte Homilie.187

Zwanzigste Homilie.196

Einundzwanzigste Homilie.202

Zweiundzwanzigste Homilie.210

Dreiundzwanzigste Homilie.218

Vierundzwanzigste Homilie.232

Fünfundzwanzigste Homilie.240

Sechsundzwanzigeste Homilie.247

Siebenundzwanzigste Homilie.258

Achtundzwanzigste Homilie.266

Neunundzwanzigste Homilie.274

Dreissigste Homilie.286

Fußnoten. 292

 

 

Homilien über den zweiten Brief an die Korinther

 

Bibliographische Angaben:

 

Titel Version: Homilien über den zweiten Brief an die Korinther (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Homilien über den zweiten Brief an die Korinther In: Ausgewählte Schriften des heiligen Chrysostomus, Erzbischofs von Konstantinopeln, Kirchenlehrer. Übersetzt von Alois Hartl. (Bibliothek der Kirchenväter, 1 Serie, Band 72), Kempten 1887. Unter der Mitarbeit von: Uwe Holtmann.

 

 

 

Erste Homilie.

 

I.

 

 Paulus, Apostel Jesu Christi durch Gottes Willen, und Timotheus, der Bruder, an die Kirche Gottes in Korinth und an die Heiligen alle in ganz Achaja. Gnade euch und Friede von Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus! Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und Gott alles Trostes, der uns tröstet in all unserer Drangsal: auf daß auch wir trösten können Die, welche in jeglicher Bedrängnis sind, durch die Ermunterung, mit welcher wir selbst aufgerichtet werden von Gott.

Zuerst ziemt sich die Frage nach den Gründen, aus welchen der Apostel einen zweiten Brief an die Korinther zu dem ersten fügt, und was ihn bewegt, den Ausgang zu nehmen von den Erbarmungen Gottes und dem Troste.  Was ist also die Veranlassung des zweiten Schreibens? Im ersten Briefe hatte Paulus angekündigt: “Ich werde zu euch kommen und kennen lernen nicht das Wort der Aufgeblasenen, sondern die Kraft.” Und am Ende des Schreibens hatte er das Versprechen wiederholt mit den milderen Worten: “Ich werde zu euch kommen, wenn ich Macedonien durchwandert habe; denn über Macedonien will ich gehen; bei euch aber werde ich vielleicht verweilen oder sogar den Winter zubringen.” Inzwischen war nun eine lange Zeit vergangen, ohne daß der Apostel gekommen war; ja trotz des Umflusses der bestimmten zeit ließ er noch immer auf sich warten; denn der göttliche Geist hielt ihn bei andern Arbeiten zurück, die noch weit dringender waren. Daher die Notwendigkeit eines zweiten Schreibens, dessen es bei nur geringer Verspätung nicht bedurft hätte. Doch ist das nicht der einzige Grund. Der erste Brief hatte bessernd auf die Korinther gewirkt. Sie hatten nämlich jenen Unzüchtigen, der vorher in Zunft und Ehre bei ihnen stand, aus Verkehr und Gemeinskchaft gänzlich ausgeschlossen. Das sagen uns die Worte: “Wenn jemand betrübt hat, so hat er nicht mich (allein) betrübt, sondern einigermaßen, damit ich (ihn) nicht beschwere, euch alle. Genug ist für den Mann diese Strafe, die von der Mehrheit ist auferlegt.” Und im Verlauf des Schreibens kommt er nochmals auf diesen Gegenstand zurück. “Denn siehe,” sagt er, “gerade Dieses, daß ihr gottgemäß betrübt wurdet, welche Regsamkeit hat es in euch bewirkt, welche Entschuldigung, welchen Unwillen, ja Furcht und Sehnsucht, ja Eifer und Strafnahme! In Allem habt ihr euch ausgewiesen, daß ihr rein seid in dieser Sache.” Auch waren sie an die anbefohlene Sammlung milder Gaben mit großem Eifer gegangen. Das heben rühmend die Worte hervor: “Ich kenne eure Bereitwilligkeit, wegen  deren ich mich eurer rühme bei den Macedoniern, daß nemlich Achaja mit den Gaben schon in Bereitschaft ist seit dem vorigen Jahre.” Endlich hatte Titus, vom Apostel gesendet, in Korinth die herzlichste Aufnahme gefunden. Das anerkennt der Apostel, wenn er sagt: “Sein Innerstes ist euch jetzt noch mehr zugethan, da er sich vergegenwärtigt die Willfähigkeit von euch allen, wie mit Furcht und Zittern ihr ihn habt aufgenommen.”

  

II.

 

So war denn Timotheus wieder zu seinem Lehrer gekommen und hatte in Gemeinschaft mit ihm die Angelegenheiten in Asien geordnet: denn „ich werde in Ephesus bleiben bis Pfingsten“1 hatte Paulus geschrieben. Dann waren sie mit einander nach Macedonien gegangen, und so finden wir jetzt diese Zusammenstellung leicht begreiflich. Denn dieser zweite Brief ist aus Macedonien, während der erste aus Asien kam. Diese Gleichstellung ist eine hohe Ehre für den Jünger und zeigt die tiefe Demuth des Meisters. Wohl war zwischen Beiden ein großer Abstand, aber die Liebe verbindet Alles. Und so stellt er überall den Timotheus als sich ebenbürtig dar. Bald sagt er: „Wie dem Vater das Kind, so hat er mit mir gedient,“2 und bald: „Das Werk des Herrn wirkt er wie auch ich.“3 Hier nennt er ihn auch „Bruder“, um ihn auf alle Weise den Korinthern ehrwürdig zu machen. Denn derselbe war bereits, wie bemerkt, in Korinth gewesen und hatte Proben seiner Tüchtigkeit gegeben. — „An die Kirche Gottes in Korinth.“ Wiederum (wie im ersten Briefe) nennt er sie Kirche, gläubige Gemeinde, denn er will Alle zusammenschließen und zur Einheit verbinden. Denn wo Spaltung und Zwietracht unter den Gliedern herrscht, da kann nicht von einer Gemeinde die Rede sein. — „Sammt den Heiligen allen in ganz Achaja.“ Damit ehrt er zugleich die Korinther, indem er im Briefe an sie Alle grüßt, und umschließt das ganze Volk mit einem gemeinsamen Bande. „Heilige“ nennt er sie zum Zeichen, daß, wer etwa unrein ist, keinen Theil hat an diesem Gruße. Was mag ihn aber veranlassen, gegen die sonst übliche Weise den Brief an die Mutterkirche für Alle in Achaja gelten zu lassen? Es gilt ja der Brief an die Thessaloniker nicht auch für Macedonien, das Schreiben an die Ephesier schließt nicht das gesammte Asien ein, der Brief an die Römer ist nicht auch an die Bewohner Italiens gerichtet. Nur hier finden wir diese allgemeine Geltung und im Briefe an die Galater; denn auch der wendet sich nicht an die eine oder andere Stadt, sondern an die Gläubigen alle in jenem Lande. So lautet nämlich der Eingang: „Paulus, Apostel nicht von Menschen noch durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott den Vater, und die bei mir sind alle die Brüder, an die Kirchen Galatiens. Gnade euch und Friede!“4 Und auch an die Hebräer in ihrer Gesammtheit richtete er einen Brief, ohne sie nach Städten zu unterscheiden. Warum nun bei diesen eine Ausnahme? Ich glaube, der Grund liegt in der Allgemeinheit der Gebrechen; der Brief gilt darum für Alle, weil Alle der Belehrung bedurften. So zeigten sich bei allen Galatern die gleichen Schäden, so bei allen Hebräern, so wohl auch bei den Bewohnern Achajas. Darum wendet sich der Apostel an das ganze Volk und begrüßt sie alle mit dem üblichen Segenswunsche: „Gnade euch und Friede von Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus!“ Und jetzt höre, wie prächtig zu dem Gegenstande, den er behandeln will, der Eingang paßt: „Gepriesen sei der Gott und Vater unsers Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und Gott alles Trostes.“ Aber wie, sagst du, soll denn Das gar so gut passen? Ganz vortrefflich, sage ich. Erwäge nur! Es betrübte und beunruhigte die Korinther in hohem Grade das lange Fernbleiben des Apostels. Er hatte ja versprochen, zu kommen, und jetzt hatte er die ganze Zeit in Macedonien hingebracht. Andere, mußten sie glauben, gelten mehr als wir. Um nun dieser Unruhe zu begegnen, will er den Grund angeben, warum er nicht kommen konnte. Doch legt er den Grund nicht einfach dar, er sagt nicht etwa: Ich weiß, daß ich versprochen habe, zu kommen, aber schwere Drangsale haben mich gehindert; so seid denn nachsichtig und zeihet mich nicht eines  stolzen oder wandelbaren Sinnes! Die Weise, wie er es angeht, hat etwas mehr Feierliches und Überzeugendes. Denn der Hinweis auf den göttlichen Trost verlegt die Sache auf ein höheres Gebiet und schneidet jede weitere Frage nach der Ursache der Verspätung ab. Der Apostel macht es wie etwa ein Freund, der versprochen hat, zum Freunde zu kommen, und endlich nach einer Unzahl von Gefahren wirklich kommt und also anfängt: Dank sei dir, o Gott, daß ich das liebe Antlitz noch einmal schaue; gepriesen seist du, Gott, der aus solchen Gefahren mir herausgeholfen! Eine solche Lobpreisung wird zur Rechtfertigung und verschließt jedem Tadel über das lange Säumen den Mund. Denn schämen müßte sich ja der Freund, mit dem Freunde, der für die Rettung aus so großen Übeln Gott dankt, zu rechten und Antwort für das späte Kommen zu verlangen. Darum beginnt auch Paulus also: „Gepriesen sei der Gott der Erbarmungen,“ um mit diesen Worten die schweren Gefahren anzudeuten, in die er hineingerathen, und aus denen Gott ihm herausgeholfen. So wählt auch David für den Herrn nach der Verschiedenheit der Gnadenerweisungen verschiedene Benennungen. Spricht er von Kampf und Sieg, so sagt er: „Herzlich lieb’ ich dich, du meine Stärke; der Herr ist mein Schirmer.“5 Redet er von der Befreiung aus Drangsal und aus dem Dunkel, das ihn umfangen, so heißt es: „Der Herr ist mein Licht und mein Retter.“6 Und so wählt er die Bezeichnung bald von der Güte und Milde Gottes, bald von der Heiligkeit, bald von der unbestechlichen Gerechtigkeit, entsprechend der Lage, in der er eben betet. So nimmt denn auch Paulus hier die Benennung von der erbarmenden Güte. „Der Gott der Erbarmungen“ sagt er, der Gott, welcher gegen uns solches Erbarmen erwiesen, daß er hart von den Schwellen des Todes weg uns heraufgeführt hat zu neuem Leben.

 

  

III.

 

Solches Erbarmen ist eine ganz besondere und ausnehmende Eigenschaft Gottes, mit seinem Wesen unzertrennlich verbunden. Darum nennt er ihn: „Gott der Erbarmungen.“ Und wie groß steht wieder vor uns die Demuth des Apostels! Denn obschon seine Gefahren im Dienste des Evangeliums waren, so schreibt er doch die Rettung nicht der eigenen Würdigkeit zu, sondern den Erbarmungen Gottes. Doch darüber ausführlicher in der Folge. Für jetzt fährt er fort: „der uns tröstet in all unserer Drangsal.“ Es heißt nicht: der uns vor Bedrängniß bewahrt, sondern: „der in der Drangsal uns tröstet.“ Auf diese Weise offenbart sich die göttliche Macht und mehrt sich in den Bedrängten die Geduld. Denn „die Bedrängniß wirkt Geduld“.7 So sagt auch der Prophet: „In der Drangsal hast du Weite mir gemacht.“8 Er sagt nicht: Du hast mich nicht in Drangsal gerathen lassen; nicht: Du hast die Drangsal schnell vorübergehen lassen; sondern: Während der Dauer der Drangsal hast du Weite mir gemacht, das heißt weiten Raum mir bereitet und große Erquickung. So sehen wir es auch bei den drei Jünglingen. Gott ließ es zu, daß sie in den Feuerofen sanken; es loderten die Flammen; aber mitten in den Gluten hat er kühle Stätte ihnen bereitet.

So pflegt Gott immer zu verfahren. Das meint Paulus, wenn er sagt: „Der uns tröstet in jeglicher Drangsal.“ Aber noch etwas Anderes will er mit diesen Worten zeigen. Und was ist Dieses? Daß nämlich Gott nicht das eine oder andere Mal, sondern immerfort tröstet. Denn nicht gewährt Gott bald Trost und läßt er bald (ohne Trost) gehen, sondern immer und ohne Unterbrechung währt der Trost. Darum sagt Paulus: „der uns tröstet,“ nicht: der uns getröstet hat; darum sagt er: „in jeglicher Drangsal,“ nicht: in der einen oder andern. — „Auf daß auch wir trösten können Die, welche in jeglicher Bedrängniß sind, durch die Ermunterung, mit welcher wir selbst aufgerichtet werden von Gott.“ Siehst du, wie er seine Rechtfertigung einleitet und dem Hörer den Gedanken an eine große Drangsal nahe legt? Und wie bescheiden weiß er wieder sich auszudrücken! Diese Erbarmung, sagt er, ist uns geworden, nicht weil wir es verdient haben, sondern zum Heil und Segen für Andere. Gott hat uns getröstet, damit wir Andere trösten. Wie groß steht doch das Bild der Apostel vor unseren Augen! Da sehen wir nach Trost und Linderung kein schlaffes Hinsinken wie bei uns, sondern alsbald neues Erheben, um in Anderen Kraft und Muth zu stärken. — Manche erklären diese Stelle auch so: In unserem Troste fühlen sich auch Andere getröstet. — Dieser Eingang hat, wie mir dünkt, auch den Nebenzweck, die falschen Apostel zu treffen mit ihrem nichtigen Rühmen und ihrem gemächlichen, genußsüchtigen Leben. Doch bleibt die eigentliche Absicht die Rechtfertigung wegen der langen Verzögerung. Denn wenn wir, sagt er, aus dem Grunde getröstet werden, um wieder Andere zu trösten, was wollt ihr mein Ausbleiben tadeln? Die ganze Zeit mußte ich ja damit hinbringen, mich der Nachstellungen, der Angriffe, der Schrecken zu erwehren, die auf mich eindrangen.

5. Denn so, wie überreichlich sind die Leiden Christi in uns, so ist auch überreichlich durch Christus unser Trost.

Das starke Hervorheben der widrigen Begegnisse konnte vielleicht entmuthigend auf die Schüler wirken. Darum sucht Paulus ihre Herzen wieder aufzurichten durch den Hinweis auf die Fülle des Trostes und noch mehr durch die Erinnerung an Christus und die Bezeichnung der eigenen Leiden als Christi Leiden. Damit nennt er eine  Quelle des Trostes, die in den Leiden selbst ihren Ursprung hat, noch vor der Tröstung durch Gott. Denn was kann süßer, was trostreicher sein als der Gedanke, Christo im Leiden gleichförmig zu werden, um Christi willen alles Schwere zu erdulden? Und noch ein besonderes Wort ist gar geeignet, ein freudiges Bewußtsein in den Bedrängten zu erwecken. Und welches ist dieses? Das Wort „überreichlich“. Denn er sagt nicht: Sowie auf uns eindringen die Leiden Christi, sondern: „Sowie überreichlich sind.“ Unsere Leiden, will er sagen, sind groß gleich den Leiden Christi, ja sie sind größer. Erwäge nur! Bedrängt und verfolgt wurde Christus, Geißlung und Tod hat er gelitten. Wir aber, sagt Paulus, mehr als Dieses: ein Gedanke, der allein schon genugsam trösten könnte. Und dieses Wort möge Niemand vermessen finden! Denn auch an einer anderen Stelle sagt Paulus: „Jetzt freue ich mich in meinen Leiden und mache voll, was noch übrigt an den Bedrängnissen Christi, an meinem Fleische.“9 Aber keine dieser beiden Stellen verräth eine Spur von Überschätzung oder Vermessenheit. Die Apostel haben größere Zeichen gewirkt als Christus, gemäß der Vorhersagung: „Wer an mich glaubt, wird größere Zeichen als diese thun;“10 aber Alles geht zurück auf Christus, der in ihnen wirksam ist. Und so haben sie auch mehr ausgestanden als Christus, aber wieder ist Alles Werk Christi, der ihnen Trost und Kraft verleiht, alle Schrecknisse zu überwinden.

  

IV.

 

Doch fühlt Paulus, er habe ein großes Wort ausgesprochen, und einschränkend fügt er bei: „So ist auch durch Christus überreichlich unser Trost.“ Alles führt er auf Christus zurück, von Allem nimmt er Anlaß, die Güte Christi zu preisen. Hoch über dem Maße des Leidens, sagt er, steht das Maß des Trostes. Denn es heißt nicht: Trost und Leiden stehen im Gleichgewicht, sondern: „Überreichlich ist der Trost.“ Was kann es auch Herrlicheres geben, als um Christi willen mit Ruthen gepeitscht zu werden, dagegen mit Gott zu verkehren, gegen alle Feinde Stand zu halten, über alle Dränger zu obsiegen, einer ganzen Welt unbezwinglich zu sein und vom Himmel eine Seligkeit zu erwarten, die kein Auge gesehen, kein Ohr gehört, die in keines Menschen Herz gekommen! Was kann wünschenswerther sein, als um der Frömmigkeit willen Verfolgung zu leiden, dagegen von allen Sünden gereinigt, des heiligen Geistes, der Heiligung und Rechtfertigung theilhaftig zu werden, vor Niemand zu fürchten und zu zittern und erhaben über Alle dazustehen mitten in der Gefahr! Lassen wir darum in den Prüfungen den Muth nicht sinken! Denn Keiner hat Antheil an Christus, der das Vergnügen, den Schlaf und die Gemächlichkeit liebt, der ein weichliches, gemüthliches Leben führt. Aber wem Leid und Trübsal das tägliche Brod ist, der steht dem Herrn nahe. Das ist der Weg, den auch Christus gegangen. Denn „der Sohn des Menschen hat nicht, wohin er das Haupt legen soll.“11

Darum laß dir deine Trübsale nicht nahe gehen! Bedenke, wer Der ist, dem du gleichförmig wirst; erwäge, welche Kraft der Reinigung in den Prüfungen liegt und wie groß der Gewinn ist! Eine eigentliche Qual liegt einzig in der Beleidigung Gottes. Ausser der Sünde aber kann Nichts, weder Drangsal und Verfolgung noch irgend ein Mißgeschick die weise Seele betrüben. Wie ein kleiner Funke in ein großes Wasser geworfen augenblicklich erlischt, so verweht auch alsbald selbst die schwerste Trübsal, wenn sie ein reines Gewissen findet. Darum lebte Paulus immer in Freude. Denn bei Gott wußte er sich in Gnade, und die schweren Leiden achtete er kaum. Wenn er auch als Mensch den Schmerz fühlte, so konnte ihm doch kein  Leid jemals den Muth beugen. So war auch der Patriarch Abraham immer voll Freude. Und was kam nicht Alles über ihn! Höre nur! Aus seinem Lande mußte er ziehen, lange und beschwerliche Wanderungen bestehen; und angekommen im fremden Lande wußte er nicht, wohin er den Fuß setzen sollte. Dann kam die Hungersnoth und zwang ihn wieder zum Wanderstabe. Dem Hunger folgte die Wegnahme der Gattin und die Furcht vor dem Tode; die Kinderlosigkeit, Krieg, Gefahren und Überfälle, und zuletzt setzte eine Prüfung allen die Krone auf, die Opferung des einzigen, geliebten Sohnes, so voll bitteren, unheilbaren Schmerzes. Wohl hat er willig gehorcht; aber darum darfst du nicht glauben, es sei ihm all Das so leicht geworden. Denn mochte seine Gerechtigkeit noch so groß sein, wie sie es wirklich war, so blieb er doch ein Mensch, und das Gefühl machte seine Rechte geltend. Aber sein Muth blieb stets ungebeugt. Gleich einem edlen Wettkämpfer stand er aufrecht da, und jeder neue Kampf brachte ihm neue Kronen. So sah auch der selige Paulus Tag für Tag Wolken von Drangsalen auf sich eindringen, aber in seiner Seele war Freude und Frohlocken, als genöße er die Wonnen des Paradieses. Ja, wer diese geistige Freude im Herzen trägt, den bewahrt sie vor jedem Kleinmuth; wer sie nicht hat, den beugt Alles nieder; er gleicht einem Kämpfer in schlechter Rüstung, dem der erste beste Hieb eine Wunde schlägt. Wer aber ringsum fest umschirmt ist, an dem prallt jedes andringende Geschoß machtlos ab. Stärker als jede Rüstung ist die Freude in Gott; wer sie besitzt, der kann Alles ertragen, Nichts kann ihn verzagt und traurig stimmen. Was ist wohl schlimmer denn Feuer, was quälender als andauernde Folter? Für die Empfindung ist das ein größerer Schmerz als der Verlust der Habe, der Kinder, als die Einbuße von Allem, was lieb und werth ist. Denn „Haut um Haut und Alles, was der Mensch hat, gibt er für sein Leben.“12

 Die körperliche Qual ist von allen die schwerste. Aber was für das bloße Hören schon unerträglich ist, das wird leicht und lieb durch die Freude in Gott. Nimmst du einen Märtyrer, der kaum noch athmet, vom Pfahle oder aus der Glutpfanne weg, so wirst du eine Freude in ihm finden, die sich gar nicht aussprechen läßt. — Aber was soll ich denn leiden? sagst du; zum Marterthum ist ja jetzt nicht die Zeit. Wie meinst du? Zum Marterthum ist immer Gelegenheit, sie liegt, wenn wir’s verstehen, beständig vor unsern Augen. Denn nicht das Hängen am Pfahle allein macht den Märtyrer, sonst müßte selbst ein Job auf diesen Ruhm verzichten. Denn er hat kein Richthaus betreten, keines Richters Drohen gehört, keinen Henker gesehen; es wurde ihm nicht, während er hoch am Pfahle hing, von den Seiten das Fleisch gerissen. Aber doch haben so Arges wie er viele Märtyrer zusammen nicht ausgestanden. Denn die Worte der sich auf dem Fuße folgenden Boten verwundeten und zerrissen sein Inneres schmerzlicher als irgend eine Wunde, und qualvoller als tausend Henker zernagten ihm die gefräßigen Würmer ringsum den Leib.

  

V.

 

Welchem Märtyrer nun kann sich Job nicht würdig an die Seite stellen? Gewiß unzähligen! Denn Alles, Habe und Kinder, der eigene Leib, die Gattin, Freunde und Feinde, die Hausgenossen (denn auch diese spieen ihm in’s Angesicht), Hunger und Träume, Schmerzen und Pestgeruch. Alles zwang ihn zum Kampfe, und in jedem Kampf ward er Sieger. Darum sage ich, daß er nicht einem oder zwei oder drei, sondern unzähligen Märtyrern sich gleich stellen kann. Denn ausser dem Gesagten erhöht auch die Zeit, in der er lebte, den Glanz seiner Siege. Seine Leiden fielen ja in die Zeit vor dem Gesetze und vor der Gnade, sie dauerten viele Monate lang und überstiegen alles Maß, und zu gleicher Zeit drangen die Schrecken alle auf ihn ein. Jeder einzelne der Schläge, die ihn trafen, wäre kaum zum Aushalten, selbst der, welcher noch am  erträglichsten erscheint, der Verlust des Vermögens. Viele wenigstens gibt es, die lieber Wunden ertragen als den Verlust der Habe, die lieber Streiche aushalten und Alles, was hart ist, als eine Einbuße am Vermögen. So ist nun das wieder ein Marterthum in anderer Form, solchen Verlust starkmüthig zu ertragen. Aber wie bringe ich Das zu Stande? frägst du. Wenn du lernst, daß du durch ein ewiges Wort mehr gewinnst, als du verloren hast, durch das Wort der Danksagung. Wenn wir nämlich bei der Nachricht vom Verluste nicht ausser Fassung kommen, sondern sprechen: Gepriesen sei Gott! so haben wir größeren Reichthum gefunden. Denn du magst all deinen Reichthum für die Dürftigen verwenden, du magst selbst umhergehen und die Armen aussuchen und an die Hungernden deine ganze Habe vertheilen, so reiche Frucht wie aus diesem einen Worte wirst du nicht ärnten. Auch den Job bewundere ich weniger darum, weil er den Nothleidenden sein Haus geöffnet, als ich ihn anstaune und preise, weil Der den Raub seiner Habe mit Danksagung hingenommen. Das Gleiche gilt vom Verluste der Kinder. Auch da wirst du keinen geringeren Lohn empfangen als der Patriarch, der seinen Sohn zur Opferung führte, wenn du dein Kind am Sterben siehst und dem gütigen Gotte dankst. Denn in was sollte ein solcher Vater dem Abraham nachstehen? Dieser sah den Sohn nicht todt zu seinen Füßen, es blieb bei der Erwartung. Wenn er Das voraus hat, daß er entschlossen war, den Sohn zu opfern, so steht er darin nach, daß hier das Kind wirklich todt ist. Dem Abraham brachte Trost der Gedanke, daß er Großes vollbringe, und daß die hochherzige That das Werk seines eigenen Heldenmuthes sei. Hier aber fällt all Dieses weg. Wahrlich eine Seele von Erz gehört dazu, den einzigen Sohn, der im Überflusse ausgewachsen, der zu den schönsten Hoffnungen berechtigte, vor dem offenen Grabe hingestreckt zu sehen und den Gleichmuth zu bewahren. Wenn ein solcher Vater den ersten Aufruhr seines Innern beschwichtigt hat und dann ohne  Thräne im Auge das Wort des Job wiederholt: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen,“ so verdient er um dieses einen Wortes willen neben Abraham gestellt und wie Job gepriesen zu werden. Und wenn er noch dem Wehklagen der Frauen wehrt und die Reihen der Klageweiber löst und zu gemeinsamer Lobpreisung Alle hinreißt, so wird er vom Himmel und von der Erde den ersten Kranz empfangen: es bewundern ihn die Menschen, die Engel jauchzen Beifall, und Gott reicht die Krone.

  

VI.

 

Aber wie kann ich, sagst du, mich der Trauer erwehren und Mensch bleiben? Wenn du bedenkst, wie weder der Patriarch gewehklagt hat noch Job; und sie waren doch auch Menschen; und sie lebten vor dem Gesetze und vor der Gnade und den großen Lehren der Weisheit, die aus diesen Quellen fließen. Wenn du ferner beherzigst, wie dein Kind in ein besseres Land gegangen und zu einem edleren Loose sich aufgeschwungen, wie du den Sohn nicht verloren, sondern an sicherer Stätte geborgen hast. Sage darum nicht: Jetzt heiß’ ich nimmer Vater. Warum denn nimmer Vater, wenn dein Sohn lebt? Du hast ja dein Kind nicht verloren, den Sohn nicht eingebüßt. Eher hast du ihn bekommen, und um so sicherer gehört er dir an. Vater heissest du nicht mehr bloß auf Erden, sondern auch im Himmel. Den Namen Vater hast du nicht verloren, sondern in höherem Grade gewonnen. Denn Vater wirst du fernerhin genannt werden nicht eines sterblichen, sondern eines unsterblichen Sohnes, eines edlen Kämpfers, der für immer vor dem Könige steht. Und wähne nicht, der Sohn sei für dich verloren, weil du ihn nicht mehr siehst! Denn wäre er etwa in ein fremdes Land gegangen, so hätte ja auch die leibliche Trennung die Bande des Blutes nicht zerrissen. Schaue darum nicht auf’s erstorbene Antlitz, sonst wird neu der Schmerz; sondern von der todten Hülle erhebe zum Himmel deine Gedanken. Nicht dieser entseelte Leib ist dein Sohn, sondern Der, welcher wie mit Flügeln sich emporgeschwungen hat zu unermeßlicher Höhe. Und wenn du das erloschene Auge siehst und den entstellten Mund und den regungslosen Leib, so denke nicht bei dir selbst: Jetzt redet nimmer dieser Mund, nimmer schauen diese Augen, nimmer wandeln diese Füße; Alles verfällt rasch der Auflösung. Sage lieber: Dieser Mund wird besser reden, diese Augen Größeres schauen, diese Füße über Wolken schreiten, der verwesliche Leib wird mit Unsterblichkeit sich umkleiden, und herrlicher bekomme ich den Sohn wieder. Und wenn Das, was das Auge schaut, dich zur Trauer stimmt, so sprich zu dir selbst: Ein Gewand ist es, das er abgelegt hat, um es kostbarer zurückzuerhalten; ein Haus ist es, das abgebrochen wurde, um glänzender wieder zu erstehen. Es ist, wie wenn wir ein Haus abbrechen wollen. Da lassen wir die Inwohner auf einige Zeit ausziehen, damit Staub und Lärm ihnen nicht lästig werde. Ist aber das Gebäude wieder fest hergestellt, so führen wir sie zuversichtlich zurück. Ebenso hat Gott das gebrechliche Zelt niedergelegt und für diese Zeit den Sohn zu sich in’s väterliche Haus genommen; er wird die abgebrochene Hütte einst wieder aufrichten und prachtvoller zurückgeben. Sage darum nicht: Jetzt ist es aus mit dem Sohne für immer! So mögen Ungläubige reden. Du sollst also sprechen: Er schläft und steht einst wieder auf, er ist in ein fernes Land gegangen und kehrt einst wieder mit dem himmlischen Könige. Und wer sagt uns Das? Der, aus dessen Munde Christus spricht. Dieser sagt: „Wenn wir glauben, daß Jesus gestorben und wieder auferstanden ist zum Leben, ebenso wird Gott auch die Entschlafenen durch Jesus herbeiführen mit ihm.“13 Wenn du darum den Sohn suchst, so suche ihn dort, wo der König, wo die Schaaren der Engel; nicht im Grabe, nicht auf Erden; du möchtest sonst, während der Sohn so hoch erhoben ist, dich hinschleppen auf der niedrigen Erde. —

 Wenn nun das unsere Gedanken sind, so werden wir leicht über jeden derartigen Schmerz hinwegkommen. Der Vater der Erbarmungen aber und der Gott alles Trostes wird trösten unser aller Herzen, Derer, die von solcher Trauer, und Derer, die von anderem Kummer gebeugt werden. Er möge uns gewähren, frei von allem Kleinmuth geistige Freude zu genießen und einst der himmlischen Seligkeit theilhaftig zu werden, zu welcher wir alle gelangen mögen durch die Gnade und Güte unseres Herrn Jesus Christus, mit welchem dem Vater zugleich mit dem heiligen Geiste Ruhm, Macht und Ehre jetzt und immer und für ewige Zeiten. Amen.

 

 

 

 

 

Zweite Homilie.

 

I.

 

6. Sei es daß wir bedrängt werden, so ist es zum Besten eures Trostes und Heiles, welches gewirkt wird im Ertragen derselben Leiden, die auch wir dulden; und unsere Hoffnung ist fest in Bezug auf euch.

Der Apostel hat bisher eine und zwar die reichste Quelle des Trostes im Leiden genannt, nämlich die Gemeinschaft mit Christus. Eine weitere Quelle, zu der er jetzt übergeht, ist das Heil, welches den Schülern aus den Leiden des Lehrers erwächst. Lasset darum, so ermahnt er sie, bei unseren Bedrängnissen den Muth nicht sinken, verscheuchet Unruhe und Furcht; ja eher sollen gerade unsere Leiden euere Zuversicht stärken. Denn würden wir den Trübsalen aus dem Wege gehen, so wäre es zu euer aller Verderben. Hätten wir nämlich aus Gemächlichkeit und Furchtsamkeit euch das Evangelium nicht verkündet, so daß ihr zur rechten Erkenntniß gelangen konntet, so stünde es schlimm mit eurem Heile. Hier sehen wir wieder die Kraft und Rüstigkeit seines Geistes. Denn was die  Korinther mit Unruhe erfüllte, das weiß er in eine Quelle des Trostes zu verwandeln. Denn je heftiger, sagt er, gegen uns die Stürme sich erheben, desto fester und froher müssen euere Hoffnungen werden; denn in gleichem Schritte mehren sich die Voraussetzungen eueres Heiles und Trostes. In der That, wirksamer konnte der Apostel sie nicht trösten, als wenn er sie an die erhabenen Güter erinnerte, die ihnen aus dem Evangelium zugeflossen! Aber sogleich befürchtet er, sein eigenes Verdienst um ihr Heil in ein zu helles Licht zu setzen; darum beeilt er sich, auch ihren Antheil gebührend hervorzuheben. Denn auf die Worte: „Sei es daß wir bedrängt werden, so ist es zum Besten eueres Trostes und Heiles“ läßt er unmittelbar folgen: „welches gewirkt wird im Ertragen der gleichen Leiden, die auch wir dulden.“ Klarer spricht er den Gedanken im nächsten Verse aus, wenn er sagt: „Sowie ihr Theil nehmet an meinen Leiden, so auch an der Tröstung.“ Hier deutet er diese Theilnahme nur einstweilen an, indem er redet vom Ertragen der gleichen Leiden. Was er aber sagen will, ist Dieses: Wir verkünden unter Verfolgung das Wort Gottes; denn wir müssen mittheilen, was wir empfangen haben; ihr aber, die ihr die Lehre aufnehmet, müßt unsere Schicksale theilen, wenn ihr anders das Dargebotene euch aneignen und nicht wieder verlieren wollt. Was kann wohl, frage ich, mit dieser Demuth des Apostels sich vergleichen? Die Korinther standen so tief unter ihm, und doch sagt er: Im Dulden steht ihr auf derselben Stufe wie ich; ihr ertraget die gleichen Leiden. Denn nicht auf die bloße Annahme des Glaubens gründet ihr euer Heil, sondern auch auf Gleichheit und Gemeinschaft mit unserem Leiden. —

Ein Faust- und Ringkämpfer erregt Bewunderung durch seine bloße Erscheinung und Haltung, selbst wenn seine Kunst noch in ihm ruht. Wenn er aber seine Kraft entfaltet und wuchtige Schläge austheilt und aushält, so strahlt er im höchsten Glanze; denn jetzt schafft seine Stärke  und Gewandtheit sich Geltung und offenbart sich der wahre Werth seiner Kunst. Gerade so ist es mit dem Heile. Denn es wird in höherem Grade dann gewirkt, das heißt geoffenbart, gemehrt, gesteigert, wenn wir zu leiden haben und Alles starkmüthig ertragen. Wirkung des Heiles ist also Übles leiden, nicht Übles thun. Und Paulus sagt nicht: Das Heil, welches ihr wirkt, sondern: „Das Heil, welches gewirkt wird.“ Er will nämlich zeigen, daß ausser ihrer eigenen Bereitwilligkeit Vieles der in ihnen wirksamen Gnade zukomme. — „Und unsere Hoffnung ist fest in Bezug auf euch.“ Mag nämlich über euch kommen, was da will, wir haben die feste Zuversicht, daß Nichts, selbst nicht euere eigenen Bedrängnisse euch irre machen werden. Ja so ferne liegt uns der Gedanke, es möchten die Trübsale, die über uns kommen, euch verwirren, daß sogar die Gefahren, in die ihr etwa selbst gerathet, uns ohne Besorgniß lassen. Siehe den reichen Gewinn aus dem ersten Briefe! Den Korinthern gibt Paulus ein viel schöneres Zeugniß als den Macedoniern, denen er doch allenthalben in diesem Schreiben so hohes Lob spendet. Für Diese ist er nicht ohne Sorge. Das ersehen wir aus seinen Worten: „Ich habe zu euch den Timotheus gesendet, damit er euch befestige und mahne wegen eueres Glaubens, auf daß Niemand wankend werde bei diesen Drangsalen; denn ihr selbst wißt, daß es so unsere Bestimmung ist.“14 Und wieder: „Darum habe ich, da ich es nicht mehr aushielt, (ihn) gesendet, um Kunde zu erlangen von euerem Glauben, ob nicht etwa der Versucher euch versucht hat und unsere Mühe möchte vereitelt werden.“ Aber das gerade Gegentheil von den Korinthern: „Unsere Hoffnung ist fest in Bezug auf euch.“

 * 7. Sei es daß wir getröstet werden, so ist es zu Gunsten eueres Trostes und Heiles,indem wir wissen, daß wie ihr Theil nehmt an den Leiden, so auch an der Tröstung.*

Daß die Drangsale der Apostel wegen der Gläubigen seien, das hat Paulus eben gezeigt mit den Worten: „Sei es daß wir bedrängt werden, so ist es zum Besten eueres Trostes und Heiles.“ Jetzt will er zeigen, daß sie den Gläubigen auch den Trost zu verdanken haben. Auf Dieses haben schon gleich Anfangs, wenn auch weniger bestimmt, die Worte hingewiesen: „Gepriesen sei Gott, der uns tröstet in jeglicher Drangsal, auf daß auch wir trösten können Die, welche in jeglicher Bedrängniß sind.“ Hier nun wiederholt er in anderer Wendung diesen Gedanken und bringt ihn deutlicher und wirksamer zum Ausdrucke, wenn er sagt: „Sei es daß wir getröstet werden, so ist es zu Gunsten eueres Trostes.“ Damit will er sagen: Unser Trost wird für euch zur Erquickung, selbst abgesehen von unserem aufmunternden Worte. Wenn wir nur ein bißchen aufathmen, so fühlt ihr euch schon erleichtert, und wenn wir Trost empfangen, so ist das auch für euch eine rechte Freude. Denn wie ihr meine Leiden als euere eigenen betrachtet, so auch meinen Trost. Denn wenn ihr schon das Bittere mit mir theilt, warum nicht um so lieber das Süße? Und wenn ihr nun Alles, Freude und Leid, mit mir gemeinsam habt, was tadelt ihr mein langes Säumen? Zu euerem Besten sind ja die Bedrängnisse (die mich zurückgehalten); und auch den Trost habe ich euch zu verdanken. Es könnte ihnen nämlich schwer fallen, wenn sie hörten: Ihr seid der Anlaß meiner Leiden; darum fügt er bei: Ihr seid auch die Ursache meiner Tröstung. Und auch in den Gefahren, sagt er, fühle ich mich nicht verlassen; denn „ihr nehmt Theil an den gleichen Leiden.“

  

II.

 

So gibt der Apostel seiner Rede eine gar milde Wendung, wenn er sie Antheil nehmen läßt an seinen Verfolgungen und ihnen den Grund seines Trostes zuschreibt. So mögen sich denn, will er sagen, gegen uns Angriffe erheben, wie sie wollen, ihr dürft guten Muth haben; denn Das leiden wir zur Stärkung eueres Glaubens. Und wenn wir Trost empfangen, so dürft ihr auch dessen euch freudig rühmen; denn euch verdanken wir diese geistige Erhebung, so daß auch daher einige Linderung euch erwächst, indem ihr Theil nehmt an meiner Freude. Daß aber der Apostel gegenwärtig die Art des Trostes im Auge hat, welche ihm durch die liebevolle Theilnahme der Korinther und die Nachricht von ihrem eigenen glücklichen Zustande bereitet wurde, das zeigen uns klar die jetzt folgenden Worte: „Indem wir wissen, daß, wie ihr Theil nehmt an den Leiden, so auch an der Tröstung.“ Denn wie meine Verfolgungen, sagt er, euch nahe gehen, als würden sie euch selbst treffen, so bin ich überzeugt, daß ihr auch meinen Trost mitzufühlen glaubt. Was kann sich wohl einer solchen Demuth gleichstellen? Des Paulus Drangsale hatten nicht Maß noch Ende; die Korinther hatten nicht einmal den geringsten Theil davon auszustehen, und trotzdem nennt er sie Genossen seiner Leiden; und beim Troste rechnet er den ganzen Grund ihnen zu, nicht den eigenen Mühen.

8. Denn wir wollen nicht, daß euch unbekannt sei, Brüder, die Drangsal, die uns begegnet ist in Asien.

Dieses sagen wir, spricht er, damit euch meine üblen Erlebnisse nicht unbekannt bleiben; denn wir wünschen, daß ihr um all meine Sachen wißt, und legen darauf großen Werth. So spricht die Liebe des Herzens. Was aber den Gegenstand selbst betrifft, so hat der Apostel auf denselben schon hingedeutet im ersten Briefe, wenn er schreibt: „Eine Thüre ist nur geöffnet, groß und wirkungsreich, und der  Widersacher sind viele in Ephesus.“15 Jetzt erinnert er an diese Worte, und indem er berichten will, was ihm widerfahren, sagt er: „Wir wollen nicht, daß euch unbekannt sei die Drangsal, die uns begegnet ist in Asien.“ In der gleichen Absicht hatte er den Tychicus nach Ephesus gesendet und in dem Schreiben gesagt: „Damit auch ihr wißt, wie es um mich steht, wie ich mich befinde, so wird euch Alles kund machen Tychicus, der geliebte Bruder; Diesen habe ich gerade zu dem Zwecke geschickt, damit ihr inne würdet, wie es mir ergeht, und damit er tröste euere Herzen.“16 Und so finden wir es auch in anderen Briefen. Solche Mittheilungen sind aber gewiß nicht überflüssig, sondern sogar sehr nothwendig. Zu diesen drängte den Apostel theils die Innigkeit seiner Liebe und theils die endlose Kette der Bedrängnisse; da war es nun ein großer Trost, um die gegenseitigen Schicksale zu wissen; denn ging es dem einen Theile schlimm, so konnte der andere sich zu gleichem Kampf und zu größerer Vorsicht bereiten; ging es aber dem einen Theile wohl, so konnte der andere die Freude theilen. Hier nun berichtet der Apostel Beides zugleich, Gefahr und Rettung, indem er sagt: „Daß über die Maßen wir beschwert wurden, über Vermögen, so daß wir sogar am Leben verzagten.“ Es ist eine Beschwerniß wie bei einem Fahrzeuge, das unter seiner Last zu versinken droht. Anscheinend sagen die Worte: „über die Maßen“ und: „über Vermögen“ ganz das Gleiche; aber doch ist eine Verschiedenheit. Es könnte nämlich Jemand sagen: Groß mag die Gefahr wohl gewesen sein, aber nicht zu groß für dich. Darum setzt Paulus bei: Sie war nicht nur groß, sondern ging über unser Vermögen, und zwar in dem Grade, daß wir sogar am Leben verzagten, das heißt uns weiter keine Hoffnung mehr auf das Leben machten. Was David Pforten der Unterwelt nennt und Wehen und  Schatten des Todes, das hat hier Paulus im Auge, wenn er sagt: Eine Gefahr haben wir bestanden, die den unvermeidlichen Tod im Schooße trug.

9. Ja wir selbst hatten in uns die Verurtheilung zum Tode, damit wir nicht auf uns vertrauen, sondern auf Den, der die Todten auferweckt.

Was ist denn unter dieser „Verurtheilung zum Tode“ gemeint? Es ist, wie wenn die Richter abstimmen, verurtheilen, und der nahe Tod bevorsteht. Denn das war die Stimme, sagt er, welche die Lage der Dinge vernehmen ließ, so das Urtheil, welches der Gang der Ereignisse fällte: Es kostet uns jedenfalls das Leben. Aber zur Ausführung, auf die wir schon gefaßt waren, kam das Urtheil nicht. Die ganze Lage der Verhältnisse hatte das Urtheil wohl ausgesprochen, aber die Macht Gottes hinderte die Vollziehung, so daß es bei unserer Vorstellung und Erwartung sein Bewenden hatte. Denn in uns, sagt er, hatten wir die Verurtheilung zum Tode, nicht als wäre sie wirklich vollzogen worden. Und warum denn eine Gefahr, die uns alle Hoffnung benahm? „Damit wir nicht auf uns vertrauen, sondern auf Gott.“

  

III.

 

Dieses sagt der Apostel nicht etwa, als hätte er selbst auf sich vertraut, durchaus nicht, sondern was er von sich sagt, soll Anderen zur Lehre dienen und zugleich seiner Bescheidenheit Ausdruck geben. So sagt er auch einmal in der Folge: „Gegeben wurde nur ein Pfahl meinem Fleische, das ist die Verfolgungen, damit ich mich nicht überhebe.“17 Gott der Herr aber nennt für seine Zulassung einen anderen Grund, nämlich das stärkere Hervorleuchten der göttlichen Macht. Denn der Herr sprach: „Es genügt dir meine Gnade; denn meine Kraft entfaltet ihre volle Wirksamkeit in der Schwachheit.“ Aber so ist es die gewohnte Weise des Paulus, daß er immer unter den Minderen seinen Platz wählt, wenn diese auch noch so sehr der Führung und Belehrung bedürfen. Denn wenn schon gewöhnliche Menschenkinder durch die eine oder andere Heimsuchung zur Einsicht ihrer Schwäche kommen, wie sollte Paulus, der mehr als alle Menschen sein Leben lang die Demuth geübt, der geduldet hat, was nie ein Sterblicher, wie sollte er nach so vielen Jahren, bei einer Weisheit würdig der Himmel solch eine Mahnung nöthig haben? Nein, es ist nur Kundgebung der Demuth und zugleich eine Beschämung des hochmüthigen Prahlens seiner Gegner, wenn er sagt: „Damit wir nicht auf uns vertrauen, sondern auf Gott.“ Und wie herzgewinnend ist seine Rede! Denn die Drangsale, sagt er, ließ Gott über uns kommen um euretwillen; so viel geltet ihr bei Gott; denn „sei es daß wir bedrängt werden, so ist es wegen eueres Trostes und Heiles.“ Aber das Übermaß hat in uns selbst den Grund; es soll uns vor Selbstvertrauen bewahren. „Denn über die Maßen sind wir beschwert worden, über Vermögen, damit wir nicht auf uns selbst, sondern auf Gott vertrauen, — welcher die Todten auferweckt.“ Mit diesen letzteren Worten erinnert der Apostel wieder an die Lehre von der Auferstehung, die er im ersten Briefe so ausführlich behandelt hat, und bekräftigt diese Lehre durch Erfahrungen aus dem Leben. Darum fährt er fort:

10. Der aus so vielfachem Tode uns herausgerissen.

Er sagt: „aus so vielfachem Tode,“ nicht: aus so großen Gefahren, um das Unüberwindliche jener Drangsale anschaulich zu machen und zugleich die genannte Lehre zu erhärten. Denn wenn Gott einen Menschen, der hoffnungslos schon vor den Pforten der Unterwelt steht, wieder herausführt, wenn er Den, der schon hineingestürzt,  wieder aus dem Rachen des Todes reißt, so stellt er uns nichts Anderes als ein Beispiel der Auferstehung vor Augen. So sagen auch die Leute von einem Menschen, der wider alles Erwarten aus tödtlicher Krankheit sich erholt oder aus unleidlichen Drangsalen sich herausgerungen hat: An Dem haben wir die Auferstehung der Todten gesehen. — *„Auf Den wir fest hoffen, daß er auch ferner uns erretten wird.“

11. Da auch ihr mithälfet in dem Gebete für uns, damit aus Vieler Antlitz für das uns durch Viele gewordene Gnadengeschenk Gott Dank gesagt werde für uns.

Die Worte: „Damit wir nicht auf uns vertrauen, sondern auf Gott“ schienen wie ein allgemeiner Vorwurf sich auszunehmen, wie eine Anklage, die ihre Spitze gegen Manche von ihnen richtete; daher mildert Paulus das Gesagte wieder, indem er die schützende Kraft ihrer Fürbitte hervorhebt, zugleich mit dem Hinweis, daß wir immerdar unser Leben lang zum Kampfe gerüstet stehen müssen.

Denn die Worte: „Wir hoffen, daß er auch ferner uns erretten wird“ kündigen neue Gefahren an ohne Zahl, aber auch niemals Verlassenheit, sondern stets neue Hilfe, neuen Beistand Gottes. Indeß sollten die Gläubigen nicht verzagen, wenn sie von neuen endlosen Bedrängnissen hörten. Darum hat ihnen Paulus vorher den Segen der Trübsale dargestellt. Und worin besteht dieser? Die Drangsale sind das Mittel, durch das uns Gott beständig in der Demuth erhält, „damit wir nämlich nicht auf uns selbst vertrauen“; die Drangsale sind Arbeit am Heilswerke der Menschen. Und weiters: Die Leiden geben Antheil an Christus; denn „überreichlich“, heißt es, „sind in uns die Leiden Christi;“ die Leiden sind ein Segen für die Gläubigen; denn „mögen wir bedrängt werden, so ist es zum  besten eueres Trostes und Heiles;“ die Leiden offenbaren und mehren das Heil, „das ja gewirkt wird im Ertragen der gleichen Leiden, die auch wir dulden;“ die Leiden wirken Kraft und Ausdauer. Und ferner: Die Gefahren rücken vor unsere Augen die Auferstehung; denn „aus so vielfachem Tode,“ sagt er, „hat uns Gott herausgerissen.“ Die Gefahren erhalten die Bereitschaft zum Kampfe und das lebendige Vertrauen auf Gott, „auf den wir fest hoffen, daß er fernerhin uns erretten wird;“ die Gefahren bewirken endlich Beharrlichkeit im Gebete; denn „indem auch ihr mithelft in eurem Gebete für uns,“ hoffen wir, daß Gott uns ferner erretten wird. Das ist nach der Darstellung des Apostels der Gewinn der Trübsale, das sind die Preise, durch die er seine Gläubigen zum Kampfe ermuntert. Und jetzt sucht er wieder ihre Herzen zu erheben und zur Übung der Tugend anzufeuern, indem er ihren Gebeten einen großen Erfolg zuschreibt, nämlich daß sie durch dieselben die Erhaltung des Paulus als Gnadengeschenk empfangen hätten; denn „da auch ihr mithalfet in eurem Gebete für uns,“ hat Gott uns errettet. Was sagen aber die Worte: „Damit aus Vieler Antlitz für das uns durch Viele gewordene Gnadengeschenk Gott Dank gesagt werde für uns“? Damit will er sagen: Gott hat uns errettet aus jenem vielfachen Tode, „da auch ihr mithalfet in eurem Gebete für uns,“ weil ihr nämlich alle für mich gebetet habt. Denn das uns gewordene Gnadengeschenk, die Rettung unseres Lebens, hat Gott euch allen gnädig gewähren wollen, damit die vielen Antlitze ihm Dank sagen, nachdem auch die Vielen das Gnadengeschenk empfangen.

  

IV.

 

In dem Gesagten will Paulus die Korinther aneifern zu gegenseitiger Fürbitte und zur fleissigen Danksagung auch für die Wohlthaten, die Andere von Gott empfangen. Daran hat Gott ein großes Wohlgefallen. Denn wer gerne für Andere betet und dankt, der thut es um so lieber für sich selbst. Und ausserdem lehrt er sie  mit diesen Worten demüthigen Sinn und warme Liebe zum Nebenmenschen. Denn wenn Paulus selbst, so hoch erhaben, von sich sagt, er verdanke ihren Gebeten sein Leben, es sei ihm durch ihre Fürbitte dieses Gnadengeschenk von Gott gewährt worden, wie demüthig und bescheiden mußten erst die Korinther von sich denken! Aber auch Das darfst du mir nicht übersehen, daß das Gebet seine große Bedeutung behält, auch wenn Gott Etwas aus Erbarmen thut. Denn im Eingange hat Paulus seine Erhaltung den Erbarmungen Gottes zugeschrieben und gesagt: „Der Gott der Erbarmungen hat uns gerettet,“ hier aber auch den Gebeten. So sehen wir es auch an jenem Knechte, der die zehntausend Talente schuldig war. Zuerst fiel er dem Herrn zu Füßen, dann erbarmte sich der Herr. Gleichwohl heißt es: „Aus Erbarmen ließ er ihn los.“18 Und das chananäische Weib mußte zuvor lange und inständig bitten, bis sie die Heilung ihrer Tochter erlangte, aber doch blieb die Heilung ein Werk der Erbarmung. Was lernen wir nun daraus? Wenn es auch im Rathschlusse Gottes liegt, uns Erbarmen zu erweisen, so müssen wir uns doch der Gnade erst würdig machen. Erbarmung bleibt sie, aber sie sucht würdige Herzen; denn nicht ohne Unterschied tritt sie an Alle heran, auch an Die, welche sich nicht darum kümmern. Denn „ich erbarme mich,“ spricht der Herr, „wessen ich will, und bin gnädig, gegen Die es mir gefällt.“19 Sehen wir nun auch hier, wie Paulus eben Das sagen will mit den Worten: „Da auch ihr mithalfet in eurem Gebete für uns,“ hat Gott uns gerettet. Er schreibt ihnen weder Alles zu, um sie nicht stolz zu machen, noch spricht er ihnen Alles ab, um ihren Eifer und ihr festes Zusammenhalten zu stärken. Darum sagt er auch. „Euch (zusammen) hat Gott als Gnadengeschenk meine Rettung gewährt.“ Denn auch auf die Zahl pflegt Gott zu achten, wenn nämlich Viele zusammen mit einem  Herzen und einem Munde beten. So sprach einst der Herr zum Propheten: „Ich soll nicht schonen dieser Stadt, in welcher zwölf Myriaden Menschen sind?“20 Doch ist es wieder nicht die Menge allein, auf welche Gott schaut. Denn „wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand am Meere, nur ein Rest wird gerettet werden.“21 Warum nun aber die Schonung der Bewohner Ninive’s? Weil sie nicht bloß zahlreich, sondern auch bußfertig waren. Denn „es that ein Jeder Buße von seinem bösen Wege.“ Und auch bei Ankündigung ihrer Schonung sprach der Herr: „Sie wissen nicht rechts und nicht links.“ So hatten denn offenbar auch ihre früheren Versündigungen mehr im Unverstande als in der Bosheit ihren Grund. Das geht schon daraus hervor, daß sie auf wenige Worte hin sich bekehrten. Hätten die zwölf Myriaden allein vermocht, sie zu retten, was wäre dann vor der Buße ihrer Erhaltung im Wege gestanden? Aber warum sagt dann Gott nicht zu Jonas: Ich soll nicht schonen einer Stadt, die solche Buße thut? Was haben denn die Myriaden zu schaffen? Sie dienen nur zur vollständigen Zurechtweisung des Propheten. Denn diesem war wohl die Buße der Bewohner, nicht aber ihre Zahl und ihre Unwissenheit bekannt. So sucht demnach der Apostel auf alle Weise die Gläubigen für die Tugend zu gewinnen; denn dann macht auch die Menge Etwas aus, wenn sie tugendhaft ist.

Das lehrt uns die Schrift auch an einer anderen Stelle, wenn sie sagt: „Gebet aber wurde inständig verrichtet von der Kirche zu Gott für ihn.“22 Und die Frucht dieses Gebetes? Petrus lag im Gefängnisse; die Thüren waren geschlossen, Ketten an seinem Leibe, rechts und links schlief ein Wächter; aber aus all Diesem hat Gott den Apostel herausgeführt. Ja, eine tugendsame Menge vermag viel, aber eine sündhafte Nichts. So waren die  Söhne Israels nach dem Ausdrucke der Schrift zahllos wie der Sand am Meere, aber sie sind alle umgekommen; und Noes Zeitgenossen, eine unzählige Menge; aber was half es ihnen? Denn die Menge an sich vermag Nichts, wenn nicht zur Menge noch Etwas hinzukommt.

So vereinigen wir uns denn zu fleissigen Gebeten und Fürbitten für einander, wie es für die Apostel die ersten Christen gethan haben. Dadurch erfüllen wir ein göttliches Gebot und mehren die Liebe; wenn ich aber die Liebe nenne, so meine ich den Inbegriff aller Güter. Und lernen wir Gott eifriger danken! Denn wer für fremde Gnaden Dank sagt, der thut es um so mehr für die eigenen. Dieses that auch David, wenn er auffordert: „Machet groß mit mir den Herrn und laßt uns erhöhen seinen Namen allzumal!“23 Dieses verlangt überall der Apostel, Dieses wollen denn auch wir thun und vor Allen Gottes Wohlthaten verkünden, damit Alle an unsere Lobpreisung sich anschließen. Denn wenn wir schon die Menschen, von denen wir Gutes empfangen, durch öffentliches Verkünden ihrer Güte zu neuen Wohlthaten geneigter machen, so werden wir um so mehr Gott den Herrn zu neuen Gnaden bewegen, wenn wir laut seine Gaben preisen. Und wenn wir bei Menschen, die uns Liebes erwiesen, auch Andere zur Theilnahme an der Danksagung ermuntern, so sollen wir um so mehr vor Gottes Angesicht Viele führen, damit sie Dank sagen für uns. Wenn schon Paulus Dieses thut, der doch selbst so beten und danken konnte, wie weit nothwendiger ist es dann für uns!

  

V.

 

Wenden wir uns darum angelegentlich an die heiligen Männer, damit sie für uns Dank sagen, und thun wir es auch selbst für einander! Diese Aufgabe, die edelste, die  es gibt, haben insbesondere die Priester. Wenn wir nämlich vor Gott hintreten, so pflegen wir zuerst für die ganze Welt zu danken und für die gemeinsamen Güter. Denn wenn Gottes Wohlthaten auch Allen zu Gute kommen, so beruht doch auf der allgemeinen Wohlfahrt auch die deine. Darum schuldest du für dein besonderes Wohl gemeinschaftlichen Dank, und für die allgemeine Wohlfahrt ziemt es dir, Gott noch insbesondere zu preisen. So hat Gott die strahlende Sonne zwar nicht für dich allein geschaffen, sondern für die ganze Welt; aber im Theile hast du das Ganze. Denn so groß ist sie wegen des Weltalls, du aber siehst allein so viel als alle Menschen zusammen; darum soll auch dein Dank so groß wie der Dank Aller sein. Und wie für die gemeinsamen Güter, so gebührt es sich auch, zu danken für die Tugend der Mitmenschen. Denn es gibt auch viele Wohlthaten, die uns Andere verdienen. Wären in Sodoma bloß zehn Gerechte gefunden worden, so wären Alle dem Strafgerichte entgangen. Daher sollen wir auch danken für das fromme Vertrauen, das Andere zu Gott haben; denn so ist es üblich in der Kirche seit den ältesten Tagen. So dankt Paulus für die Römer, für die Korinther, für die ganze Welt. Und sage mir nicht: Das Gute Anderer gehört ja mir nicht an. Freilich nicht; aber danken sollst du doch, weil ein Glied von dir so tugendhaft ist. Und überdieß machst du durch die Lobpreisung Alles zu deinem Eigenthume, du bekommst Antheil an den Belohnungen und wirst auch selbst die Gnadengabe empfangen.

So verordnen denn auch die Vorschriften der Kirche solche Gebete wie für die Gläubigen, so insbesondere für die Katechumenen. Denn die Gläubigen ermahnt das Gesetz zu demüthigem Flehen für die noch Ungetauften. Wenn nämlich der Diacon ruft: „Für die Katechumenen laßt uns inbrünstig beten,“ so ergeht diese Aufforderung zur Fürbitte an die ganze Versammlung. Nun stehen sie aber noch ferne, die Katechumenen; denn noch gehören sie nicht zum Leibe Christi, noch haben sie nicht Theil genommen an den Geheimnissen, noch sind sie getrennt von der geistigen Heerde. Wenn wir nun schon für diese beten sollen, um wie viel mehr dann für die eigenen Glieder! Darum ermahnt denn auch der Diakon. „Laßt uns inbrünstig für sie beten!“ damit du sie nicht etwa ausschließest als Fremde oder als Unbekannte übergehest. Denn sie selbst haben noch nicht das altehrwürdige Gebet, das uns Christus gelehrt; sie dürfen noch nicht so vertrauensvoll beten; sie bedürfen noch der Hilfe Derer, die schon eingeführt sind in die Geheimnisse. Denn noch stehen sie ausserhalb der königlichen Hallen, noch ferne den heiligen Schranken.24 Darum müssen sie auch gehen, wenn jene schauerlichen Gebete (bei der Messe) beginnen. Du mußt für sie beten, damit sie bald Glieder von dir werden, damit sie nicht lange mehr fremd und ferne bleiben. Denn die Aufforderung: „Laßt uns beten!“ gilt dem ganzen Volke, nicht den Priestern allein. Wenn der Diakon spricht. „Laßt uns aufrecht stehen und beten,“ so ruft er Alle zum Gebete. Und jetzt beginnt er das eigentliche Gebet und spricht:

„Daß der allerbarmende und barmherzige Gott erhöre ihre Gebete.“ Du könntest nämlich etwa sagen: Was sollen wir für sie beten ? Sie sind ja fremd; sie gehören noch nicht zu uns. Womit soll ich Gott zur Erhörung geneigt machen, wodurch ihn bewegen, den Katechumenen Erbarmung und Verleihung zu gewähren? Damit du nicht in solche Fragen dich verlierst, so höre, wie rasch der Diakon deine Zweifel löst, wenn er sagt: „Daß der allerbarmende und barmherzige Gott erhöre ihre Gebete.“ Hast du gehört: „Der allerbarmende Gott“? Laß deine Bedenken; denn der Allerbarmende erbarmt sich Aller, der Sünder  und der Freunde. Sage also nicht: Wie soll ich für sie beten? Gott wird ihre eigenen Gebete schon erhören. Auf was geht aber das Gebet der Katechumenen anders, als daß sie nicht lange mehr Katechumenen bleiben? — Und jetzt beginnt der Diakon mit lauter Stimme die einzelnen Bitten. Und welches sind diese? „Daß er aufschließe die Ohren ihrer Herzen.“ Denn noch sind diese verschlossen und versperrt. Ohren aber meint er nicht die äusseren des Leibes, sondern die inneren des Geistes. „Damit sie vernehmen, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört, und was in keines Menschen Herz gekommen.“ Denn noch haben die Katechumenen Nichts gehört von den unaussprechlichen Geheimnissen, noch stehen sie in weiter Ferne. Und würden sie auch hören, sie würden nicht verstehen. Denn jene Geheimnisse erfordern ein tiefes Verständniß, nicht das bloße Hören; das innere Gehör aber haben sie noch nicht. Darum fleht der Diakon für sie um das Geschenk, das einst der Prophet empfangen, welcher sagt: „Gott gibt mir eine kundige Zunge, daß ich weiß, wann ich reden soll; er öffnet mir den Mund, er weckt mir am Morgen, ja am Morgen erweckt er mir die Ohren, zu hören.“25 Denn wie einst anders die Propheten hörten und anders das Volk, so hören jetzt anders die Gläubigen und anders die Katechumenen. Daraus ersieht auch der Katechumene, daß er diese Geheimnisse nicht von Menschen lernt und hört, denn „ihr sollt Niemand Lehrer nennen auf Erden;“26 sondern daß er sie von obenher lernt vom Himmel; denn „es werden Alle sein unterwiesen von Gott.“27 Darum heißt es weiter: „Und sie unterweise in der Lehre der Wahrheit,“ so daß sie von innen her belehrt werden; denn noch verstehen sie nicht das Wort der Wahrheit.

„Daß er den Samen seiner Furcht in ihr Inneres streue.“ Aber auch Das ist nicht genug;  denn ein Theil des Samens fiel neben den Weg, ein anderer auf felsigen Grund.

  

VI.

 

Wir aber stehen um das Gedeihen des Samens. Wie nämlich der Pflug über fettes Erdland hin tiefe Furchen zieht, so, beten wir, möge es auch hier geschehen, auf daß sie erneut in der Tiefe ihres Herzens den Samen aufnehmen und alles Gehörte sorgfältig bewahren. Darum die weitere Bitte: „Und seinen Glauben befestige in ihrem Innern;“ nämlich daß der Same nicht oben liegen bleibe, sondern in die Tiefe seine Wurzeln treibe.

„Daß er ihnen enthülle das Evangelium der Gerechtigkeit.“ Es gibt eine zweifache Hülle, die eine über dem Auge des Geistes, die andere über dem Evangelium. Darum hieß es vorher: „Daß er öffne die Ohren ihrer Herzen“ und jetzt: „Daß er ihnen enthülle das Evangelium der Gerechtigkeit;“ das heißt, daß er ihnen zuerst Einsicht und Empfänglichkeit gebe, dann sie unterweise und den Samen streue. Denn was würde die Empfänglichkeit helfen, wenn Gott nicht die Hülle vom Evangelium nimmt? Und was hilft die Wegnahme der Hülle, wenn sie das Evangelium nicht aufnehmen? Der Schaden bleibt sich immer gleich. Darum bitten wir für die Katechumenen um Beides, um die Öffnung ihrer Herzen und um Wegnahme der Hülle vom Evangelium, und Beides erlangen sie, wenn sie es nur ernstlich wollen. Denn wenn über königlichem Schmucke eine Decke liegt, was hat das Auge vom Hinschauen? Und ist die Decke weggenommen, es schläft aber das Auge, was hilft das mehr? — Aber was ist denn gemeint unter dem „Evangelium der Gerechtigkeit“? Es ist das Evangelium, welches gerecht macht. Diese Worte sollen in den Katechumenen die Sehnsucht nach der Taufe erwecken, indem ja das Evangelium nicht bloß Nachlassung der Sünden, sondern auch Gerechtigkeit bewirkt.

 * „Daß er ihnen gebe einen gotterfüllten Sinn, nüchternes Denken und tugendsamen Wandel.“* Das mögen die Gläubigen hören, alle, die am Irdischen haften! Denn wenn wir für die noch Ungetauften um solche Gaben bitten, worauf sollen dann wir Herz und Sinn gerichtet haben, die wir für Andere um Solches bitten ? Der Wandel nämlich muß im Einklange stehen mit dem Evangelium. Darum geht auch die Ordnung des Gebetes von der Lehre über zum Leben. Denn vorerst sprach der Diakon: „Daß Gott ihnen enthülle das Evangelium der Gerechtigkeit“ und jetzt: „Daß er ihnen gebe einen gotterfüllten Sinn.“ Wann ist aber der Sinn gotterfüllt? Wenn Gott in ihm wohnt. Denn „ich werde,“ heißt es, „wohnen in ihnen und wandeln.“28 Wenn nämlich die Seele ablegt die Sünde und mit Gerechtigkeit sich bekleidet, so wird sie zur Wohnung Gottes; und wenn Gott in ihr wohnt, so schwindet, was menschlich ist. Und so wird die Seele gotterfüllt, und Alles, was sie redet, ist von Gott, da sie ja wirklich das Haus des in ihr wohnenden Gottes ist. Wo demnach unlautere Reden, wo Gefallen an ungeziemenden Scherzen und Possen, da ist kein gotterfüllter Sinn. — „Nüchternes Denken.“ Wann ist denn das Denken nüchtern? Wenn die Seele gesund ist. Wo also schlimme Leidenschaft herrscht und gänzliches Aufgehen in’s Irdische, da ist keine Nüchternheit, keine Gesundheit. Denn ein solcher Mensch verlangt gleich dem Fieberkranken nach Dingen, die ihm schädlich sind. — „Und tugendsamen Wandel.“ Denn zum Glauben muß der rechte Wandel kommen. Höret Das ihr, die erst am Ende des Lebens zur Taufe gehen! Wir beten für euch um frommen Wandel nach der Taufe; du aber trachtest und thust Alles, um ohne den guten Wandel aus dem Leben zu scheiden. Denn wie, wenn du zwar gerechtfertigt wirst, aber aus dem  Glauben allein? Wir aber beten für dich auch um die Zuversicht, die aus den guten Werken kommt.

„Daß er ihnen verleihe, immerdar, was Gottes ist, zu denken, was Gottes ist, zu sinnen, was Gottes ist, zu betrachten.“ Denn um nüchternes Denken und tugendhaften Wandel beten wir nicht bloß für den einen oder anderen Tag, sondern für alle Tage des Lebens und besonders um Das, was die Grundlage aller Tugenden ist, daß wir Sinn und Gedanken auf das Göttliche richten. Denn „die Meisten suchen das Ihrige, nicht was Jesu Christi.“29 Aber wie erreichen wir Das? Denn zum Gebete muß auch unser eigenes Bemühen kommen. Wenn wir im Gesetze Gottes weilen Tag und Nacht. Daher die weitere Bitte: „In seinem Gesetze zu weilen Tag und Nacht.“ Also beim Göttlichen sollen unsere Gedanken sein immerdar, in seinem Gesetze sollen wir weilen Tag und Nacht. So schäme ich mich denn wegen Solcher, die kaum einmal im Jahre in der Kirche erscheinen. Denn womit können sie sich entschuldigen, wenn sie Tag und Nacht nicht etwa bloß einfach mit dem Gesetze sich beschäftigen, sondern im Gesetze verweilen, das heißt über das Gesetz gründlich nachdenken sollen, und nun nicht einmal den kleinsten Theil des Lebens dazu verwenden, Gottes Gebote sich zu vergegenwärtigen und Gottes Anordnungen zu befolgen?

  

VII.

 

Fürwahr, eine herrliche Kette, in der Glied an Glied sich fügt, fester und schmuckvoller als irgend eine goldene Kette. Zuerst bitten wir um gotterfüllten Sinn. Und wie erlangen wir diesen? Wenn wir immerdar unsere Gedanken auf das Göttliche richten. Und wie erreichen wir das? Wenn wir Acht haben auf das Gesetz. Und wie lassen die Menschen sich dazu bewegen? Wenn sie Gottes Gebote halten. Oder vielmehr: Wenn wir Acht haben auf das  Gesetz, so werden wir auch die Gebote halten, und wenn wir gotterfüllten Sinn haben, so werden auch unsere Gedanken beim Göttlichen sein. So ist also vom Gesagten jedes Grund und Folge vom andern, es hält das nächste Glied und wird von diesem gehalten.

„Laßt uns noch inbrünstiger für sie beten.“ Bei langem Reden pflegt die Seele schläfrig zu werden; darum diese neue Ermunterung. Denn wieder will der Diakon um Großes und Hohes für die Katechumenen bitten; deshalb spricht er: „Laßt uns noch inbrünstiger für sie beten.“

„Daß er sie herausnehme aus jedem bösen und ungeziemenden Werke.“ Hier beten wir für die Katechumenen um Bewahrung vor Versuchung und Befreiung von aller Nachstellung, mag sie gegen den Leib oder die Seele sich richten. Darum schließt sich sogleich an. „Von jeder diabolischen Sünde und von aller Umgarnung des Widersachers,“ womit die Versuchungen und die Sünden gemeint sind.

Denn leicht umgarnt uns die Sünde, von allen Seiften umlagert sie uns, im Angesichte, im Rücken, und so bringt sie uns zum Falle. Darum wurde zuerst gesagt, was von unserer Seite geschehen muß, nämlich daß wir im göttlichen Gesetze verweilen, uns Gottes Gebote gegenwärtig halten und seine Anordnungen beobachten sollen. Und jetzt werden wir belehrt, daß auch Das nicht genügt, wenn nicht Gott selbst mit seinem Beistande hilft. Denn „baut nicht der Herr das Haus, dann mühen sich vergeblich, die es bauen.“30 Das gilt insbesondere von Denen, die noch dem Satan bloßgestellt sind, die noch unter seiner Herrschaft stehen. Ihr wißt Das ja, ihr Eingeweihten. Erinnert euch nur jener Worte, durch die ihr seiner Gewaltherrschaft entsagtet und das Knie beugend übergetreten seid zum Könige, und wo ihr jene schauerlichen Worte gesprochen habt, die uns anweisen, dem Satan in Allem und für immer zu widersagen. Widersacher wird er genannt und Ankläger (διάβολος). Denn bald verklagt er Gott vor den Menschen, bald uns vor Gott und bald uns unter einander. Jetzt verklagt er Job vor Gott und sagt: „Job dient doch nicht ohne Entgelt dem Herrn.“31 Jetzt Gott vor Job, indem er spricht: „Feuer ist vom Himmel gefallen.“ Bald verklagt er Gott vor Adam, als er sprach, es würden ihnen die Augen aufgehen; und vor vielen unserer Zeitgenossen verklagt er Gott, wenn er ihnen vorspiegelt: Gott kümmert sich nicht um die irdischen Dinge, Dämonen hat er die Sorge für euch überlassen. So hat er auch vor der Mehrzahl der Juden Christum verleumdet und ihm Trug und Täuschung zum Vorwurfe gemacht. — Aber die Weise, wie der Satan zu Werke geht, möchte vielleicht Mancher gerne hören. Wenn er einen Sinn findet, der nicht gotterfüllt, wenn eine Seele, die nicht nüchtern ist, nicht an Gottes Gesetz denkt, nicht Gottes Gebote hält, die packt er sich als Beute und eilt von dannen. Ja, hätte Adam an das Gebot gedacht: „Von jedem Baume darfst du essen,“ hätte er auf die Drohung geachtet: „An welchem Tage ihr esset, müßt ihr sterben,“ so hätte er sich seine Schicksale erspart.

„Daß er sie würdige zu rechter Zeit des Bades der Wiedergeburt, der Vergebung der Sünden.“ Wir bitten nämlich theils um gegenwärtige, theils um künftige Gnaden; wir reden vom Taufbade und lehren die Katechumenen im Gebete die Kraft der Taufe. Und so machen wir sie jetzt schon vertraut mit dem Gedanken, daß die Taufe eine Wiedergeburt ist, daß wir aus den Wassern wiedergeboren werden wie aus dem Schooße der  Mutter. So können sie nicht mit Nicodemus sagen: „Wie kann Jemand wiedergeboren werden, wenn er alt ist? Er kann doch nicht in den Schooß seiner Mutter zurückkehren und von Neuem geboren werden?“32 Dann weil der Diakon von Vergebung der Sünden gesprochen, so bekräftigt er dieses Wort, indem er weiter sagt: „Des Gewandes der Unverweslichkeit.“ Wer nämlich mit der Kindschaft bekleidet wird, der wird offenbar auch unverweslich. Aber wann ist denn „die rechte Zeit“? Wenn der Katechumene wohl vorbereitet ist, wenn er mit gläubigem Verlangen hinzutritt; denn das ist für den Gläubigen die rechte Zeit.

„Daß er segne ihre Eingänge und Ausgänge, ihr gesammtes Leben.“ Hier dürfen die Katechumenen auch um irdischen Segen bitten, denn sie sind ja noch schwach. „Ihre Häuser und ihre Angehörigen,“ seien es nun Diener oder Verwandte oder Freunde. Das waren einst die Belohnungen im alten Bunde; da galt Nichts für so schrecklich als Wittwenschaft, Kinderlosigkeit, Klage um früh Verstorbene, Hunger und Mangel und Scheitern der Unternehmungen. Darum dürfen auch die Katechumenen noch bei solchen Bitten verweilen, die mehr den Leib betreffen, damit sie von einer Stufe zur andern allmählig emporsteigen. So nimmt auch Christus, so Paulus Bezug auf die Segensverheissungen der alten Zeit; Christus, wenn er sagt: „Selig sind die Sanftmüthigen, denn sie werden das Land erben,“33 und Paulus, wenn er ermahnt: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, und du wirst lange leben auf Erden!“34

  

VIII.

 

„Daß er mehre und segne ihre Kinder, sie zur Reife des Alters führe und weise mache.“ Hier wiederum die Bitte um leiblichen und geistigen Segen zugleich, denn die Katechumenen sind ja noch Kinder im Glauben; aber von jetzt an (folgt) rein Geistiges.

„Daß er ihnen all ihre Vorhaben zum Besten lenke.“