Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Galater und Epheser - Johannes Chrysostomos - E-Book

Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Galater und Epheser E-Book

Johannes Chrysostomos

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Beschreibung

Der Brief an die Galater ist das neunte Buch des Neuen Testaments. Der Apostel Paulus hat diesen Brief an eine Reihe frühchristlicher Gemeinden in Galatien geschrieben. Gelehrte vermuten, dass es sich dabei entweder um die römische Provinz Galatien in Südanatolien oder um eine große Region handelt, die von einer keltischen Volksgruppe in Zentralanatolien definiert wird. Der Epheserbrief ist das darauf folgende Buch des Neuen Testaments. Dem Text zufolge wurde auch dieser Brief vom Apostel Paulus geschrieben, eine Zuschreibung, die von den Christen traditionell akzeptiert wird. Seit 1792 behaupten jedoch einige Gelehrte, der Brief sei deutero-paulinisch, d. h. eine Pseudepigraphie, die im Namen des Paulus von einem späteren Autor geschrieben wurde, der stark von dessen Gedanken beeinflusst war.

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Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Galater und Epheser

 

JOHANNES CHRYSOSTOMOS

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Galater und Epheser,  J. Chrysostomos

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849663070

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Galater und Epheser1

Vorbemerkungen zum  Kommentar des Galaterbriefes2

Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Galater (In epistulam ad Galatas commentarius)7

I. Kapitel7

II. Kapitel36

III. Kapitel57

IV. Kapitel72

V. Kapitel83

VI. Kapitel99

Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Epheser (In epistulam ad Ephesios commentarius )109

Erste Homilie [Kap. I, Vers 1-10]109

Zweite Homilie [Kap. I, Vers 11-14]119

Dritte Homilie [Kap. I,Vers 15-23]128

Vierte Homilie [Kap. II, Vers 1-10]140

Fünfte Homilie [Kap. II, Vers 11-16]150

Sechste Homilie [Kap. II, Vers 17-III, Vers 7]159

Siebente Homilie [Kap. III, Vers 8-21]169

Achte Homilie [Kap. IV, Vers 1-2a]179

Neunte Homilie [Kap. IV, Vers 1-3]200

Zehnte Homilie [Kap. IV, Vers 4-5]209

Elfte Homilie [Kap. IV, Vers 4-16]216

Zwölfte Homilie [Kap. IV, Vers 17-18]229

Dreizehnte Homilie [Kap. IV, Vers 17-24]236

Vierzehnte Homilie [Kap. IV, Vers 25-30]246

Fünfzehnte Homilie [Kap. IV, Vers 31]254

Sechzehnte Homilie [Kap. IV, Vers 31-32]262

Siebzehnte Homilie [Kap. IV, Vers 32 - V, Vers 4]268

Achtzehnte Homilie [Kap. V, Vers 5-14]275

Neunzehnte Homilie [Kap. V, Vers 15-21]284

Zwanzigste Homilie [Kap. V, Vers 22-33]296

Einundzwanzigste Homilie [Kap. VI, Vers 1-4]317

Zweiundzwanzigste Homilie [Kap. VI, Vers 5-13]326

Dreiundzwanzigste Homilie [Kap. VI, Vers 14]339

Vierzundzwanzigste Homlie [Kap. VI, Vers 14-24]347

Kommentar zu den Briefen des Heiligen Paulus an die Galater und Epheser

Bibliographische Angaben:

Titel Version: Vorbemerkungen zum Kommentar des Galaterbriefes Sprache: deutsch Bibliographie: Vorbemerkungen zum Kommentar des Galaterbriefes In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Galater und Epheser / aus dem Griechischen übers. von Wenzel Stoderl. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 8; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 15) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1936 Unter der Mitarbeit von: Uwe Holtmann

Titel Version: Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Galater (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Galater (In epistulam ad Galatas commentarius) In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Galater und Epheser / aus dem Griechischen übers. von Wenzel Stoderl. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 8 ; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 15) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1936 Unter der Mitarbeit von: Uwe Holtmann

Titel Version: Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Epheser (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Epheser (In epistulam ad Ephesios commentarius ) In: Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Galater und Epheser / aus dem Griechischen übers. von Wenzel Stoderl. (Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus ausgewählte Schriften Bd. 8 ; Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 15) Kempten; München : J. Kösel : F. Pustet, 1936 Unter der Mitarbeit von: Josef C. Doerr

Vorbemerkungen zum Kommentar des Galaterbriefes

I.

1.

 Die Echtheit des Kommentars zum Galaterbrief ist zu keiner Zeit angezweifelt worden. Doch mag zugegeben werden, daß äußere Bezeugungen für die älteste Zeit nur in spärlichem Ausmaße gegeben sind und daß auch die inneren Kennzeichen seiner johanneischen Herkunft weniger überzeugend wirken als bei den übrigen Homilien zu den paulinischen Briefen.

In Anlage und Durchführung nimmt der Galaterkommentar eine bemerkenswerte Sonderstellung ein. Der Text wird kapitelweise einer fortlaufenden Exegese unterzogen, wobei das dogmatische Element in den Vordergrund tritt. Ein Hauptaugenmerk wendet der Heilige den großen Irrlehren seiner Tage sowie der früheren Jahrhunderte zu, deren Grundgedanken mit Schärfe namhaft gemacht und in treffender, bisweilen mustergültiger Weise widerlegt werden. Namentlich die Arianer strengster Richtung, die sog. Anomöer, doch auch die Mazedonianer, Donatisten und Gnostiker, unter diesen wieder die Marcioniten, finden in ihm einen entschiedenen Gegner (Kap. I. III. VI). Freilich zeigt die mehr abgeklärte Art der Auseinandersetzung, daß jene Bewegungen ihren Höhepunkt bereits überschritten haben.

Durch die erwähnte Methode der Durchführung nähert sich unser Kommentar der modernen Form der Schrifterklärung. Doch wird die hierdurch bedingte Eintönigkeit und Trockenheit durch Ausrufe, persönliche Apostrophierung der Gegner sowie gelegentliche Einbrüche in das Gebiet des sittlich-praktischen Lebens des öftern in glücklicher Weise unterbrochen, ein Beweis, daß der Exeget in erster Linie Rhetor war. Mit Leidenschaft ereifert er sich gegen die Torheit der Selbstentmannung (Kap. V) und schwingt die Geißel des Spottes über den jüdischen und heidnischen Aberglauben seiner Tage (a. a. O.).

Die eigentümliche literarische Fassung unseres Buches hat bis zur Stunde keine befriedigende Erklärung gefunden. Am nächsten liegt die Annahme, daß die ursprünglichen Homilien nachträglich, sei es vom Heiligen selbst oder von einem anderen auf Grund seines literarischen Nachlasses eine Überarbeitung erfuhren, um den wesentlichen Inhalt derselben der breiteren Öffentlichkeit zugängig zu machen (Bardenhewer, Baur). Dafür würde außer dem rhetorischen Einschlag unseres Kommentars sprechen, daß eine solche Bearbeitung von dem Kommentar zum Hebräerbrief ausdrücklich bezeugt (Presbyter Konstantius [Constantinus?]) und vom Kommentar zum Johannesevangelium und von dem unvollendeten Isaiaskommentar wenigstens wahrscheinlich ist. Nach anderen Exegeten stellt der überlieferte Text eine Art Skizze und Entwurf dar, den der Heilige niederschrieb, um das darin verarbeitete Material seinen späteren Homilien zugrunde zu legen (Mauriner).

2.

Es darf als ziemlich gewiß gelten, daß der Galaterkommentar bzw. seine Vorlage in Antiochia abgefaßt worden ist. Dies ergibt sich aus einer Bemerkung des Chrysostomus zu Kap. I, Vers 16. Er wirft hier die Frage auf, warum Gott den hl. Paulus nicht zugleich mit den Zwölfen berufen habe, und schließt seine Erörterung mit den Worten: „Auch haben wir über den Punkt schon einiges gesagt, damals, als wir über seine Namensänderung zu euch sprachen und warum Gott ihn, der früher Saulus hieß, Paulus benannte. Wenn ihr es vergessen habt, so nehmet jene Schrift zur Hand und ihr werdet alles erfahren.“ Die hier direkt angeredeten Zuhörer müssen unter den Bewohnern der Stadt Antiochia gesucht werden; denn die zitierte Schrift (libri 4 homiliarum de mutatione nominum) wurde sicher in Antiochia verfaßt. Auch die Bezeichnung der antiochenischen Christengemeinde als „dieser von jeher so eifrigen Kirche“ (s. zu Kap. I, Vers 17) wird am besten als rednerisches Kompliment an die Zuhörer zu fassen sein.

Als Abfassungszeit kommen, da die erwähnten vier Bücher Homilien mit den zwischen 386—388 gehaltenen 67 Homilien in Genesim zeitlich zusammenfallen, etwa die Jahre 388—398 in Betracht.

3.

Dogmatisch bedeutsam ist namentlich die starke Betonung der Gottesgleichheit des Logos, welche unter den verschiedensten Gesichtspunkten gegen die Einwände der Arianer und Anomöer festgehalten und verteidigt wird (vgl. zu Kap. I 1. 3; III 20), der Wertlosigkeit und Schädlichkeit des Gesetzes (a. a. O.), der Notwendigkeit der Buße (vgl. zu Kap. III 4) sowie der sittlichen Freiheit (vgl. zu Kap. VI 13: Die Freiheit ist kein Freibrief für das Fleisch).

II.

1.

Die Homilien des hl. Johannes Chrysostomus zum Brief an die Epheser sind von jeher als echt anerkannt worden. Inhalt und Form der Reden bestätigen dies. Sie tragen alle charakteristischen Merkmale des großen Kirchenlehrers an sich. — Gehalten wurden die Homilien in Antiochia während der Zeit, da Chrysostomus als Priester und Prediger hier tätig war. In der achten Homilie sagt er von sich: „Wäre ich frei von kirchlichen Sorgen und hätte ich einen rüstigen Körper…“ Letztere Worte spielen auf sein strenges Einsiedlerleben bei Antiochia an, wo er durch übermäßiges Fasten, Nachtwachen und den Mangel an Schutz gegen Frost und Kälte seine Gesundheit vollständig untergrub. Auch das Lob der Mönche im Gebirge, die „Haus und Hof, Weib und Kind, Rang und Würden verlassen, sich aus der Welt verbannen, in Sack gekleidet, mit Asche bestreut, mit Halsringen beschwert sich in enge Zellen einschließen und, damit noch nicht zufrieden, sich durch fortdauerndes Fasten und Kasteien peinigen“ (13. Hom.), die aber dafür wie der bewunderungswürdige Julian im Besitze der echten Philosophie sind und deshalb mehr angestaunt und gepriesen werden als die berühmtesten Sophisten und Rhetoren (21. Hom.), ist von dem Hei- ligen offenbar unter dem noch frischen Eindruck seines eigenen aszetischen Lebens geschrieben, wenigstens zu einer Zeit, da er das Mönchtum in seiner Entartung in Konstantinopel und der Umgebung dieser Stadt noch nicht kennengelernt hatte. Entscheidend aber für die Frage nach Abfassungsort und -zeit unseres Buches ist die elfte Homilie. Hier wendet sich Chrysostomus in schärfster Weise gegen jene, welche „den Leib Christi töten und gliedweise zerstückeln“, im kirchlichen Leibe „Spaltung veranlassen“, „die rechtmäßige Wahl der Vorsteher hintertreiben und unmöglich machen“, biblisch gesprochen „Ehebruch“ treiben. Zugleich geißelt er die „gedankenlose Gutmütigkeit“ bzw. gutmütige Gedankenlosigkeit der großen Menge, „die sich ohne Unterschied solchen anschließt, welche eine Spaltung in der Kirche hervorrufen“, die einen jeden Verführer Anhänger finden läßt, die zurechtgewiesen mit Abfall und Übertritt zur Gegenpartei droht. Es sind spezifisch antiochenische Zustände, die hier geschildert werden. Das „Unheil“, von dem gegen Ende der Homilie gesprochen wird, ist der trotz aller Versöhnungsversuche immer noch fortdauernde Zwist unter den Katholiken dieser Stadt, der unter dem Namen des Meletianischen Schismas bekannt ist. Chrysostomus gehörte zur Partei Flavians, und zwar bekleidete er nach seinen eigenen Worten „den Rang eines mahnenden Ratgebers“, d. h. eines Priesters. „Das Lehramt ist’s, wozu wir bestellt sind, nicht die Regierungsgewalt oder selbständige Autorität“ (11. Hom.). Da seine Priesterweihe in das Jahr 386 fällt, so besitzen wir in diesem Zeitpunkte einen gesicherten terminus a quo für die Abfassungszeit. Als terminus ad quem ist das Jahr 398 zu nennen, in welchem Jahre Chrysostomus den bischöflichen Stuhl von Konstantinopel bestieg.

2.

Die Epheserhomilien sind überreich an Erörterungen sittlich-praktischer Natur. Und darin liegt ihr eigentümlicher Wert. Freimütig und offen werden die in der Kirche zu Antiochia herrschenden Mißstände getadelt (6. Hom.); die Notwendigkeit der guten Werke (2. Hom.), der Gottes- und Feindesliebe (7. Hom.), der oftmaligen und würdigen hl. Kommunion (3. Hom.) wird mit Nachdruck betont; für das Walten einer göttlichen Vorsehung findet der Heilige überzeugende Worte (19. Hom.). Und mit welch flammender Entrüstung wendet er sich gegen jene, die die Saat der Zwietracht in die Reihen der Katholiken streuen! „Spaltung in der Kirche hervorrufen“, erklärt er, „ist keine geringere Sünde als in Häresie fallen!“ Wahrhaft goldene Worte schließlich sind es, die er der christlichen Familie und den Pflichten der einzelnen Glieder derselben widmet (20.—22. Hom.). Daß unser Buch auch wertvolles dogmatisches Material enthält, ist bei der Beschaffenheit des Epheserbriefes ohne weiteres klar. Der Weltapostel hat in denselben eine Fülle hoher und großartiger Gedanken hineingewoben, hat den Gläubigen der kleinasiatischen Metropole Enthüllungen gemacht, wie sie sich sonst fast in keinem seiner Briefe finden. Vgl. 2, 6; 3, 5. 6; 3, 10.

3.

Die Sprache ist anschaulich, volkstümlich, mitunter herb und bitter; doch vermag sie sich auch zu hinreißendem Schwunge zu erheben, wie z. B. in dem Hohenlied von der Kette (8. Hom.), einer der glänzendsten Partien des ganzen Buches.

III.

Der Übersetzung des Galaterkommentars und der Homilien zum Epheserbrief wurde die Oxforder Ausgabe der Werke unseres Kirchenvaters vom Jahre 1852 (Bd. 4), enthalten in der Bibliotheca Patrum Ecclesiae Catholicae, qui ante Orientis et Occidentis schisma floruerunt zugrunde gelegt. Die Wiedergabe war bemüht, entsprechend dem vom Verlage aufgestellten Grundsatz „die Übersetzung nach Möglichkeit an den Wortlaut des Originals anzuschließen, zugleich aber dem deutschen Sprachgefühl Rechnung zu tragen“. Freilich sind die hierdurch gezogenen Grenzen z. T. gleitend und dem persönlichen Ermessen des einzelnen anheimgestellt. So hätte u. E. namentlich der Galaterkommentar, in dem konzeptartige Kürze mit rhetorischer Breite und dichterischem Überschwang abwechseln und dessen logische Abfolge nicht selten durch eine flüchtige Partikel mehr angedeutet als klar ausgesprochen wird, eine engere Anlehnung an das Original erheischt. Auch war hierdurch die Möglichkeit gegeben, den zwitterartigen Charakter des Buches klarer herauszustellen. — Das Bestreben wieder, dem Sprachgefühl vollauf Rechnung zu tragen und „jeden Übersetzungsgeruch aus dem Text hinauszubringen“, mußte zu solch tiefen Eingriffen in das überlieferte sprachliche Gefüge führen, daß dieselben unter dem Titel einer Übersetzung nicht mehr vertretbar erschienen. Doch wurde mit Rücksicht auf den ins Auge gefaßten Leserkreis die sprachliche Wahrheit jederzeit der gedanklichen Klarheit untergeordnet. Griechische Sprachwendungen sind nach Tunlichkeit vermieden. Eine Ausnahme machen nur gewisse Satzstellungen, deren Beibehaltung durch die anknüpfende Exegese sich als ratsam erwies. Die Partikeln erfuhren eine Einschränkung auf das unbedingt notwendige Mindestmaß. Kurze, sinngemäße Ergänzungen in größerer Anzahl wurden dem Text in runder Klammer eingefügt. Die Textkritik kommt nur gelegentlich zum Worte.

Frühere deutsche Übersetzungen: W. Arnoldi, Homilien des heiligen Johannes Chrysostomus über die Briefe des hl. Paulus, aus dem Griechischen übersetzt 1831—1840; 5. Band 1836. — Bibliothek der Kirchenväter, Kempten (Josef Kösel) 1869—1884. 7. Bd. Homilien zum Galaterbrief von Schwertschlager und zum Epheserbrief von Liebert. 1882.

Prag-Weinberge

Der Übersetzer

Kommentar zu den Briefen des hl. Paulus an die Galater (In epistulam ad Galatas commentarius)

I. Kapitel

1.

 * Vers 1: „Paulus, Apostel nicht von Menschen noch auch durch Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten, V. 2: und alle Brüder, die bei mir sind, an die Kirchen von Galatien. V. 3: Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“ *

Der Eingang ist voll heftiger Erregung und starken Hochgefühls. Aber nicht der Eingang allein, sondern sozusagen der ganze Brief. Denn stets nur in Güte mit den Schülern zu verkehren, auch wenn sie der Strenge bedürfen, wäre nicht Lehrers, sondern böswilligen Verführers Art. Deshalb hat auch der Herr, obschon er zumeist gar liebreich mit seinen Schülern umging, dennoch bisweilen auch härtere Worte gefunden; und jetzt eben preist er selig, jetzt aber tadelt er. So, nachdem er zu Petrus gesagt: „Selig bist du, Simon, Sohn des Jonas“[1] und ihm verheißen, daß er auf sein Bekenntnis die Kirche gründen wolle, fährt er nicht lange darnach ihn also an: „Fort mit dir hinter mich, Satan, du bist mir zum Ärgernis!“[2] Und anderswo wieder: „Nun, seid auch ihr immer noch unverständig?“[3] Er flößte ihnen, wie auch Johannes erzählt, solche Furcht ein, daß sie, als sie ihn im Gespräche mit der Samariterin erblickten, zwar des Essens schüchtern Erwähnung taten, „keiner jedoch sich zu sagen getraute: Was redest du oder was begehrst du mit ihr?“[4] Das merkte sich Paulus, und als getreuer Nachfolger seines Meisters gestaltete er die Rede mannigfach je nach dem Bedürfnisse seiner Schüler: bald brennt und schneidet er, bald legt er lindernde Heilmittel auf. So sprach er zu den Korinthern: „Was wollt ihr? Soll ich mit der Zuchtrute zu euch kommen oder mit Liebe und im Geiste der Sanftmut?“[5] Zu den Galatern aber: „O ihr unverständigen Galater!“[6] Und nicht bloß das eine, sondern auch noch ein zweites Mal hat er diesen Vorwurf gebraucht. Und gegen das Ende zu äußerte er sich tadelnd zu ihnen: „Fortan bereite mir keiner Beschwernis!“[7] Doch heilt er auch wieder, so wenn er sagt: „Meine Kindlein, für die ich von neuem in Geburtswehen bin“,[8] und was dergleichen Ausdrücke mehr sind. — Daß indes der Brief voller Erregung ist, wird jedem gleich bei der ersten Lesung offenbar. Es gilt aber darzutun, was (den Apostel) gegen seine Schüler so in Harnisch gebracht hat. Nichts Kleinliches und Geringfügiges kann dies gewesen sein, sonst würde er gewiß nicht ein so scharfes Vorgehen gewählt haben. Denn bei jedem beliebigen Anlaß sich zu erhitzen, verrät reizbaren, mürrischen, verdrießlichen Sinn, so wie anderseits nur feigen und schlaffen Seelen in wichtigen Augenblicken der Mut entsinkt. Aber Paulus gehörte nicht zu diesen. Welches war nun das Vergehen, das ihn dermaßen erregte? Ein gar großes und überaus schweres, eines, das sie alle (die ganze Gemeinde) Christus entfremdete, wie er selber weiterhin erklärt: „Siehe, ich, Paulus, sage euch, daß, wenn ihr euch beschneiden lasset, Christus euch nichts nützen wird.“[9] Und wiederum: „Die ihr durch das Gesetz gerechtfertigt werden wollet, seid aus der Gnade gefallen.“[10] Was ist’s nun also damit? Wir müssen diesen Punkt deutlicher erklären. — Es kamen Judengläubige zu den Galatern, die, gleichermaßen in jüdischen Vorurteilen befangen und aufgebläht von eitler Ruhmsucht, dazu begierig, Lehreransehen sich zu erwerben, anfingen zu lehren, man müsse sich beschneiden lassen, die Sabbate und Neumonde halten und dürfe dem Paulus nicht folgen, der solches abschaffe. Denn die um Petrus, Jakobus und Johannes, so versicherten sie, verböten dies nicht, und sie seien doch die Ersten der Apostel und hätten mit Christus selber verkehrt. Und in der Tat, sie verboten es nicht. Aber indem sie so handelten, wollten sie keineswegs unverrückbare Normen schaffen, sondern lediglich der Schwäche derer begegnen, die aus dem Judentum zum Glauben übertraten. Paulus als Heidenapostel hingegen brauchte keine solche Rücksicht zu nehmen. Übrigens hat auch er, während er in Judäa weilte, die gleiche Rücksicht geübt. Die (genannten) Betrüger jedoch verschwiegen die Gründe, durch welche er sowohl als jene zur Rücksichtnahme bewogen wurden, und schwätzten den einfältigen Leuten trügerischerweise vor, man dürfe es nicht mit Paulus halten; denn dieser sei von gestern und heute, Petrus aber und seine Partei seien zuerst dagewesen; dieser sei nur Apostelschüler, jene aber seien Schüler Christi; dieser stehe für sich allein, jene aber seien viele und zudem die Säulen der Kirche. Ja selbst der Heuchelei klagten sie ihn an und sagten: Gerade er, der die Beschneidung abschaffen will, hat diese Dinge andernorts in offenkundigem Gebrauch, predigt also euch dies und andern das. — Da Paulus nun sah, wie das ganze Volk Feuer fing und ein gefährlicher Brand die Kirche der Galater ergriff und das Haus wankte und in Einsturzgefahr schwebte, schrieb er teils aus gerechtem Zorne, teils aus tiefer Betrübnis heraus — denn auch diese spricht sich aus in den Worten: „Ich möchte jetzt bei euch anwesend sein und ändern meine Stimme“[11] — , zur Verteidigung gegen all diese Anklagen seinen Brief. — Gleich zu Anbeginn tritt er so jener Behauptung entgegen, durch die sie seinen Ruf zu untergraben suchten, daß nämlich wohl die anderen Schüler Christi seien, er aber nur Schüler der Apostel. Deshalb begann er auch folgendermaßen: „Paulus, Apostel nicht von Menschen, noch auch durch Menschen.“ Wie schon bemerkt, streuten jene Betrüger aus, er sei der letzte aller Apostel und habe seine Lehre von diesen empfangen. Denn Petrus, Jakobus und Johannes wären zuerst berufen, seien die vornehmsten unter den Jüngern und hätten ihre Lehre unmittelbar von Christus erhalten; darum müsse man ihnen mehr Glauben schenken als diesem. Jene aber verwehrten weder die Beschneidung noch (überhaupt) die Beobachtung des Gesetzes.

2.

Solches und Ähnliches redeten sie, rissen diesen herunter und rühmten jene empor, wobei es ihnen nicht um deren Lob, sondern um die Täuschung der Galater zu tun war. Und es gelang ihnen — wie unzeitgemäß! —, sie zur Beobachtung des Gesetzes zu bestimmen. Mit gutem Grunde wählte also (der Apostel) diesen Eingang. Da sie nämlich seine Lehre schlechtmachten und sagten, sie stamme von Menschen, des Petrus Lehre dagegen von Christus, so nimmt er gleich anfangs dagegen Stellung und betont, er sei Apostel „nicht von Menschen, noch auch durch Menschen“. Wohl hat ihn Ananias getauft; aber nicht er hat ihn dem Irrwahne entrissen und zum Glauben geführt, sondern Christus selbst war es, der ihn aus der Höhe so wunderbar rief und ihn dadurch in seinem Netze fing. Den Petrus und seinen Bruder, den Johannes und dessen Bruder berief er eben, als er noch am Meeresstrande wandelte,[12] den Paulus aber nach seiner Auffahrt in den Himmel. Und wie jene keines zweiten Rufes bedurften, sondern auf der Stelle Netz und sonstige Habe verließen und ihm nachfolgten, so stieg auch dieser von der ersten Berufung hinweg zur höchsten Höhe empor. Kaum getauft, eröffnete er einen unversöhnlichen Kampf gegen die Juden und übertraf darin weitaus seine Mitapostel; denn „mehr als sie“, so spricht er, „habe ich gearbeitet“.[13] Aber noch betont er diesen Punkt nicht, sondern will nur den übrigen gleichgestellt werden. Denn was er erstrebte, war nicht, seinen Vorrang vor jenen darzutun, sondern die irrigen Voraussetzungen zu zerstören. — Das „nicht von Menschen“ war allen gemeinsam; denn die evangelische Predigt hat Ursprung und Wurzel von oben her. Das „nicht durch Menschen“ aber war den Aposteln eigentümlich; denn (Christus) berief sie nicht durch Menschen, sondern selber in eigener Person. — Warum aber erwähnte Paulus nicht seine Berufung, etwa mit den Worten: Paulus, berufen nicht von Menschen; warum gerade sein Apostolat? Deshalb, weil sich um diesen Punkt der ganze Streit drehte. Man behauptete nämlich, von Menschen, und zwar von den Aposteln, habe er sein Predigtamt empfangen und nach ihnen müsse er sich also auch richten. Daß er es aber nicht von Menschen empfing, erhellt aus der Stelle bei Lukas: „Während sie dem Herrn den Dienst feierten und fasteten, sprach der Hl. Geist: Sondert mir den Paulus und den Barnabas ab!“[14] Aus dieser Stelle geht klar hervor, daß eine und dieselbe Gewalt dem Sohne und dem Geiste eignet.[15] Obschon nämlich Paulus vom Geiste gesandt wurde, behauptet er doch, von Christus gesandt zu sein. Dasselbe legt er auch anderswo dar, indem er dem Geiste göttliche Rechte zuschreibt. In seiner Unterredung mit den Presbytern von Milet[16] nämlich spricht er: „Habt acht auf euch und die ganze Herde, über die euch der Hl. Geist zu Hirten und Bischöfen eingesetzt hat!“[17] Gleichwohl schreibt er in einem anderen Briefe: „Welche Gott gesetzt hat in der Kirche erstens als Apostel, zweitens als Propheten, dann als Hirten und Lehrer.“[18] So unterschiedslos drückt er sich aus, indem er die Prädikate des Geistes Gott, die Prädikate Gottes dem Geiste zuschreibt. — Aber er stopft den Ketzern[19] auch in anderer Weise den Mund, indem er sagt: „durch Jesus Christus und Gott den Vater“. Da sie nämlich behaupten, diese Partikel (διὰ) werde vom Sohne gebraucht, weil sie die Unterordnung ausdrücke, sieh, was tut er? Er setzt sie vor das Wort Vater und belehrt uns dadurch, keine Regeln für die unaussprechliche Wesenheit aufzustellen, noch die Gottheit zwischen Vater und Sohn nach Maßen abzugrenzen. Nachdem er nämlich gesagt hat: „durch Jesus Christus“, fährt er fort: „und Gott den Vater“. — Wenn er den Vater allein erwähnt und gesagt hätte „durch welchen“, so würden sie wahrscheinlich auch da herumgeklügelt und behauptet haben, der Ausdruck „durch welchen“ passe deshalb auf den Vater, weil die Werke des Sohnes auf ihn zurückgeführt würden. Nun er aber den Sohn zugleich mit dem Vater erwähnt und die Partikel gleichmäßig auf beide bezieht, läßt er diese Ausrede nicht mehr zu. Denn Paulus will, indem er also verfährt, keineswegs die Prädikate des Sohnes dem Vater beilegen, sondern lediglich zeigen, daß die Partikel διὰ keine Wesensverschiedenheit begründe. — Was vermöchten hier sodann jene vorzubringen, welche aus der Taufformel eine gewisse Unterordnung erschließen, weil nämlich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Hl. Geistes getauft werde? Wenn der Sohn deshalb geringer ist, weil er dort nach dem Vater zu stehen kommt, was könnten sie sagen, nachdem hier der Apostel mit Christus beginnt und dann erst zum Vater übergeht? Bewahre uns Gott übrigens vor jeglicher Lästerung! Wir dürfen im Streite mit jenen uns nicht der Wahrheit begeben, aber wir müssen auch, mögen sie hundert- und tausendmal Blödsinn schwätzen, uns in den Schranken der Gottesfurcht halten. Wie wir nun nicht behaupten können, der Sohn sei größer als der Vater, weil (Paulus hier) Christus an erster Stelle nennt — denn das wäre heller Wahnsinn und der Gipfel der Gottlosigkeit —, ebensowenig dürfen wir folgern, der Sohn sei geringer als der Vater, weil dort der Sohn dem Vater nachgesetzt wird. — „Welcher ihn auferweckt hat von den Toten.“ Was tust du, Paulus? Die jüdisch Gesinnten willst du zum Glauben führen und erwähnst nichts von jenen großen und herrlichen Dingen, z. B. das, was du im Briefe an die Philipper schriebst: „Da er in Gestalt Gottes war, hielt er es nicht für Raub, Gott gleich zu sein“;[20]oder was du sodann im Briefe an die Hebräer hinausschriest: „Er ist Abglanz seiner Herrlichkeit und Abbild seines Wesens“;[21] oder was jener Sohn des Donners im Eingange (seines Evangeliums) verkündete: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort;“[22] oder was Jesus selber des öfteren den Juden gegenüber betonte, daß er nämlich dieselbe Kraft besitze wie der Vater und dieselbe Gewalt?[23] Davon sagst du nichts, lassest vielmehr all dieses außer acht und gedenkst (seiner) nur nach der menschlichen Seite hin, indem du Kreuz und Tod in den Mittelpunkt deiner Betrachtung rückst? Jawohl, antwortet er. Wenn man es mit Menschen zu tun hätte, die nicht viel von Christus halten, dann wären obige Lobsprüche wohl am Platze. Weil nun aber gegen uns Leute aufstehen, welche Strafe fürchten, wenn sie vom Gesetze abfielen, deshalb erwähnt er eine Tatsache, durch die er jede Verbindlichkeit des Gesetzes löst, ich meine den Segen, der aus dem Kreuze und der Auferstehung allen zuströmt. Hätte er nämlich gesagt: „Im Anfang war das Wort“, und: „er war in Gestalt Gottes“, und: er wirke dasselbe wie Gott, und was dergleichen mehr ist, so würde er damit wohl die Gottheit des Logos bewiesen, aber nichts auf sein Thema Bezügliches beigebracht haben. Durch die Worte hingegen: „der ihn auferweckt hat von den Toten“ erinnert er an den höchsten Beweis seiner Güte gegen uns und förderte damit seine Aufgabe in nicht geringem Maße. Denn für gewöhnlich achtet die Mehrzahl der Menschen nicht so fast auf solche Reden, welche die Erhabenheit Gottes preisen, als auf solche, welche seine Güte gegen uns Menschen dartun. Deshalb unterläßt er es, von jenen Dingen zu sprechen, und verbreitet sich über die uns gewordene Wohltat.

3.

Aber da springen die Ketzer herzu und schreien: Sieh da, der Vater erweckt den Sohn! Denn da sie nun einmal erkrankt sind, stellen sie sich taub gegen alles, was an den Glaubenswahrheiten erhaben ist; das Erniedrigende aber, das also vermerkt wird, sei es um des Fleisches willen, sei es aus Ehrfurcht gegen den Vater, sei es aus irgendeinem anderen Grunde, das suchen sie hervor, legen es ohne Rücksicht auf den Zusammenhang aus und schädigen so, ich sage nicht die Schrift, sondern sich selbst. Diese Leute möchte ich gerne fragen, warum sie eigentlich derlei reden. Wollen sie etwa den Sohn als machtlos hinstellen und als unvermögend, einen einzigen Leib zu erwecken? Und doch hat der Glaube an ihn bewirkt, daß selbst der Schatten der Gläubigen Tote erweckte! So hätten denn wohl seine Gläubigen, sterbliche Menschen, noch dazu durch den bloßen Schatten ihrer irdischen Leiber und durch die Kleider, welche diese Leiber berührten, Tote auferweckt, er aber sollte sich selbst nicht haben auf erwecken können? Wie? Ist das nicht heller Wahnsinn und der Gipfel der Torheit? Hörst du nicht, was er spricht: „Reißet diesen Tempel nieder, und in drei Tagen werde ich ihn wieder auf- richten“;[24] und abermals: „Ich habe Macht, mein Leben hinzugeben, und Macht, es wieder zu nehmen?“[25] Warum also heißt es, der Vater habe ihn auferweckt? Geradeso, wie demselben auch die übrigen Werke (des Sohnes) zugeschrieben werden, die dieser selbst wirkt. Der Ausdruck wurde gewählt, einerseits um den Vater zu ehren, anderseits um der Schwäche der Leser zu begegnen. „Und alle Brüder, die bei mir sind.“ — Warum wohl macht er diesen Zusatz in keinem anderen Briefe? Entweder nämlich setzt er seinen Namen ganz allein oder er führt zwei oder drei andere namentlich an. Hier aber erwähnt er eine ganze Menge und kann deshalb keinen mit Namen nennen. Warum tut er das? Man hatte ihn verleumdet, als stünde er mit seiner Predigt allein und führe eine neue Lehre ein. Um nun ihren Verdacht zu zerstreuen und zu zeigen, daß er viele Gesinnungsgenossen habe, fügte er die Brüder bei und gab dadurch zu verstehen, daß der Inhalt seines Schreibens auch nach deren Sinne sei. — „An die Kirchen von Galatien“. Denn nicht bloß eine Stadt oder zwei oder drei, sondern das ganze Volk der Galater hatte dieses Feuer der Irrlehre ergriffen. Beachte auch hier den tiefen Unwillen! Er sagt nicht: an die Geliebten, oder: an die Heiligen, sondern: an die Kirchen von Galatien. Indem er sie weder mit einem Namen der Liebe noch ehrend mit dem Eigennamen anredete, sondern einzig mit dem Namen der Gemeinde, und auch nicht den Zusatz machte: an die Kirchen Gottes, sondern ganz einfach: an die Kirchen von Galatien, wollte er seiner tiefen Verstimmung und seinem Schmerze Ausdruck verleihen. — Übrigens drängt es ihn gleich von Anfang an, ihre Streitigkeiten beizulegen. Aus diesem Grunde gebrauchte er auch den Ausdruck „Kirche“; er wollte sie beschämen und zur Eintracht bestimmen. Denn Leute, die in viele Parteien zerspalten sind, können nicht wohl mit dieser Anrede begrüßt werden; ist ja der Ausdruck „Kirche“ ein Aus- druck der Eintracht und Einigkeit. —„Gnade euch und Friede von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.“ Stets und überall ist er genötigt, diesen Zusatz zu machen,[26] am meisten aber jetzt, da er an die Galater schreibt. Weil sie nämlich Gefahr liefen, die Gnade zu verlieren, wünscht er ihnen, daß sie dieselbe wiederum voll erlangen. Und weil sie sich selber in den Krieg mit Gott hineingearbeitet haben, bittet er Gott, er möge ihnen zum vorigen Frieden verhelfen. — „Von Gott dem Vater.“ Auch auf Grund dieser Stelle ist es wiederum ein leichtes, die Häretiker[27] zu überführen. Sie behaupten nämlich, Johannes habe in der Einleitung zu seinem Evangelium bei den Worten: θεὸςἦνὁλόγος[28] deswegen keinen Artikel zu θεὸς gesetzt, weil er die Gottheit des Sohnes als (der des Vaters) nachstehend bezeichnen wollte; und ebenso rede Paulus in der Stelle: der Sohn war ἐνμορφῇθεοῦ[29] nicht vom Vater, weil auch dort das Wort θεοῦ ohne Artikel gebraucht werde. Was wollen sie nun hier entgegnen, wo Paulus nicht ἀπὸτοῦθεοῦ, sondern ἀπὸθεοῦπατρὸς sagt? — Vater aber nennt der Apostel hier Gott nicht, um ihnen zu schmeicheln, sondern um sie ernstlich zu tadeln und um zugleich an die Ursache zu erinnern, durch die sie Kinder geworden sind. Denn nicht durch das Gesetz, sondern durch das Bad der Wiedergeburt wurden sie dieser Ehre teilhaftig. Deshalb streut er allüberall schon in der Einleitung die Hinweise auf Gottes Güte aus, so fast als wollte er sagen: Woher nehmet ihr, die Knechte, die Feinde, die Fremdlinge mit einem Male das Recht, Gott euren Vater zu heißen? Hat etwa das Gesetz euch mit dieser Verwandtschaft begnadet? Warum also habt ihr den verlassen, der euch so innig an sich zog, und laufet wieder dem Zuchtmeister nach? — Aber nicht bloß der Name des Vaters, sondern auch der des Sohnes ist geeignet, ihnen diese Güte recht vor Augen zu führen. Denn der Name des Herrn Jesus Christus spricht, wofern er nur aufmerksam erwogen wird, die ganze Fülle der Güte aus. Er wird nämlich, so heißt es,[30] Jesus deshalb genannt werden, „weil er sein Volk erlösen wird von dessen Missetaten“; der Zuname Christus aber erinnert an die Salbung des Hl. Geistes.

4.

V. 4: „Welcher sich hingegeben hat für unsere Sünden.“

Siehst du, daß sein Dienst kein sklavischer und erzwungener war, und daß er auch nicht von einem anderen überliefert wurde, sondern sich selbst dahingab? Wenn du demnach des Johannes Worte vernimmst: „Seinen eingeborenen Sohn hat der Vater für uns hingegeben“,[31]so hüte dich, deshalb die Würde des Eingeborenen herabzusetzen oder an menschliche Unterwürfigkeit zu denken! Denn wenn auch gesagt wird, der Vater habe dahingegeben, so wird es nicht deshalb gesagt, damit du von Sklavendienst träumest, sondern damit du einsehest, wie auch der Vater daran sein Wohlgefallen gehabt hat. Was Paulus übrigens auch an unserer Stelle ausspricht, indem er beifügt: „nach dem Willen Gottes und unseres Vaters“. Nicht: nach dem Auftrage, sondern: nach dem Willen. Denn da ein Wille dem Vater und dem Sohne eignet, so hat das, was der Sohn erstrebte, auch der Vater gewollt. — „Für unsere Sünden.“ Mit tausendfacher Schlechtigkeit, meint er, hatten wir uns angesteckt und mußten der strengsten Züchtigung gewärtig sein. Das Gesetz nun brachte nicht bloß keine Erlösung, sondern überdies noch Verdammnis, weil es einerseits die Sünden offenbar machte, anderseits nicht (davon) zu befreien noch den Zorn Gottes zu besänftigen vermochte. Der Sohn Gottes hingegen hat dieses Unmögliche möglich gemacht; er hat die Sünden getilgt, die Feinde in die Zahl der Freunde versetzt und tausend andere Gnaden geschenkt. — Dann fährt der Apostel fort: „damit er uns errette aus der gegenwärtigen bösen Zeit“. Wiederum klammern sich andere Ketzer[32] an diese Stelle, schmähen das gegenwärtige Leben und berufen sich dabei auf Pauli Zeugnis. Seht da, so sagen sie, er hat die gegenwärtige Zeit eine böse genannt. Nun, was ist denn eigentlich „Zeit“? Antworte mir! — Ei, der Zeitraum, der aus Tagen und Stunden besteht. — Wie? So wäre also der Abstand der Tage böse und der Sonne Lauf? Das dürfte wohl keiner je behaupten, und wenn er an Verstand auch ganz herabgekommen wäre. — Aber er hat nicht vom Zeitraum gesprochen, erwidert man, sondern das gegenwärtige Leben böse genannt. — Fürwahr, der Wortlaut besagt das nicht. Aber du hältst dich ja nicht an den Wortlaut, aus dem du doch die Anklage hast drechseln wollen, sondern bahnst dir selbst einen Erklärungsweg. Nun, dann wirst du auch uns erlauben, die Stelle zu erklären, und dies um so mehr, als unsere Erklärung dem religiösen Gefühl und der Vernunft Rechnung trägt. Was also ist unsere Ansicht? Daß nichts Böses jemals Ursache von etwas Gutem werden kann, das gegenwärtige Leben aber Ursache unzähliger Siegeskronen und unermeßlichen Lohnes ist. Jedenfalls lobt gerade er, der hl. Paulus, es über die Maßen, indem er ausruft: „Wenn aber das Leben im Fleische, wenn dieses mir Frucht des Wirkens bringt, so weiß ich nicht, was ich vorziehen soll.“[33] Und indem er sich selber vor die Wahl stellt, hier zu leben oder aufgelöst zu werden und mit Christus zu sein, zieht er den Aufenthalt in dieser Welt vor. Wenn das gegenwärtige Leben wirklich böse wäre, so hätte jener gewiß nicht Solches von sich selbst gesagt, noch hätte irgendein anderer trotz allen Eifers es für die Tugend nützen können. Denn das Schlechte kann man nie für das Gute nützen: die Unzucht nie für die Keuschheit, die Scheelsucht nie für das Wohlwollen. — Auch wenn Paulus von der fleischlichen Klugheit sagt, daß „sie sich dem Gesetze Gottes nicht fügt, denn sie vermag es nicht“,[34] so meint er damit: das Laster, solange es Laster bleibt, kann nicht Tugend sein. — Wenn du daher von böser Zeit hörst, dann verstehe darunter die bösen Handlungen, die verderbte Willensrichtung. Denn nicht um uns zu töten und fortzunehmen aus diesem Leben, ist Christus gekommen, sondern um durch Belassen in der Welt uns des Aufenthaltes in den himmlischen Räumen würdig zu machen. Darum flehte er auch im Gebete zu seinem Vater: „Diese sind in der Welt, und ich komme zu dir… Ich bitte nicht, daß du sie hinwegnehmest von der Welt, sondern daß du sie bewahrest vor dem Bösen“,[35] d. i. vor dem Laster. — Befriedigt dich aber diese Erklärung nicht, und verbleibst du bei deiner Behauptung, das gegenwärtige Leben sei böse, dann schilt mir nicht die Selbstmörder! Denn gleich wie der, welcher sich dem Laster entzieht, nicht Schelte, sondern vielmehr Kränze verdient, ebensowenig darf der, welcher durch gewaltsamen Tod, sei es den Strang oder auf andere Weise, seinem Leben ein Ende macht, nach eurer Auffassung billig gescholten werden. Nun aber straft Gott solche Menschen strenger als die Meuchelmörder, und wir alle hegen (vor ihnen) den tiefsten Abscheu; und das mit Fug und Recht. Denn wenn es nicht erlaubt ist, andere zu töten, dann noch viel weniger sich selbst. — Noch eines: Wäre das gegenwärtige Leben ein Übel, so müßte man die Mörder belohnen, weil sie uns von dem Übel befreien. — Außerdem geraten jene Ketzer auch mit ihren eigenen Behauptungen in Widerspruch. Indem sie faseln, die Sonne sei Gott und nach ihr der Mond, und dieselben als Spender vieler Güter anbeten, widersprechen sie sich selbst. Denn diese und alle übrigen Gestirne bieten weiter keinen Nutzen, als daß sie beitragen zum gegenwärtigen, nach ihrer Behauptung so bösen Leben: sie vermitteln dem Leibe Wachstum und Licht und bringen die Früchte zur Reife. Warum also leisten zur Erhaltung des Lebens diese eure vermeintlichen Götter so große Dienste? Aber weder sind die Gestirne göttliche Wesen — das sei ferne! —, sondern Geschöpfe Gottes, ins Dasein gerufen zu unserem Nutzen, noch ist die Welt böse. — Du weist hin auf die Mörder, die Ehebrecher, die Grabschänder? Das hat mit dem gegenwärtigen Leben nichts zu tun. Diese Frevel fallen nicht dem Leben im Fleische, sondern dem verderbten Willen zur Last. Denn wenn sie dem gegenwärtigen Leben notwendig anhafteten, ihm gleichsam als unausweichliches Los zugefallen wären, dann wäre niemand frei und niemand rein. Bedenke doch, daß kein Mensch sich den Besonderheiten des Lebens im Fleische zu entziehen vermag! Welche sind diese? Speise, Trank, Schlaf, Wachstum, Hunger, Durst, Geburt, Tod und Ähnliches. Niemand kann darüber hinaus: nicht der Sünder, nicht der Gerechte, nicht der König, nicht der Bettler, sondern alle unterliegen wir dem Zwange der Natur. So könnte auch dem Verbrechen, wenn es zur Natur des Lebens gehörte, niemand entgehen, ebensowenig wie diesen Dingen. — Wende mir nicht ein, daß es nur wenige rechtschaffene Männer gebe! Du wirst keinen Menschen finden, der sich je über die Schranken der Natur erhoben hätte. Solange deshalb auch nur ein einziger sich finden läßt, der die Tugend hochhält, wird unser Argument in nichts entkräftet werden. — Wie, du elender Wicht, bös soll dieses gegenwärtige Leben sein, in dem wir Gott kennengelernt haben, in dem wir tiefen Einblick in die Natur gewinnen, in dem wir aus Menschen Engel gewor- den sind und teilnehmen an den Chören der himmlischen Kräfte? Brauchen wir da noch einen anderen Beweis, daß eure Ansicht böse und verkehrt ist?

5.

Warum also, erwiderst du, hat Paulus die gegenwärtige Zeit eine böse genannt? Er folgte dabei dem täglichen Sprachgebrauche. Auch wir pflegen zu sagen: Ich habe einen schlechten Tag gehabt, wobei wir nicht die Zeit als solche, sondern die Tätigkeit und Umstände anklagen. So bedient sich auch Paulus, wo er gegen die verkehrte Willensrichtung der Menschen Klage erhebt, der herkömmlichen Ausdrucksweise und zeigt, daß Christus uns von den Sünden der Vergangenheit erlöst und für alle Zukunft sichergestellt hat. Durch die Worte nämlich: „welcher sich hingegeben hat für unsere Sünden“ deutet er das erstere an; durch den Zusatz aber: „damit er uns errette aus der gegenwärtigen bösen Zeit“ drückt er die Sicherstellung für die Zukunft aus. Das Gesetz war nicht imstande, auch nur das eine zu bieten, die Gnade aber erwies sich stark nach beiden Richtungen hin. — „Nach dem Willen Gottes und unseres Vaters.“ Da jene Irrlehrer es als Treulosigkeit gegen Gott, den Spender des Gesetzes, erachteten und sich (deshalb) scheuten, vom Alten zum Neuen Bunde überzugehen, berichtigt er auch diesen ihren Irrwahn und erklärt, es sei dies auch dem Vater wohlgefällig. Auch sagt er nicht einfach „des Vaters“, sondern „unseres Vaters“, welchen Ausdruck er beharrlich beibehält, indem er zu ihrer Beschämung zeigt, daß Christus seinen eigenen Vater uns zum Vater gegeben habe.

V. 5: „Welchem Ehre sei in alle Ewigkeit. Amen.“

Auch das ist neu und ungewöhnlich. Sonst finden wir das Wörtlein „Amen“ nie am Anfang und im Eingang eines Briefes gesetzt, sondern immer erst nach einem längeren Abschnitte. Hier indes, um anzudeuten, daß das Gesagte zur Anklage gegen die Galater bereits hinreiche und daß die Auseinandersetzung eigentlich zu Ende sei, wählte er diesen Eingang. Denn ein offenbar gerechter Vorwurf bedarf keiner langen Beweisführung. Der Apostel erinnert an das Kreuz und die Auferstehung, an die Erlösung von den Sünden, an die Sicherstellung für alle Zukunft, an den Willen des Vaters, an den Ratschluß des Sohnes, an die Gnade und den Frieden, lauter Geschenke seiner Huld, und schließt mit dem Lobspruche. — Das ist übrigens nicht der einzige Grund, warum er also verfuhr. Er wurde zugleich ganz hingerissen von Staunen über die Größe des Geschenkes und das Übermaß der Gnade, besonders wenn er bedachte, wer wir waren, und was Gott aus uns gemacht hat, plötzlich und gleichsam in einem einzigen Augenblicke. Als könne er dies nicht in Worte fassen, bricht er mit der Doxologie ab und sendet, nicht was sich an Lobpreis gebührt, sondern was er zu geben vermag, für die ganze Welt zum Himmel empor. Deshalb verschärft er auch nach diesen Worten seinen Ton, gleich als wäre er ganz entflammt worden von dem Gedanken an die Wohltaten Gottes. Nach den Worten nämlich: „welchem Ehre sei in alle Ewigkeit. Amen“ beginnt er mit einem ziemlich scharfen Verweise und sagt:

V. 6: „Ich bin befremdet, daß ihr euch so schnell abwenden lasset von dem, der euch berufen hat in der Gnade Christi, zu einem anderen Evangelium.“

Da sie nämlich, ganz so wie die christusfeindlichen Juden, durch die Beobachtung des Gesetzes dem Vater zu gefallen vermeinten, zeigt er zuerst, daß sie durch eine solche Handlungsweise nicht bloß Christus, sondern auch den Vater erzürnen. Nicht (allein) dem Sohne, schreibt er, nein, auch dem Vater werdet ihr durch eine solche Handlungsweise abtrünnig. Denn wie der Alte Bund nicht ausschließlich ein Werk des Vaters war, sondern zugleich des Sohnes, so ist auch die Gnade nicht ausschließlich ein Werk des Sohnes, sondern zugleich des Vaters: sie haben alles gemeinsam. „Alles, was immer der Vater hat, ist mein.“[36] Indem also Paulus versichert, daß sie auch dem Vater untreu würden, wirft er (ihnen) ein Doppeltes vor: den Abfall an sich und die erstaunliche Schnelligkeit des Abfalls. Auch das Gegenteil wäre tadelnswert gewesen, wenn sie nämlich nach längerer Zeit abgefallen wären; aber hier ist von Täuschung die Rede. Gewiß, auch der verdient schwere Vorwürfe, der nach längerer Zeit zu Falle kommt; aber wer gleich beim ersten Anprall, beim Beginn des Treffens, niedergeworfen wird, bietet ein Bild jammervollster Schwäche. Das wirft er ihnen denn auch vor und sagt: Was soll das heißen, daß eure Verführer nicht einmal Zeit bedürfen, sondern der erste Angriff genügt, um euch alle niederzustrecken und gefangenzunehmen? Wie könntet ihr da Verzeihung erlangen? Wenn dies Freunden gegenüber schon schmachvoll ist und wenn der verdammenswert handelt, der alte und bewährte Freunde im Stiche läßt: dann erwäge, was jener für Strafe zu gewärtigen hat, welcher von Gottes rufender Stimme sich abkehrt! — Mit den Worten: „Ich bin befremdet“ will er sie nicht bloß beschämen, daß sie nach so viel Gnade, nach solcher Sündenvergebung, nach so überschwenglicher Güte aus freien Stücken unter das Sklavenjoch zurückkehrten, zugleich[37] aber auch der hohen und ehrenvollen Meinung Ausdruck verleihen, welche er von ihnen hat; denn wenn er sie für gewöhnliche Einfaltspinsel angesehen hätte, würde er sich über das Geschehene nicht gewundert haben; da ihr aber, meint er, tüchtige und verdienstvolle Männer seid, deshalb fühle ich mich befremdet. Eine solche Rede war geeignet, sie wieder zu gewinnen und ins frühere Geleise zu bringen. Auch gegen die Mitte des Briefes zu spricht er den gleichen Gedanken aus, indem er sagt: „So vieles habt ihr vergeblich erduldet, wenn jedoch vergeblich!“[38] — „Ihr laßt euch abwenden.“ Er sagt nicht: ihr ließet euch abwenden, sondern: „ihr laßt euch abwenden“, d. h. ich glaube es nicht und kann es nicht glauben, daß der Betrug ganz geglückt sei. Auch diese Äußerung wieder verrät sein Bestreben, eine Umkehr zu bewirken. Deutlicher drückt er dies in der Folge aus: „Ich habe das Vertrauen zu euch, daß ihr keine andere Gesinnung haben werdet.“[39] — „Von dem, welcher euch berufen hat in der Gnade Christi.“ Die Berufung liegt beim Vater, die Ursache der Berufung beim Sohne; er ist’s, der uns Versöhnung und Gnade gebracht hat; denn nicht durch die Werke der Gerechtigkeit sind wir gerettet worden. Besser gesagt: diese liegt auch bei jenem und jene auch bei diesem; denn es heißt: „Das Meinige ist dein, und das Deinige ist mein.“[40]— Er sagt nicht: Vom Evangelium laßt ihr euch abwenden, sondern: „von Gott, welcher euch berufen hat“. Der Apostel hat mit Absicht solche Ausdrücke gewählt, die sehr wirksam klingen und recht zu erschüttern vermögen. Die Leute nämlich, welche auf ihre Täuschung ausgingen, taten dies nicht auf einmal, sondern stahlen ihnen nach und nach die Sache, ohne die Worte zu ändern. Darin liegt aber die Arglist des Teufels, daß er seine Fallstricke nicht offen auslegt. Wenn sie gesagt hätten: Fallet ab von Christus!, so würden (die Galater) sie als Betrüger und Verführer gemieden haben. Nun aber beließen sie dieselben einstweilen in ihrem Glauben, deckten ihren Trug mit dem Namen des Evangeliums und machten sich in aller Ruhe daran, das Gebäude zu untergraben, indes das angegebene Verfahren, wie eine Art Vorhang, durch eben diese leeren Namen die Wühler verbarg.

6.

Weil sie nun ihr Trugsystem Evangelium nannten, erhebt Paulus mit Recht auch gegen diese Bezeichnung Einsprache und erklärt offen: „zu einem anderen Evangelium,

V. 7: welches aber kein anderes ist“.

 Ganz gut; denn es gibt wirklich kein anderes. Aber was den Kranken widerfährt, daß sie vom Genusse gesunder Speisen Schaden nehmen, ebendasselbe ist auch Marcion[41] mit unserer Stelle widerfahren. Er hat dieselbe für sich in Anspruch genommen und gesagt: Siehe, auch Paulus lehrt, daß es kein zweites Evangelium gibt. Sie anerkennen nämlich nicht alle Evangelisten, sondern nur einen einzigen, und selbst diesen verstümmelten und verfälschten sie durch Zusätze ganz nach Belieben.[42] Wie nun, wenn derselbe Apostel sagt: „nach meinem Evangelium[43] und der Predigt Jesu Christi“? — Was jene vorbringen, ist gewiß recht lächerlich; indes wenn es auch lächerlich ist, müssen wir es doch widerlegen um des Volkes willen, das gar leicht hintergangen wird. Welches ist also unser Dafürhalten? Daß, mögen auch Tausende und aber Tausende Evangelien schreiben, sofern sie nur das gleiche schreiben, die vielen Evangelien eins sind, und daß die Einheit durch die Vielheit der Verfasser nicht beeinträchtigt wird; sowie daß im Gegenfalle, wenn zwar der Verfasser wieder der gleiche bliebe, derselbe aber Widersprechendes zur Darstellung brächte, seine Darstellungen nicht eins sind. Denn das Einssein und Nichteinssein bemißt sich nicht nach der Zahl der Verfasser, sondern nach der Gleichheit bzw. Verschiedenheit des Inhaltes. Daraus ergibt sich, daß auch die Evangelien der Vier ein einziges Evangelium bilden. Denn wenn die Vier das gleiche erzählen, so ist das nicht fallsweise etwas anderes wegen des Unterschiedes der Per- sonen, sondern eins wegen der Übereinstimmung des Inhaltes. — Paulus redet nun an unserer Stelle nicht von der Zahl (der Verfasser), sondern von der Verschiedenheit des Inhaltes. Wenn also das Evangelium des Matthäus und das des Lukas verschieden sind hinsichtlich der Bedeutung des Inhalts und der Richtigkeit der Lehre, dann nehmen jene mit Recht (unsere Brief-) Stelle für sich in Anspruch; wenn sie aber eins und dasselbe sind, dann mögen jene aufhören mit ihrem einfältigen Geschwätz und sich nicht länger in Dingen unwissend stellen, die vor kleinen Kindern offen daliegen … „außer daß es gewisse Leute gibt, welche euch verwirren und welche das Evangelium Christi verkehren möchten“. Das heißt: Solange euer Verstand gesund ist, werdet ihr kein anderes Evangelium anerkennen, solange ihr Richtiges schauet und nicht Verkehrtes, das nur in eurer Einbildung besteht. Denn gleichwie das verstörte Auge ein Ding für das andere ansieht, so pflegt es auch dem Verstande zu ergehen, der getrübt ist durch ein Wirrsal falscher Schlüsse. Das ist der Grund, warum die Rasenden sich allerlei verkehrtes Zeug einbilden. Aber diese Art von Irrsein ist gefährlicher als jene, weil sie nicht auf sinnlichem, sondern auf geistigem Gebiete Schaden stiftet, nicht an der Pupille der leiblichen Augen, sondern an den Augen der Vernunft Unheil anrichtet. — „Und das Evangelium Christi verkehren möchten“. Sie hatten wohl nur ein und das andere Gebot eingeführt, das der Beschneidung und der Festtage aufgefrischt; aber um anzudeuten, daß eine kleine Verfälschung das Ganze verdirbt, spricht er von einem Verkehrenwollen des Evangeliums. Wie man nämlich bei den Münzen des Königs nur ein bißchen Prägung abzuschneiden braucht, um die ganze Münze zu entwerten, so schädigt, wer die gesunde Lehre auch nur im kleinsten Punkte verkehrt, das Ganze, weil er, damit beginnend, in stets größere Irrtümer verfällt. Wo sind sie nun, die uns als streitsüchtig verdammen, weil wir uns mit den Häretikern auseinandersetzen? Wo sind sie nun, die da behaupten, zwischen uns und jenen gäbe es keinen Unterschied, der ganze Zwist entspringe lediglich der Herrschsucht? Sie mögen hören, was Paulus (von den jüdischen Irrlehrern) sagt, daß sie, obschon sie nur geringfügige Neuerungen einführten, das Evangelium verkehrt haben. Die Neuerungen dieser[44] aber sind nicht geringfügig; wie sollten sie auch, da sie den Sohn Gottes für ein Geschöpf erklären! Hast du nicht gehört, daß schon im Alten Bunde der Mann, der am Sabbate Holz auflas und dadurch ein Gebot, und nicht etwa das größte, übertrat, mit der höchsten Strafe büßen mußte?[45] Und daß Oza, als er die schwankende Lade stützte, eines plötzlichen Todes starb, weil er sich ein fremdes Amt angemaßt hatte?[46] Wie? Die Schändung des Sabbats und die Berührung der fallenden Lade hat Gott in solchen Unwillen versetzt, daß jene Frevler nicht die geringste Verzeihung fanden, ein Mensch aber, der so unaussprechlich erhabene Geheimnisse schändet, ein solcher sollte Entschuldigung und Nachsicht erlangen? Nein und abermals nein! Aber das gerade ist ja auch die Ursache allen Unheils, daß man sich um solche Kleinigkeiten nicht kümmert. Weil die leichten Vergehen ohne entsprechende Züchtigung bleiben, deshalb ist es zu schwereren gekommen. Wie in leiblicher Beziehung vernachlässigte Wunden Fieber und Brand, ja den Tod verursachen, so führt in geistiger Beziehung die Mißachtung des Geringen zum Größeren. Der da, sagt man, übertritt das Fastengebot, aber es hat nichts zu bedeuten. Ein anderer steht fest im wahren Glauben, nur verstellt er sich aus (gewissen) Rücksichten und hat es aufgegeben, offen Farbe zu bekennen; auch das ist nicht so schrecklich. Wieder ein anderer hat im Ärger gedroht, er wolle vom wahren Glauben abfallen, aber auch da ist keine Ursache zum Einschreiten gegeben; er hat ja im Zorne gefehlt, sagt man, und in der Aufregung. Derartige Sünden könnte man unzählige anführen, die tagtäglich in die Kirche eingeschleppt werden. Deswegen sind wir den Juden und Heiden zum Gespötte geworden, weil die Kirche in tausend Parteien gespalten ist. Wenn alle diejenigen, welche anfingen, Gottes Gebote zu übertreten und in Kleinigkeiten abzuweichen, (sogleich) die verdiente Zurechtweisung gefunden hätten, dann wäre die Pest unserer Tage nicht entstanden und hätte nicht dieser gewaltige Sturm die Kirche erfaßt. — Sieh also, wie Paulus die Beschneidung eine Verkehrung des Evangeliums nennen kann!

7.

Nun aber gibt es viele unter uns, welche am gleichen Tage fasten wie die Juden, und welche ebenso auch die Sabbate halten. Und wir dulden das großmütig oder vielmehr — feigherzig. Doch was rede ich von jüdischen Gebräuchen? Werden doch auch viele heidnische in manchen unserer Familien beobachtet, z. B. das Wahrsagen aus Stimmen, aus dem Fluge der Vögel, die Vorbedeutungen, die Unglückstage, das Gehabe bei den Geburten und die von Gottlosigkeit jeglicher Art strotzenden Zettel, welche sie gleich den neugeborenen Kindern zu deren Verderben ans Haupt heften, indem sie dieselben so von allem Anfang an zur Vernachlässigung der Tugend anleiten und ihr Los unter die erlogene Tyrannei der Schicksalsbestimmung stellen. Wenn aber schon denen, die sich beschneiden lassen, Christus nichts nützt, was kann dann der Glaube jenen weiter zum Heile sein, die solches Verderben einführen? Die Beschneidung war sogar von Gott angeordnet, und dennoch setzte Paulus, da ihr Gebrauch als nicht mehr zeitgemäß dem Evangelium Schaden brachte, alle Hebel in Bewegung, um sie abzuschaffen. Wie? Ein Paulus hat sich so sehr im Kampfe gegen die jüdischen Gebräuche abgemüht, als ihre Beobachtung unzeitgemäß geworden war, und wir, wir sollten nicht einmal die heidnischen Gebräuche aus- rotten dürfen? Welche Entschuldigung hätten wir da? Daher kommt es, daß Verwirrung und Unruhe in unseren Reihen herrscht und daß Leute, die lernen sollten, voll unerträglichen Dünkels die rechte Ordnung gestört und das Oberste zu unterst gekehrt haben. Beim leisesten Tadel begeifern sie die Obrigkeit, eben weil wir sie von Jugend auf schlecht erzogen haben. Und wären die Oberen noch so fehlerhaft, ja der Inbegriff aller Schlechtigkeit, auch dann dürfte ein Untergebener sich nicht so unbotmäßig zeigen. Von den jüdischen Schriftgelehrten sagt (Christus),[47] weil sie auf den Stühlen Mosis säßen, müßten die Jünger billigerweise auf sie hören. Gleichwohl waren ihre Werke so schlecht, daß er den Jüngern gebot, sie beileibe nicht nachzuahmen. Kann man angesichts dessen noch jenen Menschen eine Entschuldigung zubilligen, welche die Autorität der Kirchenvorstände begeifern und mit Füßen treten, obwohl dieselben in der Gnade Gottes mit aller Ehrbarkeit wandeln? Wenn es Sünde ist, über Gleichgestellte abzusprechen, dann um so mehr über die Lehrer,

V. 8: „Aber selbst wenn ich oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium verkündigten wider das, welches ihr empfangen habet, der sei verflucht.“

Betrachte die Klugheit des Apostels! Damit nicht einer sage, aus eitler Ruhmsucht schmiede er sich eigene Lehrsätze zusammen, unterstellte er sich selbst dem Fluche. Weil jene sich auf Autoritäten beriefen, nämlich auf Jakobus und Johannes, bringt er die Engel vor. Rede mir nicht von Jakobus, will er sagen, und von Johannes! Denn wenn selbst einer von den vornehmsten Engeln des Himmels das Evangelium verkehrte, der sei verflucht! Er sagt nicht einfachhin „von den Engeln“,[48] sondern weil auch die Priester Engel genannt wurden — „denn die Lippen des Priesters sollen Erkenntnis bewahren, und man soll das Gesetz suchen aus seinem Munde, denn ein Engel des Herrn der Heerscharen ist er“[49] —, damit man nicht meine, daß von diesen Engeln die Rede sei, fügt er bei „des Himmels“ und bezeichnet hierdurch die Mächte aus der Höhe. Auch sagt er nicht: Wenn sie das Gegenteil predigen oder die ganze Glaubenslehre umstürzen, sondern: wenn sie auch nur ein Geringes predigen wider das, was wir gepredigt haben, wenn sie auch nur an einer Kleinigkeit rütteln, so sollen sie verflucht sein.

V. 9: „Wie ich schon vorher gesagt habe, so nun sage ich wieder.“

Damit man nicht meine, seine Worte seien dem Zorne entsprungen oder im Überschwange gesprochen oder in einer Aufwallung von Leidenschaft, gebraucht er dieselben Ausdrücke zum zweiten Male. Denn wer im Zorne redet, den wird es bald gereuen; wer aber ein zweites Mal dasselbe sagt, gibt zu erkennen, daß er mit Bedacht also gesprochen und erst nach vorausgegangener Überlegung sich dieser Ausdrucksweise bedient hat. — Als Abraham gebeten wurde, er möchte den Lazarus senden, gab er zur Antwort: „Sie haben Moses und die Propheten; wenn sie auf diese nicht hören, werden sie auch den Toten, falls sie auferstünden, kein Gehör schenken.“[50] Diese Worte legt ihm Christus in den Mund, um anzudeuten, daß nach seinem Willen die Schrift größeren Glauben verdient als selbst Tote, die zum Leben auferstehen. Paulus aber — und wenn ich von Paulus rede, meine ich wiederum Christus, der ihn beseelte —, stellt sie über die Engel des Himmels; und das ganz mit Recht. Denn die Engel, mögen sie auch noch so hoch stehen, sind doch nur Diener und Knechte, die Schrift aber in ihrer Gesamtheit ist nicht von Knechten, sondern vom allwaltenden Gotte geschrieben und übersandt. Deshalb spricht er: „Wenn euch irgend jemand ein Evangelium verkündigte wider das, welches wir euch verkündigt haben.“ Er sagt nicht: dieser oder jener; das war sehr klug und besonnen von ihm. Was bedürfte es noch der Nennung von Namen, da er einen so überschwenglichen Ausdruck gebrauchte, welcher alle, Himmlische und Irdische, zugleich umfaßte. Er bedrohte die Evangelisten und Engel mit dem Fluche und umschrieb damit alles Erhabene; er bedrohte sich selbst und umschrieb damit alles Bekannte und Verwandte. Sage mir keiner (so spricht er), deine Mitapostel und Genossen lehren dies: ich schone ja mich selber nicht für den Fall, daß ich solches predige. Mit diesen Worten will er keinesfalls die Apostel beschuldigen, als ob sie wider das Evangelium predigten, Gott behüte! Er sagt ja: wenn wir oder jene so lehren; er will nur zeigen, daß kein Ansehen der Person gilt, wo es sich um die Wahrheit handelt.

V. 10: „Denn suche ich jetzt Menschen zu gewinnen oder Gott? Oder trachte ich Menschen zu gefallen? Wollte ich jetzt Menschen gefallen, würde ich Christi Diener nicht sein.“

Gesetzt auch, meint er, ich würde euch durch meine Worte täuschen, kann ich wohl auch Gott betrügen, der die Geheimnisse des Herzens kennt und dem ich aus ganzer Seele in allem zu gefallen bestrebt bin? Siehst du apostolische Gesinnung? Erkennst du die Erhabenheit des Evangeliums? Eben das nämliche schreibt er in seinem Briefe an die Korinther: „Wir bringen uns euch nicht in Empfehlung, sondern geben euch Anlaß zum Rühmen.“[51] Und wiederum: „Mir aber liegt das wenigste daran, von euch gerichtet zu werden oder von einem menschlichen Tage.“[52] Da er genötigt ist, als Lehrer sich seinen Schülern gegenüber zu verteidigen, zwingt er sich wohl dazu, jedoch nur mit Unwillen im Herzen; ein Un- wille, der nicht in persönlichem Stolze — da sei Gott davor! — sondern im Wankelmute der Verführten und ihrem geringen Vertrauen seinen Grund hat. Deswegen haben seine Worte ungefähr den Sinn: Habe ich es etwa mit euch zu tun? Werden etwa Menschen über mich zu Gerichte sitzen? Wir unterstehen Gottes Gericht, und der Rechenschaft dort drüben gilt all unser Bemühen. Noch haben wir uns nicht zu einem solchen Grade von Unseligkeit verstiegen, daß wir die Glaubenslehren fälschen, nachdem wir doch über unsere Predigt vor dem König der Könige Rechenschaft ablegen müssen.

8.

Demzufolge liegt in seinen Worten ebensogut Angriff wie Abwehr. Denn den Schülern kommt es nicht zu, mit ihren Lehrern zu rechten, sondern ihnen zu glauben. Weil aber die Ordnung einmal verkehrt ist und ihr auf dem Richterstuhle thronet, meint er, so wisset, daß mir wenig daran liegt, mich vor euch zu rechtfertigen; sondern wir tun alles im Hinblick auf Gott, damit wir diese unsere Lehre vor ihm rechtfertigen können. Wer Menschen zu gewinnen sucht, geht oft heimliche und krumme Wege, greift zu Lüge und Täuschung, um nur die Hörer zu überzeugen und für seine Ansicht einzunehmen. Wer aber Gott gewinnen und ihm gefallen will, braucht ein reines und aufrichtiges Herz; denn die Gottheit steht hoch über aller Täuschung. Daraus ergibt sich, meint er, daß auch wir nicht aus Herrschsucht, noch um Schüler zu ködern, noch um ein Lob zu erhaschen dies schreiben. Wir suchten nie Menschen zu gefallen, sondern Gott. Denn wenn ich Menschen gefallen wollte, wäre ich noch bei den Juden, würde ich noch die Kirche verfolgen. Wer aber, wie ich, auf sein ganzes Volk, auf Verwandte, Freunde und Bekannte, auf seine ehrenvolle Stellung verzichtet und dafür Verfolgung, Feindschaft, Kampf und tägliche Todesgefahr eingetauscht hat, da ist es offenbar, daß ich[53]auch das, was ich jetzt rede, nicht des menschlichen Lobes wegen rede. — Paulus nimmt diese Wendung, weil er im Begriffe steht, auf sein Vorleben und seine plötzliche Sinnesänderung einzugehen und durch augenscheinliche Gründe zu beweisen, daß die Wahrheit auf seiner Seite stehe. Damit sie nicht etwa wähnten, er wolle ihnen damit Rechenschaft ablegen, und sich deshalb überhöhen, schickte er die Worte voraus: „Suche ich jetzt Menschen zu gewinnen?“ Denn er versteht es, zur richtigen Zeit, wenn es das geistige Wohl seiner Schüler gilt, auch mächtige und volle Töne anzuschlagen. Wohl konnte er die Wahrheit seiner Predigt anderweitig erhärten, nämlich durch die Zeichen und Wunder, die Gefahren, die Fesseln, die tägliche Todesnot, Hunger, Durst und Blöße und andere Leiden dieser Art. Aber da er es jetzt nicht mit Lügen-, sondern mit wirklichen Aposteln zu tun hat, welche dieses, die Gefahren nämlich, in gleicher Weise erduldet hatten, wählt er eine andere Art der Beweisführung. Sonst, wenn er die Lügenapostel aufs Korn nimmt, rückt er die Standhaftigkeit bei Ertragung der Gefahren in den Mittelpunkt der Erörterung und sagt: „Diener Christi sind sie? (Um töricht zu reden) ich noch mehr; durch Mühsale gar häufig, durch Gefangenschaft übergenug, durch Schläge über die Maßen, durch oftmalige Todesnöte.“[54] Jetzt bringt er seinen früheren Lebenswandel vor und betont:

V. 11: „Ich tue euch kund, Brüder, — das Evangelium, welches von mir ist verkündet worden, es ist nicht Menschenwerk. V. 12: Auch ich habe es nicht von einem Menschen empfangen noch gelernt, sondern durch Offenbarung Jesu Christi.“

Betrachte, wie er nach allen Seiten hin die Tatsache zu erhärten versucht, daß er Schüler Christi ist, der nicht durch menschliche Vermittlung, sondern in eigener Per- son sich gewürdigt hat, ihm jegliche Kenntnis zu erschließen. — Und wenn nun einer nicht glaubte, daß Gott selber in eigener Person und ohne fremde Vermittlung dir jene erhabenen Geheimnisse enthüllt hat, wodurch könnte man ihn überzeugen? — Durch mein früheres Leben, antwortet er; denn wenn die Offenbarung nicht von Gott gekommen wäre, würde ich mich nicht so schnell geändert haben. Wo Menschen unterrichten, bedarf es bei solchen, die mit Entschiedenheit und Feuer die gegenteilige Ansicht vertreten, viel Zeit[55] und Müh, um sie umzustimmen. Wer aber so schnell sich änderte und gerade auf der Höhe seiner Tollheit den klaren, nüchternen Verstand wiedergewann, der ist offenbar durch Gottes Licht und Lehre so schnell zur geistigen Klarheit und Gesundheit gelangt. Deshalb sieht er sich gezwungen, auf seine frühere Bekehrung zurückzukommen, und ruft sie zu Zeugen des Vorgefallenen auf. — Daß der eingeborene Sohn Gottes selber sich würdigte, vom Himmel aus mich zu berufen, das wißt ihr nicht. Wie solltet ihr auch, da ihr nicht zugegen waret? Aber daß ich ein wütender Verfolger war, das wißt ihr. Ist ja die Kunde von meinem Wüten bis zu euch gedrungen, trotzdem Palästina und Galatien weit voneinander entfernt sind. Einen solchen Umfang hätte das Gerücht gewiß nicht angenommen, wenn nicht die Geschehnisse zu ungewöhnlichem Maße und bis zur Unerträglichkeit für alle sich gesteigert hätten. Darum fährt er auch fort:

V. 13: „Ihr habt ja wohl von meinem Wandel vordem im Judenlande gehört, wie ich die Kirche Gottes über die Maßen verfolgte und sie verwüstete.“

Siehst du, wie er jedes Wort mit Nachdruck spricht und ohne zu erröten? Nicht einfach verfolgt hat er, sondern über alle Maßen, und nicht bloß verfolgt, sondern auch verwüstet, d. h. versucht, die Kirche aus- zutilgen, umzustürzen, zu zerstören, zu vernichten. Darauf geht ein Verwüster aus.

V. 14: „Ich tat mich vordem im Judentume vor vielen meiner Altersgenossen in meinem Geschlechte hervor, indem ich überschwenglicher eiferte für meine väterlichen Überlieferungen.“

Damit du nämlich nicht glaubest, er habe aus Haß gehandelt, zeigt er, daß ihn wirklicher Eifer beseelte, freilich (ein Eifer) ohne Einsicht; daß ihn nicht Ruhm- oder Rachsucht zum Verfolger machte, sondern „der Eifer für meine väterlichen Überlieferungen.“ Der Sinn seiner Worte ist: Wenn ich gegen die Kirche arbeitete nicht aus menschlichen Beweggründen, sondern aus Eifer für Gott, einem zwar irregeleiteten, aber doch wahren Eifer, wie sollte ich jetzt, wo ich für die Kirche eintrete, nachdem ich die Wahrheit erkannt, dieses aus eitler Ruhmsucht tun?

9.

Wenn mich zur Zeit, da ich irrte, keine solche Leidenschaft beherrschte, sondern der Eifer für Gott mich dazu trieb, so sollte ich jetzt, wo ich die Wahrheit einsehe, billigerweise um so eher von derartigem Verdachte verschont bleiben. Denn sobald ich mich zum Glauben der Kirche bekehrt hatte, legte ich auch alle jüdischen Vorurteile ab und ging hierin mit noch viel größerem Eifer zu Werke; ein Zeichen, daß ich wahrhaft umgewandelt und für Gottes Sache begeistert bin. Wenn nicht dieses, was dann sonst — sage mir — war die Ursache der gewaltigen Veränderung, daß ich Schmach für Ehre, Gefahr für Ruhe, Trübsal für Sicherheit eintauschte? Der Grund ist kein anderer als einzig und allein die Liebe zur Wahrheit.

V. 15: „Als es aber Gott gefiel, der mich schon vom Mutterschoße an ausgesondert und durch seine Gnade berufen hat, V. 16: seinen Sohn in mir zu offenbaren, damit ich ihn verkündige unter den Heiden, da hielt ich mich sofort nicht an Fleisch und Blut.“

Siehe, wie er sich hier bemüht zu zeigen, daß auch die Zeit seiner Gottentfremdung einem geheimen Ratschlusse (Gottes) entsprang! Denn wenn er vom Mutter-schoße an erwählt war, dereinst Apostel zu sein und zu diesem Amte berufen zu werden, die Berufung aber (erst) damals geschah und er ihr sogleich Folge leistete, so ergibt sich klar, daß Gott aus irgendeinem geheimen Grunde bis dahin zögerte. Welches ist nun dieser göttliche Ratschluß? — Vielleicht habt ihr von mir einleitend darüber Aufschluß begehrt, warum denn Gott ihn nicht mit den Zwölfen berief. Aber damit ich nicht meiner eigentlichen Aufgabe vergessend allzu weitschweifig werde, ermahne ich eure Liebe: Wollet nicht alles von mir verlangen, sondern suchet es selber herauszubringen und bittet Gott um seine Erleuchtung! Auch haben wir über diesen Punkt schon einiges gesagt, damals als wir über seine Namensänderung zu euch sprachen, und warum (Gott) ihn, der früher Saulus hieß, Paulus benannte. Wenn ihr es vergessen habt, so nehmt jene Schrift[56] zur Hand und ihr werdet alles erfahren. Für jetzt wollen wir den Faden der Rede festhalten und betrachten, wie der Apostel auch da wieder zeigt, daß bei ihm nichts rein Menschliches vorgekommen, sondern Gott sein ganzes Geschick mit großer Sorgfalt gelenkt habe. — „Und mich durch seine Gnade berufen hat“. Gott versichert, er habe ihn berufen wegen seiner Tüchtigkeit. „Er ist mir ein auserwähltes Rüstzeug“, sprach er zu Ananias, „meinen Namen vor Völker und Könige zu tragen“,[57] d. h. er ist tauglich, mir zu dienen und große Dinge zu vollführen. Das (also) bezeichnet (Gott) als Ursache der Berufung. Er aber schreibt überall alles der Gnade zu und seiner unaussprechlichen Güte, indem er also spricht: „Aber ich habe Erbarmen gefunden“, nicht als ob ich tauglich oder gar notwendig wäre, sondern „damit er in mir erweise die ganze Langmut, zum Vorbilde derer, welche künftig an ihn glauben zum ewigen Leben.“[58] Siehst du das Übermaß an Demut? Ich habe, spricht er, deswegen Erbarmen gefunden, damit keiner verzweifle, nachdem dem schlechtesten aller Menschen Barmherzigkeit geworden ist. Denn dies besagen offenbar die Worte: „damit er in mir erweise die ganze Langmut zum Vorbilde derer, welche künftig an ihn glauben zum ewigen Leben“. — „Seinen Sohn in mir zu offenbaren.“ Anderswo sagt Christus: „Niemand kennt den Sohn außer der Vater, und niemand kennt den Vater außer der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will.“[59]