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Reiner Bonack, Jahrgang 1951, legte im Jahr 2011 nach einer Reihe von Haiku-Publikationen und anderen Büchern einen Band mit Gedichten aus 20 und mehr Jahren vor. Die inhaltliche Spanne reicht dabei von der Kindheit bis in die Welt der Gegenwart. Zu den besonderen Stärken dieses Autors gehört die Fähigkeit genauer Alltagsbeobachtung wie auch die literarische Verarbeitung des Erfahrenen zu dichten, eindringlichen Texten. Die starke Bildkraft von Details steht dabei für sich selbst und weist in exemplarischer Weise gleichzeitig weit darüber hinaus.
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Seitenzahl: 43
Kindheit, schöner Vogel
Die Schulglocke läutet, Kastanienschnee fällt
Kindheit
Die Straße
Der Mittelpunkt der Welt
Danach
Das Haus
An einem Mittag
Vor dem Einschlafen/ Der kleine blaue
Tag
Erkenntnis
Die Männer der Grube
Auf dem Stellwerk
Asche fahren
GEWÖLBT DER GARTEN/ BÄCKEREI MINKE
BEI BUDERS WILLEM/ FLEISCHEREI SCHUMBELT
TISCHLEREI LANGE/ DIE GASSE ZUM MARKT
Kam ein Zirkus aus der Ferne
GLOCKEN AM MORGEN
An einem Montag
Relikt
Ein unvorstellbar ferner Planet
Einst
Das große Kikeriki
Nach Greßmann
Zum Fest
Aber die Wirklichkeit
Relikt
Sommer 90
Engere Heimat
Legende
Gescheitert
Aufarbeitung
Bestimmung
Grauer Herbst
Was steht bevor Verloren
Morgens benötige ich
Dach Geschoss
Dom, neben Barlachs Mahnmal gegen den Krieg
Trenck, sein Wagen rollt
Ich, Hille
VERGATTERUNG
Trainerstimme
Nach dem Spiel
Wie Mohn tropft riss
Damals
Märchenhafte Erwartung
Einen Frieden lang
Rabentage
mündung
Nach Magritte
Die schweigende Mehrheit
Beteiligt
Ausgang
Rabentage
Aufbruch
Den zweiten Big Mac kauend
Weg
Perspektive
Das Verlorene
Angst
Die Schwalben
Weiterer Moment
Die fast vergessene Geste
Was ist noch zu sagen
Abends, allein
Was ist noch zu sagen
Ich finde keinen Halt
Fragment
Lange noch
Zwischen zwei Strophen
Die kleiner werdende Spanne
Im Dunkel
Hergeweht
Lonesome George
was ist dein geheimnis, katze
Fragen
Wer
Rudern
Im Rollstuhl
Einen Apfel schälen
Wir trennten uns
Ich sitze reglos
Etwas muss sein wie immer
Alle Dinge erwarten dich
Für A.
Verwünschender Brief
Schneelaut
Wenn du zurückkehrst
Alle Dinge erwarten dich
November
Rose im Dezember
Resümee
Manchmal
Wo die Zeit nicht tickte
Krüge
Tröstung
Alte Feldscheune
Bergfluss
Waldwärts hangauf
Museum im Dorf (Molln)
Hallstatt
Rote Lackn
Morgenlicht am Hof/ Wie leben? rufe ich
Schöner Tag
Was wir suchen
Die Landschaft am Fjord
Elegische Ode
Seitab
Verlassene Inselkirche
SVENDBORG, BRECHTS ZUFLUCHT
Jens Peter Jakobsen
Nah am Wasser gingen wir, sprachen
Zwischen Dünen und Meer
hier las ich den Brief
der merkwürdigerweise ein wenig
nach Flieder roch (damals
das wurde mir später bewusst
dufteten die Mienen der Kugelschreiber
alle ein wenig nach Flieder)
der seinen Absender verschwieg und somit
keine Stimme hatte, keinen Mund, keine Augen
aufschimmern ließ und mit dem ich seitdem
dort stehe, kleiner werdend
und kleiner auf dem Platz
des Friedens, wo der stotternde Schulbus
für immer eine Stille hinterließ
die weit zurückreichte – vielleicht bis in die Zeit
nach dem Ende des Kriegs, als der Rauch
sich legte, die Luft noch lange, so wurde erzählt
nach bitteren Mandeln schmeckte und
ich spürte es deutlich noch immer
wie Bittermandeln im Mund lag
Eine alte Frau bleibt stehen
sieht auf, schließt die Lider
im blendenden Duft
des Lichts
schöner Vogel
fliegst
über Abraum Asche und Schnee
bernsteinfarben
blüht der Rost an den Rohren
streifen die Schwingen
den herbstzeitlosen
schillernden See
Die Straße war keine Straße. Sie war ein schwarzer Streifen. Er führte zu schwarzen Gebäuden, Schornsteinen, Hallen. Dahinter, zum Teil noch verdeckt, stand eine plakatrote Sonne. Ich zählte die Strahlen.
Das ist die Zukunft, teilte man mir mit.
Ich machte mich auf den Weg.
Hinter dem Haus erstreckten sich Gärten. Hinter den Gärten begannen Feldwege. Auf den Feldwegen erreichte ich eine Kieferninsel, wasserlose Gräben, die Elster, die Brotbüchse neben Großvaters Sense.
Dir steht die Welt offen, Junge.
Zweigschatten bildeten ein Gitter. Er massierte sein zerschlagenes Bein.
Es roch nach Wermut.
Das ganze Leben hast du noch vor dir.
Im Feld standen Mannstreu, Distel, Schlafmohn. Betäubender Duft.
Das Korn lag zur Hälfte geschnitten.
Luftballons stiegen. Sie trieben durch die Küche, über den Hof, die Siedlung, die Kieferninsel, die Kindheit.
Ich rannte. Unvergessliche Farben. Zwischen den Händen erste Detonationen.
Sie schmerzten, schmerzten vielleicht am meisten.
Ich lief. Ich sah weiterhin auf. Ich stolperte zur Tafel. Ich stürzte in eine Ehe. Ich fiel ins Bett.
Beim Erwachen war Mittag, schrieb Arthur R., der ewig frische Franzose, an die Wand meines Zimmers.
Ich nickte, hob nicht den Blick, die Straße war eine Straße.
Aber die Sonne stand tief.
1987
jener Hof mit Brunnen
hatte ein verschlossenes hohes
Tor und nur
auf der Schaukel sah ich
darüber hinweg
Weit
ist die Erde und voller
Märchen sagten
die Märchen und ich
hätte mich gern in
einen Vogel verwandelt –
hingleiten
wollte ich über
den rostdurchwucherten Fluss
zur weißen Stirn
des Mondes oder
den bleichen Bergen
des Abraums vor der Stadt
Schloss ich
die Augen verging
ein Jahr
ums andere, schmolz
die dunkle Asche des Schnees
im Schatten des Lärms
der Straße