Blutschrei - John Lutz - E-Book
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Blutschrei E-Book

John Lutz

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Beschreibung

Ein perfides Spiel, das erst mit dem Tod endet: Der rasante Thriller »Blutschrei« von Bestsellerautor John Lutz jetzt als eBook bei dotbooks. Ein verrückter Serienkiller versetzt die örtliche Bevölkerung von New York in Angst und Schrecken: Er ermordet Frauen, lässt sie mit grauenhafter Sorgfalt bis zum letzten Tropfen ausbluten, und schichtet ihre Leichen zu grotesken Pyramiden auf. Mordermittler Frank Quinn, der dem Psychopathen das Handwerk legen soll, ist erfahren genug, um trotz der Gräueltaten nicht die Nerven zu verlieren. Doch dann muss er erkennen, dass die Opfer seinem Umfeld immer näher kommen – und die Toten nach dem fünften Mord einen Namen bilden: Q-U-I-N-N! Ein mörderischer Wettlauf gegen die Zeit beginnt … und Quinn muss alles riskieren, um dem blutigen Handwerk des Wahnsinnigen ein Ende zu setzen! »Ich bin seit Jahren ein Fan von John Lutz.« Bestsellerautor T. Jefferson Parker Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der abgründige Thriller »Blutschrei« von New-York-Times-Bestseller-Autor John Lutz ist der nervenaufreibende zweite Band seiner Reihe um den New Yorker Ex-Cop Frank Quinn – Fans von Jussi Adler-Olsen werden begeistert sein! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 534

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Über dieses Buch:

Ein verrückter Serienkiller versetzt die örtliche Bevölkerung von New York in Angst und Schrecken: Er ermordet Frauen, lässt sie mit grauenhafter Sorgfalt bis zum letzten Tropfen ausbluten, und schichtet ihre Leichen zu grotesken Pyramiden auf. Mordermittler Frank Quinn, der dem Psychopathen das Handwerk legen soll, ist erfahren genug, um trotz der Gräueltaten nicht die Nerven zu verlieren. Doch dann muss er erkennen, dass die Opfer seinem Umfeld immer näher kommen – und die Toten nach dem fünften Mord einen Namen bilden: Q-U-I-N-N! Ein mörderischer Wettlauf gegen die Zeit beginnt … und Quinn muss alles riskieren, um dem blutigen Handwerk des Wahnsinnigen ein Ende zu setzen!

Über den Autor:

John Lutz (1939–2021) war ein US-amerikanischer Autor von über 50 Thrillern und Romanen. Er wurde für seine Kriminalromane mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Shamus Lifetime Achievement Award und dem Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Spannungspreis Amerikas. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die folgenden eBooks:

Die Missouri-Murders-Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger:

»Missouri Murders: Schwarze Nacht«

»Missouri Murders: Kaltes Schweigen«

»Missouri Murders: Tiefe Schatten«

»Missouri Murders: Harte Strafe«

»Missouri Murders: Fatale Schuld«

Die Florida-Killings-Reihe um den Ex-Cop Fred Carver:

»Florida Killings: Brennende Rache«

»Florida Killings: Roter Tod«

»Florida Killings: Kaltes Feuer«

»Florida Killings: Sengender Verrat«

»Florida Killings: Lodernder Zorn«

Seine Frank-Quinn-Reihe um einen Ex-Cop auf der Spur von Serienkillern:

»Opferschrei«

»Blutschrei«

»Zornesschrei«

»Jagdschrei

Außerdem veröffentlichte der Autor bei dotbooks den Psychothriller »Die Stalkerin«.

Die Website des Autors: www.johnlutzonline.com

Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/JohnLutzAuthor

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eBook-Neuausgabe Juli 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2007 unter dem Originaltitel »In for the Kill« bei Kensington Publishing Corp., New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2015 bei Weltbild.

Copyright © der Originalausgabe John Lutz, 2007

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2015 by Weltbild Retail GmbH & Co. KG, Steinerne Furt, 86167 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/ABC vector, Contrail

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)

ISBN 978-3-98952-246-6

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13, 4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/egmont-foundation. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Besuchen Sie uns im Internet:

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blog.dotbooks.de/

John Lutz

Blutschrei

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Claudia Kräder

dotbooks.

Kapitel 1

Hatte sie einen Verdacht?

Oder eine leise Vorahnung?

Das fragte er sich, während er die Frau beobachtete. Sie ging den Gehweg entlang, schob sich die Handtasche auf der Hüfte zurecht und stieg die drei Stufen zum Eingangsbereich ihres Apartmenthauses hinauf Heute Abend schien sie ziemlich müde zu sein. Es war, als würde etwas sie bedrücken, ihren Schritten die federnde Leichtigkeit nehmen.

Kein Wunder, dachte er. Die Menschen ahnen oft Minuten oder zumindest Sekunden vorher, dass ihr Leben gleich zu Ende sein wird.

Rauf? Runter? Anhalten? Losfahren?

Der Aufzug konnte sich offensichtlich nicht entscheiden.

Janice Queen stand ganz allein und mit hämmerndem Puls in der winzigen Kabine. Nicht, dass diese Unschlüssigkeit etwas Neues gewesen wäre. Es gab nur einen einzigen Aufzug im ganzen Gebäude, mit dem sie ihr Apartment erreichen konnte, ohne sich die sechs Stockwerke über die Treppe nach oben zu quälen. So blieb ihr eigentlich keine Wahl. Doch beengte Räume hatten ihr schon immer Angst gemacht, ganz besonders Aufzüge. Das kam von der stets präsenten Vorstellung, was geschehen konnte, sollte so ein Ding versagen. Von dem Wissen, dass sich unter ihren Füßen ein dunkler Schacht befand. Ein Absturz würde mit ziemlicher Sicherheit einen schnellen Tod bedeuten. Das war zwar noch niemandem aus ihrem Bekanntenkreis passiert, aber trotzdem ...

Mindestens zwei Mal täglich und an fünf Tagen in der Woche benutzte sie den Aufzug im Herzen des kürzlich renovierten Apartmenthauses.

Ah! Endlich hatte sich der Fahrstuhl entschieden und zumindest ungefähr im sechsten Stock angehalten. Als die Türen aufgingen, galt es eine Lücke von etwa zehn Zentimetern in den Flur zu überwinden. Groß genug, um zu stolpern, sollte man nicht aufpassen. Groß genug für einen Blick in den schwarzen Abgrund. Eine Art Warnung.

Janice war mit ihrem Leben zufrieden. Sie verließ das Haus jeden Tag, um in einer Buchhandlung zu arbeiten, hatte abends ab und zu ein Date, traf sich mit ihren Freunden bei Bocco’s in derselben Straße oder holte sich im Deli an der Ecke etwas zu essen.

Der Aufzug konnte all dem von einer Sekunde zur anderen ein Ende bereiten.

Lächerlich, dachte sie und trat auf den flauschigen Teppichboden des Flurs im sechsten Stock. Beim Überqueren des Abgrunds war ihr trotzdem unbehaglich.

Ihr Apartment lag nur ein paar Schritte vom Fahrstuhl entfernt. Deshalb hörte sie bis spät in die Nacht seine gedämpften Betriebsgeräusche durch ihre Wand. Das Surren der Kabel, das Rumpeln des haltenden Aufzugs, das Klacken der Türen. Dadurch dachte sie viel zu viel über den Aufzug nach, träumte von ihm und war inzwischen felsenfest davon überzeugt, dass er eines Tages für ihren Tod verantwortlich sein würde.

Sie öffnete ihre Apartmenttür und ging hinein. Finster. Ein Griff zum Lichtschalter, und schon erschien sie in voller Größe im Flurspiegel, in dem sie jedes Mal ihre Erscheinung überprüfte, wenn sie ihre Wohnung verließ oder betrat.

Eine zerknitterte, erschöpfte Version der Janice von heute Morgen blickte ihr entgegen. Keine Vierzig, noch schlank, üppige Brüste, vorzeigbare Beine und schulterlanges braunes Haar. Es umrahmte ein Gesicht, dass man eher als nett denn als schön bezeichnen konnte. Das Kinn ist viel zu ausgeprägt, dachte sie. Und dann diese blöden Falten. Man konnte sie allerdings nur bei ungünstiger Beleuchtung oder aus nächster Nähe sehen. Dünne Linien, die sich wie feine Spuckefäden von ihren Mundwinkeln nach unten zogen. Auf der Schläfe neben den ihren dunklen Augen deuteten sich bereits die ersten Krähenfüße an. Drohende Anzeichen einer einsamen Zukunft. Noch fanden die Männer sie attraktiv, aber es war einfacher, sie anzulocken, als sie zu behalten. Oder sie loszuwerden, je nachdem.

Der Spiegel hing an der Tür eines schmalen Schranks. Sie nahm den Schulterriemen ihrer Handtasche und schlang sie um den Türknopf. Dann zog sie den leichten grauen Blazer aus, den sie in der Arbeit zu dunklen Hosen und einer weißen Bluse getragen hatte. Sie hängte ihn zwischen den Wintermantel und eine blaue Windjacke. Vielleicht würde sie ihn gleich morgen früh in die Reinigung bringen und dafür die Windjacke anziehen. Vorausgesetzt, es war kühl genug und sah nach Regen aus. Dee, die Eigentümerin der Buchhandlung, war angeblich auf Geschäftsreise. Doch Janice wusste, dass sie einen verheirateten Mann traf, mit dem sie eine heiße Affäre hatte. Eigentlich sollte davon keiner wissen, und so gab Janice sich ahnungslos. Also ließ Dee sich diese Woche den Verstand aus dem Hirn vögeln, während Janice unter leichten Anfällen von Eifersucht jeden Morgen treu und brav den Laden öffnete.

Das bedeutete zu wenig Schlaf, da Janice ein großer Fan der Spätfilme im Fernsehen war. Der Partner in ihrer derzeitigen, bereits auf dem absteigenden Ast befindlichen Liebesbeziehung war ebenfalls auf Reisen. Graham arbeitete im Vertrieb und würde erst morgen Abend wieder in der Stadt sein. Als sie sich das letzte Mal bei Bocco’s getrennt hatten, hatten sie sich fast gestritten. Janice wusste, dass es mit der Beziehung bergab ging, und war entschlossen, selbst Schluss zu machen und nicht zu warten, bis Graham es tat. Mit zunehmendem Alter schien sie Wert darauf zu legen, die Kontrolle über ihr Leben zu behalten. Sonst hatte sie meist gewartet. Diesmal nicht. Vielleicht wäre dann der Schmerz erträglicher.

Die Erfahrung hatte ihr gezeigt, dass früher oder später der nächste Graham in der Buchhandlung auftauchen oder es bei Bocco’s mit einer nicht besonders originellen Anmache versuchen würde.

Sie schloss die Schranktür, als die Gegensprechanlage summte, und drückte den Knopf neben der Tür. »Ja?«

»Paketdienst«, sagte eine Männerstimme, die metallisch und verzerrt aus dem Lautsprecher klang. »Für Janice ... Queeler?«

»Queen?«, fragte sie.

»Ja, Queen. Tut mir leid.«

Janice betätigte den Türöffner.

Ein paar Sekunden später begannen die Aufzugskabel hinter der Wand zu surren. Er war mit seinem Paket auf dem Weg nach oben.

Sie öffnete die Tür und trat auf den Gang.

Der Aufzug ruckelte wie gewohnt, dann zischte die Tür und da war er. Mittelgroß, dunkelbraunes Haar, ganz nett anzusehen. Der Mann trug dunkle Khakihosen und ein verschwitztes blaues T-Shirt zu weißen Turnschuhen. Er hatte einen langen weißen Karton dabei, der aussah wie für eine Blumenlieferung, nur aus festerer Pappe. Er lächelte und sah auf den Aufkleber, um die Anschrift zu überprüfen.

»Janice Queen?«

»Ja.« Sie sah keine Hemdentasche, keinen Stift in seiner Hand. Er hatte nur den Karton dabei.

Hätte er sich mal am Empfang einen Stift geben lassen. Ich habe drinnen einen in meiner Tasche. Kein Klemmbrett?

Nichts davon kam ihr verdächtig vor.

Bis es zu spät war.

Als sie sich nach vorn beugte, um ihm das Paket abzunehmen, stieß er sie heftig nach hinten und ins Apartment. Sie prallte gegen den Spiegel, hoffte, er würde nicht splittern.

Dann war er drin, die Tür schloss sich hinter ihm. Mit seiner freien rechten Hand griff er in seine Hosentasche und zog etwas heraus, das wie eine ausgestopfte Socke aussah. Einen Totschläger.

Passiert mir das tatsächlich? Kann das wahr sein?

Ihr verblüfftes, panisches Hirn erteilte den Befehl zum Schreien. Sie öffnete gerade den Mund, als das Ding sie am Kopf traf.

Sie ging zu Boden. Ihr war schlecht vor Schmerz.

Jemand anders. Das muss jemand anderem passieren. Bitte.

Noch ein sternenfunkelnder Schmerzausbruch, diesmal auf der Rückseite ihres Schädels.

Der Boden öffnete sich unter ihr, und sie fiel ins Bodenlose, weit hinunter in die tiefe Dunkelheit.

Pearl Kasner stapfte die Treppen der U-Bahn hoch und marschierte in Richtung ihres drei Blocks entfernt liegenden Apartments. Sie war klein und hatte dralle Kurven, die ihre graue Uniform nicht kaschieren konnte. Ein paar Männer, die ihr entgegenkamen, stierten auf ihre Brüste und sahen dann schnell weg, wie Männer das so zu tun pflegen. Als ob ihre Ehefrauen hinter ihnen stehen würden.

Sie war müde, die Füße taten ihr weh. Ein Geldtransport bei der Fifth National Bank hatte für Überstunden gesorgt. Sie hatte den Jungs von Brink’s dabei geholfen, das Geld der Kunden zu schützen. Nicht, dass die Gefahr eines Überfalls bestanden hätte.

Nur eine kleine, gerade groß genug. Und genug Geld dafür.

Trotzdem viel Arbeit für die Füße. Pearl stand viel in der Gegend herum. Und war dabei freundlich zu allen. Das machte müde.

Kein Job war perfekt. Wenn sie alle Vor- und Nachteile abwog, war sie mit diesem ganz zufrieden. Ihr gefiel die graue Uniform besser als die blaue. Bessere Arbeitszeiten. Weniger Schwierigkeiten. Plattfüße bekam man irgendwann sowieso.

Einige Anzugträger liefen an ihr vorbei und starrten auf ihren Busen. Einer von ihnen hob den Blick und sah ihr ins Gesicht. Er lächelte.

Keiner von den Typen sagte etwas. Wegen der Uniform. Vielleicht auch, weil sie eine Waffe trug.

Kalt.

Schmerzen.

Janice Queen konnte sich nicht rühren. Kein bisschen.

Wo ...

Janice öffnete ihre Augen. Helles Licht. Graue Fliesen, die ihr bekannt vorkamen. Das war ihr Badezimmer. Unbequem. Beengt. Sie versuchte ihren Kopf zu heben. Keine Chance. Sie sah sich um, soweit ihr dies überhaupt möglich war, und entdeckte den verchromten Duschkopf. Sie saß also in ihrer Badewanne, mit dem Rücken zur Wand. Ihre Augen suchten nach weiteren Informationen. Sie war nackt. Gänsehaut bedeckte ihren ganzen Körper, wo er aus dem Wasser ragte.

Wasser?

Deswegen war ihr so kalt. Das Wasser lief aus dem Hahn. Kaltes Wasser. Es reichte ihr bis über die Hüfte.

Ihre Arme waren direkt unter ihren Brüsten verschränkt und so fest verschnürt, dass sie sie weder bewegen noch spüren konnte. Sie beugte sich nach vorn und schielte auf ihre Füße. Knöchel, Waden und Oberschenkel waren fest mit grauem Gewebeband verschnürt. Janice konnte unter Wasser mit den Zehen wackeln. Das war’s auch schon.

In ihrem Kopf pochte es, die Schmerzen waren fast unerträglich.

Sie wollte schreien und stellte fest, dass das nicht ging. Sie konnte ihre Lippen nicht bewegen. Ihre Zunge entdeckte zwischen den wenig geöffneten Lippen etwas Raues. Etwas Raues und Klebriges wie Gewebeband. Das musste quer über ihrem Mund kleben.

Der Paketbote betrat das Badezimmer. Er war nackt wie sie selbst. Er sah sie nur beiläufig an, was ihr noch mehr Angst einjagte. Es wirkte, als hätte sie keinerlei Bedeutung für ihn, zumindest nicht lebendig.

Er wandte ihr den Rücken zu, beugte sich vor, begann den Schrank unter dem Waschbecken zu durchsuchen, fand Flüssigseife und eine große Flasche Shampoo. Er stellte beides auf den Wannenrand und verließ das Bad wieder. Sie hörte ihn in der Küche herumräumen, mit Schranktüren knallen, Schubladen auf- und zumachen.

Das Wasser reichte ihr inzwischen fast bis unter die Achseln. Einen Augenblick verfiel sie in Panik, ermahnte sich aber dann zur Besonnenheit. Was wollte er mit Seife und Shampoo?

Will er mich waschen? Ist das eine verrückte Sexpraktik? Wird er etwas mit mir machen und dann verschwinden?

Möglich. Könnte sein. Muss so sein!

Sie war Single und wusste, was für perverse Sachen in Manhattan getrieben wurden. Dieses schwerverdiente Wissen gab ihr Hoffnung. Er konnte seine abartigen Gelüste befriedigen und dann einfach verschwinden.

Als er zurückkehrte, hatte er Geschirrspülerpulver und Waschmittel dabei. Das war unter der Spüle gewesen. Und den langen weißen Karton, den er auf den Toilettensitz legte. Die Waschpulver stellte er zu den anderen Reinigungsmitteln.

Das Wasser hatte ihren Nacken erreicht. Aus den Augenwinkeln sah sie ihre braunen Haare auf der Oberfläche treiben. Es sah aus wie das Seegras, das sie vor vielen Jahren während eines Urlaubs in der Karibik gesehen hatte.

Wenn sie nur schreien könnte!

Er warf ihr wieder einen Blick zu, beugte sich über sie und drehte den Wasserhahn zu.

Die plötzliche Stille nach dem Quietschen der Armatur schien von ihrer Rettung zu künden.

Sie musste nicht ertrinken.

Gott sei Dank.

Er richtete sich langsam auf und riss urplötzlich den durchsichtigen Plastikduschvorhang von der Stange. Der hatte außerhalb der Wanne gehangen und war trocken geblieben. Darauf schien er Wert zu legen. Er kniete sich hin und breitete ihn sorgfältig über die Fliesen vor der Wanne.

Als er damit fertig war, griff er hinüber zu dem Karton und hob den Deckel.

Sie konnte nur einen kurzen Blick auf den Inhalt werfen: Messer, ein Beil, ein sperriger Gegenstand, orangerot mit einer matten gezackten Ellipse. Ihre Gedanken wanderten zurück zu den Wochenenden bei ihren Eltern, zur Werkstatt ihres Vaters in der Garage. Zum schrillen Kreischen von verletztem Holz ... Eine schnurlose Motorsäge!

Trotz der straffen Fesselung zitterte sie so sehr, dass kleine Wellen im kalten Wasser erschienen.

Der Mann blieb auf den Knien und auf dem Duschvorhang. Er griff nach ihren Füßen, nein, nach der verchromten Armatur. Sie hörte, wie er den Ablauf betätigte. Leise gurgelte das Wasser durch den Ausfluss.

Immer noch zitternd vor Furcht, sah Janice, wie der Mann aufstand. Sie war schockiert, als sie seine Erektion sah.

Er beugte sich über sie und starrte ihr auf eine Weise in die Augen, die sie verwunderte, trotz ihrer Panik.

Was? Sie schrie diese stumme Frage durch das Rechteck aus Klebeband. Was wirst du mir antun?

Er beugte sich noch weiter herunter und schob einen Arm unter ihre Kniekehlen. Hoffnung keimte auf. Er würde gleich seinen anderen Arm um ihren Rücken legen und sie aus der Wanne heben. Und dann? Sie ins Schlafzimmer tragen? Sie vergewaltigen und quälen?

Sie schielte zu dem weißen Karton und spürte, wie die Angst sie überwältigte.

Anstatt um ihre Schultern zu greifen, legte er ihr eine Hand auf den Hinterkopf und drückte sie nach vorn, sodass ihr die Luft aus der Nase schoss. Mit seinem anderen Arm hob er ihre Beine an, sodass ihr Körper mitsamt dem Kopf unter die Wasseroberfläche glitt.

Ihre gefesselten Unterschenkel begannen auf- und abzupumpen. Doch er hielt sie so fest, dass sie nur durch die Luft schlugen. Das war alles, was sie bewegen konnte. Ihren Kopf hielt er so, dass sie nicht aus–, sondern nur einatmen konnte.

Nur einatmen!

Das kalte Wasser drang in ihre Lungen. Sie hieß es willkommen.

Er beobachtete von der anderen Seite der ruhigen Wasseroberfläche, wie sie ertrank.

Kapitel 2

Der Tag, an dem sich Frank Quinns Leben unerwartet ändern sollte, begann für ihn mit einem Frühstück aus Rührei, knusprigem Speck und Buttertoast im Lotus Diner. Anschließend widmete er sich bei einer zweiten Tasse Kaffee gemütlich der New York Times. Danach spazierte er durch den sonnigen Vormittag zurück zu seinem Apartment in der 57. Straße West.

Wie so oft dachte er dabei, dass keine andere Stadt an New York und insbesondere an Manhattan herankam, an das Stadtbild, die Geräusche und Gerüche. Trotz aller Schönheitsfehler war sie Quinn ans Herz gewachsen.

Was er gut fand.

Sobald er zu Hause war, setzte er sich zum Rauchen in seinen braunen Ledersessel. Seine verbotenen kubanischen Lieblingszigarren bekam er von einem Typen namens Iggy. Woher der sie hatte, fragte er lieber nicht. Bei so einem geringfügigen Vergehen würde Justitia bestimmt ein Auge zudrücken. So hatte er es schon als Detective bei der Mordkommission gehalten. Seit seiner Frühpensionierung mit Fünfzig war er eher noch nachsichtiger geworden. Der Anlass für das Ausscheiden aus dem Dienst war eine Schusswunde im linken Bein gewesen, die er sich während des Einsatzes bei einem Raubüberfall auf einen Schnapsladen eingehandelt hatte.

Er hielt an seinen kubanischen Robustos fest. Und manchmal stellte er aus Bequemlichkeit seinen alten, verbeulten, schwarzen Lincoln im Parkverbot ab und klemmte eine alte Polizeiplakette hinter die Windschutzscheibe. Das waren die einzigen Verfehlungen, die er sich seit seiner Pensionierung zu Schulden kommen ließ – mehr Gelegenheiten boten sich ihm allerdings auch nicht.

Er saß in dem abgenutzten, bequemen Sessel, der sich seinen Körperformen angepasst hatte, fühlte sich angenehm träge und beobachtete die Fußgänger auf dem Bürgersteig vor seinem Souterrain-Apartment. Das Fenster war vergittert, um Eindringlinge abzuschrecken. Manchmal fühlte sich Quinn wie im Gefängnis, eingesperrt. Dann musste er über die Ironie des Schicksals lächeln. Er hatte viele Leute wegsperren lassen, Mörder, sogar Serienkiller. Jetzt saß er selbst hinter Gittern und rauchte kubanische Zigarren.

Quinn hätte sich nach seinem gewonnenen Prozess gegen das New Yorker Police Department, das NYPD, etwas Besseres leisten können. Die falsche Beschuldigung wegen Kindesmissbrauchs und Vergewaltigung hatte ihm einen sechsstelligen Betrag eingebracht. Aber er war es gewohnt, von seinem kleinen Gehalt zu leben, genauso wie an sein Apartment. Ein neueres und für Diebe attraktiveres Auto als seinen verlässlichen Lincoln zu kaufen machte ebenfalls wenig Sinn. Er hatte den Wagen damals billig von einem Freund und Ex-Kollegen bekommen. Nach dem Prozess hatte er sogar eine Zeitlang in seiner alten Abteilung weitergearbeitet, bis zu der Schießerei in dem Schnapsladen. Danach wurde ihm klar, dass es Zeit war, die Party zu verlassen.

Er lehnte sich in dem großen Sessel zurück und beobachtete einen Mann und eine Frau, die draußen vorbeigingen.

Sie gingen eng umschlungen und warfen sich verstohlene Blicke zu. Sehr verliebt.

Beim Zug an der Zigarre inhalierte er nicht. Lungenkrebs war nicht seins.

Doch es war keine Frau mehr da, die ihn daran erinnern konnte. Ihn ausschimpfen konnte. Ihm drohen konnte. Oder sogar so böse wurde, dass sie ihm ans Bein trat. Sein schlimmes Bein.

Seitdem Pearl ausgezogen war, konnte er seine Zigarren in der Wohnung rauchen. Das war aber das einzig Gute daran, soweit es Quinn betraf. Er vermisste ihre kurze, aber lebhafte Gegenwart.

Natürlich war Pearl ab und zu ätzend, beleidigend, zudringlich, hyperaktiv und sogar gewalttätig gewesen.

Aber er war auch nicht gerade ohne Fehl und Tadel.

Ein paar Leute fanden, sie beide hätten gut zusammengepasst. Quinn war groß, grobknochig und besaß eine eingedrückte Boxernase sowie durchdringende, manchmal ausdruckslose grüne Augen. Sein zerzaustes graubraun meliertes Haar sah immer aus, als ob er einen Haarschnitt vertragen könnte, sogar wenn er gerade erst vom Friseur kam. Die Frauen mochten ihn. Er war gerade unattraktiv genug, um ihnen zu gefallen. Ein ungehobelter Mann von Welt. Manche fanden ihn lakonisch, wenn er nicht gerade seinen aufgesetzten irischen Charme zum Einsatz brachte.

Pearl hatte normalerweise immer etwas zu erzählen. Sie war nur eins fünfundfünfzig groß, hatte einen kompakten, kurvigen Körper und strotzte nur so von Energie. Wenn man neben ihr stand, konnte man sie regelrecht vibrieren fühlen, wie einen Transformator. Sie hatte tiefschwarzes Haar, sehr dunkle Augen, ein breites, strahlend weißes Lächeln und knallrote Lippen. Sie sah fast zu gut aus, um echt zu sein.

Doch sie war echt, viel zu echt, um auf aufgesetzten Charme hereinzufallen.

Wahrscheinlich war es das, was Quinn so anziehend fand. Pearl verstellte sich nicht. Sie war geradeheraus, auch wenn sie anderen damit manchmal wehtat. Wenn sie jemanden nicht mochte, bügelte sie ihn gnadenlos nieder.

Sie mochte Quinn immer noch, dessen war er sich sicher. Das Problem schien zu sein, dass sie ihn nicht mehr liebte.

Pearl war diejenige gewesen, die beschlossen hatte auszuziehen. Sie hatte das NYPD kurz nach Quinns Pensionierung verlassen, man hätte sie sonst wahrscheinlich wegen Befehlsverweigerung gefeuert. Anlässe hatte es mehr als genug gegeben. Pearl war zu Quinn gezogen, der durch seine Pension, das Ersparte und die Abfindung seine Schäfchen im Trockenen hatte. Auf die Abfindung hatte er lange warten müssen, aber es lohnte sich.

Eine Zeitlang waren sie glücklich miteinander gewesen. Doch dann war Pearl unruhig geworden. Sie vermisste die Action. Heute lebte sie auf der anderen Seite der Stadt und arbeitete für den Sicherheitsdienst einer Bank. Das war auch nicht gerade viel Action. Herumstehen und wegen der Kunden ernst gucken. Aber sie schien damit zufrieden zu sein. Vielleicht lag es an der Waffe, die sie tragen durfte? Quinn fragte sich das manchmal.

Er war eigentlich ein guter Beobachter, doch Pearl gab ihm nur Rätsel auf. Eine weitere Facette ihrer Anziehungskraft.

Der Summer der Gegensprechanlage surrte wie eine wütende Wespe.

Pause. Und wieder.

Keine Pause mehr.

Wer auch immer sich da auf den Drücker lehnte, würde so schnell nicht aufgeben.

Geh doch zum Teufel. Wenn er müde ist, wird er schon gehen.

Quinn zog an seiner Zigarre, stieß den Rauch wieder aus, studierte die Kringel.

Das Summen ging unbeirrt weiter.

Der Daumen muss schon ziemlich wehtun.

Wer war das? Wollte ihn da jemand ärgern, weil er zu Hause war und die Tür nicht aufmachte, was sein gutes Recht ist? Sein gutes Recht und völlig legal.

Er warf einen Blick auf seine Zigarre, legte sie in den Aschenbecher auf dem Tisch neben seinem Sessel und stand auf. Er trug ausgebleichte Jeans, ein verkrumpeltes schwarzes T-Shirt, Mokassins und könnte eine Rasur vertragen. Er sah mehr wie ein Motorradrocker aus als wie ein Ex-Cop. Schmale Hüften, breite Schultern und auf Krawall gebürstet.

Demjenigen, der da gegen den Klingelknopf lehnte, schienen die Konsequenzen egal zu sein. Sein Problem. Quinn ignorierte die Gegensprechanlage. Stattdessen öffnete er die Tür zum Gang und ging so weit Richtung Eingang, dass er durch die Glastür schauen und erkennen konnte, wer davorstand.

Der Mann an der Klingel war groß, aber ziemlich rund um die Mitte. Sein dunkelblauer Anzug saß schlecht. Er hatte Hängebacken, eine Glatze, dunkle Ringe unter den Augen und wirkte wie ein unglücklicher Basset.

Deputy Chief Harley Renz.

Quinn schlenderte durch den Gang Richtung Glastür und öffnete sie.

Renz lächelte ihn an und entfernte sich vom Klingelknopf.

In die plötzliche Stille hinein sagte Quinn: »Mach, dass du reinkommst.«

Renz lächelte weiter und folgte Quinn in dessen Wohnung.

Renz sah sich und sog die Luft in die Nase. »Du rauchst immer noch illegale kubanische Zigarren.«

»Venezolanische.« Quinn zeigte auf einen dekorativen Stuhl, auf dem keiner sitzen wollte, weil er unbequem war.

»Wenn ich ein Bier hätte, könnte ich dir eine tolle Geschichte erzählen«, sagte Renz.

»Wäre das nicht am Telefon gegangen?«

»Dir würden meine Körpersprache, der Gesichtsausdruck und die aussagekräftigen Handbewegungen entgehen.«

Quinn ging in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Ganz hinten fand er eine uralte Bierdose und öffnete sie für Renz. Auf ein Glas konnte der lange warten.

Zurück im Wohnzimmer, setzte sich Quinn wieder in seinen Sessel, hielt die kalte Zigarre zwischen den Fingern und beobachtete Renz, der einen Schluck Bier trank und das Gesicht verzog.

»Dein Frühstück?«, fragte Quinn.

»Brunch. Das Bier hat mehr als fünf Jahre auf dem Buckel.«

»Könnte hinkommen.«

»Bist du immer noch trocken?«, fragte Renz.

»Ich trinke selten Alkohol und war nie ein Alki.«

»Na klar. Dieses Gebräu beweist eindeutig, dass du nicht ständig Bier kaufst und es sofort hinunterschüttest. Außerdem weiß ich, dass du davon weg bist. Ich habe mich erkundigt.«

»Das muss ja eine riesige Enttäuschung gewesen sein.«

»Ja. Ich hätte dir gern geholfen.« Renz sah sich beiläufig um. »Ist Pearl da?«

Die nächste Frage, bei der du die Antwort kennst.

»Pearl wohnt nicht hier.«

»Ach so, hab ich vergessen. Hey, hast du noch eine von diesen Zigarren?«

»Nur eine, und die brauche ich für später.«

Renz zuckte mit den Schultern. »Macht nichts. Zum Teufel mit dem venezolanischen Zeug.« Noch ein Schluck Bier. Diesmal keine Grimasse. Er schien sich an die Plörre zu gewöhnen. »Ich hab nur nach Pearl gefragt, weil sie sich wahrscheinlich auch für meine Geschichte interessieren würde.«

»Ich werde ihr alles erzählen. Ohne deine Ausschmückungen.«

Renz blickte sich um. »Die Wohnung ist nicht schlecht, riecht aber, als könnte sie einen Putztrupp vertragen. Die Innenausstattung sieht schwer nach Rudyard Kipling aus. Da fehlt die ordnende Hand einer Frau.« Er deutete auf einen gerahmten Druck über dem alten Kamin, der außer Betrieb war. »Enten im Tiefflug vor Sonnenuntergang. Zeitlos.«

»Ich hoffe, ein Bier reicht für die Geschichte«, sagte Quinn.

»Aha, ein taktvoller Hinweis darauf, dass ich zum Punkt kommen soll.«

»Komm zum Punkt.«

Renz beugte sich auf dem zierlichen Stuhl nach vorn, der aussah, als wollte er gleich zusammenbrechen. »Tote Frauen. Zwei.« Er senkte konspirativ seine Stimme, als ob jemand sie abhören würde. »Außer uns beiden wissen bisher nur eine Handvoll vertrauenswürdige Verbündete im NYPD davon.«

»Und der Mörder.«

»Wer hat was von Mord gesagt?« Renz zuckte mit den Schultern. »Du sollst dir eine eigene Meinung bilden. Die Erste war Janice Queen, hier auf der West Side, die zweite Lois Ullman. Beide Singles, attraktiv, in den Dreißigern, brünett. Also das, was man im Allgemeinen den gleichen Typ nennt.«

»Du denkst, es ist derselbe Mörder?«

»O ja, allerdings. Beide sind in ihrer Badewanne ertränkt worden, bei beiden gab es Spuren von Klebeband, mit dem sie vorher gefesselt und geknebelt worden waren. Danach hat man sie mit chirurgischer Präzision zerlegt. Die Körperteile steckten in der gleichen Anordnung in der Badewanne: Rumpf, Oberschenkel, Waden, Arme, Kopf. Der Killer hat die Dusche laufen lassen und alle verfügbaren Reinigungsmittel, Shampoo, Waschmittel und so weiter benutzt, bis jede Spur von Blut durch den Abfluss verschwunden war. Zurück blieben nur die bleichen Überreste der Opfer.« Renz lehnte sich zurück. »Anscheinend habe ich jetzt deine volle Aufmerksamkeit.«

»Voll und ganz«, gab Quinn zu und zog gedankenverloren an der inzwischen brennenden Zigarre. Er kam sich wirklich vor wie eine Figur in einem Roman von Kipling.

»Der Mörder hat mir eine kurze Nachricht geschickt, in der er ein paar Kollegen von der Mordkommission verhohnepipelt hat. Dein Name war auch dabei. Anscheinend weiß er nicht, dass du in Pension bist. Er hat mir versichert, es würde weitere Opfer geben.«

»Wenn auch nur einer im NYPD das weiß, wird die Sache in Kürze Riesenschlagzeilen machen«, sagte Quinn.

»Damit müssen wir rechnen.«

»Wir?«

»Ich habe beschlossen, dass du der richtige Mann für den Job bist«, sagte Renz. »Serienmörder sind deine Spezialität. Du hast den Night Prowler zur Strecke gebracht und wirst auch diesen zur Strecke bringen. Egal, wie die Medien diesen kranken Abschaum nennen werden.«

»Du hast übersehen, dass ich pensioniert bin.«

»Ich kann das so hindrehen, dass du mit deinem Team freiberuflich arbeitest. Dann hast du den Vorteil, machen zu können, was du für richtig hältst, und kannst trotzdem alle Ressourcen des NYPD nutzen. Das läuft dann über mich.«

Quinn war klar, was Renz meinte. Er hätte den Vorteil, außerhalb der Grenzen der Legalität zu arbeiten, sollte das notwendig werden.

»Wer gehört zum Team?«, fragte Quinn.

»Dieselben Leute, die mit dir beim letzten Mal zusammengearbeitet haben: Pearl und Fedderman.«

»Pearl arbeitet beim Sicherheitsdienst einer Bank. Fedderman wohnt in Florida und lernt Golf spielen.«

»Sie werden dir das nicht abschlagen, Quinn. Genauso, wie du mir das nicht abschlägst.« Renz wedelte mit der Hand Richtung Fenster zum Gehsteig. »Ist dir schon mal aufgefallen, dass das wie im Gefängnis aussieht?«

»Nein, nie.« Quinn betrachtete Renz durch die Rauchwolken. »Eigentlich wolltest du inzwischen Chef sein.«

»Stattdessen haben sie mich degradiert. Aber ich bin schon wieder Deputy Chief.«

»Hab ich gehört. Weiter rauf soll’s aber nicht mehr gehen für dich.«

»Ich mag dich, Quinn. Ich werde nicht kündigen und mich stattdessen weiter nach oben arbeiten. Wofür zum Teufel lebt man sonst? Ich denke, das verstehst du.«

»Klar. Wir schnappen dieses kranke Arschloch, und du erntest die Lorbeeren dafür. Das würde deine Karriere ganz schön ankurbeln.«

»Ihr rettet das Leben der zukünftigen Opfer.«

»Verschon mich mit diesem selbstlosen Scheiß, Harley.«

»Also gut. Das heißt, deine Antwort ist Ja.«

»Welche Antwort? Ich habe keine Frage gehört.«

»Da wir beide die Antwort kennen, ist die Frage überflüssig –«

»Hast du mit Pearl oder Fedderman gesprochen?«

Renz lächelte. »Ich glaube, das solltest du machen. Irgendwie bekommst du doch immer alle dazu, zu tun, was du möchtest.«

»Pearl nicht«, sagte Quinn.

Renz überlegte kurz und nickte.

»Ich rede mit ihnen«, sagte Quinn. »Versprechen kann ich aber nichts.«

»Sehr gut.« Renz stellte die Bierdose vorsichtig auf den Tisch, wo sie einen Ring hinterlassen würde, und stand auf. »Ich besorge dir die Akten und versuche, ein Büro in der Nähe des nächsten Polizeireviers zu bekommen. Irgendwas ohne Staub und Schimmel, damit du dich nicht zu heimisch fühlst.«

Quinn blieb sitzen, viel zu beschäftigt mit seiner Zigarre.

An der Tür drehte sich Renz um. »Ich will diesen Saukerl ernsthaft schnappen, Quinn. Sonst hätte ich ihm nicht einen Bluthund wie dich hinterhergehetzt. Wir haben beide schon viel erlebt, aber wenn du die beiden Frauen gesehen hättest ... Heilige Mutter Gottes!«

»Bekreuzigst du dich da normalerweise nicht?«, fragte Quinn.

»Ich werfe dir nicht vor, dass du misstrauisch bist. Vor allem nicht, weil ich deine hinterhältige Art und deinen vulgären Zynismus kenne.« Renz neigte den Kopf und schloss die Augen. Quinn hielt es kurz für möglich, dass er doch noch ein Kreuz schlagen würde.

»Das Mitgefühl steht dir gut.«

Renz lächelte ihn traurig und zynisch an. »Wir werden sehen, wie gut du dich schlägst.«

Als Renz weg war, blieb Quinn in seinem Sessel sitzen. Er wollte seine Zigarre zu Ende rauchen, bevor er Pearl und Fedderman anrief.

Er beäugte den Druck mit den Enten vor dem Sonnenuntergang. Das Bild gefiel ihm.

Die Zigarre war nicht einmal zur Hälfte verglüht, als er zum Telefon griff.

Kapitel 3

»Hier sieht es irgendwie anders aus«, sagte Pearl.

»Du hast eine Menge von den Möbeln mitgenommen«, sagte Quinn. »Ich musste ein bisschen umräumen, damit es nicht so leer aussieht.« Er saß in seinem Ledersessel, rauchte aber ausnahmsweise nicht.

Pearl saß in ihrem Sessel, wie früher. Nur dass der inzwischen auf der anderen Seite des Zimmers stand. Sie trug an diesem Vormittag Jeans und Blazer. Es war Samstag, die Bank hatte zu. Ihr Haar war vom schwärzesten Schwarz, das Quinn je gesehen hatte. Kohlrabenschwarz nannte man das wohl. Wenig geschminkt, wenn überhaupt. Trotzdem hoben sich ihre dunklen Augen und die Lippen deutlich von der hellen Haut ab. »Du hast renoviert.«

»Eher passend gemacht.«

»Ich rieche Zigarrenrauch, Quinn.«

»Ab und zu rauche ich eine.«

»Das tut dir nicht gut.«

Dass du nicht mehr da bist, tut mir nicht gut.

»Ich übertreibe es nicht.«

»Hört sich gar nicht nach dir an.« Sie lehnte sich zurück und schenkte ihm ihr strahlend weißes Lächeln. »Also, warum wolltest du mit mir sprechen?«

»Harley Renz war gestern bei mir.«

Ihr Lächeln verschwand. »Ist er immer noch so ein Arsch mit Ohren?«

»Mehr denn je. Ich habe mir vorgestellt, er wäre wieder unser Boss.«

Pearl sah ihn misstrauisch an, als ob er eine ihr unbekannte Sprache sprechen würde.

»Das wird nicht passieren«, sagte sie. »Aber nur zu, versuch mich zu überzeugen.«

Er erzählte ihr, was Renz ihm gesagt hatte, und beobachtete sie genau, als er beschrieb, was der Mörder mit seinen Opfern gemacht hatte. Der misstrauische Ausdruck in ihrem Gesicht verschwand nicht.

»Was, wenn ich damit nichts zu tun haben will?«, fragte sie, als er fertig war.

»Dann schlage ich mich mit Fedderman allein durch. Er ist nicht fürs Golfen in Florida gemacht. Bei unserem letzten Telefonat hat er mir erzählt, dass dieses Spiel ihn in den Wahnsinn treibt.«

»Und du glaubst, er wirft seine Hölzer und Eisen in die Ecke, fliegt hier rauf und tut sich mit dir und Renz zusammen, um einen Serienkiller zur Strecke zu bringen?«

»Das ist seine eigentliche Leidenschaft«, sagte Quinn. »Die ganzen Bogeys und Birdies zählen nicht. Und bei dir ist das genauso. Kein Herumstehen in der Bank mehr ...«

»Pah!«

»Mit einer geladenen Waffe, die du nie benutzt.«

»Und auch nicht benutzen will. Fedderman wird dir das Gleiche sagen wie ich.«

»Seine Frau hat ihn verlassen.«

»Weiß ich. Letztes Jahr.«

»Er fühlt sich einsam.«

»Woher willst du das wissen?«

»Weiß ich eben.«

Pearl blickte weg. »Lass den Mist, Quinn.«

»Also gut. Denk zumindest darüber nach, bevor du mir eine Antwort gibst.«

»Okay. Ich habe nachgedacht. Die Antwort lautet Nein. Alles hat seine Zeit, Quinn. Und die Zeit, in der wir Mörder verfolgt haben, die ihre Opfer aufschlitzen und zerteilen, ist schon lange vorbei.«

»Fühlst du denn gar nichts, wenn du an die Frauen denkst?«

Sie seufzte theatralisch. »Gefühle! Darüber bin ich schon lange weg.«

»Pearl!«

»Ich bin zufrieden, Quinn. Scheiß auf das Glücklichsein! Zufrieden genügt. Ich stehe auf und komme gut durch den Tag, habe meine Aufgaben, lebe mein Leben. Keiner will dauernd was von mir wie damals, als ... ich weiß auch nicht.«

»Als du mit mir zusammen warst?«

»Ja, so ungefähr. Ich brauche meine Unabhängigkeit, Quinn. Und du auch. Deshalb hat es mit uns beiden nicht funktioniert. Und deshalb sollten wir auch nicht wieder zusammenarbeiten. Ich will kein Teil von Renz’ Projekt werden.«

»Hört sich ziemlich endgültig an.«

Sie lächelte und erhob sich aus ihrem Sessel, kam zu ihm herüber und küsste ihn auf die Stirn. »Du bist ein schwieriger Fall, Quinn.«

»Du auch.«

Sie leugnete es nicht.

Er sah ihr nach, wie sie hinausging.

Quinn zündete sich eine Zigarre an und setzte sich an den Schreibtisch in dem zweiten Schlafzimmer, das er zu seinem Büro gemacht hatte. Dann rief er Fedderman in Florida an. Er lehnte sich zurück und lauschte dem Klingeln des Telefons in einer wahrscheinlich leeren Ferienwohnung in Boca Soundso. Fedderman schien auf dem Golfplatz zu sein, um im grellen Sonnenschein einem kleinen weißen Ball nachzujagen.

Gerade als er auflegen wollte, nahm Fedderman ab.

»Quinn?«

»Woher weißt du das, Feds?«

»Rufnummernanzeige. Da gibt es eine bestimmte Witwe, der ich aus dem Weg gehe.« Seit ihn seine Frau verlassen hatte, war Fedderman Single. Die erwachsenen Kinder gingen seit vielen Jahren ihrer eigenen Wege. Wenn Quinn sich richtig erinnerte, arbeitete die Tochter in Philadelphia. Ihr Bruder war einer von den ewigen Studenten und hatte irgendwo ein Stipendium ergattert, um einen weiteren Abschluss zu machen.

Quinn legte seine Zigarre in den Glasaschenbecher auf dem Schreibtisch. Er stammte aus dem alten Biltmore Hotel und hatte vielleicht Sammlerwert. »Ich dachte, du wärst draußen auf dem Golfplatz.«

»Mit dem Golfen habe ich aufgehört. Es hat mich völlig verrückt gemacht. Ich fahre jetzt zum Angeln raus aufs Meer. Das macht mich aber auch verrückt. Hast du jemals gesehen, was die da aus dem Ozean ziehen? Das meiste davon sieht einem Fisch nicht im Entferntesten ähnlich.«

»Harley Renz war gestern bei mir.«

»Immer noch dasselbe alte Arschloch?«

»Hat Pearl auch gefragt. Die Antwort lautet Ja.«

»Wie geht’s Pearl? Seid ihr zwei noch ...«

»Wir sind nicht mehr zusammen. Sie ist eben Pearl.«

»Hm. Wer ist gegangen?«

»Pearl.«

»Aha. Was wollte Renz?«

Quinn erzählte es ihm.

»Ich bin dabei«, sagte Fedderman.

Die schnelle Antwort überraschte Quinn. Er hatte gedacht, Fedderman würde das Rentnerdasein genießen und es dem Anblick von Leichen und der Gefahr des Erschossenwerdens vorziehen.

»Wann kann ich mit dir rechnen?«, fragte Quinn.

»Sobald ich einen Flug nach New York bekommen. Das ist der Vorteil einer Ferienwohnanlage. Du schließt ab und verschwindest. Ich freu mich auf dich und Pearl.«

»Pearl ist nicht mit dabei.«

»Echt?« Fedderman klang erstaunt.

»Sie sagt, das Dasein beim Sicherheitsdienst ihrer Bank macht sie glücklich.«

»Banken brauchen keinen Sicherheitsdienst, das weiß sie ganz genau. Bis ich in New York bin, hat sie ihre Meinung bestimmt geändert.«

»Pearl ändert ihre Meinung nicht.«

»Macht sie doch, beispielsweise in Bezug auf dich.«

Quinn ärgerte sich ein bisschen. Auf der anderen Seite war das genau das, was er an Fedderman mochte. Sie hatten lange zusammengearbeitet und waren stets ehrlich zueinander gewesen. Fedderman legte Wert auf die Wahrheit. Egal, was ihn das kostete.

»Ich ruf dich an, wenn ich da bin«, sagte Fedderman. »In der Zwischenzeit kannst du Pearl bearbeiten.«

Er beendete das Gespräch, bevor Quinn etwas entgegnen konnte.

Quinn legte den Hörer auf und nahm die Zigarre vom Aschenbecher. Sie war ausgegangen. Er zündete sie wieder an, rückte sich in seinem Stuhl zurecht und dachte darüber nach, was Fedderman gesagt hatte. Über Pearl. Er hatte mit ihr gearbeitet, mit ihr gelebt, mit ihr geschlafen. Er kannte sie.

Pearl ändert ihre Meinung nicht.

Er sah dem Rauch nach, der zur Decke aufstieg und dort in der Zugluft wegdriftete.

Pearl ändert ihre Meinung nie.

Kapitel 4

Ida Ingrahm hatte eine Verabredung. Normalerweise würde sie nie mit jemandem ausgehen, den sie in einer Bar kennengelernt hatte. Doch Jeff war anders.

Nein, tatsächlich anders.

Sie lächelte vor dem Spiegel in ihrer Wohnung auf der West Side ihrem Spiegelbild zu. Gar nicht so übel, dachte sie. Ein rundes Gesicht mit einer dunkelbraunen Ponyfrisur, die das Haar voller wirken ließ. Sie war schlank, hatte allerdings nicht viel Taille. Kleine Brüste, gute Beine. Besonders mit den richtigen Schuhen.

Warum muss ich mich eigentlich selbst loben?

Ida kannte die Antwort. Sobald sie mit ihr geschlafen hatten, machten sich die Männer davon. Und sie war nun schon weit jenseits der Dreißig. Auf dem absteigenden Ast.

Sollte sie Panik haben?

Sie warf ihrem Spiegelbild ein breites Lächeln zu. Nein, noch nicht. Sie wollte nicht unbedingt heiraten. Eine dauerhafte Beziehung würde ihr besser gefallen. Bescheiden genug, wie sie fand. Andere schafften das auch. Und in der Zwischenzeit war ihr Leben gar nicht so schlecht.

Sie mochte ihren Job als Grafikdesignerin bei HCI. Ihre Firma produzierte verschiedenste Werbematerialien für Einzelhandelsketten. Das Gehalt war nicht besonders, wenn man die Bonuszahlungen außer Acht ließ, die ja nicht sicher waren. Aber sie hatte Zukunftsaussichten, es gab Aufstiegsmöglichkeiten. Wenn sie sich ihr Leben in zehn Jahren vorstellte, sah alles gut aus. Besser wäre es allerdings mit einer festen Beziehung. Mit einem Menschen an der Seite, der sich um sie kümmerte.

Und sie könnte lernen, sich um ihn zu kümmern.

 ... könnte lernen ... blöde Formulierung.

Ihr Lächeln verblasste, und für einen kurzen Augenblick blitzte die Panik in ihren blauen Augen auf. Vielleicht war das der Grund, warum die Männer gingen. Sie spürten ihre Verzweiflung. Achtunddreißig und allein in New York. Das war beängstigend. Auf der anderen Seite wusste sie ganz genau, dass Millionen von Hausfrauen aus dem Mittleren Westen ihr dröges Dasein für eine Minute von ihrem New Yorker Leben eintauschen würden.

Du bist unabhängig. Hurra! Hör auf, dich zu bemitleiden, du Heulsuse.

Sie legte eine lange Silberkette mit Saphiranhänger um. Ihr Hals wirkte damit länger, ihr Gesicht schmaler. Dann knöpfte sie den obersten Knopf ihrer Bluse auf, um einen Brustansatz zu enthüllen, den es eigentlich nicht gab.

Sie war keine Heulsuse. Ihr ging es gut hier, in der großen Stadt. Sie hatte ein Date mit Jeff und lebte ein völlig anderes Leben, als es ihr in Fort Taynor, Arkansas, jemals möglich gewesen wäre.

Sie dachte, sie hätte ihren Südstaatenakzent erfolgreich überwunden, doch Jeff hatte ihn sofort herausgehört. Er fand ihn nett. Das war im Loiter gewesen, einer Lounge mit einem Publikum, das im Durchschnitt jünger war als Ida. Ein paar von den anderen Frauen hatten sie eifersüchtig beäugt, wie sie mit Jeff dasaß. Er war mit Abstand der am besten aussehende Kerl in dem ganzen Laden und nicht mit einer ganzen Horde anzüglich grinsender Freunde aufgetaucht, die selbst gern einen Treffer landen wollten. Jeff trug einen dunkelblauen Anzug, der teuer aussah, und sogar Manschettenknöpfe.

In Fort Taynor trug kein Mensch Manschettenknöpfe.

Sie fummelte an ihrer billigen Retroarmbanduhr herum, um den Verschluss zuzubekommen. Als die Gegensprechanlage summte, hätte sie die Uhr beinahe fallen lassen.

Ida starrte auf die Anzeige. Ohne Brille konnte sie die Uhrzeit kaum erkennen.

Fast sieben. Jeff war zu früh dran. Wenn es überhaupt Jeff war.

Sie versuchte ein letztes Mal, den Verschluss an der Uhr zu schließen, und lächelte erfreut, als es endlich klappte. Ein gutes Vorzeichen? Sie zögerte, ließ ihre hochhackigen Pumps liegen und schlidderte auf Strümpfen zur Gegensprechanlage. Wenn es Jeff war, hätte sie noch genügend Zeit, um ihre Schuhe anzuziehen, bis er oben ankam.

Ein letzter Blick in den Spiegel hinter dem Sofa.

Sie zwinkerte sich zu, flüsterte: »Scharf!« und schob die Zunge zwischen die Lippen. Sie glaubte es fast selbst.

Auf dem Weg zur Gegensprechanlage ließ sie den Blick durch das winzige Apartment schweifen. Hoffentlich war es ordentlich und sauber genug.

Man wurde einfach immer beurteilt, immer!

Sie drückte auf den Knopf und versuchte sexy und entspannt zu klingen. »Wer ist da?«

»Jeff Davis.«

Ida antwortete nicht und machte ihm einfach auf. Nur nicht zu interessiert und verfügbar wirken!

Sei cool. So wie er auch.

Sie quälte sich in ihre Schuhe, die auf einmal eine Nummer zu klein zu sein schienen. Er stand bestimmt schon im Aufzug, unterwegs zu ihrem Stockwerk.

Einer ihrer Zehennägel schnitt schmerzhaft in den Nachbarzeh.

Verdammt, schon wieder geschwollene Füße. Ich hätte meine Entwässerungstabletten nehmen sollen.

Sie hatte den linken Schuh noch nicht ganz an und knickte fast um, als sie lossprintete, um auf sein Klopfen hin die Tür zu öffnen.

Kapitel 5

Renz hielt Wort. Das war ein schlechtes Zeichen. Er besorgte ihnen in der 79. Straße West ein Büro, nicht weit vom 20. Polizeirevier in der 82. Straße West.

Bis der Kostendruck die Stadt gezwungen hatte, die Zweigstelle zu schließen, war es vom Jugendamt genutzt worden. Auf der anderen Seite des alten Ziegelgebäudes gab es eine Zahnarztpraxis namens Nichts als Zähne. Renz lachte darüber, als er ihm die Adresse durchgegeben und davon erzählt hatte. Er hielt es für unpassend, dass sich ein Ermittlungsbüro im selben Gebäude befand wie ein Zahnarzt mit Humor. Zahnärzte hatten seiner Ansicht nach keinen Humor zu haben.

Die Eingänge zu den beiden Gewerbeeinheiten lagen nebeneinander auf einem bröckeligen Betontreppenabsatz drei Stufen über dem Gehsteig. Quinn und Fedderman hatten keine Ahnung, wie die Räumlichkeiten des Zahnarztes aussahen, aber ihr Büro bestand aus zwei nebeneinanderliegenden Zimmern und einer Toilette mit Waschbecken.

Gekappte Kabelbündel ragten wie fremdartiges Hightech-Gemüse aus dem Holzboden. Quinn vermutete, dass das Netzwerk- und Telefonkabel waren. Herunterhängende Leuchtstoffröhren spendeten grelles Licht.

»Schreibtische und alles andere kommen morgen«, hatte Renz Quinn versichert.

Das war vor zwei Tagen gewesen. Im Augenblick arbeiteten Quinn und Fedderman noch von Quinns Wohnung aus. Manchmal auch in dem engen Zimmer, das Fedderman in einem Aparthotel in der 90. Straße gemietet hatte.

Heute waren sie in Quinns Büro. Der Inhalt der Akten über die Morde lag in ungefähr chronologischer Ordnung vor ihnen auf dem Fußboden. Quinn saß in seinem Bürostuhl, den er vor den Schreibtisch gerollt hatte. Er stützte sich mit den Ellbogen auf den Knien ab und beäugte die Bescherung auf dem Teppich wie der liebe Gott die Sünder auf Erden.

Fedderman saß auf dem Boden und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Oben dem Kopf war er fast kahl, während sich zu langes graues Haar über den Ohren kringelte. Seine Hosen sahen zerknittert aus, sein brauner Mantel lag achtlos hingeworfen auf einem Stuhl. Fedderman und Kleidung, das passte nicht zusammen. Er war groß und schmalschultrig. Nichts schien seinem dünnen, ungelenken Körper mit dem Kugelbauch und den zu langen Armen richtig zu passen.

»Wir wissen, dass beide Opfer brünett, in den Dreißigern, attraktiv, aber keine Schönheiten waren«, sagte Quinn. »Beide wurden sie vor dem Schlachtfest ertränkt. Keine Zeichen für sexuellen Missbrauch. Kein Sperma auf den Körpern oder am Tatort.«

»Vielleicht hat er sie mit Klebeband gefesselt und das nach ihrem Tod entfernt«, fügte Fedderman hinzu. »Er wollte nicht, dass sie das Wasser aus der Wanne überall verteilten, als er sie ertränkte.«

»Das gebrauchte Klebeband hat er mitgenommen.«

»Ein Pedant«, meinte Fedderman.

»Beide Opfer haben Blutergüsse am Schädel. Nach dem Schlag haben sie noch gelebt.«

Fedderman nickte und stupste mit seiner schmutzigen braunen Schuhspitze an eines der Fotos aus dem Leichenschauhaus. »Das Vorgehen ist wahrscheinlich gleich. Keine Anzeichen für ein gewaltsames Eindringen in die Wohnungen. Er wird hereingelassen, schlägt ihnen auf den Schädel, zieht sie aus und schnürt sie zusammen, solange sie bewusstlos sind. Dann trägt er sie ins Badezimmer und legt sie in die Wanne. Er verschließt den Abfluss und stellt das Wasser an.«

»Davon wachen sie dann vermutlich wieder auf«, sagt Quinn.

Fedderman dachte darüber nach, was Quinn gesagt hatte. »Ja, das kalte Wasser. Sie merken, was passiert ist! Du lieber Himmel.«

»Wenn genug Wasser in der Wanne ist, dreht er den Hahn zu und ersäuft sie«, stellte Quinn fest.

»Gott sei Dank, kann man nur sagen, wenn man bedenkt, was als Nächstes kommt.«

»Er konnte nicht einfach abwarten, bis sie ertrunken sind, dazu ragt der Kopf zu weit aus der Wanne. Außerdem wollte er nicht, dass sie sich wehrten – trotz des Klebebands. Sie könnten herumspritzen, vielleicht ihren Knebel etwas lockern und um Hilfe rufen.«

»Also taucht er sie unter«, meint Fedderman.

»Wenn sie tot sind, entfernt er das Klebeband und benutzt das mitgebrachte Werkzeug, um sie zu zerlegen.«

»Messer aus der Küche nimmt er nicht?«

»Bisher nicht.«

»Dann hat er sein Werkzeug in einer Tasche oder so mitgebracht.«

»Hm, vielleicht hat jemand was gesehen. Müssen wir überprüfen.«

»Zuerst sammelt er alle Reinigungsmittel ein«, sagt Fedderman. »Bevor er mit dem Zerlegen anfängt. Kein Blut in der Küche, auch nicht in den Schränken, aus denen er das Zeug hat.«

»Richtig. Er benutzt den Duschvorhang, um die Fliesen im Bad zu schützen, damit er nicht in einer Blutlache kniet, wenn er ...« Quinn hält inne und blickte tiefsinnig und mit einem leichten Lächeln auf seine Zigarre. Er merkte, wie sehr er diesen Schlagabtausch mit Fedderman vermisst hatte. Das Aufzählen der Fakten, die Diskussion der Hypothesen, die Suche nach neuen Ideen. »Nein, Feds, er muss nackt sein. Und zwar schon, bevor er sie ertränkt. Seine Kleider müssen trocken bleiben, sonst merkt womöglich jemand was, wenn er geht.«

Fedderman nickte. »Der Duschvorhang sorgt dafür, dass sich die Sauerei vor der Badewanne in Grenzen hält. Ich würde sagen, er schlitzt seinen Opfern die Schlagadern auf und lässt sie in der Wanne ausbluten. So viel wie möglich jedenfalls. Dann spült er das Blut mit viel Wasser durch den Abfluss und macht sich ans Zerlegen. Vielleicht hat er ein paar Blutreste auf seinen Händen und an den Armen, vielleicht auch am Oberkörper. Das kann er einfach mit abwaschen, wenn er ihre Körperteile säubert.«

»Anschließend hat er sein Werkzeug sauber gemacht.«

»Nachdem er den zerstückelten Körper in die Badewanne gelegt hat.« Fedderman sah angeekelt, vielleicht sogar ein bisschen verschreckt aus. Die verschiedenen Gesichtsausdrücke passten ebenso wenig zusammen wie seine Kleidungsstücke. »Wo zum Teufel sind wir da hineingeraten, Quinn?«

»In nichts, wo wir nicht schon waren.«

Stimmt das tatsächlich?

»Die Körperteile waren bei beiden auf die gleiche Weise angeordnet«, sagte Quinn. »In der gleichen Reihenfolge.«

»Alles war total sauber«, meinte Fedderman. »Wollte er sich mit dem Wasser von seinen Sünden reinigen?«

Take me to the river ... Wie in dem Song von Al Green? Quinn lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Es ist noch zu früh, um in seinen Kopf zu kriechen. Wir können keine Rückschlüsse zulassen, außer dass er komplett krank ist und auf Brünette steht.«

»Viele Männer stehen auf Brünette.«

»Ich habe mit dem Pathologen gesprochen«, sagte Quinn. »Soweit er es beurteilen kann, wurden zum Zerteilen der Frauen scharfe Messer und vielleicht ein Hackebeil oder eine kleine Axt verwendet. Die Schnittstellen der großen Knochen lassen vermuten, dass eine Säge verwendet wurde, wahrscheinlich sogar eine Motorsäge.«

»Ist ziemlich gefährlich, in der Nähe von Wasser mit so einem Ding herumzuhantieren, sogar mit einem Akkugerät. Da kannst du schnell gegrillt werden.«

»Trotzdem glaube ich, dass er eine mit Akku verwendet hat. Sie sind leiser und trotzdem leistungsfähig genug für diese Art von Arbeit. Er hat sie erst benutzt, nachdem er das Wasser abgelassen hatte und die ganzen Körperflüssigkeiten durch den Ausguss verschwunden waren.«

»Wie beim Metzger.« Fedderman verzog sein Gesicht wieder angeekelt.

»Genau so, Feds. Er hat sie geschlachtet und zerlegt.« Quinn seufzte und ließ seinen Blick über die Fotos, Berichte und Aussagen auf dem Teppichboden gleiten. »Die beiden Opfer haben sich offensichtlich nicht gekannt und hatten keine gemeinsamen Freunde oder Bekannte.«

»Das könnten wir überprüfen«, schlug Fedderman vor. »Vielleicht gingen sie in dieselben Kneipen oder Restaurants oder kauften in denselben Geschäften ein.«

»Eine wohnte auf der East Side, die andere auf der West Side«, merkte Quinn an.

»Sie hatten trotzdem was gemeinsam, den Mörder nämlich.«

»Ja, sie ...«

Das Telefon klingelte.

Quinn stieß sich mit dem Fuß ab, rollte zum Schreibtisch und nahm den Hörer ab. »Quinn.«

Kurze Zeit später: »Aha.« Er rollte noch näher und griff nach einem Stift, um sich Notizen zu machen. »Die Adresse ist richtig so?«

Offensichtlich war der Anrufer davon überzeugt.

»Wir fahren los«, sagte Quinn und legte auf.

Fedderman fragte sich, um was es sich gehandelt hatte. Er wusste, dass Quinn immer so telefonierte. Ruhig, methodisch. Er würde Fedderman aufklären, wenn er so weit war.

»Auf geht’s, Feds«, sagte Quinn und erhob sich. »Das war Renz. Wir haben ein drittes Opfer, eine Frau namens Ida Ingrahm, 82. Straße West, Hausnummer 197, Apartment 6B.«

Fedderman kritzelte Name und Adresse auf seinen eigenen Block. »Nicht weit von hier.« Er stand langsam auf, faltete seine Glieder auseinander, zog sich die Krawatte gerade und schlüpfte in seinen verknitterten Mantel.

Er zog seinen rechten Hemdärmel herunter und knöpfte die Manschette zu. Es lag an seiner Art zu schreiben und vielleicht auch an den billigen Hemden, dass sein rechter Manschettenknopf ständig aufging. Er rückte seinen ausgebeulten Mantel zurecht, sodass das Holster mit der Waffe nicht mehr zu sehen war. Auf einmal hielt er inne und starrte Quinn an.

»Die Adresse stimmt?«

»Deswegen habe ich sie von Renz wiederholen lassen«, sagte Quinn. »Es ist Pearls ehemalige Wohnung.«

Kapitel 6

Das kleine Eckapartment des Opfers sah sehr viel ordentlicher aus als zu Pearls Zeiten. Zum Beispiel war gestrichen worden. Pearl hatte mit dem Renovieren begonnen, war aber nie fertig geworden. Gleich auf den ersten Blick wirkte das Apartment sauber und aufgeräumt. Es lagen keine Zeitungen und Zeitschriften auf dem Boden. Die Möbel standen da, nun ja, wo sie hingehörten.

Der Geruch war sehr auffällig. Quinn war ihm schon zuvor begegnet, aber nicht in dieser Konzentration. Fedderman ging es genauso.

»Riecht wie im Schlachthaus«, sagte Fedderman. »Nach viel Blut und frischem Fleisch.«

»Er ist ein Schlächter«, entgegnete Quinn.

»Vielleicht sogar im richtigen Leben.«

Daran hatte Quinn ebenfalls bereits gedacht. »Seine Fähigkeiten und Werkzeuge passen zum Berufsbild.«

Ein uniformierter Polizist stand in der Wohnung und starrte aus dem Fenster. Er hatte sich nicht umgedreht, als Quinn und Fedderman hereingekommen waren. Erst jetzt bewegte er sich. Er war mittleren Alters, hatte graue Haare mit militärisch kurzem Haarschnitt. Seine Mütze hielt er in Höhe seines Schritts umklammert. Er war so bleich, dass Quinn fürchtete, er würde jeden Moment ohnmächtig werden. Quinn und Fedderman zückten die Marken, die Renz ihnen besorgt hatte. Der Uniformierte deutete auf die kleine Diele, von der, wie Quinn wusste, das Bade- und das Schlafzimmer abgingen.

»Sie sollten sich vielleicht setzen«, sagte Quinn.

»Stehen ist okay«, sagte der Polizist. Eine Frage der Ehre.

Quinn nickte und ging Fedderman Richtung Bad voran. Sie zogen sich beim Gehen Latexhandschuhe über. Quinn war ein wenig überrascht, wie leicht und automatisch ihnen alles von der Hand ging.

Auf den Anblick im Bad konnte man sich nicht vorbereiten. In der Mitte der Badewanne lag Ida Ingrahms Kopf seitlich auf einem Stapel aus Rumpf und Gliedern. Das feuchte braune Haar war von ihrer Stirn zurückgestrichen, sodass man das Gesicht sehen konnte. Ihre Augen standen weit offen. Durch die beim Ertrinken geplatzten Äderchen waren sie blutunterlaufen. Sie sahen nicht so leblos aus, wie man erwarten könnte. Eher, als ob sie im Badezimmer auf jemanden warten würde. Vielleicht auf Quinn und Fedderman.

»Was für ein Anblick.« Die Stimme ertönte direkt hinter ihnen.

Quinn drehte sich um und erblickte Nift von der Gerichtsmedizin. Nicht gerade sein bester Freund. Nift war ein schmalbrüstiger kleiner Kerl mit dichtem schwarzem Haar, das ihm in die hohe Stirn hing. Er zeichnete sich durch ein gebieterisches Auftreten, ein vorlautes Mundwerk und flinke Augen aus. Immer makellos gekleidet, schien er sich für die Arbeit regelrecht herauszuputzen. Heute trug er einen schwarzen Einreiher, ein weißes Hemd und eine schwarze Seidenkrawatte. Quinn fand, er sah aus wie ein als Bestatter verkleideter Napoleon.

»Es stinkt ein bisschen«, stellte Fedderman fest.

»Wie in der Pathologie, wenn viel los ist«, sagte Nift. »Ich wusste, dass ihr unterwegs seid, deswegen habe ich noch nichts angerührt. Hab mir die arme Frau nur angesehen. Das sie tot ist, war ja nicht zu bezweifeln.«

»Zerstückelt wie die anderen?«, fragte Fedderman.

»Vielleicht hatte sie auch einen seltsamen Sinn für Humor«, antwortete Nift.

»Ich hätte nicht übel Lust, dich zu ihr in die Wanne zu stecken«, sagte Quinn.

Nift starrte ihn an. »Kann ich mir vorstellen, Captain.«

»Vielleicht könntest du einfach die Frage beantworten?«, fragte Fedderman.

»Soweit ich das ohne Untersuchung beurteilen kann, ist sie auf die gleiche Weise zerlegt worden wie die beiden früheren Opfer. Außerdem passt sie in das Beuteschema des Mörders.«

»Das festzustellen ist unsere Aufgabe«, sagte Quinn.

Nift lächelte. »Sorry, zu viele Krimiserien im Fernsehen, vermute ich mal. Aber mehr als das Offensichtliche kann ich euch erst nach der Obduktion sagen.« Er zuckte mit den Schultern. »Es wurde geschnitten, gehackt und gesägt.«

»Zuerst wurde sie ertränkt«, warf Fedderman ein.

»Ja, mit ziemlicher Sicherheit. Wie die beiden anderen eben. Ich rechne auch diesmal nicht damit, dass wir irgendwelche Anzeichen für sexuellen Missbrauch finden.« Er lächelte. »Wollt ihr nachsehen?«

»Wir glauben dir schon«, sagte Quinn. »War ihr Haar aus dem Gesicht gestrichen, als du gekommen bist?«

»Klar. So solltet ihr sie finden. Vielleicht wollte der Killer nach dem Köpfen ein bisschen nett sein.«

Hinter ihnen blitzte es. Der Polizeifotograf war eingetroffen. Er arbeitete mit einer Digitalkamera von der Größe einer Zigarettenschachtel. Hinter ihm befanden sich drei Techniker von der Spurensicherung, die sich auf der Suche nach Fingerabdrücken, Haaren, Abschiedsbriefen oder was auch immer durchs Wohnzimmer arbeiteten. Quinn vermutete, dass sie nicht viel Verwertbares finden würden. Der Killer, den sie jagten, war ein reinlicher und vorsichtiger Typ. Sauberkeit und Vorsicht waren eine Grundvoraussetzung für seine Vorgehensweise und ein entscheidender Hinweis auf seine Psyche. Ein Profiler hätte bestimmt seinen Spaß an dem Burschen.

»Ich will meine Voruntersuchung schnell zu Ende bringen, damit ich bald aus dem Weg bin«, sagte Nift.

Quinn und Fedderman traten zur Seite, sodass Nift sich in das fast klinisch saubere Bad zwängen konnte. Die verchromten Armaturen glänzten. Die Fliesen blitzten. Bewundernswert.

Nur der Inhalt der Badewanne störte den Eindruck.

»Lass uns ins Schlafzimmer gehen«, sagte Quinn.

Fedderman folgte ihm. »Vielleicht finden wir da Spuren, wo es weniger überfüllt und das Licht besser ist.«

Quinn war froh, dass Feddermans Polizistenhumor wieder aufblitzte. Das half sehr, wenn man den Verstand nicht verlieren wollte. Wie bei Nift, nur nicht so gemein.

Fedderman war klar, was Quinn im Schlafzimmer wollte. Einen besseren Eindruck von Ida Ingrahm bekommen. Von der Person, die das dritte Opfer geworden war.

Das Schlafzimmer war sehr aufgeräumt, das Bett gemacht. Das Zimmer schien mit dem Verbrechen nichts zu tun zu haben, nur denselben unangenehmen Geruch gab es auch hier. Das Bett von Quinn und Pearl hatte damals an der anderen Wand gestanden. Er versuchte, nicht daran zu denken.

Ida Ingrahm war anscheinend eine alleinstehende Frau gewesen, wie sie es in New York zu Tausenden, vielleicht sogar zu Millionen gab. Auf der Kommode stand ein gerahmtes Familienfoto. Ein Ehepaar mit zwei Töchtern im Teenageralter. Sie standen an einem See, der von Bäumen im herbstlichen Blätterschmuck umgeben war. Die Frauen auf dem Foto sahen sich alle ein wenig ähnlich. Quinn vermutete, dass es sich um Mutter, Schwester und das Opfer handelte. Nichts in den lächelnden Gesichtern deutete auf einen frühen gewaltsamen Tod hin.

In Idas Schrank hingen mehrere schwarze Kleidungsstücke, die sich leicht kombinieren ließen. Darunter ein Schuhregal. Am Fußende des Bettes stand ein kleiner Fernseher auf einer weißen Ablage aus Peddigrohr. Im Bücherregal fanden sich überwiegend Lebens- und Diätratgeber. Daneben standen ein paar Taschenbücher mit Spannungsliteratur. Auf dem Nachttisch lag eine Brille auf einem Krimi von Stuart Kaminsky. Pearl hatte ständig Kaminsky-Krimis über einen Polizisten namens Liebermann gelesen. Quinn fragte sich, ob sie das Buch zurückgelassen hatte, als sie ausgezogen war. Es berührte ihn, dass die Tote dasselbe Buch gelesen, dieselben Seiten berührt, dieselben Ecken umgeknickt haben könnte wie Pearl, wenn sie sich merken wollte, wo sie war. Er nahm vorsichtig die Brille hoch, um nur ja keine Fingerabdrücke zu verwischen, und prüfte die Sehstärke. Schwach. Sah nach Drogeriemarkt aus.

»Viele Schuhe«, sagte Fedderman, der immer noch vor dem Schrank stand.

»Eine Menge Frauen haben viele Schuhe«, sagte Quinn und blickte ihm über die Schulter.

Als er sich wieder umdrehte, entdeckte er etwas, das ihm vorher entgangen war, weil es hinter der Nachttischlampe lag. Ein Handy. Kurzwahlnummern, Adressen, Listen der ein- und ausgegangenen Anrufe. Vielleicht mit Sprachdateien, einem Taschenrechner und einer Digitalkamera. Fotos vom Killer. Wer wusste das heutzutage schon? Es sah aus wie ein ganz normales Handy. Quinn kannte sich mit modernen Technologien nicht so gut aus.

Er verließ das Schlafzimmer und ging in die Diele, um einen der Techniker herüberzubitten, einen intelligent aussehenden jungen Mann mit einem dunklen Brillengestell und einer Fliege. Quinn hielt Männer mit Fliege für eine eigene Rasse mit eigenen Ritualen.

Wie Quinn und Fedderman trug der Techniker weiße Handschuhe. Doch er war unter dreißig und würde sich bestimmt mit Handys auskennen.

Quinn deutete auf das Telefon. »Können Sie mir irgendwie die dort gespeicherten Informationen zugänglich machen?«

Der Techniker stupste das Handy mit der Fingerspitze an und nahm zuerst Fingerabdrücke ab.

Nach ein paar Sekunden blickte er auf und lächelte. »Das wird Sie interessieren, Sir.«

Quinn gefiel es, dass ein Techniker ihn »Sir« nannte. Kam selten genug vor. Er führte es auf die Jugend seines Gegenübers zurück. »Ist da was Besonderes?«

»Jep.«

Wo blieb der »Sir«?

Der Techniker hielt das Handy zwischen Daumen und Mittelfinger und drückte vorsichtig zu. Es begann zu surren. Quinn wollte ihn schon auffordern das Gespräch anzunehmen, als das Surren aufhörte.

»Das ist kein Handy, Sir, es sieht nur so aus. Das ist ein Vibrator.«

»Ah, es klingelt nicht, sondern vibriert, wenn jemand anruft«, sagte Fedderman.

»Äh, nein. Es ist überhaupt kein Telefon. Sondern ein Vibrator.«

»Ach so?« Endlich hatte Fedderman verstanden und guckte interessiert.