Missouri Murders: Tiefe Schatten - John Lutz - E-Book

Missouri Murders: Tiefe Schatten E-Book

John Lutz

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Beschreibung

Eine Stadt mit schwarzer Seele: Der fesselnde Ermittlerkrimi »Missouri Murders: Tiefe Schatten« von John Lutz jetzt als eBook bei dotbooks. Für seinen neuesten Auftrag muss der Privatermittler Alo Nudger die rauchgeschwängerten Bars und dreckigen Seitengassen von St. Louis hinter sich lassen, und nach New Orleans reisen, die Stadt des Jazz. Sein Auftraggeber, ein berühmter Klarinettist, beauftragt den Ex-Polizisten mit einem heiklen Fall: Die beiden Hauptattraktionen seines Nachtclubs, die Sängerin Ineida Mann und der Pianist Willy Hollister, haben ein Verhältnis. Nudger soll dafür sorgen, dass es beendet wird – mit allen Mitteln. Doch dann verschwindet Ineida plötzlich spurlos … und Nudger erkennt, dass er in ein Netz aus Täuschungen und Intrigen hineingezogen wurde, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint! Ihm bleiben nur wenige Stunden Zeit, um die Schuldigen zu finden – und so mehr als ein Leben zu retten … »Lutz‘ wahre Gabe ist es, Detektivarbeit besser als jeder andere darzustellen.« Kirkus Reviews Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Kriminalroman »Missouri Murders: Tiefe Schatten« von Bestsellerautor John Lutz ist der mitreißende dritte Band seiner Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger, der in St. Louis Verbrechen aufklärt – preisgekrönte Spannung für alle Fans der »Harry Bosch«-Fälle! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 329

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Über dieses Buch:

Für seinen neuesten Auftrag muss der Privatermittler Alo Nudger die rauchgeschwängerten Bars und dreckigen Seitengassen von St. Louis hinter sich lassen, und nach New Orleans reisen, die Stadt des Jazz. Sein Auftraggeber, ein berühmter Klarinettist, beauftragt den Ex-Polizisten mit einem heiklen Fall: Die beiden Hauptattraktionen seines Nachtclubs, die Sängerin Ineida Mann und der Pianist Willy Hollister, haben ein Verhältnis. Nudger soll dafür sorgen, dass es beendet wird – mit allen Mitteln. Doch dann verschwindet Ineida plötzlich spurlos… und Nudger erkennt, dass er in ein Netz aus Täuschungen und Intrigen hineingezogen wurde, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint! Ihm bleiben nur wenige Stunden Zeit, um die Schuldigen zu finden – und so mehr als ein Leben zu retten…

»Lutz‘ wahre Gabe ist es, Detektivarbeit besser als jeder andere darzustellen.« Kirkus Reviews

Über den Autor:

John Lutz (1939–2021) war ein US-amerikanischer Autor von über 50 Thriller und Romanen. Er wurde für seine Kriminalromane mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Shamus Lifetime Achievement Award und dem Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Spannungspreis Amerikas. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt.

Die Website des Autors: www.johnlutzonline.com

Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/JohnLutzAuthor/

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die folgenden eBooks:

Die Missouri-Murders-Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger, die Florida-Killings-Reihe um den Ex-Cop Fred Carver sowie seine Frank-Quinn-Reihe um einen Ex-Cop auf der Spur von Serienkillern. Außerdem veröffentlichte der Autor bei dotbooks den Psychothriller »Die Stalkerin«.

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eBook-Neuausgabe Oktober 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1986 unter dem Originaltitel »The Right to Sing the Blues« bei St. Martins Press, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1991 unter dem Titel »New Orleans Blues« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1986 by John Lutz

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1991 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Ana, sandra

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98952-299-2

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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John Lutz

Missouri Murders:Tiefe Schatten

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Renate Gotthardt

dotbooks.

Motto

Die Welt ist voll Musik, du mußt sie hören:

Die Erde ist ein Echo nur der Sphären.

Byron. Don Juan

Warum sollte der Teufel

alle guten Lieder gepachtet haben?

Rowland Hill. Predigten

Kapitel 1

Nudger rülpste und sagte: »’tschuldige.«

»Möchtest du noch einen Kaffee, Nudge?« Danny wischte gerade die rostfreie Stahltheke mit dem vergrauten Tuch ab, das gewöhnlich immer in seinem Gürtel steckte. Er hielt inne und schaute Nudger mit seinen melancholischen Bassetaugen an. »Vielleicht hilft er, deinen Magen zu beruhigen.«

Vielleicht würde er auch ein Loch in seinen Verdauungstrakt fressen, dachte Nudger. Aber er sagte nur: »Nein, danke, Danny«, und schob mit dem Daumen das Stanniolpapier von einer Rolle Antacidtabletten zurück. Er warf sich eine der kreidigen weißen Scheiben in den Mund und schaute auf den Rest seines Danny’s Dunker Delites hinunter, der vor ihm auf der Theke lag.

Er frühstückte in Danny’s Donuts, weil Danny ihn die Bezahlung unbegrenzt lange aufschieben ließ. Dafür war Nudger dankbar. Aber er hatte sich jetzt schon vier Vormittage hintereinander einem Dunker Delite ausgesetzt und bekam allmählich Angst, wenn sein kulinarischer Wagemut noch lange anhalte, werde er schließlich vielleicht so aussehen wie eine der formidablen Spezialitäten aus Danny’s Donuts; er könnte ebenso rund werden wie ein Dunker Delite, aber nicht annähernd so hart.

Er hob den Styroporbecher und trank einen Schluck von Dannys schrecklichem Kaffee und wünschte, das Privatdetektivgeschäft würde endlich einmal florieren. Kamen denn nicht länger heiße Blondinen in Nöten in Privatdetektivbüros hineinspaziert? Redeten ein bißchen, flirteten ein bißchen und zahlten dann einen großzügigen Vorschuß?

Natürlich würde er das nie herausfinden, wenn er nicht in sein Büro hinaufging. Hier, an Dannys Theke, fanden nicht viele Geschäfte statt, gleich welcher Art.

Nudger hatte keine große Lust, sich die Treppe hochzuschleppen, zu seinem leeren Schreibtisch, dem mit albernem Geschwätz besprochenen Anrufbeantworter, den staubigen Aktenschränken und dem stummen Telefon. Das alles erinnerte ihn an nur die längst fällig gewordene Miete.

Danny wußte, weshalb Nudger im Doughnut Shop frühstückte. »Es wird schon wieder besser«, sagte er und wedelte geschickt mit dem Tuch, um einen hartnäckigen Krümel von der Theke zu schnipsen. Außer ihnen war sonst niemand im Laden, und seit die letzte Sekretärin aus dem Haus gegenüber mit ihrer fettfleckigen Schachtel mit einem Dutzend glasierter Doughnuts zum Mitnehmen gegangen war, war auch niemand mehr dagewesen. Wie Danny sich im Geschäft hielt, war Nudger ein Rätsel. »Du weißt doch, wie das ist«, sagte Danny. »Wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.«

»Es sei denn, man hat dir den Strom abgestellt«, sagte Nudger.

Danny ignorierte ihn und goß sich aus der riesigen stählernen Kaffeemaschine einen großen Becher Kaffee ein. Er trank soviel von dem Zeug, daß er mittlerweile dagegen immun war. »Wie letztes Jahr, als unser werter Vermieter mich räumen lassen wollte.« Er lehnte sich an die Theke und prüfte mit der Fingerspitze die Temperatur des dampfenden Kaffees in seinem Becher. »Ich habe wirklich schon geglaubt, daß ich das Handtuch schmeißen muß, und dann hat sich das mit den Sahnehörnchen ergeben.«

Nudger schaute von seinem Kaffee auf. »Sahnehörnchen?«

»Ja, tausend Stück davon. Eine Mieze, die im Supermarkt oben an der Straße gearbeitet hat, ist jeden Tag hierhergekommen und hat sich zum Mittagessen eines meiner Sahnehörnchen gekauft. Sie war verrückt nach den Dingern. Dann habe ich sie eine Zeitlang nicht mehr gesehen und später gehört, daß sie sich mit einem reichen Anwalt draußen in Ladue verlobt hat. Na, und sie wollte, daß es auf ihrem Hochzeitsempfang meine Sahnehörnchen gibt. Eine Woche vor der Hochzeit kam sie hier herein und hat tausend Sahnehörnchen bestellt. War die Rettung für mein Geschäft.«

Nudger drehte sich um und stand von seinem Hocker auf. Vom langen Sitzen in vornübergebeugter Haltung tat ihm das Kreuz weh. »Ich gehe dann jetzt nach oben und warte darauf, von jemandem zu hören, der tausend verschwundene Sahnehörnchen aufgespürt haben will.«

»Man kann nie wissen, Nudge.«

»Das könnte man manchmal meinen. Bis später dann, Danny.«

Mit dem halbvollen Becher Kaffee in der Hand, schob sich Nudger durch die Tür in die Morgenhitze hinaus. Er machte scharf kehrt und ging durch eine andere Tür, die direkt neben Dannys Tür lag und zu der engen, steilen Treppe zu seinem Büro führte.

Als er die knarzende Treppe hinaufging, schwappte ihm Kaffee über den Daumen, und er fluchte. Er bückte sich, um die Post vom Treppenabsatz aufzuheben, schloß seine Bürotür auf, ging hinein und stellte als erstes die Klimaanlage im Fenster an. Es war halb zehn in der Früh, und im Büro war es so heiß, daß man eine Kartoffel hätte backen können, ein typischer Julitag in St. Louis, der Heimat der Hitzewarnung.

Er warf die Post auf den Schreibtisch, setzte sich auf seinen quietschenden Drehstuhl und wappnete sich gegen dessen schrilles Guteeen-Morgeeen. Angewidert schob er den Styroporbecher mit dem Kaffee von sich. Der kühle Luftzug der brummenden, gluckernden Klimaanlage tanzte ihm zwischen den Stuhlspeichen über die feuchten Schulterblätter.

Während er darauf wartete, daß ihm kühler wurde, betrachtete er den Stapel Post. Schließlich nahm er ihn vom Schreibtisch und blätterte ihn durch.

Es waren keine Überraschungen dabei, nur Angebote, eine Unfallversicherung abzuschließen, Zeitschriften zu abonnieren, eine Wohnanlage an einem See zu besichtigen, und an einem Hunderttausend-Dollar-Preisausschreiben von Readers’ Digest teilzunehmen. Scheiße! – die Stromrechnung. Nudger studierte sie aufmerksam und wunderte sich darüber, wieviel Strom eine IBM- Schreibmaschine aus zweiter Hand und eine gebrauchte Klimaanlage verbrauchen konnten.

Hoppla!

Ein weißer Umschlag, den Nudger zuerst gar nicht gesehen hatte, rutschte zwischen der Versicherungswerbung und dem Angebot, für die Besichtigung der Paradise-Siedlung einen Photoapparat geschenkt zu bekommen, hervor, überschlug sich einmal in der Luft, und prallte von seiner Schuhspitze ab. Trotz des Schuhs merkte Nudger, daß es ein schwerer Brief war, und er sah, daß die Adresse weder getippt war, noch aus einem Etikett bestand, sondern von Hand geschrieben war. Vielleicht lohnte es sich, ihn zu öffnen.

Nudger beugte sich auf dem quietschenden Drehstuhl vor und hob den Umschlag auf. Er war mit Briefmarken übersät und trug einen Poststempel aus New Orleans. Es stand kein Absender drauf. Nudgers Büroanschrift war mit einem dicken blauen Filzstift in einer kühnen, aber schnörkeligen Handschrift geschrieben worden. Nudger wog den Brief prüfend in der Hand, lehnte sich zurück und riß die zugeklebte Lasche auf.

Der Umschlag enthielt ein Hin- und Rückflugticket nach New Orleans, erster Klasse, auf Nudgers Namen. Der Flug ging um fünf nach elf am nächsten Morgen in St. Louis ab.

Nudger griff in den Umschlag und stieß auf ein gefaltetes Blatt Papier und eine Visitenkarte. Der Brief war kurz und auf einfaches weißes Papier in derselben schnörkeligen Handschrift geschrieben wie die Adresse auf dem Umschlag.

Mein lieber Nudger, ich benötige dringend die Dienste eines Privatdetektivs. Lassen Sie uns alles weitere persönlich besprechen, sowie Sie in New Orleans angekommen sind. Im Hotel Majestueux ist ein Zimmer auf Ihren Namen reserviert. Rufen Sie mich an, wenn Sie da sind, und dann können wir uns treffen. Es wird sich für Sie lohnen. Wenn Sie mich angehört haben und an dem Fall nicht interessiert sein sollten, können Sie ja wieder nach Hause fliegen. Sie haben dabei nichts zu verlieren. Ich habe alles zu verlieren. Kommen Sie und reden Sie mit besorgten Menschen mit Geld. Bitte.

Fat Jack McGee

Auf der Visitenkarte stand das Logo einer Klarinette, die in einer Sprechblase Noten ausstieß. Außerdem stand darauf noch ›Fat Jack McGee‹, eine New Orleanser Adresse und zwei Telefonnummern.

Fat Jack McGee. Die Klarinette.

Nudger war Fat Jack McGee ein Begriff; er hatte einige seiner Platten aus den Sechzigern und frühen Siebzigern in seiner Jazzsammlung stehen. Wie so viele begabte Jazzmusiker war Fat Jack dem allgemeinen Publikum fast unbekannt, aber er zählte zur Elite der Jazzwelt. Er hatte jahrelang mit seiner eigenen Band Klarinette gespielt, und sich dann in einen Jazzclub zurückgezogen, den er sich in New Orleans gekauft hatte. Auch wenn er immer noch für andere Musiker komponierte, unter anderem auch für Popstars, so nahm er jedoch keine Platten mehr auf und spielte, nach dem, was Nudger gelesen hatte, nur noch gelegentlich für seine zahlenden Gäste. Alles in allem hatte er eine vorzügliche und lukrative Karriere gemacht.

Nudger wußte, wie Fat Jack zu seinem Geld gekommen war. Er fragte sich nur, wie er zu seinen Sorgen gekommen war.

Er fragte sich außerdem, ob es sich lohnte, nach New Orleans zu fliegen, um es herauszufinden. Benedict & Schill, ein paar Anwälte, für die Nudger manchmal arbeitete, hatten versprochen, ihm am Ende ihrer nächsten Rettungswagenverfolgungsjagd ein paar Jobs zuzuschustern. Wenn Nudger die Stadt verließ, könnte er diese Gelegenheit verpassen und mehrere Tage in New Orleans verschwenden, während seine Miete weiterlief. Bis Nudger dort aufkreuzte, könnte die Fat-Jack-McGee-Sache bereits geklärt sein oder sich in Luft aufgelöst haben. Oder McGee könnte es sich einfach anders überlegen und doch keinen Privatdetektiv engagieren wollen. Benedict & Schill waren schon früher rübergekommen. Fat McGee nicht, außer auf Langspielplatten.

Das Klingeln des Telefons ließ Nudger zusammenzucken und den Drehstuhl Iigitt! schreien.

Er ließ es dreimal klingeln, ehe er ranging; durfte nicht erpicht wirken. Dann zog er das Telefon über den Schreibtisch zu sich heran, nahm den Hörer ab und meldete sich, mit einem Herzen voller Hoffnung, mit Namen.

»Ich bin’s«, sagte seine Ex-Frau Eileen. »Du weißt recht gut, weshalb ich anrufe.«

Nudger wußte es. »Doch nicht wegen unserem Hochzeitstag?«

»Ich will mich nicht mit unbedeutendem Small talk aufhalten«, sagte sie. »Ich will den ausstehenden Unterhalt, den du mir schuldest. Fünfhundert Dollar.«

»Im Moment ist das völlig unmöglich«, sagte Nudger.

»Dich wieder vor Gericht zu zerren ist nicht unmöglich.« Nudger war sich nicht sicher, ob sie das tun würde.

Dank ihres Anwalts, der von Aasgeiern abstammte, war ihr ein exorbitanter Unterhalt zugestanden worden. Und auch wenn Eileen zum Zeitpunkt der Scheidung keine Möglichkeit gehabt hatte, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, stand sie nun an der Spitze der Vertreterpyramide eines Haushaltswarenherstellers und kassierte einen obszönen Prozentsatz der Einnahmen der Vertreter unter ihr und eine Provision, wann immer diese jemanden für die Firma anwarben. Sie war Bezirksleiterin. Die Pyramidenmacht gehörte ihr. Sie verdiente mehr als Nudger momentan verdiente oder je verdient hatte. Ein Richter würde das doch bestimmt berücksichtigen. Naja, vielleicht ...

»Bist du noch da?«

»Ja.«

»Ich habe mit meinem Anwalt gesprochen. Er sagt, ich soll dir eine Woche Zeit lassen und dann ziehen wir dir die Haut bei lebendigem Leibe ab und kratzen das Fett von deinem Fell.«

»Er hat eine komische Art, sich auszudrücken.«

»Und zu bekommen, was er will. Ich habe keine Lust, noch mehr Geld fürs Gericht auszugeben, aber wenn ich muß, werde ich es tun. Ich will mein Geld. Und zwar bald.« Seit sie unter die Vertreter gegangen war, hatte sie aber wirklich gelernt, sich durchzusetzen. Heute schien sie besonders unerbittlich.

»Schickst du es bar? Oder einen Scheck?«

Nudger seufzte. »Einen Scheck. Sobald wie möglich.« »Und das ist wann?«

»In ein paar Tagen. Höchstens ein paar Wochen. Ich bekomme bald einen Vorschuß.«

»Höchstens Vorschußlorbeeren.«

»Nein, einen richtigen Vorschuß. Ich habe einen Job in New Orleans.«

»Na schön, du hast eine Woche«, sagte sie. »Aber nicht mehr. Sieben Tage. Verstanden?«

»Klar. Wie macht sich denn dein Sexualleben, Eileen?« Er konnte es einfach nicht verkneifen, sie in Harnisch zu bringen. Pervers.

Als sie den Hörer aufknallte, schrie sie etwas, das er nicht ganz mitbekam, aber das Wort ›Gott‹ kam darin vor. Konnte sie zur Religion gefunden haben?

Nudger lauschte ein paar Sekunden lang dem verlorenen Geräusch der unterbrochenen Verbindung und legte dann den Hörer auf. Nichts war besser, als wenn einem jemand die Entscheidung abnahm. Er rief den Flughafen an und bestätigte seine Reservierung nach New Orleans, und eine ausgesprochen liebenswürdige Frau namens Rhonda versicherte ihm, daß er für einen Flug erster Klasse gebucht war. Nudger schloß das Flugticket in der obersten Schreibtischschublade ein und dachte sich, daß er allemal lieber mit Rhonda telefoniere als mit Eileen.

Sorgfältig füllte er das Hunderttausend-Dollar-Preisausschreiben aus und ging dann, falsch pfeifend, hinunter, um sich eine Tasse Kaffee und ein Sahnehörnchen zu genehmigen.

Kapitel 2

Der Flug nach New Orleans dauerte etwas über eine Stunde in einem Himmel, der ebenso gleichförmig blau war wie die Innenseite einer Schale aus chinesischem Porzellan.

Nudger mietete sich auf dem New-Orleans-International-Airport ein Auto – einen billigen Mini, da er nicht wußte, ob er den Auftrag annehmen würde und ihm die Spesen erstattet werden würden – und fuhr in die Stadt. In Louisiana war es genauso heiß wie in Missouri, nur daß hier Spanisches Moos von den Alleebäumen herabhing wie schwarzes Christbaumlametta, das jemand vergessen hatte, herunterzunehmen. Schon der bloße Anblick der zarten, aber erdrückenden Tillandsien ließ die Hitze glühender und stickiger erscheinen. Nudger stellte die Klimaanlage an und drehte sie voll auf. Staub und Fusseln bliesen ihm mit dem kalten Luftschwall ins Gesicht und trudelten dann wieder zu Boden.

New Orleans ist eine alte Stadt pastellfarbenen Stucks, verschnörkelten Schmiedeeisens, farbenprächtiger Bougainvillearanken, weiß-grauer Tropenkleidung, der Cajun- Küche und schwarzer Musik. Das Hotel Majestueux paßte genau in dieses Bild, ein altes zehnstöckiges Gebäude, mit einer verwitterten Fassade aus imitiertem Stuck. Vor dem Eingang hing eine goldfarbene Markise über dem Bürgersteig, auf deren Seiten in zierlicher, weißer Schrift der Name des Hotels geschrieben stand. Ein uniformierter Türsteher stand im tiefen Schatten unter der Markise und las aufmerksam eine zusammengefaltete Zeitung.

Nudger parkte den Mini eine halbe Querstraße weiter unten, kletterte aus dem winzigen Schalensitz und vergewisserte sich, daß sich seine Gliedmaßen immer noch zu ihrer vollen Länge ausstrecken ließen. Minihaftigkeit könnte ansteckend sein. Er schloß den Miniaturkofferraum des Autos auf und holte sein Gepäck heraus.

Er ging mit seinem braunen Nylonkoffer zum Hotel und musterte dabei das Viertel. Es war alt, zu einem gewissen Grad heruntergekommen, aber noch nicht gar so arg. Die Industrie- und Handelskammer würde es interessant nennen. Die Touristen würden dem zustimmen, aber ihr Geld dennoch lieber in der Bourbon Street und im Superdome ausgeben.

»Darf ich Ihnen das abnehmen, Sir?« fragte der Türsteher, als es offensichtlich wurde, daß Nudger mit seinem Koffer ins Foyer gehen wollte.

Nudger schüttelte den Kopf und ging an ihm vorbei. Von nahem besaß die verzierte Uniform des Türstehers dieselbe aparte Heruntergekommenheit wie das Viertel. Er war ein älterer Schwarzer, drahtig und gebückt. Als Nudger die Glastür aufschob, sah er, daß der Türsteher die Pferdesportseite studierte und sich wohl überlegte, welche Wetten er platzieren sollte. Er sah nicht so aus, als hätte er ein Auge für Gewinner.

Das Foyer war groß, mit rotem Teppichboden ausgelegt und in einer Art französischem Landhausstil eingerichtet, der ihm eine Atmosphäre von Gemütlichkeit verlieh. Die getäfelten Wände bildeten einen reizvollen Kontrast zu großen Topffarnen und blühenden Pflanzen, die echt aussahen. Über den Fahrstühlen waren eine reichverzierte Messinguhr und kunstvolle Messingstockwerkanzeiger in die prächtige Eichentäfelung eingebaut. Hinter der gefirnißten hölzernen Rezeption ragte ein zwei Meter zehn großer, schmaler, grauhaariger Mann empor. Ein Page stand am anderen Ende des Foyers und fummelte an einem klemmenden Fenster herum, versuchte, es entweder ein Stückchen weiter hinauf- oder hinunterzuziehen. Eine kreolische Schöne, die wie eine Restauranthosteß angezogen war, stand mit verschränkten Armen in der Tür des Hotelcafés und schaute ihm mit einer herablassenden Noblesse dabei zu. Ein anderer Page stand hinter ihr und sah ihr über die Schulter. Niemand hier beeilte sich, Nudger das Gepäck abzunehmen.

Der menschliche Turm hinter dem Empfang sah nach und sagte, ja, es gebe eine Reservierung auf Nudgers Namen. Nudger holte seine VISA-Card hervor und fragte sich im Stillen, ob er noch genug Kredit darauf habe, um den Portier nötigenfalls beeindrucken zu können.

Aber er brauchte hier kein Statussymbol. Der Portier schüttelte den leichenhaft schmalen Kopf und sagte: »Das Zimmer wurde im Voraus bezahlt, Mr. Nudger.«

Während Nudger die Kreditkarte wieder in seiner Brieftasche verstaute, klingelte der Große mit einer altmodischen Tischglocke. Sie hatte einen viel zu schönen und sonoren Klang, um einem solch profanen Zweck zu dienen. Der Portier rief in einem scharfen Befehlston: »Rezeption«, und der Page am Fenster riß sich von seiner Bosselei los und kam durch das Foyer zum Empfang geschlendert.

»Dreihundertvier, Larry«, sagte der Portier von hoch oben.

Larry nahm den Schlüssel entgegen und hob Nudgers Koffer hoch. Er war ein untersetzter, mittelgroßer Mann mit rabenschwarzem Haar und einem fleckigen Teint, der an Kaffee mit einem kräftigen Schuß Sahne erinnerte, der nicht umgerührt worden war. Er blieb kurz stehen, um nicht mit einem jungen Pärchen zusammenzustoßen, das die selbstvergessene Atmosphäre von Flitterwöchnern ausstrahlte, und ging dann flink um sie herum, in den Fahrstuhl, drückte auf ein Stockwerk und trat einen Schritt zurück, um Nudger Platz zu machen.

Das Zimmer im dritten Stock war groß, kurz davor, einer Renovierung zu bedürfen, aber im Großen und Ganzen recht nett. Es war ganz in Blautönen gehalten, mit dicken Vorhängen in derselben Farbe wie die Tagesdecke. Kopfbrett, Kommode und Schreibtisch paßten nicht zusammen und waren aus wuchtigem Nußbaum, nicht die übliche massengefertigte Hoteleinrichtung. Larry demonstrierte Nudger routiniert, daß der Farbfernseher funktionierte, und machte ihn mit dem weißgekachelten Badezimmer vertraut, aber nicht mit der kleinen Kakerlake, die hinter das Waschbecken krabbelte, und überreichte ihm dann den Zimmerschlüssel.

Larry hatte schwarze, lebhafte Augen. Er hatte kein einziges Wort gesagt, und vielleicht konnte er auch gar nicht sprechen, aber er war ein verdammt guter Beobachter. Nudger brannte darauf, ihn loszuwerden, und gab ihm zwei Dollar Trinkgeld. Larry steckte die Scheine mit einem Brummen ein, ließ ein mechanisches Lächeln in Nudgers Richtung blitzen, ging rückwärts aus dem Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Nudger ging hinüber und schob den Riegel vor, schloß die Tür von innen ab.

Er packte eilends aus, drehte den Thermostat der Klimaanlage niedriger und zog das Sportsakko aus. Aus einer Innentasche des Sakkos zog er den Umschlag, den ihm Fat Jack McGee geschickt hatte, und hängte dann das Sakko auf die Lehne des Schreibtischstuhls. Er breitete den Inhalt des Umschlags vor sich auf dem Bett aus und las sich den Brief noch einmal durch. Er nahm das Tastentelefon vom Nachttisch und tippte mit dem Zeigefinger die Büronummer, die auf Fat Jack McGees steifer, weißer Visitenkarte stand. Es war an der Zeit, das Treffen zu vereinbaren, an dem der rundlichen Jazzlegende so viel lag.

»Eines sollte man über Jazz wissen«, sagte Fat Jack Nudger eine Stunde später. »Und zwar, daß man nichts über Jazz wissen muß, um sich an ihm zu erfreuen, und das ist auch schon alles, was man wissen muß.« Er legte den riesigen Kopf in den Nacken, daß die Hängebacken wabbelten, und trank den letzten Schluck Brandy aus seinem kristallenen Kognakschwenker. »Es ist das Feeling«, sagte er über den Tisch hinweg zu Nudger und tupfte sich mit der eigenartigen Eleganz eines äußerst fetten Menschen mit einer weißen Serviette den Mund ab. »Jazz ist reines Feeling.«

»Besitzt Willy Hollister das Feeling?« fragte Nudger. Er schob seinen Teller von sich, fühlte sich bis obenhin satt. Die einzige Beilage des Gourmet-Essens, zu dem ihn Jack eingeladen hatte, die unberührt geblieben war, waren die Grits, eine Maisgriespampe, die Nudgers Meinung nach erst gar nichts auf dem Teller zu suchen gehabt hatte. Fat Jack hatte ihm erzählt, Hollister mache ihm Sorgen, aber er hatte nicht gesagt, inwiefern oder weshalb.

»Willy Hollister«, sagte Fat Jack mit der unverkennbaren Hochachtung, die ein vollendeter Künstler für die Arbeit eines anderen empfindet, »spielt supergut Klavier.«

Ein Kellner in einer weißen Weste tauchte wie ein Dschungelbewohner aus der Gegend einer Topfpalme auf; er brachte auf einem silbernen Tablett Zichoriekaffee und stellte die Tassen mit einer Behutsamkeit vor die beiden, die einen auf den Gedanken bringen konnte, die dunkle Flüssigkeit könne explodieren, wenn sie verschüttet wurde.

»Was ist dann also Ihr Problem mit Hollister?« fragte Nudger und trank das starke Gebräu. Schon allein wegen des Aromas hätte er es als köstlich eingestuft, aber auch der Geschmack enttäuschte ihn nicht. »Haben Sie ihn denn nicht engagiert, um mit seinem phantastischen Klavierspiel in Ihrem Club aufzutreten?«

»Eh, mit seiner Musik ist alles in Ordnung«, sagte Fat Jack hastig. »Ehe ich Ihnen Genaueres sage, Nudger, muß ich erst wissen, ob Sie in New Orleans bleiben werden, bis Sie diese Sache für den alten Fat Jack aufgeklärt haben.« Fat Jacks kleine, rosa Augen strahlten verschmitzt. »Selbstverständlich gegen ein fettes Honorar.«

Nudger war immer mißtrauisch bei Leuten, die von sich selbst in der dritten Person sprachen, aber er wußte, daß das Honorar üppig sein würde. Fat Jack hatte ein ebenso fettes Bankkonto, und tatsächlich hatte er ja auch schon eine stattliche Summe für das Flugticket und das Hotel hingeblättert, nur damit Nudger nach New Orleans gereist kam und im Magnolia-Blossom-Restaurant zu Mittag aß und sich anhörte, was Fat Jack zu sagen hatte. Die Frage, die Nudger nun aussprach, war: »Warum gerade ich?«

Fat Jack schenkte ihm ein breites, fettgepolstertes Lächeln. »Wenn das nicht das größte aller Warums ist? Die universelle Frage?«

»In meinem Universum ist sie das«, sagte Nudger.

Fat Jack wiederholte Nudgers springende Frage. »Warum gerade Sie? Weil ich aus Ihrer schönen Stadt eine Frau namens Jeanette Boyington kenne. Jeanette hat gemeint, Sie seien phantastisch in Ihrem Job; und das sagt sie nicht von vielen Leuten.«

Um ein Haar hätte Nudger seinen Kaffee verschüttet. Jeanette Boyington verblüffte auch weiterhin, selbst Monate nachdem er sie zuletzt gesehen hatte. Und doch hätte es ihn nicht überraschen sollen, daß die Frau, die ihn zu ihrem Mordkomplicen hatte machen wollen und im Verlauf ihrer Beziehung nahezu zerstört worden war, ihn empfehlen würde. Das war typisch für Jeanette Boyington; sie war ein Sportfisch, der Hartnäckigkeit mehr als alles andere bewunderte. Selbst aus ihrem Zimmer in der staatlichen Anstalt für schuldunfähige Straftäter. Nudger fragte sich, ob Fat Jack McGee wohl Jeanette Boyingtons derzeitige Adresse kannte.

»Und wegen Ihrer Sammlung«, fügte Fat Jack hinzu. Ein ebenholzfarbener Tropfen Kaffee hing in wackliger Schwebe an seinem dreifachen Kinn und glitzerte beim Reden. »Ich meine, ich habe gehört, Sie sammeln alte Jazzplatten.«

»Habe ich früher einmal getan«, sagte Nudger ein wenig wehmütig. Ihm wurde klar, daß Fat Jack mit einiger Gründlichkeit Auskünfte über ihn eingeholt haben mußte. »Ich hatte Willie the Lion. Duke Ellington und Mary Lou Williams aus ihrer Zeit in Kansas. Bessie Smith. Art Tatum.«

»Wieso ›hatte‹?« fragte Fat Jack.

»Eines bitterbösen Monats habe ich den Großteil der Sammlung verkauft, um die Miete zu zahlen.« Nudger schaute zwischen den grünen Palmwedeln aus dem Fenster und durch das verschnörkelte Schmiedeeisen auf die Touristen, eine halbe Querstraße weiter auf der Bourbon Street, auf die die merkwürdige Mischung aus französischer und spanischer Architektur, schwarzem Amerika und weißer Anzüge und der glühenden halbtropischen Sonne, die New Orleans ausmachte, wo der Jazz lebte wie in keiner anderen Stadt. »Verdammte Miete«, murmelte er.

»Amen«, sagte Fat Jack feierlich, und machte dabei nicht einmal sich selbst etwas vor. Er hatte sich schon seit Jahren um seine Mietzahlung keine Sorgen mehr gemacht. Der Tropfen Kaffee verlor seinen zitternden Halt auf seinem Kinn, fiel hinunter und befleckte wie ein Sakrileg die schneeweiße Hemdbrust.

Nudger schaute von dem Fleck weg, wieder zur Bourbon Street. Seit Nudger sie zum letzten Mal gesehen hatte, war sie heruntergekommen und zog nun teilweise die falschen Leute an – oder besser, die falschen falschen Leute –, aber sie war immer noch die Bourbon Street und wie keine andere Straße. Hohe Töne und tiefe Töne; Oben-ohne- und Unten-ohne-Tänzerinnen und -Tänzer; Touristen und wahre Jazzliebhaber. Alles in einer prächtigen, bunten Mischung, die durch das Herz des French Quarter lief – die das Herz des French Quarter war. Die relativ wenigen Rowdys änderten daran nichts. Die Tradition war bis zu einem gewissen Grade unverwüstlich.

»Also bleiben Sie nun eine Weile hier?« fragte Fat Jack. »Es geht um Ineida Collins. Sie singt momentan im Club, und wenn sie weiterhin fleißig übt, wird sie eines Tages vielleicht mittelmäßig sein. Eh, das ist kein Sarkasmus, Nudger; das ist einfach eine ehrliche Einschätzung ihres musikalischen Talents. Und musikalisches Talent ist etwas, was ich wirklich beurteilen kann.«

»Warum haben Sie sie dann überhaupt engagiert?«

»Wegen David Collins. Ihm gehört eine Menge des French Quarters und ein Anteil an dem höchst erfolgreichen Restaurants, in dem wir gerade sitzen. In jedem Stadtteil von New Orleans hat er mehr Macht als eine Tonne Kreditkarten. Und er ist ebenso dürr und starrsinnig, wie ich fett und umgänglich bin.«

Nudger trank wieder einen Schluck des pikanten Kaffees. »Und er hat Sie gebeten, Ineida Collins zu engagieren?«

»Sie haben es erfaßt, Nudger. Ineida ist seine Tochter. Sie will als Sängerin groß herauskommen. Und das wird sie auch, und wenn Daddy für ein Plattenstudio mehr als die doppelte Miete zahlen muß. Da David Collins das Haus gehört, in dem mein Club ist, ganz zu schweigen von zwölfeinhalb Prozent des Ladens, habe ich mir gedacht, ich wäre besser gefügig, als seine Tochter auf seine Empfehlung hin vorgesungen hat. Und weil Ineida nicht gar so miserabel ist, daß sie außer sich selbst auch noch andere blamieren würde, nenne ich das Diplomatie.«

»Ich habe gedacht, Sie würden es Probleme nennen«, sagte Nudger. »Ich habe gedacht, deshalb hätten Sie mich engagiert.«

Fat Jack nickte, daß die üppigen Hängebacken über den weißen Kragen quollen. »Und die sind daraus auch entstanden«, erwiderte er. »Hollister ist ein hübscher junger Kerl, und schon in der ersten Woche, die Ineida im Club war, hat er seine Annäherungsversuche gemacht, und sie haben sich rasch miteinander angefreundet und sind dann bald über bloße Freundschaft hinausgegangen.«

»Und Sie glauben, ihn lockt Daddys Geld?«

»Nichts dergleichen«, sagte Fat Jack. »Das wäre zu simpel. Als ich Ineida engagiert habe, haben wir abgemacht, daß ich ihre wahre Identität geheim halte – darauf hat David Collins bestanden. Sie will aus eigener Kraft groß herauskommen oder durchfallen; dieser ganze Es-alleine- schaffen-Käse. Deshalb singt sie auch unter dem Bühnennamen Ineida Mann, der vermutlich eine Schnapsidee aus der Werbeabteilung ihres Vaters ist. Das macht es mir nicht gerade leichter, ihr Schutzengel zu sein.«

»Ich verstehe immer noch nicht, wo Ihr Problem liegt«, meinte Nudger.

»Ich habe ein komisches Gefühl bei Hollister, aber ich weiß nicht genau, warum. Aber ich weiß, wenn Ineida durch ihn zu Schaden kommt, wird David Collins dafür sorgen, daß ich mit meiner Klarinette durch die Clubs von Butte, Boise und Anchorage touren muß.«

»Auf ihre Art nette Städte«, meinte Nudger, »aber keine Jazzstädte. Ich verstehe Ihr Problem.«

»Also, stellen Sie für mich über Willy Hollister Nachforschungen an«, flehte Fat Jack. »Überprüfen Sie ihn, erklären Sie ihn für bestanden oder durchgefallen, aber geben Sie mir meine Seelenruhe wieder. Eh, mehr will ich nicht, bloß meine Seelenruhe.«

»Selbst wir harten Privatdetektive wollen die«, sagte Nudger.

Fat Jack nahm die Serviette vom Schoß und hob matt die fette Hand. Ein Ober, der nur auf der Welt war, um auf diesen Wink zu reagieren, kam mit der Rechnung herübergesaust. Fat Jack nahm einen winzigen Kugelschreiber entgegen und zeichnete sie mit einem großen, aber eleganten Schnörkel ab. Nudger sah ihm zu, wie er sich ein Pfefferminz nahm. Es war, als beobachte man die Anmut und Geschicklichkeit eines Elefanten, der eine Erdnuß aufpickte. So massig Fat Jack auch war, bewegte er sich doch, als wöge er nicht mehr als zehn oder zwölf Pfund.

»Ich muß zurück, Nudger, ein bißchen Buchführung erledigen, ein bißchen Geld zählen.« Er stand auf, erstaunlich groß in den hellbraunen Hosen und dem weißem Sportsakko. Nudger fand das Sakko todschick; er beschloß, sich vielleicht auch so eins zu kaufen und es sommers wie winters zu tragen.

»Kommen Sie heute abend so gegen acht im Club vorbei«, sagte Fat Jack. »Dann sage ich Ihnen, was Sie sonst noch wissen müssen, und zeige Ihnen Willy Hollister und Ineida. Vielleicht können Sie sie sogar singen hören.«

»Und während sie singt«, sagte Nudger, »könnten wir uns dann vielleicht über mein Honorar unterhalten.«

Fat Jack lächelte so breit, daß die ungeheuren Hängebacken die Schwerkraft Lügen zu strafen schienen. »Eh, wir beide werden gut miteinander auskommen.« Er zwinkerte und ging zwischen den Tischen hindurch zur Tür.

Der Ober füllte Nudgers Kaffeetasse auf, und er trank das Zichoriegebräu und schaute dabei Fat Jack McGee nach, der auf dem sonnigen Bügersteig zur Bourbon Street ging. Für einen Fettsack hatte er einen recht flotten, federnden Gang.

Nudger war nicht so erpicht auf das Honorar wie Fat Jack meinte. Na ja, nicht ganz so erpicht: er wußte, daß er für seine Arbeit bezahlt werden würde. Er hatte den Fall nicht wegen des Honorars so bereitwillig angenommen, auch wenn er dringend etwas brauchte, das er Eileen und den diversen Wölfen, die vor seiner Tür Schlange standen, hinwerfen konnte. Vor Jahren hatte Nudger Fat Jack McGee in der Odds-Against-Bar in St. Louis auf die Art und Weise Klarinette spielen hören, die ihn zu einer Jazzlegende gemacht hatte, und das hatte er nie vergessen. Fat Jack machte Musik, die einem immer im Gedächtnis blieb, an die man dann und wann dachte; wenn man in einem Hauseingang darauf wartete, daß es zu regnen aufhörte, oder wenn man auf der Bettkante saß und sich die Schuhe zuband. Eine Musik, die Träume durchdrang und nach der wahre Jazzfans für immer süchtig waren.

Natürlich mußte Nudger das Geld haben. Aber außerdem mußte er auch wieder einmal diese Klarinette hören.

Kapitel 3

Fat Jacks Club lag in der Conti, ein paar Ecken von der Bourbon Street entfernt. Nudger blieb vor dem Eingang stehen und betrachtete das rotgrüne Neonschild, das die identischen Namen des Clubs und seines Besitzers förmlich hinausschrie. Und da war auch ein roter Neon-Fat-Jack, eine korpulente, herumzuckende beleuchtete Gestalt, die mit der derselben beschwingten Leichtfüßigkeit herumsprang wie die Fleisch-und-Blut-Version.

Aus dem Club drang ein Trompetensolo beinahe fühlbar in die heiße, schwüle Nacht hinaus. Leute kamen und gingen, unter ihnen offensichtlich etliche Touristen auf Besichtigungstour durch die Clubs der Bourbon Street. Doch Nudger bekam den Eindruck, daß der Großteil von Fat Jacks Gästen seinen Jazz ernst nahm und wegen der Musik und nicht nur wegen der Atmosphäre hier war.

Die Trompete stieg langsam zu einem bewundernswert hohen C empor und erntete stürmischen Applaus. Nudger ging hinein und schaute sich um.

Schummrig, verqualmt, eine Menge Leute an einer Menge Tischen. Männer in Anzügen und in Jeans und T- Shirts; Frauen in langen Kleidern und Freizeithosen. Die kleine Bühne war momentan leer; die Band machte gerade Pause. Die Gäste streiften umher, drängten sich in mehreren Reihen an der langen Bar, die sich eine ganze Wand entlangzog. Kellnerinnen in schwarzen T-Shirts mit der roten Aufschrift ›Fat Jack’s‹ wieselten mit vollen Getränketabletts umher. Auf der linken Seite der Bühne stand ein glänzendes, dunkles Klavier, das selbst im Schummerlicht wie ein nagelneues Auto funkelte. Nudger kam zu dem Schluß, daß Fat Jack’s genauso war, wie ein Jazzclub sein sollte.

Nudger fühlte sich sofort heimisch, bahnte sich einen Weg zur Bar und bestellte nach einer fünfminütigen Wartezeit ein Bier vom Faß. Das Glas war mit Reif überzogen, das Bier eisgesprenkelt. In diesem Moment war Nudger froh, daß er sich bereit erklärt hatte, für Fat Jack zu arbeiten.

»Da fehlt ein Zehner«, sagte eine tiefe, samtene Stimme ein wenig weiter unten an der Bar. »Ich habe Ihnen einen Zwanziger gegeben.«

»Tut mir leid, Sir, aber das war nur ein Zehner.«

Nudger beugte sich vor und sah, daß die tiefe Stimme einem hochaufgeschossenen, breitschultrigen Schwarzen mit einem zottigen Spitzbart gehörte, dessen große Hände mit ihren plumpen Fingern kräftig genug aussahen, um an die Industrie vermietet zu werden. Das »Tut mir leid, Sir‹ stammte vom Barkeeper, der noch nicht alt genug zu sein schien, um in einem Lokal zu arbeiten, in dem Alkohol ausgeschenkt wurde, dessen Blick jedoch die überlegene Gelassenheit eines Revolverhelden besaß.

»Sie wollen mich wohl bescheißen!« sagte der Schwarze. Er steigerte sich mächtig in seine Wut hinein. Um ihn herum versickerten die Unterhaltungen der anderen Gäste zu einem angespannten Schweigen. »Sie schulden mir noch Wechselgeld von einem Zwanziger, Sie Witzbold, und das werden Sie mir auch geben!«

Der Barkeeper mit dem High-School-Gesicht und den weisen Augen sagte gar nichts, rührte sich auch nicht. Stattdessen lächelte er beinahe unmerklich.

»Ich verpasse Ihnen gleich ein Lächeln unter dem Kinn!« sagte der Schwarze. Er streckte die große rechte Hand aus, um den Barkeeper an der Hemdbrust zu packen, aber der Barkeeper trat schnell zurück und benutzte die Theke, um sich vor Schaden zu schützen. Die andere Riesenpranke des Großen fuhr unter die Lederweste, die er über dem roten Hemd trug, als wollte er ein Messer ziehen und seine Drohung von einem Luftröhrenlächeln wahrmachen.

Der Barkeeper sagte: »Marty.« Es klang nicht verängstigt, sondern so, als könne er sehr wohl auch alleine damit fertig werden – nur daß übergroße mordlustige Gäste eben nicht zu seinem Job gehörten.

Marty war schon da. Er war ein mittelgroßer Mann mit einem nichtssagenden Gesicht, in einem braunen Anzug, der zu seinem glatten, braunen Haar mit der Messerschnittfrisur paßte. Mr. Durchschnitt, mit einem Versandhauskatalog-Look.

Marty packte den Großen blitzschnell am breiten Handgelenk. Die plötzliche, geschmeidige Bewegung erinnerte Nudger an eine Schlange, die zustößt. Marty lächelte liebenswürdig, während sich in dem großen schwarzen Gesicht über ihm erst Empörung abzeichnete, dann Erstaunen über die Furchtlosigkeit des kleineren, nichtssagenden Weißen und die Kraft der Finger auf seinem Handgelenk. Ein feiner Mr. Durchschnitt. Der Große beruhigte sich und zog die Hand wieder aus der Lederweste, als Marty allmählich seinen Griff lockerte.

»Er hat mich um einen Zehner beschissen«, sagte der Mann und wies mit dem Kopf auf den Barkeeper. Er war immer noch fuchsteufelswild, immer noch unberechenbar und gefährlich. Aber seine Entrüstung hatte an Schärfe verloren.

»Sind Sie sich da auch ganz sicher, Sir?« fragte Marty.

»Scheiße. Klar bin ich mir da sicher!«

»Dann lassen Sie uns darüber reden«, sagte Marty, um die Situation weiter zu entschärfen. »Was trinken Sie?«

Der Mann kratzte sich den struppigen Bart. »Oh, einen Wodka.«

Marty nickte zu dem Barkeeper hinüber, der zwei große Wodkas über Eis eingoß und sie auf den Tresen stellte.

»Auf Kosten des Hauses«, sagte Marty, schnappte sich die beiden Gläser und ging, ohne zurückzuschauen, zu einem Tisch in der Ecke.

Der Große schaute ein paar Sekunden lang unschlüssig drein. Dann, froh, eine Schlägerei vermeiden zu können, ohne sein Gesicht zu verlieren, folgte er Marty und dem Wodka durch das überfüllte Lokal.

Die beiden setzten sich und unterhielten sich leise. Der lange Schwarze beugte sich vor, redete eifrig auf ihn ein, da er das Gefühl hatte, auf ein unparteiisches Ohr gestoßen zu sein. Nudger wußte, daß Marty ihm früher oder später den zusätzlichen Zehner Wechselgeld geben würde – als eine Geste guten Willens, und guten Geschäftsgebahrens, ganz zu schweigen davon, den Barkeeper am Leben zu erhalten.

Rund um die Bar wurden die Gespräche wieder aufgenommen. Nudger hob sein Glas und trank einen Schluck. Er hätte den Barkeeper gern gefragt, wer Marty war, aber der unerschütterliche Jüngling bediente gerade am anderen Ende der Bar eine Gruppe Frauen im mittleren Alter, die exotische Drinks bestellt hatten, die mit Ananasscheiben und kleinen Papiersonnenschirmchen verziert waren.

Das Licht wurde dreimal heller und wieder abgedimmt, ein Signal, das die Stammgäste im Fat Jack’s offensichtlich verstanden, denn sie gingen allmählich wieder zu ihren Tischen zurück.

Dann wurde das Licht erheblich gedämpft, und plötzlich war nur noch die Bühne mit dem funkelnden Klavier erleuchtet. Ein großer, anmutiger Mann in den Dreißigern kam unter vereinzeltem, aber enthusiastischem Applaus auf die Bühne, der Respekt und ein gemeinsames Band zwischen Künstler und Publikum ahnen ließ.

Der Mann lächelte leicht bei dem Beifall und setzte sich ans Klavier. Er hatte ein gequältes, hochmütiges Gesicht und blonde Haare, die sich auf dem Kragen seines schwarzen Fat-Jack’s-T-Shirts ringelten. Er war dünn, aber in seinen bloßen Armen sah man die Muskelstränge; seine Hände wirkten gepflegt, aber kräftig. Das war Willy Hollister, die Hauptattraktion, auf dem Weg zum Starruhm gehörte er immer noch ihnen, der Mann, um dessentwegen die zahlenden Gäste gekommen waren. Im Lokal wurde es still, und er begann zu spielen.