Missouri Murders: Harte Strafe - John Lutz - E-Book

Missouri Murders: Harte Strafe E-Book

John Lutz

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Beschreibung

Ein Netz aus Lügen und Gewalt: Der fesselnde Ermittlerkrimi »Missouri Murders: Harte Strafe« von John Lutz jetzt als eBook bei dotbooks. Vier Raubüberfälle in einer Nacht und der kaltblütige Mord an einem alten Ehepaar – die Hinrichtung von Curtis Colt auf dem elektrischen Stuhl ist ein Spektakel, das auch die Aufmerksamkeit des Privatdetektivs Alo Nudger auf sich zieht. Doch als dem verurteilten Mörder die Zeit davonläuft, erhält Nudger einen Anruf von Colts Verlobter, die auf dessen Unschuld besteht. Wider besseres Wissen nimmt Nudger den Fall an – und merkt schon bald, dass seine Nachforschungen die Aufmerksamkeit einiger mächtiger Personen auf sich ziehen, die den Ermittler gerne zum Schweigen bringen wollen. Könnte etwa doch der falsche Mann verurteilt worden sein? Für Nudger beginnt ein gefährlicher Wettlauf gegen die Zeit … »John Lutz wird einfach immer besser und besser.« Bestsellerautor Tony Hillerman Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Kriminalroman »Missouri Murders: Harte Strafe« von Bestsellerautor John Lutz ist der mitreißende vierte Band seiner Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger, der in St. Louis Verbrechen aufklärt – preisgekrönte Spannung für alle Fans von Michael Connelly! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 321

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Über dieses Buch:

Vier Raubüberfälle in einer Nacht und der kaltblütige Mord an einem alten Ehepaar – die Hinrichtung von Curtis Colt auf dem elektrischen Stuhl ist ein Spektakel, das auch die Aufmerksamkeit des Privatdetektivs Alo Nudger auf sich zieht. Doch als dem verurteilten Mörder die Zeit davonläuft, erhält Nudger einen Anruf von Colts Verlobter, die auf dessen Unschuld besteht. Wider besseres Wissen nimmt Nudger den Fall an – und merkt schon bald, dass seine Nachforschungen die Aufmerksamkeit einiger mächtiger Personen auf sich ziehen, die den Ermittler gerne zum Schweigen bringen wollen. Könnte etwa doch der falsche Mann verurteilt worden sein? Für Nudger beginnt ein gefährlicher Wettlauf gegen die Zeit …

»John Lutz wird einfach immer besser und besser.« Bestsellerautor Tony Hillerman

Über den Autor:

John Lutz (1939–2021) war ein US-amerikanischer Autor von über 50 Thriller und Romanen. Er wurde für seine Kriminalromane mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Shamus Lifetime Achievement Award und dem Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Spannungspreis Amerikas. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt.

Die Website des Autors: www.johnlutzonline.com

Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/JohnLutzAuthor/

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die folgenden eBooks:

Die Missouri-Murders-Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger, die Florida-Killings-Reihe um den Ex-Cop Fred Carver sowie seine Frank-Quinn-Reihe um einen Ex-Cop auf der Spur von Serienkillern. Außerdem veröffentlichte der Autor bei dotbooks den Psychothriller »Die Stalkerin«.

***

eBook-Neuausgabe Oktober 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1987 unter dem Originaltitel »Ride the Lightning« bei St. Martins Press, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1990 unter dem Titel »Todesstrafe« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1987 by John Lutz

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1990 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Ana und shutterstock/David Rickey

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98952-300-5

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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John Lutz

Missouri Murders:Harte Strafe

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Renate Gotthardt

dotbooks.

Widmung

Für I. Ingelsfeld,

unter welchem Namen

auch immer.

Motto

Ist es Tatsache – oder habe ich es geträumt –, daß die Welt der Materie vermittels der Elektrizität zu einem großen Nervensystem geworden ist, daß auf Tausende von Meilen hin in einer atemberaubenden Sekunde alles in Schwingung versetzt? Wahrlich, die Erdkugel ist ein einziger riesiger Kopf, ein Hirn, Instinkt gepaart mit Intelligenz. Oder, sagen wir lieber, daß sie Gedanke ist, ganz Gedanke, nicht mehr Stoff, wofür wir sie hielten.

NATHANIEL HAWTHORNE

Das Haus der sieben Giebel

Es ist ein Wunder wohl im Weltenall,

Wenn ein Gedanke durch den Äther dringt,

Sehnsüchtig ruft und schwere Kunde bringt.

JOSEPHINE L. PEADBODY

Wireless

Kapitel 1

Eine schräge Regenwand strich wie eine Sense über den Placid Grove Trailer Park. Für einen Moment erleuchtete ein verschlungenes Netz von Blitzen den Platz. Die Wohnwagenreihen waren schemenhaft zu erkennen; eckig und still und fahl in der Nacht, erinnerten sie Nudger an Grabmale mit Markisen und Fernsehantennen. Er war erst kürzlich von einer Reise nach New Orleans zurückgekommen, wo die Toten wegen des sumpfigen Bodens über der Erde bestattet wurden. So wirkte der Trailer Park in diesem Moment in dem Unwetter, in dem sich kein Mensch draußen blicken ließ. Nur daß hier die Toten ihre Autos in der Nähe abgestellt hatten und mitunter einer der Begrabenen hinter einem Fenstervorhang zu sehen war.

Nudger schauderte und hielt den schwarzen Regenschirm beim Gehen schief gegen den Wind. Er fuhr mit der Hand in die Hosentasche und zog einen Zettel heraus. Er kniff die Augen zusammen und legte den Kopf zur Seite, um in dem schwachen Licht besser zu sehen, und vergewisserte sich noch einmal der Adresse, die er im Labyrinth der Wohnwagen zu finden versuchte. Obwohl es ein warmer Abend war, war der Regen eigenartig kühl und schien seinen Weg in Nudgers Nacken zu finden, gleich, wie er den Regenschirm hielt. Nudger stopfte den wasserfleckigen Zettel wieder in die Hosentasche und ging weiter, geriet mit einem Fuß in eine tiefe Pfütze und fluchte leise.

Endlich, am Ende der Tranquillity Lane, fand er Nummer 307 und klopfte an die Metalltür.

Er mußte nicht lange warten. Im Wohnwagen brannte Licht; er sah einen Schatten hinter der heruntergelassenen Jalousie zur Tür gehen. Der Wind wehte mehr Regen in Nudgers Richtung und drohte, ihm den Regenschirm zu entreißen und diesem übel mitzuspielen. Nudger spürte den Plastikgriff heftig in der Hand rotieren, umklammerte ihn fester und schob sich langsam näher an den Wohnwagen heran, um Schutz zu suchen.

»Ich bin Nudger«, sagte er, als die Tür aufging.

Einige Sekunden lang starrte ihn die Frau auf der Schwelle an, der Regen blies unter der Metallmarkise in den Wohnwagen hinein, bespritzte ihr kornblumenblaues Kleid und zerzauste ihr das strohblonde Haar. Sie war groß, aber sehr dünn, wirkte zerbrechlich und schien auf den ersten Blick zwölf Jahre alt zu sein. Auf den zweiten Blick sah Nudger, daß sie Mitte Zwanzig war. Leichte Krähenfüße waren in den Winkeln der hellblauen Augen zu sehen, als ein ihr ins Gesicht schlagender Regentropfen sie zusammenzucken ließ. Sie hatte einen wissenden, übergroßen Mund mit vollen Lippen und leicht hervorstehenden Zähnen. Eine Frau, die so aussah wie sie, ließ niemanden kalt; Männer fänden sie entweder dürr und häßlich oder ungeheuer sinnlich. Nudger mochte fohlenhafte Frauen; er katalogisierte sie als attraktiv.

»Brr!« machte sie schließlich, als wäre sie zur Tür gekommen, um nach dem Wetter zu sehen und hätte Nudger erst jetzt bemerkt. »Gießt das nicht fürchterlich?«

»Das tut es«, stimmte Nudger zu. »Und zwar auf mich.«

Ihr ganzer dünner Körper zuckte nervös, als sie entschuldigend lächelte. »Ich bin Candy Ann Adams, Mr. Nudger. Und Sie werden tatsächlich pitschnaß. Kommen Sie doch herein.«

Sie trat einen Schritt zur Seite, und Nudger stieg in den Wohnwagen. Er erwartete, daß er überraschend geräumig sei: er hatte früher einmal in einem Wohnwagen gehaust und dort auch sein Büro gehabt, und hatte ihn so in Erinnerung. Aber dieser hier war überaus eng. Die Einrichtung war billig und die Polster abgewetzt. Aus einem tragbaren Schwarzweißfernseher auf einem winzigen Tischchen neben dem Sofa mit dem Schottenkarobezug plärrten Verzückungsschreie von Quizkandidaten. Es war heiß hier drinnen, und in der Luft hing der Geruch nach etwas Fettigem, das zu lange gebraten worden war.

Candy Ann räumte einen Stapel People-Ausgaben von einem Vinylsessel und lud ihn mit einer geschmeidigen Armbewegung ein, Platz zu nehmen. Nudger klappte den Schirm zu, lehnte ihn neben die Tür und setzte sich. Candy Ann setzte zum Reden an, zuckte dann wieder in ihrer charakteristischen Art, als erinnerte sie sich nicht nur mit ihren Gedanken, sondern auch mit ihrem Blut und ihren Muskeln, und ging hinüber, um den lauten Fernseher auszuschalten; eine grobknochige dunkelhaarige Frau mit Ponyfransen tat einen Freudenschrei, als sie vom Bildschirm verschwand. In der plötzlichen Stille schien der Regen mit erneuter Wut auf das Metalldach zu trommeln. Vielleicht war der Sturm ein Fan des Showmasters.

»Jetzt ist es ruhiger, also können wir reden«, verkündete Candy Ann und setzte sich Nudger gegenüber auf das zu klein geratene Sofa. Sie sprach mit dem singenden Tonfall des Ozarkdialekts, nicht unangenehm. »Sind Sie auch wirklich ein Privatdetektiv?«

»Bin ich«, sagte Nudger. »Bin ich Ihnen empfohlen worden, Miß Adams?«

»Ich hab’ Ihren Namen aus den Gelben Seiten. Und wenn Sie für mich arbeiten, können sie ebensogut Candy Ann zu mir sagen, ohne das Adams.«

»Außer auf dem Scheck«, sagte Nudger.

Sie schenkte ihm das Grinsen eines zwölfjährigen Teufelchens. »Klar, machen Sie sich darum mal keine Sorgen. Ich habe Ihnen bereits einen Scheck geschrieben, muß bloß noch den Betrag einsetzen. Das heißt, wenn Sie bereit sind, den Auftrag anzunehmen. Vielleicht wollen Sie das ja gar nicht.«

»Warum nicht?«

»Es hat mit meinem Verlobten zu tun, Curtis Colt.«

Nudger horchte ein paar Sekunden auf den Regen, der auf das Dach prasselte. Der Name Curtis Colt kam ihm bekannt vor und er besaß eine beunruhigende Konnotation. Nudger brauchte nicht lange, bis ihm einfiel, wo er ihn schon einmal gehört hatte, gelesen hatte. Vor etwa einem Jahr waren die Medien voll davon gewesen. Und vor kurzem erst wieder. Er fragte: »Der Curtis Colt, der nächste Woche hingerichtet wird?«

»Genau der. Bloß hat er diese Schnapsladenbesitzerin nicht getötet. Das weiß ich ganz genau. Es ist nicht fair, daß er auf dem Blitz reiten soll.«

» ›Auf dem Blitz reiten‹?«

»So nennen die Knackis das Sterben auf dem elektrischen Stuhl, Mr. Nudger.« Sie verschränkte die dünnen Arme über der Brust, umfaßte die Ellenbogen mit den Händen, als wäre ihr kalt. »Die haben viele Namen für diesen Stuhl: Alter Funke, Heißer Hocker ... Bratpfanne des Herrn. Aber Curtis gehört da nicht drauf, und das kann ich auch beweisen.«

»Es ist ein bißchen spät, um damit herauszurücken«, sagte Nudger. »Oder haben Sie beim Prozeß für Curtis ausgesagt?«

»Nö. Ich konnte nicht aussagen. Sie werden schon verstehen, weshalb. Die Anwälte und der Richter und die Geschworenen wissen nicht mal, daß es mich gibt. Curtis wollte nicht, daß sie von mir wissen. Deshalb hat er ihnen auch nichts gesagt.« Die verschränkten Arme dicht an den Körper gepreßt, schlug sie die Beine übereinander und wippte unbekümmert mit dem Unterschenkel; Arme und Beine hätten zwei verschiedenen Menschen gehören können, die zwei verschiedene Stimmungen ausdrücken wollten. Ihr Gesicht paßte zu den Beinen; sie lächelte, als versuche sie, ihn durch Flirten dazu zu verleiten, mehr über diesen Auftrag wissen zu wollen, damit er Curtis Colt in letzter Minute durch eine Begnadigung des Gouverneurs retten konnte, genau wie in einem alten Film. Vielleicht nuschelte Curtis Colt in eben diesem Moment aus den Mundwinkeln etwas von wegen sich hinauszugraben?

Nudger betrachtete aufmerksam ihr auf eine hagere Art hübsches Landmädchengesicht und sagte: »Erzählen Sie mir mehr von Curtis Colt.«

»Haben Sie denn wirklich nichts über ihn in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen?«

»Ich schau’ nur mal kurz rein, um mich anlügen zu lassen. Erzählen Sie mir die Einzelheiten.«

»Nun, die behaupten, daß Curtis den Schnapsladen überfallen hat – er und sein Partner hatten in jener Nacht schon drei andere Überfälle hinter sich, aber das waren alles Tankstellen –, als dieser alte Mann, dem der Laden gehört hat, aus dem Hotelzimmer gekommen ist und gesehen hat, daß seine Frau die Hände hochgenommen hatte und von Curtis mit der Waffe bedroht wurde. Da hat der Alte den Kopf verloren und ist auf Curtis zugerannt, und Curtis mußte auf ihn schießen. Ihm blieb überhaupt keine andere Wahl. Als die Frau das gesehen hat, ist sie durchgedreht und auf Curtis losgegangen, und Curtis hat auf sie geschossen. Sie ist gestorben. Der Alte hat überlebt, aber er kann weder sprechen noch denken und muß gefüttert werden.«

Nudger erinnerte sich jetzt deutlicher an den Fall. Curtis Colt war wegen vorsätzlichen Mordes verurteilt worden, und wegen der Debatte in der Legislative über die Vorzüge von Giftgas versus Strom, mottete der Staat den elektrischen Stuhl aus, um Curtis zum ersten Mörder seit mehr als einem Vierteljahrhundert zu machen, der in Missouri mit Strom hingerichtet würde. Nostalgiker und Fundamentalisten hielten das für Fortschritt.

»Am Samstag werden sie Strom durch Curts jagen, Mr. Nudger«, jammerte Candy Ann. Sie klang wie ein kleines Mädchen, das sich darüber beklagte, daß die Noten in ihrem Zeugnis nicht gerecht seien.

»Ich weiß«, sagte Nudger. »Aber ich sehe nicht, wie ich Ihnen helfen könnte. Oder, genauer gesagt, Curtis Colt helfen könnte.«

»Wissen Sie, was Gedanken in Wirklichkeit sein sollen, Mr. Nudger?« Candy Ann ignorierte seine Hilflosigkeitsbekundung. Ein versonnener Ausdruck lag in den großen blauen Augen, als sie nach Worten suchte. »Gedanken sind nichts als klitzekleine Stromstöße im Gehirn. Das hab’ ich irgendwo gelesen. Und jetzt muß ich mich immerzu fragen, was passiert mit seinen Gedanken, wenn die den ganzen Strom durch Curtis jagen? Wie lange wird es ihm vorkommen, bis er schließlich stirbt? Wird es neben den Schmerzen auch eine Riesenexplosion verrückter Gedanken geben? Ich weiß, es hört sich verrückt an, aber ich liege nachts wach und muß immerzu daran denken, und ich habe das Gefühl, daß ich alles versuchen muß, was man noch tun kann, um Curtis zu helfen.«

Das hatte eine gewisse Revolverblatt-Logik, gab Nudger zu; wenn Gedanken tatsächlich schwache Stromstöße waren, dann konnten Starkstromstöße zu übertrieben fürchterlichen Gedanken werden. Jedenfalls war es unmöglich, Candy Ann, die sich ihre Zeit mit People und Quizsendungen vertrieb, vom Gegenteil zu überzeugen.

»Man hat nie Curtis’ Kumpel geschnappt, den Fahrer, der davongerast ist und ihn in dieser Tankstelle im Stich gelassen hat, oder?« fragte Nudger.

»Nö. Curtis hat auch nie verraten, wer der Fahrer war, egal, wie bedrohlich es für ihn aussah. Curtis ist ein Dickschädel.«

Nudger begriff allmählich, worauf das hinauslief. »Aber Sie wissen, wer den Wagen gefahren hat?«

»Ja. Und er hat mir gesagt, daß er und Curtis zur Zeit des Raubüberfalls meilenweit von dem Schnapsladen entfernt waren. Als er gesehen hat, wie die Polizei Curtis auf den Leib gerückt ist, als der sich an der Tankstelle Zigaretten kaufte, ist er aufs Gaspedal getreten und von dem Parkplatz abgehauen, bevor sie auch ihn schnappen konnten. Die Polizei hat nicht einmal das Kennzeichen gesehen.«

Nudger rieb sich mit der Hand das Kinn, beobachtete, wie Candy Ann mit dem Bein wippte, als wäre es ein wohlgeformtes Metronom. Sie war barfuß und trug keine Strumpfhosen. »Die Geschworenen glaubten, Curtis sei nicht nur im Schnapsladen gewesen, sondern sie glaubten auch, daß er kaltblütig auf das alte Ehepaar geschossen hat.«

»Aber das ist einfach nicht wahr. Nicht, nach dem, was -« Sie biß sich noch rechtzeitig auf die Lippen, bevor ihr der Name des Mannes herausrutschte.

»Curtis’ Freund gesagt hat«, sprach Nudger den Satz für sie zu Ende.

»Ja. Und der muß es schließlich wissen«, sagte Candy Ann indigniert. Der Regen versetzte dem Wohnwagen wieder einen Schlag; etwas Metallisches ächzte im Wind. Der Wohnwagen schaukelte im Missouri-Sommermonsun. Der viele Regen war gut für die Farmer, jedenfalls für diejenigen, die noch eine Farm besaßen.

»Nichts davon hat etwas zu bedeuten, es sei denn, der Fahrer meldet sich und legt glaubwürdig dar, daß er zur Zeit des Überfalls irgendwo anders mit Curtis zusammen war.«

Candy Ann nickte und hörte auf, mit dem Bein zu wippen. »Ich weiß. Aber das wird er nicht. Er kann nicht. Deshalb will ich Sie engagieren.«

»Mein Beruf mag noch ein etwas geringeres Prestige haben als der Beruf des Hundefängers«, sagte Nudger, »aber ich lasse mich nicht für etwas Illegales anheuern.«

»Was ich von Ihnen will, ist legal«, sagte Candy Ann gekränkt. Nudger schaute an ihr vorbei in die Puppenküche und sah eine leere Ginflasche auf der Spüle stehen. Er fragte sich, ob Candy Ann ein wenig angetrunken sein könnte. »Die Aussagen der Zeugen haben zu Curtis’ Verurteilung geführt«, fuhr sie fort. »Und diese Leute irren sich. Ich will, daß Sie einen Weg finden, sie davon zu überzeugen, daß es nicht Curtis war, den sie an dem Abend gesehen haben.«

»Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber vier Leute, zwei davon Kunden in dem Geschäft, haben Curtis bei einer Gegenüberstellung identifiziert.«

»Sie irren sich nicht. Aber was heißt das schon, daß die vier Curtis identifiziert haben? Wer kann bei einer Schießerei schon klar denken oder sehen? Haben sich Augenzeugen schließlich nicht schon oft geirrt?«

Nudger mußte zugeben, daß das stimmte, obwohl er nicht sah, wie sie sich in diesem Fall irren konnten. Immerhin gab es vier von ihnen. Und dennoch, Candy Ann hatte recht; es war erstaunlich, wie sicher Menschen manchmal waren, daß der falsche Mann ein Verbrechen begangen hatte, bloß zwei Schritte von ihnen entfernt.

»Ich möchte, daß Sie mit den Zeugen reden«, sagte Candy Ann. »Finden Sie heraus, warum sie glauben, Curtis sei der Mörder. Und dann zeigen Sie denen, daß sie sich geirrt haben könnten und bringen sie dazu, ihre Aussage zu ändern.«

»Das wäre Energieverschwendung«, sagte Nudger.

»Aber wir haben die Wahrheit auf unserer Seite, Mr. Nudger. Wenigstens ein Zeuge wird seine Aussage ändern, wenn er zum Nachdenken gebracht wird. Denn Curtis war nicht dort, wo die ihn gesehen haben wollen. Er war woanders, und das ist eine so feste und unveränderliche Tatsache wie die Sonne und die Sterne.«

»Die Sonne und die Sterne sind in einer Ausdehnung begriffen«, belehrte sie Nudger. »Fliegen mit Millionen von Meilen in der Stunde auseinander. Wissenschaftler nennen das die Urknall-Theorie.«

»Ich weiß nix von einem Urknall, Mr. Nudger. Ich weiß nur, daß Curtis niemanden getötet hat.«

»Curtis hat alle Rechtsmittel erschöpft«, erklärte Nudger dieser hoffnungslos naiven Kindfrau. »Sogar wenn alle Zeugen ihre Aussage ändern, bedeutet das noch lange nicht, daß er einen neuen Prozeß bekommt.«

»Vielleicht nicht, aber ich wette, die werden ihn nicht umbringen. Die könnten die Publicity nicht verkraften, wenn genug Zeugen sagen, daß sie sich geirrt haben und daß jemand anders die alte Frau erschossen hat. Dann könnte Curtis vielleicht, bloß vielleicht, einen neuen Prozeß bekommen und aus dem Gefängnis freigelassen werden.«

Nudger starrte sie an. Er war von Ehrfurcht ergriffen. Hier war ein törichter Optimismus am Werk, der sogar den seinen überstieg. Er mußte Candy Ann einfach bewundern.

Das wohlgeformte blasse Bein wippte wieder unter dem kornblumenblauen Kleid. Als Nudger den Blick senkte, um es anzustarren, fragte Candy Ann: »Werden Sie mir also helfen, Mr. Nudger?«

»Klar«, sagte Nudger. »Das scheint ein Klacks zu sein.«

Kapitel 2

Nudger saß auf seinem Stammhocker aus rotem Vinyl am Ende der rostfreien Stahltheke in Danny’s Donuts und starrte auf den Stapel glänzender Zeitungskopien vor ihm. Er hatte den Vormittag in der Bibliothek draußen auf dem Lindbergh Boulevard verbracht, hatte über alten Artikeln über Curtis Colt gehockt und sich die Seiten kopiert, die ihm relevant zu sein schienen. Ihm war ein wenig übel gewesen. Dazusitzen und auf einen dieser Bibliotheksmikrofilmbildschirme zu starren, während vergrößerte Fotos von Zeitungen an ihm vorbeirollten, war wie in einem fahrenden Zug am Fenster zu sitzen; es verursachte bei Nudger dasselbe Gefühl von Reisekrankheit.

Er fühlte sich besser, als er in seinem Büro ankam, das im ersten Stock lag, direkt über dem Doughnut Shop. Also beschloß er, hinunterzugehen, mit Danny zu reden und sich einen Dunker Delite und ein Glas Milch zu Mittag zu gönnen. Aber dem trübseligen Danny war die Milch ausgegangen, und er hatte sich vielmals entschuldigt und Nudger zu seinem Gratis-Dunker-Delite einen bodenlosen Gratisbecher Kaffee aufgedrängt. Binnen weniger Sekunden war Nudger wieder flau im Magen. Der Dunker Delite war annehmbar. Der Kaffee, den Danny eifrig immer wieder bis zum Rand aufgoß, hätte nicht übler sein können. Ebensogut konnte man sagen, der Würger von Boston sei fies gelaunt.

»Worum geht es in den Artikeln?« fragte Danny, als der letzte der wenigen Nachmittagskunden das Geschäft verlassen hatte.

»Curtis Colt«, sagte Nudger.

Danny las jeden Tag die Zeitung und war so etwas wie ein Verbrechenfan. »Der Kerl, den Gouverneur Scalia mit Strom statt mit Gas über den Jordan schicken will?«

»Eben der.« Nudger schaute auf seinen Dunker Delite.

Scott Scalia war ein starrsinniger ehemaliger Justizminister, der vor allem deshalb gewählt worden war, weil er gelobt hatte, daß die Todesstrafe wieder vollzogen werde, und der den elektrischen Stuhl der Gaskammer vorzog. Die meisten Abgeordneten in Jefferson City, der Hauptstadt des Staates, waren dafür gewesen, die Gaskammer zu benutzen, wenn Missouri schon unbedingt wieder damit anfangen mußte, verurteilte Mörder hinzurichten. Gewiefter Politiker, der er war, hatte Scalia die Diskussion über das Wie dazu benutzt, um die Aufmerksamkeit von der Diskussion über das Ob abzulenken. Curtis Colt sollte entweder Giftgas einatmen oder auf dem Blitz reiten. Die Ob-Frage war schon ad acta gelegt, ehe Colt zum elektrischen Stuhl verurteilt worden war.

»Und warum mußt du das alles über Colt lesen?« fragte Danny. Er wischte die glatte Theke mit dem schmutziggrauen Tuch ab und steckte es sich wieder in den Gürtel. »Nach dem nächsten Samstag wird kaum noch etwas, was du über ihn weißt, eine große Rolle spielen. Er wird tot sein.«

»Wahrscheinlich«, sagte Nudger. Er tat so, als tränke er seinen Kaffee, während Danny ihn mit traurigen braunen Augen beobachtete. »Glaubst du, er hat diese Frau getötet, Danny?«

»Klar. Er wurde schließlich von zwölf redlichen und treuherzigen Männern schuldig gesprochen.«

»Unter den Geschworenen waren acht Frauen«, erinnerte ihn Nudger.

»Vom Geschlecht einmal abgesehen.« Danny hielt einen Moment inne, um das Tuch aus dem Gürtel zu ziehen und mit ihm nach einer Schmeißfliege zu schlagen, die sich auf der Theke niedergelassen hatte. »Colt ist schuldig. Vor Gericht kommt immer die Wahrheit heraus.«

»Das tut sie«, stimmte Nudger zu und beobachtete, wie die Fliege verzweifelt durch einen goldenen Sonnenstrahl davonschwirrte, spiralförmig aufstieg mit den Flügeln um ihr Leben schlug. Wunderschön. »Aber manchmal nicht die ganze Wahrheit. Und nicht so, daß man sie erkennen könnte.«

»Das spielt jetzt keine große Rolle mehr«, sagte Danny. »Was vorbei ist, ist vorbei. Das Gericht sagt, Colt hat es getan, und er hat bloß noch eine Woche zu leben. Warum also stocherst du in dem Fall herum, Nudge?«

»Mich hat jemand engagiert, der glaubt, daß Colt unschuldig ist.«

»Hm.« Danny lehnte sich vor, um die übriggebliebenen Sahnehörnchen in der schmierigen Theke neu zu arrangieren. Eine der ausgebreiteten Zeitungsseiten, auf die er das Wachspapier in der Theke gelegt hate, war die Sportseite des Tages. »Die Cards haben jetzt viermal hintereinander gewonnen«, las er zwischen den Sahnehörnchen. »Wenn wir jetzt noch ein paar gute Ersatzwerfer bekommen, kommen wir an die Spitze der Liga.«

Nudger wünschte, es gäbe Auswechselspieler in jedem Beruf: es gab viele Gelegenheiten, an denen er einen Ersatzdetektiv gut gebrauchen könnte. Er schob den Kaffeebecher zur Seite und machte sich wieder ans Lesen.

Die Zeitungen waren sich über die Einzelheiten des Verbrechens einig. Zwei Kunden hinten im Spirituosengeschäft hatten Schüsse gehört, den Gang hinuntergeschaut und Curtis Colt über dem am Boden liegenden alten Mann stehen sehen, dem das Geschäft gehörte. Colt hielt eine Waffe in der Hand. Die Frau des Mannes, ebenfalls angeschossen, taumelte im Geschäft herum, suchte nach Halt und warf Ständer und Flaschen um. Colt schob sie beiseite und floh.

Draußen sahen zwei Zeuginnen, wie er immer noch mit der Waffe in der Hand aus dem Geschäft gestürzt kam und in einen geparkten Wagen stieg, dessen Fahrer mit laufendem Motor gewartet hatte. Eine der Zeuginnen, eine Mrs. Langeneckert, schrie ihm zu, stehenzubleiben. Ein weiterer zielloser Schuß fiel, als das Auto davonraste.

Der Besitzer des Spirituosengeschäfts, der achtundsechzigjährige Amos Olson, war einmal in den Kopf und zweimal in den Unterleib geschossen worden. Eine der Kugeln war abgeprallt und hatte das Rückgrat und das zentrale Nervensystem verletzt. Er würde nie seine Darstellung des Verbrechens abgeben. Er würde nie mehr reden und vielleicht niemals wieder zusammenhängend denken.

Olsons Frau Dolly, ebenso alt wie ihr Mann, war nur einmal getroffen worden, aber mit tödlicher Präzision in die Stirn. Nudger wußte, daß die Stirn eine der am wenigsten erfolgversprechenden Stellen war, um einen Menschen zu erschießen; im Gegensatz zum Hinterkopf gab es dort viele Knochen, die das Gehirn schützten. Manchmal dauerte es sehr lange, bis jemand, der in die Stirn getroffen worden war, starb. Deshalb war Dolly Olson wild um sich schlagend im Laden herumgetorkelt, bevor sie gnädig erlöst tot umgefallen war.

Der Dunker Delite schien in Nudgers Magen sein gewaltiges Gewicht zu verlagern, als könnte er es sich nicht bequem machen und wünschte, er wäre woanders. Nudgers Dickdarm sagte ihm, er besäße zuviel Fantasie. Nudger schluckte geräuschvoll und las weiter.

Eine Stunde später an diesem Abend hatte ein mit zwei Männern besetzter Streifenwagen an einer Tankstelle angehalten, damit einer der Polizisten auf die Toilette gehen konnte. Als sie an den Zapfsäulen vorfuhren, schoß ein schwarzes oder dunkelgrünes Auto, wahrscheinlich ein Ford, mit quietschenden Reifen aus einer dunklen Ecke des Parkplatzes. Der Motor des Streifenwagens war ausgeschaltet, und als der Fahrer den Wagen anzulassen versuchte, sah sein Partner jemanden am Zigarettenautomaten in der Tankstelle stehen. Dieser Jemand schien schreckliche Angst zu haben, und die Beschreibung des Raubmörders, die kurze Zeit zuvor über den Polizeifunk durchgegeben worden war, traf auf ihn zu. Auch die ungefähre Beschreibung des Fluchtwagens, der bei dem Überfall benutzt worden war, paßte auf das Auto, das davongerast war.

Der Cop dachte gar nicht mehr daran, die Toilette zu benutzen.

Eine halbe Stunde später war Colt in Handschellen und eingebuchtet. Der schwarze oder dunkelgrüne Ford und sein Fahrer wurden nie mehr gesehen.

Es war haargenau die Art von Fall, die ein Staatsanwalt herbeisehnte. Die Geschworenen berieten nicht einmal eine Stunde, bevor sie Colt schuldig sprachen. Colt hatte zuerst auf den alten Mann geschossen; er hatte also Zeit zum Nachdenken gehabt, bevor er die Frau getötet hat. Er war geblieben. Das war eine Art Vorsatz. Der Richter empfahl die Todesstrafe. Die Geschworenen schlossen sich dem an. Alle wollten den Tod eines anderen Menschen.

Nudger betrachtete Colts Foto und versuchte, ein Gefühl dafür zu bekommen, wer und wie der Mann war. Auf der Titelseite des Post-Dispatch war ein Schnappschuß von Colt, wie er in die Third District Station geführt wurde. In der Zeitung des darauffolgenden Tages war eine Nahaufnahme von ihm. Mit dem schmalen dunklen Gesicht auf eine launische, trotzige Art hübsch, sah er aus, als wäre er aus hartem Holz geschnitzt. Er war jung, mit einem Walroßschnurrbart und lockigem dunklen Haar, das ihm anmutig über Ohren und Kragen fiel. Auf einem anderen Foto wurde er aus dem Polizeipräsidium in der Tucker, Ecke Clark Street geführt und wirkte wesentlich gelassener als am Abend seiner Verhaftung. Er trug Gefängniskleidung, und seine Hände lagen vor dem Bauch in Handschellen. Im Vergleich zu den beiden Polizisten, die ihn flankierten, sah er eher klein aus, und er besaß die geschmeidige und muskulöse Statur eines dünnen Mittelgewichtlers.

»Und was sollst du für diesen Mann groß tun können?« fragte Danny.

»Ihm das Leben retten«, antwortete Nudger. Nudger legte die Zeitungskopien zusammen und stellte den Kaffeebecher direkt vor sich.

Danny starrte auf den Becher, dessen Kaffeestand in den letzten fünzehn Minuten nicht sehr gesunken war. Er war bei seinem Kaffee beinahe so empfindlich wie bei seinen Doughnuts, die nicht ganz so tödlich waren.

Nudger hatte keine Wahl; Dannys Gefühle zu verletzen, hieße einen müden alten Basset treten. Er goß mehr Sahne in den Kaffee, gab zwei gehäufte Löffel Zucker hinein, um die Bitterkeit zu mildern, und nahm einen Schluck. Nicht übel. Na ja, nicht sofort tödlich. Er schaute zu Danny hinüber und lächelte.

Danny lächelte zurück und ging zu der großen stählernen Kaffeemaschine und stellte ein paar Ventile anders ein; auf der Rückseite der Maschine zischte etwas und stieß Dampf aus. Er glich einem U-Boot-Kommandanten, der sich daran machte, sein Boot mittels Alarmtauchen in sichere Tiefen zu schicken, wo es auf dem Meeresboden liegen bliebe, niedergehalten von Dunker Delites. »Scalia ist nich’ der Typ, der Begnadigungen ausspricht«, sagte er über die Schulter.

»Weiß ich. Er ist der Typ, der eigenhändig auf den Schalter drückt.«

»Ich weiß nicht, warum ich gerade jetzt daran denke«, sagte Danny, »aber Eileen war heute morgen hier und hat dich gesucht. Ihr schien viel daran zu liegen, daß ihr beide zur selben Zeit am selben Ort seid.«

Nudgers Magen versetzte ihm einen Tritt. Einen harten Tritt. Eileen war seine Ex-Frau. Seit der Scheidung kamen sie und sein Magen jedes Jahr schlechter miteinander aus. »Hat sie gesagt, was sie wollte?«

»Nicht direkt«, sagte Danny, »aber sie hat angedeutet, es sei grün und du schuldest es ihr.«

»Diesmal nicht«, sagte Nudger. »Ich habe jetzt alle Alimente bezahlt.«

Noch während er das sagte, fragte sich Nudger plötzlich, ob das auch stimmte. War sein letzter Scheck vielleicht nur auf den halben Betrag ausgestellt gewesen? War der Scheck gedeckt gewesen? Er konnte sich nur verschwommen erinnern.

Danny zuckte die Achseln und wischte sich die Hände flüchtig an dem Tuch ab, wie ein Mechaniker, der gerade unter einem Wagen hervorgekrochen war und sich seiner Arbeit nicht sicher war. »Das mußt du wissen, Nudge. Möchtest du noch einen Doughnut?«

»Danke, nein. Die Arbeit ruft.« Nudger drehte sich von der Theke weg und glitt vom Hocker hinunter. Er nahm den Kaffeebecher und ging auf die Tür zu.

»Und du meinst wirklich, daß Colt unschuldig sein könnte?« fragte Danny ungläubig.

»Das habe ich nie gesagt«, verwahrte sich Nudger.

Er ging durch die Tür in den heißen Tag hinaus, machte eine scharfe Kehrtwendung und ging durch die Haustür zu der engen, knarzenden Treppe, die zu seinem Büro führte. Der süße Geruch aus dem Doughnut Shop folgte ihm.

Nachdem er die Klimaanlage im Fenster eingeschaltet hatte, setzte er sich in den quietschenden Drehstuhl hinter den Schreibtisch und hörte den Anrufbeantworter ab. Nach einem Klicken, Surren und Piepen war die erste Nachricht zu hören.

Ein Betrunkener, der kaum zu verstehen war, erklärte peinlich genau, daß er sich verwählt hatte, und bat um die richtige Nummer. Als niemand seine Entschuldigung annahm, wurde er wütend und legte erbost auf.

Piep. Eileens Stimme: »Wenn du weißt, was gut für dich ist, rufst du mich heute noch an. Wenn nicht -«

Nudger schaltete den Anrufbeantworter aus. Er wußte nicht, was gut für ihn war. Hatte er noch nie gewußt.

Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Fürs erste hatte er genug Nachrichten gehört, und die Post, die er vom Treppenabsatz mit hineingenommen hatte, sah auch nicht gerade interessant aus: Rechnungen, Reklame, Mahnbriefe von Gläubigern, Rechnungen, Reklame, Rechnungen. Er beschloß, nichts davon zu öffnen, bevor er Beschäftigung brauchte.

Im Büro wurde es allmählich angenehm kühl. Es hatte nicht lange gedauert; der Raum war klein. Nudger sah die Stromrechnung auf dem Schreibtisch im Luftzug der Klimaanlage flattern. Schließlich rutschte sie vom Schreibtisch und segelte an die Wand hinter Nudger. Er machte sich nicht die Mühe, sie aufzuheben.

Er ging noch einmal die Artikel über Curtis Colt durch, diesmal sorgfältiger, und kam zu dem Schluß, daß Colt so schuldig ward wie die Erbsünde.

Nudger gefiel nicht, was er da vor Augen hatte.

Es hätte ihm sogar noch weniger gefallen, wenn er geahnt hätte, wohin es ihn führen sollte.

Kapitel 3

Nudger sah auf die Namensliste, die er zusammengestellt hatte, und beschloß, mit Randy Gantner zu beginnen. Gantner und einer seiner Freunde waren zur Zeit der Schießerei im Schnapsladen gewesen und hatten im Prozeß als Zeugen der Anklage ausgesagt. Man konnte geradesogut mit ihm beginnen wie mit einem anderen – eigentlich war es sogar logisch, mit ihm zu beginnen, dachte Nudger, denn da es so viele Zeugen gegen Curtis Colt gab, konnte er ebensogut in alphabetischer Reihenfolge mit ihnen reden.

Randy Gantner arbeitete als Bauarbeiter für Kalas Construction, eine der größten Baufirmen in St. Louis, eine Straßenbaugesellschaft, die viele Highways gebaut hatte. Nudger hatte den Namenszug der Firma auf Bauwagen überall in der Stadt an großen Baustellen gesehen. Straßenbaugesellschaften taten das nicht nur, um für sich zu werben; die zahllosen Genehmigungen, die sie für ihre Arbeit benötigten, bedeckten die Seiten der Bauwagen, um die diversen Inspektoren und sich überall einmischenden städtischen Beamten zufriedenzustellen.

Es war schon Nachmittag, als Nudger Gantner auftrieb, der an einer Highwayzufahrt im Northwest County Wochenendüberstunden machte. Kalas Construction errichtete gerade einen neuen Zubringer zum Interstate 70. Es war eine schweißtreibende Arbeit, und ein heißer Nachmittag, um sie zu tun.

»Warum sollte ich mir darum noch Gedanken machen?« fragte Gantner und stützte sich linkisch auf seine Schaufel. Er hatte nichts dagegen, mit Nudger zu reden; es war eine Pause im Abtragen der schwarzen Erdhügel, die von einem riesigen Bohrer aufgeworfen worden waren, der für das Fundament der Betonpfeiler Löcher bohrte. »Colt ist doch schuldig gesprochen worden, und er wird auf den elektrischen Stuhl kommen.«

Die hochstehende Mittagssonne knallte auf Nudger hinunter, wärmte ihm den Nacken und verursachte ihm ein mulmiges Gefühl im Magen. Er schob mit dem Daumen eine Antacidtablette aus der Rolle, die er immer in der Hemdtasche bei sich trug, und warf sich die weiße Scheibe in den Mund. Mit der anderen Hand hielt er Gantner ein Foto von Curtis Colt hin. Es war ein Schnappschuß, den ihm Candy Ann gegeben hatte; vor einem ruhigen See lehnte der drahtige Colt mit nacktem Oberkörper an einem schiefen Zaunpfosten und hielt in einem höhnischen Toast eine Bierdose hoch: Auf den Tod!

Wozu mache ich das bloß? fragte sich Nudger. Es war aussichtslos. Er konnte Colts Schuld direkt fühlen. Die Geschworenen hatten recht gehabt.

Dennoch sagte er: »Das ist ein Foto, das Sie während des Prozesses nicht gesehen haben. Ich möchte, daß Sie es sich ganz genau ansehen und mir sagen, ob Sie sich auch ganz sicher sind, daß Colt der Mann war, den Sie im Spirituosengeschäft gesehen haben. Auch wenn es nichts an der Hinrichtung ändert, wird es doch die Frau beruhigen, die ihn liebt.«

Gantner, rotgesichtig und vierschrötig, stand mit nacktem Oberkörper in der prallen Sonne. Schweiß rann ihm wie ein neugieriges Insekt im Zickzack durch das kupferrote Brusthaar. Er verlagerte sein Gewicht und lehnte sich mit dem anderen Arm auf die Schaufel. »Ich wäre ein Idiot, wenn ich meine Aussage ändere, jetzt, wo der Prozeß vorbei ist«, sagte er logischerweise.

»Sie wären ein Mörder, wenn Sie sich wirklich nicht sicher sind.«

»Der kleine Gauner wird braten; ich sehe keinen Sinn darin ...«

»Es gibt einen Sinn«, versicherte ihm Nudger.

Gantner seufzte, zerrte ein schmutziges rotes Taschentuch aus seiner Jeans und wischte sich über das fleischige, zerfurchte, verschwitzte Gesicht. Er schielte aus hellblauen Augen auf das Foto und zuckte dann die Achseln. »Das ist Colt. Der Typ, der vor meinen Augen auf den Mann geschossen hat, als ich im hinteren Gang des Ladens gestanden habe. Wenn er gewußt hätte, daß ich und Sanders da hinten stehen, hätte er wahrscheinlich außer den alten Leutchen auch uns abgeknallt. Er hat sich beim Jesse-James-Spielen tierisch amüsiert. Wenn Sie mich fragen, hat das Arschloch den Stuhl verdient.«

Na ja, Nudger hatte gefragt. Aber er wollte hundertprozentig sichergehen. »Und Sie sind absolut sicher, daß es derselbe Mann ist?«

Gantner spuckte zur Seite aus und runzelte die Stirn; Nudger ging ihm allmählich auf die Nerven, und der Polier schaute auch schon herüber. »Ich hab’ es der Polizei gesagt, ich hab’ es den Geschworenen gesagt, Nudger, und jetzt sag’ ich es Ihnen: Colt hat die alte Frau um die Ecke gebracht.«

Nudger war hartnäckig. »Haben Sie tatsächlich gesehen, wie die Schüsse abgegeben wurden?«

»Nö. Ich und Sanders haben im hinteren Gang nach einem nicht allzu teuren Bourbon gesucht, als wir die Schüsse gehört haben, und haben uns dann umgedreht. Da stand Colt über dem alten Mann und hielt eine Kanone in der Hand. Dann sieht die alte Frau, was los ist, und kreischt und rennt hinter der Theke hervor auf Colt zu, auf die Kanone zu. Die hatte wirklich Mumm. Colt zieht die Kanone hoch und schießt auf sie. Sie wird wild und zuckt und torkelt im Laden herum, stößt den guten Whisky um, und Colt rennt durch die Tür zu einem Auto. Sah aus wie ein schwarzer oder grüner alter Ford. Colt hat noch einen Schuß aus dem Wagen abgegeben.«

»Haben Sie versucht, der alten Frau zu helfen?«

»Klar. Aber bis ich und Sanders vorn im Laden waren, lag sie schon am Boden, und wir konnten sehen, daß sie tot war. Mitten auf der Stirn war ein rundes Loch, und die Augen standen offen.«

Gantner war nun in Fahrt. Nach den Vernehmungen durch die Polizei und seiner Aussage im Prozeß kannte er diesen Teil seiner Geschichte beinahe auswendig. Er erzählte sie gerne, feilte an seinem Vortrag; das Showgeschäft lag ihm im Blut.

»Haben Sie den Fahrer gesehen?« Nudger schob noch eine Antacidtablette aus der Rolle. Himmel, brannte die Sonne heiß!

»Flüchtig. Dünner Kerl, schwarze Locken und einen Walroß-Schnurrbart. Hat sich über das Lenkrad gebeugt und hielt es fest umklammert. Das habe ich auch schon den Bullen gesagt. Das war alles, was ich gesehen habe. Das ist alles, was ich weiß.«

»Wo war Ihr Freund Sanders, als Colt aus der Tür rannte?«

»Das weiß ich nicht genau. In meiner Nähe, nehme ich an. Ich habe Ihnen doch gesagt, das ist alles, was ich weiß. Finito.« Gantner hob eine dreckverschmierte Hand und schrieb sauber in die Luft. Er sagte überaus deutlich: »Das beschissene Ende.«

Und das traf auch auf dieses Gespräch zu. Der Polier kam wütend auf sie zu. Er war ein großer, schwerer Mann und ging mit wiegenden Schritten wie ein Matrose auf einem schaukelnden Deck. Er hatte eine Mordswut. Bum! Gantners Schaufel schnitt tief in die Erde, beschleunigte das Herannahen des Tages, an dem es noch eine Stelle geben würde, an der sich der Verkehr stauen konnte. Nudger bedankte sich bei ihm und riet ihm, in der heißen Sonne nicht zu schwer zu arbeiten.

»Wollen Sie mir helfen?« Gantner lächelte verschwitzt.

»Ich hab’ schon jemanden, dem ich helfen muß.« Nudger ging davon, bevor der ominöse Polier herangekommen war.

Er blieb eine Weile bei offenen Fenstern in dem verbeulten VW-Käfer sitzen. Ein leichter Luftzug fuhr durch das Auto; er fühlte sich auf der rechten Seite von Nudgers verschwitztem Hemd kühl an. Nudger beobachtete, wie der Polier auf den VW deutete, ein paar Minuten mit Gantner sprach und dann wieder wegging. Gantner schaufelte weiter, ohne einen Blick auf Nudger zu werfen, als wäre Nudger nicht vorhanden, wenn er ihn nicht anschaute.