Die Stalkerin - Sie sieht deine dunkelsten Geheimnisse - John Lutz - E-Book
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Die Stalkerin - Sie sieht deine dunkelsten Geheimnisse E-Book

John Lutz

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Beschreibung

Du wirst sie nie vergessen: Der fesselnde Psychothriller »Die Stalkerin« von Bestsellerautor John Lutz jetzt als eBook bei dotbooks. Um ihren Willen zu bekommen, ist sie bereit, über Leichen zu gehen … Deirdre Grocci, ist intelligent, bildhübsch – und eine wahnsinnige Psychopathin. Seit sie in die Psychiatrie eingewiesen wurde, verliert sie sich in Fantasien über ihren Exmann David, der sich aufgrund ihrer sadistischen sexuellen Vorlieben von ihr scheiden ließ. Als sie fliehen kann, zögert sie keine Sekunde – und heftet sich wie ein Schatten an Davids Fersen: Langsam und mit perfidem Kalkül schleicht sie sich in das Leben seiner neuen Familie ein, terrorisiert seine Ehefrau – und gewinnt das Vertrauen seines dreijährigen Sohnes. Alles für das eine Ziel: Ihren rechtmäßigen Platz an Davids Seite einzunehmen. Und um das zu erreichen, schreckt sie vor nichts zurück … »Zweifellos ein Bestseller!« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der erotische Thriller »Die Stalkerin« von New-York-Times-Bestseller-Autor John Lutz mischt nervenaufreibende Spannung mit gefährlichem Verlangen – Fans von Lisa Jackson und der TV-Serie »Obsession« werden begeistert sein! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 424

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Über dieses Buch:

Um ihren Willen zu bekommen, ist sie bereit, über Leichen zu gehen … Deirdre Grocci, ist intelligent, bildhübsch – und eine wahnsinnige Psychopathin. Seit sie in die Psychiatrie eingewiesen wurde, verliert sie sich in Fantasien über ihren Exmann David, der sich aufgrund ihrer sadistischen sexuellen Vorlieben von ihr scheiden ließ. Als sie fliehen kann, zögert sie keine Sekunde – und heftet sich wie ein Schatten an Davids Fersen: Langsam und mit perfidem Kalkül schleicht sie sich in das Leben seiner neuen Familie ein, terrorisiert seine Ehefrau – und gewinnt das Vertrauen seines dreijährigen Sohnes. Alles für das eine Ziel: Ihren rechtmäßigen Platz an Davids Seite einzunehmen. Und um das zu erreichen, schreckt sie vor nichts zurück …

Über den Autor:

John Lutz (1939–2021) war ein US-amerikanischer Autor von über 50 Thrillern und Romanen. Er wurde für seine Kriminalromane mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Shamus Lifetime Achievement Award und dem Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Spannungspreis Amerikas. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die folgenden eBooks:

Die »Missouri Murders«-Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger, die »Florida Killings«-Reihe um den Ex-Cop Fred Carver sowie seine »Frank Quinn«-Reihe um einen Ex-Cop auf der Spur von Serienkillern.

Die Website des Autors: www.johnlutzonline.com/

Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/JohnLutzAuthor/

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eBook-Neuausgabe September 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1996 unter dem Originaltitel »The Ex« bei Kensington, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1999 unter dem Titel »Kaltes Verlangen« bei Heyne

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1996 by John Lutz

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1999 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Weerayuth Kanchanacharoen

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98952-198-8

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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John Lutz

Die Stalkerin

Psychothriller

Aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb

dotbooks.

This is the very ecstasy of love,

Whose violent property foredoes itself,

And leads the will to desperate undertakings.

Das ist die wahre Raserei der Liebe,

Die sich zerstört in ihrem Ungestüm

Und treibt den Willen zu Verzweiflungstaten.

– Shakespeare, Hamlet, 2. Akt, 1. Szene

Kapitel 1

Die auf Masten angebrachten Sirenen, die über ganz Edwinsville verteilt waren, gaben ein konstantes, synchrones Heulen von sich. Auf den regennassen Straßen waren kaum Menschen, und der Regen, der aus den niedrigen dunklen Wolken herabprasselte, schreckte jeden ab, der sonst die eindringliche Warnung der Sirenen vielleicht in den Wind geschlagen hätte. Im Westen spalteten Blitze den Nachthimmel, und der Sturm pfiff durch die Bäume, brauste auf dem State Highway 103 durch das Gewerbegebiet bis zu der Stelle, wo er in die Main Street überging, riß das Schild von Alison’s Auto Service um und wirbelte die Sperrholzplatten durcheinander, die hinter dem Baumarkt gestapelt waren. Eine leere Budweiser-Dose schepperte die Main Street hinunter, sauste in hohem Bogen durch die Luft, wenn sie über den Randstein flog oder von einer Gebäudefassade abprallte, und schlitterte dann wieder über den nassen Gehsteig, als suchte sie verzweifelt Unterschlupf.

In den Hügeln hinter Edwinsville lief ein drei Meter hoher Drahtmaschenzaun mit Bandstacheldraht oben drauf durch den dichten Wald. Mit Ausnahme der Stelle, wo er durch das schöne schmiedeeiserne Eingangstor des State Institute for Mental Health durchbrochen wurde, war kaum etwas von dem Zaun zu sehen, obwohl er ganz um den großen Ziegelbau der Nervenheilanstalt herumführte, in deren Stationen Menschen, die vom Staat als potentielle Bedrohung eingestuft wurden, eingesperrt und, in den meisten Fällen, psychiatrisch behandelt wurden.

Auf der Anhöhe, auf der die Anstalt lag, war das warnende synchrone Heulen der Sirenen nicht so durchdringend, aber die von Blitzen erhellten dunklen Wolken, der ständig stärker werdende Wind und der fast waagrecht durch die Luft gepeitschte Regen verbreiteten die gleiche an Panik grenzende Angst, die von der kleinen Stadt unter ihr Besitz ergriffen hatte. Patienten in einheitlich grauer Anstaltskleidung wurden im Speisesaal zusammengetrieben, wo Wärter in weißen Kitteln herumhasteten und für Ruhe zu sorgen versuchten. Einige Patienten ließen sich jedoch nicht beruhigen und mußten festgebunden werden. Andere waren wie betäubt von dem, was geschah, und saßen vornübergebeugt auf Stühlen oder auf dem Boden, umklammerten ihre Knie, hielten die Köpfe gesenkt und zogen sich an irgendeinen sicheren Ort in ihrem Innern zurück. »Das ist Gottes Vergeltung!« schrie ein alter Mann mit kahlrasiertem Schädel, der zwei Wärtern, einem großen Mann namens Sam und einer stämmigen Frau namens Dora, zu entkommen versuchte. Während Dora den alten Mann mit einem Lächeln ablenkte, versuchte Sam, ihn zu packen und ihm die Arme an die Seiten zu drücken, aber der Mann entwand sich ihm und sprang flink auf einen Tisch. »Das ist Gottes grausame Vergeltung! Ich habe meine Frau und meinen Onkel gewarnt, als sie mich hier eingeliefert haben! Ich habe diesem Trottel von Doktor genau erklärt, warum sie mich loshaben wollten! Sie hat es auf mein Geld abgesehen – das weiß Gott ganz genau!«

Dann setzte ein fürchterliches Hämmern ein, und Glas zersprang, als eins der vergitterten Fenster nachgab. Mit jedem Windstoß prasselte der Regen, der von großen, unregelmäßig geformten Hagelkörnern durchsetzt war, in wütenden Salven auf das Dach und gegen die Westfassade des Gebäudes. Wie ein Sturmfeuer aus tausend Maschinengewehren.

Dann hörten der Regen und der Hagel schlagartig auf, der Wind ließ nach, und bis auf das Heulen der Sirenen wurde es völlig still.

Selbst der alte Bote Gottes wurde zum Schweigen gebracht von der totalen Stille und der stickigen, aufgeladenen Atmosphäre, die das Atmen zur Plage machte und auf der Haut ein Prickeln verursachte.

Irgendwie merkten es die Patienten vor den Wärtern. Hände flogen entsetzt an Lippen und Schläfen. Augen wurden aufgerissen. Münder öffneten sich, als wollten sie schreien, kamen aber nicht mehr dazu. Die Zeit reichte nicht.

Eine dunkle Trichterwolke hatte sich aus dem Nachthimmel herabgesenkt und brauste von Westen auf die Anstalt zu. Unter den Dingen, die der Tornado wirbelnd mit sich riß, waren ganze Bäume und ein sich überschlagender Kombi, dessen Scheinwerfer noch brannten. Als er die Anstalt erreichte, schoß der Drahtmaschenzaun wie eine zuschlagende Schlange in den Himmel hoch und verschwand in der Finsternis.

Das Brausen wurde ohrenbetäubend, die Lichter wurden schwächer, und dann explodierte die Westseite der Anstalt nach außen. Das Monster aus den Wolken tobte und heulte so wild, daß keine Schreie zu hören waren. Zeit und Menschen und Steine und Erde und Himmel wirbelten vereint durch das Dunkel. Man konnte nichts tun, als sich irgendwo festhalten. Aber es gab nichts, um sich festzuhalten.

Als alles vorbei war, verstummten die warnenden Sirenen in der Stadt. Der Wind hatte aufgehört, und der Wolkenbruch war nur noch ein kühler, steter Regen, der auf die Trümmer der Anstalt herabfiel. Im Mondlicht, das inzwischen durch die dunklen Wolken drang, bot sich ein Bild der Zerstörung, verstreut herumliegende Ziegel, schroff hervorstehende Balken und Wandverkleidungen, verschlungene Spiralen aus Drahtmaschengeflecht. Die einzigen Geräusche waren das Plätschern des Regens und das Stöhnen derer, die unter den Trümmern noch lebten. In einem neuen dunklen und tragischen Traum umherirrend, stolperten ein paar schemenhafte Gestalten durch die Nacht.

Eine Hand legte sich um ein zersplittertes Holzstück und schob es beiseite. Auch die Überreste eines Holztisches aus dem Speisesaal wurden aus dem Weg geräumt, langsamer jedoch und mühevoller.

Lose Ziegelsteine schabten und schlugen gegeneinander, und aus den Trümmern erhob sich eine hochgewachsene Frau mit wilder Mähne und wildem Blick. Unter den Schmutzflecken und der dunklen Blutspur, die sich von ihrem Haaransatz nach unten schlängelte, hatte ihr Gesicht ausdrucksstarke Züge, mit weit auseinanderstehenden Augen, ausgeprägten Backenknochen und einem energischen Mund. Unter anderen Umständen hätte sie schön sein können.

Einen Moment stand sie reglos da. Dann sah sie sich zögernd um, und über ihr verdutztes Gesicht legte sich allmähliches Begreifen. Ohne auf das Stöhnen oder die vereinzelten Hände zu achten, die sich ihr hilfesuchend entgegenreckten, begann sie sich vorsichtig durch die Trümmer zu tasten.

Sie hatte die Ruinen der Anstalt fast hinter sich gelassen, als sie plötzlich etwas am Weitergehen hinderte. Sie blickte zu Boden und sah eine aus einem weißen Ärmel hervorstehende Hand, die das Hosenbein ihrer grauen Anstaltskleidung gepackt hatte. Es war Sam, einer der Wärter, der unter einem Haufen aus Ziegeln und zerborstenen Balken eingeklemmt war. Nur sein Kopf und sein rechter Arm waren frei. Er sah flehentlich zu ihr hoch.

»Deirdre!« stieß er mühsam hervor. »Geh nicht weg. Tu’s nicht. Bitte nicht!«

Mit kalten grünen Augen sah die Frau auf ihn hinab. Sie versuchte weiterzugehen, aber er ließ ihr Hosenbein nicht los.

»Deirdre ... bleib, wo du hingehörst!«

Sie versuchte nicht mehr länger, sich loszureißen. Stattdessen bückte sie sich und hob aus den Trümmern zu ihren Füßen einen Ziegelstein auf. Eigentlich waren es zwei Ziegel und ein halber, die noch von Mörtel zusammengehalten wurden. Sie hob den Mauerbrocken mit beiden Händen über ihren Kopf und sah auf Sam hinab.

Er begriff, was sie vorhatte, und sah halb entsetzt, halb resigniert zu ihr hoch. Dann schloß er die Augen, und sein Gesicht war ganz ruhig, als sie die Ziegel auf seinen Kopf hinabschleuderte. Blut, das in der Nacht schwarz aussah, bespritzte das rechte Bein von Deirdres grauer Anstaltshose, und die Faust, die sich in den Stoff krallte, ging langsam auf. Die Frau setzte ihren Weg fort, schneller inzwischen und mit energischeren Bewegungen.

Nach wenigen Minuten war sie im dunklen Wald hinter dem herausgerissenen Zaun verschwunden.

Kapitel 2

Das Mondlicht machte die ohnehin schon gedämpfte Beleuchtung im Terrace Top Restaurant in der Downtown von Saint Louis noch weicher. Obwohl es seit dem heftigen Unwetter letzte Woche fast jeden Tag geregnet hatte, waren für diesen Abend nur mit fünfzigprozentiger Wahrscheinlichkeit leichte Schauer angesagt, weshalb mehrere Gäste hinter den Glaswänden des Dachrestaurants im Freien aßen und den atypisch kühlen Sommerabend genossen.

Christine Mathews saß mit einem halben Dutzend Arbeitskollegen an einem der weiß gedeckten Tische im Freien. Sie waren gerade mit dem Essen fertig geworden und sahen, in eine angeregte Unterhaltung vertieft, auf die hell erleuchtete Skyline der Stadt hinaus. Zwanzig Stockwerke tiefer, in östlicher Richtung, lag der Mississippi schwarz und schimmernd im Mondschein. Die Positionslichter der Schlepper zogen stromaufwärts, und am anderen Ufer, in East Saint Louis, legte gerade der Vergnügungsdampfer Casino Queen ab.

»Von hier oben ist Saint Louis eine wunderschöne Stadt«, sagte Chad Brent, ein Logistik-Experte, der auf der anderen Seite des Tisches saß. Sie waren in das teure Restaurant gekommen, um seinen Geburtstag zu feiern. Christine wußte, daß er in sie verschossen war, aber er keine Chance hatte. Chad war ein netter Kerl und sah ganz passabel aus, aber er war einfach nicht ihr Typ.

Christine, eine hübsche Blondine Anfang Zwanzig, mit einer etwas zu großen Nase, die sie mit einem dichten Pony kaschierte, und mit einer eher üppigen als modischen Figur unter ihrem marineblauen Kleid, sah von Bill, Yolanda und Terry zu Burt und Jennifer. Die Leute, die mit ihr am Tisch saßen, waren zwar nicht unbedingt enge Freunde, aber sie pflegten einen locker-kameradschaftlichen Umgang, der sich in unzähligen gemeinsamen Überstunden entwickelt hatte. Und sie mußten in ihrer Firma, Davison Tire and Rubber, oft Überstunden machen.

Der Kellner, ein junger Mann mit glattem schwarzem Haar, nahm ihre Bestellungen für Kaffee und Nachtisch entgegen. Christine machte gerade eine Diät und widerstand seiner Empfehlung, die Schokoladencreme mit Himbeeren zu versuchen, bestellte nur einen Cappuccino. Terry begann über den neuen Flachprofil-Gürtelreifen zu reden, den die Firma gerade entwickelte. Das interessierte Christine, die in der Buchhaltung arbeitete, nicht besonders. Sie entschuldigte sich und stand auf.

»Es wird langsam Zeit, daß ich meinem Laster fröne.« Sie war die Einzige am Tisch, die nicht im Zug der neuen Betriebspolitik zu rauchen aufgehört hatte.

»Für deine Gesundheit wäre es bestimmt besser, wenn du hierbleiben würdest«, sagte Yolanda. Sie hörte sich an, als meinte sie es ernst. »Nicht umsonst sagt man zu diesen Dingern auch Sargnägel. Sie nehmen dir garantiert was von deiner Lebenserwartung.«

Chad machte Anstalten, ebenfalls aufzustehen. »Soll ich dir Gesellschaft leisten?«

Yolanda, die Chad gut leiden konnte, lächelte und drückte ihn behutsam wieder auf seinen Platz nieder. »Wenn du weiter so viel passiv rauchst, lebst du nur geringfügig länger als sie.«

»Ganz richtig«, sagte Christine rasch, um Chad davon abzuhalten mitzukommen. »Außerdem, bis der Kaffee kommt, bin ich wieder zurück.«

Sie entfernte sich vom Tisch und ging auf eine bepflanzte Fläche zu, die das Restaurant vom restlichen Dach abgrenzte. Vielleicht wäre es sogar erlaubt gewesen, am Tisch zu rauchen, aber sie hatte nirgendwo einen Aschenbecher gesehen. Außerdem wußte sie, wie sehr sich die anderen durch den Rauch gestört fühlten, seit sie zu rauchen aufgehört hatten. Sie sah sich kurz um, ob Chad es sich nicht anders überlegt hatte und ihr folgte.

Voller Erleichterung, daß sie allein war, ging sie zwischen zwei Zierbäumen hindurch und dann durch ein Bogenspalier, an dem aus großen Keramiktöpfen Kletterpflanzen emporrankten. Der Kiesbelag des Dachs knirschte unter ihren Sohlen, als sie sich so weit hinter die Zierbepflanzung zurückzog, bis sie vom Restaurant nicht mehr zu sehen war – wie eine Sünderin auf der Suche nach etwas Abgeschiedenheit.

Die Nachtluft war feucht, aber frisch. Christine atmete tief ein und sah mit einem zufriedenen Seufzer auf die Stadt hinaus. Eine Zigarette und dann ein Cappuccino wären der perfekte Abschluß für diesen Tag. Nikotin und Koffein. Vielleicht hatte Yolanda recht, was die kürzere Lebenserwartung anging. Sie wühlte in der Handtasche nach den Winstons und ihrem Feuerzeug, fand die zerdrückte Packung und bekam fast Panik, als sie sich leer anfühlte. Doch als sie das Päckchen aus der Handtasche zog und ganz aufriß, entdeckte sie eine letzte Zigarette.

Sie fand auch das Feuerzeug und stellte sich an das niedrige Eisengeländer, um die Aussicht zu genießen, während sie sich die Zigarette anzündete. Die Casino Queen war ein gutes Stück stromaufwärts gefahren.

Ein leises Geräusch ließ sie herumfahren. In der einen Hand hatte sie die noch nicht angezündete Zigarette, in der anderen das Feuerzeug.

Aus dem Dunkel unter dem Spalier kam eine hochgewachsene Frau hervor. Als sie ins Licht trat, sah Christine, daß sie sehr hübsch war. Sie trug eine dunkle Hose und einen leichten Pullover und hatte sich ein buntes Tuch um den Hals gebunden. Ihr schulterlanges rotes Haar fiel ihr auf einer Seite weit ins Gesicht und erinnerte Christine, die eine Schwäche für alte Filme hatte, an eine Schauspielerin aus den vierziger Jahren, an deren Namen sie sich jedoch nicht mehr erinnern konnte.

Die Frau lächelte sie an.

»Wo wir Raucher uns heutzutage überall verkriechen müssen, bloß um eine Zigarette rauchen zu können!« sagte Christine. Sie spürte, daß die Frau sie genau beobachtete, als sie ihr Feuerzeug anschnippte und an ihre Zigarette hob.

Als sie inhalierte, ausatmete und das Feuerzeug in ihre Handtasche fallen ließ, stellte sie fest, daß die Frau keine Zigarette in der Hand hielt. Sie machte einen sympathischen Eindruck, als sie lächelnd auf Christine zukam.

»Sie sind Christine Mathews, nicht wahr?« fragte sie. »Chrissy?« Christine war überrascht. Und neugierig. Sie versuchte sich zu erinnern, woher sie die Frau kannte.

»Ja, das bin ich«, sagte sie. »Allerdings gibt es nur wenige Leute, die mich Chrissy nennen.«

»Wie jung Sie sind«, sagte die Frau. »Ich wußte, daß Sie jung sind.« Sie lächelte immer noch.

»Kennen wir uns?« fragte Christine, die es plötzlich mit der Angst zu tun bekam. »Ich kenne Sie«, sagte die Frau. »Ich bin Deirdre.«

In diesem Moment ging Christine ein Licht auf. Aber der Tornado, die Nervenheilanstalt, das war doch über hundert Kilometer von hier passiert ... unmöglich!

Aber es war keineswegs unmöglich. Nur unwahrscheinlich.

»Sie können doch nicht –« begann sie ungläubig.

Sie kam nicht dazu weiterzusprechen, denn geschmeidig wie eine Raubkatze stürzte sich Deirdre auf sie, rammte ihr den Ellbogen in den Bauch und stieß sie nach hinten.

Christine spürte, wie sich die Geländerstange direkt unter ihrem Gesäß gegen ihre Oberschenkel drückte. Deirdre grinste und schlug sie mit der Faust zwischen die Brüste, so daß sie rücklings über das Geländer stürzte. Sie schaffte es jedoch gerade noch, sich mit der Hand am unteren Teil des Geländers festzuhalten. Vor Entsetzen blieb ihr fast das Herz stehen, als sie davon abglitt. Aber es gelang ihr, sich noch so weit herumzudrehen, daß sie sich, zwanzig Stockwerke über der Sixth Street hängend, erst mit einer Hand, dann auch noch mit der anderen am gefliesten Rand der Terrasse festhalten konnte. Sie versuchte zu schreien, aber ihre Luft reichte nur für ein leises Winseln. Ihre Finger begannen von den glatten Fliesen abzurutschen.

Dann beugte sich Deirdre über sie und lächelte auf sie hinab. Veronica Lake, schoß es Christine unsinnigerweise durch den Kopf. Das war die Filmschauspielerin, an die Deirdre sie erinnerte, obwohl sie, abgesehen von den Haaren, überhaupt nicht wie Veronica Lake aussah.

»Bitte!« stieß Christine mit gepreßter Stimme hervor. Auf der verzweifelten Suche nach einem Halt scharrten ihre Füße hektisch über die Wand des Gebäudes, fanden dort aber nichts als rauhen Stein. Sie verlor einen Schuh. Er fiel in die Tiefe und mit ihm ihr Herz.

Deirdre bückte sich und streckte ihr die Hände entgegen, so daß sie einen Augenblick lang dachte, Deirdre würde sie an den Handgelenken packen und hochziehen. Das Ganze war nur ein Scherz! Ein böser Scherz!

Stattdessen stützte sich Deirdre mit den Handflächen auf Christines Knöchel und drückte ihre Finger gegen die harte Kante. Und dann legte sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf ihre Handballen und begann Christines Finger mit leichten Drehbewegungen förmlich zu zerquetschen. Christine wußte nicht mehr, ob sie sich noch an der Kante festklammerte, oder ob sie nur noch daran hing, weil Deirdre sie mit aller Kraft dagegendrückte.

Dann zog Deirdre die Hände plötzlich zurück und richtete sich auf. Sie blickte grinsend auf Christine hinab und streckte die Arme aus, als höbe sie gleich wie Superman ab.

Als der Druck auf Christines taube Finger so plötzlich nachließ, rutschten sie auf der Stelle ab. Verzweifelt versuchte Christine noch einmal Halt zu finden, aber sie hatte kein Gefühl mehr in ihren Fingerspitzen.

An diesem Punkt – als ihr klar wurde, daß sie sich nicht mehr festhalten konnte – lösten sich ihre Stimmbänder wieder, und sie begann zu schreien.

Sie schrie bis zur Straße hinunter.

Nachdem sie alle erst ein paar Sekunden vor Entsetzen wie gelähmt dagesessen hatten, sprangen die Gäste des Dachrestaurants auf, um nachzusehen, was passiert war. Angeführt von dem befrackten Kellner, brachen sie zwischen dem dichten Laubwerk der Zierpflanzen hervor. Bis dahin war Deirdre verschwunden.

Kapitel 3

Molly Jones ging mindestens viermal die Woche morgens im Central Park joggen. Die Strecke, die sie lief, betrug etwa zehn Kilometer, hatte sie ausgerechnet, nachdem sie in der Times einen Artikel übers Joggen gelesen hatte und welche Schuhe für die verschiedenen Sportarten am besten waren.

Sie selbst trug gut eingelaufene Nikes. Nicht eins dieser modischen Modelle, die bei den Kids in waren, sondern solide Laufschuhe der mittleren Preisklasse, die in dem Artikel nicht erwähnt worden waren. Sie lief, um gesund zu bleiben und lange zu leben, nicht, um einen Basketball besonders elegant in den Korb zu befördern.

Sie war jetzt auf der langen Gerade und näherte sich dem Ausgang zur Central Park South, nicht weit von der Kreuzung von Fifth Avenue und Fifty-eighth Street, wo sie gestern bei F A O Schwarz ein Geburtstagsgeschenk für Michael gekauft hatte. Es war kurz nach Mittag, und ein paar Büroangestellte, die gerade Mittagspause hatten, gingen vorbei – Männer in weißen Hemden und bunt geblümten Krawatten, die sich die Anzugjacken über die Schultern geworfen hatten und sie genau taxierten, als sie mit weit ausholenden Schritten schwer atmend an ihnen vorbeilief. Inzwischen setzte sie bei jedem Schritt mit dem ganzen Fuß auf, und sie hörte und spürte, wie ihre Gummisohlen schwerfällig auf den harten Asphalt klatschten. Außerdem hatte sie Seitenstechen, und die Sehnen in ihren Unterschenkeln fühlten sich zum Zerreißen gespannt an. Ihre Oberschenkel schmerzten und drohten sich jeden Augenblick zu verkrampfen. Sie mußte sich ziemlich quälen, aber sie würde es schaffen. Immer wieder redete sie sich gut zu, daß sie es schaffen würde. Sie atmete rauh und stoßartig. Ein Mann auf einem Mountainbike mußte grinsen, als er sah, wie sie sich anstrengte. Eine zerlumpte alte Frau, die im Schneidersitz auf dem Rasen saß, starrte sie feindselig an; ihr dünnes, graues Haar war wild zerzaust, die klumpige Mülltüte mit ihren Habseligkeiten lag neben ihr wie die schwarze, unheilschwangere Last ihres Lebens.

Molly erreichte die Parkbank, an der sie zu laufen hatte aufhören wollen, rang sich dann aber noch ein paar Schritte mehr ab. Disziplin. Schließlich hörte sie zu laufen auf und ging, die Hände in die Hüften gestemmt, langsam im Kreis herum. Sie war eine mittelgroße, dünne Frau mit einem herzförmigen Gesicht, das häufiger für nett als für schön gehalten wurde. Ihr Becken war eher breit, und ihre Brüste, stellte sie sich manchmal vor, würden gerade in zwei Teetassen passen. Das mit ihren Brüsten hatte ihr, keineswegs abschätzig gemeint, David mal gesagt, als sie sich geliebt hatten.

Sie spuckte aus. Das war nicht sehr damenhaft, aber sie hatte eine Mücke oder sonst irgendein kleines Insekt in den Mund bekommen, als sie an der Bank vorbeigelaufen war. Nachdem sie mit der Zunge eine Weile in ihrem trockenen Mund herumgetastet hatte, gelangte sie zu der Überzeugung, das Insekt wäre weg, aber sie brauchte etwas zu trinken, und zwar schnell. Eine Weile stand sie, die Fäuste immer noch in die Hüften gestemmt, vornübergebeugt da, dann richtete sie sich auf und wischte sich mit dem unteren Teil ihres T-Shirts den Schweiß vom Gesicht.

Sie atmete tief aus und blickte sich um. Die Büroangestellten und der Mann auf dem Rad waren verschwunden. Die alte Frau starrte sie immer noch feindselig an, als hätte sie endlich den Schuldigen für ihr Elend gefunden.

Molly tat die obdachlose Frau leid, doch als sie merkte, daß sonst niemand in der Nähe war, überkam sie auch ein Anflug von Angst.

Im selben Moment kam Bewegung in die Frau auf dem Rasen. Ihre alten Knochen und Sehnen zeigten beim Aufstehen erstaunliche Wendigkeit und Kraft.

Das ist doch vollkommen absurd, sagte sich Molly. Sie war siebenundzwanzig und gut in Form, wenn auch vom Laufen vielleicht ein bißchen erschöpft. Aber dieser heruntergekommenen alten Pennerin könnte sie trotzdem problemlos davonlaufen. Sie hatte nichts zu befürchten.

Trotzdem hatte sie Angst.

Nicht vor der alten Frau, wurde ihr plötzlich bewußt, sondern vor etwas, das sie nicht greifen konnte.

Unter den Bäumen am See kam ein Mann hervor, der zwei schwarze Pudel an der Leine führte. Er ging direkt auf Molly und die alte Frau zu.

Die Frau hob ihren prall gefüllten Plastikbeutel hoch und begann mit einem letzten vernichtenden Blick auf Molly in die entgegengesetzte Richtung davonzuschlurfen. Sie und der Mann, der die Pudel ausführte, gingen in drei Metern Abstand aneinander vorbei, ohne voneinander Notiz zu nehmen – auf demselben Planeten, aber in zwei völlig verschiedenen Welten. Als der Mann an Molly vorbeikam, sah er sie an und lächelte, ging aber weiter. Sie hörte, wie er einen der Pudel anfuhr, als dieser sich für etwas im Gebüsch interessierte und heftig an der Leine zerrte. Mit einem kräftigen Ruck an der dünnen Lederleine zog der Mann den neugierigen Hund an seine Seite zurück und setzte seinen Weg fort.

Molly, scheinbar wieder allein im sonnenlichtgesprenkelten Park, fühlte sich immer noch unwohl, und sie wußte nicht, warum. Es war, als plagten sie die Relikte eines Alptraums, an den sie sich nicht mehr erinnern konnte. Sie kam sich alleingelassen und verletzlich vor. Sie eilte auf das hellere Sonnenlicht und den Verkehrslärm zu, der durch die Bäume entlang der Central Park South drang, und gerade als sie in einen gemächlichen Laufschritt zu fallen begann, schob sich der Schatten einer Wolke über den Weg und die Bäume und verdunkelte Gras und Blätter.

An diesem Punkt merkte sie, daß sie schon seit Beginn ihrer morgendlichen Joggingrunde das vage Gefühl hatte, daß etwas hinter ihr her war und ihr nachstellte.

Sie mußte an die Frau denken, die beim Joggen im Park brutal zusammengeschlagen worden war. Eine Börsenmaklerin oder Finanzberaterin oder etwas in der Art. Sie war wie Molly nichts Böses ahnend durch den Park getrabt, hatte an Aktien oder ihr Liebesleben oder Schatzanleihen gedacht, vielleicht auch an einen Freund, den sie am nächsten Tag zum Lunch treffen wollte – und auf einmal war das alles von einem brutalen Fremden für immer zunichte gemacht worden.

Wie ein kühler Luftzug strich die Angst über Mollys Nacken und Arme, so daß sie unwillkürlich die Schultern hochzog.

Das ist doch lächerlich, sagte sie sich. Genauso lächerlich wie sich vor einer harmlosen, armen alten Frau zu fürchten, die sich in der Sonne wärmte, vielleicht dem einzigen Freund, der ihr noch geblieben war.

Wie war es wohl, fragte sich Molly, wenn man ohne einen Freund seinem Lebensende entgegenging?

Ohne Liebe.

Dann hatte sie plötzlich nicht mehr das Gefühl, allein zu sein, und auch ihre Angst war schlagartig verflogen. Sie hatte den Park verlassen und ging auf dem Gehsteig, umgeben von mehr Menschen, als sie zählen konnte, und keine fünf Meter von ihr entfernt fuhren Hunderte von Fahrzeugen vorbei, darunter sogar eine Pferdekutsche, die sich auf dem Weg in den Park befand.

Sie war wieder mitten in New York.

Mitten im Leben.

Am Rand des Parks stand Deirdre und beobachtete sie.

Kapitel 4

Es war heiß in Manhattan, aber trotzdem ein herrlicher Tag. David Jones öffnete die Tür des Hand Building in der Third Avenue und trat auf den von Menschen wimmelnden Gehsteig hinaus. Als die Ampel an der Kreuzung von Third Avenue und East Fifty-fourth Street auf Grün schaltete, ertönte ein lautes Hupkonzert, aber alles, was sich auf der hoffnungslos verstopften Kreuzung bewegte, war ein Bote auf Inline-Skates. David ging los, froh, daß er nicht in einem der gelben Taxis saß, die sich, zur Bewegungslosigkeit verdammt, in der Sonne aufheizten, gefangen im Netz eines aus dem Ruder gelaufenen Fortschritts. Er war durchschnittlich groß, durchtrainiert, aber nicht muskulös, obwohl er regelmäßig das Silver’s Gym in der East Fifty-sixth besuchte. Mit seinem hageren Gesicht, den widerspenstigen rotblonden Haaren und der runden Brille mit dem zerbrechlichen braunen Rahmen wirkte er mehr wie ein intellektueller als ein sportlicher Typ.

Da er mit seinen siebenunddreißig Jahren immer noch bloß Lektoratsleiter der Sterling Morganson Literary Agency war, begann er seit neuestem nachts immer häufiger aufzuwachen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, warum er im Leben nicht vorankam. Jedenfalls nicht dorthin, wo er gerne hinwollte. An sich verdiente er ganz gut; es war eigentlich nur, daß er diesen Posten schon länger hatte, als er ursprünglich geplant hatte. An sich hatte er damit gerechnet, bis zu diesem Zeitpunkt bereits zum Repräsentanten eines Autors aufgerückt zu sein und sich für eine eventuell vakant werdende Führungsposition empfohlen zu haben. Morganson hatte ihm zwar eine Beförderung in Aussicht gestellt, aber bisher war es nur bei diesen Versprechungen geblieben. Das war einer der Gründe, warum David im Fitness-Studio so hart trainierte; zusätzliche fünf Pfund auf der Hantel, eine Liegestütze oder Bauchgrätsche mehr weckten in ihm die Illusion, im Leben voranzukommen, auch wenn das einzige, worauf er vorausblicken konnte, ein weiterer Tag war, an dem er die Beurteilungen der Manuskripte angehender Autoren begutachtete, die normalerweise mit einem freundlichen und aufmunternden Begleitschreiben zurückgeschickt wurden, in denen ihrem Verfasser erklärt wurde, warum sie sich im Moment noch nicht verkaufen ließen, aber vielleicht klappte es ja beim nächsten Mal, wenn der Autor beziehungsweise die Autorin aus seinen/ihren Fehlern gelernt hätte und an der unentbehrlichen Erfahrung, die das Schreiben eines Romans darstellte, gewachsen wäre. Ja, vielleicht beim nächsten Mal.

Seine Grübeleien begannen ihm die Laune zu verderben, aber dafür war es ein zu schöner Tag. Er beschloß, in einem Deli drei Straßen weiter zu Mittag zu essen.

Es war ein schöner Spaziergang. Niemand versuchte, ihm eine Rolex zu verkaufen oder ihn um Geld anzuhauen und ihm das schlechte Gewissen der Gesunden und Beschäftigten aufzuhalsen. Ein Mann mit einem riesigen Hund, der ein Tuch um den Hals gebunden hatte, trug ein Schild, auf dem er um Spenden bat, damit er dem Hund Schnaps kaufen könnte. Dieser Gag, fand David, war einen Dollar wert. In New York zu betteln, mußte selbst dann eine zutiefst demütigende Erfahrung sein, wenn man eine bestimmte Masche abzog.

Er hatte gerade seinen Salat zusammengestellt und sich an der Kasse angestellt, als ihn eine Frau ansprach. Sie klang, als wäre sie eine alte Bekannte von ihm und als wäre sie überrascht, ihn hier zu treffen.

»David, nein sowas! Hallo!«

Das Seltsame war, daß er nicht gleich wußte, wem die Stimme gehörte. Sie kam ihm zwar seltsam vertraut vor, aber er konnte sie nicht einordnen. Deshalb machte er sich, als er sich lächelnd umdrehte, darauf gefaßt, wenn nötig Wiedererkennen zu heucheln.

Aber es war nicht nötig.

»Deirdre ...«Er sagte ihren Namen ganz leise, denn es hatte ihm im wahrsten Sinn des Wortes die Sprache verschlagen. Was machte sie denn hier? Deirdre, seine Ex-Frau, die tausend Meilen von hier in Saint Louis lebte. Du solltest nicht hier sein, war alles, was er denken konnte. Fast hätte er es laut ausgesprochen.

Aber da war sie. In einem strengen grauen Blazer und einem schwarzen Rock stand sie direkt hinter ihm in der Schlange, etwas älter inzwischen, aber immer noch attraktiv, wie er zugeben mußte. Fast so groß wie er mit seinen eins fünfundsiebzig, ihr Gesicht von einer üppig roten Haarpracht eingefaßt, von der er wußte, daß sie künstlich war, ihr Lächeln breit und strahlend, ihre Züge irgendwie energischer. Ihre grünen Augen leuchteten vor Freude und noch etwas anderem, und ihre Stirn wirkte weniger angespannt als zu der Zeit, als sie und David noch miteinander gelebt und geschlafen hatten. Ihr breiter Mund mit den vollen Lippen war genauso, wie er ihn in Erinnerung hatte, ein Raubtiermund, scheinbar immer zum Zuschnappen bereit, und wenn sie lächelte, glitt ihre Oberlippe so sinnlich wie die Scheide eines Dolchs über ihre perfekten großen, weißen Zähne. Er ertappte sich dabei, wie er auf ihre Lippen starrte, und ließ den Blick rasch wieder zu ihren Augen hochwandern. Augen einer Fremden, Augen einer Geliebten.

»Wie lange ist das jetzt schon her?« fragte er, immer noch sprachlos. »Fünf Jahre?«

»Fast sechs«, erwiderte sie. »Du hattest noch nie ein gutes Zeitgefühl.« Sie trat zurück und betrachtete ihn mit sichtlichem Vergnügen und Erstaunen. »Einfach unglaublich, dir hier zu begegnen! Wie klein die Welt doch ist!«

David hatte seine Fassung noch immer nicht wiedergewonnen; er konnte es einfach nicht glauben. »Was treibst du denn hier?«

»Aber David! Du scheinst dich ja gar nicht zu freuen, mich zu sehen. Wir waren mal verheiratet, hast du das etwa schon vergessen? Da werden wir doch wohl wenigstens miteinander reden können. Du brauchst keine Angst zu haben. Du kennst mich doch. Ich beiße nicht.« Sie lächelte. »Außer du bittest mich darum.« Ein bärtiger Mann in einem grauen Anzug, der vor David in der Schlange stand und offensichtlich alles mitgehört hatte, drehte sich neugierig um. Deirdre schenkte ihm keine Beachtung und lächelte weiter.

David rang sich ebenfalls ein Lächeln ab. »Es ist keineswegs so, daß ich Angst habe, Deirdre. Ich bin einfach nur – überrascht.« Er versuchte so zu tun, als freute er sich. »Wie lange bleibst du in New York?«

»Nur etwa eine Woche. Ich bin Innenarchitektin einer Schuhfirma aus Saint Louis und dafür zuständig, ihre Läden möglichst funktionell und zugleich auch optisch ansprechend zu gestalten.« Das war nicht die Deirdre, die er in Erinnerung hatte. Er war überrascht, und offensichtlich war ihm das anzumerken.

»Was schaust du denn so erstaunt, David?« fragte sie grinsend. »Ich habe nach der Scheidung zu studieren begonnen. Es gibt einiges, was wir nicht voneinander wissen. In sechs Jahren fließt eine Menge Wasser die Mühle runter.«

»Den Bach, meinst du wohl.« Hoppla! Ihm fiel wieder ein, daß sie ständig irgendwelche Redensarten verballhornte und durcheinanderbrachte. Und wenn er sie verbesserte, war sie immer wütend geworden. Vielleicht war das immer noch so.

Sie lachte. »Ach, David. Mußt du mich immer noch verbessern. Mit diesen Redewendungen hatte ich immer schon meine Probleme; irgendwie bringe ich sie ständig durcheinander. Es ist, als wären wir immer noch verheiratet.«

Der bärtige Mann drehte sich wieder um. Diesmal sah ihn Deirdre finster an, worauf er sich abwandte.

»Du hast recht«, sagte David verlegen. »Entschuldige bitte. Ich hatte dich wirklich nicht –«

»Das macht doch jetzt nichts mehr«, unterbrach sie ihn achselzuckend. »Ich weiß, ich habe dich verrückt gemacht mit meinen kleinen Fehlern.«

»Na ja, ich selber war ja auch nicht gerade die Vollkommenheit in Person.«

»Aber fast.« Sie musterte ihn ganz unverfroren von oben bis unten.

»Gut siehst du aus, David. Kräftiger, als ich dich in Erinnerung habe. Du gehst ins Fitness-Studio, stimmt’s?«

Das Kompliment freute ihn. »Ab und zu.« Sein schlechtes Gewissen über das, was ihm plötzlich durch den Kopf schoß, ließ ihn rasch hinzufügen: »Wie geht’s deinem Mann? Wie heißt er gleich wieder? Sam?«

»Stan«, sagte sie. »Stan Grocci. Er hat ein großes Bauunternehmen.«

»Habt ihr Kinder?«

»Leider nein.« Sie stockte, senkte den Blick, sah ihm schließlich wieder in die Augen. »David, ich bin inzwischen auch von Stan geschieden.«

Diese Eröffnung verunsicherte ihn, und er wußte nicht, wie er reagieren sollte. Was sagt man schon, wenn man erfährt, daß seine Ex-Frau wieder geschieden ist? »Das, äh, ist aber schade.« Er starrte auf ihren Mund.

»Allerdings. Stan ist wirklich ein prima Kerl – und das meine ich jetzt ganz ehrlich –, aber er hat nur für die Firma gelebt. Lebt nur für die Firma, meine ich natürlich. Er lebt ja noch, und es geht ihm blendend, geschäftlich wie gesundheitlich. Ich wollte damit keineswegs den Eindruck erwecken, als stünde er bereits mit einem Bein am Grab.«

»›Im‹ – nein, entschuldige bitte, nichts für ungut.

Wahrscheinlich liegt das an meinem Job; da ist es meine Aufgabe, auf solche Dinge zu achten. Aber andere Leute beim Sprechen zu korrigieren, sollte ich mir wirklich abgewöhnen.«

Die Schlange vor der Kasse war geschrumpft. Der bärtige Mann vor David zahlte bei der asiatischen Kassiererin und ging mit seinem Styroporbehälter mit Essen weg.

David jonglierte mit seinem Salatteller und seiner Sodadose, um nach seiner Geldbörse greifen zu können. Doch bevor er sie aus der Tasche bekam, war Deirdre vorgetreten und hatte der Kassiererin einen Zwanzig-Dollar- Schein gegeben. »Für uns beide«, sagte sie.

»Nicht doch, Deirdre«, protestierte David. »Laß mich bitte –«

»Heute lade ich dich ein, David«, fiel sie ihm ins Wort. »Für die vielen anderen Male. Ich bin jetzt eine selbständige Frau.« Sie nahm ihr Wechselgeld, dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und sah sich in dem Deli um. »Oh, dort ist ein freier Tisch. Komm, schlagen wir zu, bevor das Eisen noch heiß ist.«

Damit marschierte sie los und zwängte sich an den Leuten vorbei, die sich an dem langen Büfett ihre Styroporteller vollluden. David zögerte, dann folgte er ihr.

Sie nahmen in einer der Sitznischen an den langen, holzverkleideten Seitenwänden Platz und stellten ihr Mittagessen zwischen sich auf den Tisch. An den Wänden hingen gerahmte Sportfotos. In ihrer Nische war eines von Joe DiMaggio, der mit dem Schläger nach einem hüfthohen Ball ausholte. Seine Armmuskulatur war gespannt, sein ruhiger Blick fest auf den verwischten Punkt gerichtet, an dem sich Schläger und Ball trafen.

Statt mit dem Essen zu beginnen, sah Deirdre David so aufmerksam an wie DiMaggio den Baseball. David begann sich unbehaglich zu fühlen.

Schließlich wandte sie den Blick von ihm ab und begann, mit einem weißen Plastikmesser Senf auf ihrem Sandwich zu verstreichen.

»Du bist also Lektor«, sagte sie.

»Nicht ganz«, sagte David. »Ich bin Lektoratsleiter einer Literaturagentur. Die Leute schicken uns Manuskripte ein, und wir werden dafür bezahlt, sie zu lesen und den Autoren zu erklären, warum sich ihre Arbeit nicht verkaufen läßt.«

Deirdre sperrte den Mund weit auf und machte sich auf eine fast unzivilisiert-wilde Art über ihr Sandwich her. »Aber manchmal verkaufst du sie doch auch«, sagte sie mit vollem Mund.

Plötzlich kam ihm der verrückte Gedanke, sie könnte schriftstellerische Ambitionen haben und ihm ein Manuskript andrehen wollen. Vielleicht steckte das dahinter; so etwas passierte ihm in seinem Job immer wieder. »Ab und zu«, sagte er.

»Aber nicht sehr oft.«

»Ist es eine große Agentur?«

»Eine der größten.«

Sie schluckte und leckte sich die Lippen. »Ich muß sagen, ich bin schwer beeindruckt. Dann hat es sich also doch gelohnt, daß du im Bett immer so viel gelesen hast. Und jetzt hast du eine gute Stellung. Ich wußte doch immer, du hast das Zeug dazu, David.«

»Als wir noch verheiratet waren, hast du aber ganz anders geredet.«

Sie langte über den Tisch und berührte mit den Spitzen ihrer rot lackierten Nägel ganz leicht seinen Handrücken. Die Berührung fühlte sich an wie ein Brandzeichen. »Das stimmt«, gab sie zu. »Und inzwischen tut mir das aufrichtig leid. Ich finde es wirklich schade, daß es damals nicht anders gelaufen ist.«

David spürte, wie sich ihm die Kehle zusammenschnürte. Er mußte schlucken, und um seine Rührung zu verbergen, nahm er einen Schluck Soda. »Ich habe sowieso nie verstanden, warum du mich verlassen hast, Deirdre.«

Vorwurfsvoll schüttelte sie den Kopf. »Dieses Mädchen, David. Sie war noch ein halbes Kind.«

Sie spielte auf Marci an. Eine zweiundzwanzigjährige Jurastudentin, die im selben Haus gewohnt hatte. David hatte die Affäre mit ihr immer mehr als eine Folge denn als die Ursache seiner Probleme mit Deirdre betrachtet.

»Damals waren wir beide noch wesentlich jünger«, sagte er. »Und es war wirklich nicht nur Gerede, wenn ich dir damals versichert habe, sie würde mir nichts bedeuten. Eines Tages hat sie sich mir förmlich an den Hals geworfen. Es ist zwar passiert, aber es hatte nichts zu bedeuten. Nach einem Monat war die ganze Sache vorbei.« Er starrte auf sein Essen. »Ich dachte ... also, eigentlich dachte ich, du hättest mich verlassen, weil ich auf der Abtreibung bestand.« Sie hatten kein Kind eingeplant, hatten wenig Geld gehabt, und mit ihrer Ehe war es eindeutig bergab gegangen, als Deirdre ihm erzählte, sie sei schwanger. Damals war David eine Abtreibung als die vernünftigste Lösung erschienen. Er war sich immer noch nicht sicher, ob seine Entscheidung richtig gewesen war.

»Ich wollte keine Abtreibung«, sagte Deirdre.

David lächelte traurig. »Das hast du mir gesagt. Obwohl, nachdem du mich verlassen hast, hättest du den Abbruch nicht mehr machen müssen. Aber du hast es trotzdem getan.« Er hatte sich schon immer gefragt, warum.

Vielleicht würde sie es ihm auch jetzt noch nicht erzählen. »In unserer Ehe stand doch eindeutig Sex an erster Stelle, oder etwa nicht? Jetzt sei mal ganz ehrlich, David.«

»Nicht nur.«

»Aber vorwiegend. Du weißt doch, wie wir damals zueinander waren. Ziemlich brutal.«

Er konnte sich sehr gut erinnern. Sie waren beide von einer Art sexuellem Rausch erfaßt, hatten herumexperimentiert, alles Mögliche ausprobiert, Sadomasochismus, Fesseln. Er hatte gemerkt, daß ihre Ehe in die Brüche ging, und hatte versucht, sie auf diese Weise an sich zu binden, aber im Grunde genommen hatte er damals schon gespürt, daß das nicht klappen würde. Die Anregungen für ihre Spielchen waren größtenteils von ihr gekommen, aber er hatte auch seinen Spaß daran gehabt und war regelrecht abhängig davon geworden.

»Das Baby ist verletzt worden, David. Das war der Grund, warum ich es schließlich doch abtreiben ließ. Es wäre nicht gesund auf die Welt gekommen.«

Bei dem Gedanken an den brutalen Sex, den sie während ihrer Schwangerschaft miteinander gehabt hatten, begannen sich ihre Worte wie etwas Schwarzes und Schweres in ihm auszubreiten. »Um Himmels willen! Lag das an etwas, was wir – was ich getan habe?«

»Nein, du hast keine Schuld, David.« Sie legte ihm die Hand auf den Arm, als wollte sie ihn trösten. »Das war jemand anderer nachdem ich dich verlassen habe. Kannst du mir das verzeihen?«

»Ich bin derjenige, der auf eine Abtreibung gedrungen hat. Du hast nichts von all dem absichtlich getan, und außerdem hattest du damals dein eigenes Leben. Es gibt keinen Grund, weshalb du dich vor mir rechtfertigen müßtest.«

»Du bist wesentlich besser, als ich das damals vor sechs Jahren dachte.«

»Da bin ich mir nicht so sicher.«

»Jedenfalls ist alles, was damals geschehen ist, längst vergeben und vergessen.« Sie ließ den Kopf sinken, doch dann sah sie plötzlich wieder auf, und ihre Miene schien sich zu erhellen. Ihre Augen waren grün, groß, fast verheißungsvoll. »Hör zu, David, ruf mich doch einfach mal im Hotel an. Wir könnten zusammen was trinken gehen. Für uns beide ist einiges anders geworden. Da täte es uns vielleicht mal gut, ganz sachlich über Vergangenheit und Zukunft zu reden. Ich glaube, wir könnten Freunde bleiben.«

Trotz ihrer dezenten Aufmachung hatte jede ihrer Bewegungen etwas Sinnliches. Als sie die Lippen spitzte und an ihrem Strohhalm sog, konnte David trotz aller Verwirrung und allen Unbehagens den Blick nicht von ihr losreißen. Es wäre ihm lieber gewesen, er wäre ihr nicht wieder begegnet, und doch fühlte er sich immer noch sexuell von ihr angezogen.

»Ich weiß nicht« brachte er mühsam vor.

»Ob wir Freunde sein können?«

»Ob das wirklich so eine gute Idee ist.«

Sie wirkte gekränkt, doch dann lächelte sie. Ihre breite rote Oberlippe rutschte über ihre Zähne nach oben, stülpte sich fast nach innen. »Ach, jetzt verstehe ich. Hast du wieder geheiratet? Nein, du brauchst nichts zu sagen. Und wie heißt sie?«

»Molly.« Es kam ihm fast wie ein Sakrileg vor, in Deirdres Anwesenheit Mollys Namen in den Mund zu nehmen.

»Hmm. Ein schöner Name«, sagte Deirdre. »Molly.«

Es gefiel ihm nicht, Deirdre den Namen sagen zu hören. Und genausowenig gefiel ihm das undefinierbare Gefühl, das sich in den hintersten Windungen seines Gehirns zu regen begann, dort, wo das Gedächtnis schwelte. Das Gedächtnis, das, dachte er, durch die Zeit längst von allen Emotionen geläutert worden war. Aber er hatte sich getäuscht. Seine zufällige Begegnung mit Deirdre löste die Jahre auf wie Nebelschwaden und impfte der Vergangenheit wieder Leben ein.

»Molly ist bestimmt jung.«

»Siebenundzwanzig. Nur zehn Jahre jünger als ich.«

»Womit sie elf Jahre jünger als ich wäre.«

David lächelte. »Du warst diejenige, die jemand Jüngeren geheiratet hat, Deirdre.«

»Habt ihr Kinder?« fragte sie.

»Eins. Einen Jungen. Michael. Er ist drei.«

»Wie schön!« Sie schien sich aufrichtig zu freuen.

»Wir sind auch sehr glücklich.«

»Was macht deine Molly beruflich? Neben ihren hausfraulichen Pflichten?«

»Sie arbeitet als freiberufliche Lektorin. Sie bekommt von verschiedenen Verlagen Manuskripte zur Bearbeitung.«

»Dann habt ihr ja den Beruf gemeinsam.«

»Wir haben eine Menge Dinge gemeinsam.«

»Und Molly und ich haben auch eine Sache gemeinsam.« Sie machte über ihren Fauxpas ein Gesicht. »Entschuldige, David. Das hätte ich nicht sagen sollen.«

»Nein, das war wirklich nicht nötig.«

»Ich bin wahrscheinlich wie der sprichwörtliche Wolf, der nie aus seiner Haut kann.«

David lächelte. »Eigentlich besteht doch gar kein Grund, weshalb du dich ändern solltest, Deirdre.«

»Oh, vielen Dank! Ein Kompliment!« Sie schien begeistert.

»Vielleicht hätte ich dir vor sechs Jahren mehr Komplimente machen sollen. Geliebt habe ich dich ja weiß Gott genug.«

»Man sollte niemandem seine Vergangenheit vorhalten, David. Das hat uns das Leben gelehrt. Meistens zu spät. So, wie mir auch zu spät klargeworden ist, daß ich dich nicht hätte verlassen sollen.«

Sie hatte ihr Sandwich aufgegessen. Nun betupfte sie sich mit ihrer weißen Papierserviette übertrieben vorsichtig den Mund und rutschte über die Sitzbank, als wollte sie vom Tisch aufstehen. »Es war wirklich nett, dich wiederzusehen, David. Grüß Molly schön von mir und sag ihr, ich wünsche euch alles Gute. Sie hat wirklich Glück gehabt, und du auch. Und ich ...« Sie hob die Schultern. »Pech habe ich jedenfalls auch nicht gehabt. Und ich war auch nicht die ganze Zeit seit unserer Trennung unglücklich.«

»Und wie geht es dir jetzt so?«

»Jetzt? Oh, ich kann nicht klagen. Ich habe einen guten Job und verdiene nicht schlecht, auch wenn ich nicht reich bin. Ich bin also ganz zufrieden. Was will man noch verlangen? Das ist mehr, als die meisten Leute von sich behaupten können.« Sie stand auf, dann beugte sie sich unvermutet vor und küßte ihn auf die Wange. Ihr Kuß brannte wie Feuer. »Tschüß, David. Und alles Gute.«

Sie zwängte sich durch die Menge am Büfett und ging auf die Theke zu.

David biß sich auf die Lippe und beobachtete, wie sie den Deli verließ. Und wieder aus seinem Leben verschwand.

Mit einem Mal wurde ihm fürchterlich heiß, und von dem stechenden Essensgeruch wurde ihm übel.

Er stand auf und bahnte sich einen Weg nach draußen. Plötzlich entglitt ihm sein Sakko, das er sich über den Arm geworfen hatte, und fiel auf den Gehsteig.

»Hier, David.«

Deirdre hob das Sakko auf, klopfte es ab, legte es ordentlich zusammen, als wollte sie es auf ein Bett oder einen Stuhl legen, und reichte es ihm.

»Ich dachte –«

»Ich wollte mir gerade ein Taxi nehmen«, sagte sie.

»Das dürfte um diese Zeit nicht einfach sein.«

»Das habe ich bereits gehört. Aber wer nicht wagt, siegt nicht.« Lächelnd stellte sie sich an den Randstein und hob den Arm. Wie um ihre Worte zu bestätigen, überquerte im selben Moment ein Taxi die Third Avenue und hielt vor ihr an.

Sie öffnete die hintere Tür des Taxis und wandte sich noch einmal David zu. »Ich wünsche dir für dein weiteres Leben alles Gute, David!« Dann ließ sie sich rasch auf den Rücksitz sinken und zog die Tür zu.

Als das Taxi wegfuhr, starrte David wie gebannt auf ihren vom Rückfenster eingerahmten Hinterkopf, auf diese Frau, die wie eine Fremde für ihn war, obwohl sie keine Fremde war. Sie blickte so starr und reglos nach vorne, als steckte ihr Hals in einer Stützkrause. Vielleicht weinte sie, aber sicher war er nicht.

Vielleicht bildete er es sich nur ein, weil ihm zum Heulen zumute war.

Kapitel 5

Deirdre verdrängte die aufwühlenden Gefühle, die das Treffen mit David in ihr geweckt hatte. Ihre Begegnung war von dem Moment an, in dem sie sich zum ersten Mal angesehen hatten, weniger und zugleich wesentlich mehr gewesen, als sie sich vorgestellt hatte.

Auf dem Broadway blickte sie durch das Taxifenster auf die vielen Menschen auf den Gehsteigen hinaus und bat den Fahrer, sie nach der nächsten Kreuzung aussteigen zu lassen. Sie legte das Geld, zusammen mit einem angemessenen Trinkgeld, in die kleine runde Schale, die in die Plastiktrennscheibe eingelassen war, und stieg aus.

Es war ein herrliches Gefühl, sich inmitten dieser vielen Menschen zu verlieren, von allen Seiten von brodelnder Energie umbrandet zu werden. Es war, als schützten sie der Trubel und das laute Hupen und die Menschenmassen. Und es stimmte tatsächlich, dachte sie, hier in New York war sie in Sicherheit. Ein Mann, der sich einen Regenmantel über den Arm geworfen hatte, stieß um ein Haar mit ihr zusammen, wich aber im letzten Moment aus und lächelte sie an. Sie erwiderte sein Lächeln, und er zögerte, ging dann aber weiter. Mit hoch erhobenem Kopf, die Schultern nach hinten gedrückt, ließ sie sich vom Strom der Passanten forttragen. Angestellte, die von der Mittagspause an ihren Arbeitsplatz zurückhetzten, Leute auf Einkaufsbummel, Touristen ... sie war eine von ihnen, und es war ein wundervolles Gefühl, zumal ihr auch noch die Nachmittagssonne die Schultern wärmte und strahlend hell von den Gebäuden und dem sanft gerundeten Stahl der gelben Taxis zurückgeworfen wurde, die im ungeduldig sich dahinwälzenden Verkehr feststeckten. Es roch sehr stark nach Abgasen, aber das störte sie nicht. Es gab wesentlich schlimmere Gerüche.

Eine Frau, die mit einer Einkaufstüte aus einer Drehtür kam, stieß gegen sie. »Oh, hoppla! Deirdre!«

Deirdre sah sie an und lächelte. Sie war der einzigen Frau, die sie in New York kannte, im wahrsten Sinn des Wortes über den Weg gelaufen. »Darlene! Bist du gerade einkaufen!«

»Mein Konto abräumen. Diese Kreditkarten sind noch mein Ruin.« Die deutlich artikulierte, kultivierte Art, mit der Darlene sprach, hörte sich bei ihr ganz natürlich an, obwohl sie es wahrscheinlich nicht war; eher handelte es sich dabei um eine früh einstudierte Eigenart, die ihr irgendwann in Fleisch und Blut übergegangen war. Darlene war etwa so groß wie Deirdre, aber wesentlich dünner, mit einem langen, eleganten Hals, den schlanken Fesseln eines jungen Mädchens und so gut wie keinem Busen. Das Haar trug sie streng nach hinten frisiert und im Nacken zu einem Zopf geflochten. Sie hatte genau die Art von feingeschnittenem, dunkeläugigem Gesicht, mit dem sie sich eine solche Frisur erlauben konnte, dachte Deirdre neidisch. Darlene machte den Eindruck einer erfolgreichen Frau, selbständig, unabhängig, reich. Das war eins der ersten Dinge gewesen, die Deirdre an ihr aufgefallen waren, als sie im Port Authority Busbahnhof ins Gespräch gekommen waren. Das und ihre unverwechselbare Art zu sprechen.

»Ich habe gerade mit einem alten Freund zu Mittag gegessen«, sagte Deirdre. »Mit David.«

Darlene sah sie verständnislos an. Ein Mann streifte Deirdre im Vorbeilaufen und stieß sie gegen das Gebäude. Sie scherte aus dem Passantenstrom aus. Darlene folgte ihr.

»Ich dachte, ich hätte dir von David erzählt«, sagte Deirdre.

»Im Busbahnhof.«

Darlenes sanfte braune Augen wurden größer. »Stimmt, jetzt fällt es mir wieder ein. Dein Ex, oder?«

Deirdre nickte. »Wir waren zusammen mittagessen. Es war richtig nett.«

Darlene lächelte mit winzigen weißen Zähnen. »Die meisten Leute reden eigentlich anders über ihren Ex. Bestehen denn Aussichten, daß mehr als ein nettes gemeinsames Essen daraus wird?«

»Der Schuft hat in meiner Abwesenheit wieder geheiratet.« Darlene lächelte immer noch. »Das ist keine Antwort auf meine Frage.«

»Du bist mir vielleicht eine.« Deirdre lachte. Zwei Frauen starrten sie an und mußten um sie herumgehen. »Kommst du ein Stück mit?« fragte sie Darlene.

Darlene sah auf die silberne Uhr, die lose an ihrem schmalen Handgelenk hing, und hob die Schultern. »Gern. Ich treffe mich zwar gleich mit ein paar Bekannten, aber ein bißchen Zeit habe ich noch.«

Deirdre ging los, und Darlene begleitete sie. Sie tauchten in den dunklen Schatten eines Gebäudes ein, wo es merklich kühler war, dann kamen sie wieder in heißen Sonnenschein.

»Du hast meine Frage noch immer nicht beantwortet«, erinnerte Darlene sie.

»Ich weiß die Antwort nicht«, sagte Deirdre wahrheitsgemäß. Es gab aber auch Dinge, über die sie nicht mit ihr sprechen wollte, zumindest nicht in nächster Zeit.

Darlene lächelte sie an. »So, wie du aussiehst, Deirdre, liegt es ganz und gar in deiner Hand, wie die Antwort ausfällt.«