Zornesschrei - John Lutz - E-Book
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Zornesschrei E-Book

John Lutz

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Beschreibung

Ein gefährlicher Plan – mit fatalen Folgen … Der rasante Thriller »Zornesschrei« von Bestsellerautor John Lutz jetzt als eBook bei dotbooks. In den Häuserschluchten von New York geht ein Monster in Menschengestalt um: Ein wahnsinniger Serienmörder sucht sich junge Frauen als Opfer, schießt ihnen ins Herz und zerlegt ihre Leichen, sodass nur noch der Torso gefunden wird. Die Polizei bittet Ex-Cop Frank Quinn um Hilfe, der sich nach erschütternden Jahren der Mörderjagd aus dem aktiven Dienst zurückgezogen hat. Doch als er die junge, unerschrockene Jill Clark kennenlernt, wird der Fall für ihn persönlich: Denn Jill will dem grausamen Killer eine Falle stellen – und dabei selbst den Köder spielen. Quinn muss alles daran setzen, dem Psychopathen das Handwerk zu legen … bevor es zu spät ist! »Lutz in Bestform!« New York Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der abgründige Thriller »Zornesschrei« von New-York-Times-Bestseller-Autor John Lutz ist der nervenaufreibende dritte Band seiner Reihe um den New Yorker Ex-Cop Frank Quinn – Fans von Karin Slaughter werden begeistert sein! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 552

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Über dieses Buch:

In den Häuserschluchten von New York geht ein Monster in Menschengestalt um: Ein wahnsinniger Serienmörder sucht sich junge Frauen als Opfer, schießt ihnen ins Herz und zerlegt ihre Leichen, sodass nur noch der Torso gefunden wird. Die Polizei bittet Ex-Cop Frank Quinn um Hilfe, der sich nach erschütternden Jahren der Mörderjagd aus dem aktiven Dienst zurückgezogen hat. Doch als er die junge, unerschrockene Jill Clark kennenlernt, wird der Fall für ihn persönlich: Denn Jill will dem grausamen Killer eine Falle stellen – und dabei selbst den Köder spielen. Quinn muss alles daran setzen, dem Psychopathen das Handwerk zu legen … bevor es zu spät ist!

»Lutz in Bestform!« New York Times

Über den Autor:

John Lutz (1939–2021) war ein US-amerikanischer Autor von über 50 Thrillern und Romanen. Er wurde für seine Kriminalromane mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Shamus Lifetime Achievement Award und dem Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Spannungspreis Amerikas. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die folgenden eBooks:

Die Missouri-Murders-Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger:

»Missouri Murders: Schwarze Nacht«

»Missouri Murders: Kaltes Schweigen«

»Missouri Murders: Tiefe Schatten«

»Missouri Murders: Harte Strafe«

»Missouri Murders: Fatale Schuld«

Die Florida-Killings-Reihe um den Ex-Cop Fred Carver:

»Florida Killings: Brennende Rache«

»Florida Killings: Roter Tod«

»Florida Killings: Kaltes Feuer«

»Florida Killings: Sengender Verrat«

»Florida Killings: Lodernder Zorn«

Seine Frank-Quinn-Reihe um einen Ex-Cop auf der Spur von Serienkillern:

»Opferschrei«

»Blutschrei«

»Zornesschrei«

»Jagdschrei

Außerdem veröffentlichte der Autor bei dotbooks den Psychothriller »Die Stalkerin«.

Die Website des Autors: www.johnlutzonline.com

Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/JohnLutzAuthor

***

eBook-Neuausgabe August 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2008 unter dem Originaltitel »Night Kills« bei Kensington Publishing Corp., New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2016 unter dem Titel »Der Dating Killer« bei Weltbild.

Copyright © der Originalausgabe 2008 by John Lutz

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2016 by Weltbild GmbH & Co. KG, Steinerne Furt, 86167 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/gmstockstudio, Das-71, ABC-Vector

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98952-303-6

***

dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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John Lutz

Zornesschrei

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Liesen

dotbooks.

Frauen und Vogel können sehen,

ohne den Kopf zu wenden,

und das ist notwendig,

denn beide sind umgeben von Feinden.

James Stephens, Die Halbgötter

Kapitel 1

Madeline war auf der Flucht.

Sie hätte es besser wissen sollen. Hätte es wissen müssen.

Ein Insekt, eine große Biene oder Wespe, schoss mit einem schwirrenden Geräusch an ihrem Ohr vorbei, als sie um eine Ecke bog. Fast wäre ihr rechter Fuß aus dem niedrigen Turnschuh gerutscht. Einen Sekundenbruchteil später hörte sie das charakteristische Geräusch. Er feuerte auf sie.

Jetzt konnte kein Zweifel mehr bestehen, woran er in dem Auto gedacht hatte.

Er versucht, mich umzubringen.

Warum? Was habe ich getan?

Sie schnappte keuchend nach Luft und wäre vor Erschöpfung beinahe gestolpert, als sie die dunkle Straße hinablief. Auch zu dieser späten Stunde, selbst in diesem Viertel, musste doch jemand wach sein, der ihr helfen würde. Irgendjemand?

Die Angst trieb sie weiter vorwärts. Die Angst und das regelmäßige, hallende Geräusch der Schritte hinter ihr.

Wie ist es so weit gekommen?

Worum geht es eigentlich?

Wenn er nah genug herankommt, um erneut zu schießen ...

Ihre rechte Seite schmerzte jetzt. Der Schmerz war ein Feind, der sie in die Knie zwang. Sie konnte nicht mehr rennen, konnte nicht mehr weiterleben. Ihre Beine waren nicht nur müde, sondern so taub, dass sie den Kontakt ihrer Füße mit dem Bürgersteig kaum noch spürte.

Madeline wollte sich in das Unvermeidliche fügen, doch dann sah sie einen sich bewegenden Schatten und das Licht von Scheinwerfern an der nächsten Kreuzung.

Ein Auto!

Die Schritte waren jetzt dicht hinter ihr, und dann wurde erneut gefeuert. Das laute Krachen hatte etwas Endgültiges.

Das Ende war da.

Kapitel 2

Frank Quinn, ehemals Detective der New Yorker Mordkommission, jetzt im Ruhestand, saß im Lotus Diner an der Amsterdam Avenue und frühstückte. Er trank gerade einen Schluck starken schwarzen Kaffee, als ein gut gekleideter Mann mit schlaffen Backentaschen ihm gegenüber Platz nahm.

»Ich weiß, dass ich spät dran bin«, knurrte er.

»Waren wir verabredet?«, fragte Quinn.

»Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten Sie mich sehr viel eher sehen wollen.«

Quinn antwortete nicht. Er mochte diese Art nicht.

Äußerlich hätten die beiden unterschiedlicher nicht sein können. Der Mann mit den schlaffen Wangen war der New Yorker Polizeichef, Commissioner Harley Renz. Während der letzten paar Jahre hatte er etwa vierzig Pfund zugenommen, und auch der gut geschnittene dunkelblaue Nadelstreifenanzug konnte seine Korpulenz nicht kaschieren.

Quinn dagegen war groß, schlank und hatte ein energisches Kann, eine schon mehrfach gebrochene Nase und grüne Augen. Sein dunkles, grau meliertes Haar war kurz geschnitten und ein wenig zerzaust.

Renz hatte seiner Art nach etwas von einem Bluthund, Quinn von einem Wolf.

»Sie sind froh, mich zu sehen«, fuhr Renz fort. »Weil Sie eigentlich keine Lust haben, mit fünfundfünfzig im Ruhestand zu versauern.« Die Kellnerin trat an den Tisch.

»Einen Kaffee für mein Gegenüber, Thel«, bestellte Quinn.

»Ich habe noch nicht gefrühstückt«, sagte Renz. »Außer dem Kaffee nehme ich noch eine Waffel mit kalorienarmem Ahornsirup.«

»Das Zeug schmeckt scheußlich«, erwiderte Thel, eine untersetzte Frau in mittleren Jahren, die nie hübsch gewesen war, das aber durch ihre unverblümte Art wettzumachen versuchte.

»Gut, dann eben die Kalorienbombe«, sagte Renz, der dankbar war, weil noch jemand von seiner Diät nichts zu halten schien.

Vor dem Fenster floss auf der Amsterdam Avenue der Verkehr der Upper West Side vorbei. Vor der Tür hörte Quinn jemanden laut fluchen. Ein Hupen, noch ein Fluch. Typisch New York.

»Ich versauere tatsächlich«, sagte er. »Kommen Sie doch einfach zur Sache.«

»Kein Problem. Ich brauche Sie und Ihr Team.«

Quinn und die beiden anderen Detectives, die Renz ihm bei seinem letzten Fall zugeteilt hatte, waren zu Medienhelden geworden, weil sie es geschafft hatten, einen unter dem Namen »The Butcher« – der Schlächter bekannten Serienmörder zu verhaften. Ihr Erfolg hatte auch dazu geführt, dass Renz schnell die Karriereleiter erklomm und zum Polizeichef befördert wurde. Kaum einer seiner Vorgänger in diesem Amt war so populär gewesen wie er. In New York bedeutete das, dass er praktisch tun und lassen konnte, was er wollte, und das hieß eben auch, dass er drei Ex-Detectives zeitweise zum New York Police Department zurückholen konnte, wenn die einverstanden waren. Ihm war klar, dass Quinn dazu bereit war, und wenn er dabei war, würde es bei seinen beiden Detectives nicht anders sein. Wie Renz war auch Quinn ein Mann, dem man nur schwer einen Wunsch abschlagen konnte.

»Warum brauchen Sie uns?«

Renz lächelte. »In dieser Stadt, Quinn, sind Sie der Spezialist, wenn es darum geht, Serienmörder zur Strecke zu bringen.«

»Wenn Sie es sagen.«

»Ihre Erfolge sprechen für sich.«

»Nach unserem letzten Erfolg wurden Sie zum Polizeichef befördert.«

»Und Sie haben sich rehabilitiert und wurden ein Held. Auch bei diesem Fall haben wir beide etwas zu gewinnen, Quinn. Eine Hand wäscht die andere. So läuft das auf dieser Welt.«

»In Ihrer Welt. Was wollen Sie denn jetzt werden? Bürgermeister von New York?«

Renz zuckte die Achseln. »Wer weiß?«

Quinn hatte durchaus den Eindruck, doch er konnte sich Renz als Bürgermeister nicht vorstellen. Andererseits hatte er ihn sich früher auch nicht als Polizeichef vorstellen können.

»Wie sehen die Konditionen aus?«, fragte Quinn.

»Wir heuern Sie nur zeitweise an. So gibt es keine Probleme wegen Ihrer Abfindung oder der Fortzahlung Ihrer Pension.«

Quinn machte sich wegen des Geldes keine Gedanken. Kurz nach dem Fall »Night Prowler« hatte ihm die Stadt eine große Abfindung zahlen müssen, weil er zu Unrecht beschuldigt worden war, eine Vierzehnjährige vergewaltigt zu haben. Der Täter war ein anderer Cop gewesen, und Quinn hatte es bewiesen. Trotzdem blieb etwas hängen, sein guter Ruf war beschädigt. Also hatte er bei der außergerichtlichen Einigung so viel Geld wie möglich herausgeschlagen, um seine Anwälte bezahlen zu können und um außer der Pension noch ein ansehnliches finanzielles Polster zu haben.

»Ich bin nur dabei, wenn mich der Fall interessiert«, sagte er.

»Oh, keine Sorge.«

Thel kam mit Renz’ Kaffee, der Waffel und einer kleinen Flasche, die aussah wie jene, in denen in Flugzeugen Spirituosen ausgegeben werden. Sie tippte mit einem rot lackierten Fingernagel auf den Schraubverschluss der Flasche. »Kalorien hin oder her, dieses Zeug ist konkurrenzlos gut.«

»Ich glaub’s Ihnen sofort, meine Süße«, sagte Renz.

Als Thel verschwunden war, bestrich er die Waffel dick mit Butter und kippte dann den gesamten Inhalt der Flasche darüber.

»Wir haben da einen Serienmörder, aber die Medien haben noch keinen Wind davon gekriegt«, sagte er zu Quinn. »Außer Cindy Sellers, die weiß Bescheid.«

»Wie viele Opfer?«

»Zwei Frauen.«

»Scheint mir nicht zu reichen, um von einem Serienmörder zu reden.«

»Sie wurden beide auf dieselbe unverwechselbare Weise umgebracht.«

»Also haben Sie die Leichen?«

Renz griff nach Messer und Gabel und begann, sein Frühstück zu verputzen. »Zumindest Teile davon«, antwortete er schließlich mit vollem Mund. »Nein, das ist nicht ganz richtig. Wir haben Torsos. Körper ohne Kopf und Gliedmaßen.« Er leckte sich genießerisch die Lippen und zeigte auf die Flasche. »Das Zeug schmeckt wirklich super.«

Kaum hatte Renz sich das letzte Stück seiner Waffel in den Mund geschoben, da eilte Thel schon mit der Kaffeekanne an ihren Tisch, wahrscheinlich, weil der Polizeichef sie »meine Süße« genannt hatte. Sie schenkte nach und kehrte hinter die Theke zurück.

»Erschossen mit derselben Waffe.« Renz schob seinen leeren Teller zur Seite, leckte einen Finger ab, an dem noch etwas Ahornsirup klebte, und trank dann einen Schluck Kaffee. Er hatte es nicht eilig und wollte Quinn auf die Folter spannen. »Eine Kugel ins Herz, Kaliber 22. Hohlmantelmunition.«

»Eine kleine Handfeuerwaffe.«

»Groß genug. Der amtliche Leichenbeschauer meint, die beiden Schüsse seien tödlich gewesen, doch es könnte eine Weile gedauert haben, bis es so weit war. Es ist auch möglich, dass ihnen durch einen Kopfschuss der Rest gegeben wurde, doch da wir die Köpfe nicht haben, können wir es nicht wissen.«

»Ein Profikiller?«

»Nein. Ein Profi wäre nicht das Risiko eingegangen, Zeit damit zu verlieren, um die Leichen zu zerstückeln.«

Quinn hielt das für plausibel, warnte sich aber, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen.

»Und noch etwas«, fuhr Renz fort. »Beide Frauen wurden im Genitalbereich mit einem langen, spitzen Gegenstand verletzt. Nicht mit einem Messer. Vielleicht mit irgendeinem Stab.«

»Hoffentlich waren sie da schon tot«, sagte Quinn.

»Laut Nift schon.« Dr. Julius Nift war ein sehr guter Rechtsmediziner, aber auch ein Zyniker. »Nift schien fast enttäuscht zu sein, dass der Killer noch einen Funken Mitleid empfunden hat.«

»Es ist auch einfacher, jemanden genital mit einem spitzen Gegenstand zu verstümmeln, wenn man ihn zuvor erschossen hat. Dann kann er sich nicht mehr wehren.«

»Deshalb sind Sie genau der richtige Mann für diesen Fall«, bemerkte Renz. »Sie können sich hineinversetzen in den Kopf dieser Gestörten.«

»In Ihren auch.«

»Glauben Sie, dass er das macht, weil er keinen mehr hochkriegt?«

»Kann schon sein.«

Renz leckte erneut seinen Finger ab und schaute lächelnd sein Gegenüber an. »Wie lautet Ihre Antwort?«

»Wir sind dabei«, sagte Quinn. »Ich rufe Feds und Pearl an.«

Feds war Larry Fedderman, früher ebenfalls Detective bei der Mordkommission, ebenfalls im Ruhestand.

Und Pearl war ... Nun, eben Pearl.

Und das konnte ein Problem werden.

Kapitel 3

Pearl war eine kleine Frau mit ausgeprägten weiblichen Rundungen, und selbst in ihrer grauen Uniform sah sie umwerfend aus. Blasse Haut, schwarze, tiefschwarze Haare und Augen, ebenmäßige, sehr weiße Zähne. Sie verströmte eine unglaubliche Energie und war so attraktiv, dass man glaubte, selbst ein Blinder müsste es sehen.

Sie beobachtete einen Mann, der an einem Tisch stand, wo Formulare für Einzahlungen und Abhebungen ausgefüllt wurden. Er schien sich eine Menge Zeit dabei zu lassen und blickte sich immer wieder in der Bank um.

Die Sixth National Bank war unübersehbar ein älteres Geldinstitut. Jede Menge Marmor, holzgetäfelte Wände, viel glänzendes Messing. Hinter der langen Reihe der Schalterkabinen sah man die große offene Tür des Tresorraums und fühlte sich ins 19. Jahrhundert zurückversetzt. Es war eine jener Traditionsbanken, in denen sich nie etwas zu ändern schien und man sein Geld in Sicherheit glaubte.

Pearl gefiel der Job als Sicherheitsbeamtin bei der Sixth National Bank. Er hatte entfernte Ähnlichkeiten mit dem Beruf einer Polizistin, nur ging es gemütlicher zu. Ihre Uniform war nicht blau, sondern grau, aber es war eine Uniform. Man stand praktisch auch hier die ganze Zeit und benötigte ähnliche Fähigkeiten. Allerdings hätte das Gehalt besser sein können. Aber sie wollte sich nicht beklagen. Die Waffe in dem Hüftholster würde sie wahrscheinlich nie ziehen müssen. Und falls doch einmal jemand auf die Idee kommen sollte, die Bank auszurauben, etwa dieser Idiot, der eine Ewigkeit brauchte, um ein Formular auszufüllen ...

Nun, sie war bereit.

Der Typ, der sich so mit dem Formular abmühte, war abgemagert, trug ein ärmelloses Hemd und entblößte so jede Menge blassblaue Tätowierungen, wie man sie sich im Gefängnis verpassen lässt. Als er es endlich geschafft hatte, schlenderte er zu einer Schalterbeamtin und reichte ihr den Einzahlungsbeleg und etwas Bargeld.

Pearl entspannte sich und lehnte sich gegen eine Wand, um den Kunden nicht im Weg zu stehen. Trotzdem behielt sie Mr Tattoos misstrauisch im Auge.

Ihr Mobiltelefon, das neben der Pistole an ihrem Gürtel festgemacht war, klingelte und vibrierte. Sie griff danach und schaute auf das Display.

Quinns Nummer.

»Hallo, Quinn.«

»Ich hab dir einen Vorschlag zu machen«, sagte die Stimme am anderen Ende.

Ihr Blick glitt zu dem tätowierten Typ und der Schalterbeamtin hinüber, einer Frau namens Judy. Sie war zweiundzwanzig, pummelig und hatte ein rundliches, hübsches Gesicht. Gewöhnlich war ihre Miene gleichgültig, erst wenn das Mittagessen bevorstand hellte sie sich auf. Jetzt bedachte sie Mr Tattoos mit einem finsteren Blick. Gab es eine Meinungsverschiedenheit?

»Was für einen Vorschlag?«, fragte Pearl, die das Gespräch schnell hinter sich bringen wollte für den Fall, dass es Ärger gab.

»Renz hat mit mir gesprochen. Sieht so aus, als triebe in New York wieder ein Serienmörder sein Unwesen. Noch haben die Medien keine Ahnung, doch das wird nicht mehr lange so bleiben. Nur Cindy Sellers weiß schon von der Story und wird in City Beat darüber schreiben.«

Pearl erinnerte sich an Cindy Sellers, eine hartnäckige kleine Brünette, die immer schnell den richtigen Riecher hatte.

Vielleicht hätte man das von ihr auch sagen können.

»Ein Serienmörder könnte Renz’ Karriere schaden«, sagte Pearl.

»Nicht, wenn er dafür sorgt, dass der Killer gefasst wird. Dann macht er vielleicht noch einen Karrieresprung. Er will, dass wir beide und Feds wieder zusammenarbeiten, um den Typ zu schnappen.«

»Er ist doch schon Polizeichef. Was will er denn noch werden?«

»Vielleicht Bürgermeister. Wie auch immer, er will, dass wir diesen Killer jagen.«

Pearl behielt Mr Tattoos und Judy permanent im Auge. Sie hatten eine Meinungsverschiedenheit. Judys Gesicht war bleich, und sie wirkte ungewöhnlich wütend, schien sich aber zu bemühen, einen kühlen Kopf zu bewahren. Der dürre Mann hatte sich vorgebeugt und redete auf sie ein.

»Pearl?«

»Ja, bin noch dran«, sagte sie, während sie zu Judy und dem Tätowierten ging. »Ein Serienmörder. Klingt interessant.«

»Die Cops haben nur Torsos der Leichen, ohne Kopf und Gliedmaßen. Außerdem verstümmelt der Killer die Opfer mit einem scharfen, spitzen Gegenstand im Genitalbereich. Mit Feds habe ich noch nicht gesprochen. Bist du dabei?«

»Nur Torsos, sagst du?«

»Genau. Beide Frauen wurden durch einen Schuss ins Herz getötet, abgefeuert aus derselben Waffe.«

»Verdammt«, sagte Pearl.

Mr Tattoos hatte etwas gesagt, das Judy zusammenzucken ließ. Dann drehte er sich um und ging schnell Richtung Ausgang.

Pearl schaute zu dem Schalter hinüber.

Judy blickte sie an.

Sie wies mit einer Kopfbewegung auf Mr Tattoos und schien zu sagen, Pearl solle ihn sich schnappen.

»Bist du dabei, Pearl?«

Pearl lief los, stieß eine Frau zur Seite, die sich an einer Warteschlange angestellt hatte, und eilte zu Mr Tattoos. »Halt, stehen bleiben«, sagte sie bestimmt, aber doch so verbindlich, dass es nicht gleich Ärger geben würde. »Bleiben Sie, wo Sie sind.«

»Was ist denn, Pearl? Stimmt was nicht?«

Sie schob das Handy in die Seitentasche ihrer grauen Uniformhose und trat einen Schritt näher zu auf Mr Tattoos, der ihr einen Blick zuwarf und wegrennen wollte. Pearl rammte ihm so hart den Ellbogen in die Rippen, dass ihr rechter Arm taub wurde. Der Mann landete auf dem harten Marmorboden. Aus dem Augenwinkel sah sie Kunden davonlaufen, eine Frau schrie.

Der Tätowierte rappelte sich auf. »Miese Schlampe!«, schrie er.

Als er wieder abhauen wollte, stellte Pearl ihm ein Bein, und er ging erneut zu Boden. Diesmal versuchte er nicht, wieder aufzustehen.

Pearl griff nach ihrer Waffe, konnte sie aber aus irgendeinem Grund nicht aus dem Holster ziehen. Zum Teufel damit. Sie kniete neben dem Gestürzten nieder, drehte ihn auf den Bauch und griff nach ihren Handschellen. Er leistete keinen Widerstand. Vielleicht hatte er sich verletzt.

»Miss Kasner!«, rief eine Frauenstimme. »Tun Sie ihm nichts, Miss Kasner! Bitte!«

Pearl blickte auf und sah Judy. Hinter ihr standen die Bankkunden wie erstarrt da, und einige hatten sich sogar zu Boden geworfen.

»Sie haben mir zu verstehen gegeben, ich solle ihn aufhalten«, sagte Pearl zu Judy. »Ist er kein Bankräuber?«

»Nein, er plündert nur mich aus, weil er sich weigert, für unser Kind Alimente zu zahlen. Er ist mein Exmann, kein Bankräuber.«

Pearl stand wütend auf. Ihr Ellbogen schmerzte. »Warum zum Teufel haben Sie mir dann bedeutet, ich solle ihn aufhalten?«

»Keine Ahnung!« Judy begann zu weinen.

Der Tätowierte setzte sich auf und warf Pearl einen aggressiven Blick zu. »Ich werde Sie verklagen«, knurrte er Pearl an.

»Mich verklagend Sie haben Glück, wenn ich Sie nicht ...«

»Miss Kasner.« Eine andere Stimme, die von Mr Copperthwaite, dem Geschäftsführer der Bank. »Wenn Judy sich beruhigt hat, würde ich Sie gern beide in meinem Büro sehen.«

»Mir fehlt nichts.« Judy wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augenwinkeln und verschmierte dabei Wimperntusche. Dann kniete sie nieder und strich Mr Tattoos eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Mein Gott, was für ein Theater«, schimpfte Pearl, die ihre Uniform abklopfte und sich dann den schmerzenden Ellbogen rieb.

»Pearl ...?«

Eine schwache, vertraute Stimme.

Ach ja, Quinn ... Sie zog das Mobiltelefon aus der Tasche und hob es ans Ohr.

»Ich bin dabei«, sagte sie.

Fedderman fragte sich, ob er nicht zu früh in den Ruhestand getreten war. Er war jünger als die drei Freunde, mit denen er gerade eine Partie Golf spielte. Sie alle besaßen eine Eigentumswohnung im Apartmentblock Coral Castle an der friedlichen und landschaftlich wunderschönen Südwestküste von Florida. Wenn man von der Jahreszeit mit den tropischen Wirbelstürmen absah, war es hier paradiesisch, und Fedderman war klar, dass er eigentlich glücklich sein müsste, doch seine Frau Blanche hatte ihn verlassen ... Vor einem Jahr, doch es kam ihm nicht so vor, als wäre es schon so lange her. Nun hatte er in diesem Leben nichts anderes mehr zu tun, als seine Pension einzustreichen, im Liegestuhl zu faulenzen oder Golf zu spielen. Und von einem Pensionär erwartete man, dass er das Faulenzen und Golf liebte.

Auch am Angeln hätte er Gefallen finden sollen, doch einiges von dem, was er beim Hochseefischen aus dem Wasser gezogen hatte, machte ihm Angst, und außerdem wurde er leicht seekrank.

»Mach endlich, Larry, wie lange sollen wir noch warten?«, brüllte Chet, einer der Viererbande.

Fedderman blickte zu ihm hinüber und winkte. Der verdammte Ball lag abseits des Fairways im Rough, zwischen hohen Gräsern. Es grenze an ein Wunder, dass er ihn überhaupt entdeckt hatte.

Fedderman war groß und hager, hatte aber einen Blähbauch. Was er auch trug, die Klamotten schienen ihm nie wirklich zu passen, und seine Golfkleidung machte da keine Ausnahme. Sie sah aus, als hätte er sie sich von einem anderen geliehen. Ein Ärmel des blauen Strickpullovers wirkte länger als der andere, die karierte Hose viel zu groß. Außerdem war das Outfit zu warm, denn das Wetter war heiß. Und feucht.

Als er zu dem Ball ging, schlug er nach einem Moskito und verfehlte ihn. Er schwang den Golfschläger ein paarmal hin und her und schlug den Ball aus dem Rough. Die weiße Kugel flog in Richtung des Grüns, wurde dann jedoch plötzlich nach rechts abgetrieben, als wäre sie von einem Jetstream erfasst worden, und landete zwischen ein paar Bäumen.

»Das war wohl nichts!«, schrie Chet, der Fedderman allmählich schwer auf die Nerven ging.

Auf zum nächsten Versuch. Die drei anderen standen auf dem Grün, er war allein in einem Palmenwäldchen mit einem Wasserlauf. Da lag der Ball, auf einem Fleckchen Gras, das nicht besonders hoch war, weil hier zwischen den dicht beieinanderstehenden Bäumen nie ein Sonnenstrahl hinkam.

In der Nähe des Wasserlaufs bewegte sich etwas. Dort war das Gras höher, und Fedderman sah nichts. Er hatte gehört, es gebe hier Alligatoren, doch bisher hatte er nie einen gesehen, obwohl sein Ball häufig im Rough landete. Er war sich sicher, etwas gesehen zu haben, und es lief ihm eiskalt den Rücken hinab.

Schnell ging er weiter und bereitete sich auf den nächsten Schlag vor. Er musste den Ball so treffen, dass er niedrig zwischen den Stämmen von zwei Palmen hindurchflog. Nur dann hatte er eine Chance, dass er in der Nähe des kaum sichtbaren Grüns landete.

»Wird’s bald?«, schrie Chet. »Mach endlich, Larry!«

Halt die Klappe, du Idiot!

Wieder nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung war. Vielleicht lauerte da doch irgendwo ein Alligator.

Fedderman holte aus und schlug den Ball Richtung Fairway.

Diesmal hatte er ihn genau richtig getroffen. Es war ein großartiges Gefühl.

Aber der Ball knallte gegen einen Baumstamm, prallte ab und traf Fedderman am Kopf.

Er ließ den Golfschläger fallen, fasste sich an den Kopf und taumelte aus dem Wäldchen in das grelle Sonnenlicht. Fast wäre er in dem hohen Gras gestürzt. Wieder hörte er Chet etwas brüllen. Oder lachte er vielleicht?

Dieser verdammte Dreckskerl!

Ich hasse Golf

Zum Teufel mit Florida!

Er musste von hier verschwinden. Es musste sein.

Sein Mobiltelefon zirpte.

Kapitel 4

Zwei Monate früher ...

Im CitiGroup Building an der Ecke Third Avenue und Fifty-third Street ging Shellie Marston in dem großen Atrium nervös auf und ab. Als sie erneut an einem Schaufenster vorbeikam, studierte sie darin möglichst unauffällig ihr Spiegelbild. Sie war Ende zwanzig, hatte mittellanges blondes Haar und eine Figur, die man vielleicht als vollschlank bezeichnen konnte. Sie trug einen neuen, kastanienbraunen Jogginganzug von Avanti, strahlend weiße Laufschuhe und einen weißen Schal. Auf Schmuck hatte sie abgesehen von kleinen goldenen Ohrringen verzichtet, und ihre unauffällige Uhr hatte ein Armband mit Klettverschluss. Vor ihr lag das erste Treffen mit ... David Adams. Es hatte eine Sekunde gedauert, bis ihr der Name eingefallen war. Ein Treffen an einem öffentlichen Ort, arrangiert über E-Bliss.org.

In dem Atrium hielten sich nicht viele Leute auf, doch es wirkte so, weil alle Geräusche laut von den Marmorwänden widerhallten. Stimmen und Schritte sorgten für ein konstantes Hintergrundgeräusch. New Yorker und Touristen flanierten an den Geschäften vorbei oder eilten zu den Rolltreppen.

Als sie den Blick von dem Schaufenster abwandte, sah Shellie, dass einer der kleinen runden Tische vor den Geschäften frei geworden war. Sie hatte sich ein Milchmixgetränk gekauft und trug den Styroporbecher zu dem Tisch, wo sie sich setzte und den Becher auf eine Papierserviette stellte.

Wenn er sie das erste Mal sah, würde sie sitzen. War das vorteilhaft? Wenn sie es stilvoll genug hinbekam, wohl schon. Sie drückte die Oberschenkel zusammen, setzte die Füße in den neuen Joggingschuhen leicht voreinander und legte ihre linke Hand in den Schoß. So musste sie ein hinreichend würdevolles Bild bieten.

Sie hob die linke Hand, um einen Blick auf ihre Armbanduhr zu werfen. Schon jetzt war er fünf Minuten zu spät dran. Nervös trank sie einen Schluck. Würde er überhaupt auftauchen? Oder würde sie noch eine Viertelstunde warten müssen? An einem Nachbartisch spielten zwei alte Männer Schach, die ihr zuweilen einen verstohlenen Blick zuwarfen. Sie wussten, dass sie auf jemand wartete.

Shellie versuchte, das Gefühl der Beschämung zu unterdrücken. Selbst wenn er sie versetzte, es spielte keine Rolle, nicht in New York. Hier wimmelte es nur so von unzuverlässigen und rätselhaften Charakteren.

Sie war erst seit einem guten Monat in der Stadt und hatte bisher nur ein paar flüchtige Bekanntschaften gemacht. Aus Bluebonnet in Nebraska hatte sie die Habe ihrer toten Mutter mitgebracht und das Geld aus deren Lebensversicherung. Ihr Vater war schon vor zehn Jahren gestorben, eine entfernte Tante vor ein paar Monaten, und Shellie hatte keine Geschwister. Sie war allein auf der Welt, und das war einer der Gründe, warum sie beschlossen hatte, in New York ein neues Leben zu beginnen.

Warum nicht in der größten und interessantesten Stadt des Landes? Sie hatte starke Nerven und einen Universitätsabschluss. Da sie schon immer eine Einzelgängerin gewesen war, hatte sie in Bluebonnet keine engen Bindungen gehabt.

Und auch keinen Freund, nach dem Ende ihrer Affäre mit Mark Drucker. Der stets lächelnde Mark, erst Football-Held der Highschool, dann Studienabbrecher, saß heutzutage fast nur noch vor dem Fernseher und war süchtig nach Filmen und alten Serien. Abgesehen davon interessierte ihn nur Sex. Guter Gott. Nun, sie hoffte, dass er unterdessen eine andere Frau gefunden hatte, die seine Passionen teilte, mit ihm vor der Glotze saß oder es auf der Rückbank seines Camaro mit ihm trieb (Baujahr 1969, seine einzige wirkliche Liebe). Für sie, Shellie, war es an der Zeit, eine Herausforderung zu suchen. Sie wollte sehen, ob sie allein etwas aus ihrem Leben machen konnte.

Und sie war überzeugt davon, dass sie es schaffen würde. Nur war sie eben so verdammt einsam. In New York konnte das leicht passieren. Man lebte in einer Metropole mit Millionen Einwohnern, doch wenn man niemanden kannte, war man hier so isoliert wie ein Schiffbrüchiger auf einer einsamen Insel.

Schließlich hatte sie etwas getan, worüber sie schon lange nachdachte. Vielleicht war es nicht die beste Idee, die Einsamkeit überwinden zu wollen, indem man sich einer Da- ting-Site im Internet anvertraute, aber sie hatte schließlich doch beschlossen, es zu versuchen. Manchmal musste man etwas riskieren in diesem Leben.

Nachdem sie wochenlang die Website von E-Bliss.org. besucht hatte, ließ sie sich registrieren und füllte den umfangreichen Fragebogen aus, der die Grundlage für die Partnersuche der Agentur war. Dann hieß es warten.

Nach einer guten Woche kam die ungeduldig erwartete E-Mail. Das angehängte Profil hatte nicht viel verraten über ihren angeblichen Seelenverwandten, David Adams, es enthielt nicht mal ein Foto. Aber das war schon okay. Shellie erinnerte sich, wie sehr sie gezögert hatte, ein Foto von sich an E-Bliss.org zu mailen. Wenn ein Bild erst einmal im Internet war, konnte man nicht wissen, ob es nicht sonst noch irgendwo auftauchte. Jemand konnte ihren Kopf auf den Körper einer anderen Frau montieren oder wer weiß was anstellen. Sie hatte schon die tollsten Geschichten gehört.

Shellie hatte sich den Ort des ersten Treffens aussuchen dürfen und war pünktlich zur verabredeten Zeit erschienen.

Doch das war jetzt zehn Minuten her, und sie wartete immer noch auf ihr erstes Rendezvous seit ihrem Umzug nach New York. Bisher hatte sich niemand für sie interessiert, abgesehen von einem abgerissenen Typen, der letzte Woche versucht hatte, sie vor einem Starbucks anzumachen.

Von der anderen Seite des Atriums her beobachtete sie David Adams, der hin und wieder so tat, als würde er das Schaufenster eines Geschäftes für Koffer und Taschen studieren. Er lächelte. Da war sie, Shellie Marston aus Nebraska. Vielleicht hatte er zu viel erwartet. Die perfekte Traumfrau war sie nicht, doch er würde mit ihr vorliebnehmen.

Adams trug eine ordentlich gebügelte Bauwollhose, ein blaues Strickhemd und weiße Joggingschuhe. Selbst aus dieser Entfernung sah er, dass Shellie sich auch für weiße Laufschuhe entschieden hatte. Sein Lächeln wurde breiter. Damit hatten sie schon etwas gemeinsam. Vielleicht würde es klappen mit ihnen.

Er war ein stattlicher Mann mit ebenmäßigen Gesichtszügen, den man aber nicht gleich auf den ersten Blick wiedererkannt hätte. Es dauerte eine Weile, bis man sein männliches Gesicht als attraktiv empfand. Sein Haar war dunkelbraun und wellig, und er trug es etwas länger, damit man seine abstehenden Ohren nicht sah. Er war gut einen Meter achtzig groß und muskulös und bewegte sich mit athletischer Leichtigkeit. Eigentlich musste man alles an ihm mögen: seine umgängliche Art, das sympathische Lächeln, die gepflegte äußere Erscheinung. Er war die Art Mann, die gut in die romantischen Tagträume der meisten Frauen passte. Und wenn er sie schließlich ins Bett gekriegt hatte, sahen sie in ihm das Ideal ihrer Träume, das sie sich seit dem ersten Kuss bewahrt hatten.

Nachdem er Shellie noch etwas eingehender studiert hatte, beschloss er, es zu versuchen. Er ging auf sie zu, den Blick auf ihr Gesicht gerichtet.

Ja, jetzt hatte sie ihn gesehen. Die ersten Augenblicke waren wichtig.

Es war immer eine gute Strategie, zu spät zu erscheinen. Für einen Moment erkannte er an ihrer Miene, wie erleichtert sie war, dass er überhaupt auftauchte.

Er lächelte sie an.

Shellie zwang sich, das Lächeln zu erwidern, als der Mann auf ihren Tisch zusteuerte. Das musste David Adams sein. Sie hatte keine Ahnung, warum sie sich zwingen musste, ihn anzulächeln. Mit dem Mann schien alles in Ordnung zu sein, zumindest auf den ersten Blick. Eigentlich sah er nicht aus wie jemand, der die Dienste einer Dating-Site in Anspruch nehmen musste. Aber sie glaubte, dass sie es auch nicht nötig gehabt hätte.

Wieder musste sie sich sagen, dass es nicht unanständig war, im Internet einen Partner zu suchen. Die Zeiten, wo man so gedacht hatte, waren vorbei. In einer geschäftigen Millionenstadt wie New York war das Leben stressig, und die Leute hatten keine Zeit, auf die altmodische Art und Weise Beziehungen anzubahnen, was in Nebraska durchaus noch häufig vorkam. Auf der Highschool hatte Shellie ein Mädchen gekannt, dessen Verehrer die Eltern um die Erlaubnis fragen mussten, mit ihrer Tochter ausgehen zu dürfen.

Hätte jemand um ihre Hand anhalten wollen, hätte er sich an niemanden wenden können, denn sie hatte keinen Vater mehr. Sie war auf sich allein gestellt. Und sie konnte sich selbst eine Meinung bilden.

Je mehr sich David Adams ihrem Tisch näherte, desto überzeugter war sie davon, dass es die richtige Entscheidung gewesen war, es über E-Bliss.org zu versuchen.

»Shellie Marston?«, fragte er, als er nur noch ein paar Schritte entfernt war. Die Stimme klang sympathisch. Offenbar war er ein sensibler Mann. Ein bisschen zögernd und schüchtern, wie sie selbst.

»Ja.« Sie stand lächelnd auf. »Sie müssen David Adams sein.«

Sie schüttelten sich die Hand.

Shellie hoffte, dass ein Funken überspringen würde, sie hoffte auf eine Emotion, die auf eine gemeinsame, bessere Zukunft hindeutete. Körperliche Anziehung war nicht alles. Vielleicht am Anfang.

Sie wurde nicht enttäuscht.

Kapitel 5

Cindy Sellers saß allein an einem Ecktisch bei PJ. Clarkes an der Ecke Third Avenue und Fifty-fifth Street. Sie war umgeben von leisem Stimmengemurmel, dem Klappern von Besteck und Geschirr, gelegentlichem Gelächter aus der angrenzenden Bar. In der Luft hing der Geruch von Kräutern und Gewürzen.

Das Restaurant in dem altehrwürdigen Lokal war mit dunklem Holz getäfelt, die Beleuchtung gedämpft. Etwas an der Art der jungen Frau, die allein an einem Tisch vor einem Teller mit Eintopf und einem Glas Guinness saß, hinderte die Typen an der Bar oder die anderen Gäste in dem Speisesaal daran, sich ihr zu nähern. Sie war durchaus attraktiv mit ihren aufmerksamen, großen braunen Augen, dem kurz geschnittenen braunen Haar und der schlanken Figur. Doch etwas an ihrer Ausstrahlung ließ manche Leute bisweilen vor ihr zurückschrecken. Sie hingegen hatte kein Problem damit, auf andere zuzugehen und sie dazu zu bewegen, ihr Zögern aufzugeben und ihr von Dingen zu erzählen, von denen sie niemals geglaubt hätten, dass sie sie einem anderen anvertrauen würden.

Es war noch zu früh fürs Abendessen, deshalb waren nur wenige Gäste da. Sie konnte in Ruhe nachdenken, und genau deshalb war sie hier. Vor ihr auf dem Tisch lagen ihre Notizen über die Fälle, die sie die »Torso-Morde« nannte, außerdem ein korrigierter Entwurf für ihre Story.

Und was für eine sensationelle Story es war. Der Zeitpunkt rückte näher, wo sie sich nicht mehr verpflichtet fühlen würde, sie weiter zurückzuhalten, wie sie es Commissioner Renz versprochen hatte.

Vielleicht war schon jetzt der richtige Augenblick gekommen, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Sie trank einen Schluck Guinness. Die Öffentlichkeit hatte einen Anspruch darauf, Bescheid zu wissen, wenn ein sadistischer Killer auf freiem Fuß war und eventuell wieder morden würde. Es war ihre berufliche Pflicht, die Leute zu informieren, besonders dann, wann dadurch die Auflage stieg und man die eigene journalistische Karriere voranbrachte. Aber Renz war jetzt Polizeichef, nicht irgendein Cop, und er hatte ein hohes politisches und öffentliches Ansehen. Natürlich wusste er nicht, dass er nicht ihre einzige Quelle war, und er hatte keine Ahnung, dass sie erfahren hatte, dass er Frank Quinn, ehemals Chef der Mordkommission, zurückgeholt hatte, außerdem seine beiden früheren Kollegen, diese aufdringliche Schlampe Pearl und den glücklosen Fedderman, der aber immerhin ab und zu einen Geistesblitz hatte. Es gab hohe Tiere beim New York Police Department, die es gar nicht schätzten, wenn Renz diese ehemaligen Cops reaktivierte, damit er sich im Glanz ihres Erfolges sonnen und eventuell noch Bürgermeister werden konnte. Diese Unzufriedenen waren Leute, die sie für ihre Zwecke einspannen konnte und benutzte.

Natürlich würde es Renz nicht gefallen, wenn zu früh publik wurde, dass er Quinn und seine alten Partner wieder an Bord geholt hatte. Andererseits wusste er, dass das bald ein Thema der Medien sein würde, und er wollte es sogar. Schließlich waren es seine Leute, die für ihn im Besonderen und für die Bevölkerung New Yorks im Allgemeinen arbeiteten. Und es würde ihn auch nicht schockieren sein, wenn er erfuhr, dass es beim NYPD mehr als nur eine undichte Stelle gab.

Trotzdem, er war der Polizeichef. Sie respektierte die Macht. Bis zu einem gewissen Punkt.

Sie trank einen großen Schluck Guinness, zog ihr Mobiltelefon aus der Handtasche, die auf dem Stuhl neben ihr lag, und wählte Renz’ Privatnummer.

Niemand meldete sich.

Sie versuchte es mit seiner Handynummer.

Offensichtlich hatte er das Mobiltelefon abgestellt.

Schließlich rief sie im Polizeipräsidium an, wo die Frau von der Vermittlung sie höflich bat, sich einen Moment zu gedulden. Sie seufzte und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte. Geduld war nicht ihre Stärke.

Zum Teufel mit ihm, dachte sie und unterbrach die Verbindung. Sie hatte ihn informieren wollen, bevor sie die Story veröffentlichte, von der wahrscheinlich auch die Konkurrenz wusste, ohne sie aber bestätigen zu können. Die Uhr lief, und sie hatte getan, was sie konnte.

Am nächsten Morgen würde die aktuelle Ausgabe von City Beat an Kiosken und Zeitungsautomaten zu haben sein, und Cindy war schon jetzt völlig aufgekratzt. Sie hatte keinen Hunger und schob den Eintopf zur Seite, von dem sie kaum ein paar Löffel gegessen hatte. Nach einem weiteren Schluck Guinness setzte sie ihre Lesebrille auf und arrangierte vor sich auf dem Tisch den Entwurf ihrer Story, abgefasst in einer Kurzschrift, die nur sie lesen konnte. Dann griff sie nach ihrem Mobiltelefon und rief den Herausgeber von City Beat an.

»Halten Sie sich gut fest«, sagte sie, als er abnahm.

Ohne eine Reaktion am anderen Ende abzuwarten, begann sie damit, dem Herausgeber den Entwurf vorzulesen, leise genug, dass die Gäste an den anderen Tischen sie nicht verstehen konnten.

Wie nicht anders zu erwarten, war der Herausgeber begeistert.

Als sie das Gespräch beendete und das Handy zuklappte, hatte sie seltsamerweise auf einmal doch Appetit. Sie zog den Teller wieder zu sich heran. Der Eintopf war noch warm. Nachdem sie sich ein zweites Guinness bestellt hatte, begann sie zu essen.

Er hatte den Besenstiel in der Mitte durchgesägt und ein Ende angespitzt. Jetzt begann er mit dem Abschmirgeln, was er immer gerne tat. Er würde zunehmend feinkörnigeres Sandpapier benutzen, während er das spitz zulaufende Ende abschmirgelte.

Dafür benötigte er fast eine Stunde. Während er arbeitete, schaute er hin und wieder auf den Fernseher, wo ein alter Spaghetti-Western mit Clint Eastwood lief. Der Ton war abgeschaltet, aber es gab Untertitel. Das reichte vollkommen. Er hatte den Film schon ein halbes Dutzend Mal gesehen und kannte die Dialoge praktisch auswendig. Das regelmäßige Geräusch des Schmirgelpapiers auf dem Holz war beruhigend.

Als seine Hände und Unterarme zu schmerzen begannen, legte er das Sandpapier weg und fuhr mit dem Finger über den Besenstiel, bis zur Spitze. Wenn er später noch etwa eine Stunde mit dem feinkörnigen Sandpapier geschmirgelt hätte, würde er das Holz mit einem guten Öl einreiben, aber nicht mit zu viel Öl. Das Holz des angespitzten Besenstiels sollte glatt sein, doch nicht zu glatt.

Es war nicht Teil seines Plans gewesen, dass es ihn sexuell erregen sollte, und doch war es so, er konnte es nicht leugnen. Und er fragte sich, ob sie dafür schon tot sein mussten.

Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er schluckte.

Erstaunlich, dachte er, was man so alles über sich selbst erfährt. Es war sein Job, der immer wieder Türen in seinem Kopf öffnete. Er machte seine Arbeit so gut, dass es manchmal fast beängstigend war.

Auf dem Fernsehschirm biss Eastwood auf einem Zigarrenstummel herum. Es schien, als würde er ihn anschauen.

Eastwood, oder zumindest die Figuren, die er in den Filmen spielte, würden nicht gutheißen, was er tat. Aber wenn man dem Schauspieler in jüngeren Jahren völlig andere Drehbücher gegeben hätte, würde man ihn jetzt gänzlich anders sehen. Der Mann war Schauspieler, und sein öffentliches Image war geprägt worden durch Drehbücher, deren Verfasser er vielleicht nie kennengelernt hatte. In gewisser Weise, dachte er, sind wir alle Filmschauspieler, ob es uns bewusst ist oder nicht.

Er lächelte Eastwood zu, ging zu einem alten Rollpult und zog eine Schublade ganz heraus. Dann griff er in die Öffnung, bediente den Hebel für das Geheimfach und zog eine graue Stahlkassette hervor, in deren Schloss der Schlüssel steckte. Er drehte ihn, öffnete den Deckel und nahm einen kleinen halbautomatischen Colt heraus, geladen mit Hohlmantelmunition, Kaliber 22. Wenn man damit feuerte, war das Geräusch kaum lauter als eine schallende Ohrfeige. Die Hohlmantelmunition zerbrach im Körper des Opfers und zerfetzte ihn. Ein gut gezielter Schuss ins Herz reichte, um jemanden zu eliminieren. Falls das nicht genügte, um das Opfer zu töten, stand es unter Schock. Es lag betäubt und mit ungläubigem Blick da, den sicheren Tod erwartend, und dann gab man ihm mit zwei Kopfschüssen den Rest, um ganz sicherzugehen. Er mochte den kleinen Colt.

Er blickte auf den stumm geschalteten Fernseher. Eastwood saß jetzt auf einem Pferd und galoppierte durch eine Landschaft, die an Arizona denken ließ, doch wahrscheinlich war der Film in Italien gedreht worden.

Frauen fanden diese Szene bestimmt beeindruckend. Zumindest die aus Rom oder Mailand.

Er hatte irgendwo gelesen oder gehört, Eastwood kaufe seine Zigarren in einem Geschäft in Beverly Hills und schneide sie für seine Filmauftritte in zwei Teile. So viel in diesem Leben war Schauspielerei.

Er wandte den Blick von dem Fernseher ab und wollte gerade beginnen, die Waffe mit einem weichen Tuch zu säubern und zu ölen, als sein Handy, das oben auf dem Rollpult lag, die ersten paar Takte von »Bringt mich pünktlich zum Altar« spielte.

Er blickte auf das Display und nahm das Gespräch an. »Ich hatte gehofft, dass du dich melden würdest«, sagte er lächelnd.

Er lauschte.

»Ja, sicher«, sagte er dann, noch immer lächelnd. »Natürlich. Selbstverständlich. Ja. Du weißt, dass es so ist. Ja.«

Er legte den Colt weg und ging im Zimmer auf und ab, während er telefonierte, als würde die Bewegung seinen Worten mehr Nachdruck verschaffen. Er widmete dem Gesprächspartner am anderen Ende seine volle Aufmerksamkeit.

»Okay«, sagte er schließlich, »Wir sehen uns dann dort. Du machst dir keine Vorstellung davon, wie sehr ich mich darauf freue.« Er griff nach dem Besenstiel und betrachtete die Spitze, während er lauschte.

»Wir sehen uns dort«, wiederholte er. »Ich liebe dich.«

Kapitel 6

Der Tod hatte sie erneut zusammengeführt.

Sie saßen in Quinns Erdgeschosswohnung in der West Seventy-fifth Street in dem Zimmer, das ihm als Heimbüro diente. Quinn saß hinter dem großen Schreibtisch aus Kirschholz. Im Licht der Leselampe wirkten seine Gesichtszüge noch markanter, die mehrfach gebrochene Nase noch krummer. In einem gläsernen Aschenbecher lag eine der kubanischen Zigarren, die er sich wegen des Handelsembargos auf dem Schwarzmarkt hatte besorgen müssen, doch er hatte sie nicht angezündet. Es war sinnlos, Ärger zu provozieren, denn Pearl hatte schon begonnen, an ihm herumzumäkeln.

Sie saß im Schneidersitz in einem Sessel links neben dem Schreibtisch und trug verwaschene Jeans, ein blaues T-Shirt und graue Socken. Ihre Slipper lagen vor dem Sessel auf dem Boden. Das pechschwarze Haar war am Hinterkopf zu einem Knoten gebunden. Wie üblich ließ der dunkle Lidstrich ihre fast schwarzen Augen noch dunkler erscheinen. Quinn fand, dass sie fabelhaft aussah.

Fedderman saß auf einem weniger bequemen Holzstuhl mit Lederbezug. Sein Gesicht war hagerer geworden, und er hatte immer noch diese Armesündermiene, als müsste er wegen etwas um Vergebung bitten. Seit Quinn ihn zu letzten Mal gesehen hatte, waren ihm weitere graue Haare ausgefallen, oben auf dem Kopf war er fast kahl. Quinn war sich sicher, dass er den braunen Anzug mit der weit geschnittenen Hose schon kannte, und ihm fiel auf, dass die rechte Manschette seines weißen Hemdes nicht zugeknöpft war und aus dem Jackenärmel heraushing. Aus irgendeinem Grund passierte das häufig, wenn Fedderman länger etwas mit einem Bleistift oder Füllfederhalter schrieb. Die zerfranste Manschette hätte Quinn fast lächeln lassen. Wie in der guten alten Zeit.

Fedderman blickte zu Pearl hinüber. »Ich habe gehört, du hattest Ärger in der Bank?«

»Ach, lass mich bloß in Ruhe«, fuhr sie ihm über den Mund. Sie wandte sich Quinn zu. »Lauri wohnt nicht mehr bei dir?«

Lauri war Quinns Tochter, die bald zwanzig wurde. »Sie und Wormy leben in Kalifornien, um seine Karriere als Musiker voranzubringen.«

Lauris Freund Wormy war spindeldürr und Frontman seiner Band The Defendants. In ihren letzten beiden Briefen hatte Lauri geschrieben, die Gruppe stehe kurz davor, einen Plattenvertrag zu bekommen.

»Ich wusste, dass der Junge Talent hat«, bemerkte Fedderman.

»Und wie findest du ihre Musik?«, fragte Pearl.

Quinn fühlte sich verpflichtet, sie an den Grund ihres Besuchs zu erinnern. »Lasst uns über diese Morde reden«, sagte er, während er nach vier grünen Schnellheftern griff. Er kam hinter dem Schreibtisch hervor und reichte Pearl und Fedderman je zwei. »Renz hat mir eine Kopie der Akten besorgt. Die habe ich dann meinerseits für euch kopiert.«

»Du hast deine Exemplare doch bestimmt schon durchgesehen«, sagte Fedderman. »Irgendwelche Schlussfolgerungen?«

Quinn lehnte sich in seinem Schreibtischsessel zurück und griff automatisch nach der Zigarre, zog die Hand aber wieder zurück, als er Pearls missbilligenden Blick sah. »Einiges habe ich euch ja schon erzählt. Die Opfer sind zwei weiße Frauen, von denen jeweils nur der Torso ohne Kopf und Gliedmaßen gefunden wurde. Beide wurden durch einen Schuss ins Herz getötet. Ihre Fingerabdrücke sind nicht in der Datenbank, wir haben bisher keine Möglichkeit, sie zu identifizieren. Kugeln vom Kaliber 22, Hohlmantelmunition. Die Kugeln zerplatzten, als sie in die Körper eindrangen, aber die Fragmente sind nicht wieder ausgetreten. Sie konnten im Labor so rekonstruiert werden, dass wir mit Sicherheit wissen, dass sie aus derselben Waffe abgefeuert wurden. Beide Opfer wurden genital verstümmelt durch einen langen scharfen Gegenstand, von dem etwas Öl zurückgeblieben ist. Möbelpolitur.«

Fedderman blickte auf seine Manschette und knöpfte sie zu. »Wo wurden die Opfer gefunden?«

»Das erste in einem Müllcontainer hinter einem Restaurant an der Upper West Side. Das zweite in einem leerstehenden Gebäude in Lower Manhattan.«

»Warum leerstehend?«, fragte Pearl.

»Weil es renoviert wird. Da kommen Eigentumswohnungen rein.« Quinn ahnte, worauf Pearl hinauswollte.

»Wurde das Opfer an einem Montag gefunden?«

»Du sagst es.«

»Dann haben die Arbeiter die Leiche entdeckt. Und die Leiche in dem Müllcontainer wäre beim nächsten Besuch der Müllabfuhr gefunden worden.«

»Die an dem Morgen kam, nachdem die Leiche dort entsorgt worden war«, sagte Quinn. »Die Angestellten des Restaurants meinten, während der Arbeitszeit hätten sie es gesehen. Also muss die Leiche in der Nacht zuvor in den Müllcontainer geworfen worden sein.«

Pearl setzte sich richtig hin, stellte die Füße auf den Boden und wackelte mit den Zehen. »Der Killer wollte, dass die Leichen gefunden wurden, kurz nachdem er sie dort abgeladen hatte. Irgendeine Idee, warum?«

»Noch nicht«, antwortete Quinn.

»Ich nehme an, es ist überprüft worden, ob die beiden Frauen als vermisst gemeldet sind?«, fragte Fedderman.

»Natürlich. Weder in New York noch in der Umgebung wurden in letzter Zeit Frauen ihrer Größe, ihres Alters oder ethnischen Zugehörigkeit als vermisst gemeldet. Beide waren Anfang dreißig.« Quinn lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück und drehte sich ein Stück nach rechts und nach links. Kein Quietschen, er hatte den Stuhl kürzlich geölt. »Noch etwas. Eine Journalistin namens Cindy Sellers, die für City Beat schreibt, weiß alles, was ich euch gerade erzählt habe. Aber sie hält die Story zurück, um Renz einen Gefallen zu tun.«

»Ich erinnere mich an sie«, sagte Pearls. »Sie ist ein Arschloch.«

»Auch kein größeres als die anderen Medientypen«, sagte Quinn, der glaubte, dass auch Pearl eine gute Enthüllungsjournalistin gewesen wäre.

»Pearl hat recht«, sagte Fedderman. »Die Cindy Sellers, an die ich mich erinnere, wird die Story nicht mehr lange zurückhalten. Es sei denn, Renz hat etwas gegen sie in der Hand.«

»Wenn es so ist, reicht es nicht, um diese Geschichte noch lange unter dem Deckel zu halten«, antwortete Quinn. »Deshalb hat er uns zurückgeholt. Er will ...«

» ... Bürgermeister werden«, ergänzte Pearl.

Clever wie eh und je, dachte Quinn.

Plötzlich fragte sich Pearl, warum sie eigentlich hier war. Warum hatte sie sich für Quinns Angebot entschieden? Es sah so aus, als wäre sie unfähig, sich seiner Gegenwart und seinem Einfluss zu entziehen. Wieder eine Bitte von Renz an Quinn, der nächste Psychopath, der nächste schwierige Fall. Quinns Anruf bei ihr, und schon saß sie wieder in seiner Wohnung. Es war Wahnsinn, als hätte sie eine masochistische Ader, als könnte sie ihn nicht endgültig verlassen, weil ein Teil von ihr es nicht wirklich wollte. Dieser Fall ... Sie spürte intuitiv, dass er etwas Besonderes war. Sie musste einfach dabei sein.

»Seht euch die beiden Akten an«, sagte Quinn. »Wir werden uns morgen hier treffen und darüber reden.«

»Warum schon wieder hier?«, fragte Pearl. Sie hatte in dieser Wohnung mit Quinn zusammengelebt und fühlte sich unwohl. Ihr früheres gemeinsames Schlafzimmer lag direkt auf der anderen Seite des Flurs.

»Renz hat versprochen, uns ein Büro zu besorgen. Im Polizeipräsidium will er uns nicht sehen. Wir gehören zwar zum New York Police Department, sind aber unabhängiger als die anderen Detectives der Mordkommission. Wir berichten nur an ihn.«

»Er besorgt uns wieder irgendein Loch mit Kakerlaken«, sagte Pearl. »Trotzdem, immer noch besser als hier.« Oder doch nicht? Das Büro, das Renz beim letzten Mal für sie angemietet hatte, hatte sich direkt neben einer Zahnarztpraxis befunden, und man hatte die ganze Zeit das schrille Kreischen des Bohrers gehört.

Quinn blickte auf die Uhr. Fast Mitternacht. Feddermans Flug von Florida nach New York hatte Verspätung gehabt, und dadurch hatte sich der Beginn ihres Treffens hinausgezögert. »Ist neun Uhr morgen früh in Ordnung?«

Pearl und Fedderman nickten. Dann standen alle auf, und Quinn brachte sie zur Tür.

Als sie an dem Schlafzimmer vorbeikamen, konnte Pearl nicht anders, als durch die offene Tür einen Blick auf das Bett zu werfen. Es war gemacht, wenn auch nicht besonders ordentlich. Auf dem Nachttisch auf seiner früheren Seite lag neben der Leselampe ein Buch, doch sie konnte den Titel nicht erkennen. Seit ihrem Auszug vor zwei Jahren schien sich nichts geändert zu haben. Quinn sah, dass sie in das Schlafzimmer schaute, und sie warf ihm einen wütenden Blick zu.

Sie wusste, dass er sie immer noch liebte, und das war verdammt unangenehm. Sie hatten versucht zusammenzuleben, doch es hatte sich als unmöglich herausgestellt. Sie hatte nicht vor, die Erfahrung zu wiederholen. Quinn war kontrolliert, bedacht, auf unauffällige Weise von seiner Arbeit besessen. Demgegenüber war sie impulsiv, streitlustig, heftigen Stimmungsschwankungen unterworfen. Immer wieder hatte es Streit gegeben. Ein weiterer Unterschied zwischen ihnen bestand darin, dass sie gesehen hatte, wann die Beziehung gescheitert war, er aber nicht. Er wusste nicht, wann man einen Schlussstrich ziehen musste.

»Ich bin mit einem Mietwagen hier«, sagte Fedderman an der Haustür. »Ich fahre dich nach Hause, Pearl.

»Okay. Besser als die U-Bahn.«

»Ja, und ich bin auch ein besserer Gesellschafter.«

»Wenn man von deinen Klamotten, deinen Manieren und deiner mangelnden Intelligenz absieht.«

Quinn war glücklich zu hören, wie die beiden sich aufzogen. So war das, wenn sie als Team zusammenarbeiteten. Sie stellten sich gegenseitig in Frage und forderten sich heraus, bis sie auf die Wahrheit gestoßen waren. Es war eine gute Methode. Selbst dann, wenn ihnen die Wahrheit nicht gefiel.

Verglichen mit den meisten anderen New Yorker Zeitungen hatte City Beat keine besonders hohe Auflage, aber Deputy Chief Wes Nobbler kaufte stets ein Exemplar, weil er von der Verbindung zwischen Commissioner Renz und Cindy Sellers wusste.

Nobbler war beim NYPD die Nummer zwei hinter dem Polizeichef. Er war ein großer, beleibter Mann mit blauen Augen und einer Hautfarbe, die immer so wirkte, als hätte er sich zu lange in der prallen Sonne aufgehalten. Er lag im Bett, konnte aber nicht mehr einschlafen und warf einen Blick auf die beleuchtete Digitaluhr des Radioweckers auf seinem Nachttisch. Zwei Minuten nach fünf Uhr morgens. Zu früh, um aufzustehen. Er musste auf die Toilette, aber noch nicht wirklich dringend. Warum aufstehen, das Licht einschalten, ins Bad gehen und sich dann wieder ins Bett legen?

Ihm fiel kein guter Grund ein.

Zehn Minuten verstrichen. Jetzt platzte ihm fast die Blase, und es blieb ihm keine andere Wahl, als auf die Toilette zu gehen.

Er setzte sich auf, schaltete die Lampe ein, quälte sich aus dem Bett und schlurfte ins Bad.

Jetzt konnte er auch genauso gut aufbleiben. Er zog die zerknitterte Uniformhose vom Vortag an. Im Schrank hing eine frisch gebügelte Uniform, die kürzlich aus der chemischen Reinigung gebracht worden war. Er würde sie später anziehen, wenn er geduscht und sich rasiert hatte. Er schlüpfte mit nackten Füßen in seine Schuhe und ließ das graue T-Shirt an, in dem er geschlafen hatte. Dann kehrte er ins Bad zurück, um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen und sich mit den nassen Fingern das rote Haar zurückzustreichen, das noch kein bisschen ergraut war.

Nun war er richtig wach, und er ging in die Küche, um die Kaffeemaschine anzuschalten. Danach warf er einen Blick aus dem Fenster, um sich zu vergewissern, dass es nicht regnete. Es war trocken, und er verließ die Wohnung, um an den Zeitungsautomaten an der nächsten Ecke je ein Exemplar der New York Times und von City Beat zu ziehen.

Als er zurück war, wurde es schon ein bisschen hell, und der morgendliche Berufsverkehr begann. In seiner Wohnung duftete es nach frischem Kaffee. Er hatte Hunger und wünschte, er hätte schon ein offenes Geschäft gesehen, um sich ein paar Krapfen zu kaufen. Aber er war korpulent genug.

Er schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, holte die Milch aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Küchentisch.

Zuerst warf er einen Blick auf die Times. Unruhen in Frankreichs Vorstädten, ein Kongressausschuss beschäftigte sich mit etwas, wovon er nichts verstand, und unten auf der Titelseite stand ein Artikel über die Niederlagenserie der Yankees, die sieben Spiele nacheinander verloren hatten.

Bei dem Geld, das die Yankees haben, dachte er, sollte man meinen, sie könnten sich ein paar anständige Spieler leisten. Er legte die Times beiseite, trank einen Schluck Kaffee und warf einen Blick auf die Titelseite von City Beat.

Als er zu lesen begann, hatte Nobbler seinen Hunger, die Yankees und den Kaffee sofort vergessen.

Er hatte gewusst, dass ein weiblicher Torso gefunden worden war. Auch von einer zweiten Frauenleiche. Aber nicht, dass auch dieses zweite Opfer ohne Kopf und Gliedmaßen in der Leichenhalle lag. Auch das Resultat der ballistischen Analyse hatte er nicht gesehen. Zweifellos hatte Commissioner Renz das mit dem zweiten Mordopfer geheim gehalten, damit nicht sofort klar war, dass es sich um einen Serienmörder handelte. Und diese Geschichte mit dem angespitzten Stab, oder was immer es war ... Auch davon hatte er nichts gewusst, nur dass der ersten Frau etwas in die Vagina eingeführt worden war. Man musste schon bewundern, wie Renz es geschafft hatte, so etwas zu verheimlichen. Der Mann hatte keine Skrupel, die Hebel der Macht zu bedienen.

Er, Nobbler, aber auch nicht. Renz hatte etwas getan, das ihn wirklich ankotzte. Frank Quinn war zurück und leitender Ermittler im Fall der Torso-Morde, und unterstützt wurde er von seinen beiden Detectives Kasner und Fedderman. Nobbler mochte alle drei nicht. Für ihn gehörten sie nicht mehr zum New York Police Department, insbesondere Quinn nicht. Er hatte eine Unmenge Geld bekommen, als er den Job quittiert hatte, was zum Teufel wollte er jetzt also noch? Er dachte an Kasner und Fedderman, aber nur kurz. Die beiden waren einfach nur Nieten.

Warum hatte Renz die Macht, sein privates Ermittlerteam anzusetzen auf einen Fall, von dem er politisch profitieren konnte?

Nobbler wusste es. Renz’ Macht verdankte sich seiner Stellung als Polizeichef und seiner Popularität. Keiner der New Yorker Politiker wollte es sich mit ihm verscherzen, und es verstieß auch gegen kein Gesetz, wenn das NYPD ehemalige Cops vorübergehend reaktivierte. Insbesondere dann nicht, wenn sie direkt dem Commissioner unterstanden.

Im Moment hatte Renz einfach eine Glückssträhne und wollte, dass das so blieb. Dieser ehrgeizige Dreckskerl. Doch ausgerechnet das konnte ihm Nobbler eigentlich nicht vorhalten.

Angewidert warf er die Zeitung auf die Times. Er lehnte sich zurück und schlürfte seinen Kaffee, der mittlerweile schon fast zu kalt war, um ihn noch zu trinken. Was in dem Artikel aus City Beat stand, wurde unterdessen wahrscheinlich auch vom Fernsehen und vom Radio verbreitet. Auch die Zeitungen mit einem späteren Redaktionsschluss würden die Story aufgreifen. Nobbler wusste, wie es lief, wenn die Medien erst mal ihre Hand im Spiel hatten, und er wusste auch, wie er an Renz’ Stelle damit umgegangen wäre.

Aber er war nicht die Nummer eins. Er glaubte, dass Fremde auf sein Terrain eingedrungen waren, und das mochte er überhaupt nicht. Er würde es sich nicht gefallen lassen und etwas dagegen tun.

Er saß noch lange da, trank den kalten Kaffee und dachte darüber nach, was er tun konnte oder tun würde. Es gab immer Möglichkeiten. Zukünftige Chancen, die beim Schopf gepackt werden wollten. Er würde sich etwas einfallen lassen, um Renz und seine drei Lakaien richtig in die Bredouille zu bringen.

»Dann ist die Story also raus«, sagte Fedderman, der sich in Quinns Büro auf denselben Stuhl setzte wie am Vorabend. Heute war es heller in dem Raum. Die Vorhänge waren aufgezogen, grelles Sonnenlicht strömte herein. Darin tanzten viele Staubkörnchen. Pearl musste nur hinsehen und glaubte schon, niesen zu müssen. Offenbar hatte Quinn nur selten Lust zu putzen.

Pearl saß wieder in dem Sessel, doch diesmal nicht im Schneidersitz. Sie trug flache schwarze Schuhe und hatte die Hände auf die Oberschenkel gestützt. Mit der dunklen Hose, der weißen Bluse und dem grauen Blazer mit schwarzen Knöpfen sah sie wirklich wie eine Polizistin in Zivil aus.

Wie Fedderman hatte auch sie die Morgenausgabe von City Beat dabei. »Mittlerweile hat die Story es bestimmt auch in die Fernsehnachrichten geschafft«, sagte sie. »Einige von diesen Schwätzern lesen auch mal was anderes als das, was auf ihren Telepromptern vorbeirauscht.« Sie rollte die Zeitung zusammen und fuchtelte damit herum, als wollte sie jemanden schlagen.

Sie hatte recht. Quinn hatte den Fernsehsender New York One eingeschaltet, bevor er das Haus verlassen und im Lotus Diner gefrühstückt hatte. Es wurde bereits gesendet von den Orten, wo die beiden Torsos gefunden worden waren. Zurück in seiner Wohnung, hatte er CNN und Fox News eingeschaltet. Die Geschichte war mittlerweile von überregionalem Interesse. Quinn wunderte das nicht. Es war eine sensationelle Story, wie man sie sonst nur aus Fernsehkrimis kannte, doch dies waren reale Fälle.

Quinn setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Habt ihr Zeit gefunden, um euch die Akten anzusehen?« Automatisch griff er nach der kubanischen Zigarre, die immer noch in dem Aschenbecher lag. In letzter Zeit rauchte er immer seltener. Es machte einfach keinen Spaß mehr, wenn man mit vielen anderen New Yorkern als Raucher vom Bürgermeister und seinen Lakaien permanent diskriminiert wurde. Aber dem Bürgermeister ging es ja nur um seine Gesundheit. Da musste er ihn wohl mögen.

»Ja, ich habe sie gestern Nacht und heute Morgen gelesen«, antwortete Fedderman. Pearl begnügte sich mit einem Nicken.

Quinn fand, dass sie wundervoll aussah in dem grellen Sonnenlicht, vor dem andere Frauen sich gefürchtet hätten.

Sie bemerkte, wie Quinn sie ansah, und starrte ihn an, bis er den Blick abwandte.

»Mir ist nichts ins Auge gestochen, das mir helfen würde, den Fall zu knacken und zu einem Helden zu werden«, sagte Fedderman. »Ich bin sicher, dass einem Profiler jede Menge dazu einfallen würde, warum die Opfer enthauptet wurden. Natürlich auch dazu, warum er ihnen was in die Vagina gesteckt hat. Phallischer Symbolismus.«

»Vielleicht ist unser Mann impotent«, bemerkte Pearl.

Fedderman zuckte die Achseln. »Dass jemand einer Braut was anderes reinschiebt als sein Ding, heißt noch nicht, dass er keinen mehr hochkriegt.«

»Woher weißt du das so genau, Feds?«

»Ich bin Detective, Pearl.«

Quinn blickte Pearl an. »Beunruhigt dich irgendwas?«

»Ich habe da so einen nagenden Zweifel«, antwortete sie. »Diese beiden Morde sind offensichtlich von demselben Psychopathen begangen worden, aber es sind eben nur zwei. Es ist denkbar, dass diese Frauen etwas getan haben, was diesen Gestörten angekotzt hat, vielleicht sogar gemeinsam. Vielleicht hat er abgesehen von den beiden nichts gegen Frauen und also auch nicht das Bedürfnis, weitere umzubringen. Vielleicht hatten der Killer und die beiden Opfer eine gemeinsame Vergangenheit, und das hat zu der Gewaltanwendung seinerseits geführt. Ich meine, reichen zwei Leichen, um von einem Serienmörder sprechen zu können?«

»Eine gute Frage«, sagte Fedderman.

»Die Medien scheinen der Meinung zu sein, dass zwei Opfer reichen«, bemerkte Quinn.

»Es bleibt trotzdem eine gute Frage«, sagte Pearl.

Quinn lehnte sich zurück und verschränkte die Finger hinter dem Kopf. »Wir alle wissen, was wir tun müssen, um die Antwort zu finden.«

Pearl schnüffelte. »Hast du hier drin gequalmt?«

»Noch eine gute Frage«, sagte Quinn.

Kapitel 7

Jill Clark saß vor ihrem Computer. Der Bildschirmschoner hatte sich eingeschaltet, und es glitten großartige impressionistische Gemälde über den Monitor, im Moment gerade ein raffiniert komponierter und kolorierter Renoir. Das alles hatte nichts zu tun mit der hässlichen, vom Überlebenskampf bestimmten Welt vor ihrem Fenster.

Der Renoir verschwand am Rand des Bildschirms.

Sie starrte schon lange auf den Monitor und war zu der Schlussfolgerung gelangt, dass es an der Zeit war, Inventur zu machen und eine Bilanz zu ziehen.

Die Gemälde waren wunderschön, doch ihr eigenes Leben schien von Tag zu Tag hässlicher und zu einem nackten Existenzkampf zu werden. Das Leben in New York war hart und erbarmungslos.

Jill war neunundzwanzig und hatte schulterlanges blondes Haar, das häufig auf eine durchaus attraktive Weise zerzaust war. Ihre Gesichtszüge waren ebenmäßig, sie hatte sinnliche Lippen und markante Wangenknochen. Und eine gute Figur, denn sie ging fast jeden Tag in ihrem Viertel oder im Park joggen. Ihre Augen waren blau, und sie hatte ein paar Sommersprossen auf der Nase. Für Männer schien das eine attraktive Kombination zu sein.

Sie hatte eine Ausbildung als Buchhalterin gemacht und später als Vertreterin für Büromöbel und Versicherungen für Oldtimer gearbeitet.