Jagdschrei - John Lutz - E-Book
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Jagdschrei E-Book

John Lutz

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Beschreibung

Ein Abend, den du nie wieder vergessen wirst: Der rasante Thriller »Jagdschrei« von Bestsellerautor John Lutz jetzt als eBook bei dotbooks. Ein Schrei hallt durch das nächtliche New York … Eigentlich wollte sich Ex-Cop Frank Quinn aus dem Geschäft mit dem Tod zurückziehen. Doch dann beginnt eine neue Mordserie in der Stadt, die niemals schläft, blutiger und brutaler als alles, was Quinn sich jemals vorstellen konnte: Ein Wahnsinniger verführt schöne Frauen und quält sie dann langsam zu Tode. Am nächsten Morgen findet man nur noch ihre grausam verstümmelten Körper … Während der Druck der Öffentlichkeit immer weiter zunimmt, folgt Quinn fieberhaft der Spur des mordenden Psychopathen. Doch schon bald verschwimmen die Grenzen, wer Jäger und Gejagter ist … »Der Shamus- und Edgar-Preisträger Lutz liefert uns einen weiteren Beweis für sein enormes Talent. Ein fesselnder Pageturner!« Publishers Weekly Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der abgründige Thriller »Jagdschrei« von New-York-Times-Bestseller-Autor John Lutz ist der nervenaufreibende vierte Band seiner Reihe um den New Yorker Ex-Cop Frank Quinn – für alle Fans der TV-Serie »The Fall«! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 531

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Über dieses Buch:

Ein Schrei hallt durch das nächtliche New York … Eigentlich wollte sich Ex-Cop Frank Quinn aus dem Geschäft mit dem Tod zurückziehen. Doch dann beginnt eine neue Mordserie in der Stadt, die niemals schläft, blutiger und brutaler als alles, was Quinn sich jemals vorstellen konnte: Ein Wahnsinniger verführt schöne Frauen und quält sie dann langsam zu Tode. Am nächsten Morgen findet man nur noch ihre grausam verstümmelten Körper … Während der Druck der Öffentlichkeit immer weiter zunimmt, folgt Quinn fieberhaft der Spur des mordenden Psychopathen. Doch schon bald verschwimmen die Grenzen, wer Jäger und Gejagter ist …

Über den Autor:

John Lutz (1939–2021) war ein US-amerikanischer Autor von über 50 Thrillern und Romanen. Er wurde für seine Kriminalromane mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Shamus Lifetime Achievement Award und dem Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Spannungspreis Amerikas. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt.

Bei dotbooks veröffentlichte John Lutz bereits die folgenden eBooks:

Die »Missouri Murders«-Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger, die »Florida Killings«-Reihe um den Ex-Cop Fred Carver sowie seine »Frank Quinn«-Reihe um einen Ex-Cop auf der Spur von Serienkillern. Außerdem veröffentlichte der Autor bei dotbooks den Psychothriller »Die Stalkerin«.

Die Website des Autors: www.johnlutzonline.com/

Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/JohnLutzAuthor/

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eBook-Neuausgabe September 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2009 unter dem Originaltitel »Urge to Kill« bei Kensington, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Opferjagd« bei Weltbild

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2009 by John Lutz

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2017 by Weltbild GmbH & Co. KG, Werner-von-Siemens-Straße 1, 86159 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/ABC vector, pics five

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98952-438-5

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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John Lutz

Jagdschrei

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Bernhard Liesen

dotbooks.

Widmung

Für Barbara, wie immer ...

Und im Andenken an

John Mangosing,

einen zu früh verstorbenen guten Freund.

Dank

Der Autor möchte sich erkenntlich zeigen für die unschätzbare Unterstützung durch Marilyn Davis und Sharon Huston.

Erster Teil

Der Himmel über ihren Köpfen ändert sich,

Nicht jedoch die Unruhe in ihren Herzen.

– Rudyard Kipling, The Native-Born

Warum sehe ich hier so oft dein Gesicht?

Mit Augen wie funkelnden Edelsteinen

Zwischen den Reklamen für Zahnpasta und Mitteln gegen

Schuppen?

– Hart Crane, The Tunnel

(New York Subway)

Kapitel 1

Vor langer Zeit kreiste ein Adler hoch über dem Bau eines Kaninchens. Dann stieß der Greifvogel hinab, legte eine Reihe reifer Beeren auf die Erde und stieg wieder in den Himmel auf.

Das Kaninchen sah, wie hoch der Adler flog, und wusste, dass ihm genug Zeit blieb, um sich die Beeren zu holen und in den sicheren Bau zurückzukehren, bevor der Adler aus dieser Höhe bei ihm sein könnte.

Am nächsten Tag wiederholte sich alles, nur legte der Adler die Beeren ein bisschen weiter von dem Bau entfernt auf die Erde. Wieder sah das Kaninchen den Adler hoch oben am Himmel und schaffte es erneut, mit den Beeren in den Bau zurückzukehren.

So ging es eine Woche lang weiter, und das Kaninchen entfernte sich jeden Tag ein bisschen mehr von seinem Bau. Und der Adler kreiste weiter hoch über ihm und sah so winzig aus vor dem Hintergrund des blassblauen Himmels. Das Kaninchen hielt die Beeren für ein Geschenk des Himmels, doch ein Adler bleibt ein Adler, und einem Greifvogel durfte man nicht trauen.

Am achten Tag lagen die Beeren immer noch weit entfernt von dem Bau, doch der Adler hoch über ihm wirkte für das Kaninchen klein wie ein Stäubchen und überhaupt nicht bedrohlich.

Als das Kaninchen jedoch den Bau verließ, sah es, dass es diesmal gar kein Adler war, sondern ein Falke, der nur so hoch geflogen zu sein schien, weil er kleiner war als der Adler, den das Kaninchen normalerweise sah. Zu spät begriff es, was los war. Es blieb keine Zeit, um in den Bau zu flüchten.

Auf dieser Welt sterben die schwächeren Kreaturen früher als die starken, der Schöpfer hat es so gewollt. Und das Kaninchen wusste es und stand reglos da.

Der Falke stieß vom Himmel hinab, und seine Flügel wurden größer und größer und blendeten die Sonne aus. Der Himmel wurde dunkel. Die Krallen des Falken bohrten sich tief in den Rücken des Kaninchens, und dann stieg der Greifvögel mit seiner Beute in den Fängen höher und höher in den Himmel auf, der finsterer war als die Nacht. Das Schlagen der großen Flügel klang wie das Grollen eines aufziehenden Sturms.

In einer lange vergangenen Zeit geschahen solche Dinge.

Kapitel 2

New York

Vera Doaks schloss die Tür ihrer Wohnung auf und sagte sich, sie müsse geduldig sein.

Sie war etwas länger als einen Monat in New York. Das war nicht lang, und doch hatte sie es schon geschafft, einen Artikel in dem Tourismusmagazin Nation Travels und eine Shortstory in einer landesweit vertriebenen Publikation für Kriminalgeschichten unterzubringen. Ihr Studium an der Ohio State University begann sich auszuzahlen. Sie sagte sich, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie nicht mehr kellnern musste, um die Miete zu bezahlen. Dafür würde dann ein Verlag aufkommen.

In der kleinen Diele blieb sie vor dem gerahmten Spiegel stehen, den sie auf dem Flohmarkt gekauft hatte. Sie legte den Kopf etwas zur Seite und nahm eine Pose ein, die sie sich gut auf einem Foto für den Schutzumschlag ihres ersten Buches vorstellen konnte. In dem Spiegel sah sie einen attraktiven Rotschopf. Hohe Wangenknochen, wie ein Model, faszinierende braune Augen, leichte Stupsnase, energisches Kinn, ein wissendes, selbstbewusstes Lächeln.

Versuch mal, richtig intelligent auszusehen, wie eine berühmte Schriftstellerin.

Diese Übung machte sie häufig.

Nur das interessierte sie wirklich, eine Karriere als Schriftstellerin. Die Shortstory, die sie verkauft hatte, würde die Grundlage ihres ersten Buches sein, eines Thrillers, der an ihrem neuen Wohnort New York spielen sollte.

Sie kam aus einer Kleinstadt und liebte die Geschäftigkeit und pulsierende Energie des Lebens in dieser Metropole, die auch nachts nicht nachließen. Sie liebte alles: Die Theater (deren Besuch sie sich kaum leisten konnte), die Schnellrestaurants und Straßenhändler, die umherirrenden, staunenden Touristen, die U-Bahn-Stationen mit den Straßenmusikern und den manchmal gefährlichen Zeitgenossen. Reiche, die achtlos über die Armen hinwegsahen, Arme, die es zu Reichtum brachten. Es war ein Durcheinander von Nationalitäten und Religionen, verschiedenen Stadtvierteln und Sprachen. Die Unwägbarkeit des Lebens, sie fand all dies faszinierend. Vera war sich sicher, dass die Stadt sie inspirieren und ihr Stoffe für großartige Romane liefern würde. Sie war sensibel und aufnahmefähig und gab es nie auf, an sich zu glauben. Und warum auch?

Sie hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, als sie die Shortstory und den Artikel eingereicht hatte, und siehe da, nun hatte sie das Geld, um für den nächsten Monat die Miete für ihre Einzimmerwohnung bezahlen zu können.

Nur eine große Liebe fehlte noch in diesem Leben, wo alles eine gute Wendung zu nehmen schien.

Auch da besteht kein Grund, die Hoffnung aufzugeben.

Sie zog die Schuhe aus und ging zu dem Bett und der Frisierkommode, die hinter einem dreiflügeligen Paravent standen. Für einen Kleiderschrank gab es keinen Platz, und die Bügel mit ihren Klamotten hingen an dem vor der Wand verlaufenden Wasserrohr. Sie griff nach einem schlichten schwarzen Kleid. Es schien so, als würde jede Frau in New York ein solches Kleid besitzen, und wenn man vor der Konkurrenz bestehen wollte, musste man es zu tragen wissen und sich für die richtigen Accessoires entscheiden. Ihre hochhackigen schwarzen Pumps waren unbequem, doch sie würde sie heute zu dem Kleid tragen, zusammen mit einem weißen Tuch und mit Perlen besetzten Ohrringen. Und sie hatte eine dazu passende Imitation einer Prada-Handtasche, die sie bei einem Straßenhändler gekauft hatte. Sie erregte stets Aufsehen mit ihrem schulterlangen roten Haar, das fast dunkel genug war, um als kastanienbraun durchgehen zu können. Im Gegensatz zu vielen anderen Rothaarigen war sie nicht blass. Schon möglich, dass sie keine umwerfende Schönheit war, doch sie und ihr schwarzes Kleid waren konkurrenzfähig und konnten verdammt gut gewinnen.

Auch wenn es bis jetzt noch nicht passiert war.

Sie zog ihre Jeans, das T-Shirt und die Unterwäsche aus und ging barfuß zu dem abgetrennten Bad mit der schmalen Duschkabine.

Vielleicht war das heute der entscheidende Abend. Tonight, tonight ... Die Worte erinnerten sie an eine Melodie.

Woher kannte sie den Song? Sie zermarterte sich das Gehirn.

Und dann fiel es ihr ein. West Side Story, ein großartiges Musical, basierend auf Shakespeares Romeo und Julia. Und die beiden waren das Liebespaar schlechthin.

Nun, sie wohnte an der West Side ...

Sie drehte die Wasserhähne auf, trat in die Dusche und begann sich einzuseifen, wobei sie zu singen begann.

Da draußen pulsierte das nächtliche Leben der Stadt, und New York bot einem alle Chancen, die man sich nur wünschen konnte.

Tonight, tonight ...

Kapitel 3

Totale Finsternis, unerträglicher Schmerz.

Wo bin ich?

Vera versuchte den Kopf zu heben, um sich umzusehen, doch ein tiefer Schmerz packte ihr Genick wie eine Kralle. Sie ließ den Kopf nach hinten fallen.

Nach hinten?

In dem Moment begriff sie, dass sie an ihren gefesselten und festgebundenen Hand- und Fußgelenken hing. Blitzartig erinnerte sie sich an Bilder großer toter Tiere mit leblos herabbaumelnden Köpfen, die, an Balken hängend, von Jägern fortgetragen wurden. Aber sie wurde nicht weggetragen. Die Ursache ihrer Schmerzen waren die verspannten Nackenmuskeln sowie die Hand- und Fußgelenke, an denen ihr ganzes Körpergewicht zog.

Es war stockfinster, und sie konnte nichts sehen, Und es war unheimlich still.

Das Blut war in ihren Schädel gerauscht, und sie hatte fast unerträgliche, stechende Kopfschmerzen. Sie wollte fragen, ob jemand in der Nähe war, wollte wissen, was geschah, doch ihr Mund war zugeklebt, wahrscheinlich mit Isolierband. Mit Mühe gelang es ihr, die Lippen ein Stück weit zu öffnen, doch sie brachte nur ein leises Geräusch hervor, ein Mittelding zwischen einem Stöhnen und einem Schluchzen.

Finsternis, Stille, Schmerzen.

Wieder versuchte sie den Kopf zu heben, doch er war unfassbar schwer.

Dann kam die Erinnerung zurück.

Am letzten Abend war sie im Risque Business gewesen, wo sie mit einem Mann ein paar Drinks getrunken hatte ... Mit einem dunkelhaarigen, attraktiven Mann, gut angezogen ... Dunkle Hose, graues Sportsakko, rote Krawatte ... Er hatte etwas wie eine kosmopolitische Ausstrahlung gehabt.

Sie versuchte, sich an seinen Namen zu erinnern.

Hatte er überhaupt gesagt, wie er hieß?

Plötzlich wurde es hell.

Das grelle Licht blendete sie, und sie schloss unwillkürlich die Augen.

Als sie sie vorsichtig wieder öffnete, sah sie unter sich hölzerne Bodendielen, über sich Deckenbalken. Ihre Handgelenke waren mit einem dicken Strick gefesselt, wodurch die Blutzirkulation abgeschnitten war. Ihre Finger waren sehr weiß und taub. Ist es mit den Zehen genauso? Sie bemühte sich, ihre Füße zu sehen, doch es war zu anstrengend. Aber sie sah mehrere lange Neonröhren. Das Summen und das grelle Licht ließen darauf schließen, dass es etliche davon geben musste.

Sie hatte es geschafft, den Kopf etwas zu heben, fast bis in die Horizontale, doch der Schmerz in ihrem Genick war so unerträglich, dass sie ihn wieder sinken lassen musste.

Aber sie konnte ihn ein Stück seitwärts drehen, wenn auch nur unter Schmerzen, und sah, dass sie sich in einem großen Kellerraum befand. Graue Betonwände, hölzerne Stützpfeiler, offen verlaufende Heizungs- und Wasserrohre, von denen teilweise die Isolation herabhing.

Asbest? Das könnte gefährlich sein.

Wieder wurde der Schmerz unerträglich, und sie beschloss, sich gar nicht mehr zu bewegen. In ihren Augen standen Tränen.

Sie spürte keinen Stoff auf ihrer Haut und wusste, dass sie nackt war.

Wie hieß er? Ich muss es wissen, damit ich ihn anbetteln, anflehen kann, mir dies nicht anzutun.

Vielleicht hatte er ihr etwas in ihren Drink gekippt, irgendetwas, wodurch sie das Bewusstsein verloren hatte. Und nun war sie hier wieder zu sich gekommen, an gefesselten Hand- und Fußgelenken baumelnd wie ein ... Sie wollte gar nicht daran denken.

Tränen rannen ihre Schläfen hinab und in den Haaransatz. Es kitzelte, als wäre alles ein grausamer und obszöner Scherz.

Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr, und dann sah sie verschwommen den Mann vom letzten Abend in ihr Blickfeld treten. Sie war nicht überrascht, ihn zu sehen. Er tat ihr dies an.

Er trat auf sie zu, ebenfalls nackt, wie eine Figur aus einem Traum. Nur war es kein Traum. Sie konnte nur beten, es möge einer sein. Sie würde ein zweites Mal aufwachen, nur diesmal in ihrer Wohnung, in ihrem Bett.

Als sie das Messer in seiner Hand sah, setzte ihr Herzschlag einen Moment aus. Sie wollte sich befreien, konnte aber nichts tun. Ihre Arme und Beine glichen straff gespannten Kabeln, die verhinderten, dass sie auf den Betonboden knallte.

Sie sah, dass der Mann eine Erektion hatte, und in dem Moment schnitt er die Fessel durch, mit denen ihre Handgelenke an dem horizontalen Deckenbalken festgebunden waren.

Ihr Oberkörper fiel nach unten, und nun würde sie sich bestimmt auf dem harten Betonboden den Kopf aufschlagen.

Aber nur ihr Haar berührte den Boden, als ihr Körper wie ein Pendel hin und her schwang. Die Handgelenke waren immer noch zusammengebunden, aber sie konnte die Arme bewegen und griff nach unten hinter ihren Kopf. Ihre Nägel kratzten über den Betonboden, doch sie empfand keinen Schmerz, weil die Finger völlig taub waren.

Unter sich sah sie etwas Rundes, den Deckel eines Gullys.

Sie presste die tauben Fingerspitzen auf den Boden, um die Pendelbewegung zu verlangsamen. Die gesamte Last ihres Körpergewichts zerrte jetzt an den Fußgelenken. Der Strick musste in ihr Fleisch schneiden, denn sie spürte etwas Warmes an ihren Beinen hinabrinnen.

Blut.

Ja, der Strick musste tief in das Fleisch geschnitten haben.

Und dann spürte sie plötzlich ein sengend heißes Gefühl an der rechten Seite ihres Halses. Dann auf der linken. Sie erhaschte einen Blick auf eine blutige Messerklinge und wusste, dass der Mann ihr die Kehle durchgeschnitten hatte.

Nein, es war unmöglich.

Aber sie konnte sich nichts vormachen. Sie hob die Arme und betastete mit den Fingern ihren Hals. Jede Menge warmes Blut.

Und dann packte sie nacktes Entsetzen, als sie es unter sich in den Abfluss tröpfeln hörte. Sie würde verbluten, ihre Zeit lief ab.

Sie geriet in Panik und versuchte, durch die Nase zu atmen. Mit letzter Kraft gelang es ihr, die Hände zu heben und sich das Klebeband von den Lippen zu reißen. Sie schnappte nach Luft, um zu schreien, doch ihre Kehle war schon voller Blut.

Der Mann hatte gewartet, bis die Pendelbewegung ihres Körpers fast zum Stillstand gekommen war.

Er beobachtete sie.

Beobachtete sie.

Und dann, nachdem sie zu schreien versuchte, hatte er ihr die Kehle durchgeschnitten, von einem Ohr zum anderen.

Ihr lebloser Körper baumelte direkt über dem Abfluss, in den das Blut tropfte.

Sie konnte nicht mehr sehen, wie er, frisch geduscht und gut gekleidet, den Kellerraum verließ, nachdem er zuvor die Neonröhren ausgeschaltet hatte.

Sie war schon mehrere Stunden tot, als er zurückkam, um sich zu vergewissern, dass sie völlig ausgeblutet war.

Kapitel 4

Im schwachen Licht der altmodischen Scheinwerfer seines betagten schwarzen Lincoln Town Car sah Frank Quinn nicht, was auf ihn zukam, zumindest nicht rechtzeitig.

Der Wagen schoss durch ein Schlagloch von der Größe eines Bombenkraters, und er fragte sich, ob etwas von einem Vorderzahn abgesprungen war. Er hob die kubanische Zigarre auf, die aus dem Aschenbecher gefallen war, und klemmte sie sich zwischen die Lippen.

Das Rauchen war nicht gut für ihn, und er hatte es mehr oder weniger aufgegeben, doch diese kubanischen Zigarren waren hin und wieder eine zu große Versuchung. Vielleicht lag auch ein Teil des Reizes darin, dass sie wegen des Handelsembargos in den Vereinigten Staaten nicht verkauft werden durften. Er besorgte sie sich illegal, und das, obwohl er früher Polizist gewesen war. Detective bei der Mordkommission des New York Police Department, mittlerweile im Ruhestand.

Er lächelte. Einmal Cop, immer Cop. Und der illegale Erwerb der Zigarren war eine lässliche Sünde.

Quinn fluchte leise über den Verkehr auf dem Broadway, während er in nördlicher Richtung zur West Seventy-fifth Street fuhr, wo seine Wohnung war. Die Autofenster waren geschlossen, denn es war noch heiß an diesem Sommerabend, und er hatte die Klimaanlage eingeschaltet. Irgendwas klapperte an der Lüftung, und er nahm sich vor, in der Werkstatt jemanden zu bitten, sich der Sache anzunehmen.

Um diese Jahreszeit war es nicht ratsam, ohne funktionierende Klimaanlage unterwegs zu sein.

Ein Stück weiter vorn sprang eine Ampel auf Grün um. Etliche Autos vor Quinn bogen rechts ab, sodass es für ihn geradeaus zügig weiterging. Er beschleunigte auf knapp siebzig Stundenkilometer, ziemlich schnell für die meisten Straßen in Manhattan.

Er hatte gute Laune, rauchte seine Havanna und hätte fast gelächelt. An diesem Abend der Woche pokerte er immer mit fünf anderen pensionierten Ex-Cops vom New York Police Department, und heute hatte er über hundert Dollar gewonnen. Da nicht um hohe Einsätze gespielt wurde, war das ein ziemlich großer Gewinn. Alle maulten, als das letzte Mal die Karten verteilt wurden, aber es war nun einmal abgemacht, dass um Punkt zehn Schluss war. Quinn war immer stolz auf sich, wenn er beim Pokern gewonnen hatte, was ziemlich töricht war, denn selbst für einen guten Spieler hing hier fast alles vom Glück ab. Und doch, gewinnen war besser als verlieren.

Für einen Moment reflektierte sich auf dem linken Außenspiegel grelles Licht. Die Scheinwerfer eines Autos hinter ihm, und trotz seines Tempos holte der Wagen den Rückstand schnell auf. Quinn blickte in den Rückspiegel, konnte aber wegen des dichten Zigarrenrauchs praktisch nichts sehen.

An meine Lungen will ich gar nicht erst denken.

Aber er sah, dass der andere Wagen verdammt dicht hinter ihm war.

Er mochte es nicht, verfolgt zu werden, und beschleunigte auf achtzig.

Fast sofort waren die schwarzen Ledersitze in dem alten Wagen in flackerndes rotes und blaues Licht getaucht.

Quinn nahm Gas weg und hielt nach einer Parklücke am Bordstein Ausschau.

Er sah keine.

Scheiß drauf, dachte er, und als er gerade schon in der zweiten Reihe parken wollte, fuhr ein Taxi los. Quinn näherte sich der Lücke und sah den Hydranten, der für die Feuerwehr freigehalten werden musste. Folglich war hier Parkverbot. Einen richtigen Parkplatz fand man in diesem Teil der Stadt ohnehin nicht. Er hielt aber trotzdem an.

Wenn’s irgendwo zu brennen beginnt, kann ich immer noch wegfahren.

Das flackernde Licht wurde greller, die Scheinwerfer blendend hell, als der Streifenwagen hinter ihm schräg in die Lücke setzte. Quinn ließ den Lincoln noch ein paar Schritte nach vorn rollen, damit der Fahrer hinter ihm möglichst viel Platz hatte.

Er sah keine Veranlassung, aus seinem Wagen auszusteigen. Er saß ruhig da, mit den Händen oben auf dem Lenkrad, damit sie zu sehen waren, und schaute in den Rückspiegel. Hinter ihm öffneten sich bei dem Streifenwagen auf beiden Seiten die Türen. Zwei Männer stiegen aus und kamen auf den Lincoln zu, wobei ihre Bewegungen in dem flackernden Licht seltsam ruckartig wirkten.

Es würde schnell überstanden sein. Vielleicht kannte er einen der Polizisten, womöglich sogar beide. Und wenn ja, kannten sie ihn. Es wäre kein Problem, ihnen die Sache mit dem Strafmandat auszureden. Beim New York Police Department war er allseits respektiert. Gelegentlich hatte er sogar gehört, dass man ihn eine »Legende« nannte. Ein paar kollegiale Worte, dann konnte er weiterfahren.

Im Rückspiegel sah er einen der beiden Cops zu dem Streifenwagen zurückgehen. Quinn glaubte, dass er sein Kennzeichen überprüfen wollte.

Merkwürdig, dachte er. Das hätten sie schon tun können, bevor sie ausgestiegen sind. Und seltsam war auch, dass der Fahrer zu dem Streifenwagen zurückgegangen war. Es hätte nähergelegen, dass er zu dem Lincoln gekommen wäre, um mit ihm am offenen Fenster auf der Fahrerseite zu reden.

Jetzt kam also sein Kollege, von dem Quinn geglaubt hatte, dass er das Nummernschild checken würde. Quinn hatte ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmte nicht.

Und dann setzte der Streifenwagen rückwärts aus der Lücke und fuhr kurz darauf an ihm vorbei. Jetzt war das rotblau flackernde Licht ausgeschaltet.

Die Tür auf der Beifahrerseite von Quinns Lincoln öffnete sich, und jemand stieg ein.

Jemand, der keine Uniform trug, was ihm wegen des blendend grellen Lichts nicht aufgefallen war. Stattdessen trug er einen leichten, nicht zugeknöpften Trenchcoat, obwohl es nicht regnete, und darunter einen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte. Ein großer Mann, Ende vierzig, übergewichtig, mit schlaff herabhängenden Backentaschen und dunklen Ringen unter den Augen.

Quinn erkannte ihn sofort, doch das ungute Gefühl wollte trotzdem nicht verschwinden.

Der Mann auf dem Beifahrersitz war Harley Renz, seines Zeichens Polizeichef von New York.

Renz blickte sich mit einem schiefen Grinsen um. »Hier stinkt’s höllisch.«

Quinn wusste, was er meinte. Der Geruch des Zigarrenrauchs hing in den Sitzbezügen und überall sonst. Selbst er fand ihn manchmal unangenehm, war aber daran gewöhnt.

»Sie können ja wieder aussteigen, wenn Ihnen was nicht passt«, bemerkte Quinn. Er und Renz waren immer irgendwie miteinander klargekommen, doch ohne Spannungen ging es dabei nicht ab. Vielleicht kannten sie sich zu gut.

»Qualmen Sie wieder eine von diesen verbotenen kubanischen Zigarren, die Sie so mögen?«

»Die kommen aus Venezuela.«

»Wenn Sie es sagen.« Renz lehnte sich zurück und blickte ihn an. »Haben Sie für mich auch eine?«

»Nein«, antwortete Quinn. »Sie können die hier zu Ende rauchen.«

»Passen Sie lieber auf, dass diese Zigarren nicht Ihr Ende sind.« Das schiefe Grinsen wurde breiter. Die schlaffen Backentaschen und die großen Tränensäcke waren auffälliger als beim letzten Mal, als Quinn ihn gesehen hatte. »Wie ist es gelaufen?«

»Wovon reden Sie?«

»Von Ihrem Pokerabend.«

»Hab gewonnen.«

»Will sagen, Sie sind früh genug gegangen. Sonst hätten Sie bestimmt noch verloren.«

»Haben Sie sich deshalb in einem Streifenwagen hierher chauffieren lassen? Soll ich von meinem Gewinn ein bisschen Schmiergeld abzweigen, damit ich kein Strafmandat bekomme?«

»Vergessen Sie nicht, dass ich der Polizeichef von ganz New York bin. Da sollten Sie etwas respektvoller mit mir reden.«

Quinn antwortete nicht. Er fragte sich, warum Harley Renz sich so sehr für seinen Pokerabend interessierte und ihm danach gefolgt war.

»Worum geht’s?«, fragte Quinn. »Wollen Sie bei uns einsteigen?«

»Ich kenne den einen oder anderen von den Typen, mit denen Sie pokern. Das sind Falschspieler.«

»Damit kennen Sie sich auch aus.«

»Ich wollte ja nur sagen ...«

Quinn hatte die Nase voll von dieser Plauderei. Er hatte durchaus etwas Respekt vor Renz, auch wenn der sich als Autorität gebärdete und ein Bürokrat war. Aber früher war Renz selbst mal ein guter Detective bei der Mordkommission gewesen, und das merkte man ab und zu noch. Sie wussten beide, dass Renz seine Stellung als Polizeichef Quinns Aufklärung der Torso-Morde verdankte. Renz hatte es geschickt verstanden, den Erfolg als sein Verdienst darzustellen, doch Quinn war es egal. Der äußerst umtriebige und ehrgeizige Renz war in der Öffentlichkeit zum beliebtesten Polizeichef in der Geschichte New Yorks geworden. Zu einem Liebling der Medien und Spitzenreiter in den Meinungsumfragen. Dadurch hatte er einen Einfluss, den er ohne zu zögern einzusetzen wusste.

»Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen.«

»Über Geschwindigkeitsübertretung?«

Renz machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie sind viel zu schnell gefahren, doch ich will darüber hinwegsehen.«

Quinn drückte auf einen Knopf, um auf seiner Seite die Scheibe des Fensters herunterzulassen. Schwüle Luft und Abgase drangen in den Lincoln. Er zog ein letztes Mal an der Zigarre und schnippte den glühenden Stummel auf die Straße, wo er ein paar Funken sprühte.

»Mein Gott, jetzt auch noch das«, sagte Renz. »Warum drücken Sie die Zigarre nicht im Aschenbecher aus? Verbotene Havannas, Glücksspiel, Überschreiten des Tempolimits ... Was kommt als Nächstes?«

»Mit irgendwas muss man sich beschäftigen im Ruhestand.« Quinn seufzte und strich sich Zigarrenasche vom Hemd. »Es ist immer noch verdammt heiß da draußen.«

»Heißer, als Sie glauben.«

Quinn ließ auch die Fensterscheibe auf Renz’ Seite herunter, damit noch mehr Hitze in den Wagen strömte. Vielleicht würde der Polizeichef dann schneller verschwinden. Er beugte sich vor, und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Der im Leerlauf laufende Motor verstummte.

»Na los, erzählen Sie Ihre Geschichte«, sagte er. »Und reden Sie nicht wieder in Rätseln.«

Kapitel 5

Innerhalb von ein paar Minuten war es in dem Lincoln unangenehm heiß. Quinn ertrug es stoisch, denn er wusste, dass Renz deshalb eher verschwinden würde. Er hatte eine schwache Ahnung, was für eine Geschichte er hören und worauf alles hinauslaufen würde. Er glaubte nicht, dass es ihm gefiel.

»Vor einem Monat wurde in einem gut besuchten Club in Soho ein Manager eines Hedgefonds erschossen«, begann Renz. »Der Mann hieß George Manders.«

»Nie gehört«, bemerkte Quinn. Hoffentlich war alles schnell überstanden.

»Schon okay, Sie sind kein Verdächtiger.« Renz zog eine Grimasse und rümpfte die Nase, was vermutlich eine Reaktion darauf war, dass die feuchte Nachtluft den Geruch des Zigarrenrauchs irgendwie noch verstärkte. »Als er erschossen wurde, tanzte Manders gerade mit einer Frau, die er nicht kannte. Zumindest behauptet sie, sie hätten sich erst zehn Minuten zuvor kennengelernt, und er habe sie zum Tanzen aufgefordert. Die Tanzfläche wurde durch dieses farbige Strobe-Geflacker beleuchtet, durch das alle Bewegungen schnell und ruckartig wirken, und die Musik war so laut, dass niemand den Schuss aus der kleinkalibrigen Waffe gehört hat.«

»Wie klein?«, fragte Quinn.

»Kaliber 25.«

Das war zwar nicht völlig ungewöhnlich, doch bei kleinen Handfeuerwaffen war Kaliber 22 weiter verbreitet.

»Bei dem wild flackernden Licht und dem Krach, der heutzutage als Musik durchgeht, bemerkte zunächst niemand, dass Manders erschossen worden war. Als er zu Boden ging, haben die Leute vielleicht geglaubt, es gehöre zu seinem extravaganten Tanzstil, und er werde gleich wieder aufspringen. Dann haben Zeugen später gesagt, jemand habe sich über den am Boden liegenden Mann gebeugt, um mit ihm zu reden, wie sie glaubten, doch dann habe der Typ etwas aus der Innentasche von Manders Jackett gezogen und sei mit höllischem Tempo aus dem Club gerannt.«

»War das auch der Typ, der ihn erschossen hat?«, fragte Quinn.

»Soweit wir wissen schon«, antwortete Renz. »Niemand hat eine Waffe gesehen. Überhaupt hat kaum jemand bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Die Musik lief noch etwa eine Minute, nachdem Manders zu Boden gegangen war, und die Leute tanzten weiter.«

»Konnte jemand den Knaben identifizieren, der aus dem Club gestürmt ist?«

Renz schüttelte den Kopf. »Es geschah alles zu schnell und unter Umständen, wo die Leute etwas länger brauchen, um zu reagieren. Und die Hälfte von ihnen war betrunken oder hatte Drogen genommen. Niemand konnte den Typ identifizieren und keiner weiß, was aus der Tasche des Opfers entwendet wurde. Seine prall gefüllte Brieftasche war so wenig geklaut worden wie seine Rolex und ein goldener Ring.«

»Trauring?«

»Nein. Manders war seit fünf Jahren geschieden. Er lebte allein, so wie Sie.«

Quinn ignorierte die abschließende Bemerkung.

»Was für ein Club ist das denn?«

»Einer für reiche bis stinkreiche Heteros aus der Upperclass, die jemanden aufreißen wollen.«

»Also suchte Manders eine Frau«, sagte Quinn. »Und dann hat sich alles anders entwickelt, als er es sich vorstellte.«

»Kann man wohl sagen.«

»Vielleicht war der Mann, der sich über ihn gebeugt hat, gar nicht der Mörder, sondern jemand, der ihm helfen wollte. Und als er dann begriff, dass Manders tot war, hat er fluchtartig das Lokal verlassen, weil er nicht hineingezogen werden wollte in diese Geschichte.«

»Was wurde denn wohl entwendet aus der Tasche des Opfers?«

Quinn zuckte die Achseln. »Vielleicht gar nichts. Vielleicht hat der Typ, der sich über ihn beugte, nur seinen Herzschlag fühlen wollen. Vielleicht war es ein Arzt, der fremdgehen wollte und kein Interesse daran haben konnte, dass jemand von seiner Anwesenheit in dem Club wusste.«

Renz musste grinsen und entblößte dabei sein Kaninchengebiss. »Haha, die Story mit dem fremdgehenden Kardiologen ist super. Wieder mal ein Beweis dafür, was für ein erstklassiger Detective Sie sind. Hören Sie gut zu, die Geschichte ist noch nicht zu Ende.«

Es begann heftig zu regnen. »Tut mir leid, das hören zu müssen.« Quinn drückte auf die Knöpfe, um alle Fenster zu schließen, und dadurch wurde es noch wärmer in dem Wagen. Sofort waren die Scheiben beschlagen, und es schien, als wären sie völlig abgeschnitten von der Außenwelt. Neben dem kalten Zigarrenrauch war da nun noch etwas wie ein Modergeruch.

Renz schien es nichts mehr auszumachen. »Dann wurde letzte Woche im Central Park Alan Weeks erschossen, ein Typ aus der Führungsetage einer Versicherungsgesellschaft. Die Zeugen waren zu weit weg, um das Gesicht des Mörders erkennen zu können. Aber sie haben gesehen, wie er sich über das Opfer beugte und etwas aus einer Tasche zog, bevor er in einem Wäldchen verschwand.«

»Aber er hat nicht die Brieftasche geklaut?«

»Nein. Und auch nicht seine teure Taschenuhr. Die Kugel, die Weeks tötete, war auch eine vom Kaliber 25, wurde aber nicht aus der Waffe abgefeuert, mit der Manders getötet wurde. Außer diesen kleinkalibrigen Kugeln in ihren Köpfen scheint nichts die Morde an Manders und Weeks zu verbinden. Vielleicht noch das, was aus ihren Taschen entwendet wurde, was immer es war.«

Für eine Weile trommelte Quinn mit den Fingern auf dem Lenkrad, und es klang ein bisschen so wie das Geräusch des Regens, der auf das Wagendach prasselte.

»Vielleicht ein Zufall«, sagte er, obwohl kein echter Cop an Zufälle glaubte.

Renz grinste. »So wie wir beide rein zufällig heute Abend übereinander gestolpert sind.«

»Schicksal?«

Renz schüttelte den Kopf. »Auch nicht. Noch so ein Mord wie diese beiden, dann haben wir es mit einem Serienmörder zu tun. Und mit dem in solchen Fällen üblichen Medienrummel. Ich möchte, dass Sie und Ihr Team sich bereithalten und einschreiten, wenn es noch so einen Fall gibt. Zu den üblichen Bedingungen.«

In besonders schwierigen und heiklen Fällen wandte sich der clevere und außergewöhnlich ehrgeizige Renz an Quinn, zu dessen Team Pearl Kasner und Larry Fedderman gehörten, auch beide ehemals Detectives beim NYPD. Sie waren sozusagen die persönlichen Ermittler des Polizeichefs, die auf die Möglichkeiten des NYPD zurückgreifen konnten, sich aber nicht an alle Vorschriften halten mussten.

Es ging nicht nur darum, dass sie schwierige Fälle lösten, um Renz in einem guten Licht erscheinen zu lassen. Quinn kannte den bürokratischen Apparat und verfluchte ihn immer noch dafür, was er ihm angetan hatte. Aber man musste ihm nicht erzählen, dass sie auch darauf achten mussten, dass Renz‘ Image keinen Schaden nahm.

»Ich will, dass Sie und Ihre Leute sozusagen auf Standby sind«, sagte Renz. »Aber wir wissen beide, dass es nicht sehr lange dabei bleiben wird.

»Das sagt mein Bauchgefühl mir auch.«

»Sagt es Ihnen ebenfalls, dass Sie den Job annehmen sollten?«

»Es sagt mir, dass ich die Finger davonlassen soll.«

»Und Ihr Kopf?«

»Der sagt, dass ich mich so schnell wie möglich aus dem Staub machen sollte.«

»Aber Sie werden Pearl und Fedderman anrufen? Und bereit sein, diesen Psychopathen zu jagen?«

»Ja, ich glaub schon«, sagte Quinn.

Renz musterte ihn aufmerksam.

»Ihr Herz muss Ihnen doch sagen, was Sie tun sollen«, sagte er grinsend.

»Aussteigen.«

»Geht nicht«, sagte Renz. »Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass der Streifenwagen weggefahren ist, und jetzt regnet es. Sie müssen mich nach Hause bringen.«

»Sie hätten vorausschauender denken sollen.«

»Wenn ich nicht vorausschauend denken würde, wäre ich nicht hier, um mit Ihnen zu reden, Quinn. Wir müssen bereit sein für den Shitstorm der Medien.«

»Wohnen Sie immer noch an der East Fifty-first Street?«

»Ja«, antwortete Renz. »Hab aber alles renovieren lassen.« »Das ist ganz schön weit von hier«, bemerkte Quinn.

»Deshalb frage ich ja einen Freund.«

Quinn ließ den Motor an, doch bevor er losfuhr, nahm er noch eine Zigarre aus der Innentasche seiner Jacke und steckte sie mit dem Zigarettenanzünder am Armaturenbrett an. Wenn Renz mit ihm fuhr, würde er leiden müssen. Doch wenn ihm der Rauch nichts ausmachte, lag es daran, dass er selber Zigarrenraucher war und den Duft eines guten Tabaks erkannte.

»Sie haben doch eben gesagt, Sie würden Ihre letzte Zigarre rauchen«, bemerkte Renz.

»Die Letzte ist diese hier.«

Renz starrte ihn verärgert an, und Quinn musste lächeln.

Er hätte Renz eine Zigarre angeboten, wenn es keine verbotenen kubanischen Havannas gewesen wären.

Kapitel 6

Es war vor Mitternacht, und deshalb war Pearl vielleicht noch wach.

Sie war keine Nachteule in dem Sinn, dass sie sich nach Einbruch der Dunkelheit in der Stadt amüsiert hätte. Pearl fand einfach oft keinen Schlaf Wahrscheinlich ging sie in ihrer kleinen Wohnung auf und ab und zählte die Schritte. Es war schon immer so gewesen mit ihr, schon zu der Zeit, als sie noch mit Quinn zusammengelebt hatte. Manchmal wurde er um drei Uhr morgens wach, und sie saß im Wohnzimmer mit einer Tüte Kartoffelchips vor dem Fernseher und schaute Nachrichten oder einen Film. Sie mochte die alten Musicals von Busby Berkeley mit den opulenten, raffiniert choreografierten Tanzszenen.

Er hatte richtig getippt, sie war wirklich noch wach. Schon beim zweiten Klingeln nahm sie ab.

»Guckst du einen alten Film?«

»Spionierst du mich mit einem Teleskop aus, Quinn?«

»Ich würde es tun, wenn ich dich von hier aus sehen könnte.«

»Babes on Broadway«, sagte sie.

»Die würde ich mir auch mal gern aus der Nähe ansehen.” »So heißt der Film, der gerade läuft.«

»Mit Mickey Rooney?«

»Nein.«

»Darüber wollte ich eigentlich nicht mit dir reden«, sagte Quinn. »Aber reden müssen wir.«

»Reden?«

»Du solltest im Bett liegen und schlafen.«

»Du auch. Aber deshalb rufst du bestimmt nicht an. Dafür muss es einen guten Grund geben. Wenn nicht, lege ich auf, damit ich weiter den Tanzfilm sehen kann.«

Er erzählte ihr von dem Gespräch mit Renz. Und davon, was der Polizeichef von ihnen wollte.

»Ich habe immer noch den Job als Sicherheitsbeamtin bei der Sixth National Bank«, rief sie ihm ins Gedächtnis. »Da werde ich gebraucht.«

»Bei der Sixth National hat es seit 1927 keinen Banküberfall mehr gegeben.«

»Dann wird’s wohl bald so weit sein.«

»Du kannst dich beurlauben lassen.«

»Ich weiß, so steht’s in meinem Vertag. Es ist nur ...«

»Ja?«

»Du beginnst mit den Ermittlungen in diesen Mordfällen, und sie bestimmen dein ganzes Leben. Niemand weiß das so gut wie du, Quinn. Man ist geistig und körperlich voll beansprucht. Es wird zu einer verdammten Obsession.«

»Es gibt gute Obsessionen, Pearl.«

»Tatsächlich? Mir fällt keine ein.«

Quinn hatte keine Lust, mit ihr zu streiten. »Okay, wir sind Sklaven unserer selbst, bis wir ins Grab sinken. Also, bist du dabei?«

Sie antwortete nicht sofort. Im Hintergrund hörte er leise einen Song des Musicals.

»Pearl?«

»Ja, ich bin dabei.«

Nach dem Telefonat mit Pearl beschloss Quinn, mit dem Anruf bei Fedderman bis zum nächsten Morgen zu warten. Ruheständler gingen doch früh ins Bett, oder?

Und so legte auch er sich hin.

Aber er konnte nicht einschlafen. Vielleicht hatte Pearl recht, wenn sie sagte, es sei eine Besessenheit. Und doch war er durch und durch Cop. Es schien sein Schicksal zu sein, Serienmörder zur Strecke bringen zu müssen.

Und er hatte nach dem Gespräch mit Renz wenig Zweifel daran, dass einmal mehr einer dieser Psychopathen in New York sein Unwesen trieb. Und er hatte es sich selbst zuzuschreiben, dass er es mit ihm, Quinn, zu tun bekommen würde. Was er noch bedauern würde.

»Es geht wieder los«, murmelte er vor sich hin, und kurz darauf schlief er ein.

Kapitel 7

Am nächsten Morgen schaltete Quinn die Kaffeemaschine ein, damit er schon vor dem Frühstück im Lotus Diner den dringend benötigten Koffeinstoß bekam. Er duschte und rasierte sich. Als er sich angezogen hatte und sich kämmte, fiel ihm auf, dass er mal wieder zum Friseur musste, doch das konnte noch warten.

Er nahm das schnurlose Telefon mit in die Küche und legte es neben der Tasse auf den Tisch. Dann schenkte er den Kaffee ein, der gerade durchgelaufen war. Halb zehn. Mittlerweile sollte Fedderman auf den Beinen sein. Vielleicht war er auch schon mit dem Boot rausgefahren, um zu angeln. Oder er saß mit ein paar anderen pensionierten Cops in einem Diner und tauschte Storys mit ihnen aus, die jeder zufällige Zuhörer für Lügen gehalten hätte.

Aber Fedderman nahm schon beim zweiten Klingeln ab. Diskussionen wie mit Pearl gab es mit ihm nicht.

»Also ist es mal wieder so weit«, sagte er, nachdem Quinn ihm von dem Gespräch mit Renz erzählt hatte. »Dann haben wir ja für eine Weile etwas zu tun. Endlich hat mein Leben wieder einen Sinn. Hier unten drehe ich noch durch.«

Quinn trank einen Schluck Kaffee und verbrannte sich die Zunge. »Ist die Lage so schlimm, Feds?«

»Es ist, wie es ist. In meinem Alter allein leben und Sonderangebote kaufen müssen, damit die Pension reicht, das ist nicht mein Ding. Manche Leute mögen damit klarkommen. Ich nicht.«

»Es gibt viele Menschen, die auch im Ruhestand noch ein aktives Leben führen«, sagte Quinn, obwohl er genau wusste, was Fedderman meinte. Manchmal fühlte er sich genauso. Er wachte auf und hatte Beklemmungen, wie unter einer dieser Bleiwesten, die man beim Zahnarzt vor dem Röntgen umgelegt bekam. Dann fiel einem auch das Atmen schwer.

»Ich hab’s mit Golf und Angeln versucht«, fuhr Fedderman fort. »Golf treibt mich zum Wahnsinn, und angeln ist langweilig.«

»Gibt’s da unten keine reichen Witwen?«

»Nur welche, die reiche Männer suchen. Mit ehemaligen Cops wollen die nichts zu tun haben. Nur eine Story aus meiner Vergangenheit, dann wollen sie nichts mehr mit mir zu tun haben.«

»Mein Gott, dann bin ich froh, dich angerufen zu haben.«

»Ich bin’s auch.«

Vor seinem inneren Auge sah Quinn ein Bild von Fedderman. Hoch aufgeschossen, mit Bauch und Halbglatze. Der teuerste Anzug sah bei ihm so aus, als hätte man ihn einem Penner weggenommen. Nein, Fedderman war wahrlich nicht der Typ, auf den reiche Witwen standen.

»Ist deine Beziehung zu Pearl immer noch angespannt?«, fragte Fedderman.

»Ja. Sie hat immer noch eine eigene Wohnung und arbeitet weiter als Sicherheitsbeamtin bei der Sixth National Bank.«

»Das ist ein Job für achtzigjährige Greise«, sagte Fedderman. »Da taucht heute kein Bankräuber mehr auf. Heutzutage erledigen die das online am Computer.«

»Ja, die moderne Technologie ...«

»Wer zum Teufel kommt da mit, Quinn?«

»Jeder, der unter dreißig ist.«

»Aber wir nicht.«

Quinn trank vorsichtig den nächsten Schluck Kaffee. Er war immer noch ziemlich heiß.

»Willst du, dass ich mich in den Flieger setze und nach New York komme?«, fragte Fedderman. »Ich kann einen Nachbarn auf die Eigentumswohnung aufpassen lassen und mein Cabrio in einem Parkhaus abstellen.«

»Du fährst ein Cabrio?«

»Wie so viele ältere Männer hier. Erinnert sie an ihre Jugend. Hier gibt’s einen Autohändler, der zu akzeptablen Preisen Cabrios verkauft, die in Schwellenländern produziert werden, wo die Lohnkosten niedrig sind. Ich fahre einen roten Sockoto Senior Special. Der Fahrersitz lässt sich drehen und anheben, damit ein alter Mann leichter aussteigen kann.«

Das klang beunruhigend. »Du bist gerade mal Mitte fünfzig, Feds. So einen technischen Schnickschnack brauchst du nicht.«

»Ist aber bequem und macht einem das Leben leichter. Verglichen mit mir bist du noch ein junger Spund. Du hast das gut geschaukelt mit der Frühpensionierung, aber du wirst noch sehen, wie dieses Leben in späteren Jahren ist.«

Frühpensionierung, dachte Quinn. Eine unberechtigte Anklage wegen Kindesmissbrauchs, dann eine Kugel ins Bein. Auch eine Art, vorzeitig in den Ruhestand zu treten.

»Nicht, dass du dir die Pensionierung nicht verdient hättest«, fuhr Fedderman fort. »Also, soll ich mich sofort in den Flieger nach New York setzen?«

»Noch nicht. Renz will noch abwarten, bis wir wissen, dass wir es wirklich mit einem Serienmörder zu tun haben, und bis die Medienmeute zu heulen beginnt. Dann gibt er uns grünes Licht.«

»Warum warten?«

»Weil es offiziell bis jetzt noch keinen Serienmörder gibt. Sie haben nicht genug Beweise, um einen unbezweifelbaren Zusammenhang zwischen den beiden Morden herstellen zu können.«

»Nach dem, was du erzählt hast, gehe ich fest von einem Serienmörder aus.«

»Renz hat noch Hoffnung, dass es kein drittes Opfer geben wird. Meiner Meinung nach macht er sich etwas vor. Aber du weißt, wie er ist.«

»Also sitzen wir untätig herum und warten darauf, dass er ein drittes Mal zuschlägt?«

»Uns wird nichts anderes übrigbleiben.«

»Es würde mich ja freuen, wenn sich Renz’ Hoffnung erfüllt, aber ich weiß es besser.«

»Ich auch.«

Quinn gab etwas Milch in seinen Kaffee und trank einen Schluck. Jetzt war er nicht mehr zu heiß. Gelegentlich benutzte er gern morgens zu Hause die Kaffeemaschine, weil es dann in der Küche so angenehm nach den frisch gemahlenen Bohnen duftete.

»Willst du nicht wissen, wie viel Renz diesmal bezahlt?«, fragte er.

»Scheiß auf das Geld«, sagte Fedderman. »Du weißt, was ich meine?«

»Ja. Dir geht es um die Sache an sich.«

»Und Pearl sieht es genauso. Deshalb habe ich immer gewusst, dass ihr beide zusammengehört.«

»Wir sind wie Feuer und Eis«, sagte Quinn. »Manchmal gibt es eine Menge Rauch, aber Gott sei Dank kaum Flammen.«

Fedderman reagierte nicht sofort. Dann: »Spürst du auch, dass er irgendwo da draußen ist, Quinn?« Er konnte nichts dagegen tun, dass in seiner Stimme Hoffnung lag.

Quinn war bekannt dafür, dass er sich hineinversetzen konnte in die Köpfe dieser Psychopathen, die immer wieder töteten. Er folgte ihrer Spur wie ein Jäger, der eine Fährte aufnimmt.

»Also, Quinn?«

»Die Stimme am anderen Ende klang sehr leise, ganz so, als hätte sich Florida vom Festland losgelöst.

»Ja, ich spüre ihn«, sagte Quinn.

Nach dem Ende des Telefonats trank er weiter Kaffee, und der machte ihn hungrig.

Kapitel 8

Pearl saß mit ihrem Mobiltelefon in der Hand auf einer Parkbank und fragte sich, ob sie sich richtig entschieden hatte. Es ging nicht um die Sixth National Bank. Sie wusste, dass man sie dort nach dem Job für das New York Police Department wieder einstellen würde. Es ging um Quinn. Für sie war die Geschichte mit ihm definitiv vorbei, aber wusste er es? Und würde er sich dementsprechend verhalten?

Hatte sie einen Fehler gemacht? Sollte sie Quinn anrufen und ihre Zusage zurücknehmen, wieder als Polizistin zu arbeiten, wenn auch nur für eine Weile?

Fragen. Etliche davon. Doch wenn es zu viele wurden, gab es für sie in der Regel nur eine Devise: Augen zu und durch.

Und diesmal war es genauso. Sie steckte das Mobiltelefon wieder in ihre Handtasche und lehnte sich zurück. Die Bank stand am Rand des Parks, an einer Straße, und auf dem Bürgersteig waren jede Menge Fußgänger unterwegs.

Sie war eine dunkelhaarige, attraktive, energiegeladene Frau, was sich auch dann mitteilte, wenn sie reglos auf einer Parkbank saß. Mehrere Männer starrten sie an, doch sie ignorierte es.

Im Moment fühlte sie sich überhaupt nicht attraktiv, und die gnadenlos vom Himmel herabbrennende Sonne trug wenig dazu bei, ihre miese Stimmung zu verbessern. Sie spürte, wie unter ihrer Bluse ein Schweißtropfen ihren Rücken hinabrann. Gewöhnlich fühlte sie sich besser, wenn sie eine Entscheidung getroffen hatte und es kein Zurück mehr gab. Diesmal nicht. Sie hoffte, dass das kein böses Omen war.

Die Hitze war erstickend, und es wurde nicht besser dadurch, dass sie in der Luft hängende Abgase einatmete. Aber so war das in Manhattan, und bis jetzt war sie immer noch damit klargekommen. Millionen Menschen mussten es.

Ein Eichhörnchen, dessen Schwanz so aussah, als wäre er unter einen Autoreifen gekommen, näherte sich der Bank, vor der ein paar Erdnussschalen herumlagen. Es begann an einer zu picken, erstarrte dann und stand reglos da.

Pearl blickte auf und sah den Falken. Seine Geschwindigkeit und die Art und Weise, wie er in den Himmel aufstieg, waren ein atemberaubender Anblick.

»Sieh mal, ein Falke!«, hörte sie jemanden in der Nähe sagen.

Wie viele andere New Yorker hatte auch sie von den vielen Wanderfalken gelesen, die oben auf den Wolkenkratzern ihre Nester bauten, als wären sie irgendwo in den Bergen. Die Bewohner der Hochhäuser wollten manchmal, dass die Vögel gefangen oder getötet wurden, weil überall vor den Eingängen Vogelkot lag. Es konnte gefährlich sein, dort zu stehen und auf ein Taxi zu warten. Manchmal wurden an der Fassade Markisen angebracht, damit die Passanten auf dem Bürgersteig in Sicherheit waren vor dem Kot.

Laut den Zeitungsartikeln gab es in New York City über ein Dutzend Falkenarten, die sich von kleineren Vögeln wie Spatzen und Tauben ernährten. Also war dieser Falke vielleicht nur neugierig gewesen, und das Eichhörnchen hatte nichts zu befürchten gehabt.

Einige Passanten, denen der Wanderfalke ebenfalls aufgefallen war, waren stehen geblieben und blickten zum Himmel auf, die Augen mit einer Hand beschirmend. Unter ihnen war ein etwa zehnjähriger Junge, der den Kopf in den Nacken geworfen und den Mund vor Staunen weit aufgerissen hatte.

Der Falke spreizte die Flügel, schwebte für einen Moment auf der Stelle in der Luft und setzte sich schließlich hoch oben auf eines der umstehenden Gebäude.

»Wow, was für ein Anblick«, hörte sie jemanden sagen.

Ein etwa vierzigjähriger Mann in einem grauen Anzug hatte sich neben sie auf die Bank gesetzt. In einer Hand hielt er eine braune Papiertüte, in der sich bestimmt sein Mittagessen befand, in der anderen eine noch nicht geöffnete Mineralwasserflasche aus Kunststoff. Er bekam eine Glatze, hatte die restlichen Haare nach vorn in die Stirn gekämmt und sah aus, als käme er gerade aus dem Bett. An einem Finger der Hand mit der Wasserflasche fiel Pearl ein Trauring auf, aber die Art und Weise, wie er sie anschaute, passte überhaupt nicht zu einem verheirateten Mann.

»Ja«, stimmte sie zu, stand auf und verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Der Mann hinter ihr sagte nichts mehr.

In dieser Stadt gab es jede Menge Männer, doch sie war etwas Besonderes und ließ sich nicht von jedem anquatschen.

Im Augenblick war sie zufrieden damit, allein zu leben. Nur selten ging sie in eine Bar, um einen Mann kennenzulernen, aber sie suchte nichts Ernstes.

Und doch, wenn ihr der Richtige über den Weg lief ...

Ihre Naivität ließ sie lächeln. Der Richtige, der Falsche, es war alles so viel komplizierter.

Sie machte sich auf den Weg zur nächsten U-Bahn-Station. Wieder zog sie bewundernde Blicke auf sich, doch sie ignorierte sie.

Sie hatte sich entschieden und weigerte sich, sich durch ihre Zweifel einschüchtern zu lassen.

Lavern Neeson lag da, als würde sie schlafen, und hörte, wie die Wohnungstür geöffnet und geschlossen wurde. Der Schlüssel, der sich im Schloss drehte, das leise Geräusch, als die Tür über den Teppichboden glitt, schließlich das Klicken, mit dem die Tür ins Schloss fiel. Danach legte ihr Mann Hobbs die Kette vor, und sie waren zusammen in der Wohnung eingeschlossen. Lavern zitterte unter der dünnen Bettdecke.

Für ein paar Minuten war Hobbs im Badezimmer. Sie hörte, wie er urinierte und die Toilettenspülung betätigte. Dann wurde der Wasserhahn aufgedreht. Es klang so, als würde er sich sicher bewegen. Heute Abend war er nicht betrunken, und er war es auch gar nicht so oft, wie es ihr manchmal schien. Der Alkohol wäre vielleicht noch so etwas wie eine Entschuldigung gewesen dafür, was er ihr antat und was sie zuließ.

Aber sie hätte es ohnehin nicht verhindern können. Nach sieben Jahren Ehe war sie einfach nur noch ratlos.

Nein, der Alkohol war nicht das Problem.

Etwas, das sie getan hatte? Länger getan hatte? Es musste einen plausiblen Grund geben für die sie so sehr belastenden Schuldgefühle. Es musste einen fruchtbaren Boden geben, auf dem diese Schuldgefühle gewachsen waren.

Meine Schuld.

Das war nicht der Schluss, zu dem sie kam, wenn sie ihr Problem gründlich analysierte, und doch empfand sie dieses Schuldgefühl, das sie wehrlos machte. Es durfte nicht so weitergehen, und doch konnte sie nichts dagegen tun. Jedes Mal, wenn es passierte, war sie völlig hilflos, konnte es nicht verhindern. Früher hatte Hobbs mit ihr diskutiert über das Problem, hatte sich scheinbar aufmerksam angehört, was sie zu sagen hatte, doch mittlerweile wusste sie, dass alles nur Schau gewesen war.

Was stimmt nicht mit uns?

Die Frage stellte sie sich immer wieder. Unterdessen gab Hobbs nicht einmal mehr vor, ihr zuzuhören und darüber nachdenken zu wollen.

Und mittlerweile wusste Lavern, dass er die Antwort auf die Frage auch nicht kannte. Oder er hatte Angst vor ihr, genau wie sie. Vielleicht fürchtete er sich auch davor, sich die Frage überhaupt zu stellen.

Wo soll das alles enden?

Dann wurde Licht gemacht in dem Schlafzimmer, und es blendete sie. Sie kniff die Augen zu und vergrub das Gesicht im Kissen. So lag sie reglos da.

Hobbs wusste, dass sie nicht schlief. Er kannte all ihre Tricks, mit denen sie das Unvermeidliche verhindern wollte.

»Lavern?«

Sie seufzte, öffnete die Augen und setzte sich auf. Sie war eine attraktive Frau mit honigblondem Haar und blauen Augen. Sie war schlank und hatte eine wohlgeformte Figur, nur waren ihre Brüste ziemlich klein. Vor Jahren hatte sie über Implantate nachgedacht, doch sie war froh, dass sie sich dagegen entschieden hatte, denn es wäre angesichts der jetzigen Situation zu gefährlich gewesen. Ihre Gesichtsform war etwas länglich, und ihre Lippen schlossen sich nicht ganz wegen eines leichten Überbisses. Hobbs pflegte zu sagen, er finde das sexy. Ihr rosafarbenes Nachthemd rutschte von einer Schulter und entblößte fast ganz eine Brust, die etwa die Größe eines Teetässchens hatte.

Hobbs war über eins achtzig und unterdessen fast vierzig, doch er war immer noch ein kräftiger, sportlicher Mann. Auf dem College hatte er Football gespielt, bis er es wegen einer Knieverletzung aufgeben musste. Noch immer hatte er dieses extrem kurz geschnittene Haar, das seine eckigen Gesichtszüge betonte, die so grausam waren wie die eines römischen Kaisers. Dazu kam sein kalter Blick. Er hatte fast die gleiche Augenfarbe wie seine Frau, doch während die bei ihr sanft und resigniert wirkte, wirkte der Blick von Hobbs’ Augen hart wie Diamanten.

Auf dem College hatte sie ihn noch nicht gekannt, obwohl sie wusste, wer er war. Kennengelernt hatten sie sich sechs Jahre später an der First Avenue, als sie wegen eines heftigen Regengusses genötigt gewesen waren, gemeinsam ein Taxi zu nehmen– zwei Menschen, die das Pech hatten, in dieselbe Richtung zu müssen, was sie seinerzeit natürlich beide für einen Glücksfall gehalten hatten. Sie hatten so viel gemeinsam – zumindest hatte er sie das glauben machen wollen –, und im Bett hatte es zunächst perfekt geklappt.

Für eine Weile war es eine gute Beziehung gewesen. Sie hatten übereilt geheiratet, an einem Wochenende in Las Vegas, nach einer durchzechten Nacht.

Nach der Hochzeit lernten sie sich besser kennen, und nun zeigte sich, wie Hobbs wirklich war. Aber wahrscheinlich war er schon immer so gewesen, und sie hatte ihn zu sehr geliebt, um es zu bemerken.

Jetzt hatte er sein Hemd ausgezogen, die Hose aber noch an. Aber er hielt den Ledergürtel in der rechten Hand.

Was habe ich jetzt schon wieder getan?

»Die Handtücher, Lavern«, sagte er in einem bedrohlichen Ton.

Sie hatte keine Ahnung, wovon er redete. »Was für Handtücher?«

»Die im Bad. Ich geh pissen, wasch mir danach die Hände und sehe, dass die gottverdammten Handtücher dreckig sind. Du hast sie nicht mal gerade aufgehängt. Sie lagen zusammengeknüllt unter dem Handtuchregal und konnten nicht trocknen. So verbreiten sich Krankheiten, Lavern.«

Sie war verstört. Er schien es tatsächlich ernst zu meinen.

»Ich sehe nach«, sagte sie und wollte aus dem Bett steigen.

In dem Moment traf sie der Gürtel in die Rippen, doch sie schrie nicht auf. Die Nachbarn durften nicht gestört werden. Und durften es nicht wissen.

Sie stöhnte vor Schmerzen und beugte sich so weit vor, dass die Ellbogen auf ihren Knien ruhten.

»Steh auf, Lavern. Nimm deine Medizin.«

Ihr war klar, dass das alles nichts mit den Handtüchern zu tun hatte. Es war seine Krankheit, etwas in seinem Herzen, eine namenlose Wut, die er ab und zu an ihr abreagierte.

Während sie noch gegen den Schmerz ankämpfte, überraschte er sie, weil er nicht erneut mit dem Gürtel zuschlug. Stattdessen ohrfeigte er sie so brutal, dass sie glaubte, es müsste ihr den Kopf von der Wirbelsäule reißen. Sie schmeckte Blut und sah auch einen roten Spritzer auf dem Spiegel über der Frisierkommode.

Er packte ihren Arm, und sie erwartete den nächsten Schlag.

Gewalttätigkeit war für ihn etwas ganz Natürliches. Einer seiner Freunde hatte ihr ins Gedächtnis gerufen, dass er beinahe vom College geflogen wäre, weil er einen anderen Studenten fast totgeschlagen hatte, nur weil sie wegen eines Films anderer Meinung gewesen waren. Sie erinnerte sich vage an den Vorfall, auf dem Campus hatten damals alle darüber geredet. Und man hätte ihn von dem College verwiesen, nur passierte die Geschichte vor seiner Knieverletzung, als er noch ein Star des Footballteams gewesen war. Der Vorfall hatte keine Konsequenzen gehabt und wurde als eine normale Prügelei unter Studenten abgehakt. Dabei hätte er eine ernsthafte Warnung sein sollen.

Doch das alles war für ihre gegenwärtige Situation bedeutungslos. Und in jüngeren Jahren hätte sie eine solche Warnung ohnehin nicht ernst genommen. Auch später noch nicht. So ist er eben, hatte sie gedacht, wie alle an der Fakultät. Wie alle anderen hatte sie sein jugendliches Fehlverhalten entschuldigt. Und es war ein Erlebnis, ihn auf dem Footballplatz zu sehen. Es wurde sogar darüber geredet, er solle einen Profivertrag bekommen. Von Zeit zu Zeit hatte sie sich damals gefragt, ob es eine Möglichkeit gebe, ihn kennenzulernen.

Dann passierte das mit der Knieverletzung, und kurz darauf hatte sie gehört, er habe das College verlassen.

Jetzt stieß ihr Mann sie auf das Bett und drehte sie auf den Rücken.

Und dann saß er rittlings auf ihrem zierlichen Körper und schlug weiter auf sie ein, vielleicht nicht mit voller Wucht, aber methodisch, eine Ohrfeige nach der anderen. Sie schloss die Augen und dachte an nichts mehr.

Irgendwann hörte er auf.

Eines Tages wird er mich töten. Oder einen anderen.

Dann spürte sie, wie er sein Gewicht verlagerte, und sie hörte, dass er den Reißverschluss seiner Hose aufzog.

Zumindest war es jetzt mit den Schlägen vorbei.

Er wird jemanden töten.

Kapitel 9

Joseph Galin war bei Bewusstsein, konnte aber weder klar denken noch sehen. Seine Welt war jetzt eine ohne Zeit und Sinn. Er hatte keine Erinnerung daran, wie er hierhergekommen war. Er saß zusammengesunken in einem Auto.

In seinem Auto?

Er konnte sich nicht bewegen. Zwar hatte er keine Schmerzen, doch da war dieses Taubheitsgefühl. Begonnen hatte es mit den Füßen, dann mit den Händen. Nun hatte er gar kein Gefühl mehr in den Extremitäten.

Durch die Windschutzscheibe sah er die Motorhaube, auf der irgendein Vogel herumspazierte und pickte, wobei er möglicherweise den Lack beschädigte. Es war Abend und wurde dunkel. Die Dämmerung war schon fast vorbei.

Als es dann völlig finster war, kam es ihm so vor, als säße er in einem abgetrennten Raum und als hätte jemand vor den Fenstern Jalousien herabgelassen. Merkwürdig. Seltsam war auch, dass er keine Angst hatte. Was zum Teufel war los?

Bin ich betrunken?

Er war schon häufiger auf Sauftour gewesen, glaubte aber nicht, dass er jetzt eine hinter sich hatte.

Wenn ich mich nur erinnern könnte, wo ich bin ...

Es roch nach Leder und schmutzigen Kupfermünzen ... Pennys.

Ich gäbe einiges dafür, wenn ich wüsste, was los ist ...

Die Finsternis lastete schwer auf ihm, da konnte er auch genauso gut die Augen schließen. Es machte keinen Unterschied. Er hörte sich seufzen, hörte den Vogel auf der Motorhaube picken, dann ein Auto, das an der Mündung der Seitengasse vorbeifuhr.

Seitengasse?

Er begann sich zu erinnern, und jetzt bekam er Angst.

Und sie ließ nicht mehr nach, klammerte sich an ihm fest wie eine Geliebte, die mit ihm sterben musste.

Sterben?

Dann sprach er laut ein Wort aus, ohne zu wissen warum. »Hawk.«

Und dann sah er gar nichts mehr, auch nicht vor seinem inneren Auge. Und er konnte sich nicht daran erinnern, was er nicht mehr sehen konnte. Er roch auch nichts mehr, weder Leder noch Kupfermünzen. Er hörte und fühlte nichts mehr ...

Nichts.

Das Zirpen des auf dem Nachttisch liegenden Telefons riss Quinn aus dem Tiefschlaf. Sein Mund und die Kehle waren ausgetrocknet, die Augenlider verklebt. Er öffnete sie mühsam und konnte das Leuchtziffernblatt seiner Uhr nur undeutlich erkennen.

Er tastete in der Dunkelheit nach dem Telefon und meldete sich.

Wenigstens hört es jetzt mit dem verdammten Zirpen auf.

Wie ein schwatzender Vogel.

»Quinn?«

Renz. Na super.

»Ja, am Apparat.«

Er knipste die auf dem Nachttisch stehende Leselampe an und warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach fünf morgens.

»Habe ich Sie geweckt?«

»Sie haben es erraten. Haben Sie deshalb angerufen? Um mich zu wecken?«

»Ja, aber es gibt noch einen wichtigeren Grund. Erinnern Sie sich an unser Gespräch, vor einer Woche in Ihrem Auto?«

Mittlerweile war Quinn ziemlich wach. »Ja, ich erinnere mich. Haben wir den nächsten Mord?«

»Leider ja. Erinnern Sie sich an Joe Galin?«

Quinn kramte in seinem Gedächtnis und sah vor seinem inneren Auge einen untersetzten, grauhaarigen Cop in Zivil, dessen freundliches Lächeln schnell hart wirken konnte. »Detective Joe Galin vom Rauschgiftdezernat Manhattan South?«

»Sie sagen es.«

»Galin ist tot?«

»Oder ein verdammt guter Schauspieler.«

Quinn war nicht nach schlechten Scherzen zumute. »Unser Killer hat einen Cop umgelegt?«

»Zweifellos. Wieder ein Kopfschuss, wieder eine Kugel vom Kaliber 25. Übrigens war Galin ein Ex-Cop. Er war im Ruhestand, wie Sie.«

»Wies aussieht, bin ich ja jetzt wohl wieder im Dienst.«

Trotz der frühen Stunde rief Quinn Pearl und Fedderman an. Nachdem er sich angezogen hatte, setzte er sich ins Auto und fuhr in der Morgendämmerung quer durch die Stadt zur Fifty-ninth Street Bridge, über die man nach Queens gelangte.

Es war ein grauer Tag. Quinn parkte am Bordstein hinter einem Streifenwagen. Ein weiterer Streifenwagen und ein Polizeiauto ohne das Emblem des New York Police Department standen vor einem Take-away, auf dessen Fensterscheibe PIZZA-RIO gepinselt war. Darunter stand in kleineren Buchstaben: PIZZA MIT EINER SPANISCHEN NOTE.

Könnte man mal probieren, dachte Quinn, als er aus dem Lincoln stieg. Aber nicht jetzt. Im Moment stand ihm der Sinn eher nach Kaffee. Er hätte sich die Zeit nehmen sollen, im Lotus Diner vorbeizuschauen. Da gab es auch Kaffee zum Mitnehmen. Er hätte nur ein paar Minuten länger gebraucht.

Mehrere uniformierte Polizisten und zwei Detectives in Zivil standen in einem Kreis auf dem Bürgersteig. Alle hielten weiße Styroporbecher in der Hand, aus einigen stieg Dampf auf. Zwei Männer frühstückten auch.

Während Quinn zur Mündung der Seitengasse ging, wo laut Renz geschossen worden war, erblickte ihn der kleinere der beiden Detectives in Zivil. Er hatte graues, sehr kurz geschnittenes Haar und ein breites, gerötetes Gesicht.

Er kam lächelnd auf ihn zu. »Captain Quinn?«

Quinn nickte. Ihm fiel auf, dass der Mann in beiden Händen einen Kaffeebecher hielt.

»Ich bin Detective Charlton Lewellyn und habe mit Commissioner Renz telefoniert. Er hat gesagt, dieser Mord sei Ihr Fall.« Er hielt Quinn einen Becher mit einem weißen Plastikdeckel hin.

Quinn nahm ihn, bedankte sich und probierte. Anständiger Kaffee, etwas Milch, kein Zucker. Hatte Lewellyn sich bei jemandem erkundigt, wie er seinen Kaffee am liebsten mochte?

»Hoffentlich ist der Kaffee okay.«

Quinn trank den nächsten Schluck. »Alles bestens.«

»Wir haben am Tatort alles so belassen, wie wir es vorgefunden haben«, sagte Lewellyn, während sie zu der Seitengasse gingen. Die uniformierten Polizisten hatten sich in Bewegung gesetzt, um Passanten fernzuhalten. Einer von ihnen saß in einem Streifenwagen mit offener Tür und füllte auf einem Klemmbrett irgendein Formular aus. Einer seiner Kollegen stand in der Nähe, als bräuchte der Cop in dem Wagen Hilfe beim Ausfüllen des Formulars. Quinn fand, dass ziemlich wenig Polizisten vor Ort waren, wenn man bedachte, dass ein Ex-Cop erschossen worden war. Vielleicht war es Renz unauffällig lieber. Oder Galin war schon zu lange im Ruhestand gewesen. Ungefähr fünf Jahre, hatte Renz gesagt.

Die Mündung der Seitengasse war mit gelbem Flatterband abgesperrt. Lewellyn hob es an, damit Quinn darunter hindurchschlüpfen konnte.