Opferschrei - John Lutz - E-Book
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Opferschrei E-Book

John Lutz

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Beschreibung

Eine Wahrheit, die besser verborgen geblieben wäre: Der rasante Thriller »Opferschrei« von Bestsellerautor John Lutz jetzt als eBook bei dotbooks. In der Stadt, die niemals schläft, sind die Nächte voller Grauen … Ein gnadenloser Killer sucht die reiche Oberschicht New Yorks heim: Er dringt unbemerkt in die Häuser seiner Opfer ein, beobachtet sie beim Schlafen – und wartet auf den perfekten Moment, um sie schließlich zu töten! Als der Ex-Polizist Frank Quinn auf den »Night Prowler« angesetzt wird, nimmt er ohne zu zögern die Jagd auf: Denn dieser Fall ist seine letzte Chance, seinen ruinierten Ruf als Mordermittler zu retten, nachdem er fälschlicherweise einer Vergewaltigung bezichtigt wurde. Doch sein Gegenspieler ist ihm stets einen Schritt voraus, und die Verbündeten im Polizeipräsidium sind rar … Wird es Quinn gelingen, dem mörderischen Spiel des »Night Prowlers« ein für allemal ein Ende zu setzen? »John Lutz ist ein Meister der Gänsehaut.« Bestsellerautor Harlan Coben Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der abgründige Thriller »Opferschrei« von New-York-Times-Bestseller-Autor John Lutz ist der nervenaufreibende erste Band seiner Reihe um den New Yorker Ex-Cop Frank Quinn – Fans von Chris Carter werden begeistert sein! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 686

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Über dieses Buch:

In der Stadt, die niemals schläft, sind die Nächte voller Grauen … Ein gnadenloser Killer sucht die reiche Oberschicht New Yorks heim: Er dringt unbemerkt in die Häuser seiner Opfer ein, beobachtet sie beim Schlafen – und wartet auf den perfekten Moment, um sie schließlich zu töten! Als der Ex-Polizist Frank Quinn auf den »Night Prowler« angesetzt wird, nimmt er ohne zu zögern die Jagd auf: Denn dieser Fall ist seine letzte Chance, seinen ruinierten Ruf als Mordermittler zu retten, nachdem er fälschlicherweise einer Vergewaltigung bezichtigt wurde. Doch sein Gegenspieler ist ihm stets einen Schritt voraus, und die Verbündeten im Polizeipräsidium sind rar … Wird es Quinn gelingen, dem mörderischen Spiel des »Night Prowlers« ein für allemal ein Ende zu setzen?

Über den Autor:

John Lutz (1939–2021) war ein US-amerikanischer Autor von über 50 Thrillern und Romanen. Er wurde für seine Kriminalromane mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Shamus Lifetime Achievement Award und dem Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Spannungspreis Amerikas. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die folgenden eBooks:

Die Missouri-Murders-Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger:

»Missouri Murders: Schwarze Nacht«

»Missouri Murders: Kaltes Schweigen«

»Missouri Murders: Tiefe Schatten«

»Missouri Murders: Harte Strafe«

»Missouri Murders: Fatale Schuld«

Die Florida-Killings-Reihe um den Ex-Cop Fred Carver:

»Florida Killings: Brennende Rache«

»Florida Killings: Roter Tod«

»Florida Killings: Kaltes Feuer«

»Florida Killings: Sengender Verrat«

»Florida Killings: Lodernder Zorn«

Seine Frank-Quinn-Reihe um einen Ex-Cop auf der Spur von Serienkillern:

»Opferschrei«

»Blutschrei«

»Zornesschrei«

»Jagdschrei

Außerdem veröffentlichte der Autor bei dotbooks den Psychothriller »Die Stalkerin«.

Die Website des Autors: www.johnlutzonline.com

Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/JohnLutzAuthor

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eBook-Neuausgabe Juli 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2004 unter dem Originaltitel »Darker than Night« bei Kensington Publishing Corp., New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2014 bei Weltbild.

Copyright © der Originalausgabe John Lutz, 2004

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2014 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/R19, ABC Vector

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)

ISBN 978-3-98952-158-2

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13, 4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/egmont-foundation. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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John Lutz

Opferschrei

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Annette Nau

dotbooks.

Kapitel 1

Jan Elzner schreckte aus dem Schlaf hoch.

Irgendetwas ... ein Geräusch aus der Küche, war in ihre süßen Träume eingedrungen, an die sie sich jetzt schon nicht mehr erinnern konnte. Sie streckte ihren Arm aus, um Martin, ihren Mann, anzustupsen, doch ihre Hand ertastete nur das glatte Leintuch und das kühle Kissen. Vielleicht war er vor ihr aufgewacht und aufgestanden, um dem Geräusch nachzugehen.

Jan lächelte und sank wieder in einen leichten Schlaf, sicher, dass ihr Mann gleich ins Bett zurückkehren würde und alles in Ordnung war. Wahrscheinlich hatte das Geräusch nichts zu bedeuten. Vielleicht war es die Eiswürfelmaschine, die ihren Dienst tat, oder in einem der Schränke war etwas kippelig gestanden und umgefallen. Martin würde sich darum kümmern, so wie er sich immer um alles kümmerte. Er war ein Mann, der ...

Eine Stimme.

Sie konnte zwar nichts verstehen, war sich aber sicher, dass es Martins Stimme war.

Mit wem mochte er um – sie warf einen Blick auf den Radiowecker neben dem Bett – drei Uhr morgens bloß reden?

Dann war es plötzlich still.

Jan riss die Augen auf und lag bewegungslos in der Dunkelheit. Die entfernten Geräusche des halbwachen Manhattans drangen gedämpft durch das Schlafzimmerfenster. Jemand schrie weit entfernt, eine Sirene heulte wie ein Wolf auf der Jagd, unten auf der Straße rauschte leise der Verkehr. Nachtgeräusche. Sie rollte sich auf den Rücken und lauschte, lauschte ...

Ängstlich. Obwohl sie es nicht zu sein brauchte.

Ich habe keine Angst! Es gibt überhaupt keinen Grund dafür!

Doch sie wusste, dass das nicht stimmte.

Martin führte nie Selbstgespräche. Sie konnte es sich überhaupt nicht vorstellen.

Etwas schepperte, hüpfte einmal und rollte dann über die Fliesen des Küchenbodens.

Sie richtete sich auf und setzte sich auf den Rand des Bettes. Das Hämmern ihres Herzes dröhnte ihr in den Ohren. Sie dachte an das, was ihre Großmutter vor Jahren zu ihr gesagt hatte. Das Herz weiß es vor dem Verstand. Weiß alles als Erstes. Durch die offene Schlafzimmertür sah sie einen rechteckigen Lichtstrahl, der aus der Küche auf den Boden im Flur fiel. Dann veränderte sich das Licht, als ein Schatten darüberglitt.

Was machte Martin da draußen!

Sie erhob sich. Mit einem Fuß stand sie auf dem Flickenteppich vor dem Bett, mit dem anderen auf dem kalten Holzboden. Die abgeschliffenen Eichendielen hatten ihr und Martin besonders gut an ihrer Wohnung in der Upper East Side gefallen. Irgendwie hatten sie sofort gewusst, dass sie hier glücklich sein würden.

Und wir waren glücklich. Sind glücklich!

Was wusste ihr Herz, was ihr Verstand nicht wusste?

Die Angst war wie ein lähmendes Gift, und dennoch zog es sie zum Licht am Ende des Flurs. Sie musste es wissen – musste herausfinden, was ihr solche Angst einjagte. Steifbeinig setzte sie sich in ihrem Seidennachthemd in Bewegung, die Fäuste so fest zusammengeballt, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Das einzige Geräusch, das sie jetzt vernahm, war das leise Tapsen ihrer nackten Füße auf dem Holzboden, während sie sich dem Licht und einer schrecklichen Erkenntnis näherte, vor der es kein Entrinnen gab.

Sie bog um die Ecke und stand in der Küchentür.

Ihr Atem stockte, als das Bild, das sich ihr bot, in sie einsank – die hell erleuchtete Küche, Martin, der zusammengekrümmt auf dem Fußboden lag, umgeben von etwas, das aussah wie ein schwarzer Schatten, die Plastiktüten und die Einkäufe, die auf der glänzenden grauen Oberfläche des Tisches verteilt waren. Eine Tunfischdose lag neben Martins rechtem Arm auf dem Boden. Das war es also, was hinuntergefallen war. Sie muss vom Tisch gerollt sein.

Sie hörte sich selbst Martins Namen sagen, während sie einen Schritt auf ihn zu machte.

Sie war nicht überrascht – nicht wirklich –, als sie sah, wie sich hinter der Kochinsel eine dunkle Gestalt aufrichtete und auf sie zukam. Es war mehr wie eine Bestätigung dessen, was ihre Angst schon längst gewusst hatte. Die Gestalt hielt etwas in ihrer rechten Hand. Eine Pistole? Nein. Doch! Eine Pistole, auf deren Lauf etwas aufgesteckt war. Eine Pistole mit Schalldämpfer.

»Bitte!« Sie sah eine ihrer Hände vor ihrem Gesicht auftauchen. »Bitte!« Nicht ich! Nicht ich! Noch nicht!

Sie hörte kaum das Pffft! der Pistole, als die Kugel durch das Gewebe und die Knochen zwischen ihren Brüsten schlug und in ihr Herz eindrang – ein bleiernes Geschoss, das ihre Welt, ihr Leben in Fetzen riss und ihre Vergangenheit, ihre Zukunft, einfach alles auslöschte.

Sie war noch immer am Leben – schmerzfrei, aber immer noch voller Angst –, als sich der Mann mit der Pistole zu Martin hinunterbeugte. Dann stieg er vorsichtig über sie hinweg, sorgfältig darauf bedacht, nicht in das Blut zu treten, und ging zur Tür.

Für einen Moment lang sah sie den Ausdruck auf dem Gesicht des Monsters, das ihr alles genommen hatte, was sie besessen hatte und gewesen war. Er!

Er war ganz ruhig und lächelte zufrieden, wie ein Bauarbeiter, der eine einfache, aber notwendige Arbeit erledigt hatte.

Neugierig blickte er auf sie hinunter und befand sie offenbar für tot.

Er lag nicht falsch mit seiner Annahme, er war nur ein paar Sekunden zu früh dran.

Kapitel 2

Blitz!

Fedderman kniff die Augen zusammen, als ein Foto geschossen wurde. Der Motor der Kamera surrte wie ein kleiner Mixer. Überall in der Wohnung waren Beamte der Spurensicherung mit ihren Kameras, Staubsaugern und Pinzetten zugange.

Die Elzners schienen sich an den Eindringlingen nicht zu stören. Oder an dem Blutbad in ihrer Küche. Noch nicht mal an dem, was ihnen angetan worden war.

So war es immer, wenn Menschen vom Tod überrascht wurden. Das war das einzig Gute daran, dachte Fedderman, der während seiner Zeit beim NYPD schon so viel Grausames gesehen hatte.

»Sind Sie fertig mit den beiden?«, fragte Pearl, seine Partnerin, den Gerichtsmediziner, einen selbstherrlichen, geschniegelten kleinen Mann namens Nift, der auch als Napoleon-Darsteller Karriere hätte machen können. In den letzten fünfzehn Minuten hatte er die beiden Leichen unter die Lupe genommen und Pearl und Fedderman seine ersten Eindrücke vermittelt.

»Klar. Ihr könnt die zwei jetzt befummeln. Aber macht den Reißverschluss zu, wenn ihr fertig seid.«

Ein widerlicher Napoleon.

Fedderman sah, wie Pearl, wahrscheinlich mit voller Absicht, auf Nifts Fuß trat, als sie zu Martin Elzners Leiche ging. Ihre ziemlich bequem aussehenden schwarzen Schuhe, deren Zweieinhalb-Zentimeter-Absätze sie größer als ihre ein Meter fünfundfünfzig wirken lassen sollten, konnten ganz schön gefährlich sein.

Nift zuckte zusammen und machte einen Satz nach hinten, wobei er beinahe die Tunfischdose wegkickte.

»Treten Sie bloß nicht in das Blut«, sagte Pearl, ohne ihn dabei anzusehen.

Sie beugte sich hinunter zu Elzner und löste vorsichtig die Pistole, eine Walther Halbautomatik, aus seinen toten Fingern. Dann schob sie einen Kugelschreiber in den Lauf und steckte die Pistole in eine Beweismitteltüte.

Nift warf ihr einen wütenden Blick zu und verschwand zusammen mit seinem kranken Humor zur Tür hinaus. Wenn Fedderman eines über Detective Pearl Kasner wusste, dann, dass sie sich von niemandem etwas gefallen ließ, nicht einmal von Napoleon. Genau diese Charaktereigenschaft war es gewesen, die sie in Schwierigkeiten und ihre Karriere zum Stillstand gebracht hatte. Sie war auch der Grund, warum Fedderman sie mochte, aber gleichzeitig vermutete, dass sie nicht mehr lange seine Partnerin sein würde. Nächstes Jahr zur gleichen Zeit fuhr sie wahrscheinlich Taxi oder verkaufte Parfum bei Macy’s.

Mit ihrem großartigen Vorbau und dem prachtvollen Hinterteil war sie ein echter Hingucker, fand Fedderman. Wenn sie größer gewesen wäre, hätte sie ohne Probleme Schauspielerin oder Model werden können. Sie hatte forschende dunkle Augen, gewelltes schwarzes Haar, eine Stupsnase und strahlte etwas ganz Besonderes aus. Wenn er etwas jünger und unverheiratet gewesen wäre, keine Potenzstörung, keinen Mundgeruch, keine chronische Magenverstimmung, keine beginnende Glatze und keine fünfzehn Kilo Übergewicht gehabt hätte, hätte er sein Glück bei ihr versucht.

Pearl überreichte einem der Techniker die Beweismitteltüte mit der Pistole und schaute Fedderman an, als ob sie genau wüsste, was er dachte.

Sie weiß es. Seit Pearl vor ein paar Monaten in Schwierigkeiten geraten war, waren sie Partner. Und sie hatten keine andere Wahl, das wussten sie beide. Wenn sie sich gegenseitig nicht mehr ertragen konnten, wäre das ziemlich übel. So übel wie das tote Pärchen auf dem Küchenboden.

Die Streifenpolizisten, die als Erste am Tatort gewesen waren, hatten die Mordkommission gerufen. Eine Nachbarin hatte in ihrer Küchenwand ein Loch entdeckt, das von einer Kugel zu stammen schien. Die Kugel hatte zuerst Martin Elzner und dann die Wand durchschlagen, die die Wohnung der Elzners von der Nachbarwohnung trennte. Die Streifenbeamten zogen sich zurück und sicherten den Tatort.

Pearl und Fedderman hatten die Mieter befragt, die neben, über und unter den Elzners wohnten. Keiner von ihnen konnte sich erinnern, einen Schuss gehört zu haben, doch laut Nift waren die Morde irgendwann zwischen zwei und vier Uhr morgens passiert. Dann schlief man am tiefsten – oder sollte es zumindest. Fedderman wusste, dass schreckliche Dinge passieren konnten, wenn Menschen zu dieser Zeit wach waren.

Er betrachtete das Blutbad und fühlte, wie sich nach all den Jahren, nach allem, was er gesehen hatte, sein Magen verkrampfte. Er schaute auf den Tisch.

»Was hältst du von den Lebensmitteln? Sieht so aus, als wären die Elzners gerade vom Einkaufen zurückgekommen und hätten die Sachen weggeräumt.«

Pearl warf ihm einen Blick aus ihren dunklen, mandelförmigen Augen zu. »Um drei Uhr morgens? Im Schlafanzug und Nachthemd?«

»Es ergibt keinen Sinn, ich weiß. Aber vielleicht hatten sie vorher irgendwann eingekauft und vergessen, die Lebensmittel wegzuräumen. Dann ist es ihnen wieder eingefallen und sie sind aufgestanden, um die Sache zu Ende zu bringen. Sie geraten in Streit, der Mann holt die Knarre und knallt seine Frau ab, bevor er sich selbst erschießt. Sowas passiert in der realen Welt.«

»Du meinst, in unserer Welt?«

Fedderman hatte nicht vor, irgendeine Art von metaphysischer Diskussion mit Pearl anzufangen. »Was sollen wir Egan sagen? Erweiterter Selbstmord?«

»Ich hab keine Lust, dem Arschloch irgendetwas zu sagen.«

»Pearl ...«

»Ist ja schon gut ... Es sieht ganz nach erweitertem Selbstmord aus. Ausgelöst durch den Druck der großen Stadt und den Freuden der Ehe.«

Fedderman atmete auf. Sie hatte nicht vor, sich gegen das System aufzulehnen und Probleme zu machen. Er hatte auch so schon Probleme genug.

»Aber das trifft es nicht hundertprozentig.«

»Hundertprozentig gibt es nicht«, sagte Fedderman. »Aber die Beweise sprechen für sich. Wir haben zwei Leichen, von denen die eine eine Pistole in der Hand hält und ein Loch im Kopf hat. Es sieht so aus, als habe er seine Frau erschossen, dann erkannt, dass er Scheiße gebaut hat, und sich selbst umgebracht. Erweiterter Selbstmord – eine wahrhaft ehrenwerte Tat. Und da unser Job eine Art Fließbandarbeit ist und ständig neue Verbrechen unsere Aufmerksamkeit fordern, haken wir den Fall am besten ab und wenden uns dem nächsten Verbrechen auf dem Fließband zu.«

»Das ständig weiterläuft, ohne je nach oben zu führen.«

Fedderman wusste, was sie meinte. Selbst wenn sie es schaffte, ihren Job im NYPD zu behalten, hatte sie keine Chance mehr, je befördert zu werden.

Sie wusste, wo sie stand. Und nachdem, was sie mit Captain Egan angestellt hatte, wussten das auch alle anderen.

Pearl und Egan.

Manchmal ertappte sich Fedderman dabei, wie er lächelte, wenn er daran dachte.

Kapitel 3

»Quinn war der Name, richtig?«

Der Mann, der gesprochen hatte, stand in der Tür des West-Side-Apartments. Er war mittleren Alters und hatte schütteres Haar, ein langes Gesicht mit Hängebacken, dunkle Ringe unter seinen düsteren braunen Augen und einen gepflegten Bart, der langsam grau wurde. Der große Mann, der etwas vornübergebeugt dastand, sah aus, als wäre er aus Teilen verschiedener Körper zusammengesetzt, was wiederum seinen teuren maßgeschneiderten Anzug so wirken ließ, als hätte er ihn auf einem Wühltisch gefunden.

Es waren gerade mal vier Jahre vergangen, deshalb hatte er Quinn sofort erkannt, und Quinn wusste das.

Quinn blieb auf dem fadenscheinigen Sofa sitzen.

»Ja, Quinn ist richtig«, bestätigte er Harley Renz, dem stellvertretenden Polizeichef des NYPD, unnötigerweise.

Frank Quinn war ein hochaufgeschossener, kantiger Mann, über einen Meter fünfundachtzig groß, hatte eine zweifach gebrochene Nase, ein eckiges Kinn und kurzgeschorenes schwarzes Haar, gegen das kein Kamm eine Chance hatte. Was den Leuten aber im Gedächtnis blieb, waren seine grünen, ausdruckslosen Augen. Es waren die Augen eines Cops, die auf den ersten Blick jedes Geheimnis zu erraten schienen. Heute war sein Geburtstag. Er war fünfundvierzig. Er brauchte eine Rasur, ein sauberes Hemd, einen Haarschnitt, frische Unterwäsche, ein neues Leben.

»Sie haben die Tür nicht abgeschlossen«, sagte Renz und trat in das kleine, unordentliche Apartment. »Haben Sie keine Angst, dass jemand hereinkommt und etwas klaut?«

»Wer hier etwas klauen möchte, muss schon blind sein.«

Renz lächelte, was ihm das Aussehen eines magenkranken Bluthundes verlieh. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck, doch er sah immer noch aus wie ein magenkranker Bluthund. »Ich hab es Ihnen nie gesagt, aber es tut mir wirklich leid, die Scheidung von May und so. Sehen Sie sie noch oft? Oder Ihre Tochter? Laura heißt sie, oder?«

»Lauri. May will mich nicht sehen. Es gibt auch keinen Grund dafür, außer Lauri. Und Lauri weiß nicht so genau, was sie will. Was sie von mir denken soll.«

»Haben Sie ihr Ihre Sicht erklärt?«

»Nein, nicht in letzter Zeit. Sie hört auf May, und die sagt ihr, was sie denken soll. Sie wohnen jetzt in L. A. Sind dorthin gezogen, um von mir wegzukommen.«

Renz schüttelte den Kopf. »Das einzig Positive, was man über die Ehe sagen kann, ist, dass sie eine Institution ist. Wie Gefängnisse oder Psychiatrien. Ich war sechsundzwanzig Jahre verheiratet, bevor meine Frau sich mit meinem Bruder aus dem Staub gemacht hat.«

»Ich hab davon gehört«, sagte Quinn. »War ein guter Lacher damals.«

»Selbst ich kann jetzt darüber lachen. So ändern sich die Dinge in dieser wunderbaren Welt. Selbst Ihre beschissene Lage könnte sich ändern.«

Quinn wusste, welche Lage Renz meinte. Vor vier Jahren hatte Quinn seinen Ruf, seinen Job und seine Familie verloren, als er ungerechtfertigterweise beschuldigt wurde, ein dreizehnjähriges Mädchen vergewaltigt zu haben. Er hatte das Mädchen nie zuvor gesehen – und schon gar nicht missbraucht. Er wusste, warum man ihn hereingelegt hatte. Das Problem war nur, dass er nicht wusste, wie.

Er war ein guter Cop gewesen, sogar ein richtig guter, der überall aufgrund seiner Zähigkeit und seines cleveren Herangehens an die Fälle geschätzt wurde. Er gab nie auf. Er gab nie klein bei. Er brachte Ergebnisse.

Am Ende war er zu gut gewesen, um kleine Ungereimtheiten bei der Untersuchung des Mordes an einem Drogendealer zu übersehen. Quinn hatte tiefer gebohrt und war auf ein Netzwerk aus Bestechung und Korruption gestoßen, in das viele seiner Kollegen verstrickt waren. Er wusste nicht, was er tun sollte, aber genau wie ihnen war ihm klar, dass er sich mit seinem Verdacht irgendwann an die Dienstaufsichtsbehörde wenden musste. Quinn hatte mit seinem Vorgesetzten, Captain Vince Egan, gesprochen und ihm genau das gesagt.

Doch jemand anderes hatte sich zuerst an die Dienstaufsichtsbehörde gewandt. Wegen der brutalen Vergewaltigung eines jungen Mädchens in Brooklyn. Er war unschuldig. Die Anschuldigungen waren haltlos.

Man zeigte ihm einen Knopf, den man am Tatort gefunden hatte und der so aussah wie der, der an dem Hemd fehlte, das er am Abend der Tat getragen hatte. Was ihn noch mehr erstaunte war, dass ihn das Mädchen bei einer Gegenüberstellung anhand einer gezackten Narbe an seinem rechten Unterarm identifizierte, obwohl der Vergewaltiger eine Strumpfmaske getragen hatte.

Quinn wusste, dass es sich bei den Anschuldigungen nicht um ein Missverständnis handelte. Es handelte sich um eine Präventivmaßnahme.

Sie konfiszierten den Computer von seinem Schreibtisch im Hauptquartier. Darauf befanden sich drei pikante E-Mails, die er nie zuvor gesehen hatte. Außerdem war auf der Festplatte des Computers die schlimmste Art von Kinderpornographie gespeichert.

Es sähe schlimm für Quinn aus, sagte man ihm. Und er wusste, dass es schlimm war. Er durchschaute das Spiel. Er wusste, was als Nächstes kam.

Sie würden ihm einen Ausweg aus seiner misslichen Lage anbieten.

Und so geschah es. Er hatte die Wahl zwischen vorzeitigem Ruhestand und einer Anklage wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen.

Quinn ging auf, dass es Egan gewesen sein musste, der den korrupten Cops den Hinweis gegeben hatte, und dass er selbst Teil der Korruption war.

Und wahrscheinlich war es auch Egan, der Quinn davor bewahrte, angeklagt zu werden, um so die Kontrolle über die dunklen Machenschaften innerhalb des NYPD zu behalten. Quinn, dem klar war, dass ihm ohnehin nicht geglaubt werden würde, begriff, was vor sich ging. Er war Realist.

Also behielt er seine magere Rente, verlor aber seinen Job und alles andere auch.

Alles.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Zerstörung so schnell und allumfassend sein würde. Sein Ruf, seine Glaubwürdigkeit, seine Ehe hatten sich von einem Moment auf den anderen in Luft aufgelöst.

Und nicht nur das. Plötzlich war er ein Ausgestoßener, der nicht mehr besaß als seine Rente und keine Chance hatte, einen Job oder eine annehmbare Wohnung zu finden, weil er auf der inoffiziellen Kinderschänderliste des NYPD stand. Jedes Mal, wenn er glaubte, einen Fortschritt zu machen, bekam es der, der die Kontrolle über seine Zukunft hatte, irgendwie spitz.

Wer auch immer es war, der Quinn zu Fall gebrachte hatte, wollte nicht, dass er sich je wieder aufrappelte.

Nachdem May ihn verlassen hatte, vermisste er sie so sehr, dass seine Gesundheit darunter litt. Er dachte, sein schmerzender Bauch würde sich in einen Stein verwandeln.

Jetzt dachte er zwar oft an Lauri, aber kaum noch an May. Renz hatte recht. Die Dinge änderten sich.

Quinn hatte sich nie groß für Captain Harley Renz interessiert. Er war ein ehrgeiziger, hinterhältiger Mistkerl. Renz liebte es, Dinge über Leute in Erfahrung zu bringen. Für ihn waren persönliche Informationen wie Joker in einem Kartenspiel.

»Haben Sie getrunken?«, fragte Renz.

»Nein. Es ist gerade mal zehn Uhr morgens. Im Moment hab ich nur verdammte Kopfschmerzen.«

Renz zog eine kleine weiße Plastikflasche aus seiner Tasche und hielt sie Quinn hin. »Würde Ihnen Ibuprofen helfen?«

Quinn warf ihm einen wütenden Blick zu.

Renz steckte die Flasche zurück in seine Tasche. »Die Gegend ist gar nicht so übel«, meinte er und schaute sich um, »aber dieser Ort ist ein Paradies für Kakerlaken.«

»Das Gebäude soll renoviert werden, deshalb ist die Miete so niedrig. Aber ich habe einen Dekorateur beauftragt.«

»Johnnie Walker?«

»Nein, den kann ich mir nicht leisten.«

»Das Schicksal könnte es gut mit Ihnen meinen und alles ändern. Könnte Ihnen eine Rettungsleine zuwerfen, Ihnen Geld bescheren und ihre Selbstachtung zurückgeben.«

»Wie das?«

»Ich bin hier.«

»Sie haben gesagt, dieser Ort sei ein Paradies für Kakerlaken.«

»Gut zu wissen, dass Sie immer noch so schlagfertig sind«, meinte Renz. »Sie sind also nicht total am Arsch.«

Quinn sah zu, wie er sich in dem abgewetzten Schaukelstuhl gegenüber dem abgewetzten Sofa niederließ. Renz legte seine Fingerspitzen aneinander, fast, als ob er gleich anfangen würde zu beten. Eine typische Geste, wie Quinn sich jetzt erinnerte. Leuten, die ihre Fingerspitzen aneinanderlegten, hatte er noch nie getraut.

»Mein Vorschlag«, sagte Renz, »hat etwas mit einem unaufgeklärten Mordfall zu tun.«

Obwohl er sich wünschte, Renz würde endlich auf den Punkt kommen und dann verschwinden, fühlte Quinn, wie sein Puls sich beschleunigte. Einmal Cop, immer Cop, dachte er bitter. Der Truppe treu bis ins Mark. War nicht das genau der Grund, aus dem er den ganzen Tag hier rumsaß und sich in Selbstmitleid erging?

»Sie haben von dem Mord an den Elzners gehört?«

Quinn schüttelte den Kopf. »Ich halte mich von den Nachrichten fern. Sie ziehen mich runter.«

Renz klärte ihn auf. Jan und Martin Elzner, verheiratet, wurden vor zehn Tagen erschossen in ihrer Wohnung in der Upper West Side aufgefunden. Die Todeszeitpunkte lagen in den frühen Morgenstunden, ungefähr zur gleichen Zeit. Die Pistole, aus der die Schüsse abgegeben worden waren, wurde in der Hand des Mannes gefunden. Es handelte sich um eine alte Walther P38 Halbautomatik. Ihre Seriennummer war mit Säure weggeätzt worden.

»Wie bei der Hälfte aller illegalen Waffen in New York«, sagte Quinn.

»Sieht so aus. Er wurde durch einen einzigen Schuss in die Schläfe getötet.«

»Schmauchspuren an seiner Hand?«

»Ein paar. Aber die können auch dort hingelangt sein, als die Waffe in seine Hand gelegt wurde.«

»Verbrennungen in der Nähe der Eintrittswunde?«

»Ja. Er wurde aus nächster Nähe erschossen.«

»Erweiterter Suizid«, sagte Quinn.

»So wird der Fall gehandelt. Genau das wollen sie glauben.«

»Sie?«

»Das NYPD, ausgenommen ich. Ich glaube, dass die Elzners beide ermordet wurden.«

Quinn lehnte sich tiefer in dem Sprungfedersofa zurück und zuckte zusammen. Seine Kopfschmerzen wurden nicht besser. »Warum sind Sie anderer Meinung?«, fragte er Renz.

»Zum einen habe ich vor, der nächste Polizeichef zu werden. Chief Barrow geht Anfang nächsten Jahres aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand. Das Department ist auf der Suche nach einem Nachfolger. Ich gehöre zu denen, die für den Job in Frage kommen.«

»Den Arschloch-Part haben Sie auf jeden Fall schon mal ziemlich gut drauf.«

»Sie waren der beste Detective der Mordkommission, Quinn. Und Sie könnten es wieder werden, wenn Sie mein Angebot annehmen.«

»Ich habe bisher kein Angebot gehört«, sagte Quinn. Zum Teufel! Schon wieder ein Angebot. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie waren trocken. »Aber der Reihe nach. Warum denken Sie, dass beide Elzners ermordet wurden?«erga

»Ich habe mit dem Gerichtsmediziner gesprochen, Jack Nift, ein alter Freund von mir.«

Quinn war nicht überrascht, dass Nift und Renz befreundet waren. Beides Arschlöcher.

»Nift hat mir im Vertrauen gesagt, dass der Eintrittswinkel der Kugel nicht ganz zu einem Selbstmord passt – der Schusskanal ist zu stark nach unten geneigt.«

»Meint Nift, dass dadurch ein Selbstmord definitiv ausgeschlossen ist?«

»Nein«, räumte Renz ein, »es macht es nur unwahrscheinlicher. Einige der Kugeln weisen außerdem eine Kerbe auf, die daher rühren könnten, dass sie einen Störkörper oder eine Unebenheit in einem Schalldämpfer gestreift haben. Aber die Pistole in Elzners Hand hatte keinen Schalldämpfer. Allerdings gibt es Spuren am Lauf, wo ein Schalldämpfer aufgesteckt gewesen sein könnte.«

»Die Spuren an der Pistole und auf den Kugeln sind nicht viel beweiskräftiger als der Winkel der Eintrittswunde.«

»Das ist richtig«, entgegnete Renz. »Aber dann sind da noch die Einkäufe.«

»Einkäufe?«

»Auf dem Tisch standen einige Lebensmittel, zusammen mit ein paar halbvollen Plastiktüten, und auf dem Boden lag eine Tunfischdose. In den Supermärkten und Feinkostläden in der Umgebung konnte sich niemand daran erinnern, dass die Elzners an diesem Tag eingekauft oder etwas bestellt hatten, und in den Tüten war kein Kassenbon.«

»Merkwürdig.«

»Normalerweise hören Leute, wenn sie nach Mitternacht ihre Einkäufe wegräumen, nicht kurz auf, um einen Mord und anschließend Selbstmord zu begehen«, meinte Renz.

Quinn dachte, dass Renz es besser wissen sollte.

Er wartete, ob noch etwas kam, aber Renz war fertig. »Das ist alles? Das sind Ihre Beweise?«

»Bis jetzt.«

»Nicht sehr überzeugend.«

»Bis jetzt.«

Quinn stand auf und trat ans Fenster. Er presste eine Hand gegen seine schmerzende Stirn. Blinzelnd blickte er auf die Straße drei Stockwerke unter ihm. Der Morgen war warm, aber es war bewölkt. Einige der Leute, die unten auf dem Gehweg vorbeihasteten, trugen leichte Regenmäntel. Manche hatten ihren Regenschirm geöffnet.

»Und wie lautet nun Ihr Angebot?«

»Ich möchte, dass Sie den Mord an den Elzners heimlich untersuchen«, sagte Renz, »mit meiner Hilfe. Ich werde die Beweise so lange wie möglich zurückhalten, sodass Sie und ich die Einzigen sind, die sie zur Gänze kennen. Sie werden gut bezahlt, und Sie fragen nicht, woher das Geld stammt. Und wenn ich – wenn Sie den Fall lösen und ich zum Polizeichef ernannt werde, kommen Sie zurück zum NYPD und werden Teil seines inneren Zirkels.«

»Ein krummer Deal.«

»Sicher, ich weiß. Aber Sie sind so verdammt moralisch. Ich kenne Ihren Ruf, und vielleicht haben Sie schon bemerkt, dass Ihnen ziemlich wenige Möglichkeiten bleiben. Ich biete Ihnen eine Chance. Und gleichzeitig ist es auch meine Chance. So wie es aussieht, wird es ein Rennen zwischen mir und Captain Vincent Egan, und Sie wissen, dass Egan nicht mit ehrlichen Mitteln kämpfen wird.«

Quinn musste lächeln. Renz hatte sich gut vorbereitet, bevor er hergekommen war. Und noch etwas wusste Quinn: Renz wäre niemals mit seinem Anliegen zu ihm gekommen, wenn nicht jemand höheres im NYPD oder der Stadtverwaltung seinen Segen dazu gegeben hätte. Vielleicht hatte jemand seine Zweifel und wollte Egan und Quinn, und vielleicht auch Renz selbst, genauer unter die Lupe nehmen.

»Es ist völlig unmöglich, dass ich eine Untersuchung durchführe, ohne dass Egan und der Rest des NYPD davon Wind bekommen«, sagte Quinn.

»Egan wird nichts davon mitbekommen, wenn Sie schnell genug arbeiten. Und wenn doch, werden wir uns etwas einfallen lassen. Was ich möchte, ist, dass Sie aus diesem physischen und psychischen Dreckloch herausklettern und Ihre Arbeit auf die Weise erledigen, wie Sie es normalerweise tun.«

»Der letzte Teil sollte kein Problem sein«, sagte Quinn. Er schaute immer noch aus dem Fenster.

»Nicht ohne den ersten Teil. Kriegen Sie das hin?«

Quinn sah, wie sich unten noch mehr Regenschirme öffneten, wie dunkle Blumen, die von einem Moment zum anderen erblühten. Es wäre schön, dachte er, wenn die Sonne durch die Wolken brechen und ihm ein Zeichen schicken würde.

Scheiß drauf. Er brauchte kein Zeichen.

»Ich kann es versuchen«, sagte er und drehte sich um, weg von dem düsteren Himmel. »Doch selbst wenn ich es schaffe, glaube ich nicht, dass Sie mich zurück ins NYPD bringen können.«

»Kann ich, wenn ich der Boss bin.«

»Alles in allem betrachtet verstehe ich nicht, warum Sie mir eine Chance geben wollen.«

»Auf dem Weg hierher habe ich gesehen, dass es einige Schulen in der Umgebung gibt.«

»Ja, eine ist gleich hier in der Straße. Und eine Kirche gibt es auch in der Nähe. Aber weder die eine noch die andere interessiert mich sonderlich.«

»Ich weiß«, sagte Renz. »Deshalb habe ich beschlossen, vorbeizukommen.«

Kapitel 4

Der Tag des Umzugs.

Claire Briggs stand in der Mitte des leeren Wohnzimmers und betrachtete zufrieden die frische Farbe. Sie fand, dass das Cremeweiß den hellblauen Teppichboden älter aussehen ließ, aber das war fürs Erste in Ordnung. Sie hatte ihr Budget für Farbe und was sie an neuen Möbeln brauchte ausgegeben, und sie war dankbar, dass sie ihre winzige Kellerwohnung in Greenwich Village gegen diese hier hatte tauschen können.

Dies alles war nur möglich, weil sie eine Hauptrolle in der ständig laufenden Broadway-Komödie Hail to the Chef ergattert hatte. Claire, mit frisch blondiertem Haar und falschem französischen Akzent, spielte Mini, die Restaurantbesitzerin, die in ihren verrückten, aber talentierten Chefkoch verliebt war.

Claire, die mittelgroß war, aber dank ihres langen Halses und ihrer aufrechten Haltung größer wirkte, steckte die Fingerspitzen in die Taschen ihrer engen Jeans und ging zum Fenster, um einen Blick hinauszuwerfen.

Neunundzwanzig Stockwerke unter ihr sah sie, wie die Möbelpacker ihre antike Vitrine, die sie auf dem Flohmarkt erstanden hatte, auf einen Rollwagen luden und die Rampe des Lasters hinunterschoben. Die Vitrine war dick in Luftpolsterfolie eingepackt, damit sie keinen Schaden nahm. Sie lächelte. Claire war froh, dass sie der Empfehlung einer Tänzerin in Hail gefolgt war und dieses Umzugsunternehmen, Drei Prachtkerle und ein Truck, angeheuert hatte. Trotz des etwas marktschreierischen Namens waren es gewissenhafte und fleißige Arbeiter. Und, wie angepriesen, handelte es sich tatsächlich um Prachtkerle. Das Umzugsunternehmen, das eigentlich aus mehr als zwanzig Männern und mehreren Trucks bestand und seinen Sitz auf der anderen Seite des East Rivers in New Jersey hatte, hatte sich dank seiner Zuverlässigkeit schnell einen guten Ruf in Manhattan erworben.

Claire wandte sich vom Fenster ab und spazierte durch den Rest ihrer Drei-Zimmer-Wohnung in der West Side. Sie hatte nur das Wohnzimmer und die Küche streichen lassen; die beiden Schlafzimmer waren vorerst in Ordnung, und nur eines davon würde sie zum Schlafen nutzen. Das andere sollte als Abstellkammer, Büro und, mit seinem kleinen ausklappbaren Sofa, als Gästezimmer dienen. Es war Luxus in New York, eine Wohnung mit einem extra Zimmer zu haben, aber Claire hatte schon immer davon geträumt. Es passte zu ihren Plänen, die selbst ihr noch nicht ganz bewusst waren.

Sie hörte Stimmen, ein Scharren, dann wurde die Wohnungstür aufgestoßen. Sie ging ins Wohnzimmer und sah, wie einer der Möbelpacker die Tür aufhielt, während ein anderer die Vitrine hereinschob. Der mit der Vitrine war muskulös und blond. Mit seinen langen, schlanken Gliedmaßen und blaue Augen hätte er auch Schauspieler sein können. Vielleicht war er das ja auch, dachte Claire. Hier in Manhattan konnte jeder Schauspieler sein. Jeder konnte alles sein.

»An diese Wand hier«, sagte sie. Sie wollte, dass sie vorsichtig mit der alten Mahagoni-Vitrine umgingen, auch wenn sie nicht besonders wertvoll war. Sie mochte sie, und sie würde die geschliffenen Gläser beherbergen, die sie vor zwei Jahren von ihrer Großmutter geerbt hatte, die nun in Wisconsin begraben lag.

»Hübsches Teil«, sagte der Blonde, während er und sein dunkelhaariger Kollege, der fast genauso gut aussah, Klebeband und Folie entfernten und die Vitrine an die Wohnzimmerwand schoben. »Gut so?«

»Ein bisschen weiter nach links, wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte Claire.

»Überhaupt nicht«, sagte der Dunkelhaarige. »Sie sind der Boss.«

»Und es ist ein Vergnügen, für Sie zu arbeiten«, sagte der Blonde und blinzelte ihr zu.

Claire konnte nicht anders als zurückzulächeln. Er war definitiv ein äußerst attraktiver Mann, eine Art moderner Wikinger. Wenn sie nicht mit Jubal zusammen wäre ...

Aber sie war mit ihm zusammen. Sie veränderte ihr Lächeln und versuchte, es nicht nach zu viel aussehen zu lassen.

Die Möbelpacker brauchten eineinhalb Stunden, um die restlichen Möbel mit dem Lastenaufzug nach oben zu bringen und sie ungefähr dorthin zu stellen, wo Claire sie haben wollte. Während sie arbeiteten, schenkte der Blonde Claire besonders viel Aufmerksamkeit, was die anderen beiden, den Dunkelhaarigen und einen hübschen, kahlgeschorenen Afroamerikaner, der die Figur und die Bewegungen eines Tänzers hatte, zu amüsieren schien.

Als sie fertig waren, war es der Blonde, der Claire ein Clipboard hinhielt, um sie unterschreiben zu lassen. Die Rechnung würde ihr zugeschickt werden. Doch Claire wollte sie lieber sofort per Scheck begleichen; sie mochte es nicht, wenn Dinge offen blieben. Das zauberte ein breites Grinsen auf das Gesicht des Blonden.

»Das ist gut«, meinte er. »Ich finde es auch besser, wenn man eine Gelegenheit gleich bei den Hörnern packt.«

Er wartete geduldig auf ihre Antwort, aber Claire beschloss, sich nicht auf das doppeldeutige Spiel einzulassen. Das hier ist rein geschäftlich. Sie stellte einen Scheck aus, wobei sie nicht am Trinkgeld sparte, und überreichte ihn dem Wikinger. Er schwitzte und stand näher bei ihr als nötig. Er strömte Hitze und einen Geruch aus, der unangenehm sein sollte, es aber nicht war. Claire musste zugeben, dass er sie auf eine Art nervös machte, die ihr gefiel.

Er machte eine große Show daraus, den Scheck zu überprüfen, dann lächelte er und sagte: »Ich heiße Lars Svenson, Claire.«

»Kürzlich aus Schweden eingewandert?« Sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollte, und die bescheuerte Frage war ihr einfach so rausgerutscht.

»Wohl kaum«, sagte Svenson. »Na gut, vor ein paar Generationen. Was ist mit Briggs? Was für ein Name ist das? Ein angeheirateter?«

»Ich bin nicht verheiratet«, sagte Claire. »Aber bald.«

»Bald heißt nein. Steht das Datum schon fest?«

»Nein.«

»Antrag schon gemacht?«

»Nicht mit Worten. Wir haben eine Übereinkunft.«

Er schenkte ihr ein breites, vielsagendes Grinsen. »Eine Übereinkunft ist kein Vertrag.«

Claire schüttelte angesichts seiner offensichtlichen Intention ablehnend den Kopf. »Unsere schon, tut mir leid.«

Svenson zuckte die Schultern. »Wenn sich herausstellen sollte, dass er seine letzten drei Ehefrauen umgebracht hat ...«

Sie lachte. »Dann brauche ich einen Möbelpacker.«

Er salutierte keck und warf ihr ein letztes Lächeln zu, bevor er zur Tür hinausging.

»Puh!«, hörte Claire sich ausstoßen.

Sie ging wieder zum Fenster und schaute zu, wie Svenson sich mit den anderen beiden Männern in das Fahrerhaus des Trucks schwang und der kastenartige Wagen davonfuhr.

Claire wanderte noch einmal durch die Wohnung und überprüfte die Standorte der Möbelstücke. Sie schob den Tisch näher ans Sofa und tauschte zwei Lampen aus.

Sie hatte die die Hände in die Hüften gestemmt und überlegte gerade, wo sie Bilder an die Wohnzimmerwände hängen sollte, als ihr Handy in der Handtasche anfing zu klingeln.

Sie eilte zu ihrer Tasche, die in einer Ecke auf dem Boden stand, und kramte das Telefon hervor.

»Claire? Hier ist Maddy«, sagte die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. Es war Madison Capp, die befreundete Tänzerin, die ihr das Umzugsunternehmen empfohlen hatte.

»Hi, Maddy«, sagte Claire.

»Waren die Möbelpacker schon da?«

»Sind schon wieder weg. Danke für die Empfehlung. Sie waren grandios. Sie haben nirgends einen Kratzer oder eine Beule hinterlassen.«

»Und sie sind sehr nett anzuschauen, oder?«

»Zugegebenermaßen, ja.«

»War der große Blonde dabei? Lars Soundso?«

»Ja. Lars Svenson.«

»Hat er dich angemacht?«

»Ein bisschen. Ist er Schauspieler oder so?«

»Nee, nur ein gutaussehender Kerl, der gern Sprüche klopft. Eine Freundin von mir war mit ihm zusammen, nachdem er ihr vor ein paar Monaten beim Umzug geholfen hat.«

»Und? Hat sie was erzählt?«

»Hab sie länger nicht gesehen. Sie ist nicht mehr in der Stadt. Hab gehört, sie hat eine Filmrolle in Europa in einem dieser erotischen Coming-of-Age-Streifen. Sie ist bi.«

»Bisexuell?«

»Nein, bilingual. Sie muss mit Lars mehr als zufrieden gewesen sein, egal in welcher Sprache.«

»Ganz sicher«, sagte Claire und lachte.

»Wie auch immer, du bist fest mit jemandem zusammen, oder?«

»Ja. Mit Jubal Day. Er ist Schauspieler.«

»Ah! Hat letztes Jahr in Metabolismus in Greenwich Village gespielt, oder?«

»Genau der.«

»Dann kann ich verstehen, warum es dir ernst mit ihm ist. Was macht er jetzt?«

»Metabolismus ist auf Tour. Er ist grad in Kansas City.«

»Schade, dass er nicht bei dir sein kann. Okay, Claire, wenn du was brauchst, ruf mich an.«

»Mach ich. Und nochmal danke, Maddy.«

»Mach’s gut, und noch viel Spaß beim Nestbau.«

Und genau das hatte sie, nachdem sie ihr Handy zurück in die Tasche gesteckt hatte. Sie drehte ihre Runden durch die Wohnung, rückte hier etwas zurecht, schob dort etwas weiter nach links. Sie fühlte sich richtig häuslich.

Dieses Gefühl hatte sie mehr und mehr – häuslich zu werden. Es war komisch. Maddy hatte von Nestbau gesprochen. Vögel taten das, ein Nest bauen, ein Heim. Genau danach sehnte sie sich in letzter Zeit, und sie genoss es sehr, dass sie auf dem besten Weg dahin war.

Sie fragte sich, was mit ihr los war.

Plötzlich fiel ihr ein, dass sie in dem Umzugstrubel ganz vergessen hatte, einen Blick in den Briefkasten unten zu werfen, um zu sehen, ob die Post schon damit angefangen hatte, ihre Briefe an die neue Adresse zu senden.

Als sie in der gefliesten Lobby stand und den Messingbriefkasten unter ihrer Apartmentnummer öffnete, dachte Claire erst, sie hätte sich den Gang auch sparen können. Der Briefkasten enthielt lediglich ein Angebot für ein Girokonto und einen Gutschein für eine kostenlose Pizzalieferung.

Dann sah sie einen kleinen, weißen Umschlag, der etwas zerquetscht an der Seite des Briefkastens steckte.

Im Briefumschlag befand sich Glücksfall Nummer zwei.

Es war ein elegant von Hand geschriebener Brief von ihrer Lieblingstante Em aus Maine. Er war etwas zerknittert und um einen Scheck gefaltet.

Nachdem Claire Tante Em per E-Mail davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass sie eine der wichtigsten Rollen am Broadway ergattert hatte, hatte Tante Em zurückgemailt, dass sie ein Glückwunsch-Geschenk schicken würde. Und hier war es also. Genug Geld, um sich einen ihrer größten Wünsche zu erfüllen, von dem sie ihrer Tante oft erzählt hatte – einen professionellen Dekorateur zu engagieren. Tante Ems großzügiger Scheck war, zusammen mit der neuen Wohnung, das perfekte Geschenk.

Claire überlegte, ob sie Maddy anrufen sollte, um die gute Nachricht mit ihr zu teilen, entschied sich dann aber dagegen. Maddy hatte nicht viel mehr im Kopf als Tanzen. Für sie war eine Wohnung gut ausgestattet, wenn es mehr als einen Sitzplatz darin gab.

Claire musste zugeben, dass Maddy wahrscheinlich genau aus diesem Grund eine der begehrtesten Tänzerinnen in New York war.

Claire mochte Maddy, doch hatte sie schon oft gedacht, dass ein menschliches Wesen mehr als nur ein Interesse haben sollte.

Sie war sich ziemlich sicher, dass sie die Wohnungstür abgeschlossen hatte, deshalb verließ sie die Lobby und ging zum Laden an der Ecke, um eine hübsche Dankeskarte für Tante Em zu besorgen.

Es war ein schöner, warmer Tag, und selbst die Plastikmülltüten, die am Rand des Bordsteins aufgereiht waren, glitzerten wie Juwelen in der Sonne. Vielleicht lag es nur an ihrer guten Laune, aber die Menschen auf dem Gehsteig wirkten weniger gestresst als sonst, mehr im Einklang mit sich und der Welt.

Manchmal, dachte Claire, war das Leben einfach perfekt.

Und voller Überraschungen.

Kapitel 5

Pearl lag in ihrer schäbigen Wohnung im Bett und starrte an die Decke. Sie war von Rissen überzogen und brauchte dringend einen neuen Anstrich – genau wie der Rest des Apartments, das im vierten Stockwerk lag.

Nachdem sie schon vor sechs Monaten eingezogen war, hatte sie es letzten Monat endlich geschafft, Malerutensilien zu kaufen: Kolonialweiß mit passendem Decklack, dazu Pinsel, Spachtel, Rollen, Farbwannen, Abdeckfolie und sogar eine Art Schwamm für die Ecken, Tür- und Fensterrahmen. Sie hatte alles da, was sie brauchte, einzig die Motivation fehlte. Und die Zeit.

Ständig kam etwas dazwischen, wie zum Beispiel Morde, Vergewaltigungen oder Raubüberfälle, die den Großteil ihrer Zeit einnahmen und fast ihre gesamte Energie raubten.

Die Malerutensilien standen in einem engen, regallosen Wandschrank im Flur und warteten darauf, endlich zum Einsatz zu kommen. Pearl hatte sie seit Wochen keines Blickes mehr gewürdigt.

Ihr Job, ihre Arbeit, wo führte das alles hin? Genau wie alle anderen wusste sie, wo es seit dem Abend hinführte, an dem sie diesem Arschloch Egan über den Weg gelaufen war.

***

Sie hatte frei und war ins Meermont-Hotel gegangen, um die Toilette zu benutzen – eine Einrichtung, die in Manhattan selten und wertvoll war. Um dorthin zu gelangen, musste sie die sanft beleuchtete, eichengetäfelte Lounge des Hotels durchqueren. Plötzlich hörte sie, wie jemand ihren Namen rief.

Als sie stehenblieb und sich umdrehte, erblickte sie Captain Vincent Egan, der am Ende der langen Bar saß.

Sie lächelte und wollte weitergehen; sie musste wirklich dringend. Doch sie konnte den Mann, der ihr Revier leitete und der in vielerlei Hinsicht ihre Zukunft in den Händen hielt, nicht einfach ignorieren oder unhöflich behandeln.

»Captain Egan! Hallo!« Sie tat angenehm überrascht – ziemlich überzeugend, wie sie dachte –, während sie gegen den Drang ankämpfte, ihre Beine zu überkreuzen.

Vielleicht war sie zu überzeugend gewesen. Egan hievte seinen massigen, stiernackigen Körper vom Barhocker und kam auf sie zu. Als sie seinen unsicheren Gang und seine glasigen blauen Augen sah, erkannte sie schockiert, dass er betrunken war.

»Sind Sie undercover?«, fragte er und kam dabei so nah an sie heran, dass sie den Bourbon riechen konnte, den er getrunken hatte, und zwar nicht zu wenig. Sie warf einen Blick zu dem Whiskeyglass auf der Bar. Bis auf ein paar halbgeschmolzene Eiswürfel war es leer. »Wenn Sie undercover sind, hätt’n Sie mich nicht Captain nenn dürf’n«, lallte er.

Und ich muss dringend aufs Klo. »Ich weiß, Sir. Ich bin nicht undercover. Ich habe frei und bin mit jemandem zum Essen verabredet. Ich habe nur hier angehalten, um die Toilette zu benutzen.«

Sie sah, wie sich seine Augen fokussierten und ihren Körper hoch- und runterwanderten. Sie trug einen Pullover, einen Rock und dunkelblaue High Heels. Der Pullover war vielleicht ein wenig zu eng. Pearl hatte sich schick gemacht für den Mann, mit dem sie verabredet war, einem jungen Staatsanwalt, mit dem sie im Gericht ins Gespräch gekommen war. Sie hatte keine große Hoffnung, dass aus dem Essen mehr wurde, aber sie musste es wenigstens versuchen. Das hatte sie sich zumindest gesagt.

Egan schwankte hin und her, so als ob er an Deck eines Schiffes stünde, während er auf ihre Brüste starrte. »Hab Sie noch nie scho aufgetakelt geseh’n.«

Oh, oh. Er war tatsächlich ziemlich besoffen. Sie hatte das erste Mal richtig gehört – er lallte.

»Hab Sie noch nie scho hübsch geseh’n.«

Und Sie haben noch nie gesehen, wie ich mir in der Öffentlichkeit in die Hose mache.

»Sie ham tolle ...«, sagte er. »Ich mein, ich hab Sie schon immer bewundert, Offischer Kaschner.«

»Captain Egan, hören Sie, ich muss ...«

Seine fleischige Hand ruhte auf ihrer Schulter. »Politik, Offischer Kaschner. Sie sind ein guter Offischer, und das hab ich bemerkt. Sehr, sehr fleißig. Zielstrebig. Aber ham Sie überlegt, welche Rolle Politik in Ihrer Karriere spielt?« Etwas Spucke spritzte aus seinem Mund, als er die Frage stellte.

»Ja, sicher. Politik. Ich muss wirklich ...«

Er kam bis auf wenige Zentimeter an sie heran, und seine Fingerspitzen streichelten ihre Wange. »Hör’n Sie, Boxer ...«

»Ich mag es nicht, so genannt zu werden, Captain.« Sie wusste, dass sich dieser Spitzname auf ihre Kampflust bezog, sie glaubte aber auch, dass manche ihrer Kollegen dabei an ihre Nase dachten. Einer von ihnen hatte sogar gesagt, dass man eine Nase wie die ihre nicht gerade bei einem Mädchen erwartete, das Kasner hieß. Sie machte sich nicht die Mühe, ihm zu sagen, dass ihre Mutter eine waschechte Irin war. Stattdessen hatte sie ihm, ohne zu lächeln, ihren Ellbogen in die Rippen gerammt.

Aber Captain Egan hatte gelächelt, und es war ein Lächeln, das Pearl schon bei zu vielen Männern gesehen hatte. »Ich kenn zufällig den Hotelmanager, und ich kann ein Zimmer für die Nacht besorgen«, sagte er. »Wir paschen gut zuschammen, wie ich sehe. Das heischt, wir mögen einander. Das merk ich. Es wär in unserer beider Interesche, über ein Zimmer nachzudenken.« Er schwankte näher heran. »Sie haben alle eine Toilette.

»Keine gute Idee, Captain.«

»Aber ich dachte, Sie ... äh, müssen.« Er zwinkerte. Ihr wurde bewusst, dass er sich für charmant hielt.

»So dringend ist es nicht.« Sich wich zurück, damit seine Finger nicht länger ihr Gesicht berühren konnten. Der Bastard glaubte ernsthaft, er hätte eine Chance bei ihr. Es kotzte sie an. Wenn sie nicht so dringend müsste ...

»Ich bin Ihr Vorgeschetzter, Boxer.« Seine Hand, die plötzlich keinen Halt mehr hatte, fiel auf ihre linke Brust und klebte dort wie eine Klette. »Wenn Sie ernsthaft wasch dagegen ham ...«

Er beendete den Satz nicht. Pearl hatte ernsthaft etwas dagegen. Sie traf ihn hart am Kiefer, und ein befriedigender Stoß durchlief ihren Arm bis hin zu ihrer Schulter. Es war ein guter Schlag, der ihn rückwärts stolpern ließ, bis er zwischen zwei freien Barhockern auf seinen Hintern plumpste.

Er rappelte sich hektisch auf, wie ein in Panik geratener Nichtschwimmer, der nicht wusste, dass er in seichtem Wasser war. Dabei schlug er wild mit seinen Armen und Beinen um sich und brachte einen Barhocker zu Fall, als er sich daran abstützen wollte. Sein breites Gesicht war verzerrt und von Zorn entstellt.

Er sah plötzlich erstaunlich nüchtern aus. »Hören Sie, Kasner.«

Aber Pearl hatte sich auf den Absätzen ihrer High Heels umgedreht und steuerte mit großen Schritten auf die Damentoilette zu. Sie wusste, dass er ihr dorthin nicht folgen würde.

Ihr war sofort klar, wie schwerwiegend ihre Tat war. Wusste, dass sie es vermasselt hatte. Wenigstens gab es Zeugen in der Bar, eine Reihe von Männern und ein paar Frauen, von denen viele sie durch den Spiegel hinter der Bar angrinsten, als sie vorbeiging. Die meisten von ihnen waren Hotelgäste. Zeugen. Falls nötig, konnte sie sie ausfindig machen. Arschloch Egan würde das wissen.

»Kasner!«

Dieses Mal drehte sie sich um. Sie ballte ihre rechte Faust und erhob ihre Stimme. »Wollen Sie wirklich, dass ich zurückkomme, Captain Egan?«

Er zuckte zusammen. Er war in Zivil und mochte es nicht, seinen Dienstgrad und seinen Namen so laut zu hören. Nicht unter diesen Umständen.

Vielleicht war ihm bewusst, was sie tat, und er erkannte seine eigene Verletzlichkeit, denn ihm schien plötzlich die Anwesenheit der anderen Lounge-Besucher und der beiden Barkeeper bewusst zu werden.

Er kramte sein Portemonnaie hervor, warf ein paar Scheine neben sein leeres Glas auf der Bar und stakste hinaus.

Pearl setzte ihren Weg zur Damentoilette fort.

Als sie zehn Minuten später wieder herauskam, ruhig, aber immer noch wütend, war Egan nirgends zu sehen.

Als sie durch die Bar in Richtung Lobby eilte, hörte sie Applaus.

Die Verabredung war katastrophal. Pearl konnte nicht aufhören, an Egan und das, was geschehen war, an das, was sie getan hatte, zu denken. Sie konnte nicht aufhören, sich selbst und Egan Vorwürfe zu machen.

Wut, Depression, Druck. Das war Pearls Welt.

Die Tage vergingen, ohne dass die Welt über Pearl zusammenbrach. Doch die Geschichte hatte ihre Kreise gezogen, wie ein unterirdischer Strom.

Dennoch hatte es keine Repressalien gegeben. Egan war verheiratet. Es gab Zeugen für seine Auseinandersetzung mit Pearl. Er war betrunken gestürzt, während sie nüchtern gewesen war. Die Dienstaufsichtsbehörde wurde nicht eingeschaltet. Es wurde nie offiziell Beschwerde eingereicht. NYPD-Politik in ihrer schönsten Form.

Genau wie alle anderen wusste sie, dass Egan geduldig auf seine Chance wartete. Pearl glaubte nicht, dass sie eine lange oder glorreiche Karriere im NYPD vor sich hatte.

»Verdammt!«, sagte sie zur Decke ihres Schlafzimmers und versuchte, an etwas anderes zu denken. Ihre Gedanken fuhren Karussell, und sie konnte es einfach nicht anhalten. Vielleicht sollte sie aufstehen und streichen.

Genau, um halb zwölf nachts.

Es war eines der wenigen Male, dass Pearl sich wünschte, es gäbe noch etwas anderes in ihrem Leben als ihre Arbeit. Aber sie hatte einige katastrophale Beziehungen hinter sich und jegliches Vertrauen in Männer verloren. Zumindest in die meisten Männer. Nein, in alle Männer. In das ganze beschissene Geschlecht. Für sie schien keiner dabei zu sein.

Da er ihr Partner war, war Fedderman der Mann, mit dem sie am meisten Zeit verbrachte. Ein anständiger Kerl, verheiratet, drei Kinder, übergewichtig, überdesodoriert, achtzehn Jahre älter als Pearl und mehr interessiert an Pasta als an Sex.

Da war nichts zu holen.

Die anderen Männer in ihrem Leben, die anderen Officers und Männer, die ihr bei der Arbeit begegneten, probierten manchmal ihr Glück bei ihr. Aber keiner von ihnen interessierte sie. Diese Typen waren mehr an Sex als an Pasta oder sonst irgendwas interessiert. Sie alle redeten viel, aber es war eben nur Geschwätz. Die wenigen Typen, denen Sie eine Chance gegeben hatte, waren ihr in keinerlei Hinsicht gewachsen, und die meisten ergriffen gleich am Anfang die Flucht. Pearl mochte das nicht. Sie verschwendete keine Energie auf sie. Wenn es um das ging, was wirklich zählte, versagten sie alle.

Vielleicht suchte sie sich immer die Falschen aus. Oder Männer waren einfach so.

Sie verschränkte die Finger hinter ihrem Kopf und schloss die Augen. Wenn sie nur einmal einen kennenlernen würde, der nicht nur aus einer hübschen Fassade mit nichts dahinter bestand. Der nicht nur mit ihr spielte, sondern sich wirklich für sie interessierte und ihr das auch zeigte. Der nicht so unehrlich mit ihr war.

Der weiß, wie einsam ich bin.

Der nicht so ...

Sie grübelte weiter darüber nach, bis sie endlich einschlief.

Er.

So ging es ihr oft, wenn sie keinen Scotch getrunken oder eine Tablette genommen hatte.

Lars Svenson ließ die Frau nicht schlafen. Jedes Mal, wenn er merkte, dass sie wegdämmerte, gab er ihr die Peitsche. Es handelte sich um eine kurze, biegsame Peitsche, die an der Spitze etwa so dick war wie ein Schnürsenkel, sodass die Schläge richtig brannten und dünne, aber schmerzhafte Striemen auf dem nackten Rücken der Frau hinterließen.

Sie konnte den Peitschenhieben nicht ausweichen, denn sie lag bäuchlings auf ihrem Bett, die Hände an das Kopfteil gefesselt, die Füße an den Beinen des Eisenbetts festgebunden. Sie konnte nicht schreien, da ihr Mund mit einem Streifen silbernem Isolierband zugeklebt war.

Er verpasste ihr wieder einen Peitschenhieb, und sie schaffte es, ein lautes Wimmern von sich zu geben.

Lars trat einen Schritt zurück und lächelte auf sie hinab. Durch den Vorhang aus Haaren über ihrem linken Auge starrte sie ihn an. Er liebte den Schmerz in ihrem dunklen Blick und die Botschaft, die er enthielt.

Er schlug sie noch ein paar Mal, gerade so stark, dass ihre Haut nicht aufplatzte.

Es war nicht das erste Mal für sie. Dessen war er sich bewusst gewesen, als er sie in der Bar in Greenwich Village aufgegabelt hatte. Sie wäre nicht dort gewesen, wenn sie nicht auf der Suche nach genau dieser Art von Unterhaltung gewesen wäre. Sie war mollig und hatte einen dunklen Teint – vielleicht war sie Jüdin oder Italienerin. Ihr wuscheliges Haar war offensichtlich blondiert, und sie hatte ein Lächeln, das man als offen bezeichnen konnte. In ihren Augen hatte er gesehen, was sie wollte. In seinen Augen hatte sie gesehen, dass er es ihr bieten konnte. Nach nur einem Drink hatte sie vorgeschlagen, in ihre Wohnung zu gehen.

Als sie sich ausgezogen hatten, hatte er gemerkt, dass sie noch molliger war, als sie in Kleidern den Anschein erweckt hatte. Als fett konnte man sie aber noch nicht bezeichnen.

Lars wusste, wo er suchen musste. Er sah blaue Flecken um ihre Brustwarzen herum und blasse Narben an ihren Schenkeln und Pobacken. Ihr Rücken sah aber unversehrt aus. Er würde sich darum kümmern.

Er hatte keine Lust mehr auf die Peitsche, deshalb klemmte er sie in die Ritze zwischen ihren Pobacken und ging hinüber zur Kommode. Dort hatte er sein kaltes Bier auf einem Untersetzer abgestellt, um den Lack nicht zu beschädigen. Lars hatte etwas übrig für Möbel.

Die Frau schluchzte jetzt. Er nahm einen Schluck Bier und betrachtete sie. Vielleicht war es an der Zeit, mit ihr zu reden, ihr sanft beizubringen, was er noch alles mit ihr vorhatte. Dann wurde ihm klar, dass er ihren Namen vergessen hatte. Er klang russisch oder so und war schwer zu merken.

Er grinste. Sie war gerade nicht in der Lage, seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.

Sie drehte ihren Hals und versuchte, ihn in ihr Sichtfeld zu bekommen. Sie fragte sich, ob er noch immer im Raum war. Er sollte noch nicht weg sein und sie gefesselt und geknebelt zurückgelassen haben. Das war gegen die Regeln.

Dann fiel ihm der Name wieder ein. Zumindest dachte er das.

»Flo?«

Sie reagierte sofort. Sie spannte ihre Pobacken an und versuchte, in die Richtung seiner Stimme zu schauen.

»Wenn du ein braves Mädchen bist, Flo, lade ich dich morgen vielleicht zum Frühstück ein.« Nun wusste sie, dass er die ganze lange Nacht bleiben würde.

Sie brachte nur ein Winseln heraus.

Er beschloss, dass auch Flos nackte Fußsohlen nicht zu kurz kommen sollten.

Kapitel 6

Es war spät in der Nacht, und Quinn saß an dem winzigen grauen Resopaltisch in der Küche, rauchte eine billige Zigarre und studierte die Mordakte der Elzners. Besser gesagt, die Kopie der Akte, die Renz ihm überlassen hatte.

Er trank Bier aus einem dickwandigen, stumpfen Glas, das aussah, als habe er es vor Jahren in einem Restaurant mitgehen lassen. Die Schaumkrone hatte sich bis auf einen dünnen Film am Rand des Glases aufgelöst, und das Bier war warm.

Quinn stieß Zigarrenrauch aus und lehnte sich zurück. Der Inhalt der Akte war von keinem großen Nutzen. Sicherlich gab es ein paar Dinge, die nicht ganz zusammenpassten und darauf hindeuteten, dass ein anderer als Martin Elzner die Kugeln abgefeuert hatte, die ihn und seine Frau getötet hatten. Doch wenn Leben gewaltsam beendet wurden, blieben fast immer offene Fragen, die nie beantwortet werden würden, so als ob sie verhindern wollten, dass die Toten vergessen wurden. Wenn man lange genug Cop war, erwartete man nicht mehr, dass man irgendwann alles verstand.

Er lehnte die Zigarre gegen die gesprungene Untertasse, die ihm als Aschenbecher diente, und nahm einen Schluck Bier. Es gab da eine Sache, die sich hartnäckig in seinem Kopf festgesetzt hatte. Die Einkäufe. Die Elzners mussten sie vor Ladenschluss gekauft und gerade weggeräumt haben, als es zu der Schießerei gekommen war. Doch in den umliegenden Supermärkten und 24-Stunden-Läden, wo sie die Lebensmittel gekauft haben könnten, erinnerte sich niemand an sie. Es konnte natürlich sein, dass sie weiter entfernt von ihrer Wohnung eingekauft hatten und nicht erkannt worden waren. Oder jemand hatte sie erkannt, aber dann wieder vergessen.

Die Leute liefen nicht durch die Gegend und merkten sich alles, nur für den Fall, dass später jemand danach fragte.

Also würden die Einkäufe wohl eine dieser offenen Fragen bleiben.

Doch da war noch die Pistole, eine Walther P38 Halbautomatik. Das Kaliber war groß genug, um ordentlich Lärm zu machen, dennoch hatte niemand in den angrenzenden Apartments Schüsse gehört.

Auch das war möglich, besonders wenn man den Todeszeitpunkt der Elzners bedachte. Doch es machte es umso wahrscheinlicher, dass die Kerben an der Pistole und den Kugeln von einem Schalldämpfer herrührten.

Und das würde wiederum bedeuten, dass der Mörder ein anderer war als der dahingeschiedene Martin Elzner. Jemand, der es nicht riskieren konnte, Lärm zu machen, jemand, der wusste, dass niemand sich die Mühe machen würde, einen Schalldämpfer für einen erweiterten Suizid zu benutzen. Ein fehlender Schalldämpfer bedeutete, dass der Mörder noch frei herumlief.

Quinn warf einen Blick auf die Uhr, die er vor langer Zeit von May zum Geburtstag bekommen hatte. Nach Mitternacht. Er beschloss, ins Bett zu gehen. Renz hatte dafür gesorgt, dass er morgen früh der Wohnung der Elzners einen Besuch abstatten konnte, deshalb wollte Quinn ausgeruht und dem Mann so ähnlich wie möglich sein, der er einmal gewesen war.

Der ich immer noch bin!

Er schloss die Akte, drückte seine Zigarre in der Untertasse aus und kippte das lauwarme Bier hinunter, das ihm beim Einschlafen helfen würde.

Quinn war zufrieden mit seinen Aussichten. Er hatte nie erwartet oder danach gestrebt, groß rauszukommen.

Es würde ihm schon reichen, wieder Fuß zu fassen.

Im Bad putzte er sich die Zähne, dann lehnte er sich nach vorn und inspizierte sie im Spiegel. Zu gelb, und sie schienen etwas krumm, und vielleicht war das da hinten ein Loch. Ein Gang zum Zahnarzt könnte seinem Erscheinungsbild nicht schaden. Er hatte vor langer Zeit ein paar Backenzähne bei einem Kampf verloren, und inzwischen war die Brücke kaputtgegangen. Abgesehen davon hatte er immer noch seine eigenen Zähne. Er lächelte, dann schüttelte er den Kopf über den hageren, glücklosen Halunken, der ihn aus dem Spiegel anschaute. Derb. Richtig grauenhaft. Gruselig.

Sein Lächeln erstarb, und er drehte sich weg, angeekelt von sich selbst.

Er war tief gesunken. Das konnte er sehen, als er seinen Blick wieder hob. Verdammt tief gesunken! Ein Ausgestoßener, ein Sexualstraftäter, über den die Nachbarn hinter vorgehaltener Hand redeten und den sie mieden. Er trank zu viel und dachte zu viel nach. Er war zu viel allein. Seine Frau und seine Tochter hatten Angst vor ihm.

Es ist so verdammt ungerecht!

Er drehte sich wieder zum Spiegel und ballte seine Faust. Er dachte darüber nach, sein kaputtes Gesicht zu zerschmettern, es in so viele Teile zu zerbrechen, dass es seinem zerbrochenen Leben gleich wurde.

Da war wieder sein trauriges Lächeln. Und seine eigenen traurigen Augen, die ihn anstarrten. Spiegel zertrümmerte man nur in beschissenen Kinofilmen. Plumper Symbolismus. Im wahren Leben half es nichts, noch bedeutete es irgendwas.

Das Selbstmitleid war sein Problem. Es war wie eine Droge, die ihn so zuverlässig runterzog wie jede andere Droge, die es auf der Straße zu kaufen gab.

Er ging zum Schrank und wühlte in seinen Kleidern. Das, was er hatte, musste reichen, bis er einen Vorschuss auf seinen Lohn von Renz bekam.

Die Kleider eines Penners. Die Garderobe eines gottverdammten Penners!

Vielleicht war es gar nicht so schlimm. Er hatte keinen Anzug, brachte aber etwas zusammen, das man im weitesten Sinne als Outfit bezeichnen konnte. Eine zerknitterte Hose, ein langärmliges weißes Anzugshemd, das viel zu warm war für die Jahreszeit, und ein blaues Sakko, das gar nicht so schlecht aussah, solange er die zerrissene Innentasche nicht heraushängen ließ. Seine Schuhe waren in Ordnung, ein schwarzes Paar, das er vor ein paar Jahren gekauft hatte. Sie waren noch nicht zu abgelaufen und sogar ziemlich bequem.

Wenn er sich rasierte und seine widerspenstigen Haare, die langsam grau wurden, ordentlich kämmte, konnte er immer noch als Cop durchgehen.

Was er verdammt noch mal auch war!

Er war ein Cop.

Verdammt viel Blut.

Das war das Erste, was Quinn am nächsten Morgen auffiel, nachdem er das Absperrband vom Türknopf entfernt und sich mit dem Schlüssel, den Renz mit Tesafilm auf die Rückseite der Mordakte geklebt hatte, Zugang zur Wohnung der Elzners verschafft hatte.