Missouri Murders: Kaltes Schweigen - John Lutz - E-Book
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Missouri Murders: Kaltes Schweigen E-Book

John Lutz

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Beschreibung

Ein Ort ohne Wiederkehr: Der fesselnde Ermittlerkrimi »Missouri Murders: Kaltes Schweigen« von John Lutz jetzt als eBook bei dotbooks. Immer mehr junge Frauen verschwinden von den nächtlichen Straßen von St. Louis. Auch wenn die Polizei einen Zusammenhang zwischen den Vermisstenfällen abstreitet, hat Privatdetektiv Alo Nudger eine düstere Vermutung: Treibt in seiner Heimatstadt etwa ein eiskalter Serienmörder sein Unwesen? Als sich die schöne Jeanette Boyington an Nudger wendet, um den Tod ihrer Zwillingsschwester aufzuklären, gibt sie ihm einen entscheidenden Hinweis zur Lösung des Falls: Ein Netzwerk illegaler Treffpunkte, die von den Kriminellen und Abgehängten der Stadt genutzt werden. Seine Suche nach Gerechtigkeit führt ihn in die dunkelsten Ecken von St. Louis, in denen weit mehr lauert als nur der eigene Schatten … »Einer der Meister des Kriminalromans.« Bestsellerautor Ridley Pearson Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Kriminalroman »Missouri Murders: Kaltes Schweigen« von Bestsellerautor John Lutz ist der mitreißende zweite Band seiner Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger, der in St. Louis Verbrechen aufklärt – preisgekrönte Spannung für die Fans von David Baldacci! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 350

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Über dieses Buch:

Immer mehr junge Frauen verschwinden von den nächtlichen Straßen von St. Louis. Auch wenn die Polizei einen Zusammenhang zwischen den Vermisstenfällen abstreitet, hat Privatdetektiv Alo Nudger eine düstere Vermutung: Treibt in seiner Heimatstadt etwa ein eiskalter Serienmörder sein Unwesen? Als sich die schöne Jeanette Boyington an Nudger wendet, um den Tod ihrer Zwillingsschwester aufzuklären, gibt sie ihm einen entscheidenden Hinweis zur Lösung des Falls: Ein Netzwerk illegaler Treffpunkte, die von den Kriminellen und Abgehängten der Stadt genutzt werden. Seine Suche nach Gerechtigkeit führt ihn in die dunkelsten Ecken von St. Louis, in denen weit mehr lauert als nur der eigene Schatten …

»Einer der Meister des Kriminalromans.« Bestsellerautor Ridley Pearson

Über den Autor:

John Lutz (1939–2021) war ein US-amerikanischer Autor von über 50 Thriller und Romanen. Er wurde für seine Kriminalromane mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Shamus Lifetime Achievement Award und dem Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Spannungspreis Amerikas. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt.

Die Website des Autors: johnlutzonline.com/

Der Autor bei Facebook: facebook.com/JohnLutzAuthor/

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die folgenden eBooks:

Die »Missouri Murders«-Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger, die »Florida Killings«-Reihe um den Ex-Cop Fred Carver sowie seine »Frank Quinn«-Reihe um einen Ex-Cop auf der Spur von Serienkillern. Außerdem veröffentlichte der Autor bei dotbooks den Psychothriller »Die Stalkerin«.

***

eBook-Neuausgabe September 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1984 unter dem Originaltitel »Nightlines« bei St. Martins Press, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1989 unter dem Titel »Nachtanschluss« bei Heyne.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1984 by John Lutz

Copyright © der deutschen Ausgabe 1989 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/backUp, Sean Pavone, TPCX und AdobeStock/ana

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98952-437-8

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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John Lutz

Missouri Murders:Kaltes Schweigen

Kriminalroman

Aus dem Amerikanischen von Renate Gotthardt

dotbooks.

MOTTO

Dunkle Nacht,

Doch voller Pracht,

Strahlt auf im Dunkel der mystische Stern,

Schwankend und stark, wie die Liebe nur spricht

Aus Gefilden so fern.

George Eliot

Spanish Gypsy

KAPITEL 1

Regen peitschte mit ungestümem Rasseln gegen Nudgers Bürofenster; es hörte sich an wie das Scharren eines Tieres, das ins Trockene will. Manchmal war es gar nicht so übel, Privatdetektiv zu sein. Es war genau wie in einem Film. Oder einem Traum von einem Film. Es hatte einfach Atmosphäre.

Über seinen Schreibtisch hinweg betrachtete er die junge Blondine, die ruhig vor ihm saß. Sie hatte eines jener ausdruckslosen, aber feingeschnittenen Gesichter, das einer ansonsten unscheinbaren Frau eine ganz bestimmte Art von Beinaheschönheit verleiht. Sogar unter dem voluminösen Regenmantel, den sie nur aufgeknöpft, nicht abgelegt hatte, konnte man beunruhigend deutlich die zierliche, wohlgeformte Figur, die reizende Wölbung des Busens und den anmutigen Schwung der Knöchel erkennen. Niedlich, ganz niedlich.

Aber es war das Gesicht, an das sich Nudger erinnerte, die schrägen grauen Augen und die elegant geschwungenen Augenbrauen, die kurze, arrogante Nase, die zu einer Schaufensterpuppe paßte. Dann, als sie sich vorstellte, kam ihm der Name so bekannt vor wie das Gesicht.

»Letzte Woche habe ich Ihr Bild in der Zeitung gesehen«, sagte er. »Darunter stand, Sie seien tot.«

»Offensichtlich war das nicht ich«, antwortete sie so kühl und gelassen, wie sie aussah. »Ich bin Jeanette Boyington; das Mordopfer war meine Zwillingsschwester Jenine.«

Nudger nahm einen Stift vom Schreibtisch und knabberte unbehaglich an einem Bleistift der Härte zwei. Jenine Boyington war mit durchschnittener Kehle in ihrer Wohnung in der Beale Street aufgefunden worden. So etwas weckte in Nudger immer eine Heidenangst.

»Ich denke, ich sollte Ihnen sagen, daß es keine gute Idee ist, einen Privatdetektiv auf den gleichen Fall anzusetzen, den schon die Polizei auszuklamüsern versucht.«

»Sie haben sicher recht«, erwiderte Jeanette Boyington, »aber sollten Sie diesen Fall übernehmen, kann ich Ihnen versichern, daß Sie ihn von einer ganz anderen Seite betrachten werden als die Polizei. Es ist also keine Zeitverschwendung. Wenn es anders wäre, hätte ich keinen Grund, hier zu sein.«

Nudgers nervöser Magen rebellierte, warnte ihn, sich mit diesem kühlen Wesen einzulassen. Irgendetwas Undefinierbares umgab sie. Er erinnerte sich daran, wie er einmal die Cabanne Avenue entlanggefahren war, und beinahe ein Kätzchen überfahren hätte. Er dachte, er hätte es erwischt, aber als er aus dem Auto stieg, fand er ein kleines schwarzes Fellbündel, das unverletzt, aber bewegungsunfähig vor Entsetzen, im Rinnstein kauerte. Weil er nicht wußte, was er mit dem Kätzchen, das weder Halsband noch Anhänger trug, anfangen sollte, setzte er es in das Auto. Ein paar Blocks weiter sah er eine Gruppe Jungen auf den Treppenstufen vor einer Mietskaserne spielen. Er schenkte ihnen das Kätzchen und glaubte selbstbehaglich, allen etwas Gutes getan zu haben. Als er wegfuhr, warf er einen Blick in den Rückspiegel und sah, wie einer der Jungen das Kätzchen bedächtig auf den Bürgersteig setzte und dann darauf herumtrampelte.

Nudger hatte wütend das Auto zurückgesetzt. Die Jungen waren jedoch wie vom Erdboden verschluckt: ein Kunststück, das kleinen Jungen immer zu gelingen scheint; das Kätzchen lag tot auf dem Bürgersteig, der Kopf war grotesk deformiert. Manche Menschen konnte Nudger einfach nicht verstehen. Der Junge, der das Kätzchen getötet hatte, hatte den Zwischenfall möglicherweise am nächsten Abend schon wieder vergessen. Das war vor zwei Jahren passiert, und Nudger dachte noch immer daran. Aus irgendeinem Grund hatte ihn Jeanette Boyington daran erinnert. Er war sich nicht sicher, ob wegen des Jungen oder des Kätzchens.

»Wissen Sie etwas, das der Polizei nicht bekannt ist, Miß Boyington?«

Sie richtete ihre nicht zu übersehende Nase auf Nudger und lächelte ungerührt. »Jeanette, bitte. Und ich will doch hoffen, daß ich manches weiß, was die Polizei nicht weiß. Ich weiß zum Beispiel, daß Sie oft unterschätzt werden, aber in Ihrem Beruf sehr gut sind. Eine Freundin meiner Mutter, Adelaide Lacy, hat Sie mir empfohlen. Sie sagte, Sie hätten geholfen herauszufinden, was mit ihrer Schwester los ist.«

»Ich würde nicht sagen, daß ich ihr geholfen habe. Ich habe nur ihre Verzweiflung bestätigt.« Er überlegte, daß zu viele seiner Fälle auf diese Weise endeten.

Die grauen Augen, die Nudger ins Visier nahmen, hätten die Titanic versenken können. Und selbst im Sitzen wußte er, daß er den Kurs nicht ändern würde.

Neben einer offensichtlichen sexuellen Attraktivität besaß Jeanette Boyington etwas, das Nudger abstieß und zugleich anzog. Ihre Kälte ließ Isolation ahnen, tiefe Einsamkeit. Einsamkeit war ein langsam fortschreitender Krebs der Seele. Diese Einsamkeit ließ ihn mit Jeanette Boyington sympathisieren. Er glaubte, ihr helfen zu müssen, fühlte sich beinahe dazu verpflichtet. Saßen sie nicht beide im selben lecken Boot? Wieder dachte er an die Titanic.

»Es gibt zwei Gründe, weshalb ich Ihnen das alles erzähle und nicht der Polizei«, sagte Jeanette. »Erstens möchte ich nicht, daß jemand erfährt, was ich Ihnen anvertraue, nachdem ich Ihre Klientin geworden bin. Zweitens würde die Polizei meiner Theorie skeptisch gegenüberstehen.«

»Welcher Theorie?«

»Daß Jenine das Opfer eines Massenmörders geworden ist, der in dieser Stadt arbeitet.«

»Und wo sind die dazugehörigen Opfer?« fragte Nudger trocken, fest entschlossen, sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen.

»Untergegangen«, sagte Jeanette. »Untergegangen in den erdrückenden Statistiken; Hunderte werden jedes Jahr in dieser Stadt ermordet. Untergegangen, weil es in jedem Fall klar ersichtlich ist, daß das Opfer den Täter kannte, es aber offensichtlich keine Verbindung zwischen Täter und Opfer gibt, jedenfalls keine, die die Polizei spitzkriegen könnte.«

»Sie sagten ›augenscheinlich‹.« Nudger klopfte im Takt des krampfhaften Magenzuckens mit der Bleistiftspitze auf den Schreibtisch und schuf ein neues Muster schwarzer Punkte auf dem alten verkratzten Holz. Er studierte die Punkte, als enthielten sie vielleicht zufällig eine Nachricht, so präzise wie eine Nachricht aus dem Kaffeesatz.

»Jenine unterhielt Beziehungen, von denen niemand außer uns beiden wußte«, sagte Jeanette. Sie legte den Kopf fast unmerklich zur Seite und schien behutsam nach Worten zu tasten. »Sie stand – auf etwas Ungewöhnliches.«

»Weiter.« Nudger wurde allmählich neugierig.

Jeanette lächelte mit geschlossenen Lippen, rätselhaft wie eine kühle blonde Mona Lisa. Dann sagte sie: »Der Rest wird mich teuer zu stehen kommen. Betrachten Sie sich als engagiert, oder muß ich mich anderswo nach einem Detektiv umsehen?«

Nudger fühlte, wie er an Land gezogen wurde, ahnte die Gefahr, konnte aber den Köder nicht mehr ausspucken. Er war gefesselt. Und er brauchte wie immer dringend Geld. Er beobachtete, wie Jeanette ihn beobachtete. Sie schien sich so gewaltig zu amüsieren, wie er beunruhigt war.

Als er eine Schreibtischschublade öffnete und einen Normvertrag herausnahm, den sie unterschreiben sollte, der sie zu seiner Klientin machte und ihm die Macht und Verpflichtung aufbürdete, lächelte sie wieder. Diesmal konnte er sehen, daß ihre Zähne weiß waren und scharf.

Als sie den Vertrag überflog und mit einem Kugelschreiber ihre Unterschrift hinwarf, bemerkte Nudger ihre Schuhe, silber-blaue Stöckelschuhe mit schwarzen Schleifchen. Eileen, seine Exfrau, hatte oft ein Paar Schuhe getragen, das genauso aussah. Ein weiteres beunruhigendes Omen. Er fingerte die Aluminiumfolie von einer neuen Rolle Magentabletten und warf sich zwei der kalkweißen Scheiben in den Mund.

»Magengeschwür?« fragte Jeanette und warf einen Blick auf die Tabletten, als er kauend gegenzeichnete.

»Ich weiß es nicht«, sagte Nudger. »Ich habe Angst, zum Arzt zu gehen und es zu erfahren.«

»Das ist lächerlich.«

»Ich möchte mehr über Jenines Beziehungen wissen.«

Ausdruckslos, wie sie waren, hätten Jeanettes kühle graue Augen einer Puppe gehören können. »Von Jenines Verwandten und Bekannten bin ich die Einzige, die wußte, daß sie Männer mehr mochte, als ihr guttat. Sie hat sich mir anvertraut, weil wir uns ungewöhnlich nahestanden. Und weil wir Zwillinge waren, dachte sie, daß ich vielleicht die gleichen Vorlieben habe.« Die schrägen grauen Augen stachen Eiszapfen in Nudger. »Habe ich aber nicht.«

»Natürlich nicht.« Nachricht erhalten. »Wo hat sie diese Männer kennengelernt?«

»Telefonisch.«

Nudger rollte die Tablettenrolle auf dem Schreibtisch zu einem kleinen Kreis. Der Regen prasselte wieder an das Fenster. Er fuhr hoch. Jeanette nicht.

Sie erklärte: »Untertags benützen Fernmeldetechniker, wenn sie Telefone installieren oder reparieren, bestimmte Telefonnummern. Aber spätabends und in den frühen Morgenstunden werden diese Anschlüsse von Leuten benutzt, die irgendwie an die Nummern gekommen sind. Sie lernen sich kennen, ohne einander zu sehen. Dann verabreden sie sich vielleicht irgendwo, meistens an einem gut besuchten öffentlichen Ort, z. B. einem Einkaufszentrum. Dort mustern sie sich wie Fremde, ohne völlig sicher zu sein, wen sie vor sich haben. Wenn ihnen gefällt, was sie sehen, machen sie einen Annäherungsversuch oder gehen auf einen ein. Wenn sie niemanden sehen, den sie persönlich kennenlernen wollen, machen sie einfach kehrt und gehen weg, ohne sich zu erkennen zu geben. Es ist nichts Neues; das läuft schon seit geraumer Zeit in den meisten Großstädten ab. Es gibt Leute, die sich so kennengelernt und später geheiratet haben.«

»Ist es legal, diese Anschlüsse zu benutzen?« wollte Nudger wissen.

»Genaugenommen, nein. Aber die Telefongesellschaft duldet es. Nachts benutzt sie die Anschlüsse sowieso nicht. Und wenn sie diese Leute strafrechtlich verfolgen sollte, würde sie nur ins Gerede kommen. Menschen mit Problemen, die jemanden brauchen, der ihnen zuhört, benutzen diese Anschlüsse. Schwule benutzen sie, um Partner zu finden. Und Menschen wie meine Schwester.«

Zum ersten Mal erhaschte Nudger einen kurzen Blick auf Jeanettes Seelenpein. Was er da sah, war verworren und beängstigend. Wie mochte ein Zwilling die Ermordung des Zwillingspartners empfinden? Vielleicht war ein Stück von Jeanette mit ihrer Schwester gestorben. Vielleicht war der überlebende Zwilling von dem Gedanken an Vergeltung besessen. Nudger rief sich zur Ordnung und schlug sich diese metaphysischen Betrachtungen aus dem Kopf.

»In jeder großen Stadt gibt es eine geheime Subkultur von Leuten, die regelmäßig diese Anschlüsse benutzen«, informierte ihn Jeanette, »Leute, die in der Tagwelt gewöhnlich nichts miteinander verbindet. Es ist eine verzweifelte, verstörte Subkultur, eine einsame Seite des Lebens, von der nur wenige Menschen wissen. Jenine war ein Teil davon, und es hat sie umgebracht.«

»Und Sie wollen nicht, daß die Polizei erfährt, daß Jenine diese Anschlüsse benutzt hat.«

»Sollte es die Polizei erfahren, erführe es auch die Familie und vielleicht auch alle anderen. Ich möchte nicht, daß das geschieht.«

Nudger kannte die Polizei und die Nachrichtenmedien hier in St. Louis. Er wußte, daß Jeanette recht hatte. Und vielleicht hatte sie auch mit etwas anderem recht.

»Wie kommen Sie auf die Idee, ein Frauenmörder benutze die Anschlüsse, um seine Opfer kennenzulernen?« fragte er.

»Eine andere Frau wurde letztes Jahr in ihrer Wohnung von jemandem ermordet, den das Opfer offensichtlich kannte und eingeladen hatte. Jenine brachte das völlig durcheinander, denn sie hatte den Namen der Frau in einem Artikel erkannt, und obwohl sie sie nie persönlich kennengelernt hatte, kannte sie sie gut durch diese Anschlüsse. Über die Anschlüsse fand Jenine heraus, daß es in den letzten drei Jahren mindestens drei weitere Mordopfer gegeben hatte, die regelmäßig die Anschlüsse benutzt hatten, um Partner zu finden. Zwei von ihnen sind in der Badewanne erstochen worden.«

Nudger brach eine Tablette entzwei, überlegte es sich dann anders, schob sich die beiden Hälften auf einmal in den Mund und kaute. »Fürs erste wollen wir uns auf Jenine konzentrieren. Welche Nummer hat sie benutzt?«

»Das weiß ich nicht genau. Alle beginnen mit der Vorwahl Sechs-sechs-sechs, die anderen vier Ziffern sind verschieden. Ich weiß auch nicht, woher Jenine die Nummer hatte. Ich weiß nicht einmal, wie viele solcher Anschlüsse in Betrieb sind.«

»Wahrscheinlich hat sie sich die Nummer aufgeschrieben«, sagte Nudger. »Gewöhnlich schreibt man sich wichtige Telefonnummern auf, ob man sie sich behalten kann oder nicht.«

»Sogar eine solche Nummer?« fragte Jeanette. »Eine, die niemand sehen sollte?« Es klang zweifelnd, beinahe ungläubig.

»Gerade eine solche Nummer.« Nudger kratzte sich am Kinn, bemerkte zerstreut, daß er sich heute nicht rasiert hatte. Armut machte einen nachlässig. »Könnte Jenine mehrere Nummern benutzt haben?«

»Möglich, aber an die Nummern ist nicht leicht heranzukommen. Meistens gibt ein Angestellter der Telefongesellschaft oder ein Barmann oder jemand, der mehrere Anschlüsse benutzt, die Nummer weiter, aber nicht einfach an jeden. Ich denke, die Chancen stehen gut, daß Jenine nur einen Anschluß benutzt hat, aber wir können natürlich nicht ganz sicher sein. Einige der anderen Opfer haben neben Jenines Anschluß auch andere benutzt.«

»Haben Sie einen Schlüssel zur Wohnung Ihrer Schwester?« fragte Nudger.

»Ja, und die Polizei ist dort fertig.«

Nudger erhob sich, ließ die Tablettenrolle in die Hemdtasche gleiten und schlüpfte in sein Sportsakko und den leichten Regenmantel. Jeanette blieb sitzen und beobachtete ihn in ihrer unheimlich gelassenen und gewandten Art.

»Wir nehmen meinen Wagen«, sagte er.

»Die Polizei hat Jenines Wohnung schon gründlich durchsucht. Sie hätten die Nummer gefunden, wenn sie sie irgendwo aufgeschrieben hätte. Da bin ich ganz sicher.«

»Die Sechs-sechs-sechs-Vorwahl ist nicht zu vergessen«, sagte Nudger, »und es wäre unklug, sie aufzuschreiben, wenn man die Nummer geheimhalten will. Die Polizei sucht also nach siebenstelligen Telefonnummern; wir suchen nach einer vierstelligen.«

Mit einem weiteren langsamen Rückwärtsneigen des Kopfes schien Jeanette dies zu erwägen und zu dem Schluß zu kommen, es sei vernünftig genug, um danach zu handeln. Sie stand auf, warf einen Blick aus dem verregneten Fenster und knöpfte ihren Regenmantel zu. »Sie können unter meinen Schirm.« Ihre Stimme war um einige Grad wärmer, aber nicht ihre Augen.

Endlich Freunde, sagte sich Nudger, und sie gingen.

Er bedauerte seine Verwicklung mit Jeanette Boyington, sowohl bewußt als auch auf einer instinktiven Ebene jenseits des Bewußtseins. Um ihn schien sich etwas zu bewegen wie die Andeutung eines Mahlstroms, den das Opfer unvermutet in einem ansonsten ruhigen Gewässer spürt.

Er schwamm weiter.

KAPITEL 2

Jenine Boyingtons Wohnung war ruhig und düster, als spiegele sie feierlich den Tod ihrer früheren Bewohnerin. Die Einrichtung war ein gefällig arrangiertes Durcheinander. Auf allem lag eine dünne Staubschicht, die das Licht zu dämpfen schien und den Möbeln ein seltsam wächsernes Aussehen verlieh. Es erinnerte Nudger an Farbe und Beschaffenheit von leblosem Fleisch.

Jeanette fröstelte, stöckelte dann schnell durch das Zimmer und zog die Vorhänge auf. Dadurch kam nur noch mehr Düsternis von draußen herein.

»Wo fangen wir mit der Suche an?« fragte sie, eingerahmt vom grauen Himmel jenseits des Fensters.

»In der Nähe des Telefons«, erwiderte Nudger. Er hatte ein Tastentelefon auf einem kleinen Holztisch in der Diele gesehen. Ein niedriger Stuhl stand daneben, und auf den gekreuzten Stützen der Tischbeine lag ein voluminöses Telefonbuch.

Nudgers Knie knackten wie Rice Krispies, als er sich bückte und das dicke Telefonbuch hochhievte. Er untersuchte den Einband und die erste und letzte Seite. Einige Telefonnummern waren mit Bleistift und Kugelschreiber auf die Innenseite des Einbands gekritzelt, aber sie standen gewöhnlich neben einem Namen, alle mit vertrauten dreistelligen Vorwahlen. Nudger blätterte das ganze Telefonbuch rasch durch, fand aber keine weiteren handgeschriebenen Nummern.

Er überprüfte die Wand in der Nähe des Telefons, untersuchte dann die Unterseite des Tischchens. Keine Nummer. Er half Jeanette, den Schreibtisch und die Kommoden zu durchwühlen, ebenfalls ohne Ergebnis.

Er hatte das Gefühl, seine Zeit zu verschwenden, und begann, an ziemlich unwahrscheinlichen Stellen zu suchen. Vielleicht war die verdammte Nummer in einem Kode verschlüsselt.

Es war eine mühselige, entmutigende Arbeit, und fünfundvierzig Minuten waren vergangen, bevor Nudger sagte: »Hab’ ich dich endlich!« und mit einem breiten Lächeln dastand, das Telefon nach oben gekehrt in der Hand hielt und Jeanette zu sich rief.

»Jenine hat die Nummer wohl telefonisch erhalten und hatte keinen Stift zur Hand«, sagte er. Er hielt Jeanette das umgedrehte Telefon hin; beobachtete, wie sie nahe herankam und etwas kurzsichtig spähte.

Auf dem Metallboden des Telefons war eine lange Seriennummer eingestanzt. Vier Ziffern – 2, 7, 8, 3 – wurden von tiefen Kratzern durchzogen, die vielleicht von einer Nadel oder der Spitze eines Schlüssels herrührten.

»Die Ziffern stehen wahrscheinlich nicht in der richtigen Reihenfolge«, gab Jeanette zu bedenken.

Nudger hielt das Telefon in das hellere Licht, das schräg durch das Fenster fiel. Die Kratzer unterschieden sich anscheinend nicht voneinander; alle hatten ungefähr die gleiche Länge, ca. fünf Zentimeter, und waren sogar alle im gleichen Winkel eingeritzt.

»Es sind ja bloß vier Ziffern«, sagte er. »Wir werden sie in unterschiedlichen Kombinationen mit der Sechs-sechssechs-Vorwahl ausprobieren.«

Nudger nahm einen Stift und einen Zettel vom Schreibtisch, um die ausprobierten Kombinationen festzuhalten, setzte sich auf den lächerlich kleinen Stuhl in der Diele und drückte auf die Tasten.

Jedes Mal geriet er an ein Tonband, das ihn höflich, aber scharf schalt, weil er sich verwählt hatte, und ihm riet, es bitte noch einmal zu versuchen. Er kam sich vor wie Beaver Cleaver, der von seiner Serienmutter getadelt wurde.

Er versuchte es weiter, wie es ihm die zuckersüße Stimme nahegelegt hatte.

Beim fünften Versuch hörte er das Freizeichen. Er legte den Hörer auf, notierte sich die Zahlenkombination, mit der er das erreicht hatte, und ließ, unheimlich zufrieden mit sich, den Zettel in seine Tasche gleiten.

Jeanette lächelte auf ihn herab, endlich beeindruckt. Nudgers Ego nahm um ein paar Pfund pro Quadratzentimeter zu.

»Alles ist einfach, wenn man es nur schlicht genug angeht.« Jeanette ließ es wieder einmal auf tölpelhafte Proportionen schrumpfen.

»So bin ich eben«, sagte Nudger. »Ich bin schlicht und arbeite billig.«

»Seien Sie nicht so streng mit sich«, tröstete Jeanette. »Denken Sie nur an das Modell T von Ford. Nicht schnell, aber verläßlich. Der Liebling von Millionen.«

Sie verließen Jenines deprimierende Wohnung, und Nudger fuhr Jeanette zu ihrem Auto, das vor seinem Büro stand.

Seine Stimmung hob sich, als er vor dem Haus hielt und den Motor abstellte; er hatte Glück gehabt und den Parkplatz mit der kaputten Parkuhr ergattert. Erlebte Fortunas Rad einen Aufschwung?

»Hier riecht es aber gut«, sagte Jeanette, als er sie zu ihrem sehr funktionalen blauen Sedan begleitete.

»Das ist der Doughnut Shop direkt unter meinem Büro. Lassen Sie sich von dem Aroma nicht täuschen.«

»Das war schon immer meine Devise.« Sie schloß die Autotür auf und öffnete sie. Bevor sie sich hinter das Steuer setzte, fragte sie: »Was jetzt?«

»Da ich ein Ermittler bin, werde ich mit der Ermittlung beginnen. Ich werde mehr über diese Nummern herausfinden; ich habe gute Beziehungen bei der Telefongesellschaft.«

Sie beugte ihr gefälliges Fahrgestell, stieg blitzschnell ein und fischte in der übergroßen Vinylhandtasche nach den Schlüsseln. »Sie rufen mich an?«

»Wenn ich etwas zu sagen habe.«

Als sie losfuhr, war ihr Gesicht ruhig und ausdruckslos wie immer. Sie hätte zu der Bande auf dem Mount Rushmore gepaßt.

Nudger merkte plötzlich, daß ein kühler Nieselregen aufgekommen war und es schon nach Mittag war. Wahrscheinlich hätte er die distanzierte Jeanette zum Essen einladen sollen. Das wäre nicht nur höflich, sondern auch professionell gewesen, selbst wenn er keine Mittagspause machen wollte.

Dem Verkehr ausweichend, überquerte er die Straße, aber bevor er sich die schmale Treppe zu seinem Büro hinaufschleppte, schlüpfte er in Danny’s Doughnuts. Er würde, indem er einen glasierten Danny’s Dunker Delita aß, den Hunger stillen, gleichzeitig für seine mangelhaften Manieren Buße tun und so zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Nudger kaute seine Magentabletten wie ein Süchtiger, verließ sein Büro und holperte in seinem verbeulten alten Käfer quer durch St. Louis zu seiner Verabredung mit Sam Fisher, einem Programmierer der Telefongesellschaft, dessen lukrative Nebengeschäfte den Hauptteil seines Einkommens ausmachten.

»Wessen Telefon soll ich für dich anzapfen, Nudge?« fragte Fisher, als Nudger in Fishers semi-privatem verglasten Büro Platz genommen hatte. Das Zimmer war ein Aquarium.

Nudgers Magen machte einen schnellen Salto, und er warf einen nervösen Blick auf Dutzende von Angestellten, die hinter den Glaswänden geschäftig umherschwirrten. Er kam sich vor wie auf dem Präsentierteller. »Hast du keine Angst, daß uns jemand belauscht?«

Fisher lächelte unter einem breiten ergrauenden Schnauzer. Er hatte die Augen eines Anarchisten. »Ich bin hier derjenige, der lauscht.« Er gestikulierte, daß die goldene Armbanduhr glitzerte. »Niemand kann uns hier drinnen hören; ich habe gut vorgesorgt.«

»Gut«, sagte Nudger, »ich bin gekommen, weil ich Auskünfte brauche.« Nudger erklärte, was er wissen mußte, ohne Fisher zu sagen, weshalb er die Information haben wollte. Fisher bestätigte, daß es solche Dienstnummern gab und daß es in der Gesellschaft allgemein bekannt war, daß diese für illegale nächtliche Gespräche benutzt wurden, daß aber nichts dagegen unternommen wurde. Die Gründe, die er für die Untätigkeit der Telefongesellschaft angab, waren die gleichen, die schon Jeanette konstatiert hatte.

»Es gibt fünf solcher Nummern, Nudge«, sagte Fisher. »Der Anrufer wählt, hört einen Ton, wartet dann, bis ein anderer die entsprechende Nummer wählt, die eine Verbindung zustande kommen läßt. Bis das passiert, bleibt die Leitung offen.«

»Es klingelt nicht?« fragte Nudger.

»Nicht bei diesen Anschlüssen«, sagte Fisher. »Tagsüber werden sie für Fernmeldetechniker offengehalten. Nachts werden sie von Spinnern benutzt, die auf eine Verbindung mit einem ähnlichen Spinner warten. Es ergeben sich sonderbare Gespräche. Niemand weiß genau, wie diese Nummern der Öffentlichkeit bekannt werden, aber die Leute finden immer Mittel und Wege, besonders die Art von Leuten, die nachts die Anschlüsse benutzen will.«

»Kann ein Anschluß zur gleichen Zeit von mehr als zwei Leuten benutzt werden?«

»Nein. Das ist weder ein Gemeinschaftsanschluß noch eine Konferenzschaltung. Jeder, der einen besetzten Anschluß benutzen möchte, muß warten, bis einer der Anrufer aufgelegt hat.«

»Werden solche Anrufe von einer bestimmten Nummer bei euch registriert?«

Fisher schüttelte den Kopf. »Nein.«

Ein tadellos gepflegter Managertyp in einem dreiteiligen Nadelstreifenanzug pochte an die Glaskabine und deutete auf seine Armbanduhr; offensichtlich wollte er Sam Fisher an eine Verabredung erinnern, wahrscheinlich zum Mittagessen. Fisher winkte, und der Mann ging weg.

»Was ich unbedingt wissen muß, Sam ...«, begann Nudger.

Aber Fisher warf schon die fünf Telefonnummern auf einen Notizblock. Wahrscheinlich hatte er Hunger. Er riß das Blatt ab und reichte es Nudger.

Nudger bedankte sich.

»Ich schicke dir eine Rechnung«, sagte Fisher, »genau wie die Telefongesellschaft.«

Nachdem Nudger die Zentrale der Telefongesellschaft verlassen hatte, fuhr er zu einem Restaurant in der Washington Avenue und bestellte ein Schinkenomelett und ein Glas Milch. Seine Bedienung war ein fohlenartiges Mädchen mit entzündeten Pickeln. Sie ließ beinahe alles fallen oder verschüttete es und lächelte ununterbrochen mit befangenem Charme.

Er stocherte in seinem Essen und starrte aus dem fettverschmierten Fenster auf den Verkehr, dachte darüber nach, daß es ihm mißfiel, wie sich die Dinge entwickelten. Nudger liebte die Gefahr nicht, und wie jeder vernünftige Bürger suchte er sie zu vermeiden, wo er nur konnte. Natürlich war das in seinem Beruf nicht immer möglich, außer man gab sich viel Mühe. Er gab sich auch viel Mühe, immer, und er hatte mit der Zeit ein Gefühl für Gefahr entwickelt wie ein Zehnender während der Jagdsaison. Dieses warnende Prickeln am unteren Rückgrat schrie ihm nachgerade zu, daß er diesmal in eine besonders üble Sache geraten war. Er fühlte sich wie Alice, nachdem sie in das Kaninchenloch gefallen war, nur bemühten sich alle, ihm zu verheimlichen, daß er sich im Wunderland befand.

Er ließ ein halbes Glas Milch und den Großteil des matschigen Omeletts stehen, bezahlte die Rechnung und hinterließ ein angemessenes Trinkgeld für das durch Akne verunstaltete Mädchen. Hoffentlich wußte sie, daß sie eines Tages eine Schönheit sein würde. In dem Moment, in dem er auf die Straße hinaustrat, begann es wieder zu regnen. Diese Stadt und ihr permanentes Aprilwetter.

Nudger kehrte in sein Büro zurück, sperrte die Tür ab und nahm das Armee-Feldbett und den Schlafsack aus dem Schrank. Nachdem er den Anrufbeantworter abgehört hatte – überfällige Rechnungen und ein begrenzter Nachlaß auf Ferienhäuser an einem See –, stellte er den Wecker seiner Armbanduhr auf Mitternacht. Dann streckte er sich auf dem Feldbett aus, ohne sich die Mühe zu machen, in den Schlafsack zu kriechen.

Er verschränkte die Hände unter dem Kopf, schloß die Augen und lauschte dem seltsam tröstlichen leisen Knattern und Knallen der Dampfrohre und dem zeitweilig aussetzenden Zischen des Verkehrs auf der regennassen Straße unter ihm. Wenigstens im Moment hatte er alles unter Kontrolle.

Er war dreiundvierzig Jahre alt. Er war müde. Die beiden Tatsachen hingen irgendwie zusammen. Mühelos schlief er ein.

Die Unschuldigen haben einen seligen Schlaf. Die Ahnungslosen ebenfalls.

KAPITEL 3

Jedes schrille, durchdringende Piepsen des Armbanduhrweckers war wie eine Nadelspitze, die in das Gewebe in Nudgers Gehirn eindrang. Etwas ähnlich Spitzes hatte über die Unterseite von Jenine Boyingtons Telefon gekratzt, erinnerte er sich verschwommen in der Welt seiner unruhigen Träume.

Als Nudger wach wurde, tastete er nach der Armbanduhr, stellte fummelnd den Wecker ab, drückte dann auf einen Knopf und sah auf dem erleuchteten Zifferblatt, daß es erst zwei Minuten nach Mitternacht war. Die Straßenlampe an der Ecke tauchte das Büro in ein schwaches Licht. Alles war ruhig; sogar die Dampfrohre pausierten von ihrer knallenden und zischenden Kakophonie.

Nudger saß auf dem Rand des Feldbetts, den Kopf in die Hände gestützt. Seine Kehle war trocken; seine Zunge war geschwollen und schien mit dem Zeug belegt, mit dem man Jacken ohne Knöpfe oder Reißverschlüsse schließen konnte. Es war Geisterstunde und kalt und dunkel; was fiel ihm ein, immer noch in seinem Büro zu sein? Warum quälte er sich aus dem Bett? Warum war er in diesem Geschäft? Aber er kannte die Antwort; er aß regelmäßig und bezahlte manchmal seine Rechnungen. Ja, so war das Leben.

Er stand auf, ging in den kleinen Waschraum, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und spülte den Mund aus. Er warf einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken, zuckte zusammen, schaute weg, ging ins Büro zurück und setzte sich hinter den Schreibtisch. Der Drehstuhl quietschte laut genug, um die Doughnuts unten aufzuwecken.

Nachdem er die gelbbeschirmte Schreibtischlampe angeknipst hatte, griff Nudger nach dem Telefon und zog es zu sich heran. Er tippte die Nummer, die auf dem Boden von Jenines Telefon stand und erhielt das Besetztzeichen. Dann tippte er der Reihe nach die Nummern, die ihm Fisher gegeben hatte, und war überrascht, daß er immer nur das Besetztzeichen erhielt. Er beschloß, nur die Nummer aus Jenines Wohnung zu tippen; er tippte sie jede halbe Minute, bis er das Freizeichen hörte.

Sekunden später war ein lautes Klicken im Hörer. Eine Männerstimme sagte: »Bist du da, Süße?«

»Ich bin da«, sagte Nudger. »Ob ich süß bin, ist eine andere Frage.«

»Jedenfalls nicht süß genug für mich«, sagte der Mann, »es sei denn, daß deine schrecklich tiefe Stimme einem riesigen Busen entspringt.«

»Ich trage keinen BH, sondern ein Sakko in Größe 44«, sagte Nudger, »an den Ärmeln und Ellenbogen meistens ein bißchen ausgefranst. Immer noch interessiert?«

Der Mann lachte. »Klar, aber nicht an dir, Kumpel. Ich hab’ das Gefühl, wir suchen beide das gleiche.« Er legte auf.

»Gut möglich«, dachte Nudger und blieb in der Leitung. Ein weiteres Klicken.

»Ich bin ein nordisch aussehender Musikliebhaber Anfang Dreißig, und ich bevorzuge den muskulösen mediterranen Machotyp.« Er klang wie eine Bekanntschaftsanzeige im National Enquirer. »Sollte jemand zuhören – ich kann Schaf oder Wolf sein. Außerdem stehe ich auf Gummi. Hallo, hallo, bist du das, Lover? Empfängst du meine glühend heißen vibes?«

»Ich empfange sie«, sagte Nudger, »aber wir haben nicht die gleiche Wellenlänge. Ich stehe auf Schokoladenüberzug.«

»Klingt göttlich.«

»Das sagt die Fernsehköchin auch.«

»Du machst Spaß?«

»Ich mache Spaß.«

»Dann, Ciao.« Klick.

Das alles war mehr als traurig, dachte Nudger, als er sich auf dem Stuhl bequemer hinsetzte. Es erinnerte ihn an die gezwungene Fröhlichkeit an Silvester, wenn den Leuten bewußt wird, daß ihnen die Zeit zwischen den Fingern verrinnt; doch wie zum Trotz tragen sie bunte Papphüte, blasen Tröten und schmettern dann aus voller Kehle ›Auld lang Syne‹, ein im Grunde trauriges Lied.

Wie aus weiter Ferne fragte leise eine Frau: »Ist da jemand? Irgendjemand? Bitte?«

»Ich bin da«, sagte Nudger und hielt sich den Hörer dichter ans Ohr.

»Ich bin einsam und werde mich umbringen«, sagte die Frau. Sie sagte es, als meinte sie es auch.

Nudger fuhr auf. Was die Franzosen eine frisson nennen, ließ ihm die Haare zu Berge stehen. »Bitte, tun Sie es nicht!«

»Es bricht über mich herein«, sagte die Frau. »Alles bricht über mich herein. Ich sehe keinen anderen Weg, um es aufzuhalten.«

»Ich verstehe, was Sie fühlen«, sagte Nudger, »wirklich.«

»Tun Sie nicht. Können Sie gar nicht. Es ist dumm von Ihnen zu sagen, daß Sie verstehen.«

»Vielleicht kann ich nicht sicher wissen, ob ich verstehe«, räumte Nudger ein, »aber ich kenne das Gefühl, das Sie gerade beschrieben haben, wenn es so aussieht, als verliere man mit jedem nächsten Zug das Spiel.«

»Was tun Sie dann?«

»Ich ziehe, ich verliere, und ich beginne wieder von vorn.«

Sie lachte. Es war ein trauriges Lachen, eine Manifestation der Hoffnungslosigkeit.

»Ich habe einige Erfahrung mit Selbstmorden«, sagte Nudger. »Niemandem, den Sie zurücklassen, werden Sie leid tun. Vielleicht ganz am Anfang, aber innerhalb kürzester Zeit werden sie wütend sein über das, was Sie getan haben. Sie werden sehr lange wütend bleiben, vielleicht den Rest ihres Lebens.«

»Welchen erdenklichen Unterschied wird das für mich machen, wenn ich tot bin?«

Diese Logik war bestechend, gestand sich Nudger ein. Das klang vernünftig.

»Wenn das Leben unerträglich wird«, sagte die Frau, »warum sollten wir länger leiden?« Noch mehr Logik. Shit!

»Weil wir nur denken, daß das Leben unerträglich ist. Wenn wir eine Weile ausharren, entspannt sich die Lage gewöhnlich, oder aber sie verschlimmert sich in einer Weise, die wenigstens ein bißchen interessanter ist.«

Die Frau lachte wieder, diesmal nicht ganz so hoffnungslos.

»Vielleicht sollten Sie zu einem Arzt gehen«, schlug Nudger vor, »einem Fachmann, der Ihnen auf eine Art und Weise helfen kann, die Sie sich nicht vorstellen können.«

»Ich war bei einem Psychologen. Er hat mir zugehört, genau wie Sie, nur daß er sich Notizen gemacht hat. Machen Sie sich Notizen?«

»Nein, aber ich täte es, wenn ich dächte, es würde Sie davon abhalten, sich das Leben zu nehmen. Warum erzählen Sie mir nicht, was Sie bedrückt? Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie Ihren Kummer mit jemandem teilen.«

»Glauben Sie an die Hölle?«

»Nein.«

»Ich schon. Ich bin dort.«

»Seien Sie da nicht so sicher«, sagte Nudger. »Sie haben wirklich keinen Vergleich.«

»Denken Sie im Ernst, daß es einen Vergleich gibt?«

»Ich denke, der Tod ist das Nichts«, sagte Nudger. »Es macht mir Angst.«

»Ich nehme alles zurück; Sie sind nicht wie der Psychologe.«

»Mögen Sie Gorillawitze?« fragte Nudger.

Wieder das Lachen, kürzer, aber fröhlicher. »Was für eine profane Frage an eine potentielle Selbstmörderin.«

»Der Tod ist profan. Nichts könnte profaner sein. Reden Sie morgen mit mir, und ich erzähle Ihnen ein paar Gorillawitze.«

Lange Zeit sagte sie nichts. Nudger dachte schon, sie sei nicht mehr in der Leitung. Dann sagte sie: »Ich möchte nicht den hören, wo Gorillas schlafen.«

»Meine Gorillawitze sind viel geistreicher. Reden Sie morgen Nacht mit mir. Versprechen Sie es.« Er spürte, daß er es fast geschafft hatte.

Eine weitere Pause. »Sind Gorillawitze es wert, daß man für sie am Leben bleibt?«

»Meine schon. Alles ist wert, daß man dafür am Leben bleibt. Reden Sie morgen mit mir unter diesem Anschluß. Sie werden sehen. Alle lieben gute Gorillawitze. Sie sind eine positive Kraft auf dieser Welt.«

»Na gut«, sagte sie. »Aber ich verspreche nichts. Ich kann nicht.«

»Klar«, sagte Nudger. »Um die gleiche Zeit?«

»Um die gleiche Zeit«, sagte sie und legte unvermittelt auf.

Nudger legte ebenfalls auf. Ihm war klar, daß die Frau mehr für ihn bedeutete, als bloß eine körperlose Stimme in der Nacht, mehr als eine Fremde; ihre Unterhaltung war erschreckend persönlich gewesen, und ihm kam es vor, als kenne er sie, sorgte sich um sie. War es das, was Sam Fisher sonderbar nennen würde? War das so schlimm? Sie hatte menschlichen Kontakt gesucht, geredet und sich nicht umgebracht.

Im Büro war es ruhig, die Luft dick und abgestanden wie Flüssigkeit. Nudgers rechte Hand ruhte immer noch auf dem körperwarmen Hörer. Die freie Hand ballte er so fest zu einer Faust, daß sich die Fingernägel in die Handflächen gruben, und er schwitzte stark. Die Nachtanschlüsse besaßen mehr Elektrizität, als die Telefongesellschaft vorgesehen hatte.

Normalerweise ersparte Nudger seinen Eingeweiden den Kampf mit dem Alkohol, aber nun stand er auf und ging zum Aktenschrank, wo er eine Flasche Johnny Walker Red Label für besondere Gelegenheiten und seine allerbesten Klienten aufbewahrte. Er goß einen großzügigen Schluck der bernsteinfarbenen Flüssigkeit in eine ausgespülte Kaffeetasse, stürzte ihn hinunter und fühlte das warme Beißen. Er ging zum Fenster und schaute auf die Straße hinunter, auf das schwache grünliche Neonleuchten der Danny’s-Doughnuts- Anzeige direkt unter ihm. Er wünschte, das Geschäft hätte geöffnet, der trübselige Danny stünde hinter dem Tresen, das angegraute Handtuch in den Gürtel gesteckt und packte für die Angestellten der umliegenden Geschäfte und Bürohäuser seine fettigen Waren zum Mitnehmen in gefaltete Kartons. Es wäre nett, sich von Angesicht zu Angesicht zu unterhalten. Ein Mienenspiel zu sehen.

Stattdessen stellte Nudger die leere Tasse auf das Fensterbrett und kehrte zu Schreibtisch und Telefon zurück.

Er stellte mehrere Verbindungen her und führte einige längere Gespräche, bevor er die Arbeit gut sein ließ und sich zurücklehnte. Er schaute auf die Uhr und war überrascht, daß es fast fünf war. Nudger hatte ein Gefühl dafür entwickeln wollen, was an diesen Anschlüssen vor sich ging, und er hatte es bekommen. Er war ernüchtert.

Er reckte die Arme, streckte den Rücken und atmete laut aus. Dann führte er noch ein letztes Telefongespräch, zum Third District, und hinterließ eine Nachricht für Lieutenant Jack Hammersmith, der nicht vor sieben Uhr zur Arbeit erschien. Als er aufgelegt hatte, stellte er den Wecker und legte sich wieder auf das durchgelegene Feldbett, diesmal unfähig zu schlafen.

Um ihn erwachte allmählich die Stadt, und die Anschlüsse wurden von der Tagschicht in Anspruch genommen, wurden wieder zum Ressort der Angestellten der Telefongesellschaft, die ihrer alltäglichen Arbeit nachgingen.

Aber ein Teil der Nacht hatte Anspruch auf Nudger erhoben, begleitet von sehr realen, aber unentzifferbaren Vorahnungen. Wie ein Kind fürchtete er sich im Dunkeln. Und er war darin gefangen.

KAPITEL 4

Hammersmith saß hinter seinem Schreibtisch im Third District Büro und betrachtete Nudger durch einen grünlichen Dunst, ausgestoßen von einer seiner unglaublich übelriechenden Zigarren. Er war jetzt ein korpulenter Buddha von einem Mann, hatte gar keine Ähnlichkeit mehr mit dem geschmeidigen, gutaussehenden Polizisten, der den Frauen schöntat und sie becircte, damals, als er und Nudger vor zehn Jahren zusammen Streife fuhren. Die Zeit machte das mit einem, dachte Nudger, und setzte sich auf den harten Eichenstuhl vor Hammersmiths Schreibtisch. Flüchtig fragte er sich, was die Zeit wohl mit ihm vorhatte, verbannte dann aber sofort so deprimierende Spekulationen aus seinem Bewußtsein. Warum sich selbst piesacken?

»Woran arbeitest du denn gerade, Nudger?« fragte Hammersmith. »Ich muß alles über den Mord an Jenine Boyington wissen«, sagte Nudger. Er atmete flach, um so wenig wie möglich von dem Rauch aus zweiter Hand einzuatmen. Er verstand, weshalb die Genfer Konvention chemische Kriegsführung verboten hatte.

Hammersmith schien seine Gedanken zu lesen; er zog an der Zigarre und stieß einen weiteren grünen Rauchschwaden aus. »Mittelgroß, mittelschwer, weiblich, weiß«, sagte er, »wurde mit durchschnittener Kehle in der Badewanne gefunden. Sie hatte Alkohol im Blut – was von ihrem Blut noch übrig war, als wir sie sahen. Eine nette, saubere Arbeit. Keine Verhaftung, keine Verdächtigen.«

»Das stand alles schon in der Zeitung«, sagte Nudger.

Hammersmith kniff die durchdringenden blauen Augen zwischen den Fleischpolstern zusammen. »Arbeitest du an diesem Fall?«

Nudger nickte.

»Wir sehen das gar nicht gerne, Nudge. Jedem anderen würde ich sagen, er soll sich da raushalten.«

»Ich werde dir nicht in die Quere kommen. Ganz bestimmt nicht.«

»Keine Veranlassung für Versprechungen«, sagte Hammersmith. »Wer hat dich beauftragt?«

»Jeanette Boyington, die Zwillingsschwester des Opfers.«

»Was weißt du, was wir wissen sollten?« fragte Hammersmith.

Verschwiegenheit hin oder her, Nudger wußte, daß in einem Mordfall Beweise zu unterschlagen illegal war und seine Lizenz zumindest eine Weile auf Eis gelegt würde. Das war einer der Gründe, weshalb er hierhergekommen war. Um sich zu schützen. Er konnte Hammersmith solche Informationen preisgeben; sie würden einigermaßen vertraulich bleiben, solange sie sich nicht für die Ermittlungen als wirklich entscheidend erwiesen.

»Meine Klientin und ich möchten nicht, daß diese Information die Runde macht«, sagte Nudger.

»Wird sie nicht. Muß ich es versprechen?«

Nudger lächelte. »Nein.« Er staunte manchmal über den Bund, der zwischen zwei Männern entsteht, die unzählige Stunden in einem engen Streifenwagen verbracht haben und tagtäglich aufeinander angewiesen waren. »Jenine Boyington pflegte nächtliche Telefongespräche zu führen, um Männer kennenzulernen«, sagte er. Und er erklärte Hammersmith die Dienstanschlüsse der Telefongesellschaft und deren bizarre und verzweifelte Verwendung in der Nacht.

»Das alles muß nicht unbedingt sachdienlich sein«, sagte Hammersmith, als Nudger geendet hatte. Aber beide Männer wußten es besser. Hammersmith spielte mit und würde diese neue Richtung der Ermittlungen so unauffällig wie möglich erforschen. Er war schon immer ein geschickter Heimlichtuer gewesen.

»Zeit jetzt für den anderen Teil des Handelns«, sagte Nudger. Er wußte, daß die Polizei den Medien oft wichtige Informationen vorenthielt. Das half ihr nicht nur, die unvermeidliche Prozession von Irren auszusieben, die jeden sensationellen Mord gestand, es gab ihr auch gegen den Mörder einen Trumpf in die Hand.

Hammersmith versuchte nicht, auszuweichen. Er zog wieder an seiner Zigarre, stieß eine Wolke aus und sagte: »Unter einem der abgebrochenen Fingernägel des Opfers waren ein paar blonde Strähnen.«

»Das Opfer war eine Blondine«, sagte Nudger.

Hammersmith schüttelte den Kopf, daß die Hamsterbacken wackelten. »Es war nicht ihr Haar. Jenine Boyington hatte glattes Haar. Diese Strähnen waren ungefähr fünfzehn Zentimeter lang und sehr lockig. Sie können praktisch nur vom Täter stammen.« Ein weiterer Zug an der Zigarre. »Und noch etwas. Wir haben einen Satz verwischter Fingerabdrücke gefunden, nicht zu gebrauchen, außer daß sich von den weit gespreizten Fingern auf die ungewöhnlich großen Hände des Täters schließen läßt. Riesige Hände.«

»Sind in den letzten paar Jahren noch andere Frauen in der Badewanne ermordet worden?« fragte Nudger.

»Sicher. Aber Badewannen sind ein ganz gewöhnlicher Platz für weibliche Mordopfer. Was könnte üblicher sein?«

Nudger bedankte sich bei Hammersmith und erhob sich von dem harten Eichenstuhl. Der Stuhl war so unbequem, daß man unmöglich länger als zehn Minuten darauf sitzen konnte. Hammersmith wußte das; er war ein Workaholic und wollte sich von Besuchern nie länger stören lassen. Nudger fragte sich, ob er den Folterstuhl nach Maß hatte schreinern lassen.

Er war an der Tür, als ihn Hammersmith aufhielt.

»Deine Klientin, Nudge, ist sie ein eineiiger Zwilling?«

»Sie sieht genauso aus wie das Zeitungsfoto ihrer Schwester«, sagte Nudger.

»Manchmal nimmt einen Zwilling der Tod des anderen ungewöhnlich heftig mit. Es ist, als dächten sie, sie sollten den Tod teilen wie alles andere.«

»Du machst dir Sorgen wegen einer Art Rachezwang?« fragte Nudger.

»Ich sage dir, du solltest dir Sorgen machen. Behalte deine Klientin im Auge. Sie könnte ganz hübsch raffiniert sein.«

»Sie ist schon hübsch, wenn auch auf eine reptilienhafte Art.«

»Und laß mich wissen, wenn du irgendetwas über diese tiefnächtlichen Telefongespräche erfährst.«

»Einige dieser Gespräche können dir das Herz zerreißen«, sagte Nudger. Ist da jemand? Irgendjemand? Bitte?

Hammersmith zuckte mit den Schultern und nahm einen Stift vom Schreibtisch. »Mein Herz wurde schon immer zerrissen. Deins auch, aber dein Problem ist, daß dein Herz kein Narbengewebe entwickelt. Verschwinde!«

Nudger verschwand.

Als er in sein Büro zurückkehrte, entdeckte Nudger, daß Danny jemand hineingelassen hatte, der auf ihn wartete. Das war eine Vereinbarung, die Nudger mit dem Besitzer des Doughnut Shops getroffen hatte. Danny war weniger bequem, aber viel billiger als eine Sekretärin.

Bevor sie sich vorstellte, ahnte Nudger die Identität der Frau mittleren Alters, die kerzengerade auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch saß. Sie mußte weit über Fünfzig sein, aber in der ruhigen Haltung, den ruhigen, grauen Augen und dem zierlichen Kurvenreichtum lag eine vertraute, frostige Vitalität.