Florida Killings: Brennende Rache - John Lutz - E-Book
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Florida Killings: Brennende Rache E-Book

John Lutz

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Beschreibung

Das kalte Feuer des Hasses: Der packende Amerika-Thriller »Florida Killings: Brennende Rache« von John Lutz jetzt als eBook bei dotbooks. Ein Tag wie jeder andere: Fred Carver, Ex-Polizist und Privatermittler, seit eine verirrte Kugel sein Knie zertrümmert hat, trinkt gerade seinen Morgenkaffee, als er eine Nachricht erhält, die sein Leben auf immer verändern wird – ein irrer Killer hat drei Menschen mit einem Flammenwerfer getötet. Unter ihnen: Carvers achtjähriger Sohn. Hin- und hergerissen zwischen Trauer und Hass, Recht und Rache nimmt Carver die Spur des Psychopathen auf. Schon bald deuten alle Hinweise auf Paul Kave, den schizophrenen Sohn einer der reichsten Familien Floridas. Als Paul untertaucht, eröffnet Carver die Jagd. Er wird den Mörder seines Sohnes finden – und dafür ist er bereit bis zum Äußersten zu gehen … »Einer der Meister des Kriminalromans.« Bestsellerautor Ridley Pearson Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Hardboiled-Krimi »Florida Killings: Brennende Rache« von Bestsellerautor John Lutz ist der abgründige erste Band seiner Reihe um den Privatermittler Fred Carver, der in der brutalen Hitze des Sunshine State ermittelt – preisgekrönte Spannung für alle Fans von Michael Connelly! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 404

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Über dieses Buch:

Ein Tag wie jeder andere: Fred Carver, Ex-Polizist und Privatermittler, seit eine verirrte Kugel sein Knie zertrümmert hat, trinkt gerade seinen Morgenkaffee, als er eine Nachricht erhält, die sein Leben auf immer verändern wird – ein irrer Killer hat drei Menschen mit einem Flammenwerfer getötet. Unter ihnen: Carvers achtjähriger Sohn. Hin- und hergerissen zwischen Trauer und Hass, Recht und Rache nimmt Carver die Spur des Psychopathen auf. Schon bald deuten alle Hinweise auf Paul Kave, den schizophrenen Sohn einer der reichsten Familien Floridas. Als Paul untertaucht, eröffnet Carver die Jagd. Er wird den Mörder seines Sohnes finden – und dafür ist er bereit, bis zum Äußersten zu gehen …

»Einer der Meister des Kriminalromans.« Bestsellerautor Ridley Pearson

Über den Autor:

John Lutz (1939–2021) war ein US-amerikanischer Autor von über 50 Thriller und Romanen. Er wurde für seine Kriminalromane mehrfach ausgezeichnet – unter anderem mit dem Shamus Lifetime Achievement Award und dem Edgar-Allan-Poe-Award, dem wichtigsten Spannungspreis Amerikas. Mehrere seiner Werke wurden verfilmt.

Die Website des Autors: johnlutzonline.com/

Der Autor bei Facebook: facebook.com/JohnLutzAuthor/

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die folgenden eBooks:

Die Missouri-Murders-Reihe um den Privatdetektiv Alo Nudger:

»Missouri Murders: Schwarze Nacht«

»Missouri Murders: Kaltes Schweigen«

»Missouri Murders: Tiefe Schatten«

»Missouri Murders: Harte Strafe«

»Missouri Murders: Fatale Schuld«

Die Florida-Killings-Reihe um den Ex-Cop Fred Carver:

»Florida Killings: Brennende Rache«

»Florida Killings: Roter Tod«

»Florida Killings: Kaltes Feuer«

»Florida Killings: Sengender Verrat«

»Florida Killings: Lodernder Zorn«

Seine Frank-Quinn-Reihe um einen Ex-Cop auf der Spur von Serienkillern:

»Opferschrei«

»Blutschrei«

»Zornesschrei«

»Jagdschrei

Außerdem veröffentlichte der Autor bei dotbooks den Psychothriller »Die Stalkerin«.

***

eBook-Neuausgabe Mai 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1987 unter dem Originaltitel »Scorcher« bei Henry Holt, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1991 unter dem Titel »Ein flammend heißer Tag« bei Goldmann.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1987 by John Lutz

Copyright © der deutschen Ausgabe 1991 by Wilhelm Goldmann Verlag, München

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/OSTILL is Frank Camhi, Aleksandrs Sokolovs

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98952-280-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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John Lutz

Florida Killings:Brennende Rache

Ein Fred-Carver-Thriller 1

Aus dem Amerikanischen von Friedrich A. Hofschuster

dotbooks.

Kapitel 1

Etwa um zehn Uhr vormittags wird es im Juli in Zentral-Florida zu heiß, um noch draußen sitzen zu können. Jetzt war es neun, ein strahlender Tag, und schon ziemlich brütend und feucht. Jeder Warmblüter, der nicht arbeiten mußte, suchte den Schatten.

Auf der Veranda von Carvers und Edwinas massivem, aus Ziegeln erbautem Strandhaus in Del Moray hatte man den Schirm, der in der Mitte des weißen Gartentischs aus Metall verankert war, schräg gestellt, um die Morgensonne abzuwehren, die langsam in ihrer zerstörerischen Agonie wie etwas Brennendes in den blaugrauen Himmel über dem Atlantik aufstieg. Die obere Hälfte von Edwinas Kopf blieb im Schatten des Schirms, und das sah aus, als trage sie eine Karnevalsmaske. Vielleicht hatte sie sich absichtlich so hingesetzt. Obwohl sie seit fast zehn Monaten hier zusammenwohnten, in einem Haus, das eigentlich Edwina gehörte, kannte Carver sie so gut wie gar nicht. Ein Teil von ihr gehörte einer Vergangenheit an, die sie für sich behielt. Er selbst hatte seine etwas baufällige Strandhütte aus Holz, zwanzig Meilen weiter oben an der Küste, behalten, weil Edwina ihn eines Tages vielleicht nicht nur von ihrer Vergangenheit, sondern auch von ihrer Zukunft fernhalten wollte. Was das betraf, war sie unberechenbar; möglicherweise liebte Carver sie gerade deshalb.

Sie trank Grapefruitsaft aus einem großen Glas, dann fragte sie: »Wie lange bleiben deine Ex und deine Kinder in Florida?«

Carver schaute auf den sonnenfleckigen Ozean und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht eine Woche, vielleicht ein paar Tage länger. Sie geht mit Ann und Chipper nach Disney World, an den Strand und so weiter.«

»Also den üblichen Touristen-Scheiß«, stellte Edwina fest.

Carver nickte. Eine Möwe flog in engem Bogen über den Hang hinter dem Strand und kreischte, als hätte sie ihm dringend etwas zu sagen, dann drehte sie ab, das alles mit einem einzigen Flügelschlag.

»Glaubst du, Laura hat sich für Ferien in Florida entschieden, damit sie dich sehen kann?« fragte Edwina.

Es überraschte Carver, daß sie den Namen seiner ehemaligen Frau benützte; meistens war Laura bei ihr einfach »sie« oder »deine Ex«. »Ich nehme an, sie wollte die Kinder mitnehmen; außerdem ist ohnehin ein vom Gericht sanktionierter Besuch in Kürze fällig, also hat sie vermutlich gedacht, das eine mit dem anderen kombinieren zu können. Ich glaube nicht, daß sie irgendeinen bösen Plan damit verfolgt.«

»Die sprichwörtlichen zwei Fliegen mit einer Klappe.«

»Klar. Ich glaube, man sollte da nichts hineinlesen.«

Edwina beugte ein wenig den Kopf und hob wieder das Glas. Das Licht der Sonne fing sich in ihren grüngetupften Augen und ließ sie aufleuchten, ehe sie wieder im Schatten verschwanden. Edwina trank einen Schluck, als brauchte sie das saure Zeug, bevor sie das ausdrücken konnte, was sie sagen wollte. »Ich glaube, sie ist immer noch an dir interessiert.«

Carver war vom Gegenteil überzeugt. »Du setzt eine Menge voraus – bei einer Frau, die du gar nicht kennst.«

»Ich kenne sie durch dich. Ich weiß genug von ihr durch deine Erzählungen.«

»Laura tut das wahrscheinlich vor allem, damit ich nicht im kommenden Monat an ihrer Schwelle stehe, in Saint Louis, und ihr Leben erschüttere.«

Edwina strich geistesabwesend mit dem Finger durch das Kondenswasser, das auf der glatten Tischplatte von ihrem Glas entstanden war, und zeichnete damit ein zittriges Muster. »Sie hat sich nicht einmal die Zeit genommen, dich anzurufen und dir zu sagen, daß sie in Florida sein wird.«

»Damit ich keine Ausrede habe, warum ich meine Besuchsrechte bei den Kindern nicht ausübe, wenn sie hier ist; in diesem Fall habe ich nicht die Möglichkeit, ihr abzusagen, weil es mir nicht paßt. Auf diese Weise diktiert sie Zeit und Ort des Zusammentreffens.«

Carver fühlte eine deutliche Vorfreude beim Gedanken, Ann und Chipper wiederzusehen. Es war Herbst gewesen, als er sie zuletzt in Saint Louis besucht hatte, wo Laura mit dem Mann zusammenlebte, den sie angeblich heiraten wollte, sobald ihre Scheidung mit Charles Montaigne, ihrem zweiten Mann, ausgesprochen war. Die sechsjährige Ann hatte zugenommen und war ein süßes, rundliches Kind geworden, während der achtjährige Chipper so schnell in die Höhe geschossen war, daß er jetzt schon fast schlaksig wirkte. Sollte Laura doch mit ihnen nach Disney World, Sea World und Circus World gehen, und in all die anderen vorgefertigten Welten von Florida. Carver selbst sehnte sich danach, mit seinen Kindern lange Strandspaziergänge zu unternehmen, ihr Großwerden ein bißchen zu bremsen und mit ihnen über die wirkliche Welt zu reden, in der sie nun einmal leben mußten.

»Wann triffst du sie?« fragte Edwina.

»Ich habe eigentlich gar nicht vor, mich mit ihr zu treffen; ich treffe mich mit Ann und Chipper. Aber natürlich wird Laura da sein. Morgen abend im Howard Johnson’s am Orange Blossom Trail. Kommst du mit?»

»Würde das nicht komisch aussehen?«

»Für mich nicht. Und es wäre fein, wenn du meine Kinder kennenlernst.«

»Aber vielleicht wäre es Laura unangenehm?«

»Na und?«

Es war Carver natürlich keineswegs egal; dennoch konnte er sich davon überzeugen, daß es ihn überhaupt nicht berührte. Seine Ehe war eine Treibsand-Tragödie mit sicherem Ausgang gewesen, und daran war in erster Linie er selbst schuld. Er wollte Laura auf keinen Fall wieder haben, und sie ihn wohl auch nicht. Abgesehen davon hatte er keine Zweifel daran, wer die Schuld an der Scheidung trug. Er haßte Laura nicht, lehnte sie nicht einmal unterschwellig ab. Und er wollte ihr keinen Ärger machen. Sie war für ihn einfach eine Frau, die er zur falschen Zeit in ein falsches Leben gezwungen hatte. In sein Leben. Nach der Scheidung hatte sie wieder geheiratet, einen Psychologen namens Charles Montaigne. Carver hatte keine Einwände dagegen erhoben, daß er die Kinder legal adoptierte, und nur auf den minimalen Besuchsrechten bestanden; er wollte, daß Chipper und Ann Teil einer richtigen Familie waren, auch wenn er selbst nicht dazu gehörte. In Carvers Augen war Chipper – jetzt offiziell der junge Fred Montaigne – immer noch Fred Carver junior.

Und wenn Carver in den letzten paar Tagen Laura als die etwas verachtete und ein wenig gehässige Exgattin abtat, war ihm zugleich bewußt, daß das eine Art versichernde Bestätigung seiner Liebe zu Edwina war.

Aber Edwina fühlte sich keineswegs sicher.

»Außerdem kann ich ohnehin nicht mitgehen«, sagte sie. »Ich muß heute abend ein paar Interessenten einen Besitz an der Küste vorstellen.« Sie handelte mit Immobilien in und rings um Del Moray und nahm ihre Arbeit ernst. Ja, sie nahm sie geradezu verteufelt ernst.

Carver wußte nicht, ob er ihr glauben sollte.

Edwina riß den Kopf herum, als auf der gekiesten Auffahrt zum Haus das Knirschen von Autoreifen zu hören war. Eine Wagentür wurde zugeschlagen, und Carver schaute auf das vordere Tor; dabei spielte er geistesabwesend mit seiner Kaffeetasse.

Er würde das Gefühl der Tasse, die warme, geschwungene Oberfläche des Porzellans und den scharfen Druck seines Knöchels in der Nähe des Bodens der Tasse gegen den Henkel nie mehr vergessen, nicht bis ans Ende seines Lebens. Ein bleibender Augenblick. Denn sobald die große Gestalt von Alfonso Desoto hinter den Palmen auftauchte und sich durch das Tor schob, ahnte Carver im Unterbewußtsein, daß etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.

Er erkannte es an den Falten der Erschöpfung im gut geschnittenen Latino-Gesicht von Desoto, an dem Mangel an Energie beim Gehen, den nach unten gesackten Schultern. Das Sakko von Desotos leichtem Sommeranzug war aufgeknöpft und flatterte in der leichten Brise vom Ozean. Desoto achtete auf ordentliche Kleidung und knöpfte automatisch sein Sakko zu, wenn er aufstand oder aus dem Auto stieg. So automatisch, wie er seinen Hosenlatz nach dem Pinkeln zuknöpfte. Nicht so an diesem Vormittag. Und daß er hier auftauchte, statt im Polizei-Hauptquartier im städtischen Gerichtsgebäude von Orlando zu sein, wo er Lieutenant bei der Mordkommission war, wirkte allein schon bedrohlich genug. Carver hatte erst vor zwei Tagen mit Desoto gesprochen und wußte, daß Desoto Tagesdienst hatte. Also hätte er an seinem Schreibtisch sitzen oder unterwegs bei einem wichtigen Fall sein müssen.

Es sei denn, daß ihn etwas noch Wichtigeres und Persönliches hierhergeführt hatte.

Als er auf den Tisch zukam, zeigte Desoto sein weißes, strahlendes Lächeln, aber es wirkte mechanisch. Er war das Idol einer ethnischen Minderheit bei Vormittagsveranstaltungen, mit breiten, ausgeprägten Schultern, einer schmalen Taille und dem scharf geschnittenen und etwas vogelartigen Profil, das seine aztekischen Vorfahren verriet, wenn man ihn genau genug anschaute, um zu erkennen, daß er kein Kubaner war, wie viele dachten. Desotos Vater war Mexikaner gewesen, seine Mutter Amerikanerin italienischen Ursprungs. Der Griff in den Gen-Pool hatte einen Mann zustandegebracht, der, wäre er Schauspieler gewesen, von jedem Produzenten die Rolle des romantischen Stierkämpfers bekommen hätte.

Ohne mit Carver zu sprechen, verbeugte er sich elegant und küßte dann Edwina auf die Wange. Wo immer Desoto auftauchte, wandte er sich als erstes an die Frauen. Er flüsterte Edwina etwas ins Ohr. Sie lehnte sich zurück in ihrem Gartenstuhl, bis ihr ganzes Gesicht vom Schatten des Schirms bedeckt war. Dann stand sie auf und ging ins Haus. Sie trug einen knappen blauen Badeanzug, und sie ging unglaublich elegant und sinnlich, aber Desoto starrte ihr dennoch nicht nach. Stattdessen drehte er sich um, schaute mit traurigen braunen Augen auf Carver und sagte: »Wieder mal ein Tag, an dem es eigentlich viel zu heiß sein müßte für Verbrecher, was? Ein Wunder, daß Leute wie wir überhaupt Arbeit bekommen.«

»Saft oder Kaffee?« fragte Carver und wartete, bis Desoto den Anlaß seines Besuchs in der ihm eigenen Weise ausarbeitete.

»Weder noch.« Desoto drehte sich um, schaute auf das Meer und auf den Himmel jenseits des Hügels, auf dem das Haus stand. Von der Veranda aus konnte man hören, wie sich die Wellen an den Felsen brachen, welche die technische Einsatztruppe der Army hier aufgestapelt hatte, um die Erosion des Strandes und der Dünen zu verhindern. »Du sitzt hier mitten in Ruhe und Schönheit, Carver.

Hoffentlich verstehst du das wenigstens zu schätzen. Hier kann man Kraft schöpfen.«

Carver wollte aufstehen.

»Bleib sitzen, amigo«, sagte Desoto höflich.

Carver hatte diesen traurigen Unterton schon öfter in Desotos Stimme bemerkt. Er lehnte sich zurück in den von der Sonne erhitzten Metallstuhl und wartete. Desoto ließ sich ihm gegenüber nieder, da, wo Edwina gesessen hatte.

»Ist das eine Welt«, sagte Desoto und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Vor zwei Wochen hat man unten in Pompano Beach den Besitzer eines Souvenirladens tot in seinem Geschäft gefunden. Verbrannt. Auf der Rückseite des Ladens waren zwei Touristen. Sie hatten gehört, wie ein Mann mit dem Ladenbesitzer eine Auseinandersetzung führte über einen Artikel, den er gekauft hatte und zurückgeben wollte. Dann hörten sie ein Zischen und einen Schrei. Einer der Touristen schaute nach vorn und sah kurz jemanden, der etwas, das wie eine Sauerstoff-Flasche für Taucher aussah, als Flammenwerfer benützte. Der Ladenbesitzer war inzwischen von einer brennenden, gelatineartigen Masse bedeckt. Er sprang über die Theke, machte noch drei Schritte und starb. Der Mann brannte noch, als die Polizei eintraf. Der andere mit der Taucherflasche entkam, ohne daß ihn jemand genau genug für eine Beschreibung hatte anschauen können. Eine verteufelte Sache, amigo.«

»Ich hab’ davon gelesen«, sagte Carver ein wenig ärgerlich. Er wurde allmählich ungeduldig und wollte das hören, wovor er Angst hatte. »Wir haben Zeitungen abonniert und sehen die Nachrichten im Fernsehen hier in Del Moray genau wie ihr in Orlando.«

»Natürlich«, sagte Desoto leise, ohne auf Carvers sarkastischen Spott zu reagieren. Das beunruhigte Carver. Desoto machte Konversation über interessante Fälle, statt ihm zu sagen, daß etwas nicht in Ordnung war. Daß jemand verletzt worden war – oder schlimmer. Daß Carvers Strandhaus niedergebrannt war oder daß die Polizeiverwaltung Carvers Behindertenrente wegen des steifen Beins gekürzt hatte.

»Ich finde es überhaupt nicht komisch, daß du mich zappeln läßt«, sagte er jetzt.

Desoto stieß viel Luft aus und lächelte betrübt. »Ich will dich gar nicht zappeln lassen. Ich habe darauf bestanden, daß ich derjenige bin, der es dir beibringt, und du hast natürlich recht, ich sollte damit herausrücken. Gestern abend hat eine Frau in Fort Lauderdale ihren Sohn in ein kleines Lokal zurückgeschickt, wo er ihre liegengelassene Handtasche holen sollte. Als er nicht wieder herauskam, ging sie selbst hinein, um ihn zu suchen. Der einzige Angestellte des Lokals war hinter der Kasse, völlig verbrannt und noch rauchend. Auf dem Boden lag der Sohn der Frau, im gleichen Zustand.«

Desoto legte eine Pause ein, und Carver beobachtete die Möwen, die über dem Meer kreisten. Zwei Segelboote lagen weiter draußen, winzige weiße Gegenstände, auf die wasserblaue Fläche gepinnt. Und noch weiter, fast unheimlich im Dunst der Entfernung, fuhr ein riesiger Öltanker die Küste entlang. Er schien stillzustehen. Die Brise frischte auf, trug den frischen und zugleich verrotteten Geruch des Ozeans zu Carver, und die Kühle auf seinem Gesicht machte ihm bewußt, daß er heftig schwitzte.

»Weiter«, sagte er.

Desoto schluckte, und zum ersten Mal, seit Carver ihn kannte, brach ihm die Stimme. »Die Frau ist deine frühere Gattin, amigo. Der Junge war dein Sohn.«

Die Möwen kreisten immer noch. Die Segelboote und der Tanker bewegten sich nicht. Das unermüdliche Meer klatschte gegen die Felsen unterhalb der Veranda. Die Sonne brannte. Alles war genau so, wie es vor einem Moment gewesen war, und doch völlig verändert. Nichts konnte jemals wieder so sein wie vor einem Moment.

Wie aus weiter Ferne hörte Carver Desoto sagen: »Es tut mir leid.«

Kapitel 2

»Ich hab’ es dir gesagt, du hättest es nicht zu tun brauchen«, sagte Desoto zu Carver. »Es gibt Momente, da haßt man sich selbst.«

Sie saßen im »Wolfie’s« am East Sunrise in Fort Lauderdale, wo Desoto immer gern zum Essen hinging, wenn er in der Gegend war. Das Lokal war eine riesige Halle mit langsamen Deckenventilatoren, hundert Tischen und einem hervorragenden Ruf, den es auch verdient hatte. Zur Zeit waren etwa ein Dutzend anderer Gäste da, und alle saßen an Wandtischen. Desoto nahm sich ein süßes Brötchen aus dem Körbchen auf dem Tisch. Carver aß nichts.

»Ich glaube, es war doch nötig«, sagte Carver und versuchte, nicht an das geschwärzte Ding zu denken, das er zusammengekrümmt auf dem Tisch in der Leichenhalle gesehen hatte. Aber Desoto hatte recht: Es war natürlich töricht gewesen von Carver, darauf zu bestehen, daß er den Leichnam besichtigte und sich dem Entsetzen des Anblicks aussetzte. Das war reiner Masochismus gewesen. Von Chipper war ohnehin nicht viel zu identifizieren geblieben, abgesehen von den Arbeiten des Zahnarztes. Und Carver wußte, wie man die bei der Obduktion überprüfte; er versuchte, auch daran möglichst nicht zu denken.

»Ich komme mir ganz hilflos vor«, sagte Desoto. »Es paßt mir nicht, daß ich dir das alles aufladen mußte, amigo, und doch kann ich nicht ändern, was geschehen ist.«

»Und ich kann es erst recht nicht ändern«, antwortete Carver. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Seine Augen waren trocken, seine Wangen angespannt, so, als ob er weinte und die Phase der Tränen hinter sich hätte. Oder als ob er sich den Kummer aus dem Leib geschrien hätte. Dabei sah er sein Bild in einem Wandspiegel: mittelgroß, in den Vierzigern, Glatze auf dem Schädel, aber ein dichter Kranz grauer Locken über den Ohren und auf der Rückseite des Kopfes. Sonnengebleichte Augenbrauen, blaue Katzenaugen und ein gebräunter, fast dunkler Teint. Die Nase lang und gerade, die Lippen voll, mit einem Ausdruck von Sturheit. Keine gutaussehenden, aber starke Züge, vielleicht sogar grausam wegen einer Narbe aus der Jugendzeit, die den rechten Mundwinkel ein wenig verzerrte. Im Spiegelbild kein Hinweis darauf, was dem inneren Menschen eben erst geschehen war. Kein Zeichen dafür, daß sich sein Universum verändert hatte.

»Laura scheint bald wieder auf dem Damm zu sein«, meinte Desoto und strich Butter auf das Brötchen. Etwas davon schmolz und tropfte golden auf seinen Teller.

»Sie ist noch im Schock.«

»Außerdem wird in ein paar Stunden Sam Devine bei ihr sein.« Devine war der Anwalt, mit dem Laura zur Zeit in St. Louis lebte. »Vielleicht solltest du noch zuvor mit ihr reden.« Desoto, der die Frauen zu kennen schien, wußte, daß sie von zu großem Kummer betäubt werden.

»Ich möchte sie ja sehen«, sagte Carver. Er hatte nach Chippers Tod nur ganz kurz mit Laura gesprochen, vor dem Polizeigebäude in Fort Lauderdale, und er war erschüttert, festzustellen, wieviel kleiner und älter seine früher so vitale, dunkelhaarige Exgattin geworden war. Noch immer war sie schön, aber in einer anderen Weise als Frau in mittleren Jahren. Reife und Anmut waren an die Stelle des gesunden, vor Lebenslust bebenden Energiebündels getreten, das Carver von Anfang an begeistert hatte. Er fragte sich, ob der Kummer über den Tod von Chipper sie über Nacht hatte schrumpfen und altern lassen; aber vielleicht war das ein allmählicher Prozeß, der jetzt auf einmal sichtbar wurde.

»Und was empfindest du gegenüber Laura?« fragte Desoto.

»Also, momentan tut sie mir einfach leid.«

»Ich würde mit ihr reden, sie trösten, amigo, und sie dann diesem Sam Devine überlassen.«

»Sie wird sowieso mit ihm nach Saint Louis zurückfahren«, sagte Carver, »nachdem sie Chipper zum Begräbnis dorthin hat überführen lassen.«

»Hmm«, gab Desoto von sich, weil er den Mund mit einem Bissen von dem Brötchen voll hatte. Eine riesige, aber noch sehr junge Kellnerin kam vorbei, sah, daß das Brotkörbchen an ihrem Tisch fast leer war, nahm es mit und brachte es Sekunden später wieder, nachdem sie es mit weiteren Brötchen gefüllt hatte. Sie dufteten frisch und ein wenig stechend; der köstliche Geruch nach frischem Teig rief bei Carver eine leichte Übelkeit hervor. Die schlaksige Kellnerin, die das Namensschild Tanya an der Bluse stecken hatte, schenkte Desoto noch Kaffee nach und kanterte dann mit federnden Sprüngen wie eine junge Stute davon.

»Was weißt du über den Kerl, der Menschen verbrennt?« fragte Carver.

»Ich hatte schon die ganze Zeit befürchtet, daß du mich das fragst.«

»Warum?«

»Du scheinst genauso ruhig wie Laura, nur auf andere Weise.« »Vielleicht bin ich auch im Schock.«

»Nein. Es ist etwas anderes. Etwas, das mir Sorgen macht.«

»Heißt das, du wirst es mir nicht sagen?«

»Nein, amigo, das würdest du auch selbst rausfinden. Du bist so penetrant wie eine Hitzewelle. Also, wir haben keine brauchbaren Zeugen, weder bei dem Fall am Pompano Beach noch bei dem in dem Restaurant hier in Fort Lauderdale. Es handelt sich übrigens um Caseys’ Restaurant, drüben in der Dreizehnten Straße auf der nordöstlichen Seite, eine Querstraße von der Route Eins. Ein kleines Lokal, auf gebratene Hühnerflügel spezialisiert, vorwiegend Außer-Haus-Bestellungen. Laura ist hineingegangen, weil sich deine Tochter über Hunger beschwert hat. Sie aßen und gingen, und als sie auf dem Parkplatz war, bemerkte Laura, daß sie ihre Handtasche vergessen hatte. Sie schickte Chipper hinein. Als er fünf Minuten später noch nicht zurück war, ging sie nachsehen, und ... Und da fand sie ihn.«

»Was für eine brennbare Substanz benützt der Täter?«

»Das Labor versucht gerade, sie zu analysieren. Es ist nicht wie Benzin oder Alkohol; die Substanz klebt und brennt wie feuergefährlicher Klebstoff.«

»Wie Napalm«, meinte Carver. Er war kurz in Vietnam gewesen und erinnerte sich an die verkohlten Opfer aus der Zivilbevölkerung, die bei Napalm-Überfällen ums Leben gekommen waren: die grotesken, entstellten Gesichter ... »Brennender Klebstoff« war eine gute Bezeichnung für Napalm, und das Zeug konnte man ohne weiteres in Flammenwerfern benützen, sogar in selbstgebastelten. Die Flammen waren heiß, sie brannten lang und fraßen sich durch jeden Stoff.

»Ich vermute, daß sich der wahnsinnige Killer das, was da benützt worden ist, selbst zusammengekocht hat«, sagte Desoto. »Wenn er gegen meine Vermutung echtes, industriell hergestelltes Napalm benützte, bedeutet das eine Verbindung zum Militär, und das werden wir überprüfen.«

»Es hat doch Zeugen gegeben, bei dem Fall in Pompano Beach, oder?«

»In gewisser Weise. Zwei Personen. Aber sie haben sehr wenig gesehen. Mehr gehört. Sie haben ausgesagt, daß der Killer in Streit gekommen ist wegen einer Ware, die er dort gekauft hat und zurückgeben wollte, aber sie wissen nicht, worum es sich dabei gehandelt hat.«

»Ein verdammtes Motiv, um jemanden umzubringen«, bemerkte Carver.

»Kommt darauf an. Der Psychiater der Polizei meint, daß der Mörder ein Schizophrener sein könnte, der unter Wahnvorstellungen leidet.«

»Wundert mich nicht. Hör mal, ich will nichts mehr von diesem Psychogebrabbel hören. Es ist aus der Mode, mega-out, und aus gutem Grund.«

»Ich sage dir, ich hatte einen Vetter, der war genauso, Carver. Er hat immer geglaubt, daß es jeder auf ihn persönlich abgesehen hatte, und er sah eine große Gefahr darin. Ich habe erlebt, wie er einem Verkäufer in höchster Wut eine Handvoll Münzen ins Gesicht geschmissen hat, weil er zu wenig Wechselgeld herausbekommen hatte. Wenn der einen Flammenwerfer bei sich gehabt hätte, dann hätte er ihn auch benützt.«

»Aber wer geht schon mit einem Flammenwerfer spazieren?«

»Jemand, der übergeschnappt ist, von Wut besessen, die nicht verraucht, und der zurückgeht zu der Quelle seines Zorns. Er gibt dem Opfer eine letzte Chance, und wenn ihm das Opfer nicht gibt, was er haben will, fühlt sich der Killer durchaus berechtigt, jegliche Art von Maßnahmen zu ergreifen.«

»Willst du damit sagen, Chipper könnte umgebracht worden sein, weil ein Geistesgestörter sich für zu wenig Wechselgeld rächen wollte und ihm mein Sohn dabei im Weg war?«

»Oder sonst was. Du weißt, wie trivial die Motive für einen Mord sein können, Carver. Wir haben beide erlebt, wie man Menschen nur zum Spaß umgebracht hat. Außerdem kann dieser Killer Angst gehabt haben vor Chipper, denn der war ja Augenzeuge seiner Tat.«

Carver wußte, daß das alles möglich war. Vielleicht sogar wahrscheinlich. Nur ein Verrückter würde auf eine so bizarre Weise töten. Warum sollte da nicht das Motiv verrückt erscheinen – für jeden bis auf den Killer? Dennoch konnte es auch ein Fehler sein, so früh in einem Fall so viel auf das zu geben, was ein Polizeipsychiater dahertheoretisierte. Psychiater irrten sich häufig selbst dann, wenn ihr Subjekt vor ihnen saß und bereit war, willig mitzumachen.

»Die Schädelschrumpfer interessieren sich mehr für ihre eigenen Spekulationen als für die Ausübung der Justiz«, meinte Carver. »Gut oder böse ist ihnen egal.«

»Vielleicht, weil sie wissen, wie schwer es oft ist, das eine vom anderen zu unterscheiden.«

»Hast du die Fälle von Pyromanie in der Kartei durchgesehen?« fragte Carver.

»Wir sind dabei, aber man hat mir gesagt, daß so etwas nicht unbedingt etwas mit der Faszination für die Flammen zu tun hat. Es sei eher ein Vergeltungsakt, der Wunsch, den Gegner leiden zu lassen. Vielleicht eine Metapher für die Hölle, was?«

»Du meinst, es könnte auch einer gewesen sein, der sich im religiösen Wahn befindet?« In Florida gab es solche Spinner im Überfluß.

»Schon möglich«, sagte Desoto. »Es sind ein paar Leute unterwegs, die das überprüfen.« Er tätschelte ein wenig scheu Carvers Handgelenk. »Ich bleib’ schon am Ball, amigo, auch wenn die Sache nicht unbedingt in meinen Amtsbereich fällt.«

»Das weiß ich«, sagte Carver. Er nahm seinen Stock aus hartem Walnußholz, der an der Wand lehnte, stützte die gummigeschützte Spitze entschlossen gegen den Boden und stand auf. Das gelang ihm mühelos. Carvers linkes Knie war bei einem Raubüberfall von einer Kugel getroffen worden, die die Knochen und den Meniskus zerstört hatte. Deshalb hatte er seine Arbeit als Kriminalbeamter bei der Polizei von Orlando nicht mehr verrichten können und sich damit abfinden müssen, für den Rest seines Lebens mit einem im Dreiunddreißig-Grad-Winkel versteiften Knie auszukommen. Er hatte danach eine ausführliche Bewegungstherapie unternommen, und auch jetzt noch ging er jeden Tag zum Schwimmen. Das und das Herumschleppen der unteren Körperhälfte unter Zuhilfenahme der Arme hatte seinem Oberkörper so viel Kraft gegeben, daß es ihn selbst manchmal überraschte.

»Wohin gehst du jetzt?« fragte Desoto.

»Zu Laura, um noch einmal mit ihr zu sprechen. Dann kaufe ich mir ein Fläschchen und nehme es mit nach Hause.«

»Um mit Edwina beisammen zu sein?«

»Ich fahre in meine Strandhütte.«

»Du solltest zu Edwina fahren«, meinte Desoto ernst.

»Nein. Sie versteht das. Ich muß erst einmal eine Weile allein sein.

Jedenfalls ist mir danach zumute.«

»Wie damals, als du angeschossen worden bist, was?«

»Nein. Nein, es ist ganz anders.«

»Ach. Und wie?«

»Ich bin entschlossen, den Schweinehund zu finden«, sagte Carver. »Ich bringe ihn um.«

»Das klappt nicht, amigo. Es hilft auch gar nichts. Unmöglich.« Aber Desoto wußte nichts von dem, was unter Carvers gelassener Oberfläche schlummerte, von der Bestie, die angestachelt worden war und ständig an Kraft gewann. Das machte alles andere unbedeutend. Es gab für nichts Platz in Carver außer für seinen Hunger nach Rache. »Ich bring’ das schon irgendwie hin.«

»Und danach?«

»Ich scheiß’ auf danach«, erwiderte Carver.

Er humpelte aus dem Restaurant und zerrte seine Vorstellungen, sein Entsetzen und seine neu erwachte Jagdlust hinaus in die brutale Hitze.

Desoto folgte ihm bis zur Tür und rief ihm nach: »Überleg es dir noch mal, hörst du?«

Doch Carver hatte es sich von Anfang an überlegt. Jetzt war er dabei, den Plan in die Tat umzusetzen, es einfach zu tun.

Kapitel 3

Laura war in den »Carib Terrace« abgestiegen, einem kleinen, aber ordentlichen Motel in Pompano Beach, ein Stück nördlich von Fort Lauderdale. Carver fand sie in einem der oberen Zimmer, das luxuriös eingerichtet war, mit Kochnische und einer zweifachen Glaswand, die einen weiten Ausblick auf den Strand und den schimmernden Ozean dahinter gewährte. Auf der Theke neben der Spüle standen eine halbleere Kaffeetasse und ein Teller, darauf ein Krapfen mit Zuckerglasur, von dem nur ein Bissen fehlte – Lauras nicht sonderlich gelungener Versuch, etwas zu frühstücken.

Jetzt sieht sie wieder besser aus, dachte Carver, als er sich in einem weichen Sessel neben den gläsernen Schiebetüren niederließ, die auf einen Balkon führten. Laura wirkte wieder eher so, wie sie war: ein Kobold mit unerschöpflicher Kraft und Energie. Obwohl noch gedämpft, schien die Vitalität, die er von ihr kannte, allmählich neu zu erwachen. Sie hatte mehr Farbe auf den Wangen, und ihre Augen leuchteten; außerdem hatte sie versucht, ihr kurzgeschnittenes schwarzes Haar in Ordnung zu bringen. Auf der Rückseite war die Frisur zerdrückt; sie hatte sich ein wenig hingelegt, kurz bevor er kam. Laura war immer noch schlank und zeigte Spuren von athletisch-pantherhaften Bewegungen. Das Gesicht war das einer Frau in mittleren Jahren; es schien dem Körper vorangeeilt zu sein. Die Zeit nahm sie nach und nach in ihren Griff; es war, als ob sie mit ihr spielte.

Laura setzte sich auf die Bettkante gegenüber von Carver und preßte die Knie unter dem dunklen Rock zusammen. Er fragte sich, ob auch sie den Leichnam hatte identifizieren müssen, hoffte es aber nicht. Seine Aussage, zusammen mit den Vergleichen der zahnärztlichen Arbeiten hätte für eine hundertprozentige Identifikation eigentlich ausreichen müssen.

Sie sagte: »Gestern hab’ ich mir noch Sorgen gemacht, daß er aus seinen Sachen rauswächst, und heute ist er tot.«

Carver wußte nicht, was er darauf sagen sollte; er räusperte sich und machte mit der von Gummi umhüllten Spitze seines Stockes Eindrücke in den tiefflorigen Teppich. Dann schaute er auf den Strand. Ein Schnellboot zog einen Wasserskiläufer zu nahe am Strand entlang und ärgerte damit ein paar Schwimmer, die weiter hinausgeschwommen waren als bis zu der Stelle, wo sich die Wellen brachen. Einer von ihnen zeigte dem Boot eine Faust, woraufhin das Boot einen weiten Bogen beschrieb und dann die Annäherung wiederholte. Das Dröhnen des Außenborders, das an ein wütendes Insekt erinnerte, war sogar im Zimmer deutlich zu hören.

»Sam wird bald hier sein«, sagte Laura. »Wir lassen Chipper nach Saint Louis überführen, wo er begraben werden soll.«

Carver wandte sich von den Aussichtsfenstern ab. »Ich fliege zur Beerdigung hin. Brauchst du Hilfe bei den Vorbereitungen?«

»Nein.« Sie schien weggetreten zu sein, verloren in ihrer tiefen Trauer. Carver wollte sie trösten, wußte aber nicht, wie. Er war überrascht, daß er sich über die Vorstellung ärgerte, wie Sam Devine sie halten und umarmen und ihr durch die unvermeidlichen Eruptionen von Kummer und Tränen helfen würde. Es war schließlich Carvers Sohn, ihr gemeinsamer Sohn, der da ums Leben gekommen war.

»Wo ist Ann?« fragte Carver.

»Ich hab’ sie heute morgen in ein Flugzeug gesetzt. Sie bleibt solange bei meinem Vater.«

»Geht es ihr gut?«

»Ja. Unter den Umständen. Sie begreift noch nicht, was geschehen ist.«

»Ich werde herausfinden, wer das getan hat«, sagte Carver. »Er wird dafür bezahlen.«

Sie blickte zu ihm auf und hielt seinen Blick mit ihren vor Kummer fast toten Augen. »Warum?«

»Wegen der Gerechtigkeit«, sagte Carver.

»Also Rache.«

»Nenn es, wie du willst.«

Sie seufzte und schaute auf das Meer und den Strand, auf die schimmernde, sonnige Welt jenseits des halbdunklen Raumes. »Ich hatte es befürchtet. Ich meine, daß du so reagieren würdest. Das macht alles nur noch schlimmer, Fred.«

»Ja, schlimmer für diese Bestie, die frei herumläuft und Kinder verbrennt. Und ich gebe es zu, ja, ich fordere Rache. Mein Gott, ich habe ein heißes Verlangen danach. Du kannst mir nicht weismachen, daß du nicht genauso fühlst.«

»Natürlich ist das auch mein Gefühl, Fred. Aber ich denke nicht daran. Ich will da irgendwie durchkommen, will nicht länger damit leben müssen, als es unbedingt nötig ist.« Sie neigte den Kopf, doch damit konnte sie den Tick des Muskels unter dem einen Auge nicht verbergen. Das Licht, das durch die Glastüren fiel, beleuchtete einen Hautausschlag an der linken Seite ihres Halses und ihrer Wange, Anzeichen ihrer heftigen Empfindungen. »Was ich fühle, Fred, ist Schuld. Wenn ich nicht meine Handtasche vergessen, wenn ich Chipper nicht noch einmal hineingeschickt hätte, um sie zu holen ...«

Carver war aufgestanden, ehe es ihm bewußt wurde; er stützte sich auf seinen Stock und hatte die freie Hand auf ihre zuckende Schulter gelegt. Sie fing zu schluchzen an. Er wollte das nicht, fürchtete, daß es ihm nicht gelingen würde, sie zu beruhigen. Und er fühlte seine eigene Reaktion: Etwas, das er nicht begriff, zog ihn zu ihr hin. »Das ist vollkommen irrational, Laura. Niemand hat irgendwelche Schuld bis auf denjenigen, der Chipper und den armen Teufel in dem Restaurant umgebracht hat.«

»Verdammt, das weiß ich doch! Aber was hilft uns das? Auch deine Rachsucht ist irrational.«

Es klopfte an die Tür, dann ratterte das Schloß. Da draußen war jemand höchst ungeduldig. Laura schniefte, stand auf, ging zur Tür und öffnete sie. Carver lehnte sich zurück.

Sam Devine kam herein, das fleischige Gesicht sorgenvoll verzogen. Er war ein großer Mann und ein Anwalt von Kopf bis Fuß. Uber vielen Metern nadelgestreiftem Stoff sah man bewegliche, aufrichtige Züge und einen Kopf mit einem dichten, weißen Haarschopf, für den jeder Politiker Schmiergelder gezahlt hätte.

Laura warf sich ihm an die Brust, umarmte ihn, und er umfaßte sie und tätschelte sie dabei auf dem Rücken. Jetzt schluchzte sie; sie hatte auf Sam Devine gewartet, um ihren Kummer loszuwerden. Sie konnte seinem schützenden, wuchtigen Körper nicht nahe genug kommen. Ihr eigener Körper zuckte, zog sich zusammen und warf sich, ohne es zu wissen, gegen ihn in der obszönen, aber unwillkürlichen Parodie einer sexuellen Vereinigung.

Wer wollte bei so etwas zusehen? Carver nickte Devine zu und stand auf.

»Es tut mir verdammt leid, Fred«, sagte Devine und drückte Laura noch fester an sich.

»Danke, Sam«, erwiderte Carver. »Ich glaube, ich gehe jetzt.«

»Du mußt aber nicht, Fred.«

»Doch. Ich gehe.«

Laura hörte mit dem Schluchzen auf, als Carver auf dem Weg zur Tür an ihr und Sam vorbeikam. Kaum zu glauben, aber ihr Gesicht war jetzt weich und ruhig. Carver dachte, daß sie besser in seinen Armen liegen sollte als in denen von Devine. Einen Moment lang war ihm danach, sie Devine wegzuschnappen, sie verzweifelt zu umarmen und ihrer beider Trauer eins werden zu lassen. Sie atmete tief ein, was ein leichtes Rasseln in ihrer Kehle verursachte, und ihre Stimme fiel um eine Oktave und klang ganz fremd. »Fred, überleg dir noch mal, was du gesagt hast. Laß dich auf nichts ein, jedenfalls nicht jetzt gleich. Bitte!«

Devine hielt sie ein Stück von sich und zeigte eine überraschte Miene. Sie hatte Tränenspuren auf seinem blauen Nadelstreifenanzug hinterlassen. Dann kapierte er und schaute Carver an. »Mein Gott, Fred, tu jetzt nichts Verrücktes, ja? Ich meine, ich bin schließlich Anwalt und kenne die Ergebnisse von dem, was du jetzt vermutlich vorhast. Klar, es ist ganz natürlich, wenn man in einer solchen Sache Rachegedanken hat, aber geh dabei nicht über das Denken hinaus. Wenn es dir guttut, an Rache zu denken, dann tu’s; das ist legal. Vielleicht erleichtert es dich sogar.«

»Hör auf ihn, Fred«, sagte Laura. »Denk an das, was er dir sagt.«

Devine fuhr fort: »Es gibt Dinge, die du nicht anfassen darfst, Fred. So ist es nun mal.«

Carver rammte den Stock auf den Boden und ging um die beiden herum. »Ruft mich an, wenn ihr etwas braucht.«

»Ruf du lieber uns an«, sagte Devine großmütig, als Carver hinaushumpelte.

Carver fuhr auf dem Highway 100 in Richtung Norden und hielt unterwegs einmal bei einem Lebensmittelladen an, wo er sich eine Flasche Johnnie Walker Red Label kaufte. Dann klappte er das Verdeck seines alten, rostigen Oldsmobile-Kabrios auf und fuhr weiter zu seiner Strandhütte – natürlich viel zu schnell.

Das Häuschen stand isoliert in einer kleinen Bucht mit hellem Sand. Ein flacher Landfinger erstreckte sich nach Norden, der öffentliche Strand auf der Südseite wurde nur selten von Schwimmern und Sonnenbadenden in Anspruch genommen und war deshalb nie übervölkert. Carver hatte Haus und Grundstück im vergangenen Jahr gekauft, nachdem er die Entschädigung für seine Schußverletzung im Dienst erhalten hatte.

Er betrat das Häuschen, das nur aus einem Wohnraum bestand, schnüffelte in der abgestandenen Luft und ließ die Haustür offen. Die spärliche Möblierung wirkte staubig und unbewohnt, und die rankenden Topfpflanzen an den Ketten hinter dem breiten Vorderfenster waren schwarz und tot. Draußen flüsterte der Ozean wie giftige Klatschweiber. Verdammt, war das deprimierend hier!

Nachdem er zwei mit Jalousien versehene Seitenfenster geöffnet hatte, setzte sich Carver in die Eßecke, die Flasche mit Scotch vor sich. Ihm war jetzt nicht danach, die Flasche zu öffnen, ja, er wußte nicht einmal genau, weshalb er sie mitgebracht hatte. Eine fette, glänzende, blauschwarze Schmeißfliege ließ sich versuchsweise auf der Eßtheke nieder, und er schaute zu, wie sie vorwärtskroch, bis sie an der entgegengesetzten Kante verschwand. Die Geschichte eines Lebens.

»Carver.«

Edwina stand in der Tür. Er starrte sie düster an.

»Ein großartiges Willkommen«, sagte sie. »Wenn auch nicht unerwartet.«

»Ich komme mir nicht vor wie die sprichwörtliche gute Laune«, sagte Carver. »Mir ist momentan auch nicht nach Gesellschaft zumute. Deshalb bin ich hierhergefahren.«

Sie kam herein und blieb in seiner Nähe stehen. Mit seinem Stock zog er einen der Barhocker von der Eßtheke her. Die Beine kratzten laut auf dem Holzboden.

Edwina setzte sich und sagte: »Du bist hergekommen, um zu trauern und dir zu überlegen, wie du den Tod deines Sohnes rächen kannst.«

»Ein schlaues Ding.«

Edwina lächelte. »Kann schon sein.« Sie stand auf, nahm ein Glas aus dem Hängeschrank, spülte es mit Wasser aus. Dann gab sie zwei Fingerbreit Scotch hinein und reichte Carver das Glas. Sie setzte sich, holte eine kleine, braune Plastikflasche aus ihrer Handtasche und legte eine winzige, weiße Pille vor ihn auf die Theke.

»Was, zum Teufel, ist das?« fragte er und starrte die Pille an.

»Es hilft dir, zu schlafen. Verschreibungspflichtig; ich hab’ das Mittel schon seit einem Jahr. Aber ich nehme an, es ist noch sehr wirksam. Letzten Monat habe ich eine Tablette davon genommen. Du bist im Nu weg damit.«

»Ich will aber gar nicht weg sein, verdammt. Ich will nicht schlafen. Wieso hast du eigentlich gewußt, daß ich hier bin?«

»Desoto hat es mir gesagt.«

»Typisch.«

»Er ist dein Freund und weiß genau, was gut ist für dich.«

»Er ist ein Plagegeist.«

»Du mußt es ja wissen.«

Carver nahm die Tablette, steckte sie sich in den Mund und spülte sie mit einem tüchtigen Schluck Scotch hinunter. Die Tablette war so winzig, daß er noch mit der Zunge im Mund tasten mußte, um sicherzugehen, daß er sie geschluckt hatte.

»Komm jetzt, Baby«, sagte Edwina und half ihm hoch, obwohl er dazu keine Hilfe gebraucht hätte. Sie verhielt sich, als wäre er jetzt schon groggy von der Tablette, die er erst vor ein paar Sekunden geschluckt hatte. Er benützte den Stock, um sie beide zu stützen, und ließ sie in dem Glauben, daß sie es war, die ihn stützte. Das war einfacher, als mit ihr darüber zu streiten.

Sie schafften es bis zum Bett, und Carver legte sich hin. Sie zog ihm die Schuhe aus und ließ jeden mit lautem Geräusch auf den Boden plumpsen. Dann zog auch sie sich die Schuhe aus und legte sich neben ihn. Die Bettfedern knarrten, dann herrschte Ruhe.

»Ich finde denjenigen, der Chipper das angetan hat«, sagte er.

»Und versuche nicht, es mir auszureden.«

»Ich denke gar nicht daran«, erwiderte sie. »Ich hoffe, du findest den Dreckskerl und bringst ihn um.«

»Wirklich?«

»Natürlich. Aber jetzt solltest du dich erst einmal ausruhen, findest du nicht?« Sie langte hinüber und streichelte seine Stirn. Ihre Finger waren kühl und federleicht.

Was auch immer in der Pille sein mochte, es wirkte schnell. Carver erinnerte sich noch, daß sein Kopf zwischen Edwinas Brüsten lag, und spürte kaum, daß er schluchzte.

So schlief er ein, ohne zu träumen.

Einfach weg.

Als er am nächsten Morgen erwachte, war er ruhig, aber nicht weniger entschlossen. Er und Edwina fuhren zu einem Restaurant unten an der Küstenstraße und aßen ein großes Frühstück mit Weizentoast, Schinken und Kaffee; dann rief er Desoto an und erklärte ihm, daß er nach Orlando fahren wollte, da er mit der Polizei von Fort Lauderdale ohnehin nicht weiterkommen würde.

Carver und Edwina waren jeder mit seinem eigenen Auto hier. Auf dem von der Sonne gebackenen, gekiesten Parkplatz gab ihm Edwina einen Abschiedskuß und fuhr dann mit ihrem Mercedes zurück zu ihrem Haus in Del Moray.

Er wußte, wenigstens vorläufig, daß sie auf ihn warten würde. Es war etwas Besonderes mit ihnen. Jeder brauchte seine Art von Besessenheit.

Kapitel 4

Die Fahrt nach Orlando dauerte eine Stunde. Carver nahm die 95 in südlicher Richtung und die Bee-Line-Schnellstraße ins Zentrum. Dann fädelte er sich durch den Innenstadtverkehr zu dem aus hellem Klinker und bleichem Naturstein erbauten städtischen Justizgebäude in der Hughey Street, wo auch das Polizeipräsidium untergebracht war. Er parkte den Oldsmobile in einer Parkbucht an der Rückseite, nicht weit von ein paar staubigen, beigefarbenen Streifenwagen mit den rot-blau-weißen Blinklichtschienen am Dach. Als er das klimatisierte Gebäude betrat und auf Desotos Büro zusteuerte, hatte er das Gefühl, daß die Hitze von draußen in einer Art perverser Anhänglichkeit an ihm kleben blieb.

Desoto saß hinter seinem grauen Stahlschreibtisch. Er hatte das Jackett ausgezogen und mit einem Kleiderbügel an einen Haken an der Tür aufgehängt, doch die Krawatte war noch fest geknotet, und die Ärmel seines seidig-weißen Hemds waren mit goldenen Manschettenknöpfen befestigt. Eine in ein Fenster eingebaute Klimaanlage hinter ihm brummte und gurgelte leise, und die zwei gelben Bänder, die vor dem Gitter angebracht waren, flatterten wie Wimpel im kühlen Luftstrom. Auf dem Fensterbrett neben der Klimaanlage stand ein tragbares Radio mit zwei übergroßen Lautsprechern. Carver war froh, daß das Radio nicht wie üblich seine lateinamerikanische Hintergrundmusik von sich gab, die Desoto anscheinend nötig hatte, um sich durch seine Arbeitstage wirbeln zu lassen.

»Ah, amigo!« sagte Desoto, als er hochblickte und Carver sah. »Geht es dir heute ein bißchen besser?«

»In der einen oder anderen Weise, ja«, antwortete Carver. Er ließ sich auf einen Stuhl aus Eichenholz nieder, der neben dem Schreibtisch stand, und hakte den Griff seines Stocks in den gedrechselten Rücken des Stuhles ein. »In anderer Hinsicht ist alles unverändert.«

»Das Leben geht weiter.«

»Aber nicht das Leben meines Jungen.«

»Ja, das ist klar. Das tut mir verdammt leid.«

»Du hast mir Edwina auf den Hals geschickt.«

»Ich dachte, es ist besser, wenn sie bei dir ist.«

»Danke.« Carvers Stimme war ausdruckslos.

Desoto zeigte sein kurzes, teuflisches Grinsen und war mit sich zufrieden. »Nach einer angemessenen Trauerzeit wirst du das alles etwas anders sehen, Carver. Natürlich ist es momentan schwer für dich, die Dinge klar zu betrachten. Die Trauer verschleiert die Sicht, aber sie dauert nicht ewig.«

»Den Zucker kannst du dir sparen.«

»Okay.«

»Was hat die Polizei über diese Brandanschläge herausgefunden?«

»Du mußt dich nicht quälen, amigo.«

»Du quälst mich, wenn du mich hinhältst.«

Desoto machte eine hilflos-wegwerfende Geste mit der rechten Hand, an der ein goldener Ring funkelte. »Die Zeugen beim Mord von Pompano Beach konnten nur aussagen, daß sie nichts Ungewöhnliches an dem Mann bemerkten, den sie ja nur ganz kurz gesehen hätten, als er aus dem Laden rannte. Sie können sich nicht auf Haarfarbe oder Bekleidung einigen. Zwei verschiedene Zeugen, und nach ihrer Beschreibung könnten sie zwei verschiedene Männer gesehen haben. Der Begriff ›durchschnittlich‹ taucht oft in ihrem Protokoll auf.«

»Nicht besonders informativ«, sagte Carver. Aber er wußte, daß Augenzeugen nur selten genaue Beschreibungen geben, selbst wenn das Verbrechen direkt vor ihren Augen begangen worden ist. Oder wenn sie selbst die Opfer waren. Er schaute durch das Fenster, vor dem das Radio stand; der Himmel war wolkenlos und blaßblau, wie gebleicht von der wilden Hitze der Sonne.

»Das heißt, wir suchen weder nach einem fetten Kerl, über eins- achtzig groß, noch nach einem mit orangerot gefärbter Igelfrisur oder sonst nach einem, den man auf den ersten Blick wiedererkennen würde. Mr. Durchschnitt. Offenbar kein ehemaliger Präsidentschaftskandidat – das engt unsere Suche natürlich ein.«

»Fingerabdrücke?«

»Hunderte. Der Souvenirladen machte reißenden Umsatz mit Muscheln, Sonnenöl und Florida-T-Shirts. Du kennst solche Läden: Ein Visa-Karten-Paradies für Touristen.«

»Und das Restaurant, in dem Chipper gestorben ist?«

»Auch da nichts, was einen Anhaltspunkt geben könnte. Da kommt einer rein, eine mittelgroße Luftflasche in der Hand, wie sie die Taucher benützen. Das ist nicht ungewöhnlich, direkt am Ozean. Wusch! sind zwei Menschen tot. Niemand sieht ihn hereinkommen und wieder hinausgehen, und wenn, dann achtet niemand darauf. Bis auf eines ...«

Carver fühlte, wie sich sein Puls beschleunigte; er beugte sich vor, stützte sich mit einer Hand auf das ausgestreckte, steife Bein. Er kannte Desoto und wußte, daß er doch noch etwas im Ärmel hatte.

»Also, bei den Morden im Restaurant gibt es gar keine Anhaltspunkte«, begann Desoto. »Aber ein Paar bei dem Mord in Pompano Beach gibt an, einen Wagen gesehen zu haben, der ungewöhnlich schnell davongefahren ist. Marineblau, ein gut erhaltenes, älteres Ford-Modell mit weißem Dach und einem zerbeulten Kotflügel vorn, wie sie glauben. Aber darüber sind sie nicht ganz sicher. Niemand ist bisher über irgendetwas sicher. Vielleicht sollten sie das auch gar nicht sein.«

Carver achtete nicht auf Desotos philosophischen Erguß. Manchmal war der Lieutenant allzu nachdenklich für einen Polizeibeamten. Das paßte nicht zusammen.

»Vielleicht besteht auch gar keine Verbindung, Carver. Zufall. Immerhin, der Zufall ist des Polizisten Freund und Feind zugleich.«

»Was für ein Ford-Modell?«

»Eine große Karre. Der wackeligen Beschreibung nach die übliche, bessere Limousine. Niemand hat auf die Nummer des Kennzeichens geachtet.«

Carver saß still da und dachte darüber nach. Von einem Raum außerhalb des Büros kam schwach das Stakkato einer Stimme aus dem Lautsprecher, die einzelne Funkstreifenwagen zu verschiedenen Tatorten schickte. Das erinnerte Carver an die Zeit, als er seine Arbeit bei der Polizei begonnen hatte, als Mitfahrer in einem Funkstreifenwagen. Damals hatte seine Zukunft scheinbar klar vor ihm gelegen – bevor in seinem Leben ein paar tragische und abrupte Richtungsänderungen erfolgten. Die Scheidung, die Kugel im Bein und jetzt dies. Eine Pechsträhne, zweifellos.

»Was hat das Labor herausgefunden über das Material, das in dem Flammenwerfer benützt wurde?« fragte er.

»Soweit sie es bisher sagen können, war es ein Naphta-Lösungsmittel, vermutlich versprüht unter Luft- oder Propangasdruck. Es handelt sich dabei um ein Petroleumerzeugnis, amigo, und dieses wurde durch Zugabe verschiedener Chemikalien eingedickt zu einer sirupartigen Konsistenz.«

»Was für Chemikalien?«

Desoto kramte in Papieren auf seinem unaufgeräumten Schreibtisch, zog ein Blatt heraus und sagte: »Aluminiumseifen, heißt es hier, gemischt mit einem flüssigen Hydrokarbon – das ist das Naphta.«

»Aluminiumseifen. Die hat man mit Benzin gemischt, und daraus ist Napalm geworden.«

»Kann ich dir nicht bestätigen.«

»Das Zeug wird bestimmt nicht in einer Preßluftflasche verkauft«, meinte Carver. »Oder in einer Propangasflasche.«

»Nein, aber man könnte eine leere Flasche erst mit der Naphtamischung füllen und sich die Flasche dann mit Propan oder Preßluft vollpumpen lassen, ohne daß jemand Verdacht schöpft. Oder jemand mit einer oberflächlichen Ahnung – sagen wir, ein Taucher – könnte das Propan oder das Luft-Sauerstoffgemisch von einer Flasche in die andere füllen. Zum Zünden ist vermutlich der Zünder eines normalen Schweißgeräts verwendet worden. Der Kerl konnte den Hahn öffnen, auf den Zünder drücken, und das alles in zwei Sekunden. Presto! Ein Flammenwerfer!«

»Mein Gott!« sagte Carver.

»Unheimlich, was?« Desoto schüttelte den Kopf. »Und irre. Wir überprüfen zur Zeit Leute aus der Gegend mit entsprechenden Krankheitsgeschichten, die möglicherweise zu solchen Taten führen könnten.«

»Wie lange wird das dauern?«

»Nicht lange. Der Computer ist ein wunderbares Gerät, wenn er auch zugleich ein Drecksding ist, das einem auf die Nerven geht.«

»Hältst du mich, was das angeht, auf dem laufenden?«

»Eigentlich ungern, Carver, weil du mein Freund bist. Aber ich tu’ es, weil du mein Freund bist. Das Leben ist kompliziert, das solltest du dir immer vor Augen halten.«

»Manchmal kann das Leben sehr einfach sein«, erwiderte Carver. »Manchmal kommt man sehr leicht auf das, was man zu tun hat.«

»Oder tun zu müssen glaubt.«

»Ich brauche die Namen der beiden Zeugen im Fall des Souvenirladens von Pompano Beach«, sagte Carver.