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Eine Gans auf ihrem Flug ins Backofenland, die einer goldenen Engelslocke hinterherjagt, dabei einem mutierten Weihnachtsbaum, einer endlosen Schlange wartender Sterne, der Ur-Ur-Ahnin des Weihnachtsmannes und natürlich Santa Claus selbst begegnet, auf einer Wolke sitzend, unter deren Schatten ein Junge von den Gipfeln der Anden hinabreitet und die Kunde von Christi Geburt verbreitet.... So könnte es sein, ist es aber nicht ganz, vielleicht ein bisschen, aber nur vielleicht. Ein Adventskalender aus weihnachtlichen Kurzgeschichten, tiefsinnig und liebevoll, vielseitig und facettenreich, in einem wunderbaren Erzählstil dargebracht, der selbst den erwachsenen Leser verzaubern wird. Ein duftumhülltes weihnachtliches Soufflé, das an 26+1 Tagen, an jedem Advents- und Weihnachtstag plus dem Silvestertag, oder auch auf einmal verspeist werden kann, je nach Größe des Appetits oder weihnachtlichen Geschmacks.
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Seitenzahl: 183
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Für
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Renier-Fréduman Mundil (Pseudonym) ist seit 40 Jahren Arzt, der jetzt zum Ende seines Berufslebens ein verstaubtes Manuskript aus der vollgestopften Schreibtischschublade hervorgezogen hat, das seine Frau anschließend mit dem sauber geputzten und frisch gebügelten Kostüm eines alten Buchdeckels angezogen hat, damit es ein wenig wie Pinocchio selbst durch diese seltsam gewordene Welt spazieren kann. Eine Welt, die immer mehr anders wird, jedes Jahr jedoch an den vertrauten Punkt ‚Weihnacht‘ zurückkehrt, der für eine kurze Zeit in jedem tiefe Erinnerungen, Gefühle und Sehnsüchte an die Oberfläche des Lebens spült, bevor alles wieder im Dunkel des Alltags verschwindet.
Mundil ist seit 42 Jahren verheiratet und hat 23 Kinder (nicht erschrecken, es sind 4 eigene, 4 Schwiegerkinder und 15 Enkelkinder).
Manche dieser verstaubten Manuskripte entstanden aus dem uralten, einfachen Perpetuummobile Grund:
Es war einmal ein Mann, der hatte 23 Kinder, die 23 Kinder sprachen: „Vater, erzähl uns eine Geschichte!“ Da fing der Vater an: Es war einmal ein Mann, der hatte...
Eine Aufforderung das ganze Jahr hindurch, auch zur Advents- und Weihnachtszeit!
Als ich ihn das erste Mal sah, reichte er mir gerade bis zum Hosenbund. Ich war schon eine Stunde unterwegs gewesen, da stand er plötzlich vor mir. Klein, knorrig, nicht von schönem Wuchs, aber in einem glänzenden dunklen Grün. Seine Nadeln waren breit wie mein Daumen, sodass ich in den ausladenden, glänzenden Nadeln mein Spiegelbild erkannte. Ich beschloss zu warten, die nächsten Jahre, bis er mich eingeholt, meine Größe erreicht hatte. Dann wollte ich ihn holen, in meine Stube stellen und ihm ein Weihnachtsfest bereiten, wie es kein anderer Baum erlebt hatte. Es fiel mir schwer, mich von ihm zu trennen. Das Gefühl ließ mich nicht los, irgendetwas Bestimmtes noch tun zu müssen, was mir nur nicht in den Sinn kommen wollte. So stand ich eine Weile bis mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf schoss, von dem ich sofort wusste, dass er dieses Bestimmte war, wonach ich gesucht hatte. Ich legte meinen Zeigefinger auf eine freie Stelle des kleinen Stammes, schloss die Augen und wartete auf das Ereignis des letzten Jahres, das mir zuerst in den Sinn kam. Großvaters Beerdigung, sie lag keine vier Wochen zurück. Viele Jahre hatte er mein Leben begleitet, um plötzlich von heut auf morgen zu verschwinden. Und ich wusste nicht wohin. Ich berührte noch immer den Stamm und dachte an Geschehnisse zurück, die ich mit Großvater erlebt hatte. Nach einer Weile öffnete ich die Augen, der kleine Baum stand unverwandt vor mir. Wie selbstverständlich nahm ich mein Taschenmesser und ritzte die Stelle ein, die ich berührt hatte, als mir die Gedanken an Großvaters Beerdigung gekommen waren – langsam quoll eine dicke Träne aus Harz heraus, die Wunde zu schließen. Dann verabschiedete ich mich und ging nach Hause.
Ein langes Jahr verging, bis ich wieder vor ihm stand. Er war ein Stück gewachsen. Ich hatte die Fläche um ihn herum im letzten Jahr freigemacht, sodass sein Wuchs jetzt breit und ausladend wurde. Wieder legte ich meinen Zeigefinger auf eine freie Stelle. Wieder schloss ich meine Augen. Wieder wartete ich auf das Erlebnis des letzten Jahres, das mir zuerst in den Sinn kommen wollte. Es war unsere Osterreise nach Italien, die kleinen Bergdörfer mit den engen Berggassen, lichtgeschmückt, als sich am Passionstag die pilgernde Menge den Berg hochschob. Nachdem das Erlebte vor meinen Augen vorbeigezogen war, öffnete ich die Lider. Wieder griff ich nach meinem Messer. Wieder ritzte ich die berührte Stelle ein.
So ging es mehrere Jahre lang, und erst im fünften Jahr bemerkte ich, dass sich an jeder der eingeritzten Stellen ein neuer Trieb gebildet hatte und anfing, einen ausladenden Zweig zu bilden. Das Harz, das die Verletzung damals geschlossen hatte, war der Nährboden für die neuen Triebe geworden. Und als ich die fünf neuen Zweige betrachtete, fiel mir auf, dass sie eine andere Farbe hatten. Ein zartes Grün, zerbrechlich wirkend, wie dünnes chinesisches Porzellan, unter dem ein goldener Grundton glänzte.
Es vergingen sieben weitere Jahre bis er meine Größe erreicht hatte. Zwölf neue Äste hatten sich gebildet, alle in einem feinen golduntermalten Grün, das sie deutlich von den anderen abhob. Ich trat einige Schritte zurück und erkannte, dass die neuen Äste die Form eines Sternes bildeten. Der Weihnachtsstern. Mein Weihnachtsstern!
Nun war es Zeit, ihn für dieses Weihnachten nach Hause zu holen. Mein Leben nach Hause zu holen, mein Leben der letzten zwölf Jahre, das in seinen Ästen steckte. Ich griff nach der Säge, doch merkte ich gleich, dass sich meine Muskeln weigerten, das gezackte Gebilde in Bewegung zu versetzen. Ich brachte es nicht übers Herz, ihn zu fällen. Mein Leben zu fällen. Etwas ratlos lief ich nach Hause. Auf dem Rückweg durch den verschneiten Wald kam mir in den Sinn, was ich zu tun hatte. In der Stube standen die Weihnachtskisten gefüllt mit dem Weihnachtsschmuck und den Geschenken. Ich lud alles auf einen Schlitten und fuhr zu ihm zurück. In der aufkommenden Abenddämmerung begann ich, seine Äste zu schmücken. Nur die zwölf neuen goldgrünen ließ ich frei. Als ich fertig war, zündete ich die Kerzen an. Ihr warmes Licht stieg zum Himmel auf und mir war als brach es sich an den Wolken, um wieder auf mich hinabzufallen. Die brennenden Kerzen vermischten sich mit den hellen Sternen des Nachthimmels.
Nacheinander betrachtete ich die zwölf Äste und mein Leben der letzten Jahre entstand vor meinem geistigen Auge. Nur anders als ich es in Erinnerung gehabt hatte. Mein ganzes Leben war in das weihnachtliche Licht getaucht. Anstatt Großvaters Beerdigung sah ich ihn an unserem Küchentisch, als ich meinen achten Geburtstag feierte. Der Passionsweg hatte sich in den großen zurückgerollten Felsen verwandelt, der das nun leere Grab verschlossen hatte.
Noch lange stand ich in der kalten Abenddämmerung und betrachtete mein zurückliegendes Leben, das sich im weihnachtlichen Schimmer der zwölf goldgrünen Zweige widerspiegelte.
In einem Jahr, es nahte die Weihnachtszeit, beschloss St. Claus sich auf das Fest einzustimmen, indem er im dicken alten Buch ein wenig über den Herrn las. Er nahm das Buch zwischen seine Hände und schlug es an einer zufälligen Stelle auf, im Matthäusevangelium landete er:
Da brachte man Kinder zu ihm, damit er ihnen die Hände auflegte und für sie betete. Die Jünger aber wiesen die Leute schroff ab.
Solche Helfer könnte ich gut brauchen, dachte St. Claus. Mir die Kinder vom Leib zu halten, diese aufdringlichen Irrwische, nehmen keine Rücksicht mehr auf mein Alter, toben und schwirren um mich herum wie aufgescheuchte Bienen, anstatt wie früher sauber und ordentlich gekämmt mit gesenktem Haupt vor mir zu stehen und ihr Gedicht aufzusagen. Solche Helfer, wie der Herr sie hatte, könnte ich wohl brauchen. St. Claus vergaß, dass er sich im Himmel befand, seine Wohnung nicht weit vom Himmelsgewölbe mit dem Thron Gottes entfernt und sein Gemurmel bis in den himmlischen Palast hinein zu hören war. Dort saßen Jesus und sein
Vater am Tisch und beratschlagten Dinge, die für die runde Erdkugel von nicht geringer Bedeutung waren. Als Jesus die Worte von draußen hörte, bat er aufstehen zu dürfen, St. Claus einen kurzen Besuch abzustatten. Und auch der Allerhöchste fand diese Absicht angebracht. St. Claus war immer noch am Murmeln, als der Herr plötzlich hinter ihm stand.
Eine schöne Stelle, sagte der Herr. Was meinst Du? Welche Stelle?
Die du gerade gelesen hast. Es ist eine meiner Lieblingsstellen. St. Claus wurde etwas verlegen. Er konnte sich wohl denken, weshalb der Herr erschienen war.
Hast Du die Stelle zu Ende gelesen? fragte der Sohn Gottes.
St. Claus schüttelte den Kopf.
Gut, fuhr der Herr fort, ich werde dir erzählen, wie es sich genau zugetragen hat. Niemand weiß es besser als ich, schließlich war ich zugegen. Ich war müde, begann der Herr, denn wir waren die letzten Tage viel unterwegs gewesen. In Galiläa, hatten einen Tag zuvor gerade den Jordan überquert und predigten dem störrischen Volk in Judäa das neue Gesetz. Wie ich sehe weißt du, was es bedeutet, wenn man müde ist und eine Schar unruhiger Kinder ist um einen herum.
St. Claus nickte.
Außerdem hatte es Streit unter meinen Jüngern gegeben, wer von ihnen der Größte sei.
Ich weiß, sagte St. Claus, du hast ein Kind in ihre Mitte gestellt und gesagt, sie sollen wie die Kinder werden.
Ja, erwiderte der Herr, das habe ich getan. Nun merke dir den Namen des Kindes, das ich in ihre Mitte gestellt habe. Es war ein kleines Mädchen, acht Jahre alt und sie hieß Rebecca. Ich werde dir die Geschichte zu Ende erzählen. Den Jüngern musste ich sagen, dass sie die Kinder zu mir durchlassen sollten. Dann habe ich jedes einzelne gesegnet, wie die Eltern mich gebeten hatten. Jedes einzelne, so wie du zu Weihnachten zu jedem einzelnen Kind auf der Welt gehst. Und auf einmal war die Müdigkeit fort, sprach Jesus weiter, obwohl ich abgekämpft und müde und hungrig war und nichts lieber getan hätte, mich zur Ruhe zu betten. Mit jedem Kind, dem ich die Hände auflegte, verflog ein Stück Müdigkeit in mir.
St. Claus verstand, was der Herr ihm sagen wollte. War es bei ihm nicht dasselbe? Manches Jahr war er müde und abgekämpft von den Vorbereitungen und entnervt von allem, was vorher nicht so recht klappen wollte. Wenn er dann aber am Heiligen Abend seine Runde über die Erde
machte, wurde er nach jedem Besuch glücklicher, vergaß die Anstrengungen, seine müden Glieder, die Sorgen der letzten Tage und kehrte nach dem Christfest als glücklichster Himmelsbewohner in sein Haus zurück.
Was ist aus Rebecca geworden? fragte St. Claus, das Mädchen, das du als Beispiel in die Mitte deiner Jünger gestellt hast. Du hast mir bedeutet, auf ihren Namen zu achten, bestimmt nicht ohne Grund.
Der Herr nickte. Nachdem ich alle Kinder gesegnet hatte, bemerkte ich, Rebecca stand abseits. Die anderen Kinder hatten sie nicht zu mir durchgelassen, du kennst wohl selbst alle Seiten der Kinder, oder?
Ja, bestätigte St. Claus, die kenne ich wohl.
Ich wartete, bis jeder gegangen war und nur meine Jünger und ich waren mit Rebecca übrig geblieben. Sie kannte meine Jünger bereits und ich dachte, dass sie sich jetzt wohler fühlen würde.
Die Stimme des Herrn stockte etwas. Eine Träne rollte ihm aus den Augen, als er an die Geschichte dachte und der Herr wischte sie mit seiner rechten Hand fort. Ich muss wieder zu meinen Vater zurück, sagte Jesus.
Bei diesen Worten legte er seine tränenbenetzte Hand St. Claus auf die Augen. Deine Augen sollen selbst sehen, was sich weiter zugetragen hat.
Der Herr kehrte in das Haus seines Vaters zurück und St. Claus bemerkte, wie auf einmal das Mädchen vor seinen Augen stand. Sie redete mit dem Herrn, deutlich vernahm er die Stimmen beider.
Sind sie alle fort? fragte der Herr.
Rebecca nickte. Gestern hatte ich einen Traum, sagte sie.
Ich weiß, antwortete der Herr. Ich weiß, dass Du einen Traum hattest. Aber ich kenne nicht genau seinen Inhalt.
Ich habe einen wunderschönen grünen Baum gesehen, sagte Rebecca.
So, erwiderte der Herr. Erzähl weiter.
An dem Baum hingen bunte Kugeln und jede Menge duftender Süßigkeiten, die ich noch nie gesehen habe. An den kräftigsten Ästen hingen rote Äpfel mit Zucker überbacken und neben jedem Apfel stand eine brennende Kerze, die den Baum erleuchtete und den gebratenen Apfel warm hielt.
Du hast den Traum deinen Freunden erzählt? fragte der Herr.
Rebecca nickte. Und deshalb haben sie mich ausgelacht, aus ihren Kreis gestoßen. Ich sei eine Träumerin, die großen Unsinn redet.
Du redest keinen Unsinn, flüsterte der Herr. Ich werde Deine Augen zweitausend Jahre weit sehen lassen. Und Rebecca sah für einen Moment ein verschneites Haus hoch im Norden, hinter dem Fenster stand ein prächtiger, bunter Weihnachtsbaum und davor saßen Kinder mit glänzenden Augen.
Es ist also wahr? fragte Rebecca. Ja, der Traum wird wahr werden.
Mit diesem Baum werden sie Deinen Geburtstag feiern, es stimmt doch?
Der Herr nickte stumm.
Aber ich habe kein Bild von Dir bei dem Baum gesehen. Obwohl es Dein Geburtstag ist.
Wieder nickte der Herr stumm.
Bist Du darüber traurig?
Der Herr schwieg.
Aber es ist immer noch besser, als wenn sie überhaupt nicht deinen Geburtstag feiern.
Abermals nickte der Herr. Du bist ein verständiges Mädchen. Aus Deiner Linie soll einmal der Mann kommen, der am Ende eines jeden Jahres, an meinem Geburtstag, alle Kinder auf dieser Welt besucht und ihnen Freude schenken wird. Auch wird er ihnen eine schöne Gabe dalassen, etwas, wovon sie ein Jahr lang geträumt haben. Und wenn sie mit diesem Geschenk spielen, auf das sie sich so lange gefreut haben, wird er ihnen die Hände auflegen, ohne dass sie es merken und sie segnen, wie ich es mit den Kindern getan habe, damit sie ein neues glückliches Jahr vor sich haben.
Das letzte Wort war kaum verklungen, da waren Rebecca und das Bild des Herrn verschwunden und St. Claus war wieder allein. Ich habe meine Urahnin gesehen, murmelte er, ich habe sie gesehen, als sie noch ein kleines Mädchen war. Aus welch einer klugen Familie ich stamme, bemerkte er für sich, nicht ohne geringen Stolz.
Und St. Claus vergaß sein Alter, seine müden Füße, die Sorgen der Vorbereitung, die für ein neues Jahr vor der Tür stehende, schier unmögliche Aufgabe, Millionen von Kindern auf der ganzen Welt gleichzeitig zu beschenken. St. Claus vergaß das alles, stand aus seinem bequemen Sessel auf, rüstete seine Rentiere und war einfach nur glücklich, dass Weihnachten wieder vor der Tür stand.
Sie war Verkäuferin bei Mark & Spencer, in einer der kleineren Filialen in der Nähe des Hafenbeckens von Liverpool. Die Luft war stickig, obwohl das Haus voll klimatisiert war. Unentwegt drängten sich Menschenmassen zwischen die Verkaufstische, es war der letzte Einkaufstag vor dem Fest. Alle Geschäfte und Kaufhäuser hatten bis 22.00 Uhr geöffnet. Sie stand in der Abteilung für Weihnachtsartikel an der Kasse. Seit 8.00 Uhr morgens. Die Beine waren angeschwollen, Schuhe und Strümpfe schnitten in die aufgequollene Haut. Das Mittagessen hatte aus nichts anderem bestanden als ein hastig hinuntergeschlungenes Brötchen. Zuhause wartete die Arbeit. Geschenke verpacken. Den Baum schmücken. Die letzte Weihnachtspost abschicken. Ihr Mann würde jetzt sicherlich bequem vorm Fernseher sitzen. Nach Feierabend musste sie noch in die Lebensmittelabteilung, die bestellte Weihnachtsgans abholen. Mit dem Fleischklumpen würde sie durch die Stadt hetzen, selbst letzte Besorgungen zu erledigen.
Können Sie mir eine Quittung geben? Vor ihr stand eine Dame, die einen Berg von Weihnachtsartikeln auf den Kassentisch gelegt hatte. Für unsere Weihnachtsfeier auf Arbeit. Ich brauch' bitte eine Quittung wegen der Steuer.
Steuer, wiederholte sie leise, Steuer. In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen.
Bitte schön, die Quittung für die Steuerlisten. Sie bezahlen mit Karte?
Die Dame nickte.
Hör' endlich auf mit deiner Quengelei. Lass mich endlich in Frieden, ständig diese Nerverei.
Vor ihr stand eine Mutter, an ihrer Hand hing ein Junge, der vielleicht sechs Jahre alt war. Die Frau war gestresst, sie merkte es sofort.
Lass mich endlich in Frieden. Verherrlicht ist Gott in der Höhe und Frieden auf Erden, wiederholte sie, bevor sie die Frau ansah.
Soll ich das Geschenk einpacken?
Die Kundin schüttelte den Kopf. Lassen Sie nur. Ich habe es eilig. Hastig legte sie einen Geldschein auf den Tresen und wartete mit zittrigen Fingern auf das Wechselgeld. An der anderen Hand hing noch immer ihr Sohn.
Plötzlich tippte ihre Chefin ihr von hinten auf die Schulter. Gehen Sie doch bitte in die Krippenabteilung, ein Herr will die handgeschnitzte Krippe kaufen.
Sie drehte sich um. Zur Krippenabteilung, ja, sollte man sie doch hin und her schubsen, dann eben in die Krippenabteilung.
Sie wickelte ihn in einer Krippe, weil in der Herberge kein Platz war.
Die Gänge waren vollgestopft mit Menschen und Waren, mühsam musste sie sich Platz machen, um zur Krippe zu kommen. Dort wartete schon der ungeduldige Kunde.
Na endlich, murmelte er. Die Figuren, sind sie alle handgearbeitet?
Ja, erwiderte sie müde, handgeschnitzt und handbemalt.
Auch die Hirten? Sehen Sie doch mal die Hirten an.
Die Hirten, ach ja, die Hirten, waren denn auch die Hirten echt?
Als die Engel sie verlassen hatten und in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Kommt, wir gehen nach Bethlehem.
Ihre leise Stimme wurde vom Kaufhauslautsprecher unterbrochen. Es war John, er hatte an diesem Tag in der Zentrale Dienst.
Der Fahrer des Wagens B-NA 93374 D wird gebeten, sein Fahrzeug aus der Einfahrt zu entfernen.
B-NA, ein fremdes Nummernschild, gab es denn um diese Zeit so viele Fremde in der Stadt?
Ich wiederhole, der Fahrer des Fahrzeugs mit dem Kennzeichen B wie Bethlehem, N wie Nazareth und A wie Augustus wird gebeten...
Dieser John war verrückt, mindestens, sie hatte es immer gewusst.
Gibt es keine Engel für diese Weihnachtskrippe? fragte der Herr weiter.
Engel? Ihre Gedanken wiederholten das Wort. Engel? Friede bei den Menschen seiner Gnade. Als die Engel sie verlassen hatten...
Es konnte keine Engel geben, die Engel hatten doch die Hirten verlassen.
Nein, antwortete sie knapp, vielleicht in einem anderen Geschäft. Bei uns gibt es nur Weihnachtskrippen ohne Engel.
Nun gut, entgegnete der Herr. Sagen Sie bitte noch, der Stern über der Krippe, ist er batteriebetrieben?
Der Stern über der Krippe? Welcher Stern? fragte sie entgeistert.
Unwirsch zeigte der Mann auf den Holzstall. Dieser Stern, der Stern von Bethlehem.
Ach entschuldigen Sie bitte, ich dachte an etwas anderes.
Der Stern, ja der Stern wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihm zu huldigen, er lässt sich durch eine Batterie anmachen. Die Batterie müssen Sie aber extra kaufen.
Plötzlich stand wieder ihre Chefin hinter ihr. Wo bleiben Sie denn. An der Kasse ist die Hölle los. Haben Sie nicht mein Zeichen gesehen?
Das Zeichen, ach das Zeichen, wiederholte sie leise, natürlich das Zeichen. Und das soll euch als Zeichen dienen. Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.
Sie eilte zurück an die Kasse. Eine lange Kette aus Menschen hatte sich gebildet. Von der anderen Seite der Schlange näherte sich ein junger Mann.
Entschuldigung. Kann ich das schnell bei Ihnen bezahlen? Ich muss zum Dienst, Nachtwache im Krankenhaus. Bitte, ich schaffe es sonst nicht.
Wortlos griff sie nach dem kleinen Lederetui.
Zur Nachtwache, sagte sie leise, Nachtwache, ja da tun Sie etwas Wichtiges für das Leben anderer. Nachtwache ist doch wichtig.
Und sie blickte auf die wartende Schlange, in die veränderten Gesichter ob der vorgedrängelten Nachtwache. In jener Gegend lagerten
Hirten auf dem freien Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde.
Danke, sagte der junge Mann, ich werde Sie nicht vergessen, jedenfalls nicht bei meiner Nachtwache.
Schon gut, erwiderte sie und steckte, was der unbekannte junge Mann gesagt hatte, in einen stillen Winkel ihres Herzens.
Eine halbe Stunde später war die wartende Schlange immer noch nicht abgerissen. Die fremden Gesichter verwandelten sich unvermittelt in eine undurchdringliche, schwere Wand, gegen die sie heftig stieß. Sie taumelte rückwärts und sank wie ein Stein zu Boden. In der Schlange der Wartenden brach Entsetzen aus, eine Frau, kurz vor der Niederkunft, brach ebenfalls ohnmächtig zusammen.
Sie erwachte erst wieder im Krankenhaus. Als sie die Augen aufschlug, sah sie einen jungen Mann vor sich. Langsam erkannte sie ihn. Er war einer der letzten Kunden an ihrer Kasse gewesen, hatte es besonders eilig wegen seines Dienstes, der Nachtwache.
Er sah sie lächelnd an.
Ich hab Ihnen ja gesagt, dass ich Sie nicht vergessen werde.
Ja, nickte sie stumm.
Die anderen. Haben alle noch ihren Einkauf geschafft?
Machen Sie sich keine Sorgen. Jeder ist zu seinem Recht gekommen.
Die Schwangere aus der Reihe? Was ist mit ihr?
Sie liegt auf der Entbindungsstation. Das Kind müsste jetzt schon da sein, vielleicht wird es gerade gewickelt.
Ja, so ist es, sagte sie, sie haben doch ein Kind gefunden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe lag.
Es war ein ziemliches Unglück. Und dass es sich ausgerechnet am späten Abend begeben hat, als der helle Tag bereits dunkelte und sich in Nachtschatten verwandelte. David stand vor seiner Herde. Hundert Schafe nannte seine Familie ihr Eigen, alles was sie besaßen steckte in den hundert Tieren. Ein Prozent habe ich heute verloren, dachte der Hirtenjunge. Mein Vater wird mich schelten und meine Mutter mich mit großen traurigen Augen ansehen. David war geübt in der Steinschleuder, derart geschickt, dass weder Wölfe noch Bären, keine wilden Hunde oder Löwen es wagten, über die Herde herfallen. Das Schaf war ihm abhandengekommen. Einfach fortgelaufen. Vielleicht auch stehen geblieben. Oder in eine Felsspalte hineingestürzt. Es konnte sich auch überfressen haben, denn sie hatten am Tage auf einer fetten Weide gehalten und lag nun überfressen auf der Seite, unfähig aus eigener Kraft auf die Beine zu kommen.
Egal, dachte David, ich werde es suchen müssen. Wegen Vater und wegen Mutter und natürlich, weil es mir das liebste von allen Hundert ist. Warum wusste er nicht, aber er hatte es vom ersten Tag an besonders gemocht, als es noch ein junges Lamm war und unsicher auf den schwachen Beinen stakste. Sein einziges Schaf, das schwarz war, alle anderen hatten weiße Wolle und es war das leiseste von allen, kein Blöken, niemals, denn es war stumm auf die Welt gekommen und stumm geblieben. Schwarz und stumm, murmelte der Hirtenjunge, es ist genau das Richtige, um ein verloren gegangenes Schaf in der Dunkelheit zu suchen. Er beugte sich nach unten und betrachtete die Fußspuren. Ein wirres Durcheinander von Huftritten, er konnte aber alle auseinanderhalten und sah sofort, Biteanus, auf den Namen hatte er nämlich das Schaf getauft, war nicht unter den Spuren. Er überließ die anderen Neunundneunzig der Obhut seines Hundes und lief den Weg zurück. Irgendwann musste er die Spur zu Biteanus finden. Mit jedem Schritt wurde es finsterer und bald fiel es David ein, wie unklug es gewesen war, in der schwarzen Nacht allein durch das felsige Gestein zu laufen.
Unvermutet tauchte am Horizont ein Licht auf, nahm zu an Größe und bewegte sich auf den Hirtenjungen zu. Bevor David verstand, was da geschah, stand der Engel des Herrn vor ihm und sprach: Fürchte dich nicht, David, denn heute ist der Heiland geboren. Ich bringe Freude den Menschen seines Wohlgefallens. Und du bist einer von ihnen.