Civil War Chronicles 04: Sterben für den Süden - Alfred Wallon - E-Book

Civil War Chronicles 04: Sterben für den Süden E-Book

Alfred Wallon

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Beschreibung

Lieutenant Durango und seine Truppe brechen in Richtung Pennsylvania auf. Dort hat General Lee seine Streitkräfte konzentriert. Auf dem Weg dorthin gerät der Zug in einen Hinterhalt und entgleist. Ein mörderischer Kampf entbrennt.

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In dieser Reihe bisher erschienen

4801  Alfred Wallon Todeskommando

4802  Alfred Wallon Krieg am Mississippi

4803  Alfred Wallon Auf dem Weg zu General Lee

4804  Alfred Wallon Sterben für den Süden

4805  Alfred Wallon Die Hölle von Gettysburg

4806  Alfred Wallon Das Gesicht des Todes

4807 Alfred Wallon Kampf um Chattanooga (Frühjahr25)

4808  Alfred Wallon Atlanta soll brennen (Frühjahr25)

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Copyright © 2024 Blitz-Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier 

Redaktion: Alfred Wallon, Jörg Kaegelmann

Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-7579-8516-5

4803 vom 13.08.2024

AUF DEM WEG ZU GENERAL LEE

CIVIL WAR CHRONICLES

BUCH 3

ALFRED WALLON

INHALT

Vorwort

Prolog – Im Niemandsland

Erstes Buch – Unternehmen Harpers Ferry

Zwischenspiel – Auf dem Weg nach Richmond

Zweites Buch – Fort Sumter in Flammen

Epilog – Eine verhängnisvolle Nachricht

Über den Autor

Vorwort

Den Beginn des blutigen Bürgerkrieges zwischen der Union und den Konföderierten Staaten des Südens setzen viele Historiker mit der Beschießung von Fort Sumter am 9. April 1861 gleich. Dabei war dies nur die erste größere Kriegshandlung zwischen beiden Staatssystemen, deren unterschiedliche Wirtschaftssysteme und gesellschaftliche Anschauungen einen tiefen Graben durch die noch junge Nation zogen. In Wirklichkeit begann der immer weiter ausufernde Konflikt zwischen Nord und Süd schon lange vorher zu schwelen und artete schließlich in einen Flächenbrand aus, der Amerika vier Jahre lang an den Rand eines Abgrundes brachte und von dessen Schrecken die Menschen zu beiden Seiten der Mason-Dixon-Line noch viele Jahre lang traumatisiert waren.

Unter dem Begriff unterschiedliche Wirtschaftssysteme kommt man nicht umhin, das Thema Sklaverei hervorzuheben. Zweifelsohne waren Sklaven ein wesentlicher Bestandteil des Wirtschaftserfolges im Süden der USA. Gigantische Mengen Baumwolle wurden exportiert, die Gewinne waren riesig – und die Lohnkosten gleich null. Im Süden regierte King Cotton. Das war nicht immer so gewesen. 1793 erfand ausgerechnet ein Yankee namens Eli Whitney die Cotton Gin – eine Baumwollentkörnungsmaschine, die die Ernte dieser Pflanze entscheidend vereinfachte und so den Baumwollanbau erst wirklich rentabel machte.

Gleichzeitig wuchs der Bedarf der Textilindustrien in England, Frankreich und auch in den Nordstaaten stark an – ein Bedarf, der bis zum Bürgerkrieg fast ausschließlich mit den Exporten der Südstaaten gedeckt wurde, sodass diese eine Art Monopolstellung besaßen. Die Steigerung lässt sich anhand der nachstehenden Tabelle sehr einfach veranschaulichen:

1791: 4.000 Ballen

1801: 100.000 Ballen

1835: 1.062.000 Ballen

1849: 2.469.000 Ballen

1860: 5.000.000 Ballen

Die letzte Zahl entsprach wertmäßig zwei Dritteln des ganzen Exports der USA.

Die Vorstellungen, die man sich vom Leben im Süden machte, sind allerdings von zahlreichen Klischees geprägt. Keineswegs waren alle oder auch nur eine Mehrheit der weißen Südstaatler Plantagenbesitzer und Sklavenhalter. 1860 gab es im Süden 1.469.094 weiße Familien, von denen 383.635 eine Gesamtzahl von 3.953.696 Sklaven besaßen – also nur 27 %.

Natürlich sollen das Unrecht und die Missachtung der Menschenwürde durch diese Zahlen nicht verharmlost werden. Tatsache ist aber auch, dass gewisse politische Kreise mit allen Mitteln versuchten, Druck auf das System des Südens auszuüben, indem man alle Bewohner über einen Kamm scherte und sie als Sklavenhalter bezeichnete.

Ein Höhepunkt dieser Denkweise war die Rede von Senator Charles Sumner aus Massachusetts am 19. Mai 1856, der den Staat South Carolina als Schandfleck der Zivilisation bezeichnete. Der junge Abgeordnete Preston Brooks konnte diese Schmähungen nicht dulden, stellte den Senator zur Rede und schlug ihn mit mehreren Stockhieben vor den Augen des gesamten Senats zu Boden. Der Staat Massachusetts ließ daraufhin seinen Sitz im Senat drei Jahre lang unbesetzt, während Brooks in South Carolina von begeisterten Anhängern gefeiert wurde.

Vier Jahre vorher hatte Harriet Beecher Stowe aus Connecticut ihr Buch Uncle Tom’s Cabin veröffentlicht, das binnen weniger Monate zum größten Bestseller seiner Zeit wurde. Das sentimentale Werk, das die Schattenseiten der Sklaverei einprägsam herausstellte, beeinflusste tief die öffentliche Meinung im Norden und auch in Europa, und rief natürlich im Süden angesichts der in großen Teilen einseitigen Schilderungen Empörung hervor.

Auch in den Grenzstaaten Kansas und Missouri brodelte es. Genau zwischen diesen beiden Staaten verlief die Grenze zweier Welten, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Es gab immer wieder blutige Auseinandersetzungen. Der Guerillaführer William Clark Quantrill kämpfte gegen die brutalen Redlegs des Zahnarztes Charles Jennison und des Baptistenpredigers James Montgomery. Diese Kämpfe forderten das Leben vieler unschuldiger Zivilisten und setzten sich auch noch während des Bürgerkrieges fort.

Auch die Abolitionisten-Bewegung war in diesen Jahren sehr aktiv. Im Norden lebende freie Schwarze spielten eine besondere Rolle im Kampf gegen die Sklaverei. Sojourner Truth (1778–1883) organisierte in Michigan die Underground Railway, die geflohenen Sklaven zur Flucht nach Kanada verhalf. Was die dem Süden entkommenen Sklaven jedoch anschließend mit ihrer Freiheit anfingen, steht auf einem anderen Blatt Papier geschrieben. Größtenteils bildeten sich Gettos in den Städten des Nordens, in denen diese Menschen unter unwürdigen Umständen lebten und nicht viel Zeit hatten, sich über ihre neu gewonnene Freiheit zu freuen.

Einer der bekanntesten Führer der Abolitionisten-Bewegung war zweifelsohne John Brown. Er war eine Führergestalt mit großem Charisma und gab sich wie ein alttestamentarischer Patriarch. Aber sein blinder Fanatismus grenzte ans Psychopathische. So organisierte er beispielsweise einen Angriff in Kansas gegen einige Anhänger des Südens, holte diese Leute gewaltsam nachts aus den Betten und ließ sie von seinen Männern mit Schwertern in Stücke hacken.

Für das Jahr 1859 bereitete er mit Unterstützung einiger extremer Abolitionisten einen Sklavenaufstand im größeren Stil vor. Er wollte das US-Waffenarsenal in Harpers Ferry in einem Handstreich überfallen, die Sklaven bewaffnen und dann in den Appalachen einen Staat gründen, in dem nur Schwarze leben sollten. Von dort aus plante er, den gesamten Süden mit einer Terrorwelle zu überziehen, bis das verhasste System des Südens zerbrach. Allerdings rechnete er nicht mit dem mutigen Einsatz eines Colonels namens Robert E. Lee und seiner Truppe.

Das Unternehmen Harpers Ferry und der Tag, als Fort Sumter in Flammen stand, sind die zentralen Themen des dritten Bandes der CIVIL WAR CHRONICLES-Reihe. Zum ersten Mal werden anhand von Rückblenden Ereignisse geschildert, die sich lange vor Antietam und Vicksburg abspielten, aber für den Bürgerkrieg und dessen Verständnis von großer Bedeutung sind. Und natürlich sind Lieutenant Jay Durango und seine Truppe ein Teil dieser Geschichte.

Alfred Wallon

Prolog – Im Niemandsland

Der Morgennebel hing noch über den Wiesen und ließ die beiden grau uniformierten Reiter die Stahlspur der Mississippi Central Railroad nur knapp hundert Yards weit erkennen. Alles andere verschwand in den weißlichen Nebelschleiern und zwang die konföderierten Soldaten, noch vorsichtiger zu sein, als sie es ohnehin schon waren.

„Wir sollten besser abwarten, bis sich der Nebel verzogen hat“, meinte Ben Fisher und blickte misstrauisch in die Richtung, wo die Schienen der Bahnlinie im Nebel verschwanden. „Das wird sonst zu gefährlich.“

„Das weiß ich selbst“, brummte Sergeant Sean McCafferty und spuckte einen Strahl braunen Tabaksaft aus. „Aber wir haben keine Zeit, um lange über das Für und Wider zu diskutieren. Wir müssen zusehen, dass wir so schnell wie möglich aus dieser Gegend verschwinden. Sonst erwischen uns die Yankees womöglich doch noch. Und so kurz vor dem Ziel wäre das eine unverzeihliche Niederlage.“

„Deinen Optimismus möchte ich haben, Sergeant“, erwiderte der Soldat und kratzte sich nervös am Kinn. „Nach allem, was wir hinter uns haben, können wir froh sein, dass ...“

„Hör auf damit!“, fiel ihm der irische Sergeant ins Wort. „Mir ist klar, dass unsere Kameraden in Vicksburg nicht so viel Glück hatten wie wir. Aber der Lieutenant hat den Auftrag bekommen, General Lee zu berichten, dass Vicksburg verloren ist. Und genau das werden wir auch tun. Herrgott, ich weiß, dass das für andere so aussehen mag, als ob wir uns bei Nacht und Nebel feige davongeschlichen hätten. Aber Lee muss erfahren, was am Mississippi geschehen ist – und zwar so schnell wie möglich. Verstehst du das wenigstens?“

Die letzten Worte hatten so vorwurfsvoll geklungen, dass Fisher auf einen weiteren Kommentar verzichtete. Stattdessen nickte er nur und folgte seinem Sergeant weiter durch die neblige Morgenlandschaft.

Das Ziel der beiden Männer war eine kleine Bahnstation der Mississippi Central Railroad einige Meilen nordwestlich von hier. Als Lieutenant Jay Durango und seine Leute von Richmond in Richtung Vicksburg aufgebrochen waren, hatte diese Station noch existiert. Was seitdem geschehen war, darüber ließ sich nur spekulieren. Niemand wusste, ob Grants Truppen mittlerweile auch in dieser Richtung vorgedrungen waren und ihre Politik der verbrannten Erde fortgesetzt hatten.

McCafferty konnte nur hoffen, dass es noch nicht so war, denn sonst würden er und seine Kameraden große Probleme haben, weiter und vor allem schnell nach Richmond zu gelangen.

Die beiden Konföderierten lenkten ihre Pferde weiter durchs Unterholz. Dabei hielten sie sich immer in Sichtweite des Schienenstrangs, der durch die hügelige Landschaft führte. Nichts wies darauf hin, dass sich feindliche Soldaten in der Nähe befanden. Aber McCafferty blieb skeptisch und wählte deshalb einen bewusst mühseligeren Weg durch die Büsche, damit sie nicht doch noch im letzten Moment von ihren Gegnern entdeckt wurden.

Eine knappe halbe Stunde später begannen sich die Schleier des feuchten Nebels allmählich zu verziehen, und der Blick war frei auf einen Talkessel. In einiger Entfernung zeichneten sich die Gebäude der Bahnstation ab, die McCaffertys und Fishers Ziel war.

„Na also“, grinste der Sergeant und holte sein Fernrohr aus der Satteltasche. „Ich wusste doch, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis wir auf die Station stoßen.“

„Kannst du was erkennen, Sergeant?“, wollte der sichtlich nervöse Fisher wissen, während McCafferty einen Blick durchs Fernrohr warf. „Sind Yankees da unten?“

„Sieht nicht danach aus“, antwortete McCafferty kurz darauf. „Da ist alles still und ruhig. Weder beim Hauptgebäude, noch bei dem Schuppen und dem Lagerhaus ist irgendjemand zu sehen. Doch ... warte mal – da kommt jemand ins Freie. Der Mann trägt aber keine Uniform. Also ist es wohl ein Bahnbediensteter. Wir scheinen Glück zu haben.“

„Soll ich die anderen informieren?“, fragte Fisher und sah, wie McCafferty nickte.

„Reite los! Ich warte hier so lange und beobachte das Gelände“, meinte der Sergeant. „Das ist besser so. Dann können wir nämlich auf Nummer sicher gehen, dass alles in Ordnung ist, wenn der Lieutenant und unsere Kameraden hier sind. Schau mich nicht so entgeistert an! Verzieh dich endlich und überlass den Rest mir! Bist du noch nicht weg?“

Fisher unterdrückte einen Fluch, als er sein Pferd wendete und zurück in das Unterholz ritt. McCafferty schaute ihm nur kurz hinterher.

Der Junge ist das reinste Nervenbündel, dachte er. Wenn sich Fisher nicht bald am Riemen reißt, dann bringt er uns alle noch in Teufels Küche. Stattdessen sollte er froh sein, dass wir der Hölle in Vicksburg entronnen sind. Wären wir jetzt noch dort, dann würde es erst recht gefährlich für uns werden – und aussichtslos dazu.

Seine Gedanken kehrten wieder in die Gegenwart zurück, als er sah, wie ein zweiter Mann aus dem Lagerschuppen kam. Er war etwas jünger als der Erste und hatte ein Beil in der Hand. Der Ältere winkte ihm zu, näherzukommen, und Augenblicke später verschwanden die beiden wieder im Wohnhaus.

Wenn Yankees in der Nähe wären, dann würden sie sich ganz anders verhalten, schlussfolgerte McCafferty. Also wollen wir hoffen, dass das auch weiterhin so bleibt ...

* * *

„Die Bohnen schmecken angebrannt“, beklagte sich Ethan Miller, der als Gehilfe auf der Station zusammen mit Charlie Sutton seinen Dienst versah. „Du hättest besser am Herd bleiben sollen und ...“

„Halt den Mund!“, wies ihn Sutton zurecht, während er aß. „Kannst froh sein, dass es in diesen trüben Zeiten überhaupt was zu essen gibt. Unsere Jungs haben genügend Vorräte dagelassen, um durch die nächsten Wochen zu kommen.“

„Ich fasse es nicht“, erwiderte der hagere Miller kopfschüttelnd. „Du glaubst doch nicht etwa, dass diese Ruhe hier noch lange anhält? Oder hast du den Kanonendonner von gestern Morgen schon vergessen? Das war nicht weit von hier entfernt – weniger als drei Meilen.“

„Die Mississippi Central Railroad ist sicher“, beharrte Sutton auf seiner Meinung. „Lees Soldaten reiten regelmäßig Patrouille an dieser Strecke, um sicherzustellen, dass der Nachschub in die Kriegsgebiete weiter westlich auch funktioniert. Das wird auch weiterhin der Fall sein. Also jetzt beruhige dich endlich und iss fertig! Draußen hinter dem Schuppen gibt’s noch genügend Holz zu hacken. Ich würde dir ja gern helfen, aber ich hab’s heute früh mit dem Kreuz. Verdammt, das ist das erste Zeichen, dass ich mich langsam zur Ruhe setzen sollte.“

Ethan Miller wusste, wann der Zeitpunkt gekommen war, wieder an die Arbeit zu gehen. Suttons Hinweis war klar und deutlich gewesen. Miller seufzte, als er den Teller beiseitestellte und sich vom Tisch erhob. Er wusste selbst nicht, warum er die permanenten Launen des älteren Stationshalters noch ertrug. Es lag aber sicher auch daran, dass Sutton noch Geld hatte, um ihn bezahlen zu können. Und zwar gute, echte Yankee-Dollars. Kein Südstaaten-Geld, das ohnehin kaum noch etwas wert war.

„Ich geh ja schon“, sagte Miller und wandte sich zur Tür. Kurz vorher drehte er sich noch einmal um. „Du kannst dich ja hinlegen und ein Nickerchen machen, wenn du dich so schwach fühlst.“

„Überspann den Bogen nicht!“, warnte ihn Sutton mit erhobenem Zeigefinger. „Ich habe hier drin auch noch was zu tun. Jemand muss sich schließlich auch um die Verwaltung dieser Station kümmern und alles in Ordnung halten, wenn der Zug in zwei Stunden kommt, oder?“

Damit war alles gesagt. Miller ging hinaus ins Freie und war auf dem Weg zum Lagerschuppen, als plötzlich das Echo eines Kanonendonners erklang. Miller zuckte zusammen und blickte in die betreffende Richtung. Täuschte er sich, oder klang das beängstigende Echo dieser Kanonen etwas näher als das, was er gestern Morgen gehört hatte?

Ruhig bleiben!, entschied er dann für sich. Was hätten die Yankees denn davon, ausgerechnet hier eine Schlacht zu schlagen? Das Gelände ist unübersichtlich, und selbst die Schienen der Mississippi Central Railroad sind weiter westlich viel mehr gefährdet als an dieser Stelle.

Auf einmal zuckte er zusammen, als er eine Gruppe von sechs Reitern von einer bewaldeten Hügelkuppe herunterkommen sah. Im ersten Moment spürte er wachsende Panik, aber die legte sich zum Glück wieder, als er die grauen Uniformen der Männer erkannte. Ein schwarzhaariger Lieutenant führte den Trupp an, und er zügelte sein Pferd nur wenige Schritte von Miller entfernt.

„Immer mit der Ruhe, Mister!“, rief der bullige Sergeant Sutton zu, als dieser mit dem Gewehr in der Hand im Türrahmen stand. „Wir gehören zu den Guten!“

„Wann kommt der Zug?“, wollte der Lieutenant von Miller wissen, und als der nicht gleich darauf antwortete, wandte er sich an Sutton.

„Eine Stunde kann’s schon noch dauern“, erwiderte dieser. „Ihr seht aus, als ob ihr es verdammt eilig hättet, Jungs. Sind die Yankees etwa hinter euch her?“

„Nicht direkt“, kam prompt die Antwort des Anführers der kleinen Truppe. „Ich bin Lieutenant Jay Durango. Meine Leute und ich müssen so schnell wie möglich nach Richmond. Und wenn ich an eurer Stelle wäre, dann würde ich auch zusehen, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Diese Gegend ist nicht mehr sicher.“

„Wie kommt das denn?“, wollte Sutton jetzt wissen und trat näher an die konföderierten Soldaten heran. „Die ganzen letzten Wochen war es hier sehr ruhig. Manchmal zu ruhig, als dass man überhaupt hätte glauben können, dass Krieg ist.“

„Vicksburg wurde von den Yankees eingeschlossen und wird wahrscheinlich in den nächsten Tagen an Grants Truppen fallen“, antwortete Durango mit düsterer Stimme. „Auch der Mississippi wird mittlerweile von Kanonenbooten der Union kontrolliert. Ich muss Ihnen nicht sagen, was das bedeutet, Mister ...?“

„Charlie Sutton“, erwiderte dieser und wurde blass. „Gütiger Himmel, das bedeutet ja dann vielleicht, dass ...“ Er brach mitten im Satz ab, weil sich die Gedanken jetzt förmlich überschlugen.

„Genauso ist es“, nickte Durango. „Wir haben weiter westlich starke Truppenbewegungen gesehen. Ich vermute, dass Shermans Einheiten weiter auf dem Vormarsch sind. Wenn sie erst hier sind, dann ist es zu spät. Das sollten Sie wissen. Sie und Ihr Freund hier sind wahrscheinlich nicht mehr sicher.“

Sutton und Miller warfen sich gegenseitig entsetzte Blicke zu. Dass die Lage mittlerweile so schlimm geworden war, damit hatten sie nicht gerechnet. Die Andeutungen des Lieutenants verhießen nichts Gutes.

„Was heißt das für die Konföderation, Lieutenant?“, fragte Miller mit unsicherer Stimme. „Sie meinen doch nicht etwa, dass ...?“

„Ich meine gar nichts“, winkte Durango ab, weil er nicht näher auf die verheerende Situation am Mississippi eingehen wollte. Nicht jetzt und hier. Es war wichtiger, dass General Lee so schnell wie möglich von dieser veränderten militärischen Lage erfuhr. Erst dann konnte er weitere Maßnahmen treffen, die hoffentlich den Vormarsch der Yankees stoppten. Denn sonst war alles verloren.

Wieder ertönte das Donnern zweier Kanonen, gefolgt von dem Stakkato mehrerer Schüsse. Das kam von den Hügeln dort drüben!

„Packen Sie alles zusammen, Mister Sutton!“, riet Durango dem Mann noch einmal eindringlich. „Vermutlich haben Sie bald keine Zeit mehr dafür. Mac, du und Porter – ihr reitet hinauf zum Hügel und seht euch dort um. Beeilt euch, aber riskiert nichts Unnötiges! Gebt sofort Bescheid, wenn die Lage brenzlig wird!“

„Ich bleibe hier“, erwiderte Sutton kopfschüttelnd. „Mit dem Krieg habe ich nichts zu tun. Schlagt euch von mir aus gegenseitig die Köpfe ein – aber ich werde hier nicht weggehen. Die Station ist alles, was ich habe.“

Ethan Miller schien von dieser Idee gar nicht begeistert zu sein. Aber seine eigene Meinung behielt er in diesem Moment für sich. Nur das unruhige Flackern in seinen Augen war ein Indiz dafür, dass er sich angesichts der Nähe des Feindes auch so seine Gedanken machte.

„Lieutenant, es ist ihre eigene Entscheidung“, wandte sich McCafferty an Durango. „Wenn die beiden unbedingt ihr Leben aufs Spiel setzen wollen, dann geht uns das nichts an.“

Natürlich erinnerte sich der irische Sergeant jetzt wieder an die Begegnung in der Nähe von Jackson. Ein Farmer und sein Sohn hatten damals zum Glück den Ernst der Lage begriffen und sich den konföderierten Soldaten angeschlossen. In den Kämpfen um Jackson hatte Durango dann Vater und Sohn aus den Augen verloren. Ob sie noch am Leben waren, wusste er nicht.

McCafferty gab inzwischen Porter ein Zeichen, ihm zu folgen. Die beiden Männer trieben ihre Pferde an und ritten über eine Wiese hinauf zur Hügelkuppe. Sekunden später waren sie den Blicken Durangos und denen seiner Kameraden entschwunden.

„Neil, reite ein Stück am Schienenstrang entlang!“, befahl Durango nun einem weiteren seiner Männer. „Pass auf, dass du dich dabei im Hintergrund hältst!“

Auch Neil Vance verlor keine weiteren Worte und ritt sofort los. Tom Higgins, Frank Porter, Ben Fisher und Lieutenant Durango stiegen von den Pferden und führten sie hinters Haus. Fisher blieb dort zurück, während Durango immer wieder ungeduldig in die Richtung schaute, in die Vance geritten war. Ausgerechnet in diesem Moment war das erneute Echo eines Kanonendonners zu hören.

„Lieutenant, das gefällt mir ganz und gar nicht“, meinte Higgins. „Wenn die Yankees hierherkommen, dann sitzen wir in der Falle. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, weiter nach Norden zu reiten, ohne den Zug zu nehmen.“

„Aber mit dem Zug geht es schneller“, fiel ihm Durango ins Wort. „Du weißt, wie wichtig es ist, dass General Lee von der Lage in Vicksburg erfährt. Diese Informationen können entscheidend für den weiteren Verlauf des Krieges sein. Ich dachte, dass du das eigentlich begriffen hättest.“

Das waren deutliche Worte. Betreten blickte Higgins zu Boden, weil Durango ihn gemaßregelt hatte. Seine Blicke sprachen Bände. Auch er hatte die Schrecken noch vor Augen, die er und seine Kameraden in Vicksburg erlebt hatten. Vergessen würde er das nie.

Zehn Minuten später kehrte Vance zurück. Schon von Weitem winkte er seinen Kameraden zu. Seine Miene spiegelte Erleichterung wider, als er sein Pferd zügelte und hastig aus dem Sattel stieg.

„Der Zug kommt!“, rief er. „Ich habe die schwarze Rauchwolke der Lokomotive gesehen. In wenigen Minuten wird er hier sein.“

„Gut“, nickte Durango. „Hast du sonst etwas bemerkt?“

„Nichts“, winkte der Sprengexperte von Durangos Truppe ab. „Nach wie vor ist alles ruhig. Wird Zeit, dass der Sergeant und Porter wieder zurückkommen.“

Noch bevor er diesen Satz zu Ende gesprochen hatte, erklangen plötzlich Hufschläge weiter oberhalb des Hügels. Sekunden später tauchten McCafferty und Porter zwischen den Büschen auf. Sie hatten es mächtig eilig, die Station zu erreichen. Das war kein gutes Zeichen.

Aufregung stand in McCaffertys Zügen geschrieben, als er auf seine Kameraden zugeritten kam und sich dabei immer wieder im Sattel umdrehte.

„Was ist los, Mac?“, wollte Durango wissen. „Schlechte Nachrichten?“

„So könnte man’s auch nennen, Lieutenant“, erwiderte der irische Sergeant. „Ein Trupp Yankees ist in der Nähe. Mehr als fünfzig Mann stark. Sie nähern sich dem Hügel und haben bestimmt auch schon die Rauchwolke der Lokomotive gesehen. Das riecht nach Ärger ...“

Durango ließ sich seine Unruhe nicht anmerken, als ihm der Sergeant das berichtete. Stattdessen bewahrte er einen kühlen Kopf und entschied innerhalb von Sekunden, was zu tun war.

„Holt die anderen Pferde! Beeilt euch! Haltet die Waffen bereit und postiert euch! Mac und Porter, ihr geht dort drüben zum Zaun! Higgins geht mit Fisher ums Haus. Neil und ich werden uns hier hinter dem Bretterstapel postieren. Nun macht schon – wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Während er das sagte, schaute er immer wieder in die Richtung, aus der der Zug kommen musste. In diesem Moment hörte er den schrillen Pfiff der Lokomotive – nicht weit entfernt.

Hoffentlich ist es nicht zu spät, dachte er, während er sein Gewehr aus dem Futteral zog. Wann ist dieser verdammte Zug endlich hier?

* * *

Die schwarze Rauchwolke aus dem Dampfkessel der schweren Baldwin-Lokomotive signalisierte die Ankunft des Zuges. Sekunden später konnten Durango und seine Kameraden weitere Einzelheiten erkennen. Es waren insgesamt sechs Frachtwaggons, die von der Lokomotive gezogen wurden.

Als sich der Zug der Station näherte, verlangsamte die Lokomotive ihr Tempo und kam schließlich vor dem Stationsgebäude zum Stehen. Weißer Dampf bildete sich zwischen den Rädern, während sich ein rußgeschwärztes Gesicht im Führerhaus der Lokomotive zeigte.

„Was ist denn hier los?“, erkundigte sich der Lokführer, als er den bewaffneten Lieutenant und seine Soldaten sah. „Gab’s Ärger?“, wollte er dann von Sutton wissen, der ihn mit einem kurzen Nicken begrüßte.

„Nicht, wenn wir uns jetzt beeilen, Mister“, kam Durango dem Stationshalter zuvor. „Wir müssen weg von hier – und zwar so schnell wie möglich. Los, Leute – bringt unsere Pferde nach hinten zu den Waggons! Die lassen wir auf keinen Fall hier. Beeilt euch, verdammt noch mal!“

Seine Stimme klang gereizt. Kein Wunder, dass die Soldaten griesgrämig dreinblickten. So kannten sie ihren Lieutenant eigentlich nicht. Aber sie hatten den Ernst der Situation begriffen und führten Durangos Befehl aus. Porter und Fisher kümmerten sich um die Pferde und beruhigten die nervösen Tiere. Zum Glück schafften sie es ohne Probleme, die Pferde mithilfe der beiden Stationsleute in die Waggons zu treiben, und verriegelten sie anschließend mit sichtlicher Erleichterung.

„Einsteigen!“, sagte Durango. „Worauf wartet ihr noch?“

„Kann mir jetzt endlich mal jemand sagen, was hier eigentlich los ist?“, fragte der kopfschüttelnde Lokführer, der genau wie sein Heizer gar nicht wusste, was das zu bedeuten hatte.

„Das sage ich Ihnen noch, mein Freund“, vertröstete ihn Durango und wartete ab, bis McCafferty als Letzter seiner Leute eingestiegen war. Sutton und sein Gehilfe machten nach wie vor keine Anstalten, den Zug zu besteigen. Ein weiterer gut gemeinter Ratschlag Durangos scheiterte an dem dickköpfigen Sutton, der dem Lieutenant mit einer sehr eindeutigen Geste zu verstehen gab, dass für ihn dieses Thema erledigt war.

Erst jetzt betrat Durango ebenfalls die Plattform.

„Nun heizen Sie der alten Lady erst einmal ordentlich ein und bringen Sie sie in Schwung! Und zwar mit Volldampf!“

„Meine Betsy hat schon raue Zeiten hinter sich gebracht“, murmelte der Lokführer. „Sie wird gewiss auch einen nervösen und gehetzten Lieutenant überstehen.“

„Um mich geht es gar nicht“, winkte Durango ab.

„Sondern?“, kam sofort die Gegenfrage.

„Um die Yankees da oben auf dem Hügel“, erwiderte Durango und zeigte in die betreffende Richtung. „Sie täten besser daran, die Lokomotive in Fahrt zu bringen. Je eher, desto besser ...“

„Heiliger Strohsack“, murmelte der Lokführer, als er die Reiter auf der Hügelkuppe sah und zu seinem Entsetzen registrierte, wie sich diese jetzt in Bewegung setzten. „Butch, mach unserer Betsy Feuer unter dem Hintern! Na los, Mann!“

Auch der Heizer war genauso erschrocken wie der Lokführer und schaufelte jetzt wie ein Besessener Kohlen vom Tender. Gleichzeitig setzte sich die Lokomotive mit schnaufenden Geräuschen langsam in Bewegung, während die Unionstruppen nur noch 200 Yards entfernt waren. Die Distanz zum Schienenstrang und der Lokomotive schmolz mit jeder weiteren Sekunde.

„Zeigt den Yankees, dass wir gute Schützen sind!“, befahl Durango seinen Leuten, die ihre Gewehre bereits bereithielten und ihre besorgten Blicke auf die heranpreschenden Gegner richteten. „Wenn sie zu nahe kommen, dann halten wir sie auf Distanz. Verstanden?“

„Geht in Ordnung“, nickte McCafferty und hob sein Gewehr hoch. Mit grimmiger Miene zielte er auf den Reiterpulk, aber noch waren die Yankees zu weit entfernt, als dass er einen sicheren Schuss hätte abgeben müssen.

Zum Glück stieg die Geschwindigkeit des Zuges jetzt deutlich an. Die Tatsache, dass die Schienen jetzt über weitestgehend ebenes Land führten, unterstützte das Tempo. Auch die Yankees schienen mittlerweile erkannt zu haben, dass ihnen ihre Feinde zu entkommen drohten, und trieben ihre Pferde noch härter an. Die ersten Schüsse fielen, aber die Kugeln schlugen nur in das Holz der Waggons, richteten jedoch sonst keinen weiteren Schaden an.

„Draufhalten!“, rief McCafferty seinen Kameraden zu. „Feuer!“

Er ging mit gutem Beispiel voran, eilte zur halb geöffneten Tür des Güterwaggons, riskierte einen Blick ins Freie und drückte als Erster ab. Der irische Sergeant erwischte eines der Pferde in der ersten Reihe. Das Tier knickte mit den Vorderbeinen ein und warf seinen Reiter im hohen Bogen ab. Das geschah so plötzlich, dass die nachfolgenden Yankee-Soldaten dieses Hindernis nicht sahen und ihre Pferde mit dem gestürzten Tier zusammenprallten. Ein kurzes Chaos entstand, das für jede Menge Unruhe sorgte – und es stoppte die Schüsse der blau uniformierten Soldaten für einige Sekunden.

Auch die übrigen Kameraden hatten sich am Eingang postiert und erwiderten jetzt das Feuer. Ihre Kugeln bremsten die vordersten Reiter der Unionssoldaten von einem Augenblick zum anderen. Drei weitere Pferde brachen zusammen und sorgten für zusätzliche Verwirrung unter den wütenden Yankees.

In dieser Zeitspanne gewann der Zug an Tempo. Lokführer und Heizer taten ihr Bestes, um ihre Verfolger in die Schranken zu verweisen. Der Zug besaß jetzt eine Geschwindigkeit, die auch ein ausdauerndes Pferd nur kurz mithalten konnte.

McCafferty grinste, als er das sah, und stieß einen lauten Rebellenschrei aus, weil ihm jetzt klar war, dass er und seine Kameraden wieder einmal Glück gehabt hatten. Die Yankees feuerten noch einige wütende Schüsse auf den davonfahrenden Zug ab, setzten aber die Verfolgung nicht weiter fort.

„Das wäre geschafft“, murmelte Durango und atmete erleichtert auf. „War zwar knapp, aber wir haben es hinter uns, Leute.“

McCafferty grinste verschmitzt.

„Sieht ganz so aus, als ob uns der Teufel noch nicht haben will“, erwiderte er. „Ganz im Gegensatz zu den Kameraden in Vicksburg ...“

Betretene Blicke machten sich breit, als McCafferty auf dieses Thema zu sprechen kam.

„Wir hätten diesen Sutton und seinen Gehilfen doch besser überreden sollen, mit uns zu kommen“, fügte er anschließend hinzu. „Die Yankees sind stinksauer, weil wir ihnen entkommen sind – und das werden Sutton und Miller unter Umständen zu spüren bekommen.“

„Ich glaube, das geschieht schon“, meinte Higgins ganz aufgeregt, als er einen Blick aus dem Waggon warf und in die Richtung schaute, wo sich die Station befand. Am Horizont stieg eine dunkle Rauchwolke empor. Was das bedeutete, war klar.

„Diese verdammten Idioten!“, schimpfte McCafferty. „Wie kann man denn nur so dumm sein?“

„Das haben die beiden allein zu verantworten, Mac“, meinte Durango. „Es nutzt nichts, sich jetzt noch darüber den Kopf zu zerbrechen. Wir haben einen Auftrag zu erfüllen. Nur das ist jetzt wichtig ...“

„Glaubst du wirklich, dass unsere Jungs in Vicksburg noch kämpfen?“, fragte McCafferty zweifelnd. „Im Grunde genommen ist die ganze Sache doch schon längst entschieden. Die Yankees haben unsere Truppen schlicht und einfach eingekesselt. Es ist doch klar, dass sie keine Chance mehr haben. Vicksburg ist verloren und ...“

„Verdammt, das weiß ich auch!“, fiel ihm Durango etwas heftiger ins Wort, als er das eigentlich beabsichtigt hatte. „Aber doch nicht der gesamte Krieg. Lee muss seine Pläne umstellen, Mac. Und je früher er das kann, umso mehr Chancen haben wir, dass ein solches Fiasko wie in Vicksburg nicht noch einmal geschieht. Verstehst du?“

McCafferty nickte nur. Er ging zurück und ließ sich auf dem Boden des Güterwaggons nieder. Er vermied es dabei, Durango anzusehen. Auch Porter und Fisher entspannten sich und hockten sich ebenfalls nieder. Nur Vance und Higgins hielten weiterhin Ausschau nach eventuellen feindlichen Truppen in der Nähe des Schienenstrangs.

Aber je weiter der Zug in Richtung Richmond fuhr, desto ruhiger wurde es. Fast hätte man glauben können, dass die Schrecken des Krieges nur ein unwirklicher Albtraum waren. Denn die Landschaft, die der Zug jetzt passierte, war völlig unberührt und fast schon idyllisch. Saftige Wiesen, grüne Wälder und malerische Hügel breiteten sich bis zum Horizont aus.

Durango hatte jedoch keinen Blick übrig für die Schönheit der Landschaft. Er war ganz mit seinen eigenen Gedanken zugange. Dieser Krieg hat uns alle geformt, grübelte er vor sich hin. Ob es jemals wieder Frieden zwischen Nord und Süd geben wird?

Unwillkürlich dachte er daran, wie lange er schon die Uniform eines Soldaten trug, und was seitdem alles geschehen war. Denn lange vor Beginn des Bürgerkrieges hatte es schon Unruhen in den Grenzstaaten Kansas und Missouri gegeben. Die gesamte Situation hatte sich schließlich so weit zugespitzt, bis das Pulverfass explodiert war.

John Brown war einer derjenigen, die das Feuer des Hasses geschürt haben, dachte Durango. Er hat bis zu seinem Tod nicht begriffen, dass Fanatismus nur Tod und Schrecken mit sich bringt. Wer weiß, wie sich die Dinge entwickelt hätten, wenn er damals mit seiner wilden Horde Harpers Ferry nicht angegriffen hätte?

Harpers Ferry war nicht nur ein Wendepunkt für John Brown gewesen, sondern auch für Jay Durango und seine Leute, die sich damals ihre ersten Sporen verdient hatten. Vieles von dem, was zu dem dramatischen Konflikt gehört hatte, war Durango erst hinterher bewusst geworden. Er hatte es von Josh Calhoun und einigen anderen Beteiligten erfahren.

Calhoun, dachte Durango kopfschüttelnd. Dieser Name verfolgt mich wahrscheinlich bis zum Ende meines Lebens. Dabei trage ich doch gar keine Schuld an dem, was damals geschehen ist ...

Erstes Buch – Unternehmen Harpers Ferry

Schwere Gewitterwolken zogen am Himmel auf. Eine halbe Stunde später grollte der erste Donner. Dicke Regentropfen klatschten auf das Dach der Farm in den Appalachenbergen. Blitze zuckten auf, tauchten die Nacht für Sekunden in gleißende Helligkeit. Das schwere Sommergewitter entlud sich heftig über den Wäldern.

Im Inneren des Wohnraums flackerte eine Petroleumlampe unruhig hin und her und warf bizarre Schatten an die rauen Holzwände. Brett Justin Calhoun blickte mit steinerner Miene zu seinem Sohn Josh und wollte gar nicht glauben, was dieser gerade behauptet hatte.

„Dies ist unser Land, Junge“, grollte er. „Und mich kümmert es einen feuchten Dreck, dass die anderen im Norden und an der Grenze zu Kansas und Missouri sich langsam die Köpfe einschlagen. Du tätest gut daran, an deine Arbeit zu denken – das ist wichtiger ...“

Josh Calhoun lag eine heftige Erwiderung auf der Zunge, denn er kannte die Sturheit seines Vaters und wusste, wie wenig er sich für Dinge interessierte, die außerhalb der Appalachenberge geschahen. Und doch durfte auch er nicht die Augen vor der Wirklichkeit verschließen.

„Pa, siehst du denn nicht, was in diesem Land vorgeht?“, versuchte er es in ruhigem Ton, obwohl ihm eigentlich ganz anders zumute war. Zumal sein Bruder Will schwieg. Will kannte seinen Vater zur Genüge und wusste, wann es besser war, über manche Dinge einfach hinwegzuhören. Nicht so Josh, denn der war genauso impulsiv wie sein Bruder Larry, der der Farm mittlerweile den Rücken gekehrt hatte – im Streit mit seinem Vater.

„Pa, es wird ein Krieg kommen“, fuhr Josh fort. „Ein Krieg, der auch uns erreicht, wenn wir nichts dagegen unternehmen ...“

„Und was möchtest du tun?“, wollte Brett Justin Calhoun von ihm wissen.

„Männer wie John Brown fragen sich das erst gar nicht, sondern handeln einfach“, antwortete Josh seinem Vater. „Sie sehen die Ungerechtigkeit, die in diesem Land stattfindet ...“

„Ich habe dir schon einmal gesagt, du sollst nicht so viel in diesen verdammten Büchern lesen, Junge!“, wies ihn der Vater zurecht und warf dabei einen wütenden Blick auf das Buch, das seinen Zorn verursacht hatte. Josh hatte es von einem vorbeifahrenden Trader erstanden. Es hieß Onkel Toms Hütte und war von einer gewissen Harriet Beecher Stowe geschrieben worden.

Es handelte sich um ein Buch, das in überaus einseitiger Weise das Sklavenproblem beschrieb und hatte auch in diesem Landstrich schon für ziemliche Aufregung gesorgt. Erst recht bei einem jungen Burschen wie Josh Calhoun, der Seite für Seite verschlungen hatte.

„Aber es geht doch um Menschenrechte, Pa“, warf Josh ein. „Du kannst doch nicht einfach die Augen vor der Wirklichkeit verschließen.“

„Junge, ich glaube, du hast eines ganz außer Acht gelassen“, unterbrach ihn sein Vater. „Denk dran, eure Mutter ist schon sehr früh gestorben – so früh, dass du und Will euch wahrscheinlich schon gar nicht mehr richtig an sie erinnern könnt. Ich hatte keine Zeit, mich mit Büchern zu beschäftigen, weil ich mein ganzes Leben lang hart gearbeitet habe, um euch wenigstens eine Zukunft bieten zu können. Eine Zukunft auf diesem Land hier. Also vergiss das Geschreibsel dort und pack lieber ordentlich mit an! Schließlich wollen dein Bruder und ich nicht die ganze Arbeit allein machen.“

Er sah das wütende Aufblitzen in Joshs Augen und fuhr deshalb rasch fort.

„Schau mich nicht so erstaunt an!“, sagte er. „Larry, dieser Taugenichts, ist schon auf und davon. Ein zweites Mal werde ich es nicht zulassen, dass ...“

„Pa, du kannst mir deinen Willen nicht aufzwingen!“, entfuhr es dem wütenden Josh. „Ich habe ein Recht auf mein eigenes Leben, und zwar so, wie ich es mir vorstelle, und nicht, wie du es vielleicht für uns beide geplant hast.“

Will zuckte unwillkürlich zusammen, denn auch er ahnte, dass Brett Justin Calhoun diese Worte nicht kommentarlos schlucken würde. Er hatte recht mit seiner Vermutung, denn der alte Calhoun schlug mit der Faust so hart auf den Eichentisch, dass dieser zu zittern begann.

„Du hältst dich wohl für was Besseres, wie?“, schimpfte er. „Solange du hier in meinem Haus noch die Beine unter den Tisch steckst, tust du gefälligst, was ich sage. Ein Grünschnabel wie du muss erst einmal beweisen, wozu er überhaupt imstande ist!“

Abrupt erhob sich Josh. So hastig, dass der Stuhl nach hinten kippte und schließlich zu Boden polterte. Sein Gesicht war eine Grimasse des Zorns, als er zur Tür hastete und sie aufriss. Es machte ihm nichts aus, dass der Nachtwind ihm Regenschleier entgegenpeitschte, die ihn innerhalb weniger Augenblicke von Kopf bis Fuß durchnässten. Auch wenn es nur wenige Schritte bis zur Scheune waren, die er jetzt im strömenden Regen zurücklegte.

„Josh, warte doch!“, hörte er drüben beim Wohnhaus die Stimme seines Bruders Will. Aber Josh hatte keine Lust, mit ihm zu reden. Jetzt wollte er allein sein mit sich und seinen verzweifelten Gedanken, die ihm in diesen Sekunden durch den Kopf gingen.

Die feuchte Kleidung klebte unangenehm auf seiner Haut, als er endlich die schützende Scheune erreichte. Aber dann musste er erkennen, dass Will sich so schnell noch nicht geschlagen gab. Der Bruder war ihm bis zur Scheune gefolgt und dabei ebenfalls bis auf die Haut durchnässt worden.

„Was willst du?“, fragte Josh ihn barsch. „Ich möchte allein sein, Will. Zumindest für die nächste Stunde.“

„Nimm es nicht so schwer, Josh“, versuchte ihn Will zu trösten, denn er hatte es bisher immer irgendwie geschafft, eine Auseinandersetzung mit seinem Vater zu vermeiden. Weil er im passenden Moment klein beigegeben und sich stattdessen seine eigenen Gedanken gemacht hatte. „Du kennst doch Pas Dickschädel, Josh“, fuhr er fort. „Ganz bestimmt wird er sich wieder beruhigen und einsehen, dass er im Unrecht war.“

„Glaubst du an Wunder?“, fragte Josh ihn stattdessen mit grenzenloser Bitterkeit. „Pa wird sich nie mehr ändern. Er sieht nur sich, sonst niemanden. Das scheint bei den Calhouns wohl so erblich zu sein. Larry hat das nicht mehr ertragen können und deswegen seine Konsequenzen gezogen.“

„Morgen sieht das alles ganz anders aus, Josh“, warf Will ein. „Vergiss deinen Zorn, auch wenn du recht hast mit dem, was du Pa begreiflich machen wolltest.“

Er ging einen Schritt auf Josh zu, klopfte ihm auf die Schulter, um ihm wieder Mut zu machen.

„Wir lassen uns schon nicht unterkriegen, Bruder“, sagte er grinsend. „Und jetzt komm wieder mit ins Haus, okay?“

„Ich möchte noch etwas allein sein, Will“, erwiderte Josh kopfschüttelnd. „Geh nur schon vor, ich komme bald nach.“

„Aber lass dir nicht zu viel Zeit damit“, meinte Will dann. Er nickte Josh noch einmal kurz zu, bevor er sich schließlich abwandte, die Scheune verließ und mit schnellen Schritten durch den strömenden Regen, der einfach nicht nachlassen wollte, hinüber zum Wohnhaus eilte.

Hätte er jetzt das Mienenspiel seines Bruders beobachten können, so wäre er ganz bestimmt noch skeptisch geblieben. So aber sah er nicht Joshs funkelnde Blicke und seine vor Zorn zusammengeballten Fäuste.

„So nicht, Pa“, murmelte Josh vor sich hin, während der stetige Regen monoton auf das Scheunendach trommelte. Zwar hatte das heftige Donnern wieder etwas nachgelassen, aber der Regen würde wohl noch die ganze Nacht andauern und die Felder in ein Meer von Schlamm verwandeln.

Aber darüber würde Josh Calhoun sich nicht mehr den Kopf zerbrechen, denn in diesen Sekunden hatte er einen Entschluss gefasst. Es war ein Entschluss, dessen Folgen Josh erst sehr spät bemerken sollte.

* * *

Irgendwann zwischen Mitternacht und Morgengrauen schlich sich Josh auf leisen Sohlen aus dem Haus. Immer wieder blickte er sich um, wollte sichergehen, dass Will und Brett Justin Calhoun tief und fest schliefen. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte Will einen leichten Schlaf, und es hatte Josh ziemliche Mühe gekostet, sich aus der Kammer zu schleichen, ohne dass der Bruder aufwachte.