Corporate Love - Van - Melanie Moreland - E-Book

Corporate Love - Van E-Book

Melanie Moreland

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Beschreibung

Zwei, die von der Liebe enttäuscht wurden und eine neue Chance bekommen

Olivia Rourke hat sich einmal die Finger verbrannt und will seitdem nichts mehr von Männern wissen. Doch dann tritt sie einen neuen Job an und muss mit Vince Morrison zusammenarbeiten. Dieser ist so ganz anders als ihr Ex: Van ist zuverlässig und hat einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, er ist stark und gleichzeitig sanft. Und sobald sie seine raue Stimme hört, beginnt ihr Herz schneller zu schlagen. Van ist alles, was sie sich wünscht und gleichzeitig auch alles, was sie nicht haben kann. Denn Olivia hat noch jemanden, an den sie denken muss ...

"Warm und lustig und romantisch - einfach wunderbar! Van, Olivia und Sammy haben mein Herz gestohlen, und ich will es gar nicht zurückhaben." B. CRANFORD, BESTSELLER-AUTORIN

Band 5 der CORPORATE-LOVE-Serie von Bestseller-Autorin Melanie Moreland

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Seitenzahl: 476

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

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17

18

19

Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Melanie Moreland bei LYX

Leseprobe

Impressum

MELANIE MORELAND

Corporate Love

VAN

Roman

Ins Deutsche übertragen von Hans Link

Zu diesem Buch

Olivia Rourke hat sich einmal gehörig die Finger verbrannt und will seitdem nichts mehr von Männern wissen. Doch dann tritt sie einen neuen Job an und muss mit Vince Morrison zusammenarbeiten. Dieser ist so ganz anders als ihr Ex: Van ist zuverlässig und hat einen ausgeprägten Beschützerinstinkt, er ist stark und gleichzeitig sanft. Und sobald sie seine raue Stimme hört, beginnt ihr Herz schneller zu schlagen. Van ist alles, was sie sich wünscht und gleichzeitig auch alles, was sie nicht haben kann. Denn Olivia hat noch jemanden, an den sie denken muss …

Für meinen Matthew

Weil deine Liebe der Grund ist für alles, was ich bin,

und alles, was ich zu tun imstande bin.

Immer

1

Van

Ich ließ mich schwer auf meinen Stuhl fallen, der zum Zeichen seines Protests unter mir quietschte. Meine Klamotten waren voller Staub, und ich fuhr mir müde mit der Hand durch mein unordentliches Haar und verzog das Gesicht, als meine Finger an etwas Spachtelmasse hängen blieben.

Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen.

Ein leises Stöhnen entwich mir, während ich die Schultern kreisen ließ und meine schmerzenden Finger bewegte. Die linke Körperseite tat am meisten weh, das eine Bein steif und empfindlich, und es fügte den Unannehmlichkeiten des Tages eine weitere hinzu. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, war ich auch noch hungrig, und bedauerlicherweise hatte das Café bei uns im Haus so spät schon geschlossen.

Mein Büro lag im hinteren Teil des BAM-Gebäudes im Erdgeschoss. Bentley Ridge hatte BAM, ein überaus erfolgreiches, vielfältig aufgestelltes Unternehmen, gegründet. Zusammen mit seinen beiden besten Freunden, Aiden Callaghan und Maddox Riley, hatten sie aus Bentleys Vision einer Firma zur Grundstücksentwicklung einen mehrere Milliarden schweren Konzern gemacht. Erschließung von Baugrund, größere Beteiligungen und Investitionsmöglichkeiten waren nur ein paar der Geschäftsfelder von BAM. Mich hielt Bentleys vorrangige Leidenschaft, Häuser zu kaufen, umzubauen und dann weiterzuverkaufen, auf Trab. Ich sorgte dafür, dass seine Gewinnmarge hoch blieb. Ich liebte meine Arbeit – und die Firma, für die ich arbeitete. Alle Inhaber von BAM verfolgten eine einfache Regel: Behandle deine Angestellten gut, und belohne sie für ihre harte Arbeit. Es funktionierte. Ich hatte noch kein anderes Unternehmen kennengelernt, bei dem es so glatt lief wie hier.

Das kleine Café im Haus erfreute sich großer Beliebtheit, vor allem bei Aiden und mir. Obwohl die Öffentlichkeit Zugang dazu hatte, waren es doch vor allem wir von BAM, die für den Umsatz sorgten – das Gebäck war erstklassig, die Sandwiches fantastisch, und das Pärchen, das das Café betrieb, kannte uns alle mit Namen und wusste, welche Vorlieben wir hatten. Bei mir war das so ziemlich alles auf der Karte.

Doch heute Abend würde ich mich mit Pizza begnügen müssen.

Für einen Moment ließ ich den Kopf gegen die Rückenlehne fallen, schloss die Augen und genoss die Stille.

Ich teilte mir das Büro mit Jordan Hayes, der sich im Detail um die größeren Baustellen und Projekte von BAM kümmerte. In unserem Büro lagen überall Pläne, Entwürfe und Modelle herum. Die Regale quollen über vor Büchern und Akten, und in den Schränken befanden sich eine Menge Werkzeug und andere Dinge, die ich sicher aufbewahrt wissen wollte. An einem Ende des Büros stand ein großer Tisch, den wir für Meetings nutzten – falls wir ihn nicht mit allerhand Kram selbst blockiert hatten. Die Tür zur hinteren Laderampe war praktisch, und ich konnte meinen großen Truck dort parken.

Am anderen Ende des Flurs befand sich ein Bereich, den die verschiedenen Teams nutzten, wenn sie Büroräume brauchten, und den Rest des Stockwerks belegte das Designteam unter der Leitung von Olivia Rourke, die vor einem Jahr eingestellt worden war und damit als Designerin eine Lücke füllte. Sie kümmerte sich um die komplette Gestaltung der Häuser, Eigentumswohnungen und Apartments, die Bentley erwarb, auf Vordermann bringen ließ und dann zum Kauf anbot. Dieser Geschäftszweig des Unternehmens sorgte dafür, dass wir beiden und unsere Teams, mit deren Hilfe wir ständig an neuen Projekten arbeiteten, immer beschäftigt waren. Gelegentlich wurden wir auch bei den größeren Projekten eingebunden, aber für gewöhnlich befanden die sich in den fähigen Händen von Jordan und seinem gewaltigen Netzwerk von Bauunternehmern und Handwerkern.

Ein Stich fuhr mir durch den Arm, und ich griff mit einem Stöhnen nach dem Paracetamol und schluckte mit warmem Wasser aus einer Flasche auf meinem Schreibtisch zwei Tabletten. Der Minikühlschrank war zu weit weg, um eine kalte Flasche zu holen.

Ich ließ den Kopf auf die Brust sinken und atmete tief durch. Ich konzentrierte mich ganz auf meinen Atem, der in meine Lungen hinein- und wieder hinausströmte. Dann arbeitete ich mich durch den Schmerz hindurch und wartete, bis das Schmerzmittel zu wirken begann.

Ich öffnete und schloss die Hand und fragte mich, ob ich mal wieder zum Arzt gehen sollte oder ob es einfach an zu viel Arbeit lag. Zu diesem Job gehörten eine Menge Abrissarbeiten, das Einreißen von Mauern, schweres Heben und lange Arbeitszeiten. Lauter Tätigkeiten, die ich liebte und gut machte, aber jetzt war ich müde.

Vielleicht wurde ich langsam zu alt für diesen Scheiß. Manchmal fühlten sich neununddreißig Jahre uralt an.

Ein Räuspern schreckte mich auf, sodass ich die Augen aufriss und die leere Flasche umwarf, die an der Tischkante stand. In meiner Tür stand Liv. Das Licht aus dem Flur betonte die glänzenden Strähnchen in ihrem hellbraunen Haar und ließ es wie einen Heiligenschein um ihr Gesicht herum aufleuchten. Klein und kurvig, trug sie ihre gewohnte Arbeitskleidung. Eine lange, locker fallende Bluse über dunklen Leggins. Ihr Haar war immer zu einem Knoten oder einem langen Zopf frisiert, den sie sich über eine Schulter warf, so wie heute Abend. Ohne hinzuschauen, wusste ich, dass ihre Füße entweder in flachen Schuhen oder in knöchelhohen Sneakers steckten. Wenn wir auf der Baustelle arbeiteten, trug sie an ihren kleinen Füßen Stiefel mit Stahlkappen, die ich in Kombination mit dem Helm auf ihrem Kopf unglaublich sexy fand.

Eine Tatsache, die ich noch nie jemandem mitgeteilt hatte.

Unsere Beziehung war rein beruflicher Art.

»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Ich dachte, ich bin der Einzige, der noch da ist«, gab ich zu. »Du bist immer noch im Büro? Ist alles in Ordnung?«

Sie blieb zögernd in der Tür stehen, doch ich winkte sie herein.

»Ich arbeite nur noch ein paar Sachen ab. Hast du Bentleys E-Mail von vorhin gelesen?«, fragte sie.

»Nein, ich war den ganzen Tag mit Abrissarbeiten im Randall-Haus beschäftigt und habe meine E-Mails nicht gecheckt.« Ich grinste. »Worauf hat er denn jetzt wieder ein Auge geworfen?«

Sie ließ sich auf einen Sessel vor meinem Schreibtisch fallen und zog die Beine unter sich. So, wie sie es sich auf dem großen Sessel bequem machte, erinnerte sie mich an eine Katze, die sich in einem Korb zusammenrollte. Ich wusste, dass sie es tat, weil ihre Füße nicht bis auf den Boden reichten, wenn sie auf diesem Sessel saß. Ich wusste auch, dass es ihr Lieblingssessel im Büro war. Er war bequem. Ich war weiß Gott schon mehr als einmal darin eingedöst.

»Er hat eine Hütte am Niagara gefunden. Sie steht auf einer Klippe – die Aussicht ist umwerfend, aber sie ist in ziemlich schlechtem Zustand. Er will, dass wir sie uns ansehen. Er ist nicht sicher, ob sie abgerissen oder nur renoviert werden muss.«

»Wie hat er sie gefunden?«

»Von einem Boot aus, mit dem sie letztes Wochenende unterwegs waren. Er hat den Besitzer ausfindig gemacht. Anscheinend steht die Hütte schon seit geraumer Zeit leer und braucht, um es in seinen Worten auszudrücken, ein bisschen liebevolle Pflege.«

Ich lachte. »Nur Bentley würde bei einer Bootsfahrt mit seiner Frau eine baufällige Hütte bemerken und sich dafür interessieren. Ich wette, Emmy war schwer beeindruckt. Wahrscheinlich hat er sofort damit angefangen, den Besitzer zu finden.«

Liv lächelte, was ihre Züge völlig verwandelte. Sie war auf eine unauffällige Weise hübsch und hatte große Augen in einem ungewöhnlichen Goldbraun mit einem schwarzen Ring um die Iris. Ihre cremefarbene Haut war voller Sommersprossen, die sich über ihren Nasenrücken und ihre Wangen verteilten. Ihre Lippen waren voll und von einem dunklen Rosa – und faszinierten mich. Ich fragte mich immer, ob ihre Lippen rosa blieben, nachdem sie geküsst worden waren, oder ob sie dann noch dunkler wurden.

Ich schüttelte den Kopf, um ihn freizukriegen, und konzentrierte mich auf ihr Lächeln. Es ließ ihr Gesicht erstrahlen und einen Kranz von Fältchen um ihre Augen und zwei tiefe Grübchen auf ihren Wangen erscheinen. Sie lächelte nicht oft, aber wenn es geschah, war es wunderschön.

»In seiner E-Mail hat er geschrieben, er hätte Fotos gemacht und Aiden und Reid gebeten, ein bisschen in der Vergangenheit zu graben. Der Besitzer hat die Hütte von seinem Großvater geerbt und kein Interesse daran. Er lebt in den Staaten und erinnert sich nur noch daran, wie schwer es war, die Hütte zu erreichen, und wie sehr er sich bei seinen Aufenthalten als Kind dort gelangweilt hat. Das eine oder andere wurde wohl renoviert, um sie ein paar Jahre lang im Sommer zu vermieten, aber das war ihm auf die Dauer zu viel Aufwand, sodass sie seit einiger Zeit leer steht.«

»Puh, mit dem Grundstück drum herum muss sie eine Menge wert sein.«

»Bestimmt hat Bentley ihm ein faires Angebot gemacht. Wenn BAM erst mal die Sache in die Hand genommen hat, wird sie noch mehr wert sein.«

Ich stöhnte. »Er hat sie bereits gekauft? Unbesehen?«

»Jepp.«

»Also haben wir auf jeden Fall einen neuen Auftrag.« Ich blickte über die vielen Ordner auf meinem Schreibtisch. »Hat das Priorität?«

»Nein. Aber er will, dass wir in zwei Wochen mit ihm hinfahren und sie uns ansehen, um ihm zu sagen, was wir davon halten.«

Ich nahm ein Stück Papier und machte mir eine Notiz. Liv kicherte, als ich mich umdrehte, um eine Reißzwecke zu suchen und den Zettel zu den zahlreichen anderen Notizen hinzuzufügen, die bereits an der Pinnwand hinter mir steckten.

»In deinem Computer könntest du besser den Überblick behalten.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe manchmal ein schrecklich schlechtes Gedächtnis. Meine Mom hat immer gesagt, ich würde meinen Kopf vergessen, wenn er nicht angewachsen wäre. Ich vergesse ständig irgendwas, wenn ich es nicht in meinen Kalender schreibe oder mir eine Notiz in meinem Handy mache.«

Ich wehrte ihren Einwand kopfschüttelnd ab. »Das hasse ich. Ich muss hier für manches einen Computer benutzen, aber ich ziehe mein eigenes System vor.«

»Das nennst du System?«

»Es funktioniert.«

»Reid findet es bestimmt schrecklich, hier hereinzukommen.«

Jetzt war es an mir zu lachen. Reid war das IT-Genie von BAM – sein brillanter Verstand war immer allen anderen zehn Schritte voraus und unser Computersystem dank ihm unglaublich.

»Reid und ich verstehen uns bestens. Ich nutze für all den geschäftlichen Kram, was ich nutzen muss. Und ich werde es auch in meinem Telefon notieren, aber ich bevorzuge die altmodischen Methoden. Ich habe zu Hause einen Laptop, den ich nur selten aufklappe.«

»Kein Social-Media-Kram?«

»Nichts dergleichen. Gar nichts. Kein Facebook, Twitter, Instagram. Absolut nichts.«

»Das kann ich verstehen. Ich hasse es, Textnachrichten zu verschicken, obwohl das jeder tut.« Sie legte die Stirn in Falten. »Was ist mit deinen Auftritten?«

Ich zog die Schulter hoch und versuchte, nicht zusammenzucken. Sie tat immer noch weh. »Einer von den Jungs postet die Sachen immer. Ich gehe hin, um zu spielen und Spaß an der Musik zu haben. Den Rest überlasse ich ihnen. Wenn ich allein auftrete und jemanden dabeihaben will, lass ich es ihn wissen. Anderenfalls spiele ich einfach nur. Es geht nicht darum, wie viele kommen, oder um das Geld …«

»Es geht um die Musik«, beendete sie den Satz für mich.

»Ja.«

Sie runzelte die Stirn und sah mich besorgt an. »Alles in Ordnung mit dir? Du zuckst ständig so zusammen.«

»Ich bin nur ein wenig steif, das ist alles. Es war ein langer Tag.«

»Übertreibst du es etwa?«

Ihre Besorgnis war rührend. »Es geht mir gut, Liv. Ich habe eine alte Verletzung, die sich manchmal wieder meldet, wenn ich es zu toll treibe. Wir haben heute eine Decke mit Gipsplatten verkleidet, und ich hatte einen Mann zu wenig, weshalb ich mehr heben musste. Morgen ist bestimmt alles wieder in Ordnung.«

»Massage.«

»Wie bitte?«

»Eine Massage würde helfen. Ein paar einfache Yoga-Dehnübungen würden ebenfalls die Muskeln lockern.«

Ich räusperte mich. »Äh, Yoga?«

Sie bedachte mich mit einem weiteren Lächeln und einem leisen Lachen. »Ich weiß, dass du viel mit Aiden trainierst. Aber Yoga wirkt Wunder für den Körper. Mir hilft es sehr.«

Ich versuchte, mir nicht vorzustellen, wie sie Yoga-Übungen machte. In meinem Kopf wurden die lockere Bluse und die Leggins durch ein enges Shirt und Shorts ersetzt. Ich hatte sie einmal in einem Kleid gesehen. Es hatte sich um die Kurven geschmiegt, die sie sonst versteckte, und ihre wohlgeformten Beine sehen lassen, betont von ihren schweren Brüsten und ihrer Wespentaille. Damals war mir zum ersten Mal aufgefallen, wie unglaublich attraktiv sie war, und ich hatte mich gefragt, warum sie ihre Schönheit fast immer versteckte. Die Vorstellung, wie sich ihr Körper beim Yoga dehnte und bog, genügte, um meine Fantasie zu befeuern und den Gedanken, die ich mir normalerweise verbot, freien Lauf zu lassen. Zu beobachten, wie sie sich beugte und ihren Körper in alle Richtungen streckte. Ihre Haut feucht glänzen zu sehen. Sich zu ihr auf die Matte zu legen und ihr eine ganz neue Art des Work-outs zu zeigen, das damit endete, dass ich in ihr war und mein Name von ihren Lippen kam.

»Van?«

Ich fuhr hoch, und mir wurde bewusst, dass mein Kopf nach hinten gefallen war und meine Augen sich geschlossen hatten. Ich hatte mich völlig in Fantasien über Livs Körper und über Sex mit ihr verloren.

Was zur Hölle war heute Abend los mit mir?

Ich richtete mich auf, schüttelte den Kopf und suchte nach Worten. »Ja, äh, sorry. Ich schätze, ich bin müder, als ich dachte.«

»Ich kenne eine tolle Masseurin, falls du es mal ausprobieren willst. Eve ist große Klasse.«

»Das werde ich mir merken.«

Es entstand eine Pause, bevor sie weitersprach. »Du siehst wirklich müde aus.«

»Dieses Projekt bringt eine Menge Arbeit mit sich.« Ich fuhr mir grinsend durchs Haar, und ein Stück Gipsputz fiel auf den Schreibtisch. »Und es ist schmutzig.«

Ihr Lachen klang wie eine Melodie. »Das gehört zum Job. Letzte Woche habe ich mit Kim ein Zimmer gestrichen. Als ich mich vorgebeugt habe, um eine Stelle zu erwischen, die ich übersehen hatte, ist sie mit mir zusammengestoßen. Den Rest des Tages bin ich dann mit dunklem Türkis auf dem Kopf herumgelaufen. Es hat eine Ewigkeit gedauert, es rauszuwaschen. Sammy wollte, dass ich es drin lasse. Sie fand es cool.«

Ich nahm die Wärme in ihrer Stimme wahr, als sie ihre fünfjährige Tochter erwähnte. Ich war ihr nur einmal begegnet, und sie war wirklich niedlich. Brav und still. Sie sah aus wie Liv, nur dass sie dunkle Augen hatte. Über Sammys Vater war mir überhaupt nichts bekannt, abgesehen davon, dass er nicht präsent war und Liv die Kleine allein großzog. Ihre Mutter half ihr viel und stand ihnen beiden sehr nah, aber abgesehen von ein paar lustigen Geschichten, die Liv erzählte hatte, war das alles, was ich wusste.

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Ich musste ihr sagen, dass mein Chef mich ohne türkisfarbenes Haar lieber mag.«

»Wie schade.«

Lachend stand sie auf und strich sich über ihre Bluse, um die Falten zu glätten. Ich verbot mir die Vorstellung, wie ihre Kurven sich unter meinen Händen anfühlen würden.

»Du solltest nach Hause gehen und dich ein wenig ausruhen. Ich muss auch los«, sagte sie.

»Hast du was vor?«, fragte ich in dem Bemühen, beiläufig zu klingen.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss Sammy abholen. Mom hat sie zu einer Geburtstagsfeier mit Pizza und Kinobesuch am Nachmittag gebracht, daher habe ich die Gunst der Stunde genutzt und ein wenig Arbeit aufgeholt.«

»Ah.«

Ich stellte ihr keine Fragen. Liv war sehr auf ihre Privatsphäre bedacht, genau wie ich selbst, deshalb drang ich niemals in sie.

Unsere Beziehung war schließlich rein beruflicher Art.

Sie lächelte. »Wenigstens haben wir Wochenende. Du kannst dich ausruhen.«

»Ja, Gott sei Dank.«

Sie ging zur Tür und blieb dort noch einmal stehen. »Voltaren-Salbe wirkt wirklich gut bei Gelenkschmerzen.«

Ich machte mir nicht die Mühe, ihr zu erzählen, dass ich einen ganzen Schrank voller Medikamente und Salben hatte, die gegen die Schmerzen helfen sollten. »Danke.«

Ihr Telefon rutschte ihr aus der Hand, und sie beugte sich vor, um es aufzuheben. Die Bewegung ließ ihre Bluse nach oben gleiten und bescherte mir einen langen Blick auf ihren Hintern. Ihren spektakulären, vollen, runden Hintern.

Plötzlich wollte ich nur noch von meinem Stuhl aufspringen und durch den Raum laufen. Ihren Hintern packen und ihn streicheln. Hineinbeißen. Sie hochheben, mit ihrem süßen Hintern auf meinen Schreibtisch setzen und sie vögeln.

Sie richtete sich auf und stoppte damit meine lüsternen Gedanken. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie meinen Gesichtsausdruck, dann hob sie die Hand zu einem kurzen Gruß.

»Ich wünsche dir ein schönes Wochenende, Van. Hoffentlich geht es deiner Schulter bald besser.«

Ich winkte zurück, außerstande zu sprechen, verwirrt von dem plötzlichen Ansturm der Gedanken an Sex mit Liv.

Gedanken, denen ich niemals Taten folgen lassen würde.

Ich riss frustriert an meinem Haar. Ich musste dringend mal wieder Sex haben. Das war das Problem. Es war eine Weile her. Eine ziemliche Weile. Ich runzelte die Stirn und versuchte, mich daran zu erinnern. Die letzte Frau, mit der ich zusammen gewesen war, war …

Scheiße. Ich wusste es nicht einmal mehr. Ich starrte zur Decke hoch und versuchte, mich darauf zu besinnen. Es war im vergangenen Jahr gewesen. Zu Anfang des vergangenen Jahres. Irgendwann, bevor Liv bei BAM angefangen hatte.

Was das eine Ereignis mit dem anderen zu tun hatte, wusste ich nicht, aber irgendwie blieb ich in Gedanken daran hängen.

Liv.

Hübsch, witzig, fürsorglich und unberührbar.

Sie war eine Kollegin. Sieben Jahre jünger als ich. Mutter. Süß, freundlich und aufmerksam. Die Art Frau, mit der man nicht spielte. Sie war etwas für immer, nicht für nebenbei.

Und für immer machte ich nicht. Ich hatte es einmal versucht, und es war ein Misserfolg gewesen.

Unsere Beziehung würde rein beruflich bleiben.

Genau so musste es sein.

Ich spürte einen anderen Schmerz, als Erinnerungen aus der Vergangenheit in mir hochstiegen. Die düsteren, die mich in ihren Sog zogen und mir vergegenwärtigten, warum ich mich dafür entschieden hatte, allein zu bleiben.

Warum ich meinem Herzen niemals gestatten würde, über mein Leben zu bestimmen.

2

Van

Ich konnte einfach nicht schlafen. Was ich auch versuchte, nichts half. Die lange heiße Dusche, die ich genommen hatte, nachdem ich nach Hause gekommen war, hatte den Dauerschmerz kaum gelindert. Ich hatte Salbe gegen die Schmerzen auf Schultern und Beine geschmiert und noch mehr Tabletten geschluckt, aber das Pochen ließ nicht nach. Obwohl ich mich nicht gern von Fremden anfassen ließ, war der Gedanke an jemanden, der meinen Nacken und meine Schultern bearbeitete, verführerisch. Schließlich gab ich den Versuch einzuschlafen auf, schwang die Beine aus dem Bett und setzte mich auf die Kante.

Ich würde Liv eine SMS schicken und sie um die Nummer bitten.

Liv.

Sie war mir die ganze Nacht nicht aus dem Kopf gegangen. Warum, konnte ich nicht sagen, aber aus irgendeinem Grund war sie mir während der vergangenen zwei Monate häufiger durch den Kopf gegeistert, als ich zugeben mochte.

Ich arbeitete gern mit ihr zusammen. Sie war intelligent und kreativ. Sie hatte so eine Art, ein Zimmer oder eine Zeichnung zu studieren und dann mit einigen wenigen Handbewegungen einen einfachen Raum in etwas Wunderschönes zu verwandeln. Sie konnte sich die dunkelste Stelle vornehmen und Licht hineinbringen. Die Atmosphäre eines Zimmers mit Farbe und Materialien verändern. Ihre Vorstellungskraft war unglaublich. Sie war geduldig und ruhig – und eine gute Zuhörerin. Die Kunden liebten sie. Bentley vertraute ihr uneingeschränkt und akzeptierte bei jedem Projekt ihre Vorschläge, ohne Fragen zu stellen. Wir konnten uns glücklich schätzen, sie bei BAM zu haben. Die ihr unterstellten Mitarbeiter hielten große Stücke auf sie, und sie hatte ein gutes Verhältnis zu ihnen. Vernünftig und tolerant, wie sie war, behandelte sie jeden um sich herum mit Höflichkeit und Respekt. Unsere Zusammenarbeit war großartig, denn sie beruhte auf gegenseitiger Bewunderung. Wenn wir miteinander zu tun hatten, war das immer unbefangen und voller Humor.

Doch in letzter Zeit wünschte ich mir etwas anderes. Ich wollte sie kennenlernen. Mich mit der Privatperson hinter der lockeren Kleidung, den außerordentlichen Augen und dem brillanten Verstand vertraut machen, und Liv finden. Es war ein eigenartiges Gefühl – eins, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es noch einmal erleben würde. Und ich wusste nicht, ob ich es mir gestatten sollte, es überhaupt zu versuchen. Doch das Gefühl wollte einfach nicht verschwinden. Da war etwas an ihr, das mich zu ihr hinzog, und es war in den Monaten, seit wir uns kannten, nur gewachsen, ganz gleich, wie sehr ich auch versuchte, dagegen anzukämpfen – oder es zu leugnen. Vielleicht war ich es einfach leid, dagegen anzukämpfen. Oder vielleicht war ich endlich bereit, es noch einmal zu versuchen. Ich wusste nur, dass das zum ersten Mal seit Jahren passierte, und ich wollte mehr. Ich wollte sie. Sie war süß, klug und wortgewandt. Höllisch sexy mit einer unauffälligen Schönheit, die ich faszinierend fand. Es war eine tolle Kombination.

Im Badezimmerspiegel musterte ich mein Gesicht. Ich sah müde aus, und die Falten um meine Augen herum waren tiefer als gewöhnlich. Die lange Narbe, die sich über meine Schulter und meinen Arm zog, war gerunzelt und verzogen – eine Erinnerung daran, warum es keine gute Idee war, jemandem zu nah zu kommen. Ich rieb mir über das Gesicht, zu erschöpft, um mich noch zu rasieren, dann stellte ich mich unter die Dusche, drehte das Wasser so heiß, wie ich es aushalten konnte, und hoffte, dass eine weitere Dusche helfen würde, die Schmerzen zu lindern. Ich stemmte die Arme gegen die Kacheln, ließ die Schultern kreisen und die Wärme in mich eindringen und meine Muskeln lockern. So blieb ich stehen, bis das Wasser nur noch lauwarm war, dann wusch ich mich schnell und drehte den Hahn zu. Der Raum war voller Dampf, und das Kondenswasser lief am Glas hinunter, endlose Bäche von Wasser, die nirgendwo hingingen.

Irgendwie so wie mein Leben.

Zu rastlos, um zu Hause zu bleiben, machte ich mich auf den Weg ins Büro. Wie gewöhnlich war Toronto so früh an einem Samstagmorgen ruhiger, der Verkehr nicht so dicht, und ich erreichte mein Ziel sehr schnell. Als ich den Wagen an der Laderampe abstellte, war ich irgendwie nicht besonders überrascht, Jordans SUV auf seinem Parkplatz stehen zu sehen. Dankbar dafür, dass das Café im Gebäude auch am Samstag früh öffnete, ging ich als Erstes dorthin, um mir Kaffee und eine Schachtel mit dem Gebäck, das wir regelmäßig verschlangen, zu holen. Rhonda, die Besitzerin, grinste mich an, als sie mir die Schachtel reichte.

»Brennstoff für einen arbeitsreichen Tag, Van?«

»Die sind nicht alle für mich.« Ich zwinkerte ihr zu.

Bob, ihr Ehemann, lachte leise, als er mir das Tablett mit vier Bechern Kaffee reichte. »Und die sind auch nicht alle für Sie?«

»Jordan muss hier irgendwo sein. Ich bin mir sicher, dass ein paar vom Team kommen, und man kann nie wissen, wann Aiden auftaucht.«

Rhonda lachte und schob sich eine Strähne ihres weißen Haares hinters Ohr. »Dieser Mann und sein Zitronen-Blätterteigteilchen. Ich habe drei davon in die Schachtel gepackt, nur für den Fall des Falles.«

Ich stellte das Kaffeetablett auf die Schachtel mit dem Gebäck. »Danke, Rhonda.«

»Keine Ursache.«

Ich ging hinten durch den Flur und benutzte meine Ausweiskarte, um durch die Tür zu kommen, die zum nicht öffentlich zugänglichen Teil des BAM-Gebäudes führte. In unserem Büro saß Jordan mit gesenktem Kopf über einem Stapel Papiere, und der Haufen bearbeiteter Dokumente neben ihm war genauso groß wie der, mit dem er gerade beschäftigt war. Ich hasste Papierkram, im Gegensatz zu Jordan, der dafür sorgte, dass wir, was Genehmigungen, Lizenzen und Vereinbarungen anging, alles hatten, was wir brauchten, um einen Auftrag zu Ende zu bringen und auf Kurs zu bleiben. Er regelte das alles unter penibler Beachtung der Details und mit seiner ruhigen Wesensart.

»Du siehst aus, als würdest du das hier genauso sehr brauchen wie ich«, unterbrach ich ihn.

Er schaute auf, seine grünen Augen hinter den Brillengläsern sahen mich müde an. Aber sein Lächeln war herzlich und offen, und er begrüßte mich mit seiner gewohnten Freundlichkeit.

»Du rettest mir das Leben.«

Ich reichte ihm einen Kaffee und klappte den Deckel der Schachtel mit dem Gebäck auf. Er nahm sich ein Kirsch-Plunderteilchen und biss seufzend hinein. »Manna vom Himmel.«

Ich schnappte mir ein Zitronen-Blätterteigteilchen, das nicht nur Aidens Lieblingsgebäck war, sondern auch meins, und gab mich voller Dankbarkeit dem frisch und süß schmeckenden Gebäck hin. Dann setzte ich mich an den Schreibtisch, nippte an meinem Kaffee und verzehrte zwei weitere Teilchen.

»Woran arbeitest du?«

»Immer noch an den Ridge-Towers. Phase zwei. Außerdem gehe ich die neuen Pläne für die Ridge-Estates durch.« Er lachte leise, aß den letzten Bissen seines Gebäckstücks auf und wischte sich über den Mund. »Die Jungs sorgen dafür, dass mir die Arbeit nicht ausgeht.«

»Das tun sie doch immer.«

Er durchsuchte einen Stapel auf seinem Tisch und reichte mir ein paar graue Mappen. Jeder Mitarbeiter hatte seine eigene Farbe. »Das hier sind deine für die nächsten Objekte, an denen du arbeitest. Sie sind in der richtigen Reihenfolge.«

Ich nahm die Mappen entgegen. »Toll.«

»Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich mit Bentleys neuer Erwerbung näher zu befassen.«

»Der leer stehenden Hütte?«

»Ja.« Er schüttelte den Kopf. »Typisch Bentley.«

»Genau das habe ich auch gesagt.«

Er griff lachend nach seinem Stift. »Wenigstens haben wir einen sicheren Arbeitsplatz.«

Ich drehte mich zu meinem Schreibtisch um und klappte die erste Mappe auf. »Stimmt.«

Ich arbeitete ein Weilchen, sortierte und erstellte mir eine Liste der Projekte, machte mir Notizen und gab Informationen in meinen Laptop ein, die ich auch in meinen Kalender eintrug. Trotz meiner Neckereien mit Liv nutzte ich auch die Technik für meine Arbeit. Ich zog zwar meine handgeschriebenen Zettel vor, aber die bekam außer mir keiner zu Gesicht. Mein Team und Jordan hatten auf unserem gemeinsamen Laufwerk Zugang zu den Infos, wenn sie sie brauchten. Jordan arbeitete noch eine Stunde lang, dann verabschiedete er sich und nahm sich auf dem Weg hinaus noch ein Croissant.

Ich setzte mich an das Zeichenbrett in der Ecke und studierte den Grundriss eines Hauses, das BAM unlängst erworben hatte. Es befand sich in einer tollen Gegend, war groß und solide gebaut, aber seit Jahren war nichts mehr daran gemacht worden. Man hatte zusätzliche Wände eingezogen, sodass die Räume recht klein waren, und Liv hatte vor, diese wieder zu entfernen und die Zimmeraufteilung zu ändern. Außerdem wollte sie die Küche ans andere Ende des Hauses verlegen, einen Wintergarten sowie ein Schlafzimmer im Erdgeschoss anbauen und weitere Veränderungen im ersten Stock vornehmen. Das Ganze bedeutete eine Heidenarbeit, und auch wenn das Ergebnis sicherlich atemberaubend sein würde, war es mein Job herauszufinden, ob die Planungen auch umsetzbar und, was Kosten und Nutzen anging, eine gute Investition waren. Ich sah mir gern Livs Entwürfe an und sprach mit ihr über ihre Ideen, die ich dann verwirklichte. Sie war intelligent, hatte viel Ahnung und stellte einen selten vor unmögliche Aufgaben. Sie verstand etwas von Statik und tragenden Wänden, und bei ihren Entwürfen hatte sie immer die Grenzen im Blick, innerhalb derer wir arbeiten konnten.

Diesmal jedoch hatte sie ziemlich viele, komplexe Ideen. Ich fing an, mir Zimmer für Zimmer ihre Änderungswünsche aufzuschreiben, machte mir Notizen und hielt fest, welche Probleme wahrscheinlich auftauchen würden.

Ein Geräusch erregte meine Aufmerksamkeit, und ich richtete mich auf, schaute mich um und bemerkte verblüfft, dass ich zwei Stunden lang über den Tisch gebeugt dagesessen hatte, ganz vertieft in die Pläne vor mir. Wieder hörte ich das Geräusch und erkannte jetzt Livs Stimme und eine hohe Kinderstimme, die ihr antwortete. Also stand ich auf, durchquerte das Büro und schaute in den Flur. Lauschte. Ich hörte Livs sanftere Stimme.

»Bald, Sammy. Mommy muss noch ein kleines bisschen arbeiten.«

»Mir ist langweilig!«

»Ich weiß, Baby. Warum malst du Mommy nicht noch ein Bild?«

»Ich hab dir schon drei gemalt. Warum kann ich nicht zu Grammie?«

»Grammie geht es heute nicht gut, Sammy. Mommy muss diese Arbeit erledigen, und ich muss es hier machen. Es dauert nicht mehr lange, und dann können wir in den Park gehen.«

»Kann ich ein Eis haben?«

»Darf ich«, korrigierte Liv sie sanft. »Was sagt man, Samantha?«

»Darf ich ein Eis haben, bitte?«

»Ja. Sei lieb und lass Mommy noch eine Weile arbeiten, dann gehen wir in den Park und essen Eis.«

»Okay.«

Ich ging durch den Flur, lehnte mich gegen den Türrahmen und ließ die Szene vor mir auf mich wirken. Liv saß an ihrem Schreibtisch, inmitten von Zeichenblöcken und Skizzen. Sammy lag der Länge nach auf dem Fußboden, Puppen und Papierblätter überall um sich herum. Offensichtlich waren sie schon seit einer Weile hier, aber ich war so versunken gewesen, dass ich sie überhaupt nicht gehört hatte. Liv trug ein langes dunkles Sweatshirt, die Ärmel bis zu den Ellbogen hochgeschoben. Ihr Haar war heute offen – ein seltener Anblick für mich. Es fiel ihr in langen Wellen über die Schultern und den Rücken, und die goldenen Strähnchen reflektierten das Licht und ließen sie glänzen. Sie arbeitete an einem Entwurf, hauchte ihm Leben ein, und ihre Hände waren voller Farbe.

Sammy beugte den Kopf über ein Blatt Papier, ihr Haar vom gleichen Farbton wie das ihrer Mutter, nur dass es lockig und wild war und sich hin und her bewegte, während sie sich auf ihre Zeichnung konzentrierte.

Sammy bemerkte mich als Erste. Sie sprang auf und wirkte ganz aufgeregt. »Hi!«

Liv schaute auf. Erschrocken riss sie ihre wunderschönen Augen auf, lächelte aber, als sie sah, dass ich es war. »Hey, Van. Ich wusste gar nicht, dass du da bist. Deine Tür war geschlossen.«

Nachdem Jordan gegangen war, hatte ich sie zugemacht, um ungestört zu sein. Wenn Leute vom Team hereinschauten, hielten sie mich oft ewig mit Plaudern von der Arbeit ab. Ich hatte mich konzentrieren wollen.

»Liv. Ich war so beschäftigt, da habe ich erst jetzt gemerkt, dass du hier bist.«

Sammy kam zur Tür gelaufen. »Hi. Ich bin Sammy.«

Ich ging in die Hocke und nahm ihre kleine Hand in meine. »Hi, Sammy. Wir sind uns vor langer Zeit schon mal begegnet. Du bist so groß geworden, dass ich dich kaum wiedererkannt habe.«

Sie grinste breit. »Ich erinnere mich an dich. Du bist Mister Van. Du arbeitest mit meiner Mommy zusammen und baust Sachen.«

Ich lachte. »Der bin ich.«

Sie beugte sich zu mir vor. »Ich will ein neues Regal für meine Puppen haben. Kannst du das bauen?«

»Sammy!«, sagte Liv tadelnd.

Ich schüttelte den Kopf und hob die Hand. »Ist schon gut, Liv.« Dann wandte ich mich wieder an Sammy. »Was für eine Art Regal brauchst du denn?«

Sie breitete die Arme weit aus. »Ein großes!«

»Du musst eine Menge Puppen haben.«

»Und auch Bücher.«

»Ah – Bücher sind gut.«

Das Nicken, mit dem sie antwortete, kam schnell und ließ die Locken um ihre Pausbäckchen fliegen. Abgesehen von ihren dunklen Augen sah sie genauso aus wie Liv, bis hin zu den Sommersprossen auf ihrer Nase. Sie war wirklich ein entzückendes Kind.

»Mommy liest mir jeden Abend vor.« Ihre Augen wurden groß. »Liest du auch gern, Mister Van?«

»Jepp.«

»Mommy bringt es mir bei. Ich kann auch viel lesen, aber ich mag es gern, wenn sie mir vorliest.« Sie beugte sich vor, und ihre Stimme wurde leiser. »Grammie liest mir auch vor, aber sie spricht so schnell, und sie macht keine Stimmen nach. Mommy kann witzige Stimmen machen. Das mag ich.«

Ich begegnete über Sammys Kopf hinweg Livs Blick. Sie beobachtete uns mit einer Mischung aus Geduld und Verzweiflung. Ich grinste und zwinkerte ihr zu, um sie wissen zu lassen, dass alles in Ordnung war.

»Das kann ich mir vorstellen.«

Ich richtete mich auf und schaute lächelnd auf Sammy hinab. Sie legte den Kopf in den Nacken und spähte zu mir empor.

»Bist du ein Riese?«

»Sammy!«, stöhnte Liv.

»Er ist größer als alle, die ich kenne, Mommy! Du hast gesagt, ich lerne Sachen nur, wenn ich Fragen stelle.«

Ich wedelte mit der Hand und musste leise lachen über ihre Antwort. »Ist schon gut, Liv. Nein, Sammy, ich bin kein Riese.« Ich musterte die Kleine. »Obwohl du so winzig bist, dass du eine Maus sein könntest.«

Sie grinste breit, was eine kleine Lücke zwischen ihren Zähnen zum Vorschein brachte. »Ich bin ein Mädchen, keine Maus.«

Ich strich mir übers Kinn. »Nein, ich glaube, du bist eine Maus.«

Sie kicherte. Ich schaute Liv an und bemerkte, dass sie müde aussah. Das Verlangen, ihr auf irgendeine Weise zu helfen, war plötzlich meine oberste Priorität. »Wie wär’s, wenn ich diese kleine Maus in mein Büro mitnehme und wir ihr Bücherregal planen, während du arbeitest?«

Liv schüttelte kaum merklich den Kopf, aber Sammy klatschte in die Hände. »Oh ja! Bitte, Mommy, ja? Ich bin auch wirklich lieb bei Mister Van!«

»Das brauchst du nicht zu tun, Van.«

»Ich tue es nicht, weil ich muss, Liv. Ich will es tun. Maus und ich können uns beschäftigen, und du machst in der Zeit das, was du noch erledigen musst.« Ich sah ihr in die Augen. »Wir sind drei Meter den Flur hinunter. Es kann nichts passieren.«

Sammy war offensichtlich entzückt. »Mommy, ich habe einen neuen Spitznamen!«

Livs Mundwinkel zuckten. »Ja, so scheint es. Mister Van und Maus.«

Lächelnd sah ich Sammy an. »Klingt gut, oder, Kleines?«

Sammy strahlte. »Ich liebe den Spitznamen!«

»Dann wäre das ja geklärt.« Ich sah Liv an. »Was ist mit der Zeichnung?«

Sammys kleine Hand stahl sich in meine. »Bitte?« Flehend sah sie Liv an.

Liv grinste, offensichtlich geschlagen. »Okay.« Sie drohte Sammy spielerisch mit dem Zeigefinger. »Sei aber brav.«

Sammy zog an meiner Hand. »Ganz bestimmt. Komm, Mister Van! Lass uns gehen!«

Lachend ließ ich mich von ihr in mein Büro ziehen.

Ungeduldig klopfte Sammy mit einem klebrigen Finger auf das Papier. »Mehr davon.«

Ich musste mir wieder ein leises Lachen verkneifen. Ich war nicht Liv, aber ich konnte ziemlich gut zeichnen. Ein Bücherregal war einigermaßen einfach. Ich hatte gedacht, ich könnte Sammy ein Weilchen beschäftigen und Liv arbeiten lassen. Ein Bücherregal skizzieren und mich von ihren Geschichten unterhalten lassen. Ich wusste, dass Kinder gern redeten. Sie liebten ein aufmerksames Publikum, und ich stellte fest, dass es mir leichtfiel, ihr zuzuhören. Sie war ein kluges, gut gelauntes Kind.

Aber dies war nicht einfach irgendein Kind, und es war bestimmt nicht irgendein Bücherregal.

Dieses Bücherregal sah an der Oberkante aus wie ein Schloss. Es hatte Nischen und Fächer sowie Regalbretter für alle ihre Plüschtierfreunde. Es musste rosa sein. Mit Glitzerstaub.

Unmengen von Glitzerstaub.

»Noch mehr Türmchen, Maus?«, fragte ich.

Ihre Locken hüpften wild auf und ab. »Ja«, raunte sie und verputzte das Plunderteilchen, das ich ihr gegeben hatte. Überall auf meiner Zeichnung klebte Zuckerguss, auf meinem Schoß und an ihren Fingern und in ihrem Gesicht, aber sie hatte es sich schmecken lassen, und ich konnte ihr einfach nichts abschlagen. Sie war sehr brav und sehr aufgeregt gewesen, als sie die Schachtel mit dem Gebäck entdeckt hatte, und gefragt, ob da etwas drin sei.

»Ich habe Hunger, Mister Van.«

Ich hatte den Deckel aufgeklappt und sie sich etwas aussuchen lassen. Der kleine Frechdachs hatte sich das letzte Zitronen-Blätterteigteilchen genommen, war dann auf meinen Schoß geklettert und fuhr fort, mir das Bücherregal ihrer Träume zu beschreiben.

Ich schnaubte, und mein Atem wirbelte ihre Locken auf.

»Wir haben schon zwei. Wo sollen denn die anderen hin?«

Sie verzog das Gesicht und hatte solche Ähnlichkeit mit Liv, wenn sie sich konzentrierte, dass ich grinsen musste.

Wieder klopfte sie auf das Papier und hinterließ einen weiteren Zuckerguss-Abdruck. »An der Seite.« Ihre Augen weiteten sich. »Oh! An beiden Seiten, Mister Van!«

Ich lehnte mich zurück und schnappte mir ein Feuchttuch aus der Schale neben mir. Sie enthielt eine Sammlung von Tütchen mit Salz und Pfeffer, die wir immer griffbereit hatten, und ich erinnerte mich daran, dass in der Schale auch einige Tücher waren. Nach den Flecken auf dem Papier zu urteilen, musste ich ihr die Hände abwischen.

»Hände hoch, Maus. Zeig mir die klebrigen Finger.«

Sofort hob sie sie hoch, und ich wischte sanft ihre kleinen Hände ab und entfernte den klebrigen Zuckerguss von ihren Fingern.

»Zeig mir mal dein Gesicht.«

Sie reckte das Kinn vor und drehte sich in meine Richtung. Zuckerguss klebte auf ihren Wangen und Lippen, und ich schnappte mir ein weiteres Feuchttuch und wischte damit über ihr Gesicht.

»Nur gut, dass ich das getan habe, bevor Mommy es gesehen hat.«

»Bevor Mommy was gesehen hat?«

Ich schaute zur Tür. Liv lehnte am Pfosten und grinste wissend. Es war sexy.

»Ich habe etwas Süßes bekommen, Mommy!«

Liv zog eine Braue hoch. Ihr Blick war direkt. »Ich verstehe.«

»Sie hat gesagt, sie habe Hunger.«

Liv schüttelte den Kopf. »Sie hat immer Hunger, wenn etwas Süßes herumliegt.«

»Tut mir leid, ich wollte dich nicht stören, deshalb habe ich dich nicht vorher gefragt. Das hätte ich wohl besser tun sollen.«

Sie wedelte mit der Hand. »Ist schon gut. Wir gehen jetzt in den Park, damit sie sich den Zucker wieder ablaufen kann. Dort bekommt sie dann ein vernünftiges Mittagessen.«

»Und ein Eis«, warf Sammy ein.

Liv seufzte. »Ja. Ausnahmsweise.«

Sammy klatschte in die Hände. »Mommy, komm her und schau dir mein Bücherregal an!«

Liv durchquerte den Raum und blickte auf das Papier. »Das ist, äh, ein bemerkenswertes Regal.«

»Rosa«, informierte ich sie.

»Ah.«

Sammy klopfte auf das Papier. »Mit Glitzer hier. Und hier.«

»Wow!«

»Glitzerstaub ist, so hat man mich in Kenntnis gesetzt, Vorschrift für Schloss-Bücherregale.«

»Klingt einleuchtend.« Liv tätschelte Sammys Kopf. »Hol deinen Mantel und die anderen Sachen, Baby. Mommy ist fertig.«

Sammy rutschte von meinen Knien. Ohne dass man sie dazu aufgefordert hätte, sah sie zu mir hoch und sagte: »Danke für das Teilchen, Mister Van. Und dass du mein Bücherregal gemalt hast.«

»Gern geschehen.«

Sie streichelte meine Hand und legte die Finger um einen von meinen. »Du kannst mit uns in den Park kommen. Ich könnte dir meine Rutsche zeigen und das Klettergerüst, wo ich immer mit dem Kopf nach unten hänge.« Sie beugte sich dichter zu mir. »Das mag Mommy nicht, aber ich kann das gut.«

»Ich glaube, Mister Van hat schon etwas anderes vor«, sagte Liv leise. »Vielleicht ein andermal.«

Sammy machte ein enttäuschtes Gesicht, aber sie gab keine Widerrede. »In Ordnung.« An der Tür blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zu mir um. »Du kannst immer in den Park kommen, Mister Van. Da ist es echt lustig.«

Sie lief zu Livs Büro, und der Klang ihrer eiligen Schritte entlockte mir ein Kichern.

»Sie ist toll«, sagte ich zu Liv.

Sie lächelte und deutete auf das Papier. »Darf ich das mitnehmen?«

Ich runzelte die Stirn. »Woher soll ich dann wissen, was ich bauen soll?«

Sie wirkte verwirrt. »Ich erwarte nicht, dass du es baust, Van. Genauso wenig wie Sammy. Es ist eine Zeichnung. Ich bewahre ihre Ideen gern in einem Buch auf, damit ich es ihr eines Tages zeigen kann.«

Ich stand auf, ging mit dem Blatt zum Kopierer und scannte es ein. Das Original reichte ich Liv. »Ich werde das Regal für sie bauen.«

»Ich kann nicht von dir verlangen …«

»Du hast es nicht von mir verlangt. Das war Sammy. Ich habe ihr gesagt, dass ich es tun würde, und ein Versprechen halte ich immer ein.«

»Ich bezahle …«

Ich unterbrach sie. »Nein, das tust du nicht. Das ist eine Sache zwischen meiner neuen kleinen Freundin und mir.«

Ihre Augen waren voller Staunen. »Wie kann ich dir danken?«

Und dann kamen Worte, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie jemals aussprechen würde, aus meinem Mund.

»Kann ich mit in den Park kommen? Ich mag lustige Orte.«

3

Van

Irgendwie schob sich Sammys Hand auf dem Weg zu meinem Truck in meine, eine winzige Faust, die sich an meine schwieligen Finger schmiegte. Den ganzen Weg den Flur entlang redete sie und erzählte mir von ihrem Lieblingstoast – mit überbackenem Käse – in dem Diner, bei dem wir vorbeischauen wollten, bevor wir in den Park gingen.

»Magst du Ketchup zu deinem Käsetoast, Mister Van?«, fragte sie.

Die Art, wie sie mich ansprach, amüsierte mich. Sie brachte mich zum Lächeln. »Ich glaube, dass es überhaupt nicht erlaubt ist, Käsetoast ohne Ketchup zu essen. Oder ohne Speck.«

Sie sah mit aufgerissenen Augen zur mir hoch. »Speck? Ich hatte noch nie Speck auf meinem. Ich liebe Speck!«

»Nun, das werden wir heute ändern müssen.«

Liv lachte leise, schüttelte den Kopf und murmelte etwas in der Richtung, dass wir zwei nichts als Ärger bringen würden.

Als wir bei meinem Wagen ankamen, blieb sie stehen. »Ähm, wir sollten lieber zu Fuß gehen.«

Ich öffnete die Tür zur Rückbank. »Ich weiß, was du denkst, Liv. Ich regle das schon.« Nach ein paar einfachen Handgriffen, einem Ziehen hier, einem Schieben da, richtete ich mich auf und grinste stolz. »Voilà! Der Kindersitz.«

»Wow.«

»Er ist eingebaut. Überraschenderweise ist er manchmal recht nützlich.«

Ein seltsamer Ausdruck huschte über ihre Züge. »Ah.«

»Ich bin ein paarmal mit einem Kumpel und seinem Sohn angeln gewesen. Jesse ist genauso alt wie Sammy.«

»Ah«, wiederholte Liv, diesmal mit einem Lächeln. »Wie praktisch.«

»Jepp.« Ich bückte mich und hob Sammy hoch, setzte sie in den Sitz und schnallte sie an. Sie kicherte, als ich mich vergewisserte, dass sie sicher saß, am Gurt zog und dafür sorgte, dass ihr Haar sich nicht verfangen hatte. Sobald das geregelt war, öffnete ich die Tür für Liv. »Madam, Ihre Kutsche wartet.«

Sie musterte unsicher den Wagen. Ich versuchte, nicht über den ängstlichen Ausdruck auf ihrem Gesicht zu lachen, als sie den Abstand zwischen dem Boden und der Tür taxierte. Ohne nachzudenken, packte ich sie um die Taille und hob sie in den Wagen. Sie kreischte und hielt sich an meinem Arm fest, als ich sie auf den Beifahrersitz setzte. Klein und warm lag sie kurz in meinen Armen. Nah genug, dass ich den Duft ihres blumigen Parfüms riechen konnte. Ihre Hand sah winzig aus, und irgendwie gefiel es mir, dass sie neben mir so klein wirkte.

Als würde ich sie beschützen.

Unsere Blicke trafen sich für einen Moment, als ich mich über sie beugte. Ihre wunderschönen goldenen Augen hatten braune und grüne Einsprengsel, die das Licht reflektierten. Der dunkle Ring um ihre Iris gab ihnen etwas ganz Besonderes. Sie waren einzigartig. Eine Strähne ihres rehbraunen Haares wehte ihr über die Wange, und ohne nachzudenken strich ich sie ihr hinters Ohr und ließ die Finger über ihre seidige Haut gleiten.

»Brauchst du Hilfe mit deinem Sicherheitsgurt?«, murmelte ich leise.

Wortlos schüttelte sie den Kopf.

Mein Blick fiel auf ihren Mund, dessen rosige Farbe mich in Versuchung führte. Sie biss sich auf ihre üppige Unterlippe, und ich zog sanft daran, um sie zu befreien. Als ich ihren Mund berührte, keuchte sie leise auf, was dazu führte, dass ihre Zunge kurz meine Haut streifte.

Sofort überfiel mich der Gedanke daran, wie ihre Zunge sich auf meiner anfühlen würde. Wie ihr Mund schmecken würde, wenn ich sie küsste. Wie ihr Haar sich anfühlen würde, wenn ich die Hand hineinwühlte, während ich sie erkundete.

Erst als Sammy kichernd in die Hände klatschte, weil ich ihre Mom in den Truck gehoben hatte, wurde mir bewusst, wie dicht ich mich über Liv beugte. Wie schnell sie nun atmete, genauso schnell wie ich. Hätte ich den Kopf nur um wenige Zentimeter gesenkt, hätten sich unsere Münder getroffen.

Mit leichtem Erschrecken wurde mir klar, wie sehr ich mir das wünschte.

Blinzelnd trat ich zurück und schüttelte den Kopf, um ihn freizubekommen. Livs Blick war erschrocken und verwirrt und vielleicht ein klein wenig enttäuscht, als ich ihr in die Augen sah und dann die Tür des Wagens schloss. Ich musste meine Kleider richten, als ich auf die Fahrerseite ging, und auf dem ganzen Weg um den Wagen herum fragte ich mich, ob das hier wirklich so eine gute Idee war. Mehr Zeit mit Liv und Sammy zu verbringen – das konnte sich als kompliziert erweisen.

Ich hasste Komplikationen. Aber ich stellte fest, dass ich es trotz meiner Bedenken unbedingt wollte.

Als wir den Diner erreichten, stieg Liv aus dem Wagen, bevor ich aussteigen und ihr helfen konnte. Sammy hob die Arme und ließ sich von mir herausheben. Und schon wieder lag ihre winzige Hand in meiner, als wir das Lokal betraten. Mit der anderen hielt sie die von Liv, während sie munter draufloserzählte. Ihr Geplapper brach während der gesamten Mahlzeit nicht ab und füllte so das Schweigen, das zwischen Liv und mir entstanden war.

Unsere Blicke trafen sich mehrmals, dann sahen wir einander kurz in die Augen und schauten schnell wieder weg. Hin und wieder spürte ich den Druck von Livs Knie an meinem unter dem Tisch, wenn sie sich bewegte oder sich umdrehte, um Sammy mit ihrem Essen zu helfen. Ich beobachtete sie genau, während ich an meinem Kaffee nippte und zwei Käsetoasts mit Speck verschlang, außerdem einen Salat und den größten Teil von Sammys Pommes frites. Liv war eine aufmerksame Mutter und ging lächelnd auf Sammys nie enden wollende Fragen und Bemerkungen ein.

»Woher kommt Speck, Mommy?«

»Warum ist Ketchup rot?«

»Kannst du mir auf der Schaukel Schwung geben, Mister Van, wenn wir im Park sind?«

Ich zuckte leicht zusammen, als ich meinen Namen hörte, stimmte jedoch schnell zu. »Das kann ich tun.«

»Fängst du mich auf, wenn ich rutsche?«

»Na klar.«

»Vielleicht kannst du mit mir auf das Klettergerüst kommen.«

Ich war schon mal im Park gewesen und kannte den Spielplatz. Er war nicht weit entfernt von meinem Haus, und ich ging in meiner Freizeit gern dorthin und saß oft auf einer Bank und beobachtete Familien und stellte mir vor, eine eigene zu haben. Bisweilen musste ich die Traurigkeit niederkämpfen, die diese Gedanken mit sich brachten.

»Ich glaube, ich bin zu groß für das Klettergerüst, Maus. Aber ich passe auf dich auf.«

»In Ordnung«, stimmte sie unbefangen zu und aß den Rest ihres Toasts oder zumindest den größten Teil davon. Brotkanten, teilte sie mir mit, seien igitt. Sie kicherte laut, als ich meine gegenteilige Meinung mit einem Kopfschütteln zum Ausdruck brachte und meine Brotkanten ganz bewusst als Erstes verzehrte, bevor ich ihr erklärte, dass sie das Beste vom Ganzen seien. Liv lachte leise, als Sammy an den knusprigen Rändern knabberte und sie probierte. Dann sah Liv mich an und verdrehte die Augen, während wir stumm und belustigt Sammy zuschauten.

Es war ein seltsam intimer Moment.

Im Park fing ich Sammy auf, als sie die Rutsche hinunterschoss. Ich gab ihr auf der Schaukel so viel Schwung, wie ich mich traute, und lauschte auf ihr entzücktes Kreischen. Ich brachte sie und Liv zum Lachen, als ich am Klettergerüst hing und die Beine so hoch zog, wie ich nur konnte, während meine Füße immer noch den Boden berührten.

Ich machte witzige Affengeräusche, dann jagte ich Sammy um die Bäume und drohte, sie zu fangen und durchzukitzeln, bis sie um Gnade bettelte.

Schließlich holten wir uns noch ein Eis und setzten uns zum Essen auf eine Bank. Sammy hatte mir immer noch jede Menge Dinge zu erzählen, obwohl sie schon den ganzen Nachmittag pausenlos geredet hatte.

»Sammy, hol mal Luft«, tadelte Liv sie. »Hör auf, Van ein Ohr abzuquatschen, und iss dein Eis.«

Sammy runzelte die Stirn, drehte den Kopf hin und her und musterte mich. »Er hat immer noch beide Ohren, Mommy. So viel kann ich gar nicht reden«, entgegnete sie.

Ich musste laut lachen, und Liv wand sich, was Sammy ein Kichern entlockte.

»Es ist alles gut, Liv. Ich höre Maus gerne reden.«

Sammy aß ihr Eis auf und sprang auf die Füße. »Darf ich wieder zu den Schaukeln gehen?«

»Ja«, sagte Liv. »Aber achte darauf, dass ich dich die ganze Zeit sehen kann.«

»Okay. Schau mir zu, Mister Van!«

»Mach ich, Kleines.«

Ich rutschte auf der Bank näher zu Liv heran. Dann aß ich den Rest von meinem Eis, reckte mich und legte den Arm auf die Rückenlehne der Bank. Wir beobachteten zusammen, wie Sammy hoch nach oben flog und sich zurücklehnte, sodass ihr Haar bis in den Sand unter ihr hing.

»Oh Gott, sie wird heute Abend ein Bad und eine Dusche brauchen«, murmelte Liv.

»Ist sie immer so energiegeladen?«

»Hat ganz den Anschein. Sie ist immer in Bewegung.«

»Sie ist großartig.«

Liv lächelte und schaute zu Boden, und mir fiel auf, dass sie das oft tat, wenn sie lächelte. Als wolle sie ihr Lächeln mit niemandem teilen. Ich wollte, dass sie es mit mir teilte.

Ich streckte mich und musste ein Stöhnen unterdrücken.

»Hast du immer noch Schmerzen?«, fragte sie leise.

»Ich habe immer Schmerzen. An manchen Tagen ist es schlimmer als an anderen. Ich werde es überleben.«

»Du hättest nicht auf das Klettergerüst gehen sollen«, schalt sie mich. »Sammy ist alt genug, um das Wort Nein und den Grund, warum du etwas nicht machen kannst, zu verstehen.«

Ich tat ihre Sorge mit einer knappen Handbewegung ab. »Ist schon in Ordnung, Liv. Ich versuche, mich dadurch nicht einschränken zu lassen. Wenn ich klein beigebe, bin ich erledigt. Ein paar Schwünge auf dem Klettergerüst haben mir nicht geschadet. Maus hat es einen mordsmäßigen Spaß gemacht, und ich habe es genossen.«

Sie schürzte die Lippen und schwieg. Dann aß sie ihr Eis auf und wischte sich die Finger ab. »Danke, dass du heute so nett zu uns warst, Van.«

»Keine Ursache. Es hat Spaß gemacht.«

Liv gab einen seltsamen Laut tief in ihrer Kehle von sich, sagte aber sonst nichts.

Ich beobachtete Sammy noch ein paar Minuten. Sie sprang von der Schaukel zum Klettergerüst und plauderte mit einem anderen kleinen Mädchen. Im nächsten Moment hingen sie beide kopfüber, schaukelten und redeten miteinander, als sei das ganz normal. Ich musste grinsen.

Liv stöhnte. »Ich hasse es, wenn sie das macht, aber sie tut es trotzdem.«

»Sie ist ein Kind.«

»Hm.« Sie lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Ihr Haar strich über meinen Arm, die Strähnen sehr weich. Ich musste der Versuchung widerstehen, hineinzufassen.

Ich räusperte mich. »Ist ihr Dad irgendwie präsent?«

Liv lachte höhnisch auf. »Nein.«

»Das tut mir leid.«

»Muss es nicht. Wir sind ohne ihn besser dran. Alle beide.«

Die Verbitterung und der Schmerz in ihrer Stimme waren unüberhörbar.

»Dann bin ich froh, dass er nicht auftaucht. Wie lange ist es her, dass du dich hast scheiden lassen?«

Liv drehte sich zu mir um. »Wir waren nie verheiratet. Ich war noch sehr jung, als ich Chris kennenlernte. Habe nach mir selbst gesucht, nach Liebe. Er kam mir so toll vor – charmant und nett. Interessiert.«

»Aber?«, fragte ich.

»Ich habe eine Weile gebraucht, um den echten Chris zu sehen. Den konnte er sehr gut verbergen. Unter der Oberfläche war er alles andere als nett. Fordernd, anspruchsvoll, kontrollsüchtig. Gemein.«

Meine Hände ballten sich zu Fäusten. »War er gewalttätig, Liv?«

»Nein. Er hat einem mit Worten wehgetan.« Ihr Blick konzentrierte sich auf etwas hinter mir, während sie ihre Gedanken sammelte. »Meine Mom sagte, ich würde in ihre Fußstapfen treten. Mein Vater war genauso, und sie hat lange gebraucht, um ihn zu verlassen. Als ich erfuhr, dass ich schwanger bin, habe ich es Chris erzählt. Er war nicht glücklich darüber.«

»Also habt ihr euch getrennt?«

»Ja. Er ist gegangen.« Sie lachte, und es klang sehr bitter. »Als ich wusste, dass es ein Mädchen werden würde, bin ich zu ihm gegangen. Ich dachte, wenn er das Ultraschallbild sieht, wird er begreifen, was ihm entgeht, und wollen, dass wir es noch einmal versuchen. Ich habe zu dem Zeitpunkt immer noch nicht erkennen wollen, was für ein Mensch er wirklich ist.«

»Ich nehme an, es ist anders gekommen.«

»Ja. Als ich es ihm erzählte und ihm das Foto gezeigt habe, hat er mir mitgeteilt, dass er kein weiteres schwaches, klammerndes weibliches Wesen brauchen könne, um das er sich kümmern muss. Er hat mir geraten, es loszuwerden.« Livs Stimme zitterte. »Er hat sich ein Foto von seiner Tochter angesehen, von einem winzig kleinen Wesen, das in mir heranwuchs, und sie ein Es genannt. Als sei sie nichts. Als sei ich nichts. Genau in dem Moment ist mir klar geworden, wie dumm es von mir war, ihm eine Chance geben zu wollen. Ich bin gegangen und habe nie mehr zurückgeschaut. Mein Anwalt hat ihm Papiere geschickt, und er hat jeden Anspruch auf sie aufgegeben.« Sie wischte sich über die Wange. »Als ich das letzte Mal etwas von ihm gehört habe, hatte er die Stadt verlassen. Ich habe keine Ahnung, wo er ist, und ich hoffe, dass ich ihn nie wiedersehen werde.«

»Bastard«, knurrte ich und schaute zu Sammy hinüber. Wie konnte jemand sein Kind im Stich lassen? So etwas war für mich einfach unvorstellbar.

»Ich kann nicht glauben, dass ich dir meine tränenreiche Geschichte erzählt habe. Es tut mir leid.«

»Das muss es nicht. Ich habe danach gefragt.« Ich legte meine Hand um ihre und hielt sie fest. »Ich finde dich großartig, Liv. Sammy ist ein tolles Kind.«

Sie schaute auf unsere Hände. »Was machst du da, Van?«

Unsere Blicke trafen sich.

»Ich weiß es nicht«, musste ich eingestehen.

»Ich kann … ich kann das nicht. Ich will keine Beziehung.« Liv zog ihre Hand aus meiner. »Ich mag dich, Van. Ich finde dich wunderbar. Aber nur als Freund.«

Traurigkeit stieg in mir auf. Ich hörte Schmerz und Endgültigkeit in ihrer Stimme.

Außerdem hörte ich Bedauern heraus. Irgendwie machte das ihre Worte erträglicher und trieb mich dazu, ein klein wenig mehr zu drängen.

»Ich will auch keine Beziehung, Liv. Aber wir können befreundet sein, in Ordnung? Vielleicht ab und zu mal einen Toast oder ein Eis mit Maus essen?«

»Ich will Sammy nicht durcheinanderbringen.« Rastlos bewegte sie die Finger auf dem Schoß. »Sie mag dich, und sie neigt dazu, enge Bindungen zu entwickeln.«

»Ich mag Sammy ebenfalls. Ich habe nicht vor, einfach wieder zu verschwinden, Liv. Wir sind bereits Freunde, und wir können Freunde bleiben. Gelegentlich einen Toast oder ein Eis wird sie nicht durcheinanderbringen.« Ich spielte die beste Karte aus, die mir im Moment einfiel. »Männer und Frauen können durchaus Freunde sein. Ab und zu mal zusammen Zeit verbringen. Du willst doch bestimmt, dass Sammy das versteht.«

Sie hielt inne.

»Ich liebe Kinder«, gestand ich. »Ich mag Sammy. Ich fände es schön, sie ab und an zu sehen, wenn du nichts dagegen hast.«

»Ich spüre, dass dahinter eine Geschichte steckt.«

Ich nickte und mied ihren Blick. »Eines Tages werde ich sie dir vielleicht erzählen.«

Sie schwieg einen Moment und wirkte nachdenklich. »Vielleicht tust du das eines Tages.«

Sie wandte sich wieder zu Sammy um, allzeit wachsam. Ich tat es ihr nach, den Kopf voller Gedanken, die zusammen mit den seltsamsten Gefühlen darin umherwirbelten.

Sie alle hatten ihren Ursprung in der hübschen Frau neben mir und dem Kind, das am anderen Ende des Spielplatzes lachend seinen Spaß hatte.

Ich wusste, dass Liv einen Führerschein hatte, aber keinen eigenen Wagen besaß, daher fuhr ich die beiden nach Hause, und mir wurde das Herz schwer vor Bedauern, als ich vor ihrem Haus hielt. Ich hatte die einfachen Freuden des Nachmittags und die Gesellschaft genossen. Von allen beiden. Ich wollte nicht, dass es endete, obwohl ich wusste, dass es so das Beste war.

Liv war auf der Hut. Sie musste an Sammy denken, und ich verstand ihre Befürchtungen. Sogar besser als meine eigene Sehnsucht, Zeit mit ihr zu verbringen. Herauszufinden, wie Liv tickte. Es ergab keinen Sinn. Für eine feste Beziehung stand ich nicht zur Verfügung, aber irgendwie hatte mein Herz diese Botschaft noch nicht bekommen.

Ich war verwirrter denn je.

Liv

Ich schaute zu, wie Van davonfuhr, immer noch außerstande zu glauben, dass wir den ganzen Tag mit ihm verbracht hatten. Es kam mir irgendwie unwirklich vor. Er kam mir unwirklich vor.

Von dem Moment an, als ich Van kennenlernte, schien er mir überlebensgroß. Und das nicht nur wegen seiner Körpergröße. Hochgewachsen und breit, war er eine einzige Mauer aus Muskeln. All seine Shirts spannten sich über seinem breiten Bizeps. Sein bevorzugter Jeansoverall schmiegte sich an seinen Oberkörper und brachte auch seinen knackigen Hintern zur Geltung. Seine Taille war breit, seine langen Beine stark. Bei meiner ersten Begegnung mit ihm war ich einen Schritt zurückgewichen, so sehr schoss der Schreck durch mich hindurch. Dann waren sich unsere Blicke begegnet. Warm, freundlich und gelassen, hatte ich in seinen dunkelbraunen Augen die mitfühlende Seele erkennen können, die sich unter dem massigen Körperbau versteckte. Sein Händedruck war sanft und seine Stimme beruhigend. In seiner Gegenwart konnte ich mich sofort entspannen und hatte nie einen Grund gehabt, ihm zu misstrauen.

Ich hatte noch nie erlebt, dass er die Fassung verlor. Er regelte jedes Problem und jede Schwierigkeit, die sich ergaben, mit der gleichen Geduld, die er heute Sammy gegenüber an den Tag gelegt hatte.