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Eine Lüge, die zwei Welten miteinander verbindet, aber ein Herz bricht
Als die Kellnerin Elizabeth Jones dem attraktiven Ronan zum ersten Mal begegnet, hält sie ihn für einen Fitnesstrainer. Doch Ronan ist viel mehr als das: Als einer der Callaghan Drillinge arbeitet er im mächtigen Familienunternehmen BAM/ABC Corp. Beth ahnt nichts von seinem Vermögen und Status, und Ronan setzt alles daran, dass das so bleibt. Denn zum ersten Mal sieht ihn jemand um seiner selbst willen. Doch dann kommt die Wahrheit ans Licht ...
"Ich habe geweint, gelacht und geschwärmt. Dieses Buch ist die Definition romantischer Perfektion." Goodreads
Band 2 der ABC-CORP-Serie von Bestseller-Autorin Melanie Moreland
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Seitenzahl: 484
Titel
Zu diesem Buch
Liebe Leser:innen
Widmung
Familienstammbaum
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Epilog
Zehn Jahre später
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Melanie Moreland bei LYX
Leseprobe
Impressum
MELANIE MORELAND
Bossy Love
JEDE NACHT MIR DIR
Roman
Ins Deutsche übertragen von Gesa Andres
Als die Kellnerin Elizabeth Jones dem attraktiven Ronan zum ersten Mal begegnet, hält sie ihn für einen Fitnesstrainer. Doch Ronan ist viel mehr als das: Als einer der Callaghan Drillinge arbeitet er im mächtigen Familienunternehmen BAM/ABC Corp. Beth ahnt nichts von seinem Vermögen und Status, und Ronan ist gewillt, dass das so bleibt. Denn zum ersten Mal sieht ihn jemand um seiner selbst willen. Doch dann kommt die Wahrheit ans Licht …
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Die perfekte Rezeptur für Liebe
xoxo,
Melanie
WUSSTEST DU SCHON?
Auch eine Autorin kann noch ein, zwei Dinge dazulernen.
Es heißt Lego™. Nicht Legos. Einfach nur Lego™. Hier ist die firmeneigene Erklärung dazu: https://twitter.com/LEGO_Group/status/842115345280294912?s=20
Und zum Schmunzeln eine andere Erklärung: https://twitter.com/LEGO_Group/status/1359856214591627269?s=20
Beth,
danke für all deine Unterstützung, Hilfe, Aufrichtigkeit und Sorge.
Halte immer den Kopf hoch und kämpfe den Kampf, meine Freundin. Du wirst geliebt.
Scarlett,
danke, dass ich mir deine Worte ausleihen durfte, für deine Großzügigkeit und unerschütterliche Freundlichkeit.
Matthew
Mein Anfang und mein Ende.
Und all die wundervollen Momente dazwischen.
Sie gehören dir, genau wie ich.
Für immer.
Ich starrte auf den Bildschirm und legte blinzelnd den Kopf schief.
»Nein, irgendwas stimmt nicht.«
Paul sah mir über die Schulter, seine große Gestalt warf einen Schatten auf den Monitor. »Zu viel?«, fragte er.
»Oder zu wenig«, erwiderte ich.
Ich löschte die Doppelsäulen und ersetzte sie durch einfache, wuchtigere Formen. Ich fügte unten Details hinzu und schattierte sie oben schwarz.
»Perfekt.« Jeremy klopfte mir mit der Hand auf die Schulter. »Das macht es einzigartig.«
Ich nahm meine Brille ab und rieb mir die Augen. Ich musste sie wirklich mal untersuchen lassen.
»Ich werde es Addi schicken und sehen, was sie davon hält.«
Jeremy warf sich auf den Stuhl neben mir. »Sie wird es toll finden. Wir fangen morgen mit der Raumplanung an. Sie will nur vierundzwanzig, richtig?«
Ich griff nach der Thermosflasche mit Wasser, die ich überall dabeihatte. Ich mochte es kalt. Eiskalt, also füllte ich die große doppelwandige Kanne mehrmals am Tag und fügte jedes Mal viel Eis hinzu.
»Ja. Alles luxuriös, in sich abgeschlossen. Getrennte Schlafzimmer, Küchenbereich, Wohnzimmer und spektakuläre Bäder.«
Paul gluckste, während er sich einen Kaffee einschenkte und sich setzte. »Das wird fantastisch werden.«
»Wir haben lange genug gebraucht, um das alte Port Albany Hotel zu erwerben. Addi will, dass es mit dem Weingut Hand in Hand geht. Im Resort übernachten und dann das Weingut besuchen. Einen Event auf dem Weingut veranstalten und die Gäste im Hotel einquartieren. Sie plant Shuttles, Cross-Promotion und so weiter.«
»Heather hat schon Ideen für die Inneneinrichtung. In Richtung Strandatmosphäre und so. Sie macht schon seit Tagen Skizzen.«
Ich grinste. Heather VanRyan war eine unserer »Cousinen«. Wir waren eine riesige Patchworkfamilie, und viele von uns arbeiteten hier bei ABC Corp – einer Tochterfirma der BAM, die sich auf Geschäfte und Grundstückserschließungen außerhalb von Toronto spezialisiert hatte –, ehemals GTA. Unsere Väter hatten die Stadt so gut wie in der Hand. Wir, als nächste Generation, brachten neue Energie in die Mischung. Wir kauften das Land, gründeten die Unternehmen und leiteten sie. Es gab reichlich und vielseitiges Talent in unserer Familie, und wir arbeiteten gut zusammen, denn wir waren gemeinsam aufgewachsen. Wir hatten uns von unseren Vätern nie gedrängt gefühlt, Teil ihrer Welt zu sein. Thomas, Bentleys Sohn, war Meeresbiologe und hatte keinerlei Interesse an der Unternehmenswelt – abgesehen von dem Geld, das sein Vater für die Zwecke spendete, die seinem Sohn am Herzen lagen.
Shelby, Maddox’ Tochter, war Künstlerin und zog ihre Leinwände einem Sitzungssaal bei Weitem vor. Alle Cousins und Cousinen fanden ihren eigenen Weg, und die, die es zu ABC verschlug, wurden dort willkommen geheißen. Wir unterstützten uns gegenseitig mit der Zuneigung und dem Respekt, den unsere Eltern uns beigebracht hatten.
Melissa Hanson, eine der Büroassistentinnen, klopfte an die Tür und hielt eine Tüte in der Hand. »Ich habe euer Mittagessen.«
Paul grinste. »Großartig. Ich verhungere schon.«
Jeremy griff nach der Tüte, aber ich runzelte die Stirn. »Meine Bestellung habe ich dir gar nicht gegeben.«
Sie lachte. »Als ob ich die bräuchte. Truthahn auf Weißbrot, viel Salat und Senf. Das Gleiche für euch drei. Ihr Jungs seid so einfach zufriedenzustellen.«
»Eigentlich bevorzuge ich extra Tomaten und Mayo. Kein Senf oder Kopfsalat. Und Sauerteig.«
Sie schaute alarmiert. »Entschuldigung? Du nimmst doch immer dasselbe.«
»Weil mich nie jemand fragt«, murmelte ich vor mich hin. »Ist in Ordnung«, sagte ich laut genug, dass sie es hören konnte. Ich würde das verdammte Ding essen, so wie ich es immer tat. »Alles gut.«
»Und ich hab auch noch Chips besorgt«, fügte sie hinzu, bevor sie ging.
Ich fragte nicht, welche Sorte. Es bestand nicht ein verdammter Funken Hoffnung, dass sie mit Sour Cream und Zwiebeln waren.
Und natürlich zog Paul drei Tüten Chips mit Salz und Essig hervor.
Ich nahm sie klaglos. Sandwich und Chips waren den Ärger nicht wert.
Wir arbeiteten den größten Teil des Nachmittags zusammen, perfektionierten das Design und die Spezifikationen für das Gebäude.
Es war früher Abend, als ich den Laptop zuklappte. »Heute Abend sollten wir feiern. Tacos?«, fragte ich hoffnungsvoll.
Paul und Jeremy tauschten einen Blick, und ich runzelte die Stirn.
»Was?«
»Ähm, wir haben eine Verabredung.«
Überrascht hob ich die Augenbrauen. »Schon wieder?« Es war in letzter Zeit häufiger vorgekommen, dass sie mir eine Abfuhr erteilt hatten. Meine Brüder fehlten mir, denn ich war daran gewöhnt, Teil des Dreiergespanns zu sein, das ständig zusammenhing.
Ich war der älteste Drilling. Vier Minuten vor Paul und sechs Minuten vor Jeremy geboren, machte es mir Spaß, meinen Rang als der Älteste zur Schau zu stellen. Wir waren keine eineiigen Drillinge, auch wenn wir uns sehr ähnlich sahen. Wir alle waren groß und kräftig gebaut, wie unser Vater Aiden. Und von unserer Mutter Cami hatten wir die grünen Augen geerbt. Unsere Persönlichkeit kam allerdings mehr nach unserem Vater – laut, ungestüm und glücklich. Paul und Jeremy waren sich am ähnlichsten – ich war ein wenig größer, ein bisschen kräftiger und, wie meine Brüder mir gern mitzuteilen pflegten, der Bedenkenträger. Ich versteckte das ganz gut, tendierte aber dazu, immer ein Auge auf sie zu haben, als würde mich der vier- und sechsminütige Altersunterschied zum Verantwortlichen machen. Ich war stiller als sie, auch wenn die meisten Leute das nicht bemerkten. Meistens wurden wir nur als Trio wahrgenommen und nicht als Individuen. Oft riefen die Leute, wie ähnlich wir uns sähen, aber wenn man genauer hinsah, bemerkte man, wie unterschiedlich wir tatsächlich waren.
Ich kniff die Augen zusammen. »Habt ihr beide ein Date, oder trefft ihr euch mit demselben Mädchen?«
Sie lachten. »Nein. Wir treffen uns jeder mit einem anderen Mädchen.«
»Oh. Freundinnen?«
Paul sah aus, als wäre ihm unbehaglich. »Sogar Schwestern.« Er tauschte einen Blick mit Jeremy. »Zwillinge.«
»Ihr trefft euch mit Zwillingen?«, wiederholte ich. »Warum habt ihr mir nichts erzählt?«, fragte ich und fühlte mich seltsam verletzt. »Wo habt ihr sie kennengelernt?«
Jeremy beugte sich vor. »In Oscar’s Taverne – vor ein paar Wochen. Der Abend, an dem wir nach dem Fitnessstudio noch in die Bar gegangen sind, du aber nach Hause wolltest.«
Ich erinnerte mich und nickte. Ich stand nicht so wie meine Brüder darauf, in Bars abzuhängen, und neigte überhaupt eher dazu, ernster zu sein und ein ruhigeres Leben zu führen. Ich war nach Hause gefahren und hatte noch ein wenig gearbeitet, während sie auf ein paar Bier und Wings in die Bar gegangen waren. Wir hatten jeder in Toronto eine Eigentumswohnung in demselben Gebäude. Ich hatte auch noch ein Haus in Port Albany, in dem ich viel Zeit verbrachte. Das war ein weiterer Unterschied zwischen uns – sie kamen zwar gerne zu Besuch nach Port Albany, bevorzugten aber den Rummel der Großstadt. Ich genoss das ungestörte Leben am Wasser und fuhr meistens am Wochenende und auch an manchen Abenden unter der Woche nach Port Albany. Wir waren dort aufgewachsen, und bis heute fühlte ich mich in der ruhigeren Gegend heimischer als in dem Trubel von Toronto. Bei Paul und Jeremy war es genau umgekehrt – noch ein Unterschied zwischen uns, den die meisten Leute nicht wahrnahmen.
»Wir haben dir nichts erzählt …« Paul hielt inne und sah Jeremy an. »Wir haben dir nichts erzählt, weil wir dich nicht aufregen wollten, Ronan. Wir wollten nicht, dass du denkst, wir würden dich im Stich lassen.«
Ich musste lachen. Mir war schon aufgefallen, dass sie nicht mehr so oft da waren, selbst wenn ich in der Wohnung war. »Ihr lasst mich nicht im Stich. Ich freue mich, dass ihr eine Freundin habt. Besser gesagt zwei Freundinnen. Kaum zu glauben, dass ihr Zwillinge kennengelernt habt. Ich meine, wie wahrscheinlich ist das?«
»Nicht wahr? Und die Mädels sind großartig.«
»Habt ihr immer Doppel-Dates?«
»Nein. An manchen Abenden schon. Aber meistens gehen wir getrennte Wege. Wir möchten, dass die Mädels dich kennenlernen.«
»Das fände ich schön.« Ich zögerte. »Haben eure Mädels auch Namen, oder nennt ihr sie einfach nur ›die Mädels‹?«
Paul lachte. »Kim und Diane.«
Jeremy lächelte. »Sie sind toll. Kim, mein Mädel, ist Lehrerin. Pauls Mädel, Diane, ist Krankenschwester. Sie haben eine Freundin, von der wir dachten, sie könnte passen, wenn du …« Er ließ seine Worte in der Luft hängen.
Ich schüttelte den Kopf. »Kein Interesse, aber danke.«
»Nicht jede ist wie Loni«, gab Paul mit leiser Stimme zu bedenken.
Ich hob meine Hand, um dem Gespräch ein Ende zu setzen. »Ich weiß. Ich bin nur einfach nicht interessiert.«
»Na gut. Willst du mit uns kommen und sie kennenlernen? Wir gehen Pizza essen und ins Kino.«
Ich verkniff mir eine Grimasse. Das klang nach einem geplanten Date mit mir als fünftem Rad am Wagen. Nein, danke.
»Nein. Geht ihr nur. Vielleicht können wir uns ja dieses Wochenende treffen?«
»Prima. Wir fragen sie und reden morgen.«
Wir klatschten uns ab, und während sie sich auf den Weg machten, redeten sie schon über ihre Pläne und hatten bereits vergessen, dass sie mich allein zurückließen.
Ich schüttelte den Kopf über diesen komischen Gedanken. Es war ja nicht so, dass wir an der Hüfte zusammengewachsen waren. Unsere Eltern hatten immer eine gewisse Eigenständigkeit gefördert, auch schon als wir aufwuchsen. In Wahrheit aber war dieser Plan oft gescheitert. Als wir jünger waren, gingen wir in der Schule in dieselben Klassen, und die Lehrer steckten uns für Projekte und für Gruppenarbeiten zusammen. Selbst als wir älter waren und uns eigene Fächer aussuchen konnten, landeten wir am Ende immer zusammen, weil wir beruflich alle die gleiche Richtung einschlugen. Unsere Leben blieben miteinander verwoben, obwohl wir unsere eigenen Freunde hatten und irgendwann jeder von uns mit einem anderen Mädchen zusammen war. Wir waren uns unglaublich nah. Irgendwie hatten wir immer das gleiche Ziel vor Augen, waren immer ein Teil des Lebens der anderen. Dies war das erste Mal, dass Paul und Jeremy etwas zusammen machten, woran ich nicht beteiligt war, und anscheinend auf längere Sicht – denn offenbar ging es nicht nur darum, mal ein Wochenende ohne mich wegzufahren.
Es fühlte sich seltsam an.
Ich schüttelte den Kopf. Ich war ein erwachsener Mann, Himmel noch mal, und kam prima damit zurecht, auf mich allein gestellt zu sein. Ich brachte meinen Laptop in mein Büro, schnappte mir meine Sporttasche und schloss die Tür. Als ich den Flur hinunterging und die Treppe nahm, überraschte es mich nicht, der Letzte im Büro zu sein. Das passierte in letzter Zeit ständig. Addi und Brayden waren schon fast zwei Jahre verheiratet, benahmen sich aber immer noch wie frischvermählt. Gracies Tochter Kylie war fast ein Jahr alt, deshalb wollte sie so früh wie möglich zu Hause sein. Reed und Heather waren heute in Port Albany, um die letzten Arbeiten am neuen Gebäude zu beaufsichtigen. Nach monatelangen Verzögerungen war bei der Fertigstellung des Gebäudes, das die ABC Corp beherbergen sollte, endlich Land in Sicht, und wir würden innerhalb der nächsten Wochen umziehen.
Ich hatte vor, genau wie Paul und Jeremy dauerhaft nach Port Albany zu ziehen. Das war eigentlich von Anfang an auch ihr Plan gewesen und das einzig Sinnvolle, denn wir würden jeden Tag dort arbeiten. Meine Schritte gerieten ins Stocken, als ich darüber nachdachte. Ob sich jetzt, da sie die Mädchen kennengelernt hatten, ihre Umzugspläne änderten? Ich hatte immer nur mit meinen Brüdern oder in der Nähe meiner Brüder gelebt. Zum Teufel, unsere Wohnungen in dem Haus lagen sogar auf derselben Etage. Mir war immer klar gewesen, dass sich das eines Tages ändern würde. Wir würden heiraten und Familien gründen. Aber irgendwie war ich davon ausgegangen, dass wir wenigstens dieselbe Postleitzahl behielten.
Plötzlich hatte ich keine Lust mehr, das Fitnessstudio im Haus zu benutzen. Ich wollte nicht allein sein. Ich machte kehrt, ging aus der Haustür und zu dem Studio ein paar Blocks weiter. Was ich jetzt brauchte, war ein ordentliches Work-out, um den Kopf freizukriegen.
Zwei Stunden später verlangsamte ich das Laufband und wischte mir die Stirn. Ich hatte eine Menge Gewichte gestemmt, Kreislauftraining gemacht und an einem Yoga-Kurs teilgenommen. Ich mochte alles, was mir half, meinen Geist zu beruhigen und mich bei Kräften hielt. Es war genau das gewesen, was ich brauchte. Ich unterhielt mich mit ein paar von den Trainern und anderen Leuten, die trainierten, genoss das Summen der Geräte und die Musik um mich herum. Ich mochte diesen Ort und würde ihn vermissen, wenn ich erst mal umgezogen war, hoffte aber, dass ich den Eigentümer überzeugen konnte, eine Zweigstelle in Port Albany aufzumachen. Seine Philosophie, das Studio klein und persönlich zu halten, funktionierte prächtig. Seine Belegschaft war herausragend und die Ausstattung Spitzenklasse. Wir hatten ein eigenes großes Fitnessstudio auf dem BAM-Gelände, wie wir die Siedlung der Häuser, in denen wir wohnten, bezeichneten, aber manchmal – so wie heute Abend – mochte ich es, unter Leuten zu sein.
Ich nahm schnell eine Dusche, rubbelte mir die Haare mit einem Handtuch trocken und ging nach draußen, um die erfrischende kühle Nachtluft einzuatmen. Es war erst kurz nach neun, aber ich beschloss, dass mir die Lust auf Tacos vergangen war. Ich sog wieder die Luft ein, und das Aroma von Kaffee und irgendetwas herzhaft Köstlichem stieg mir in die Nase. Kürzlich hatte auf der anderen Straßenseite ein kleines nostalgisches Café-Restaurant eröffnet. Das Schild war beleuchtet, und drinnen saßen Leute, aber es war nicht über die Maßen gut besucht.
Der Duft von gegrilltem Fleisch war unwiderstehlich, also beschloss ich, dass ein Burger und ein Kaffee genau das Richtige wären, und überquerte die Straße.
Ich trat ein, und der Duft wurde stärker. Ich ging zu einer Sitzecke, zog meine Jacke aus und schlüpfte auf die mit Vinyl bezogene Bank. Ich musste lächeln, als ich mich umsah. Die Einrichtung war auf alt getrimmt. Resopal-Tresen mit runden Hockern davor säumten die Wand zur Küche. Durch eine offene Durchreiche konnte man den emsigen Köchen bei der Arbeit zusehen. Der Fußboden war so bearbeitet, dass er wie in die Jahre gekommen aussah. Die Wände waren mit bunten Postern bedeckt, und es gab sogar eine Jukebox. Es gefiel mir hier.
Ich nahm die Speisekarte aus dem Halter, studierte sie und bekam schlagartig Hunger.
Ein Räuspern, gefolgt von einer sanften Stimme, unterbrach mich.
»Willkommen bei Nifty Fifty. Willst du schon bestellen, oder brauchst du noch einen Moment?«
»Nein. Ich bin so weit. Ich nehme …«, antwortete ich, während ich die Speisekarte zuschlug.
Ich blickte auf und erstarrte.
Dunkelbraune Augen, sanft und freundlich wie die eines Rehkitzes, sahen mich aus einem Gesicht an, das ich nur als hinreißend bezeichnen konnte und das umrahmt war von Haar, das funkelte wie Sand in der Sonne. Gold-, Blond- und Brauntöne waren zu wilden, kinnlangen Korkenzieherlocken verwoben, die wippten, als sie ihren Kopf neigte und darauf wartete, dass ich fortfuhr. Sie hatte rundliche Wangen, volle Lippen und quer über dem Nasenrücken eine perfekte Spur von Sommersprossen, die auf ihrer blassen Haut besonders gut zur Geltung kamen.
Sie runzelte die Stirn, weil ich immer noch schwieg. »Möchtest du noch wissen, was es als Tagesgericht gibt?«
Ich räusperte mich. »Nein. Ein doppelter Cheeseburger mit gegrillten Zwiebeln und allem Drum und Dran – aber ohne Salat.«
Ihre ausdrucksvollen Augen wurden groß, und sie nickte, sodass die Korkenzieherlocken um ihren Kopf hüpften.
»Ja, genau! Heißer Salat passt nicht. Salat gehört in den Salat. Und nicht als Garnierung.«
Ich grinste. »Eben. So einen nehme ich auch. Die Salatsoße extra. Zwiebelringe und Pommes. Und einen Vanille-Shake. Eiswasser.« Ich zeigte auf die Auslage unter den Kuchenglocken, die auf der Theke aufgereiht waren. »Und danach wohl ein Stück von dem Kolibri-Kuchen mit einem Kaffee. Bitte«, fügte ich hinzu.
Sie warf einen Blick über ihre Schulter. »Erwartest du noch jemanden?«, fragte sie, und ein Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. Ihre Augen funkelten amüsiert.
»Nö.« Ich klopfte mir auf die Brust. »Großer Junge. Ich muss meine Kraft erhalten.«
Sie blinzelte, und ich war sicher, dass sie murmelte »Himmel, gib mir Kraft«, bevor sie sich umdrehte und davoneilte.
Ich war fasziniert von ihrem prallen Hintern. Kurvenreich. Die perfekte Handvoll. Ich schätzte, dass sie nicht viel größer als ein Meter fünfzig war. Vielleicht ein paar Zentimeter mehr. Sie war süß. Sexy. Und ich mochte ihre Sommersprossen.
Ich schüttelte den Kopf, um wieder zu mir zu kommen. Wo zum Teufel waren diese Gedanken hergekommen? Ich war nicht auf der Suche nach einer Beziehung.
Trotzdem folgte ihr mein Blick, während sie arbeitete. Sie lächelte, lachte mit den Kunden. Sie füllte Kaffeetassen auf, räumte ab und wischte über Tische. Sie kam auf mich zu, auf dem Tablett einen großen Salat, Eiswasser und einen Milchshake balancierend. Der Metallbecher glitzerte im Licht, und ich konnte es kaum erwarten, das kalte, sahnige Getränk zu kosten. Sie stellte alles vor mir ab, dazu servierte sie mir ein Stück Kuchen auf einem Teller.
»Bitte sehr, großer Mann. Der Burger kommt auch gleich. Ich habe eines der letzten Stücke von dem Kuchen für dich ergattert und noch ein bisschen extra Creme draufgetan. Ich habe mir gedacht, dass du ein Cremeliebhaber bist.«
Ich grinste. Ich war in der Tat ein Liebhaber von Creme. Besonders von der mit Frischkäse.
»Danke, äh …« Ich hielt inne, da ich kein Namensschild sehen konnte.
Sie lächelte, ihre dunklen Augen schauten warm.
»Elizabeth. Aber meine Freunde nennen mich Beth.« Ihre Wangen verfärbten sich entzückend, und sie räusperte sich. »Mein Name ist Beth.«
Ihre beflissene Mitteilsamkeit ließ mich grinsen. »Schön, dich kennenzulernen, Beth. Ich bin Ronan.« Ich streckte meine Hand aus, sie nahm sie, und ihre kleine Handfläche schmiegte sich in meine, als wäre sie dafür gemacht. Ihre Finger waren zierlich, genau wie sie selbst, und ich drückte sie, bevor ich ihre Hand losließ.
Ich deutete auf den Kuchen. »Und danke.«
Ihre Wangen wurden noch röter, und sie blinzelte.
»Keine Ursache.«
Sie eilte davon, und wieder blieb mein Blick an ihr hängen, bevor ich nach dem Salat griff und mich fragte, warum mir mein Abend plötzlich ein wenig heller erschien.
Das musste am Kuchen liegen.
Oder?
Ich verputzte alles, was Beth mir aufgetischt hatte, und seufzte zufrieden, als ich die leeren Teller von mir schob. Ich hatte die Mahlzeit mehr als genossen, und ein Teil von mir fragte sich, ob es allein am Essen lag oder ob der gelegentliche Besuch der hübschen Kellnerin etwas damit zu tun hatte.
Ich hatte sie während des Essens die ganze Zeit beobachtet und absichtlich langsam gegessen, um meinen Aufenthalt in die Länge zu ziehen. Sie war wie ein Kolibri, ständig beschäftigt, und blieb nie lange an einer Stelle stehen. Sie war freundlich zu den Kunden und stützte oft beim Reden eine Hand in die Hüfte, während sie Tassen auffüllte oder eine Frage beantwortete. Einmal war ich aufgestanden, um mir vom Nebentisch eine Flasche Ketchup zu holen, als sie um die Ecke bog und fast mit mir zusammenstieß. Für einen Moment kamen wir uns sehr nahe. Nah genug, dass ich die goldenen und grünen Flecken in ihren dunklen Augen sehen konnte. Sie hatte eine Hand ausgestreckt, um sich abzufangen, und ich erwischte ihren Ellbogen, um sie zu stützen. Unsere Blicke trafen sich, und ihre Augen funkelten vor Überraschung. Ich schätzte, sie war ungefähr dreißig Zentimeter kleiner als ich, und mir schoss der verrückte Gedanke durch den Kopf, dass ich sie im Sitzen würde küssen müssen, damit sie sich nicht den Hals verrenkte.
Oder, noch besser, ich zöge sie auf meinen Schoß. Bei dem Gedanken umschlossen meine Finger ihren Arm fester.
Sie räusperte sich. »Ist alles in Ordnung, äh, Ronan? Brauchst du noch etwas?«
Schweren Herzens gab ich ihren Ellbogen frei, aber nicht, ohne vorher noch ihre weiche Haut zu streifen. »Nee.« Ich hielt die Flasche Ketchup hoch. »Ich brauchte lediglich Nachschub.«
»Oh. Kann ich dir sonst noch etwas bringen?«
»Noch etwas Wasser wäre toll, wenn das möglich ist.«
Sie nickte und eilte davon, wobei sie mir noch einmal einen Blick auf ihren süßen Hintern gönnte. Ich hatte mich vorher nie für einen Mann gehalten, der auf Hintern stand, hatte aber das dumpfe Gefühl, das änderte sich gerade.
Sie näherte sich dem Tisch und lüpfte eine Augenbraue, als sie die leeren Teller einsammelte. »Soll ich den Kuchen zum Mitnehmen einpacken?«
Ich schüttelte den Kopf und grinste breit. »Noch mehr Kaffee, bitte.«
»Ich schätze, du verbrennst da drüben eine Menge Kalorien.« Sie deutete auf das Fitnessstudio auf der anderen Straßenseite.
»Ja, das stimmt. Und ich esse gern.«
Sie schürzte die Lippen, ein Lächeln umspielte ihren vollen Mund und lenkte meine Aufmerksamkeit auf einen kleinen Schönheitsfleck rechts neben ihren Lippen. Auf derselben Wange kam auch noch ein Grübchen zum Vorschein, was ihr ein schelmisches Aussehen verlieh.
»Ach wirklich«, sagte sie gedehnt, »das ist mir noch gar nicht aufgefallen.«
Das brachte mich zum Lachen, während sie wegging, um mit der Kaffeekanne zurückzukommen und meine Tasse aufzufüllen.
Ich bedankte mich, langte nach dem Kuchen, nahm den ersten Bissen und brummte genüsslich. Der Geschmack von Ananas und Banane traf auf meine Geschmacksknospen, und die Frischkäseglasur war reichhaltig und unfassbar köstlich.
»Verdammt, ist das gut«, stöhnte ich und leckte mir über die Lippen. Ich blickte auf und begegnete ihrem dunklen Blick. Sie beobachtete mich mit offenem Mund und großen Augen, die Kaffeekanne baumelte an ihren Fingern.
Irgendetwas geschah zwischen uns. Etwas, das uns umhüllte, eine lebendige, kraftvolle Schwingung. Glut pulsierte durch meine Adern, als sich unsere Blicke verbanden. Grün begegnete Braun. Ein intensives Verlangen, wie ich es noch nie gefühlt hatte, pochte in meiner Brust. Es juckte mich, nach ihr zu fassen und sie an mich zu ziehen. Ihren vollen Mund zu schmecken. Meine Hände über diese einladenden Kurven gleiten zu lassen und ihren prallen Hintern zu streicheln. Langsam legte ich meine Gabel auf den Teller, während sich mein Körper ihr entgegenbewegte.
Bis ein Kunde rief. »Hey, ist der Kaffee nur für ihn, oder bekommen wir auch noch welchen?«
Der besondere Augenblick zerschellte, und schockiert stellte ich fest, dass ich schon halb aus der Sitzecke herausgekommen war. Beth hielt sich an der Ecke des Tisches fest, als wollte sie sich selbst daran hindern, näher zu kommen. Unser beider Atem ging so schnell, als wären wir gerade zehn Meilen gelaufen.
Sie blinzelte und eilte davon. Geschockt setzte ich mich wieder hin.
Was zum Teufel war gerade passiert?
Während ich langsam meinen Kuchen aß, beobachtete ich sie noch aufmerksamer als zuvor. Es war schon spät, und das Lokal leerte sich. Die andere Bedienung, die noch hier gewesen war, verschwand nun in der Küche. Beth ging umher, füllte Serviettenspender auf, wischte die Tische ab und bereitete alles für den nächsten Morgen vor.
Eine Gruppe junger Typen kam herein, setzte sich und bestellte etwas zu essen. Sie waren laut und hatten offensichtlich getrunken, wobei sich einer von ihnen als Rädelsführer hervortat. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und ließ Beth nicht aus den Augen, machte unpassende Bemerkungen zu seinen Freunden und rief sie zu sich, für meinen Geschmack viel zu oft. Mehr als einmal wich sie seinen grapschenden Händen aus, blieb aber immer noch höflich, auch wenn ich sah, wie Zorn in ihrem Gesicht aufblitzte. Als sie zu mir kam, um Kaffee nachzuschenken, schob ich meine Kaffeetasse weg und schüttelte den Kopf.
Sie schob mir die Rechnung hin, während ich zu dem lauten Tisch hinübersah. »Arschlöcher«, murmelte ich.
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich beachte sie gar nicht. Sie werden essen, sich wie Idioten aufführen, in der Annahme, dadurch seien sie cool, und dann wieder verschwinden.« Sie seufzte ergeben.
»Hoffentlich lassen sie wenigstens ein ordentliches Trinkgeld da«, ergänzte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Gewöhnlich nicht.« Sie ging weg, während ich einen Blick auf die Rechnung warf und beschloss, dafür zu sorgen, dass sie einen guten Abend haben würde, zumindest was das Trinkgeld betraf.
Ich trank mein Wasser aus, stand auf und ging den Flur entlang zur Toilette, um mir die klebrigen Hände zu waschen. Auf dem Weg zurück hörte ich es.
»Lass mich los!«
Ich beschleunigte meine Schritte und bog um die Ecke. Beth stand am Tisch der Störenfriede, mit einem stinksauren Gesicht. Der Rädelsführer hatte sie am Handgelenk gepackt und zog sie zu sich heran. »Komm schon, Schätzchen. Schwing deinen süßen Arsch auf meinen Schoß, und wir können über das Trinkgeld reden. Deins oder meins, je nachdem, was dir lieber ist.«
Im Nu war ich quer durch das Lokal gesprintet, packte seinen Arm und zog Beth aus der Schusslinie.
Wütend baute ich mich vor ihm auf. »Zeig gefälligst ein bisschen Respekt, Arschloch!«
Er sah zu mir auf, und wo eben noch Überheblichkeit gewesen war, stand ihm nun deutliche Angst ins Gesicht geschrieben. Ich war größer und brachte gut fünfzig Pfund Muskeln mehr auf die Waage als er. Selbst an meinem schlechtesten Tag könnte ich mit ihm den Boden aufwischen. Und mit der Wut, die er in mir geweckt hatte, könnte ich es auf der Stelle locker mit allen dreien aufnehmen und fröhlich pfeifend davongehen, während sie sich noch abmühten, das Nummernschild des Sattelschleppers zu entziffern, der sie offenbar gerade überfahren hatte.
»Ich habe nur ein bisschen Spaß.«
»Hol dir deinen Spaß woanders.« Ich beugte mich drohend über ihn. »Bezahl die Rechnung, gib der Lady Trinkgeld und verpiss dich. Oder du bekommst es mit mir zu tun. Du hast die Wahl.«
Er knurrte etwas, und ich packte fester zu.
»Was hast du gesagt?«
Er riss sich los. »Ich sagte, wir gehen.«
Ich richtete mich auf und verschränkte die Arme, wohl wissend, wie imposant ich dadurch wirkte. »Gute Wahl.«
Ich kehrte zu meiner Sitzecke zurück, nahm meine Sporttasche und die Rechnung und wartete. Das Arschloch und seine Kumpels gingen zur Kasse, und Beth machte ihre Rechnungen fertig. Als schließlich der Typ, der sie angefasst hatte, vor ihr stand, bewegte ich mich in Habachtstellung auf ihn zu. Er beugte sich nah zu Beth und sagte etwas, das sie offensichtlich wütend machte. Er besaß tatsächlich die Dreistigkeit, sie erneut anfassen zu wollen, aber bevor ich einschreiten konnte, hatte sie bereits seine Hand gepackt, bog seinen Finger zurück und lächelte lieblich, als er anfing, wie ein kleiner Hund, der er ja auch war, zu winseln.
»Ich glaube, mein Freund hatte dich gebeten, zu gehen. Nun sag ich es dir. Mach, dass du verschwindest, und wag es ja nicht, noch mal hier aufzutauchen.«
Ich blieb überrascht stehen, beeindruckt von ihrer Aktion, die mich indes auch ein wenig anmachte.
»Ich sollte dich dem Manager melden«, nölte das Arschloch.
»Tu dir keinen Zwang an«, sagte ich und ging auf ihn zu. »Ich bin Zeuge und werde bestätigen, dass du übergriffig geworden bist.«
Ein Koch streckte den Kopf aus der Durchreiche. »Genau wie ich. Ihr habt die Lady gehört – verschwindet und kommt nicht wieder!«
Beth schubste das Arschloch weg und sah ihn unheilvoll an.
Seine Augen blitzten, aber er ging hinaus, natürlich ohne etwas in ihr Trinkgeldglas zu werfen. Er starrte mich mit zusammengekniffenen Augen an, als wollte er mich herausfordern, etwas dagegen zu unternehmen. Wenigstens hatten seine Freunde ein paar Scheine hineingesteckt. Die hatte sie sich redlich verdient.
Ich stellte meine Tasche ab und gab ihr meine Rechnung. Sie sah den Typen hinterher, bis sie verschwunden waren, und verdrehte dann seufzend die Augen. »Genau das, was mir heute Abend noch gefehlt hat. Mike wird nicht erfreut sein, wenn ich ihm davon erzähle.«
»Ich bürge für dich.«
Sie lächelte. »Danke.«
Ich reichte ihr ein paar Zwanziger, nahm das Wechselgeld und steckte es in ihr Glas. Sie schüttelte den Kopf.
»Das ist nicht nötig.«
»Guter Service verdient ein gutes Trinkgeld.«
Sie reichte mir eine kleine Schachtel. »Ein Held zu sein auch.«
Ich klappte den Deckel auf und grinste über das Stück Kuchen darin. Das würde ich nicht ablehnen. »Danke.«
Sie legte ihre Hand auf meinen Arm. »Danke«, gab sie zurück. »Es ist lange her, seit mir jemand zu Hilfe gekommen ist.«
Ich sah auf ihre Finger hinunter, die meine Haut berührten. Klein, blass und zart. An einem Finger trug sie einen schmalen geflochtenen Silberring. Die Nägel waren kurz, poliert und gepflegt. Auf meinem Arm sah ihre Hand winzig aus, und bevor ich darüber nachdenken konnte, legte ich meine Hand auf ihre und drückte ihre Finger.
»Zu Ihren Diensten, Mylady«, scherzte ich. »Ritter in glänzender Rüstung ist mein Nebenjob.«
Sie lachte, trat einen Schritt zurück und entzog mir ihre Hand. »Trainer bei Tag, Retter der Jungfrau bei Nacht – ist das so? Guter Plan.«
Ich lachte. »Mit der Nummer, die du gerade präsentiert hast, bist du auf meine Hilfe eigentlich nicht angewiesen. Beeindruckend.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ein Mädchen muss auf sich aufpassen.« Sie seufzte. »Okay, ich muss hier fertig werden und dann nach Hause. Nochmals vielen Dank, Ronan. Ich hoffe, ich sehe dich wieder.«
Sie ging davon, bevor ich noch etwas sagen konnte. Ich stutzte, verstand aber den Wink, nahm meine Tasche und die Schachtel mit dem Kuchen und warf noch schnell ein paar Zwanziger zusätzlich in ihr Glas, bevor ich nach draußen ging. Die hatte sie sich redlich verdient, nach dem Ärger mit diesem Vollpfosten. Ich blickte zum Fitnessstudio auf der gegenüberliegenden Straßenseite und dann zurück auf das Diner hinter mir. Sie dachte, ich würde in dem Fitnessstudio arbeiten. Zweimal hatte sie das erwähnt, und ich hatte ihr nicht widersprochen.
Ich ging zurück zum Büro, warf meine Tasche auf den Rücksitz meines Autos und fuhr zur Wohnung. Ich fragte mich, warum ich es ihr nicht gesagt hatte. Beim ersten Mal hatte es keine Rolle gespielt – sie war meine Bedienung gewesen, und ich hatte es nicht der Mühe wert gefunden, sie zu korrigieren. Beim zweiten Mal allerdings hätte ich ihr sagen sollen, dass ich dort nur gelegentlich trainierte, und sie nicht in dem Glauben lassen dürfen, dass ich im Fitnessstudio arbeitete. Eigentlich war ich ein ehrlicher Kerl, und ich wusste nicht so genau, warum ich ihre falsche Vermutung nicht richtiggestellt hatte.
Außer dass es schön gewesen war, für eine Weile nur Ronan sein zu können. Einfach ein Typ, der nach der Arbeit einen Burger essen geht. Nicht einer der Drillinge. Nicht der Sohn des reichen Geschäftsmagnaten Aiden Callaghan. Oder der wohlhabende Mann, der ich von Haus aus war. Beth hatte keinen Schimmer, wer ich war, und sie machte den Eindruck, als kümmere es sie auch nicht.
Das gefiel mir, nach dem, was mir im Jahr zuvor passiert war.
Und unterm Strich bedeutete das wohl, ich würde sie – von den gelegentlichen Abenden, an denen ich ins Fitnessstudio ging, mal abgesehen – wahrscheinlich nicht wiedersehen. Ich hatte keine Ahnung, wie ihr Dienstplan aussah, und sie auch nicht danach gefragt, schon gar nicht nach ihrer Nummer. Vielleicht arbeitete sie überhaupt nicht jeden Abend im Diner. Vielleicht hatte ich mir die Verbindung, die ich ihr gegenüber empfand, nur eingebildet. Vielleicht war ich der Einzige, der sie gespürt hatte. Ich nahm an, dass sie einen Freund hatte. Sie hatte auch keine Anstalten gemacht, mir ihre Nummer zu geben, also kamen die sonderbaren Gefühle vielleicht nur von meiner Seite.
Ich parkte in der Garage, ging hinauf in meine leere Wohnung und fragte mich, warum mich diese Gedanken so seltsam traurig machten.
Ronan verschwand um die Ecke. Ich wischte abwesend die Tischplatte sauber, sah ihm hinterher, wie er mit großen Schritten davonging, und fühlte einen befremdlichen Schmerz in der Brust, nachdem er aus meinem Blick entschwunden war.
Er hatte mich in seinen Bann gezogen, schon von dem Moment an, als er in das Diner gekommen war. Ich war davon überzeugt, dass er diese Reaktion häufig hervorrief, wenn er irgendwo hinging, denn er stach wirklich aus der Masse heraus. Er war groß und kräftig. Ein echter Schrank. Seine Schultern waren breit, seine Arme muskulös und stark. Ich war fasziniert von dem Muskelspiel seiner Unterarme, wenn er sie bewegte. Er benutzte häufig seine Hände, wenn er redete, und seine Gesten waren so sexy, dass ich meine Augen unmöglich abwenden konnte.
Als ich an seinen Tisch kam, war ich nicht sicher, was mich erwarten würde. Ich hatte ihn aus dem Fitnessstudio kommen sehen und ging daher davon aus, dass er einer der Trainer war, die dort arbeiteten. Zumindest sah er aus wie einer. Oft bestellten die Mitarbeiter des Fitnessstudios einen Salat oder die Eiweißplatte zum Mitnehmen. Falls sie im Diner aßen, verhielten sie sich in der Regel zurückhaltend. Nur einer hatte mich ständig gedrängt, Mitglied zu werden, und erst damit aufgehört, als ich ihm mitteilte, dass ich mir ihre Beiträge auf keinen Fall leisten konnte. Er hatte seine Rechnung bezahlt, war gegangen, und ich hatte ihn seither nie wieder gesehen.
Ronans Stimme überraschte mich. Sie war unerwartet voll und tief. Er sprach leise und doch klar und deutlich. Aber wenn er lachte, klang es ganz und gar nicht mehr leise. Ich hatte das Gefühl, er lachte sehr viel – nach den Lachfältchen um seine schönen grünen Augen zu urteilen. Sie leuchteten warm, umkränzt von langen Wimpern unter dichten Augenbrauen, die zu seinem männlichen Gesicht passten. Seine Nase war lang und gerade, sein gewelltes Haar von einem tiefen Braun, das über den Hemdkragen fiel. Ein Dreitagebart betonte sein kantiges Kinn. Sein breites Lächeln war freundlich.
Aber selbst, wenn er lächelte, konnte ich eine Spur von Traurigkeit in seinen Augen erkennen. Doch er war höflich und charmant. Seine Bestellung erstaunte mich. Und mir gefiel, wie er auf meine Sticheleien reagierte. Dass er eine so große Menge Essen verdrücken würde, hatte ich nicht erwartet, hatte aber andererseits so eine Ahnung, dass nichts, was Ronan tat, der Norm entsprach.
Er aß langsam und putzte jeden Teller, den ich ihm brachte, blitzblank. Ich hatte dafür gesorgt, dass viele Extras auf seinen Salat kamen, dass sein Burger ordentlich heiß und mit einer extra Portion Gurken versehen war, da er erwähnte, dass er die besonders gern mochte. Ich schnitt ein größeres Stück als üblich von dem Kolibri-Kuchen ab und hoffte, dass er ihm schmecken würde.
Und so, wie er sich über den Kuchen hermachte, gab es daran keinen Zweifel.
Ich vermochte nicht recht zu beschreiben, wie es sich anfühlte, als er neben mir auftauchte, das Arschloch in seine Schranken wies und sich vergewisserte, dass ich okay war. Ich war es gewohnt, auf mich selbst aufzupassen. Das musste ich auch. Ich kannte genug Selbstverteidigungskniffe und hätte den Idioten in wenigen Sekunden auf die Knie zwingen können, aber dass Ronan für mich einstand, hinterließ ein warmes Gefühl in meiner Brust. Wie er sich vor mich gestellt hatte, bereit, mich zu verteidigen, gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein und … beschützt zu werden. Sicher zu sein.
Gefühle dieser Art war ich ganz und gar nicht gewohnt.
Seufzend wischte ich den Tisch fertig ab und stellte den Gewürzständer wieder an seinen Platz.
Das Gefühl war verflogen, nachdem er gegangen war. Er hatte mich nicht nach meiner Nummer gefragt. Dabei hätte ich schwören können, dass er das tun würde, und das erste Mal seit Jahren hoffte ich sogar darauf, gefragt zu werden. Jedes Mal, wenn ich in seine Richtung sah, hatten sich unsere Blicke verbunden. Er schien Ausreden zu erfinden, um mich an seinen Tisch zu rufen. Er stellte Fragen, sodass ich länger bei ihm stehen blieb. Mehr als einmal dachte ich, ich hätte gespürt, dass etwas zwischen uns vor sich ging.
Aber er war einfach gegangen. Offensichtlich hatte ich die Zeichen falsch gedeutet – er war nur ein netter Typ, der perfekt flirten konnte. Bei diesen mörderischen Augen und unendlichen Muskelpaketen würde das auch mehr Sinn ergeben.
Ich bezweifelte, dass eine kleine, kurvige, überarbeitete Kellnerin sein Typ war. Ich stellte mir vor, dass er mit großen, üppigen Blondinen ausging, die selbst während des Trainings noch perfekt aussahen. Vielleicht hatte er mich deshalb so genau beobachtet, weil er im Geiste eine Liste erstellte, mit welchen Methoden er meine Figur verbessern könnte.
Ich schloss ab und zog die Jalousien herunter, dankbar, dass dieser Teil des Abends überstanden war. Ich ließ meine müden Schultern kreisen. Einen Job hatte ich noch zu erledigen, bevor ich nach Hause gehen konnte.
Ich eilte in die Küche, um so schnell wie möglich damit fertig zu werden.
Es war nach eins, als ich nach Hause kam und die Tür hinter mir schloss, und sofort fiel mir das Atmen leichter. Es war nur ein kurzer Weg von der Bushaltestelle zu dem kleinen Haus, aber um diese Uhrzeit war ich immer erleichtert, durch die Haustür zu treten und mich in relativer Sicherheit zu fühlen.
Ich hängte meinen Mantel auf, schlüpfte aus meinen Sneakers, rieb mir die Füße und fragte mich, ob ich lange genug wach bleiben konnte, um ein schnelles Fußbad zu nehmen.
Ich bog um die Ecke und war überrascht, dass Paige noch wach war und in einer Zeitschrift blätterte.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich besorgt.
Sie winkte ab. »Ja. Alles in Ordnung. Ich konnte nur nicht schlafen, das ist alles.« Sie hob die Arme über den Kopf und streckte sich. »Wie war die Arbeit?«
Ich warf mich auf das Sofa. »Gut, abgesehen von einem Wichser, der seine Hände nicht bei sich behalten konnte.«
»Igitt. Hast du deine Kniffe angewendet?«
Ich gluckste. »Ja, aber erst beim zweiten Mal. Beim ersten Mal ist ein Gast eingeschritten und hat ihn ordentlich zusammengestaucht.«
»Wie nett, aber anscheinend hat er nicht zugehört.«
Ich gähnte. »Nö – sein Ego war zu groß, um auch nur ein Wort davon mitzubekommen. Also habe ich ihm, als er einen zweiten Anlauf nahm, seine Finger verbogen.«
Sie grinste. »Hat er gequietscht?«
»Wie ein kleines Mädchen.« Ich lachte. »Mit Schleifen im Haar.«
Sie gab mir einen High five. »Meine Rede. Genau das meine ich.«
Ich deutete in Richtung Flur. »Geht es ihnen gut?«
»Ja«, versicherte sie mir. »Sie haben eine Weile ein Videospiel gespielt, und Lucy ist darüber eingeschlafen. Evan hat noch Hausaufgaben gemacht und ist um zehn ins Bett.« Ihre Stimme war sanft. »Er ist so geduldig mit ihr und zeigt ihr, wie die Steuerung funktioniert – ich glaube, er lässt sie gewinnen, nur um sie glücklich zu machen.«
»Er ist ein tolles Kind. Das sind sie beide.«
Sie beugte sich vor und drückte meine Hand. »Wir können uns glücklich schätzen, euch zu haben.«
Ich erwiderte ihren Händedruck. »Wir sind glücklich, dass wir euch haben.«
»Du brauchst dringend etwas Schlaf. Morgen früh hast du dein Seminar.«
»Ich weiß.« Ich stand auf. »Ich sehe nach Evan und gehe dann ins Bett. Und ich schaue auch noch schnell nach Lucy.«
»Danke.«
Ich ging den Flur hinunter und blieb vor Lucys Zimmer stehen. Sie schlief, umgeben von Kissen und Kuscheltieren. Ihre langen dunklen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, und sie sah entzückend aus, wie sie da lag und ihren Lieblingsbären umklammerte. Die Decken hatte sie wie immer von sich geworfen, und ich wickelte sie wieder ein, damit ihr nicht kalt wurde, obwohl ich wusste, dass sie sich bald wieder freistrampeln würde.
In Evans Zimmer stand ich eine Weile und beobachtete ihn beim Schlafen, denn seine tiefe, gleichmäßige Atmung half mir, mich zu entspannen. Wie immer war sein Zimmer ordentlich aufgeräumt – genauso, wie er es mochte. Eine seiner Krücken war umgefallen, ich hob sie auf, stellte sie neben die andere, und mir verging das Lächeln.
Ich wünschte, er würde sie nicht brauchen. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zwei Jahre zurückdrehen und ändern, was geschehen war. Aber das war unmöglich.
Stattdessen beugte ich mich über ihn und strich ihm zärtlich das Haar aus der Stirn. »Schlaf gut, Kleiner. Hab dich lieb.«
Dann machte ich mich auf den Weg ins Bett, ging die Treppe hinunter und fühlte die Last der Verantwortung irgendwie noch stärker als sonst.
In dieser Nacht träumte ich von warmen grünen Augen und Grübchen. Starken Armen und einem breiten Lächeln, das mein Herz höherschlagen ließ.
Aber als ich aufwachte, war ich allein – und irgendwie fühlte sich der Kummer darüber schlimmer an als je zuvor.
Ich drosch heftig auf den Boxsack ein, duckte mich und wich aus, um von dem zurückpendelnden Sack nicht getroffen zu werden. Der Schweiß rann mir den Rücken hinunter, und meine Schultern schmerzten vor Anstrengung.
»Was hat dir der Sandsack in letzter Zeit getan, mein Sohn?«, fragte mein Vater gedehnt, als er den Fitnessraum betrat, den wir im Haus eingerichtet hatten.
Ich machte einen Schritt zurück, brachte den Boxsack zum Stillstand und grinste. »Er hat mich schräg angeguckt.«
Er gluckste und ließ die Schultern kreisen. »Willst du stattdessen mit deinem alten Herrn in den Ring steigen?«
Ich schlug meine Handschuhe gegeneinander. »Dann mal los.«
Sein Lachen erfüllte den Raum, als auch er sich ein Paar Handschuhe schnappte und beim Anziehen des zweiten die Zähne zu Hilfe nahm. Er trug Trainingshosen und ein enges Shirt, das seinen beeindruckenden Körperbau zur Geltung brachte. Er hatte schon immer auf Fitness gestanden und Stunden damit verbracht, seine Leidenschaft mit uns Kindern zu teilen. Er war geduldig, wusste viel und sorgte dafür, dass wir lernten, wie wir auf uns achteten.
Er brachte allen von uns Selbstverteidigung bei, auch meiner Schwester Ava, die jetzt den schwarzen Gürtel in Karate trug. Keiner legte sich mit meiner älteren Schwester an – und sie war keinesfalls abgeneigt, ihre hervorragende Technik gegen uns einzusetzen, wenn wir sie ärgerten.
In den nächsten zwanzig Minuten war der Raum mit nichts anderem erfüllt als unserem Gefrotzel, dem Quietschen der Schuhe auf den Matten und unserem Grunzen, wenn wir vorpreschten und zurücksprangen, Schläge und Aufwärtshaken austeilten und unseren Spaß hatten. Ich liebte das Sparring mit ihm, lernte willig, wenn er dezent meine Haltung korrigierte, und musste lachen, weil er so tat, als wäre er beleidigt, wenn ich einen Schlag »landete« und über seine Beleidigungen kicherte.
Wir klatschten einander ab, zogen die Handschuhe aus und tranken beide lechzend aus den Bechern, die wir am Wasserspender gefüllt hatten. Danach sanken wir zu Boden, unsere Rücken an die kühlen Zementwände gelehnt.
»Arbeitest du dir deinen Frust ab?«, fragte er.
»Ich lasse nur etwas Dampf ab.« Ich wischte mir mit dem Handtuch über das Gesicht.
»Willst du darüber reden?«
Ich neigte den Kopf zur Seite und begegnete seinem Blick. »Worüber?«, wollte ich wissen und fragte mich, wer ihn gebeten hatte, nach mir zu sehen.
»Über was auch immer dich bedrückt.«
»Ich kann mich nicht entsinnen, irgendetwas in der Richtung gesagt zu haben.«
»Deiner Mutter ist am Wochenende aufgefallen, wie still du beim Abendessen warst. Deine Brüder machen sich Sorgen um dich.«
»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen«, sagte ich milde. »Es geht mir gut.«
»Sie denken, dass du wegen ihrer neuen Freundinnen aufgebracht bist.«
Ich nahm einen großen Schluck Wasser. »Da liegen sie falsch. Gestern Abend war ich mit ihnen essen. Ich mochte sowohl Diane als auch Kim. Sie scheinen sehr glücklich zu sein.«
»Und du bist allein.«
»Dad, das ist weder das erste noch das letzte Mal. Wir haben alle unser eigenes Leben. Dafür habt ihr, du und Mom, gesorgt. Ich bin ein wenig mit den Problemen beschäftigt, die der Bau des ABC-Gebäudes mit sich bringt. Die Details für das Hotel fertigzustellen. Und dann das Hin- und Herpendeln zwischen hier und Port Albany.«
»Was hältst du davon, dass deine Brüder darüber nachdenken, doch nicht umzuziehen?«
»Ich war nicht überrascht, nachdem sie mir erzählt hatten, dass sie nun Freundinnen haben. Nur logisch, dass sie vorerst in der Nähe bleiben wollen. Und sie waren nie so erpicht darauf wie ich, in Port Albany zu leben.«
»Was ist mit dir?«
»Ich habe immer noch vor, für immer dorthin zu ziehen – erst recht, wenn das Gebäude fertig ist und wir anfangen, uns auf den Südwesten der Provinz zu konzentrieren.«
»Und es gibt hier niemanden, der dich hält?«, fragte er.
Ich seufzte. »Nein, Dad. Du weißt, dass es niemanden gibt. Und auch niemals geben wird«, fügte ich hinzu, obwohl mir ein Paar dunkler Augen und wilde Locken durch den Kopf schossen. Seit vergangener Woche war ich nicht mehr in dem Diner gewesen. Ich war zwar in Versuchung geraten, hatte aber tapfer widerstanden.
»Sie war nicht normal, Ronan.« Er hielt frustriert inne. »Ich wünschte, du würdest uns erzählen, was passiert ist. Vielleicht würde dir das helfen.«
»Das spielt keine Rolle. Es ist Vergangenheit, und ich bin darüber hinweg. Ich lasse nicht zu, dass so was noch einmal passiert.« Ich stieß mich von der Wand ab und hielt meinem Dad die Hand hin. Er ergriff sie, zog sich daran hoch und lachte, als seine Knie knackten.
»Jesses, ich werde alt.«
Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Niemals. Nur ein bisschen steif.«
»Das hat deine Mutter letzte Nacht auch gesagt.«
»Oh Gott, nein. Fang bloß nicht damit an«, stöhnte ich. »Vom Sex zwischen dir und Mom will ich nichts hören.«
Er wackelte mit den Augenbrauen. »Sie kann immer noch nicht genug von mir kriegen.«
»Von mir aus.«
Plötzlich wurde er ernst. »Ronan, ich weiß, dass du dich manchmal verloren und nur als einer von dreien fühlst. Aber ich weiß auch, dass du anders bist. Du verbirgst es, aber deine Mutter und ich wissen es trotzdem.«
»Da seid ihr wahrscheinlich die Einzigen«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.
»Du bist der Beschützer, der Besorgte. Deine Brüder wissen das auch. Sie lieben dich, und ob du es willst oder nicht, euch drei verknüpft ein unglaublich starkes Band. Das war von eurer Geburt an so. Wir konnten euch lange Zeit gar nicht voneinander trennen. Auch als ihr älter wurdet, passte kein Blatt zwischen euch. Ihr habt gegenseitig eure Sätze beendet. Ihr habt den Schmerz des anderen gespürt. Aber du hast ihren noch viel stärker wahrgenommen. Selbst getrennt wart ihr zusammen. Diese Verbindung kannst du nicht ignorieren.«
»Das versuche ich auch gar nicht. Aber unsere Leben werden verschiedene Richtungen einschlagen, Dad. Das ist auch richtig so. Dadurch wird unsere Verbindung nicht auseinandergerissen, aber jeder von uns muss sein eigenes Glück finden. Seinen eigenen Weg gehen. Es gibt Bereiche in unserem Leben, an denen die anderen keinen Anteil haben.« Ich zuckte mit den Schultern. »Und damit müssen wir klarkommen, jeder auf seine Weise. Die beiden haben Frauen gefunden, für die sie Feuer und Flamme sind. Dass sie auch noch Zwillinge sind, ist reiner Zufall. Aber ihre Leben verlaufen weiter in die gleiche Richtung, und meines schlägt im Moment einen anderen Weg ein. Wir werden wieder zueinanderfinden. Das tun wir immer. Aber ich muss ein wenig zurücktreten und sie ihr Ding ohne mich machen lassen.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich mache mir trotzdem Sorgen. Du verbringst sehr viel Zeit allein.«
Ich lachte schallend. »Ich bin jeden Tag mit ihnen zusammen. Addi ist hier. Gracie. Ava. Reed und Heather. Und jetzt auch Theo. Ich bin den ganzen Tag von Menschen umgeben. Wir haben am Wochenende zusammen zu Abend gegessen, und gestern Abend habe ich sie auch gesehen. Ich bin kaum mal allein.«
Er sah mich mit ernstem Blick an. »Man kann in einem Raum voller Leute allein sein, Ronan. Das weiß ich nur zu gut.«
»Dad, ehrlich, mir geht’s gut. Ich freue mich für Paul und Jeremy, und ich mag die Mädels. Ich weiß, dass sie vorhaben, euch die beiden bald vorzustellen.«
»Wirst du da sein, wenn es so weit ist?«
»Klar«, versicherte ich ihm. »Das werde ich.«
»Du musst endlich auch dein Glück finden, Ronan.«
»Ich weiß. Aber du kannst nicht erwarten, dass mein Zeitplan derselbe ist wie ihrer. So ähnlich sind wir uns nun auch wieder nicht.«
Er rieb sich das Kinn. »So ist das, oder? Ihr drei wart immer unzertrennlich. Nun verändert sich euer Leben im großen Stil. Sie gehen in die eine Richtung und du in eine andere.«
»Wir sind uns trotzdem nah. Das wird sich auch nicht ändern, nur weil sie sich verliebt haben. Meine Zeit wird auch noch kommen«, fügte ich hinzu und versuchte, für meinen Dad optimistisch zu klingen.
»Bestimmt wird sie kommen«, bekräftigte er. »Du wirst deine Liebe finden, so wie ich deine Mutter gefunden habe, und sie hat mein Leben verändert.«
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Mom sagt allerdings, dass sie dich gefunden hätte und du dich mit Händen und Füßen gegen sie gewehrt hast.«
Er lachte. »Da hat sie recht. Ich war dumm. Aber nachdem bei mir Idiot der Groschen endlich gefallen war, habe ich sie nie wieder losgelassen. Du wirst ein Mädchen finden, für das du auch so empfindest. Das verspreche ich dir.«
»Wir werden sehen, was passiert.«
Er musterte mich und beschloss offensichtlich, dass er mir genug Vorträge gehalten hatte.
»Okay, ich lasse es jetzt gut sein. Aber deine Mutter wird schwer ein Auge auf dich haben. Sei vorgewarnt.«
»Heißt das, sie wird mir Essen vorbeischicken?«
Er verzog das Gesicht. »Davon gehe ich aus.«
Ich legte einen Arm um seinen Hals und zog ihn an meine Brust.
»Danke, alter Mann. Ich weiß, du teilst nicht gern.«
Er schlang seine Arme um mich und drückte mich fest. Für einen Moment schöpfte ich Kraft aus seiner Stärke. Dad hatte uns gegenüber nie ein Hehl aus seiner Zuneigung gemacht. Auch nicht unserer Mutter gegenüber. Und der gesamten Großfamilie. Er war ein großer Umarmer, und manchmal dachte ich, das lag daran, dass er die Umarmungen genauso dringend brauchte, wie er sie großzügig verteilte. Ich drückte ihn fest zurück.
»Danke, Dad.«
Er trat zurück. »Jederzeit. Ich bin immer da, Ronan.«
Ich lächelte und drückte seine Schulter. »Ich weiß.«
Er hob seine Tasche auf, winkte mir zu und ging. Ich sah ihm mit einem Seufzer hinterher. Ich hatte nicht wirklich gelogen, als ich ihm sagte, dass es mir gut ging, aber in Wahrheit war ich ein wenig neben der Spur. Ich glitt an der Wand entlang zu Boden und nippte an meinem Wasser.
Er hatte recht. Ich vermisste meine Brüder. Selbst wenn uns das Leben in verschiedene Richtungen führte, waren wir irgendwie miteinander verbunden. Zwischen uns Drillingen gab es ein untrennbares Band. Sogar als wir unsere eigenen Freundeskreise und Freundinnen hatten, gehörten wir irgendwie doch immer zusammen. Wir kannten einander besser als jeder andere. Wir standen uns so nah, dass wir spüren konnten, wie es den anderen ging. Es war ein Band, das wir nicht erklären konnten. Wir versuchten das auch gar nicht erst, denn für uns war es einfach selbstverständlich, ein Drilling zu sein. Wir waren zusammen auf die Universität gegangen und hatten auch täglich Kontakt gehalten, als wir unsere Berufspraktika in verschiedenen Unternehmen absolvierten. Bis zu unserem Abschluss hatten wir uns sogar eine gemeinsame Wohnung geteilt, dann aber beschlossen, es wäre langsam an der Zeit, dass jeder für sich selbst lebte. Aber jetzt fühlte es sich zum ersten Mal so an, als würden unsere Wege in getrennten Bahnen verlaufen, anstatt sich zu überkreuzen. Es war ein merkwürdiges Gefühl.
Ich dachte daran, wie wir erwachsen geworden waren. Sogar unsere Karrieren verliefen ähnlich. Wir teilten eine tiefe Liebe zur Architektur, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Ich bevorzugte kommerzielle Architektur, Paul konzentrierte sich auf nachhaltige Öko-Architektur, und Jeremy war der Innenraum-Experte. Zusammen gaben wir ein hervorragendes Team ab. Tatsächlich war der gesamte Callaghan-Clan, mit Ausnahme meiner Mutter, auf die eine oder andere Art in das BAM/ABC-Imperium involviert.
Unser älterer Bruder Liam liebte die Natur. Er hatte schon immer eine Vorliebe für Pflanzen und Gärten. In meiner frühesten Erinnerung an ihn sah ich uns zusammen im Garten, während er ein Gemüsebeet umgrub, Unkraut jätete, sich akribisch um seine Pflanzen kümmerte und mir zeigte, wie man sie richtig goss. Er wurde Gartenbauingenieur und leitete sein eigenes Unternehmen. Er arbeitete viel für BAM und ABC, aber auch für andere Firmen, und seine Dienste waren immer außerordentlich gefragt.
Unsere Schwester Ava arbeitete bei ABC und fungierte als Verbindungsperson für alle Projekte, die wir in Angriff nahmen. Ich kannte keinen anderen Menschen, der sich so gut organisiert auf den Papierkram verstand, sämtliche Teile des Puzzles zusammenhielt und dafür sorgte, dass alles reibungslos funktionierte. Unser Adoptivgroßvater Jordan Hayes, der diese Position bei BAM vorher innehatte, behauptete beharrlich, dass Ava alles, was sie wusste, von ihm gelernt und ihn darüber hinaus sogar um das Zehnfache überflügelt hatte. Wir konnten uns glücklich schätzen, sie zu haben.
Aber in Wahrheit standen wir drei uns am nächsten. Auch als ich mit Loni zusammen war, hatte sich daran nichts geändert. Seit unserer unschönen Trennung hatte ich es vorgezogen, allein zu bleiben, und leckte im Stillen meine Wunden. Selbst nachdem ich die Verletzung überwunden hatte, war ich nicht mehr ganz derselbe wie vorher. Sie hatte eine Narbe hinterlassen, die nicht richtig verheilt war. Meine Brüder waren wie immer verständnisvoll gewesen und hatten mich nie bedrängt, aber auch ihr eigenes Leben weitergelebt. Doch dieses Mal fühlte es sich an, als ob die getrennten Wege der Anfang von etwas Größerem waren. Und mich zu einem einsameren Menschen machten.
Gestern Abend hatte ich mich mit ihnen und ihren Zwillingsfreundinnen zum Dinner getroffen. Wie wir drei waren Kim und Diane einander zwar ähnlich, sahen aber nicht völlig identisch aus. Kims Haar war hellbraun, Dianes mahagonifarben. Beide hatten blaue Augen. Sie waren groß, schlank und hübsch. Sie waren intelligent und drückten sich gut aus. Unbeschwert. Sie passten gut zu meinen Brüdern. Diane war die Ruhigere, was zu Pauls aufgeschlossener Persönlichkeit passte. Kim war die Ausgelassenheit in Person und plauderte ständig, worin Jeremy sie mit seinem Witz und seiner Begabung bestärkte, zu jedem Thema etwas beitragen zu können. Es war unschwer zu erkennen, wie wohl die vier sich miteinander fühlten.
»Welche Klasse unterrichtest du?«, fragte ich Kim.
Sie antwortete lächelnd. »Die erste Grundschulklasse.«
»Ich wette, die halten dich ganz schön auf Trab.«
»Ununterbrochen. Ich liebe Kinder und bin gerne mit ihnen zusammen. Sie sind offen und ehrlich, weißt du? Ihre Reaktionen sind so geradeheraus.« Sie musste lachen. »Manchmal zu geradeheraus, aber deshalb ist auch kein Tag langweilig.«
Wenn ich daran dachte, wie anstrengend wir in der Schule gewesen waren, konnte ich mir das gut vorstellen.
»Sind auch Zwillinge oder Drillinge in deiner Klasse?«
»Dieses Jahr nicht. Vor zwei Jahren hatte ich ein Zwillingspaar. Eineiige Zwillinge. Unzertrennlich. Glücklicherweise zog die Mutter sie unterschiedlich an, sonst wäre ich verloren gewesen.«
»Wir haben alle naselang unsere Klamotten getauscht.« Paul gluckste. »Und an manchen Tagen aus Spaß auch einfach die Rollen.«
»Ich bin mir sicher, die Mädchen haben das auch ein paarmal gemacht«, stimmte Kim zu. »Ihr seid aber keine eineiigen Zwillinge, nicht wahr?«
»Als wir jünger waren, sahen wir uns ziemlich ähnlich«, erklärte ich. »Irgendwann wurde ich dann attraktiver als diese beiden Clowns.« Ich zwinkerte.
»Größer, meinst du«, spöttelte Jeremy. »Wir alle wissen, dass ich am besten aussehe. Je länger man in der Röhre war, desto besser wurde das Aussehen …«
Jetzt war ich an der Reihe zu lachen. »Klar, die sechs Minuten haben den entscheidenden Unterschied gemacht.«
Er nickte. »Ich wusste, du würdest mir zustimmen.«
Wir lachten alle. Kim umfasste seinen Arm und flüsterte ihm etwas zu, woraufhin er grinsend den Kopf drehte, um sie heftig zu küssen.
Bei diesem Anblick spürte ich wieder den seltsamen Schmerz in meiner Brust.
Kim errötete, als sich unsere Blicke begegneten. »Jeremy hat erzählt, dass du die treibende Kraft des Designteams bist.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wir leisten alle unseren Beitrag.«
»Paul behauptet das auch«, bekräftigte Diane leise. »Er sagt, dein Talent verblüfft ihn.«
Ich senkte den Kopf und spielte mit meiner Gabel. Es kam selten vor, dass ich von jemandem zu hören bekam, was meine Brüder von mir hielten. Wir unterstützten uns gegenseitig und genossen die kreativen Schwingungen bei der Arbeit, aber ein schlichtes Lob bekam ich selten von ihnen zu hören.
Ich nahm meinen Drink und bemühte mich, die Stimmung aufrechtzuerhalten. »Ich bin ziemlich großartig.«
Was weitere Sticheleien zur Folge hatte. Unser Essen wurde serviert, und die Unterhaltung plätscherte unbeschwert dahin. Das andauernde »Pärchengeplänkel« zu beobachten, ihre Verbundenheit, gab mir manchmal das Gefühl, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Ich verstand weder die Insider-Witze, noch teilte ich die Erinnerung an das tolle Sushi-Restaurant, in dem sie letzte Woche gegessen hatten. Ich konnte nicht so laut wie sie über die Geschichte lachen, wie Paul im Kino über seinen offenen Schnürsenkel gestolpert und das Popcorn aus seiner Hand und über alle Leute in der Nähe geflogen war. Zwar lachte ich amüsiert über das Bild, das mir vor Augen trat, teilte aber nicht das gemeinsame Erlebnis.
Diane sprach viel über ihre Arbeit im Krankenhaus und gab amüsante Anekdoten darüber zum Besten.
»Ich bin Kinderkrankenschwester«, erklärte sie.
»Dann nehme ich mal an, dass du Kinder liebst?«
»Ja. Aber ich wäre eine furchtbare Lehrerin. Ich kann schmeicheln, Spritzen geben, Kinder beruhigen, sie dazu bringen, mich in ihre Rachen schauen zu lassen oder so etwas, aber ihnen etwas beibringen? Im Leben nicht.«
»Ich bin sicher, du bist besser, als du denkst.«
Kim beugte sich vor und grinste. »Glaub mir, das ist sie nicht.«
Alle lachten. Paul lehnte sich zurück und spielte mit Dianes Fingern. »Erwachsenen kann sie genauso wenig etwas erklären.«
Diane kicherte. »Na, dann ist es ja gut, dass ich dich jetzt dafür habe.«
Er küsste sie. »Jepp.«