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Wenn eine schüchterne Autorin auf einen berühmten Schauspieler trifft ...
Mila Morrison ist Autorin mit Herz und Seele, sie ist schüchtern und bevorzugt fiktive Menschen gegenüber realen Personen. Doch als ihr Buch verfilmt wird, weiß sie ganz genau, wer ihren männlichen Protagonisten spielen soll: Nicholas Scott. Obwohl er in der Branche einen schlechten Ruf als Playboy und Mr Unzuverlässig genießt, glaubt Mila fest daran, dass er hinter diesem Image eine andere Seite verbirgt. Und als sie auf dem Set aufeinandertreffen, spüren sie eine ungeahnte Bindung, die ihr Leben für immer verändern wird. Doch wie passen die zurückhaltende Schriftstellerin und der umjubelte Star zusammen?
"So viele Emotionen! Ich liebe dieses Buch, für mich das beste dieser Reihe!" Addicted to Reading Romance
Abschlussband der ABC-CORP-Reihe von Bestseller-Autorin Melanie Moreland
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Seitenzahl: 473
Titel
Zu diesem Buch
Liebe Leser:innen
Vorwort
Familienstammbaum
Widmung
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Epilog
Es ist vollbracht – Serienepilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Melanie Moreland bei LYX
Leseprobe
Impressum
MELANIE MORELAND
Bossy Love
LIEBE HÄLT SICH AN KEIN DREHBUCH
Roman
Ins Deutsche übertragen von Gesa Andres
Mila Morrison ist Autorin mit Herz und Seele, sie ist schüchtern und bevorzugt fiktive Menschen gegenüber realen Personen. Doch als ihr Buch verfilmt wird, weiß sie ganz genau, wer ihren männlichen Protagonisten spielen soll: Nicholas Scott. Obwohl er in der Branche einen schlechten Ruf als Playboy und Mr Unzuverlässig genießt, glaubt Mila fest daran, dass er hinter diesem Image eine andere Seite verbirgt. Und als sie kurz vor den Dreharbeiten aufeinandertreffen, spüren sie eine ungeahnte Bindung, die ihr Leben für immer verändern wird. Doch wie passen die Leben der zurückhaltenden Schriftstellerin und des umjubelten Stars zusammen?
danke, dass eure Wahl auf Bossy Love – Liebe hält sich an kein Drehbuch gefallen ist. Die Auswahlmöglichkeiten sind groß, und ich fühle mich geehrt, dass ihr euch für mein Buch entschieden habt.
Von allen Bossy-Love-Büchern war Liebe hält sich an kein Drehbuch am schwersten zu schreiben. Ich bin mir nicht sicher, ob es daran lag, dass das Thema an den Verlust einer lieben Freundin rührte oder weil es das Ende der Serie war. Ich weiß nur, ich bin all jenen zu großem Dank verpflichtet, die bei der Entstehung der Geschichte mitgeholfen haben.
Wenn ihr an den neuesten Informationen über Neuerscheinungen, exklusive Inhalte und Spezialangebote interessiert seid, meldet euch bitte unter https://bit.ly/MMorelandNewsletter für meinen Newsletter an.
Nur Spaß – kein Spam!
xoxo,
Melanie
Nicholas’ Verfassung basiert auf meiner persönlichen Erfahrung mit einer engen Freundin, der Beratung mit Fachleuten der Psychiatrie und einem Sensitivity-Reader mit bipolarer Störung. Dieses Buch ist nicht als medizinische Fachliteratur gedacht. Wie bei allen psychischen Erkrankungen können die Symptome einen großen Bereich an Behandlungsvariationen abdecken.
Für mehr Informationen nehmt bitte Kontakt auf mit: https://www.seelischegesundheit.net/.
Für Tracy, die so hart gekämpft hat und so sehr vermisst wird. Dein Lächeln wird immer in meinem Herzen bleiben.
Ich stieß einen langen Seufzer aus und schob mir das Haar aus dem Gesicht, sah mich suchend auf dem Schreibtisch um und verschob ein paar Sachen, bis ich schließlich ein Haargummi entdeckte. Stirnrunzelnd blickte ich auf den Bildschirm des Computers und versuchte, ein anderes Wort zu finden.
Offensichtlich benutzte ich das Wort »knurren« zu häufig in meinen Büchern, und meine Lektorin Lisa hatte in ihren Anmerkungen ein paar bissige Kommentare dazu gemacht. Ich hatte noch drei andere »knurrige« Stellen, deshalb war mir klar, dass ich mir jetzt etwas anderes einfallen lassen musste.
Ich schürzte die Lippen, trank einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. Er war kalt.
Hatte ich ihn nicht eben erst aufgebrüht?
Ein schneller Blick auf mein Handy belehrte mich eines Besseren. Ich hatte ihn schon vor zwei Stunden gekocht. Doch dann musste ich grinsen, denn nach nur einem Schluck hatte ich über zweitausend Wörter geschrieben.
Nicht übel.
»Ah«, meinte ich schmunzelnd. »Brummig. Ich mag brummige Männer.« Das Schmunzeln blieb auf meinem Gesicht, bis ich den Absatz fertig geschrieben hatte.
Meine Mom beschuldigte meinen Dad öfter, brummig zu sein. Er bestritt das regelmäßig und behauptete, sie läge falsch, aber sie hatte natürlich recht. Wenn er genervt war, weil einer von uns nicht zuhörte oder irgendwelche Männer mir, meiner Schwester oder, Gott behüte, meiner Mutter hinterherschauten, entfleuchte ihm jedes Mal ein Brummen.
Meine Mutter fand das sexy. Sammy und ich lachten immer darüber. Sammy meinte einmal, wenn ein Mann dem stechenden Blick unseres Dads nicht standhalten könne, würde er in dieser Familie nicht überleben.
Sie hatte recht.
Natürlich sahen meiner Schwester weitaus mehr Männer hinterher als mir. Sie war wunderschön. Quirlig und lustig. Sie sah aus wie unsere Mutter, nur mit dunklen Augen.
Ich sah aus wie – tja, ich hatte keine Ahnung. Ich war adoptiert. Aus einer kalten, beängstigenden Wohnung geholt und einer zugedröhnten drogensüchtigen Mutter weggenommen worden, die ständig vergaß, dass ich überhaupt existierte. Ich hatte bis auf ihre dunklen Haare keinerlei Erinnerung an ihr Aussehen. Meine Haare waren honigfarben, wie die meiner Adoptivmutter, und merkwürdigerweise hatte ich auch dieselben Augen wie sie – ein Goldbraun mit einem dunklen Rand um die Iris. Ich war klein und ziemlich kurvig, denn ich war viel mehr daran interessiert zu schreiben und Bücher zu lesen, als zu viel Zeit auf dem Laufband zu verbringen. Trotzdem trainierte ich jeden Tag, auch wenn ich es nicht ausstehen konnte. Ich wusste, wenn ich es nicht täte, würde mein Hinterteil zu einem Ballon werden, ganz zu schweigen davon, dass ich dann meine Lieblingssnacks kürzen müsste – Cashewkerne. Die konnte ich den ganzen Tag futtern. Ich erinnerte mich vage daran, dass meine leibliche Mutter größer und dünner war. Deshalb hatte ich keinen Schimmer, wem ich nachkam.
Der Tag, an dem ich Liv und Van das erste Mal traf, war meine erste echte und klare Erinnerung an meine Kindheit, die mich zum Lächeln brachte. Liv war so hübsch und freundlich. Sie roch gut, hatte eine sanfte Stimme, und sie ließ mich auf ihren Schoß klettern und hielt mich fest. Ich war schon so lange nicht mehr angefasst worden, außer im Zorn, dass ich von dem Gefühl ihrer liebevollen Umarmung gar nicht genug kriegen konnte. Ich hatte mich vom ersten Moment an zu ihnen hingezogen gefühlt, und als sie fortgingen, erinnerte ich mich, in Schluchzen ausgebrochen zu sein, weil die schöne Frau weg war. Aber sie kam wieder und immer wieder, und dann nahm sie mich mit zu sich nach Hause.
Van war kolossal groß. Er überragte mich auf geradezu beängstigende Weise. Aber die schöne Lady mochte ihn, außerdem gab er mir einen Keks, deshalb beschloss ich, dass er wohl in Ordnung sein musste. In meinem bisherigen Leben hatte ich keinen einzigen Mann kennengelernt. Im Apartment lebten nur meine Mutter und ich. Die einzige Zeit, in der jemand anderes da war und ich eine Männerstimme hörte, verbrachte ich eingesperrt in einem Schrank.
Ich hatte es immer gehasst, wenn sie vergaß, die Tür wieder aufzuschließen.
Aber Van war sanft und freundlich. Er hatte ein offenes Lächeln, und ich wollte ihm näherkommen, fürchtete mich aber zu sehr. Als sie mich mit nach Hause nahmen, hatte ich auf Anhieb eine Familie. Einen Bruder namens Reed und eine Schwester namens Samantha, die aber jeder Sammy oder Maus nannte. Sie war es, die aus meinem Namen Amelia die Kurzform Mila machte. Ich schloss sie sofort in mein Herz. Ich mochte Reed, auch wenn er manchmal laut war. Er wurde für mich der beste große Bruder, den ein Mädchen sich wünschen konnte. Geduldig und süß, beschützend und freundlich. Er setzte sich immer für mich ein und kam deshalb oft genug in Schwierigkeiten. Aber er machte trotzdem nie einen Rückzieher. Ich liebte ihn über alles, und wir standen uns nun sehr nahe.
Ich bewunderte Liv, blieb Van gegenüber aber misstrauisch, obwohl er nichts als freundlich zu mir war und mich »Pumpkin« nannte. Aber eines Tages änderte sich das, als wir einen Familienfilmabend machten und Van mit Sammy kuschelte. Es faszinierte mich, wie er Sammy knuddelte. Sie sah so glücklich mit ihm aus. Als sie wegrückte, streckte ich meine Arme aus, woraufhin Van mich auf den Schoß nahm und mich in eine Decke wickelte, genauso wie er es mit Sammy gemacht hatte. Er hielt mich fest, und seine breite Schulter war der perfekte Platz, um sich einzukuscheln. Noch nie hatte ich mich sicherer gefühlt als in diesem Moment. All meine Ängste lösten sich in seiner sanften Umarmung in Luft auf.
Danach war er mein Daddy. Liv wurde Mommy.
Und mein neues Leben begann.
Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden, und sicherte das Kapitel. Dann ging ich zur Küche, wobei meine Schritte im Flur des leeren Hauses widerhallten. Sammy war bei einem ihrer Projekte – sie half einem Geschwisterpaar dabei, deren Ranch zu retten. Ich vermisste sie furchtbar, obwohl wir ein paarmal per Videoanruf miteinander gesprochen hatten. Sie erzählte mir alles, was sie gerade machte. Sie mochte die Schwester, betonte aber, dass ihr der Bruder total auf die Nerven ging. Allerdings hatte sie dabei ein Lächeln im Gesicht, und ihre Augen hatten einen gewissen Glanz, der mir bekannt vorkam.
Ich hatte wirklich schon oft genug über diesen Glanz geschrieben und das Gefühl, dass an Sammys genervtem Unmut über Luke Adler weit mehr dran war, als sie zugeben wollte.
Die Zeit würde zeigen, ob ich richtiglag.
Ich legte eine Kaffeekapsel in die Maschine und wartete, während der Kaffee gebrüht wurde, dessen Duft die Küche erfüllte. Ich durchstöberte den Kühlschrank und entdeckte erfreut Resteessen von Mom, das ich zum Aufwärmen in die Mikrowelle schob. Dann trug ich den heißen Auflauf und den Kaffee zum Tisch und setzte mich hin, um zu essen.
Mein Handy klingelte, und lächelnd nahm ich den Anruf meiner Agentin entgegen. »Hey, Andi.«
»Na, Kleine, wie läuft’s? Hast du schon ordentlich für mich geschrieben?«
Ich stellte auf Lautsprecher und legte das Handy auf den Tisch. »Jep.«
»Ausgezeichnet. Wann kriege ich es zu lesen?«
Ich lachte. »Andi, du hast eben erst das letzte Buch bekommen. Ich habe gerade mal zwanzigtausend Wörter bei dem hier.«
»War ja nur eine Frage.«
Sie schwafelte ein wenig über Zahlen und irgendwelche neuen Vertragsabschlüsse mit dem Ausland. Während sie erzählte, aß ich weiter und trank meinen Kaffee.
»Nun zu den Neuigkeiten über den Film.«
»Aber keine Besetzungsänderungen?«, fragte ich ängstlich.
»Nein. Nicholas Scott hat weiter die Hauptrolle, und Lacey Dunbar spielt die Roxie. Aber die Produktion ist vorverlegt worden. Bislang sind die Pläne, dass die Szenen in Los Angeles in zwei Wochen gedreht werden, dann weiter nach Vancouver für den Außendreh. Dann nach Ontario, und danach was auch immer für die Nachdrehs nötig ist. Sie wollen, dass du für die Dreharbeiten nach L. A. fliegst und an den Table Reads teilnimmst. Um den Schauspielern zu helfen und ihnen einen tieferen Einblick zu geben.«
»Wow, so bald?«, fragte ich, während Angst mir die Brust zusammenschnürte.
»Das Studio ist ganz verrückt nach deinem Buch, Kleine. Und du hast gesagt, du wärst bereit dazu. Du machst doch jetzt keinen Rückzieher, oder?« Sie hielt inne. »Ich werde dir zur Seite stehen, versprochen.«
Ich holte tief Luft. »Ja, ich werde es machen.«
»Großartig. Wir werden ins Studio gehen, und du kannst Nicholas, Lacey und den Rest der Schauspieler kennenlernen. Bei den Table Reads dabei sein. Ich weiß, dass beide Hauptdarsteller ein wenig Anleitung möchten. Und du willst doch, dass Duncan und Rosie nach deinen Vorstellungen dargestellt werden.«
»Ja, auf jeden Fall.«
»Und du kannst sehen, wo sie filmen – ein paar der Sets und Außendrehorte anschauen. Wie die Schauspieler vorbereitet werden und all das. Sie brauchen immer noch ein paar Locations für weitere Außendrehs, aber ich bin sicher, sie werden die richtigen finden.«
»Wann reisen wir also ab?«
»Freitag in zwei Wochen.«
Ich biss mir beunruhigt auf die Lippe. »Was, wenn ich …« Ich verstummte mitten im Satz.
Andi senkte mitfühlend die Stimme. »Ich weiß, dass du schüchtern bist, Kleine. Du schaffst das. Außerdem hattest du schon lange keinen Anfall mehr. Falls du einen bekommst, bin ich bei dir. Und wenn es dir zu viel wird, bringe ich dich nach Hause, einverstanden?«
»Einverstanden«, stimmte ich zu.
»Gut. Nun mach dich wieder ans Schreiben. Ich schicke dir die Details, und wir sehen uns in etwas mehr als zwei Wochen am Flughafen.« Sie lachte. »Und zwischendurch telefonieren wir bestimmt noch ein Dutzend Mal. Ciao!«
Seufzend legte ich auf, aber der Appetit auf den Auflauf war mir vergangen. Ich schob den Teller beiseite und trank den Kaffee aus. Zu Kaffee sagte ich niemals Nein.
Schwere Schritte auf der Veranda brachten mich zum Lächeln, und ich stand auf, um noch eine Tasse zu holen und meinem Besucher auch einen Kaffee zu machen. Es klopfte laut an der Tür, und mein Vater spazierte herein. Immer noch groß und kräftig und mir immer noch der liebste Mann auf der Welt.
Er lächelte, sodass sich Fältchen um seine Augenwinkel bildeten. Er war auf gute Weise gealtert, hatte ein breites Kreuz und breite Schultern, und ich war mir sicher, es gab nichts, was er nicht tun konnte. Vor allen Dingen für uns Kinder. Er mochte nicht unser leiblicher Vater sein, aber für uns war er der perfekte Dad.
»Hey, Pumpkin«, begrüßte er mich und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Er stellte einen Teller auf den Tisch. »Mom hat Pie gebacken.«
»Oh nein. Welchen denn?«
Er zog die Stirn kraus. »Mit Heidelbeeren. Deine Lieblingssorte.«
»Oh Gott. Ich muss in zwei Wochen nach L. A.«
Er rieb sich das Kinn. »Ich denke, ein Stückchen Pie zu essen, kannst du bis dahin noch dazwischenquetschen.«
»Dann muss ich mich aber wirklich in meine Hosen quetschen«, jammerte ich.
Dad nahm lachend die Tasse Kaffee, die ich ihm reichte. »Mila, Schätzchen, du musst dich in gar nichts hineinquetschen. An dir ist nichts verkehrt.«
»Mein Hintern ist zu groß. Und meine Hüften …«
Er unterbrach mich. »Deine Hüften und dein Hintern stehen in perfektem Verhältnis zu deiner Taille, deiner Größe und überhaupt allem.« Er sah mir in die Augen. »Das weißt du. Warum bist du plötzlich so aufgeregt?«
»Los Angeles«, sagte ich betont. »Die Traumfabrik, wo jeder glamourös und dünn ist.«
»Und unecht«, ergänzte er und trank einen Schluck. »Du bist schön und natürlich und musst nicht das Geringste ändern.« Er begegnete meinem nervösen Blick. »Nicht das kleinste bisschen.«
Lächelnd ließ ich die Schultern sinken. Mein Dad erzählte mir immer, wie perfekt ich wäre. Dafür liebte ich ihn.
Er beugte sich vor. »In zwei Wochen also? Das ist früher als gedacht.«
Ich nickte. »Das Studio hat es vorverlegt. Es ist nur für eine kurze Zeit, dann geht es nach British Columbia. Ich werde ein wenig Zeit dort verbringen und dann nach Hause kommen.«
»Wie lange wirst du weg sein?«
Stirnrunzelnd zog ich den abgedeckten Teller an mich heran, hob die Folie an und konnte die Heidelbeeren und die Zitrone riechen. »Ich weiß nicht. Drei Wochen vielleicht? Höchstens vier, denke ich. Es kommt darauf an, wie lange sie mich dabeihaben wollen.«
Ich benutzte meinen Kaffeelöffel und nahm ein Stück von dem Pie. Die Füllung war üppig und mit reichlich Heidelbeeren. Süß und zitronig. Die Kruste zerging mir auf der Zunge. »Oh Gott, so lecker«, murmelte ich.
Dad stützte sich auf die Unterarme. »Möchtest du, dass Mom oder ich dich begleiten?«
»Nein«, spöttelte ich. »Ich bin doch kein Kind mehr.«
»Aber die Vorstellung, dorthin zu reisen, macht dich nervös.« Er tippte an meine Wange. »Du bist blass.«
»Ja«, gab ich zu. »Aber ich schaffe das schon. Andi wird auch da sein.«
»Ich werde Richard Bescheid sagen, dass du in der Nähe bist. Er wird auf einen Sprung vorbeikommen und nach dir sehen.« Dad grinste. »Und wahrscheinlich wird er sich auch hinsetzen und ihnen erklären, wie man den Film ordentlich vermarktet.«
»Dad, er ist in Victoria. Ich werde in Vancouver sein. Das ist mindestens eine dreieinhalbstündige Fahrt. Er kann nicht einfach ›auf einen Sprung‹ vorbeikommen. Außerdem sind wir nur kurze Zeit da, dann filmen sie in Toronto.«
»Er ist halb in Rente. Katy wird dir wahrscheinlich dankbar sein, wenn du ihn aus dem Haus lockst.«
Ich musste lachen. Richard VanRyan war eine Naturgewalt. Ich konnte nur erahnen, wie er an einem Filmset auftreten würde. Vermutlich würde er entdeckt und machte noch eine zweite Karriere als Schauspieler. Genau das sagte ich auch meinem Dad, der daraufhin vor Lachen den Kopf in den Nacken warf.
»Wahrscheinlich hast du recht, Mila.«
»Bestimmt habe ich das.«
»Aber ernsthaft, wenn du uns brauchst, sind wir da.«
Ich legte meine Hand über seine. »Ich weiß.«
»Und wenn irgendetwas passiert …«
Ich hob meine Hand. »Wird es nicht. Es ist schon lange nicht mehr vorgekommen. Fast ein Jahr nicht. Ich weiß, wie ich meine Atmung kontrollieren und konzentriert bleiben kann.« Das klappte nicht immer, aber es half.
»Deine Mom und ich können in wenigen Stunden da sein«, beendete er den Satz, ohne auf meine Worte einzugehen.
»Ich weiß, Dad.«
Er nickte. »Teilst du nun den Pie mit mir?«
»Du wirst dir einen eigenen Löffel holen müssen.«
Er grinste, schnappte sich meinen, nahm sich ein großes Stück und kaute. »Ich bin es gewohnt, immer deinen Teller leer zu essen. Daran hat sich nichts geändert.« Er grinste, nahm noch ein Stück und bot es mir an. Lächelnd ließ ich zu, dass er mich fütterte.
Ich hatte den besten Dad.
Sonntag war unser üblicher Familienbrunch, ich ging Richtung Hub und genoss den schönen Tag. Die Sonne schien, alles blühte, und die Häuser sahen inmitten der Farbenpracht hübsch aus. Liam, Aidens Sohn, war ein preisgekrönter Landschaftsarchitekt mit eigener Gärtnerei und sorgte immer dafür, dass die Grundstücke und das gemeinschaftliche Gelände eine Augenweide waren. Meine Onkel hatten das Anwesen gekauft, dann nach und nach Land dazu erworben und zu dem gemacht, was sie das BAM-Gelände nannten. Alle Bam-Männer mit ihren Familien und auch viele von uns, der nächsten Generation, lebten dort. Aber selbst jene, die nicht hier wohnten, kamen und gingen die ganze Zeit, und die Sonntagsbrunchs waren offen für jeden, der vorbeikommen wollte. Ich wusste nie, wen ich dort antreffen würde.
Ich öffnete die Tür, trat ein und nahm einen tiefen Atemzug. Ich konnte den Kaffee riechen, den Duft von Bacon und einen köstlichen Hauch von Zimt. Von überallher ertönten Gelächter und Stimmengewirr. Mein Bruder Reed, mit seiner Frau Heather an der Seite, unterhielt sich mit unseren Eltern, und ich durchquerte den Raum, blieb aber immer wieder stehen, um ein paar Leute zu küssen und zu umarmen. Reed stand auf und nahm mich in die Arme.
»Hey, du halber Meter.«
Ich erwiderte seine Umarmung und grinste, als er mir einen Kuss auf den Scheitel drückte. »Hör auf damit.«
Lachend schüttelte er den Kopf. »Ich könnte schwören, jedes Mal, wenn ich dich sehe, bist du kleiner geworden.«
Schnaubend setzte ich mich neben meinen Dad. »Ich bin genauso groß wie letzten Monat oder letztes Jahr. Genau genommen wie zu der Zeit, als ich mit fünfzehn aufgehört habe zu wachsen. Ich bezweifle stark, dass ich die Chance habe, das mit zweiunddreißig noch zu ändern. Außerdem …«, sagte ich naserümpfend, »… ist es nicht meine Schuld, dass du bei dem Mist, den du von dir gibst, so hoch aufgeschossen bist.«
Er gluckste. »Mist?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ob Mist oder Scheiße, alles das Gleiche.«
Alle lachten, und Dad zerzauste mir liebevoll die Haare. »Gib’s ihm, Pumpkin. Weise ihn in seine Schranken.«
Reed zwinkerte mir zu, und ich grinste ihn an.
Aiden und seine Frau Cami kamen herüber und gesellten sich zu uns. »Habe ich richtig gehört, dass Mila das Wort Scheiße gesagt hat?«, fragte er mit großen Augen. »Unmöglich.«
Ich schüttelte belustigt den Kopf. »Ich sage weit schlimmere Sachen, Aiden. Meine Leser könnten dir das bestätigen.«
Er schüttelte den Kopf. »Nee. Davon will ich nichts wissen. Nicht meine kleine Mila. Du bist immer auf meinen Schultern geritten, hast deinen Lutscher in meine Haare gesteckt, um ihn sicher aufzubewahren, und dich an meinen Ohren festgehalten. Du warst das verdammt süßeste Ding überhaupt.«
Ich sah ihn liebevoll an. Daran konnte ich mich gut erinnern. Er, Maddox und sogar Onkel Bentley – es war großartig gewesen, umgeben von so wunderbaren Männern aufzuwachsen. Mein Onkel Reid war ein Computergenie, dessen Leidenschaft es war, uns allen den Umgang mit Computern beizubringen. Mein Bruder Reed hatte ihn lebenslang verehrt, und sie standen sich bis heute sehr nah. Halton war immer mit Ratschlägen und seiner Lebenserfahrung zur Stelle. Ich hatte großes Glück gehabt, in dieser Familie aufgewachsen zu sein.
»Mit dir konnte man immer Pferde stehlen, selbst wenn meine Lutscher in deinen Haaren klebten.
Er grinste. »Ein kurzes Bad im Pool, und sie waren schnell wieder draußen.« Dann stand er auf. »Dem Himmel sei Dank, das Essen ist fertig. Ich verhungere schon.«
Alle kicherten. Aiden war stets hungrig. Genau wie seine Söhne. Man brauchte Unmengen von Essen, um sie satt zu bekommen, und es war ein Vergnügen, dabei zuzusehen.
Ich füllte mir einen Teller, holte eine Tasse Kaffee und setzte mich neben Cami. Sie lächelte mich an. Meine Mutter saß zu meiner anderen Seite.
»Dein Vater hat uns erzählt, dass du in zwei Wochen nach L. A. gehst«, sagte Cami.
»Ja.«
»Wie aufregend!«, rief sie.
»Das ist es.« Ich kaute und schluckte. »Und auch ein bisschen nervenaufreibend.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Cami drückte meine Hand. »Du wirst das hinkriegen. Erinnere dich einfach daran, dass sie auf dich zugekommen sind. Deine Bücher sind unglaublich, und wenn erst der Film rausgekommen ist, wirst du noch berühmter sein!«
Ich verdrehte die Augen. »Eigentlich möchte ich das gar nicht. Ich will nur Bücher schreiben.«
»Das wirst du. Du kannst machen, was du willst«, versicherte sie mir.
Wir aßen für eine Weile, dann wandte ich mich wieder an Cami. »Ich, ähm, möchte dich tatsächlich um einen Gefallen bitten.«
»Klar. Was brauchst du?«
»Na ja, meine Garderobe besteht gewöhnlich aus Leggings und schlabbrigen T-Shirts. Andi hat angedeutet, dass ich mich bemühen sollte, etwas, ähm, professionellere Kleidung mitzunehmen. Und sie sagte, dass ich auch ein paar schöne Kleider bräuchte. Ich habe mich gefragt, ob du mir dabei helfen könntest?« Vor ihrer Pensionierung war Cami Modedesignerin gewesen. Für die Familie machte sie immer noch Kleidungsstücke, und ich brauchte ihren Rat.
Camis Augen begannen zu leuchten, und sie klatschte in die Hände. »Liebend gern!« Sie lehnte sich zurück und musterte mich. »Ich habe ein paar Kleider, die dir gut stehen würden. Und für die anderen Sachen können wir zusammen shoppen gehen.«
»Ich mag keine unbequemen oder zu engen Sachen.«
»Nein, wir halten es schlicht. Hübsche Röcke, ein paar schöne Hosen und coole Blusen. Die du miteinander kombinieren kannst. Und ein paar umwerfende Teile als Blickfang für formellere Situationen. Es ist heiß in L. A., also halten wir uns an natürliche Stoffe. Kräftige Farben, simple Schnitte, einfach einzupacken und pflegeleicht, aber du wirst umwerfend aussehen! Oh, das wird so einen Spaß machen. Ich kenne die perfekten Läden und werde dir ein paar Sachen besorgen. Liv, du musst mit uns kommen.«
»Um nichts in der Welt würde ich mir das entgehen lassen«, sagte Mom.
»Ähm, ich möchte es aber nicht übertreiben.«
Cami lachte. »Keine Sorge, Mila. Ich kümmere mich um dich.«
Nach dem Brunch schlenderte ich zum Strand, setzte mich auf die Felsen und entspannte mich bei dem Geräusch der Wellen und dem Gefühl der warmen Sonnenstrahlen. Ich liebte meine Familie und genoss das Beisammensein, war aber immer froh, wieder allein zu sein. Zweifellos war ich die Introvertierte in der Familie. Auch Bentleys Sohn Thomas war ein ruhiger Typ, Maddox’ Tochter Shelby ebenfalls, aber ich galt als Einzelgängerin. Bücher und das Schreiben erfüllten mein Leben. Ich verließ das Gelände nur ungern, auch wenn mich Mom und Dad an andere Orte verschleppten und Sammy und Reed dafür sorgten, dass ich ab und zu das Haus verließ. Wenn ich mit ihnen unterwegs war, ging es mir gut, aber allein unter fremden Leuten an unbekannten Orten wurde ich unbeholfen und brachte keinen Ton heraus. Ich wünschte mir oft, mehr wie Sammy zu sein – aufgeschlossen, abenteuerlustig und selbstbewusst. Stattdessen war ich still und schüchtern und beobachtete lieber, als mit anderen in Kontakt zu treten.
Ich bezweifelte, dass sich das jemals ändern würde.
Mein Handy klingelte, ich zog es aus der Tasche und lächelte, als ich sah, dass Sammy mich anrief.
»Hey«, begrüßte ich sie. »Wie ist die Ranch?«
»Die Ranch ist atemberaubend. Der Besitzer weniger«, antwortete sie. »Was für ein Bullenbeißer.«
»Ich nehme an, wir reden über Luke und nicht über Rachel.«
Sie grummelte und klang aufgebracht. »Ja. Er treibt mich in den Wahnsinn. Meckert im Nachhinein an allem herum, stellt meine ganzen Ideen infrage, ist nicht mit ihnen einverstanden, und dann macht er plötzlich etwas Nettes. Da komme ich einfach nicht mit.«
Ich lächelte breit und war froh, dass sie mich nicht sehen konnte. »Verstehe. Klingt so, als hätte sich jemand verguckt und weiß nicht, wie er damit umgehen soll.«
»Ich habe nie gesagt, dass ich mich verknallt hätte. Der Mann ist eine Nervensäge!«
»Ich habe nicht von dir gesprochen«, stellte ich klar. »Aber darüber können wir auch reden.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.
»Du kleine Hexe«, murmelte Sammy.
Ich lachte. »Ich habe dich noch nie so erlebt wie jetzt.«
Sie seufzte. »Er ist frustrierend.«
»Aber?«
»Aber so verdammt heiß, Mila. Ganz der mürrische Brummbär. Seine finsteren Blicke und sein Geknurre machen mich an. Es bringt mich so weit, dass ich alle Register ziehen will, um zu sehen, wie weit ich ihn treiben kann.«
»Um zu sehen, was passiert, wenn er hochgeht?«
»Ja«, gab sie zu.
»Bist du darauf vorbereitet? Darauf, was zwischen euch passieren könnte, wenn du ihn provozierst?«
»Ich weiß jedenfalls, was ich mir wünsche, was passieren soll. Und manchmal glaube ich, er wünscht sich das auch.«
»Sammy Morrison, hast du vor, mit ihm zu schlafen?«
Sie lachte. »Kling doch nicht so schockiert. Wir sind mündige Erwachsene. Eine Runde einvernehmlicher Triebbefriedigung könnte genau das sein, was wir beide brauchen.«
»Ist das alles, was es sein würde?«
»Ja. Er lebt hier und wird die Ranch nie verlassen. Ich vagabundiere überall herum. Das passt nicht zusammen. Aber ich hätte sicher nichts dagegen, mal einen Cowboy zu reiten. Oder zweimal.«
»Sei vorsichtig.«
»Mach dir keine Sorgen. Das bin ich immer.«
»Ich meinte dein Herz und nicht die Verhütung.«
Sie kicherte. »Es ist alles in Ordnung, Mila. Ich bin nicht auf der Suche nach etwas Dauerhaftem. Nur ein bisschen was zum Stressabbau.«
Dann wechselte sie das Thema, und ich brachte sie auf den neuesten Stand, was meine Reise und all die Streiche während des Brunchs betraf. »Die Jungs haben einen Ringkampf um die letzten Scones ausgetragen. Bis Liam endlich zum Gewinner erklärt wurde, hatten Bentley und Aiden bereits alle aufgegessen. Daraufhin haben sich alle auf Aiden gestürzt. Es war zum Brüllen komisch.«
»Und Bentley?«
In Erinnerung daran musste ich lachen. »Er sah die Jungs einfach nur an und forderte sie geradezu heraus, ihn anzugreifen. Keiner rührte sich, bis er am Pool vorbeiging.«
»Nein«, hauchte sie. »Das haben sie nicht gewagt.«
»Liam hat ihn direkt ins Wasser geworfen. Aiden ist gleich hinterhergesprungen, und plötzlich war der Pool voller erwachsener Männer, die sich wie Kinder aufgeführt haben. Sogar Dad hat mitgemacht. Es war so lustig.«
»Schade, dass ich es verpasst habe.«
»Mom hat es auf Video. Ich bin sicher, sie wird es dir schicken.«
»Fein. Okay, ich höre Luke herumbrüllen. Irgendetwas muss ich gemacht haben, das ihm missfällt. Wahrscheinlich, weil ich Callie vorgeschlagen habe, eine Taco-Bar mit auf die Speisekarte zu setzen. Die Kunden würden es mögen, und sie wollte am Dienstag einen Probelauf machen. Damit würde sein verdammtes Fleisch besonders gut dargeboten werden, weshalb er nicht herumbrüllen, sondern glücklich sein sollte. Ich muss los!«
Sie legte auf, und ich lachte. Ich hörte den aufgeregten Unterton in ihrer Stimme. Sie mochte es, Luke Adler aufzustacheln und ihn zum Brüllen zu bringen. Ich hatte das Gefühl, ich würde in den nächsten Tagen noch viel mehr von ihm zu hören bekommen.
Ich stand auf und streckte mich.
Ihre Worte hatten mich zu einer Szene für die romantische Komödie inspiriert, an der ich gerade schrieb. Ich eilte nach Hause, um sie schnell niederzuschreiben, bevor ich sie wieder vergaß.
Ich betrachtete mich im Spiegel, unsicher über das, was sich mir dort darbot. Das Kleid, das Cami mich hatte anprobieren lassen, war nichts, was ich normalerweise trug.
Nicht im Entferntesten.
Die satte rote Farbe wie die von Johannisbeeren wirkte bei meiner blassen Haut gewöhnungsbedürftig. Die drapierten Ärmel gaben meine Schultern und den Hals frei und das gekreuzte Mieder betonte meine Brüste. Der bauschige Rock umspielte meine Knie, und der seidige Stoff fühlte sich kühl auf meiner Haut an.
»Es ist perfekt«, murmelte Cami.
»Mila«, hauchte Mom. »Das steht dir fantastisch.«
»Ist es nicht, ähm, zu viel des Guten?«, fragte ich besorgt.
»Nein. Es ist nur anders. Aber wenn du zu einer formellen Veranstaltung oder zu einem Dinner gehen musst, ist es perfekt«, versicherte mir Cami.
Ich warf einen Blick auf den Kleiderstapel hinter mir. Sie hatte es wirklich übertrieben, aber ich musste auch zugeben, dass mir alles gefiel, was sie ausgesucht hatte. Einfache Hosen und Tuniken. Coole, hübsche Röcke und Oberteile. Alles in schönen Farben und leicht zu pflegen. Dazu Schuhe mit niedrigen Absätzen und hübsche Sandalen. Ich hatte ein paar andere, schlichtere Kleider anprobiert, aber dieses hier war eleganter. Und auf jeden Fall sexy.
»Taugt auch für ein ungeplantes Date«, murmelte Cami und zupfte am Ausschnitt. »Ich muss es nur ein wenig anheben. Es hängt durch, und ich will, dass es perfekt ist.« Sie begann abzustecken und sprach dabei leise vor sich hin. »Den Saum auch ein paar Zentimeter kürzer. Du hast tolle Beine. Die sollten wir zeigen.«
»Ich bezweifle sehr, dass ich zu irgendwelchen Verabredungen gehen werde«, protestierte ich.
»Man kann nie wissen.«
Ich sparte mir die Mühe, sie daran zu erinnern, dass ich seit Jahren nicht auf einer Verabredung gewesen war. Nichts Ernsthaftes jedenfalls. Wenn ich mal eingeladen wurde, war ich immer so still und unbeholfen, dass es nie zu einem zweiten Date kam. Ich hatte nichts an mir, das mich als Freundin begehrenswert machte.
Ich hatte überhaupt nichts an mir.
Ich berührte den Stoff. »Er ist so weich.«
»Seide«, erklärte Cami. »Von einem Hersteller, den ich schätze. Luftdurchlässig, knittert nicht so schnell und fühlt sich gut auf der Haut an. Viele der Röcke und Blusen sind auch aus Seide. Aber du musst sie trockenreinigen lassen.«
»Okay.«
»So.«
Ich blickte wieder in den Spiegel und seufzte erleichtert. Sie hatte den Ausschnitt und die Ärmel so hochgezogen, dass meine Schultern umspielt wurden und meine Schlüsselbeine zu sehen waren, aber nicht mehr so viel von meinen Brüsten. Das Kleid war immer noch sexy, aber etwas dezenter. Damit konnte ich umgehen, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich je die Gelegenheit haben würde, es auch zu tragen. Aber es war hübsch.
»Und ich habe dir noch ein paar schöne Jeans und Rüschenblusen besorgt. Weiß, frisch und klassisch. Eine hat marineblaue Streifen, die dich größer wirken lassen. Ich habe zu jedem Outfit noch Schmuck zum Kombinieren ausgesucht. Du wirst atemberaubend aussehen.«
Ich schlang meine Arme um Cami und drückte sie. »Danke dir. Ich wollte nur ein paar Sachen und nicht eine ganze Garderobe.«
Sie lachte. »Das hat Spaß gemacht. Ich bin schon seit Jahren scharf darauf, dich einzukleiden. Leggings und T-Shirts sind in Ordnung, wenn du auf dem Gelände bist, aber für L. A. musst du gut gekleidet sein. Das gehört zum Image. Das ist Teil des Spiels. Man fühlt sich stärker, wenn man gut aussieht.« Sie tippte an mein Kinn. »Halt den Kopf hoch und nimm die Schultern zurück. Zeig der Welt A. M. Archer. Und lass Mila für eine Weile zu Hause.«
Ich nickte, denn ich wusste, dass sie recht hatte. In L. A. musste ich ein anderer Mensch sein, oder so tun als ob. Zumindest nach außen. Und an ihren Worten war vielleicht etwas dran. Wenn ich die Rolle glaubwürdig spielte, würden die Leute vielleicht nicht genauer hinter die Fassade schauen, um erkennen zu können, wie ängstlich die echte Person war.
Ich konnte es schaffen.
»Okay.«
Mein Vater bestand darauf, mich zum Flughafen zu fahren, und es überraschte mich nicht, meine Mutter auf dem Beifahrersitz zu sehen, als ich die Haustür öffnete, um zum Auto zu gehen. Dad hob meine Koffer in den Kofferraum und drückte mir einen Kuss auf die Wange. »Sie wollte sich von ihrem Baby verabschieden«, flüsterte er.
»Ihr Baby ist in den Dreißigern«, flüsterte ich zurück, konnte mir aber ein Lächeln nicht verkneifen. Mir gefiel es, dass sich meine Eltern immer noch um mich sorgten. Und wie ich meinen Vater kannte, war er es gewesen, der meine Mutter gebeten hatte, mitzukommen, denn er war derjenige, der sich die meisten Sorgen machte.
Dad öffnete die hintere Tür. »Du wirst immer unser kleines Mädchen sein, Mila.«
Ich zwinkerte meiner Mom zu, die grinste. »Steig ins Auto, Dad.«
Wir unterhielten uns während der Fahrt, was mir half, mich von meiner Nervosität abzulenken. Am Flughafen Pearson war so viel los wie immer, und ich schrieb Andi eine Nachricht, die dann draußen zu uns stieß, während Dad mein Gepäck herausholte und auf den Gehweg stellte. Ich umarmte Mom und versprach, ihr Bescheid zu geben, wenn wir gelandet waren, und mich auch zwischendurch immer wieder zu melden, solange ich weg war. Dad sprach mit gesenktem Kopf zu Andi. Ich ging auf sie zu, als Andi ihn mit ernstem Blick ansah.
»Ich werde ein Auge auf sie haben, Van. Du weißt, dass ich auf sie aufpasse.«
»Sie …«
Andi sah mich verständnisvoll lächelnd an, während sie meinem Vater das Wort abschnitt. »Uns wird es gut gehen, Van. Dafür werde ich schon sorgen.«
Ich streichelte ihm über den Arm. »Ich fliege nach L. A., Dad. Nicht in irgendein fremdes, furchterregendes Land, dessen Sprache ich nicht spreche.«
»Mir scheint nichts fremder und furchterregender als Hollywood«, sagte er trocken mit todernstem Gesicht.
Ich lachte, denn er hatte recht. Andi schüttelte spöttisch den Kopf. »Sag Auf Wiedersehen zu Mila, damit wir gehen können. Ich brauche einen Kaffee.«
Dad umschloss mich mit seinen langen Armen und hielt mich fest. Seine Umarmungen waren die besten. Ich konnte seine Liebe und Stärke fühlen. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Lade Mom zum Frühstück ein. Und geht vielleicht auch ein bisschen shoppen. Dann werdet ihr euch besser fühlen.«
Lächelnd winkte ich ihnen zum Abschied und ließ mir meine Ängstlichkeit nicht anmerken. Andi nahm meinen Arm. »Los geht’s, Kleine.«
Das Einchecken in der ersten Klasse ging zügig, und ehe wir uns versahen, saßen wir in der Lounge. Andi hatte zwei Tassen Kaffee vor sich stehen, ihren Laptop aufgeklappt, neben sich ihr Handy und an der Seite einen mit Obst, Käse und Croissants vollbeladenen Teller. Sie betrachtete stirnrunzelnd meinen Jogurt.
»Das ist alles?«
»Vielleicht hole ich mir gleich noch was.«
Sie tätschelte meine Hand. »Es wird schon alles gut gehen, Mila. Das Hotel ist gebucht, du hast einen Wagen mit Fahrer zur Verfügung. Die nächsten paar Tage erwartet dich niemand, also kannst du ein wenig herumspazieren und dich entspannen. Wir werden zum Set gehen, damit du es dir ansehen und dich damit vertraut machen kannst. Ich bin sicher, das wird dir helfen. Und da niemand weiß, wie du aussiehst, wird dich auch niemand belästigen. Ich werde in der Nähe bleiben.«
»Ich weiß«, versicherte ich ihr. »Es tut mir leid …«
Sie unterbrach mich. »Muss es nicht. Ich verstehe deine Angst. Ich werde dir so gut helfen, wie ich kann.« Sie lächelte mich beruhigend an. »Mir ist klar, dass du lieber allein bist und das hier nicht tun willst. Deshalb weiß ich zu schätzen, dass du trotzdem eingewilligt hast. Dein Einblick wird am Set sicher helfen. Dir ist doch wichtig, dass der Film gut wird.«
»Ja, das ist es.« Das war auch der Grund, warum ich mich damit einverstanden erklärt hatte. Ich hätte das auch mit ein paar Zoom-Meetings erledigen können, aber Andi hatte recht. Meine Anwesenheit vor Ort, um über Probleme reden und Fragen beantworten zu können, war sinnvoll. Das Buch war mir besonders wichtig, und ich wollte, dass es richtig umgesetzt wurde.
»Es wird Spaß machen. Ich bin gespannt darauf zu sehen, wie ein Film entsteht.«
Andi grinste und griff nach ihrer zweiten Tasse Kaffee, denn die erste hatte sie längst ausgetrunken. »Das ist die richtige Einstellung.« Sie lehnte sich zurück. »Und jetzt holst du dir was Ordentliches zu essen. Ich möchte mit dir das neue Manuskript besprechen, das du mir geschickt hast. Woher um alles in der Welt nimmst du nur diese Geschichten, Mädchen? In Anbetracht der Sachen, die du schreibst, kann ich kaum glauben, dass du nur selten das Haus verlässt.« Sie wedelte sich Luft zu. »Der Alpha-Typ in diesem Buch? Wow.«
Ich lächelte und nahm ihre leere Tasse. Ich würde ihr Nachschub holen, während ich mir ein paar Früchte besorgte.
Der Flug verlief ohne Zwischenfälle, und ein Wagen mit Fahrer erwartete uns bereits. Das Hotel war luxuriös, und mein Zimmer war genau genommen eine kleine Suite mit einem Wohn- und einem großen Arbeitsbereich. In meinem Schlafzimmer stand ein Kingsize-Bett, und im Badezimmer gab es eine Badewanne mit Whirlpoolfunktion. Andis Zimmer war am anderen Ende des Flurs. Das Studio hatte mir zum Empfang einen großen Blumenstrauß geschickt, dazu einen großen Früchtekorb, der mit allerlei Leckereien gefüllt war.
Ich packte aus, hängte meine Kleider ordentlich auf und legte meine mir weit vertrauteren Leggings und T-Shirts in eine der vielen Schubladen, die es in dem begehbaren Kleiderschrank gab. Ich war froh, dass ich auf Cami gehört hatte. Es war warm hier, und wenn ich meine Hoodies mitgenommen hätte, würde ich wahrscheinlich dahinschmelzen. Einen hatte ich dennoch in den Koffer geschmuggelt, war mir aber sicher, dass ich ihn nicht brauchen würde. Die flauschigen Socken waren allerdings ein absolutes Muss. Ich hatte immer kalte Füße.
Andi klopfte, kam rein und lachte, weil ich bereits meinen Laptop aufgeklappt hatte. »Und? Wie viele Wörter hast du schon?«
»Gerade habe ich tausend geschrieben. Ich hatte eine Szene im Kopf, die ich in groben Zügen festhalten wollte.«
»Wie viele hast du auf dem Flug geschafft?«
»Ungefähr fünftausend.«
»Echt produktiv.«
Ich grinste sie an. »Ich musste irgendetwas mit den ganzen Stimmen in meinem Kopf anfangen.«
Sie schmunzelte. »Diese Stimmen sorgen für meine Rente, Kleine. Lass sie reden.«
Sie setzte sich hin, ihr unvermeidliches Tablet in der Hand. »Heute Abend treffe ich mich zum Abendessen und auf ein paar Drinks mit einigen Kollegen. Im Laufe der nächsten Tage sind wir dann mit ein paar der Executive Producer des Studios verabredet, mit dem Produzenten zum Abendessen und mit der Regisseurin zum Frühstück. Wir werden das Set besichtigen und danach noch ein paar andere Meetings haben. Zum Schluss treffen wir uns dann mit der Crew und den Schauspielern. Ich kenne John, den Produzenten, der gesagt hat, dass Nicholas und Lacey eine Menge Fragen haben. Und die Nebendarsteller auch.«
Ich biss mir besorgt auf die Unterlippe, doch sie schüttelte den Kopf. »Alles wird gut, Mila. Sie wollen ihren Rollen gerecht werden. Die Begeisterung ist bereits groß.« Sie runzelte die Stirn. »Solange sich jeder benimmt.«
»Du meinst Nicholas?«
Sie schenkte sich ein Glas Wasser ein, nahm einen Schluck und tippte mit ihren langen Fingernägeln auf die hölzerne Tischplatte. »Ich weiß, wie sehr du dich für ihn eingesetzt hast, aber ich mache mir ein wenig Sorgen. Er hat einen ziemlichen Ruf. Frauenheld, schwierig am Set, allzu erpicht auf Alkohol und illegale Drogen.«
»Seine Arbeit ist erstaunlich«, hielt ich dagegen. »Er gibt alles für seine Rollen. Und seine Filmpartner bestreiten die Gerüchte. Sie sagen, er sei ausnahmslos höflich und ein wunderbarer Arbeitskollege. Er wird einen brillanten Duncan abgeben. Er hat das richtige Aussehen und die perfekte Intensität. Er war meine Muse, als ich es geschrieben habe.«
Er war mehr als meine Muse. Mit sechsunddreißig hatte er das perfekte Alter für die Rolle. Er sah sogar so aus wie die Figur, die ich entwickelt hatte – gut gebaut, mit breiten Schultern und leicht gefährlichen Gesichtszügen. Er hatte dunkle Locken, die ihm in Wellen in die Stirn fielen, was sehr sexy aussah. Seine schokoladenfarbenen Augen waren ausdrucksvoll und glühten sowohl vor als auch hinter der Kamera, und sein Lächeln war der Hammer. Aber ich fragte mich, ob irgendjemand anderem jemals der Unterschied auffiel, wenn die Kamera ihn einfing und er nicht darauf gefasst war. Mir schon.
Sie hob die Hand. »Ich weiß. Und ich habe dich noch nie so entschlossen erlebt. Ich möchte nur nicht, dass du ihn in deinem Kopf zu sehr aufbauschst. Er ist ein Schauspieler. Ein Chamäleon. Er kann seine Rollen so schnell ablegen, wie man eine Szene wechselt. Viele von ihnen spielen rund um die Uhr eine Rolle. Verwechsle nicht den gequälten, eindringlichen und tiefgründigen Charakter, den du geschaffen hast, mit dem alkoholkranken Playboy, der er im wirklichen Leben ist. Er wird dir von sich nur das zeigen, was er bereit ist, preiszugeben.«
Ich verspürte ein merkwürdiges Gefühl von Wut gegenüber Andi in mir aufsteigen. Gegenüber jedem. Ich sah etwas in seinen Augen, das offenbar niemand sonst sehen konnte. Eine verborgene, aber tiefsitzende Traurigkeit. Furcht. Besorgnis. Vielleicht konnte ich sie nur deshalb sehen, weil ich sie nachvollziehen konnte. Mitfühlen. Meine frühe Kindheit hatte in mir Spuren hinterlassen, die weder Zeit noch Liebe je würden auslöschen können. Ich war darüber hinweggekommen und hatte mir ein Leben aufgebaut, aber die dunkle Stelle war geblieben.
»Ich erwarte nichts von ihm, außer dass er seine Rolle mit der Eindringlichkeit und Vielschichtigkeit spielt, die ich ihr verliehen habe«, versicherte ich ihr und hielt meinen Ärger im Zaum. »Ich bezweifle stark, dass wir, abgesehen von den Rollenbesprechungen, viel miteinander zu tun haben werden. Aber ich vertraue auf mein Bauchgefühl, dass er die Rolle perfekt verkörpern wird.«
»Okay, Miss Tigerin. Ich habe verstanden. Also, möchtest du mit mir abendessen gehen oder lieber hierbleiben und entspannen? Der Pool ist wunderbar und der Zimmerservice erstklassig.«
Ich liebte es zu schwimmen. Mein Vater hatte es mir als Kind beigebracht und gemeint, ich wäre ein Naturtalent, und mich seinen kleinen Fisch genannt. Als ich jünger war, verbrachte ich so viel Zeit wie möglich im Wasser. Auch jetzt schwamm ich noch jeden Tag – in dem Gegenstrom-Whirlpool, den Onkel Aiden im Hub installiert hatte. Onkel Bentley und ich waren diejenigen, die ihn am meisten nutzten, und oft kreuzten sich am frühen Morgen unsere Wege, wenn wir in den Hub gingen, um zu schwimmen. Wenn er zuerst fertig war, kochte er gewöhnlich eine Kanne Kaffee, und wenn auch ich Schluss gemacht hatte, setzten wir uns zu einem Plausch zusammen. Er war der ernsthafteste von meinen Onkeln, und sein Ruf als strenger, kalter Geschäftsmann war wohlverdient.
Es sei denn, man kannte ihn.
Dann war er Onkel Bent. Warmherzig, lustig und fürsorglich. Er liebte es, mir zuzuhören, wenn ich über meine Bücher sprach, und hatte mir schon oft geholfen, eine Szene durchzuarbeiten, bei der ich nicht weiterkam. Nur bei den »pikanteren« Szenen in den Büchern, und da war er unerbittlich, wollte er nicht hinzugezogen werden. Ich bewunderte ihn. Ich bewunderte alle meine Onkel, Cousins und Cousinen unserer großen Patchwork-Familie. Ich konnte mich glücklich schätzen, mit den BAM-Männern und der Familie, die uns alle verband, aufgewachsen zu sein.
Als Andi sich räusperte, bemerkte ich erst, dass ich mich in meinen Gedanken verloren hatte – was bei mir regelmäßig vorkam. Sie lächelte mich an. Mein Zorn von eben war sogleich vergessen, und ich grinste zurück. Sie passte auf mich auf, so wie sie es immer tat, und das wusste ich zu schätzen.
»Ich bleibe hier.«
»Was für eine Überraschung«, zog sie mich auf. »Schreib bitte nicht die ganze Nacht durch, ohne etwas zu essen oder das Zimmer zu verlassen, okay?«
»Nein, werde ich nicht. Ich schreibe nur ein bisschen, mache vielleicht einen Spaziergang über das Gelände, esse zu Abend und gehe früh schlafen.«
Sie stand auf und beugte sich vor, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben. »Klar doch. Du schreibst stundenlang, nimmst einen kleinen Snack, gehst kurz schwimmen und schreibst dann weiter bis zum Morgengrauen.«
»Das sagte ich doch.«
Lachend verließ sie das Zimmer.
Ein Klopfen an der Tür schreckte mich auf, ich verzog das Gesicht und blickte auf. Ein kurzer Blick auf mein Handy sagte mir, dass vier Stunden vergangen waren, ohne dass ich es bemerkt hatte. Dafür war die Anzahl meiner Wörter deutlich gestiegen.
Ich ging zur Tür und war nicht überrascht, einen Servierwagen vor mir zu sehen.
»Hallo.« Ich lächelte zum Gruß.
Der junge Mann an der Tür grinste. »Mit freundlicher Empfehlung von Andi Reacher. Sie hat die Anweisung hinterlassen, Ihnen das hier hochzubringen, wenn wir bis neun Uhr nichts von Ihnen gehört haben.«
Ich musste lachen. Andi kannte mich gut. Ich winkte einladend mit der Hand, woraufhin er den Servierwagen hereinschob und das Tablett auf den leeren Esstisch stellte. Zum Glück hatte ich etwas Geld in der Tasche, um ihm ein Trinkgeld zu geben. Als er gegangen war, hob ich den Deckel an. Auf der Platte waren schön angerichtet verschiedene Käsesorten und Cracker und ein Sandwich auf einem Extrateller. Die Füllung brachte mich zum Lachen.
Erdnussbutter und Marmelade.
Ich nahm eine Käseecke, knabberte daran und blickte in Richtung meines Laptops, der mich wie magnetisch anzog. Ich nahm das Tablett, ging zum Schreibtisch und setzte mich. Ich wollte unbedingt noch diese Szene zu Ende bringen, dann würde ich für heute Schluss machen.
Die Zeit verging wie im Fluge, und als ich meine Arbeit sicherte, war ich schon tausend Wörter weiter, als ich eigentlich geplant hatte. Das war ein gutes Omen für die Reise. Ich hatte das Sandwich gegessen, ein wenig Obst und Käse geknabbert, aber das meiste war noch übrig. Ich legte den Deckel wieder auf die große Platte und stellte sie in den Kühlschrank, der zur Suite gehörte. Dann schlenderte ich auf den Balkon und sog die warme Nachtluft ein. Es war so anders als zu Hause. Die Geräusche waren fremd für meine Ohren. Das stetige Brummen des Verkehrs in der Ferne und die ungewohnten Gerüche um mich herum. Ich fragte mich, was meine Eltern wohl machten. Ich hatte ihnen Bescheid gesagt, dass ich angekommen und alles in Ordnung war, und Dad hatte erwähnt, dass sie für den heutigen Abend vielleicht etwas vorhatten, sich aber noch nicht endgültig entschieden hätten. Ich konnte mir vorstellen, wie sie auf der Terrasse saßen und über das Wasser schauten oder sich mit ihren Leuten im Hub trafen und chinesisches Essen oder Barbecue miteinander teilten. Ich spürte einen Anflug von Heimweh, schüttelte dann aber den Kopf. Das hier war ein Abenteuer, und ich musste es genießen.
Ich spürte, wie verspannt ich vom langen Sitzen und Schreiben war, und ließ meinen Kopf und meine Schultern kreisen. Unter mir lag still der Pool. Ich wusste, dass er um neun geschlossen wurde. Aber Andi hatte mir erzählt, dass es weiter hinten auf dem Grundstück einen zweiten Pool nur für Erwachsene gab, der bis Mitternacht geöffnet hatte. Ich hatte meine Schlüsselkarte, und der Gedanke daran, zu schwimmen und die Verspannungen zu lösen, war verlockend. Ich sah nur wenige Leute herumlaufen, und alle machten den Eindruck, als würden sie auf ihr Zimmer und nicht zum Pool gehen.
Drinnen sah ich mir den Lageplan an, schlüpfte in den Badeanzug und zog ein langes Strandkleid darüber. Mit der Schlüsselkarte in der Hand ging ich in Richtung Pool und hielt denselben Typen vom Zimmerservice an, der mir den Weg zeigte. »Sie werden das Tor sehen«, erklärte er. »Vermutlich werden Sie allein dort sein. Das Hotel ist von einer Filmcrew gebucht worden, doch die meisten sind noch nicht angekommen. Außerdem benutzen sie den Pool ohnehin kaum. Viel zu beschäftigt.«
»Oh, wie interessant«, murmelte ich, eilte in die angewiesene Richtung und fand den versteckt gelegenen Pool. Der Pfad dorthin war von Solarlampen beleuchtet, überhangen von Zweigen, die sich sanft in der leichten Brise wiegten. Ich öffnete das Tor, erfreut zu sehen, dass er recht gehabt hatte und ich die Einzige hier war. Der Pool war lang und perfekt, um Bahnen zu schwimmen. Die eine Seite war baldachinartig von tief hängenden Zweigen überdacht, die die Ecken beschatteten. Das schwache Licht spiegelte sich glitzernd auf dem Wasser.
Ich zog mein Strandkleid aus, machte eine Spange ins Haar und stieg mit einem wohligen Seufzer ins Wasser. Es war kalt genug, um erfrischend zu sein, aber warm genug, dass ich nicht fröstelte, als ich unter die Wasseroberfläche glitt. Ich begann zu schwimmen, und während ich eine Bahn nach der anderen zog, verschwanden alle anderen Gedanken aus meinem Kopf. Schließlich hörte ich auf und begab mich zu der dunkleren Ecke. Dort gab es Stufen, und ich setzte mich hin, genoss die Stille, das Gefühl des Wassers und die Brise auf meinen Schultern.
Dann fühlte ich es. Ich war nicht so allein, wie ich dachte. Ich konnte spüren, dass jemand in der Nähe war. Und mich beobachtete. Ein nervöses Zittern durchfuhr mich, als ich mich umsah und die Silhouette von jemandem entdeckte, der am anderen Ende des Pools im Wasser saß, mit einer Zigarre zwischen den Fingern, deren Glut im Halbdunkel leuchtete.
Er hob grüßend die Hand. »Hallo.«
Ich erkannte seine Stimme sofort.
Es war Nicholas Scott, der mir gegenübersaß.
»Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich bin hereingekommen, während Sie geschwommen sind«, sagte er. »Das machen Sie wohl ziemlich oft.«
»Ich mache was?«, wiederholte ich mit fast heiserer Stimme.
»Schwimmen. Sie bewegen sich wie ein kleiner Fisch.«
»Oh. Ja. Das sagt mein Dad auch immer.« Ich verzog das Gesicht. Mein Dad. Ich klang, als wäre ich dreizehn.
Ich fühlte mich wie dreizehn. Als stünde ich in der Schule vor einem Jungen, für den ich schwärmte, mit einem Knoten in der Zunge und nicht in der Lage, einen Ton herauszubringen. Wenn Sammy hier an meiner Stelle wäre, würde sie durchs Wasser gleiten, sich vorstellen, eine ordentliche Konversation anstoßen. Ihn mit ihrem Charme umgarnen.
Aber mir war klar, dass das nicht passieren würde.
Er setzte sich in Bewegung, glitt von den Stufen und watete auf mich zu. Ich schluckte und verzog mich noch tiefer in den Schatten.
Was machte er da?
Ein gutes Stück vor mir blieb er stehen, als spüre er meine Anspannung. »Sie schwimmen also gern?«
»Ja.«
Er nickte. »Ich komme gerne hierher, um zu entspannen.«
Ich räusperte mich. »Sie … Sie schwimmen nicht?«
»Nur zum Spaß. Ich bin nicht so diszipliniert wie Sie.«
»Ich bin nicht diszipliniert«, erwiderte ich. »Ich schwimme einfach nur gern. Es beruhigt mich.«
Er legte den Kopf schief und nahm einen Zug von seiner Zigarre. Als mich das Aroma umhüllte, musste ich an meine Onkel und meinen Dad denken. Auch sie rauchten gelegentlich gerne eine Zigarre, und sosehr mir das Rauchen missfiel, musste ich zugeben, dass ich den Duft einer guten Zigarre mochte. Er musterte mich stirnrunzelnd. »Warum muss ein so hübsches Mädchen wie Sie so viel Energie verbrauchen, um zu entspannen?«
Hübsch? Nicholas Scott hielt mich für hübsch?
»Brauchen Sie eine Brille?«, fragte ich, ohne nachzudenken.
Er schaute verblüfft, dann begann er zu lachen. Sein Lachen klang tief, grollend und verdammt sexy. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die ihm, obwohl sie feucht waren, lockig in die Stirn fielen. Er fixierte mich mit nur einem offenen Auge durch die Rauchwolke um seinen Kopf. »Nein.«
»Sie sollten nicht rauchen. Das ist nicht gut für Ihre Stimme. Und Ihre Gesundheit.«
Er blinzelte. »Ich tue beidem weitaus schlimmere Dinge an«, sagte er gedehnt und kam einen Schritt näher. »Stört es Sie?«
»Nein, aber hier ist ein Nichtraucher-Bereich«, bemerkte ich mit fast schon quietschender Stimme.
Er nickte und drückte dann die Zigarre auf dem Betonboden neben ihm aus. »Ich werde sie später entsorgen«, versicherte er mir. »Sie verpetzen mich doch nicht, oder?«, neckte er mich.
»Ähm, nein.«
Ich rutschte auf die nächste Stufe, um mehr Abstand zu ihm zu bekommen. Er bemerkte meine Absicht und hob die Hand. »Ich tue Ihnen nichts.« Dann streckte er mir die Hand entgegen. »Übrigens, ich bin Nick.«
Ich zögerte, bevor ich seinen Handschlag akzeptierte. Seine große Handfläche und seine langen Finger umschlossen warm meine Hand. Als sich unsere Haut berührte, spürte ich, wie mir ein langsames Kribbeln über die Arme lief. »Mila«, murmelte ich.
»Mila«, wiederholte er lächelnd. »Was für eine Freude, Sie kennenzulernen.«
Was für eine Freude? Das hatte vorher noch nie jemand zu mir gesagt. Es klang so persönlich. Vertraut.
Mein Herz raste, und meine Atmung beschleunigte sich. Unsere Hände blieben ineinander verschlungen, und seine Wärme drang in meine Haut. Die Ecke, in der wir uns befanden, war in Dunkelheit getaucht, Mondlicht und Beleuchtung waren von den Zweigen der Bäume gedämpft. Sein Gesicht bestand nur aus Schatten und Kanten, und seine Silhouette war nichts als eine dunkle Gestalt vor mir. Ich spürte, wie sich meine Brustwarzen zusammenzogen und ein Schauer durch meinen Körper lief, der nichts mit der Brise, sondern nur mit seiner Nähe zu tun hatte. Er war größer, als ich erwartet hatte, mit selbst im schwachen Licht erkennbar breiten Schultern und definierten Muskeln. Er blickte stirnrunzelnd auf unsere Hände und erlaubte unseren Fingern, sich langsam voneinander zu lösen. Er schüttelte den Kopf, als wollte er Gedanken loswerden, und trat einen Schritt zurück.
»Sie sind Gast hier?«
»Ja.«
»Für wie lange?«, fragte er.
»Ich … ich weiß nicht.«
»Sind Sie in Begleitung hier?«
»Ja.«
Er zog die Stirn kraus, was ihn in dem Dämmerlicht verärgert aussehen ließ.
»Freund? Ehemann?«
»Nein. Eine, ähm, Geschäftspartnerin.«
»Sind Sie verheiratet oder anderweitig gebunden?«, fragte er mit tiefer Stimme.
»Nein.«
Unsere Blicke verbanden sich. Selbst im Halbdunkel konnte ich seine eindringlichen Augen sehen. Seine Ausstrahlung war überwältigend. Ich schluckte, meine Kehle war staubtrocken. Ich sollte ihm sagen, wer ich war. Ihm erklären, dass wir zusammenarbeiten würden.
Doch ich brachte kein Wort über die Lippen. Meine Schüchternheit hatte wieder zugeschlagen und mich zum Schweigen gebracht.
Erschrocken holte ich tief Luft, als er näher kam. Er war viel zu nah und gleichzeitig wollte ich ihn näher. Ich schüttelte den Kopf. Er war zu viel für mich. Alles war zu viel.
Und trotzdem war es irgendwie nicht genug.
Die Intensität überwältigte mich, und ich wusste, dass ich hier rausmusste. Ich stemmte mich hoch und stieg aus dem Wasser. »Ich muss gehen«, platzte ich heraus, sauste um den Pool, schnappte mein Strandkleid und lief zum Tor, ohne sein flehentliches »Warte!« zu beachten.
Ich eilte davon und entspannte mich erst, als ich mein Zimmer erreichte, erleichtert, dass er mir nicht gefolgt war. Kopfschüttelnd schlug ich die Hände vors Gesicht.
»Wie idiotisch«, flüsterte ich.
Ich war überzeugt, er hielt mich für verrückt. Als mir einfiel, dass wir uns ja am Set sehen würden, stöhnte ich auf, aber da wir uns nur im Schatten aufgehalten hatten und er nur schwerlich mein Gesicht hatte erkennen können, beruhigte ich mich etwas. Außerdem war ich nass gewesen, also würde er mich wahrscheinlich nicht wiedererkennen. Ich strich mir das Haar aus dem Gesicht und bemerkte mit einem Stirnrunzeln, dass ich irgendwann auf der Flucht zurück in mein Zimmer meine Haarspange verloren haben musste. Verdammt, die hatte ich wirklich gemocht.
Ich setzte mich und stellte erschrocken fest, wie zittrig und atemlos ich war. Ich fühlte eine Sehnsucht in meiner Brust, die ich nicht erklären konnte. Das musste an dem überraschenden Zusammentreffen liegen. Ich hatte nie jemandem von meiner geheimen Besessenheit von Nicholas Scott erzählt. Als ich das erste Mal ein Bild von ihm gesehen hatte, hatte sich irgendetwas in meiner Brust zusammengefügt. Ich verfolgte seine Karriere genau, feierte seine Erfolge und jubelte ihm aus der Entfernung zu. Ich weinte während seiner schlechten Zeiten, weil ich das starke, unerschütterliche Gefühl hatte, dass mehr hinter seiner Geschichte steckte, als die Leute wussten. Tief in mir dachte ich, dass ich ihm helfen könnte, wenn ich ihm begegnen würde. Aber ich war nicht darauf vorbereitet gewesen, ihn schon so kurz nach meiner Ankunft zu sehen. Das kam vollkommen überraschend.
Meine Reaktion war nichts anderes als die reine Heldenverehrung.
Das war alles.
Oder?
Ich nahm meinen Kaffeebecher, trank ihn aus und stellte ihn zurück auf den Tisch. Von meinem Balkon hatte ich eine gute Aussicht über das Hotelgelände und war nicht überrascht, dass es so ruhig war. Ich wusste, das Studio hatte eine Reihe von Zimmern für die Schauspieler und die Crew gemietet. Ich war dankbar, hier ein Zimmer zu haben. Zum Set und zurück würde ich gefahren werden, was half, den Paparazzi und Reportern zu entgehen, die sich während der Dreharbeiten ständig um mich scharten. Manche Leute fanden es merkwürdig, dass ich das Leben am Set bevorzugte, aber dort war ich vor vielen Dingen geschützt, geradezu abgeschirmt. Die Security passte auf mich auf. Die Mahlzeiten waren vorbereitet. Es gab immer einen Laufburschen, der Besorgungen erledigte und mir brachte, was ich brauchte. Ein anderer holte mir Kaffee oder ein kaltes Getränk. Und oft quatschte ich mit anderen Schauspielern oder den Leuten der Crew, um mir die Zeit zu vertreiben. Und wenn nicht, dann hatte ich mein Skizzenbuch. Ich konnte Stunden mit Zeichnen verbringen.
Ich klopfte mit meinem Bleistift auf das Papier, während ich die Zeichnung betrachtete, die ich heute schon ein halbes Dutzend Mal in die Hand genommen hatte. Es war eine Studie von Schatten, der Fokus auf ein Gesicht, das ich gestern Nacht kaum hatte ausmachen können, das mir aber dennoch in Erinnerung geblieben war.