Das Attentat von Sarajewo und der Weg in den 1. Weltkrieg - Kilian Schneider - E-Book

Das Attentat von Sarajewo und der Weg in den 1. Weltkrieg E-Book

Kilian Schneider

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Beschreibung

DAS ATTENTAT VON SARAJEWO UND DER WEG IN DEN 1. WELTKRIEG Der Erste Weltkrieg wird oft als die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Doch wie kam es zu diesem ersten weltumspannenden Krieg? Es ist unstrittig, dass das Attentat in Sarajewo auf den österreichischen Thronfolger eine der Hauptursachen gewesen ist. In diesem Buch wird die Geschichte des Attentats auf Franz Ferdinand beschrieben und von allen Seiten beleuchtet. Dann werden wie in einem Countdown tageweise die diplomatischen Ereignisse zwischen den Großmächten beschrieben, die letztlich in einer Spirale der Gewalt endeten. Und es stellt sich dabei die Frage, ob das alles vermeidbar gewesen wäre? Wer hat wann den entscheidenden Anstoß zum Krieg gegeben? Wer waren die Kriegstreiber und wer waren diejenigen Männer, die ihn verhindern wollten? Wollten die Völker Europas aus jeweils unterschiedlichen Gründen den Krieg mehr als den Frieden? Dieses Buch hofft, Antworten auf all diese Fragen zu geben. Viele zeitgenössische Bilder ergänzen dieses Werk.

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Das Attentat von Sarajewo und der Weg in den 1. Weltkrieg

 

 

 

 

IMPRESSUMAutor: Kilian Schneider

 

Herausgeber: Juergen.PommersbergerHaendelstr 1793128 Regenstauf

[email protected]

 

 

 

 

 

 

Die Kriegsschuldfrage von Versailles

 

Der Erste Weltkrieg wird von vielen Historikern als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Vier lange Jahre vom Sommer 1914 bis zum November 1918 brachte dieser große Krieg Not und Elend über die Völker und am Ende fragten sich viele, wie das hatte geschehen können. Die Siegermächte fanden in dem Vertrag von Versailles eine einfache Formel, die das alles erklären sollte.

 

Nämlich die Deutschen sind schuld ...

 

Doch was geschah wirklich? Was wurde von den Siegern beschlossen? Und ... was war wahr und was war falsch?

 

Am 7. Mai 1919 wurden die auf der Konferenz beschlossenen Auflagen der Siegermächte offiziell bekannt, darunter Gebietsabtretungen, Verlust aller Kolonien, Obergrenzen und Kontrollen für das deutsche Militär und umfangreiche finanzielle Reparationen. Artikel 231 des Versailler Vertrags, auf dem vor allem Frankreich bestanden hatte, begründete diese völkerrechtlich, indem er die Alleinverantwortung Deutschlands und seiner Verbündeten für die im Weltkrieg entstandenen Schäden festschrieb.

 

Eine Mantelnote der Alliierten an die deutsche Delegation vom 16. Juni 1919 verschärfte die Vorwürfe: Deutschland allein habe den Krieg „angezettelt“, der „das größte Verbrechen gegen die Menschheit und Freiheit der Völker“ gewesen sei, „welches eine sich für zivilisiert ausgebende Nation jemals mit Bewusstsein begangen hat“. Aus einem traditionell preußischen Hegemoniestreben heraus habe die Reichsregierung Österreich-Ungarn ermutigt, Serbien den Krieg zu erklären, wissend, dass dies den allgemeinen Krieg entfesseln würde, auf den nur Deutschland vorbereitet gewesen sei. Dazu habe sie sich allen Verhandlungs- und Versöhnungsversuchen entzogen.

 

Vertragsunterzeichnung im Spiegelsaal von Versailles.

 

Dies wurde weithin nicht nur als juristische Legitimation der Reparationen, sondern auch als moralische Verurteilung empfunden und löste daher einen Sturm der Entrüstung in der deutschen Öffentlichkeit aus. Die Ablehnung reichte von der äußersten Rechten über die Regierungsparteien bis zur KPD. Um den Vertrag nicht verantworten zu müssen, trat das Kabinett im Juni 1919 geschlossen zurück. Nach einer alliierten Interventionsdrohung stimmte der Reichstag dem Vertrag jedoch am 22. Juni 1919 mehrheitlich zu, so dass er am 28. Juni unterzeichnet wurde und am 10. Januar 1920 – in Österreich im folgenden Dezember – in Kraft trat. Wegen der Drohung wurde der Vertrag auch von den SPD-Regierungsmitgliedern als „Schanddiktat“ und „Diktatfrieden“ bezeichnet.

 

Der Versailler Vertrag schrieb in Art. 227 zudem die persönliche Verantwortung des ehemaligen deutschen Kaisers Wilhelm II. fest und forderte in Art. 228–230 einen alliierten Gerichtshof zur öffentlichen Anklage „wegen schwerster Verletzung der internationalen Moral und der Heiligkeit der Verträge“ sowie die Anklage sonstiger Personen „wegen einer gegen die Gesetze und Gebräuche des Krieges verstoßenden Handlung“ vor nationalen Militärgerichten. Zu einer Anklage gegen Wilhelm II. kam es nicht, wohl aber zu den Leipziger Prozessen vor dem Reichsgericht.

 

In den folgenden Kapiteln soll nun beleuchtet werden, wie Europa in diesen schrecklichen Krieg hineinschlitterte.

 

 

 

Vorgeschichte & Zeitliche Festlegung des Besuchs

 

Erzherzog Franz Ferdinand begab sich von einem Treffen mit dem deutschen Kaiser Wilhelm II. auf seinem Landsitz Schloss Konopischt in Beneschau (Böhmen) nach Sarajevo, um dem Abschluss der Manöver des k.u.k. XV. und XVI. Korps in Bosnien beizuwohnen. Der Besuch wurde auf Bitte des k.u.k. Statthalters von Bosnien-Herzegowina, Feldzeugmeister Oskar Potiorek, auf den 28. Juni festgelegt.

 

Franz Ferdinand von Österreich-Este, Sophie Chotek, Herzogin von Hohenberg (k.u.k. Militärpost, 1917)

 

Die Attentäter planten den Anschlag allerdings schon seit März 1914, weil Zeitungen den Besuch Franz Ferdinands ohne genaue Datumsnennung angekündigt hatten. Den Attentätern war es vor allem wichtig, bei dem Besuch Franz Ferdinands ein Attentat auszuüben, wobei die tiefere Bedeutung des 28. Juni (15. Juni des Julianischen Kalenders) wohl nur ein Nebeneffekt war. An jenem Veitstag (Vidovdan) war der 525. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld – ein symbolisches Datum für viele Serben. Gemäß einem Schreiben des Sekretärs der k.u.k. Gesandtschaft in Belgrad, Ritter von Storck, an den Außenminister Graf Leopold Berchtold vom 29. Juni 1914 müssen die österreichisch-ungarischen Behörden über das Ausmaß der monatelang im Voraus geplanten umfangreichen Veranstaltungen im Königreich Serbien zur 525-Jahr-Feier der verlorenen Schlacht sehr gut informiert gewesen sein.

 

Die Schlacht auf dem Amselfeld, Gemälde von Adam Stefanović

 

Einerseits war der Frühsommer eine übliche Jahreszeit für Militärmanöver, und der Besuch eines Manövers bot sich an, da der Thronfolger bereits seit 1909 als Generalinspektor anstelle des Kaisers derartige Truppenbesuche vornahm. Der Statthalter von Bosnien – Herzegowina Potiorek wollte das Ansehen der Donaumonarchie, das seit der Bosnischen Annexionskrise des Jahres 1908 nicht sehr hoch war, mit einem Besuch des Thronfolgers pflegen, wozu eine gezielte Provokation kaum beigetragen hätte. Auch machte der für Bosnien und Herzegowina zuständige Finanzminister Leon Ritter von Biliński zu keiner Zeit Einwendungen gegen den Besuch, weil ihm zufolge der ursprüngliche vom Kaiser genehmigte Plan einen Besuch der Stadt gar nicht vorsah.

 

Erzherzog Franz Ferdinand bei seinem Besuch bei den Franziskanern in Sarajevo im Juni 1914. Rechts hinter dem Thronfolger steht sein Hofmeister Baron Karl Rumerskirch, rechts davon General Oskar Potiorek.

Von Vlach Pavel - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=133914539

 

Andererseits lässt sich eine eventuelle Provokation durch den nach einem Krieg strebenden Flügel der Regierungskreise in der Donaumonarchie nicht ausschließen. Biliński erwähnt in seinen Memoiren, dass Potiorek eine tiefe Abneigung gegen die Serben gehegt habe, was die Bosnienpolitik Österreich-Ungarns und den Konsens mit den bosnischen Serben massiv behindert hätte. Laut Biliński habe der ursprüngliche und von Kaiser Franz Joseph I. genehmigte Plan nur einen Besuch der Truppenmanöver vorgesehen. Die Entscheidung für einen Besuch der Stadt, und insbesondere die Teilnahme der Herzogin, sei kurzfristig und ohne Bilińskis Mitwirkung getroffen worden. Biliński erwähnt auch, dass sein Ministerium als einziges Amt in Österreich-Ungarn ausdrücklich vom Verteiler für die Besuchspläne des Thronfolgers ausgelassen worden sei, um „die Bemühungen des Landeschefs, einen würdigen Gast zu empfangen, nicht zu behindern“.

 

Frühere Attentate auf hochstehende Repräsentanten der Doppelmonarchie, wie der Anschlag auf Statthalter Marijan Freiherr Varešanin von Vareš am 15. Juni 1910 in Sarajevo, waren fehlgeschlagen, und vermutlich hätten die Attentäter gegebenenfalls auch ein anderes, weniger symbolträchtiges Datum gewählt.

 

„Lediglich in der Interpretation der Nachwelt und vor allem beim Herausarbeiten der besonderen Zielstrebigkeit und Symbolträchtigkeit kam es dann dazu, dass der … 28. Juni, der Vidovdan (Veitstag), der Jahrestag der serbischen Niederlage gegen die Osmanen auf dem Amselfeld 1389, als besondere Provokation hingestellt worden [ist]. Doch auch dabei regierte der Zufall und nicht die langfristige oder gar subtile Planung. Denn als man den Zeitpunkt für die Manöver des XVI. Korps festlegte, waren dabei lediglich die Jahreszeit, der Ausbildungsstand der Truppen und die Übungsannahme ausschlaggebend.“

– Manfried Rauchensteiner

 

Es wird aber auch die Ansicht vertreten, dass gerade in Wien der Vidovdan eigentlich hinreichend als „heiliger Tag“ der Serben bekannt hätte sein müssen. Der Besuch in der erst unlängst annektierten Provinz an diesem Tage, sogar wenn er nicht als Provokation gedacht war, hätte deshalb faktisch als besondere Demütigung – oder, im Gegenteil, als eine sich besonders anbietende Gelegenheit für einen Schlag gegen die Fremdherrschaft – aufgefasst werden können.

 

Noch am Tag zuvor sendete Sophie von Hohenberg ein Telegramm an eine Freundin, in dem sie ihr Wohlbefinden ausdrückt. Es ist heute im Bautzener Diözesanarchiv archiviert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Warnungen

 

Bereits früher war es in Sarajevo zu Attentaten gekommen. Der Student Bogdan Žerajić hatte 1910 ein Attentat auf Kaiser Franz Joseph geplant, aufgrund des hohen Alters des Monarchen jedoch davon Abstand genommen. Stattdessen schoss er am 15. Juni 1910 bei der Eröffnung des bosnisch-herzegowinischen Landtags auf den bosnischen Gouverneur, General Marijan Freiherr Varešanin von Vareš, verfehlte ihn aber, woraufhin er sich mit einem Kopfschuss tötete. Žerajić wurde zum Vorbild für Princip: Dieser soll bei Žerajićs Grab feierlich geschworen haben, ihn zu rächen.

 

Franz Ferdinand (rechts) bei einem Kaisermanöver 1909

 

Auch nach vagen Vorwarnungen ließ sich Erzherzog Franz Ferdinand nicht von der Fahrt nach Sarajevo abhalten. „Unter einen Glassturz“, hatte er bei einer anderen Gelegenheit gesagt, „lasse ich mich nicht stellen. In Lebensgefahr sind wir immer. Man muss nur auf Gott vertrauen.“ Da niemand mit Gefahr rechnete, fielen die Sicherheitsvorkehrungen entsprechend gering aus. Der Zeitplan und die Fahrtroute wurden Wochen vor dem Besuch in den Zeitungen öffentlich bekanntgegeben, wahrscheinlich auch, um möglichst viele jubelnde Zuschauer anzulocken. Es wurden so gut wie vor jedem Besuch Warnungen ausgesprochen, nicht nur in Bezug auf Bosnien. Keiner der Warner war allerdings so deutlich geworden, dass daraus wirklich das Ausmaß der Gefahr hätte abgeleitet werden können.

 

Der serbische Premierminister Nikola Pašić erfuhr nach einer späteren Aussage des damaligen Kabinettmitgliedes Ljuba Jovanović vorab von dem Attentat. Der Informant war wahrscheinlich Milan Ciganović, Pašićs Spion in der Schwarzen Hand. Dieser Geheimbund hieß eigentlich Ujedinjenje ili Smrt („Vereinigung oder Tod“) und kämpfte für die Gründung eines großserbischen Nationalstaates, in dem ganz Bosnien und Herzegowina aufgehen sollte. Pašić stritt das Vorwissen immer ab, befand sich aber nach Darstellung des australischen Historikers Christopher Clark in einem Dilemma: Wenn er den Plan zur Ausführung kommen ließe, riskierte er wegen der Verbindung zur Geheimorganisation einen Krieg mit Österreich-Ungarn; wenn er den Plan verriete, riskierte er, von seinen Landsleuten als Verräter hingestellt zu werden. So betraute er angeblich Jovan Jovanović, den serbischen Gesandten in Wien, mit der Aufgabe, Österreich-Ungarn mit vagen diplomatischen Aussagen vor dem Anschlag zu warnen. Jovanović, der als Nationalist galt und in Wien selten herzlich empfangen wurde, vertraute dem als offen und umgänglich bekannten k.u.k. Finanzminister von Biliński in einem Gespräch an, es wäre gut und vernünftig, wenn Franz Ferdinand nicht nach Sarajevo reiste, weil sonst „irgendein junger Serbe statt einer Platzpatrone eine scharfe Kugel nehmen und sie abschießen könnte“. Biliński erwiderte lachend, „lassen Sie uns hoffen, dass sowas niemals passiert“ und behielt den Inhalt des Gesprächs für sich. Die Authentizität dieser Darstellung von Clark und dieses Gesprächsinhaltes ist jedoch unsicher, da das Gespräch erst zehn Jahre später von Jovanović in widersprüchlicher Weise so dargestellt wurde. Am 4. Juli 1914 meldete Jovanović auf entsprechende Nachfrage Pašićs nach Belgrad lediglich, mit einigen Botschaftern allgemein über die Provokation durch die Manöver geredet zu haben.

 

Laut Christopher Clark wurde eine gewisse Warnung ausgesprochen, aber keine, die der Situation angemessen gewesen wäre. Die offiziellen Sicherheitsvorkehrungen entsprachen nicht den Standards, so dass der übliche Kordon aus Soldaten fehlte sowie die Leibwache aufgrund eines Missverständnisses am Bahnhof zurückgelassen wurde.

 

Dagegen urteilt der deutsche Historiker Jörn Leonhard, dass „[d]er Bericht des Grafen Harrach […] über den 28. Juni 1914 […] ein kaum nachvollziehbares Ausmaß an Naivität der Behörden“ offenbare.

 

 

 

 

 

 

Vorbereitungen für den Anschlag

 

Oberst Dragutin Dimitrijević, genannt Apis, Chef des serbischen militärischen Geheimdienstes und Führungsfigur der Schwarzen Hand, war der wichtigste Kopf hinter der Verschwörung zur Ermordung Erzherzog Franz Ferdinands, aber die Idee stammt vermutlich von seinem Kameraden Rade Malobabić.

 

Dragutin Dimitrijević

 

Im Rahmen dieser Verschwörung rekrutierte der ehemalige Freischärler Voja Tankosić den Kern des nach Bosnien geschickten Kommandos, die drei Mitglieder der proserbischen bosnischen Jugendorganisation Mlada Bosna (Junges Bosnien): Gavrilo Princip, ein 19-jähriger Gymnasiast, Nedeljko Čabrinović, ein 19-jähriger Druckergeselle, und Trifun „Trifko“ Grabež, ein 18-jähriger Schulabbrecher. Der serbische Regierungschef hatte das Attentat weder befohlen, noch war die Regierung direkt beteiligt, jedoch wussten der serbische Ministerpräsident sowie mehrere Minister und Militärs von einzelnen Vorgängen der Verschwörung. Nach Ansicht des amerikanischen Historikers Sean McMeekin waren der russische Militärattaché in Belgrad General Wiktor Artamonow, der praktisch täglich mit dem Geheimdienstchef Dimitrijević in Kontakt stand, und der russische Botschafter Nikolai Hartwig ebenfalls in die Attentatspläne eingeweiht.

 

Franz Ferdinand und seine Frau Sophie kommen am 18. Juni 1914 gegen 10 Uhr am Bahnhof von Sarajevo an.

 

Sobald die Planung des Attentats ernsthaft begonnen hatte, wurde sorgfältig darauf geachtet, dass keine offensichtlichen Verbindungen zwischen der Zelle und den Behörden in Belgrad bestand. Führungsoffizier der Attentäter war Milan Ciganović, der Tankosić bzw. über diesen Dimitrijević unterstand. Alle Befehle wurden nur mündlich weitergegeben. Das stillschweigende Einverständnis zwischen dem serbischen Staat und den an der Verschwörung beteiligten Netzwerken war bewusst geheimer und informeller Natur.

 

 

Die Attentäter: Gavrilo Princip

Princip stammte aus einer Familie bosnischer Serben, die seit Generationen in der Bosanska Krajina siedelte, dem Grenzland zwischen Bosnien und Kroatien.

 

Gavrilo Princips Eltern (1927)

 

Daher besaß er die im Jahr 1910 eingeführte bosnisch-herzegowinische Landesangehörigkeit. Princip wurde in dem Dorf Obljaj geboren, heute ein Ortsteil von Bosansko Grahovo, und verbrachte einen Teil seiner Jugend im zentralbosnischen Hadžići, einem Vorort von Sarajevo, wo sich seine Eltern kennengelernt hatten. Er war eines von neun Kindern eines Postmitarbeiters, von denen sechs bereits im Kindesalter starben. Princip galt als intelligent und machte in der Schule durch gute Leistungen auf sich aufmerksam. Obwohl der Vater gegen die Ausbildung seines Sohnes war, besuchte Gavrilo nach der Grundschule eine Handelsschule in Tuzla und anschließend ein Gymnasium in Sarajevo. In Hadžići kam er erstmals mit Mitgliedern der serbisch-irredentistischen Schüler- und Studentenbewegung Mlada Bosna (Junges Bosnien) in Kontakt, zu der bosnische Serben, Kroaten und Muslime gehörten, und wurde deren Mitglied. Sie hatte das Ziel, Bosnien-Herzegowina von der österreichisch-ungarischen Besatzung zu befreien, den Zusammenschluss der südslawischen Provinzen mit Serbien und Montenegro und die damit verbundene Bildung Jugoslawiens zu ermöglichen sowie Bildungsmöglichkeiten für die Armen und die politische und ökonomische Einbeziehung in der österreichischen Quasi-Kolonie Bosnien-Herzegowina zu erreichen. Im Februar 1912 nahm er an regierungsfeindlichen Demonstrationen in Sarajevo teil und wurde dafür der Schule verwiesen.

 

Im Mai 1912 zog er nach Belgrad, um dort das Gymnasium zu besuchen und anschließend zu studieren. Zunächst schlug er sich als Hilfsarbeiter durch und pflasterte Straßen, weil er die geringe Unterstützung, die er von seinen Eltern erhielt, mit mittellosen Freunden teilte. Hier geriet er in das Umfeld der serbischen nationalistischen Organisation Narodna Odbrana. Angehörige der Organisation griffen ihm und seinen späteren jugendlichen Mitattentätern – Nedeljko Čabrinović, einem 19-jährigen Druckergesellen, und Trifko Grabež, einem 18-jährigen Schulabbrecher – materiell und emotional unter die Arme. Die jungen Leute berauschten sich am Nationalmythos, wonach die Serben seit ihrer heroischen Niederlage auf dem Amselfeld 1389 stets das Opfer ausländischer Machenschaften gewesen seien. Dies übertrugen sie auf das Österreich der Gegenwart: Danach würden die Wiener Behörden die Serben in ihrem Herrschaftsbereich wirtschaftlich kleinhalten. Princip lernte in dieser Zeit Petrović-Njegoš’ Epos Bergkranz über den heroischen Abwehrkampf gegen die Türken im Spätmittelalter auswendig, in dem der serbische Nationalheld Miloš Obilić den türkischen Sultan Murad I. ersticht.

 

Mitglieder der Schwarzen Hand im Topčider Park.

Princip und seine Freunde sahen ihr Vorbild außerdem in Bogdan Žerajić, der am 15. Juni 1910 nach einem gescheiterten Attentat auf den Landeschef Österreich-Ungarns in Bosnien und Herzegowina Marijan Freiherr Varešanin von Vareš Suizid begangen hatte, und hielten sich öfter an dessen Grab auf. Princips Ideal war der Jugoslawismus: die Vereinigung aller Südslawen in einem eigenen Staat. Während seines Prozesses erklärte er: „Ich bin ein jugoslawischer Nationalist mit der Vereinigung aller Jugoslawen als Ziel, mir ist es egal in welcher Staatsform, jedoch muss er von Österreich befreit werden.“ Dabei war es für ihn aber selbstverständlich, dass die Hauptstadt dieses Jugoslawiens Belgrad und die Serben darin das dominierende Element sein würden.

 

Der serbische Offizier und Führungskader der Geheimorganisation „Schwarze Hand“, Vojislav Tankosić, nahm sich seiner an. Zu Beginn des Ersten Balkankriegs reiste Princip im Oktober 1912 in das südserbische Prokuplje, wo er sich als Tschetnik freiwillig melden wollte. Er hatte vor, das Amselfeld, die mythische Wiege Serbiens, von der Herrschaft der Osmanen zu befreien, doch sein Freund Major Vojislav Tankosić, der kommandierende Tschetnik, lehnte ihn wegen seiner schwachen Konstitution als untauglich ab. Wahrscheinlich litt Princip schon damals an Knochentuberkulose, einer Krankheit, an der er sechs Jahre später sterben sollte. Als Ersatz für die Demütigung seiner militärischen Untauglichkeit begann er, Attentatspläne zu schmieden. Gavrilo Princip selbst fasste im Frühling 1914 in Belgrad am Grab von Bogdan Žerajić den Entschluss, Franz Ferdinand zu töten, nachdem er in einer österreichischen Zeitung über dessen angekündigten Besuch gelesen hatte.

Gavrilo Princip als Jugendlicher (1910er-Jahre)

Nach anderen Darstellungen sei der wahre Urheber der Idee Nedeljko Čabrinović gewesen, der von einem Freund, dem Journalisten Mihajlo Pušara, mit einem Zeitungsausschnitt auf den bevorstehenden Besuch aufmerksam gemacht worden war. Damals war der Besuch wegen einer ernsten Krankheit des Kaisers Franz Joseph I. noch ungewiss.

 

Die Attentäter betrachteten einige Persönlichkeiten als lohnendes Ziel: den österreichischen Kaiser, Außenminister Berchtold, Finanzminister Biliński, Feldzeugmeister Potiorek, den Banus von Kroatien Ivan Skerlecz, den Gouverneur von Dalmatien Slavko Cuvaj, und natürlich Franz Ferdinand. Nach Aussagen Princips wurde Franz Ferdinand gerade nicht wegen einer angeblichen Feindseligkeit gegen die Serben ausgewählt, sondern weil er „als künftiger Herrscher bestimmte Ideen und Reformen durchgeführt hätte, die uns im Wege standen.“ Princip teilte Čabrinović und Grabež seine Absichten mit und sicherte sich ihre Unterstützung. Da sich Princip nicht in der Lage sah, den Plan ohne fremde Hilfe in die Tat umzusetzen, kontaktierte er Milan Ciganović, einen serbischen Geheimdienstler und bekannten Volkshelden, der als Eisenbahnbeamter arbeitete und im selben Haus wohnte.

Ciganović stand mit Major Vojin P. Tankošić in Verbindung, den Princip von seinem erfolglosen Versuch aus dem Jahr 1912, als Freiwilliger an den Balkankriegen teilzunehmen, schon kannte. Princip wusste weder, dass Ciganović und Tankošić führende Mitglieder der Schwarzen Hand waren, noch war Princip, der offenbar selbst an ein lokales Projekt dachte, über die Hintergründe der Verschwörung informiert. Ciganović gab den militärisch unerfahrenen Jugendlichen im Belgrader Park Topčider Schießunterricht, wobei Princip der beste Schütze war, und übergab ihnen am 27. Mai 1914 vier Pistolen mit Munition und sechs Bomben aus serbischen Armeebeständen. Die Herkunft der Waffen konnte nie restlos geklärt werden, weil viele serbische Milizangehörige solche Waffen besaßen. Weiter bekamen sie etwas Geld für die Reisekosten und Zyankali-Fläschchen, um sich nach dem Attentat zu töten. Die drei Attentäter reisten einen Monat vor dem Anschlag über Tuzla nach Sarajevo. Ciganović half ihnen, unter Mitwirkung von Miško Jovanović, die Waffen unbemerkt über die bosnische Grenze zu bringen.

 

Karte des Weges, auf dem die für das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand bestimmten Waffen nach Sarajewo gelangten, Mai-Juni 1914.

 

In Tuzla schloss sich ihnen als viertes Mitglied Danilo Ilić, ein 23-jähriger Lehrer, an. Ilić warb drei weitere Mitglieder von Mlada Bosna an, die zwei Gymnasiasten Vaso Čubrilović (17-jährig) und Cvjetko Popović (18-jährig) sowie Muhamed Mehmedbašić, einen 27-jährigen muslimischen Bosnier, der von Beruf Schreiner war. Der eigentliche Sinn dieser zweiten Sarajevoer Zelle war, die Spuren der Verschwörung zu verwischen. An der Verschwörung waren auch andere Mitglieder von Mlada Bosna beteiligt, die nicht unmittelbar oder bewaffnet in Erscheinung traten: Veljko Čubrilović, Vasos Bruder und Lehrer aus Priboj, Miško Jovanović, Kaufmann und Bankdirektor aus Tuzla, Mladen Stojanović, Arzt und später Volksheld im Zweiten Weltkrieg, sein Bruder Sreten, Bildhauer; Jezdimir Dangić, Gendarmerie-Oberstleutnant und später Tschetnik-Wojwode, Mitar Kerović und sein Sohn Neđa, und schließlich Jakov Milović, ein Landwirt aus Ostbosnien.

 

Einige aus der Gruppe der Attentäter zogen sich im letzten Moment zurück, weil Mord ungeeignet sei, Protestverhalten zu zeigen. Doch die jüngeren Attentäter wollten den Plan dennoch durchführen.

 

 

Aufstellung der Attentäter in Sarajewo

Die Attentäter positionierten sich am Appel-Kai (heute: Obala Kulina bana) entlang des Miljacka-Flusses. Mehmedbašić und Čabrinović sollten als erste handeln und nahmen westlich der Ćumurija-Brücke Aufstellung, während sich die anderen fünf Attentäter als Reserve bis hin zur Kaiser-Brücke (heute: Careva Čuprija) postierten. Nach Angaben des Museum von Sarajevo stand Mehmedbašić westlich der ersten Einmündung der Ćumurija-Straße (gegabelte Einmündung), Čabrinović östlich, beide auf der Flussseite. Čubrilović und Popović standen wenige Meter weiter östlich beidseitig der Straße vor der zweiten Einmündung der Ćumurija-Straße bzw. an der Ćumurija-Brücke. Princip postierte sich flussseitig kurz vor der Lateinerbrücke, quer gegenüber verübte er später den zweiten, dann „erfolgreichen“ Anschlag. Grabež stand flussseitig westlich der Kaiser-Brücke gegenüber der heutigen Einmündung der Bazardžani-Straße. Ilić pendelte unbewaffnet zwischen den Attentäter-Gruppen.

 

Von Originally created by User:Hmaglione10 : Modified by User:麩 - File:Atentado_de_Sarajevo.png, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=79086539

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Erste Anschlag

 

Das Thronfolger-Ehepaar residierte während des Besuches in Ilidža, einem Badeort etwa 12 Kilometer westlich von Sarajevo. Ursprünglich wollte Franz Ferdinand den Besuch absagen, jedoch konnte Erik von Merizzi den Thronfolger davon überzeugen, doch noch Sarajevo zu besuchen.

 

Das Thronfolgerpaar vor dem Austria Hotel in Ilidza (Vorort von Sarajewo)

 

Am 28. Juni 1914 reisten sie mit dem Zug von Ilidža bis zur Westgrenze der Stadt, wo eine Tabakfabrik stand, die ein häufiger Ausgangspunkt für Sarajevo-Besuche österreichisch-ungarischer Würdenträger war. Laut Biliński, der seine Erinnerungen auf einen Bericht des erzherzöglichen Marschalls Oberst Graf Rumerskirch an Kriegsminister Alexander Ritter von Krobatin stützt, seien die Sicherheitsvorkehrungen besonders gering gewesen, was in Kontrast zu den vergleichsweise strengen Vorkehrungen beim Besuch Franz Josephs I. in Sarajevo 1910 gestanden habe. Die Polizisten und Geheimpolizisten, die der Kolonne hätten vorausfahren sollen, seien für diesen Zweck weder mit Wagen noch Kutschen ausgestattet worden und seien daher, mit Schmucktruhen der Herzogin schwer beladen, bei der Tabakfabrik zurückgeblieben.

 

Laut Biliński wurde die Ankunft Franz Ferdinands in Sarajevo auf die Minute genau angekündigt, was die Ausführung des Attentats erheblich erleichterte. Vor der Abfahrt habe der Polizeihauptmann Gerde, ein Ungar, dem Landeschef Potiorek mitgeteilt, dass er mit einer Anzahl von 30 bis 40 Polizisten nicht in der Lage sei, für die Sicherheit der Fahrgäste auf der langen Strecke von der Tabakfabrik bis zum Rathaus zu sorgen, und deshalb Unterstützung durch Militäreinheiten benötige. Potiorek habe entgegnet, weil in der Stadt aufgrund der Manöver kein Militär stationiert sei, könne es nicht rechtzeitig eintreffen. Daraufhin habe der Gendarmeriechef Bosniens, General Šnjarić, vorgeschlagen, einen Gendarmeriekordon entlang der Fahrtstrecke aufzustellen, doch Potiorek habe auch diesen Vorschlag abgelehnt.

 

Franz Ferdinand und seine Frau fuhren in einer Kolonne aus sechs Autos (zuzüglich des vorausfahrenden Polizeiwagens) auf dem Appel-Kai (heute: Obala Kulina bana) entlang des Miljacka-Flusses zum Rathaus von Sarajevo. Im ersten Fahrzeug saßen der Bürgermeister, Efendi Fehim Čurčić, und der Polizeichef Gerde. Im zweiten Fahrzeug, einem Doppelphaeton (28/32 PS) von Gräf & Stift, saßen Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie, ihnen gegenüber Landeschef Potiorek. Vorne saßen der Chauffeur Leopold Lojka und Franz Graf Harrach, der Besitzer des Wagens. Im dritten Fahrzeug saßen Sophies Kammerfrau, Alexander Graf von Boos zu Waldeck und der Flügeladjutant des Landeschefs, Oberstleutnant Merizzi, der den Wagen fuhr. Im vierten und fünften Fahrzeug saßen unter anderem Baron Morsey, Oberst Bardolff, der Leiter der erzherzoglichen Militärkanzlei, Hofmarschall Rumerskirch und bosnische Beamte wie der Regierungsrat Starch. Das sechste Fahrzeug war leer und wurde als Reserve mitgeführt.

 

Der Wagen, ein Doppelphaeton (28/32 PS) von Gräf & Stift, in dem Franz Ferdinand und seine Frau Herzogin Sophie von Hohenberg in Sarajevo erschossen wurden. Der Wagen ist heute im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien ausgestellt.

Von Stefan97 - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=61289948

 

Gegen zehn Uhr fuhr die Kolonne an dem ersten Attentäter Mehmedbašić vorbei, der eine Bombe werfen sollte, aber nichts unternahm. Er erklärte seine Untätigkeit später damit, dass er von Ilić die Anweisung bekommen habe, die Bombe nur dann zu werfen, wenn er den Wagen des Thronfolgers erkenne. Dies sei ihm aber nicht gelungen. Einer der nächsten Attentäter auf der Route, Čabrinović, stand quer gegenüber dem Café Mostar (heute Anwesen Ćumurija 1), wo der ebenfalls untätige Čubrilović saß, und erkundigte sich bei einem Polizisten, in welchem Fahrzeug der Erzherzog säße.

 

 

Als dieser ihm die korrekte Antwort gab, schlug er die Sicherung seiner Bombe an einem Straßenbahnmast westlich der Ćumurija-Brücke ab und warf sie in Richtung des Wagens.

---ENDE DER LESEPROBE---