Das Geheimnis der Runenmeisterin - Mario Lichtenheldt - E-Book

Das Geheimnis der Runenmeisterin E-Book

Mario Lichtenheldt

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Beschreibung

Ein Schrei in der Nacht; eine Hand ragt aus dem Moor. Moritz und Anne zögern nicht, helfen, noch bevor die Feuerwehr eintrifft. Für das Mädchen jedoch, das sie ans Ufer ziehen, kommt jede Hilfe zu spät. Wer war sie? Was bedeuten die seltsamen Bronzeringe an ihrem Knöchel? Welches Geheimnis bergen die kaum sichtbaren Runen, die in die Ringe eingraviert, aber so perfekt verschlüsselt sind, dass selbst modernste Computer den Code nicht knacken können? Auf ihrer Suche nach Antworten geraten Moritz, Anne und Jakob mitten hinein in die Tiefen und Rätsel längst vergangener Zeiten. Gesichter, Menschen, ihre Gedanken, Gefühle und Ängste werden lebendig. Welches unsichtbare Band, welches geheime Wissen verbindet Imba und Hamal, die Kinder der Runenmeisterin, mit Maigel, einer jungen Frau, die mehr als tausend Jahre später dem Scheiterhaufen nur knapp entgeht? Und wer war der tote Archivar, der tief unter der Erde geheime Dokumente der Nazis und einen High-Tech-Sender bewacht? Was ist Zeit? Können wir sie beherrschen? Die Runenmeisterin kennt die Antwort…!

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Seitenzahl: 366

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Mario Lichtenheldt Jule Konrad

Das Geheimnis der Runenmeisterin

Moritz und seine Freunde

© 2016 Mario Lichtenheldt & Jule Konrad

Autoren: Mario Lichtenheldt & Jule Konrad

Illustration & Titelfoto: Lia & Jule Konrad

Lektorat, Korrektorat: Andrea Lichtenheldt

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN (Paperback): 978-3-7323-7115-0

ISBN (Hardcover): 978-3-7345-2788-3

ISBN (e-Book): 978-3-7323-7117-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Was bisher geschah

Im Labyrinth der Zeit

Das Mädchen im Moor

Ein rätselhafter Brunnen

Der Archivar

Im Tal der verlorenen Sonne

Imbas Baum

Déjà-vu5)

Hamal

Die Götter schweigen

Älrun

Im Brunnen der Zeit

Imba bleibt zurück

Rückkehr – aber wohin?

Hamal und das unheimliche Grab

Gap – Jakob und Imba in der Nebelwelt

Mannas

Heimweh

Zwei Unendlichkeiten

Eine Krone für Harigast

Jakob im Geheimarchiv

Wieder bei Imba

Imbas Traum

Pfohltag

Die Weisheit der Runenmeisterin

Maigel

Schwarzes Licht

Folge dem rechten Weg!

Geschichten am Feuer – Das Geheimnis der Runenmeisterin

Das Pergament des toten Archivars

Das Grab des Hexenjägers

ᛗ - Der Schöpfer der Götter

Drei Wege durch die Zeit

Die Zeit ist rund!

Der Beweis

Epilog

Hans Stein

Maria und Leon

Hamal und Maigel

Quellen und Begriffserklärungen

Über die Autoren

Jule Konrad

Mario Lichtenheldt

Weitere Bücher der Autoren

Was bisher geschah

Während einer Mondscheinwanderung finden Moritz und seine Freunde ein in den Fels geritztes Zeichen, das ihnen den Weg zu einem geheimnisvollen Höhlenlabyrinth weist. Dort entdecken sie mysteriöse Sternenbilder an den Höhlenwänden, die Moritz schon aus einem uralten Buch auf Omas Dachboden kennt. Eine Abbildung der Himmelsscheibe von Nebra ist dort zu sehen, obwohl doch diese Scheibe erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde. Die merkwürdig surreale Begegnung mit dem Mädchen vom Siebenstern macht den damals 10- und 11-jährigen Freunden schließlich bewusst, dass eine große Gefahr nicht nur die Wälder ihrer Thüringer Heimat, sondern das Leben, die Gesundheit und das Glück vieler Menschen, Tiere und Pflanzen bedroht, eine Gefahr, die man nicht sehen, hören oder anfassen kann…

Vier Jahre später

Die Mädchen und Jungen sind inzwischen 14 Jahre alt, doch von der Existenz des unterirdischen Labyrinths ahnt außer ihnen noch immer niemand etwas. Ein Alleingang in die unerforschten Tiefen der Höhle hätte beinahe schlimme Folgen für Moritz gehabt, wäre Anne ihm nicht heimlich gefolgt, denn ein von der Höhlendecke herabstürzender Felsbrocken verfehlt den Jungen nur knapp.

Aber was ist das? Das Bruchstück entpuppt sich als versteinerter Saurierschädel!

In der Absicht, ihre Höhle vor den nun anrückenden Wissenschaftlern geheim zu halten, schleppen die Teenager das Fossil zu einer nahen Lichtung. Sie ahnen nicht, dass sich ausgerechnet dort, wo sie den Saurierkopf notdürftig vergraben, vor Jahrhunderten ein Friedhof befand.

Als Professor Rudolf Altmeier vom Museum für Ur- und Frühgeschichte den versteinerten Schädel bergen will, bricht er in ein darunter liegendes Grab ein, welches die Knochen einer Frau und eines Kindes birgt.

Wann lebte der versteinerte Saurier? Wer waren die Frau und das Kind? Und was hat es mit den Gerüchten um den Hexenturm nahe beim Dorf auf sich?

Für die Jugendlichen beginnt eine spannende, emotionale Spurensuche, in deren Verlauf ihnen schließlich klar wird, wie eng die Vergangenheit ihres kleinen Thüringer Dorfes mit dem Schicksal, der Vergangenheit und der Zukunft der Menschheit verwoben ist.

***

Im Labyrinth der Zeit

Freitag, 10. Juni – irgendwo im Thüringer Schiefergebirge

„Ob es dort oben wirklich Leben gibt?“, grübelt Anne, nachdem sie minutenlang schweigend zum Sternenzelt hinauf geschaut hat, „Wesen, die denken, fühlen und lieben können wie wir?“

Es ist nicht die erste warme Sommernacht, die Anne gemeinsam mit Moritz im Freien verbringt und dabei Geschichten und Vermutungen über Vergangenheit und Zukunft der Menschen spinnt. Anne genießt es immer wieder, mit wie viel Gefühl und Leidenschaft der Junge von all diesen Dingen schwärmt.

Befreundet sind die beiden 15-jährigen schon seit ihrer Kindergartenzeit. So mancher im Dorf hält Moritz und Anne sogar für Geschwister. In den vergangenen Monaten allerdings ist aus der jahrelangen, gewohnt selbstverständlichen Freundschaft eine stille und unglaublich tiefe Liebe gewachsen.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass wir nicht allein im Universum sind, ist jedenfalls größer als Null!“, reißt Moritz Anne aus ihren Gedanken.

„Wie kommst du denn darauf?“ Anne wendet den Blick von den Sternen ab und Moritz zu. Das Funkeln in seinen hellblauen Augen verrät ihr, dass Moritz schon wieder Feuer und Flamme für das Thema ist.

„Weil es uns gibt!“ antwortet der Junge. „Die Chancen, dass es so etwas wie Leben noch anderswo im Weltall gibt, stehen also gar nicht schlecht.“

„Hm, wie sie wohl aussehen mögen?“, grübelt Anne. „Wahrscheinlich überhaupt nicht so, wie wir uns Außerirdische immer vorstellen. Vielleicht sind sie ja winzig klein, so dass wir sie gar nicht bemerken würden?“

„Oder sie sind unsichtbar, für unsere fünf Sinne nicht wahrnehmbar“, spekuliert Moritz. „Das Problem ist, dass wir keine Ahnung haben, auf welche Art sie mit uns Kontakt aufnehmen würden – wenn sie das überhaupt wollen.“

„Wie meinst du das?“

„Ganz einfach: Wir glauben, sie senden uns irgendwelche Nachrichten, die wir dann entschlüsseln. Und dann denken die einen, es käme zu einer großen Verbrüderung, während die anderen befürchten, die Außerirdischen könnten uns erobern oder gar vernichten. Aber was wäre denn, wenn sie auf eine ganz andere Weise Kontakt suchen?“

„Und wie?“

„Indem sie uns zuerst einmal zeigen, was sie von uns wissen, was wir für sie sind – und uns dann zum Vergleich ihre eigene Geschichte erzählen.“

„Aha! Dann ist also unsere eigene Geschichte der Schlüssel zum Verständnis der Fremden?“

„Ja, so ähnlich“, antwortet Moritz. „Das bedeutet aber auch, dass derjenige, der sich auf eine Reise zu anderen bewohnten Planeten begibt, vorher wissen muss, worauf er sich einlässt. Sollten wir Menschen irgendwann eine fremde Zivilisation besuchen, dann tragen wir diese hohe Verantwortung, die Verantwortung für die anderen, die selbst nicht reisen können.“

„Interessante Theorie!“, findet Anne und lehnt den Kopf an Moritz‘ Schulter, den Blick wieder nachdenklich hinauf zum Nachthimmel gerichtet.

„Keine Theorie! Notwendigkeit!“, erwidert Moritz und streicht Anne nebenbei eine hellblonde Haarsträhne aus der Stirn. „Ich habe mal eine Geschichte gelesen, in der zwei Männer den Einschlag eines Meteoriten ganz in ihrer Nähe beobachten. Natürlich wollen sie der Sache auf den Grund gehen und entdecken auch wirklich den Einschlagsort in einem Waldsee. Mit dem Boot fahren sie hinaus, geraten in einen Strudel und werden ohnmächtig. Als sie wieder zu sich kommen, befinden sie sich in einer Art Labyrinth.“1)

„Der Meteorit war natürlich ein außerirdisches Raumschiff!“, wirft Anne ein.

„Das denken Robert und Carol – so heißen die beiden Freunde – zunächst auch. Doch als sie sich an die Kälte und die Dunkelheit gewöhnt haben, entdecken sie plötzlich überall Kopien von Fischen und schließlich sogar Kopien von sich selbst, Puppen, so, als hätte jemand versucht, Fische und Menschen nachzubauen!“

„Wozu sollte jemand so etwas tun?“

„Um uns zu verstehen! Um uns zu be-greifen, so wie Kinder mit Hilfe von Spielsachen ihre Welt begreifen und verstehen lernen. Spielsachen sind auch Kopien oder Teile davon! Irgendjemand oder irgendetwas hat also versucht, Fische und Menschen nachzubauen, um zu verstehen, womit er es zu tun hat. Warum? Weil Fische und Menschen zufällig die ersten Lebewesen waren, denen der Außerirdische auf der Erde begegnet ist. Warte nur ab, die Geschichte geht ja noch weiter! Die beiden Männer versuchen also, das unbekannte Objekt, in das sie geraten sind, zu erkunden – und dann geschieht etwas völlig Verrücktes!“

Anne richtet sich auf und hört gespannt zu. Irgendwie schafft es Moritz immer wieder, sie in den Bann seiner fantastischen Geschichten zu ziehen. Er hat die Stirn leicht gerunzelt, ein Anzeichen dafür, dass er sich ganz in seine Gedanken vertieft hat. Mit raschen Handbewegungen untermalt er seine Erzählung.

„Das Innere des Objekts besteht aus zahllosen verschlungenen Gängen, Röhren oder Schläuchen, die so groß sind, dass man darin aufrecht gehen kann. Lichtsignale pulsieren an den Wänden entlang. Fast sieht es so aus, als ob das Ding lebt, in dem sie sich befinden!“, treibt Moritz Annes Spannung auf die Spitze. „Und dann sehen Robert und Carol in der Ferne zwei Gestalten – zwei Menschen!“

„Du meinst, dass es diesmal keine toten, sondern lebendige Kopien sind!“, vermutet Anne.

„Wieder falsch!“, antwortet Moritz lächelnd. „Es sind keine Kopien! Als die beiden Fremden nahe genug herangekommen sind, glauben Robert und Carol, ihren Augen nicht trauen zu können: Die beiden Fremden sind nämlich sie selbst! Sie sind sich selbst begegnet!“

Anne stutzt, dann kommt ihr ein Gedanke: „Wie damals im Keller deiner Oma, als wir noch klein waren und dachten, da käme jemand mit einer Taschenlampe auf uns zu – und dann war es nur ein Spiegel an einem alten Kleiderschrank, in dem wir uns selbst gesehen haben!“, vermutet sie.

„Nein, diesmal ist es kein Spiegel!“, widerspricht Moritz erneut. „Der andere Robert und der andere Carol gehen also an Robert und Carol vorüber und verschwinden schließlich in der Ferne, irgendwo im Dunkel des Labyrinths.“

Anne schüttelt sich unwillkürlich. „Gespenstisch! Du meinst, der richtige Robert und der richtige Carol beobachten, wie ihre Kopien an ihnen vorüber gehen!“

„Aber es sind ja keine Kopien! Und außerdem: Welcher Robert und welcher Carol ist denn der richtige?“, fragt Moritz.

„Wie? Jetzt verstehe ich gar nichts mehr! Ein Mensch kann doch nicht zweimal existieren, jedenfalls kann es keine zwei Originale geben!“, meint Anne skeptisch.

„Robert und Carol existieren ja auch gar nicht zweimal!“, antwortet Moritz.

„Du bringst mich noch zur Verzweiflung!“ Halb lacht, halb schimpft Anne. „Wie soll das denn gehen? Und was hat das überhaupt mit den Außerirdischen zu tun, die Kontakt zu uns suchen?“

„Anne, verstehst du es denn nicht?“, wundert sich Moritz. „Die beiden befinden sich im Inneren eines Organismus, in dem andere Naturgesetze gelten, als bei uns, Naturgesetze, von denen wir noch gar keine Ahnung haben! Sie haben sich selbst gesehen, aber in der Zukunft! Sie haben ihre eigene Zukunft gesehen! Später begegnen sie sich noch einmal – diesmal aber mit umgekehrter Rollenverteilung; jetzt sind sie in der Zukunft und sehen sich in der Vergangenheit. Sie sind in eine Zeitschleife geraten!“

„Cool! Aber auch ziemlich verrückt. Und wozu das Ganze?“, fragt Anne.

„Das bleibt am Ende offen. Im Buch heißt es nur, dass es sich um den letzten Kontaktversuch eines sterbenden außerirdischen Lebewesens gehandelt haben könnte.“

„Ein sterbender Außerirdischer?“, staunt Anne.

„Ja, ein Wesen, das auf irgendeine Weise die Zeit beherrschen kann und diese Fähigkeit dazu nutzt oder nutzen wollte, mit uns in Kontakt zu treten.“

„Aber wie sollte das gehen?“

„Überleg doch mal!“, antwortet Moritz geheimnisvoll.

Die Nacht ist kühl geworden. Moritz und Anne rücken näher zusammen und kuscheln sich in eine Decke. Ein kleines Feuer wärmt ihre nackten Füße und der Duft gebackener Kartoffeln weckt den Appetit der beiden. Vom nahen Waldsee zieht Nebel herüber. Hinter den uralten Eichen, die Anne und Moritz seit Kindesbeinen kennen und die sich niemals zu verändern scheinen, lauert das Teufelsmoor, ein nicht sehr großes, aber gespenstisch anmutendes sumpfiges Loch, von dem man sich lieber fern hält.

„Wie auch immer“, meint Anne schließlich. „Wenn die Außerirdischen mit mir Kontakt aufnehmen wollen, dann müssen sie das morgen tun. Ich bin nämlich müde.“

„Ich auch“, gähnt Moritz.

„Na dann“, flüstert Anne und zieht Moritz kurzerhand mit sich ins Zelt. Beide verkriechen sich in ihren Schlafsäcken, doch kurz bevor Anne die Augen zufallen, rückt sie noch ein wenig näher an Moritz heran und drückt liebevoll seine Hand. Moritz lächelt sie an, Anne unterdrückt mühsam ein Gähnen, ihre Lider flattern.

„Was könnte uns jemand aus einer anderen Welt mitteilen wollen, ein fremdes Wesen, das ganz anders ist als wir und das dennoch unsere Vergangenheit besser kennt als wir selbst – und unsere Zukunft…?“

Der Schlaf löst Annes Gedanken in einen wohligen Hauch auf…

Noch lange schaut Moritz das schlummernde Mädchen an, von dem nur noch die Nasenspitze aus der wärmenden Hülle herausschaut.

***

Ein rätselhafter Brunnen

„Habt ihr die Streuselkuchen-Schrift3) auf dem einen Ring gesehen“, platzt Moritz heraus, nachdem der Professor gegangen ist.

„Ja, genau wie damals in der Höhle unter dem Bild des Mädchens vom Siebenstern!“, bestätigt Jakob.

„Dann gibt es vielleicht einen Zusammenhang zwischen der Geheimschrift in der Höhle und dem Mädchen im Moor?“, schlussfolgert Anne.

„Vielleicht sollten wir uns die Höhle nochmal genauer anschauen?“, schlägt Moritz vor.

„Aber wir haben dort doch schon alles erforscht“, meint Jakob.

„Irgendetwas müssen wir übersehen haben!“, ist sich Moritz sicher. „Was haltet ihr davon, wenn wir gleich morgen eine Expedition starten? Wir brauchen vernünftige Taschenlampen, besser noch Handlampen, Reservebatterien oder Akkus, Kerzen, Seile, Signalschnur, etwas, um den Weg zu markieren, Proviant, Luftmatratzen, Kamera und jeder bringt seinen Fahrradhelm mit!“

Anne und Jakob tauschen einen Blick. Moritz‘ Forschergeist ist offenbar geweckt und die beiden anderen kennen Moritz gut genug, um zu wissen, dass von nun an sowieso jeder Widerspruch zwecklos wäre. Außerdem geht ihnen das Schicksal des Moormädchens ja selber nahe.

Freitag, 17. Juni – Saurierhöhle

„Kaum zu glauben, dass bis jetzt immer noch niemand unsere Höhle entdeckt hat“, wundert sich Moritz, als die drei Freunde die kleine Tür zur Saurierhöhle geöffnet haben und sich nun unter einigen Schwierigkeiten in den engen, niedrigen Gang zwängen. Beinahe wäre die Höhle nämlich tatsächlich entdeckt worden, denn auf dem Weg hierher ist ihnen Florian gefolgt, ein Mitschüler, der gerade mal wieder ein selbst zusammengebautes Motorrad ausprobiert – heimlich natürlich, aber das macht die Sache für Florian überhaupt erst spannend.

„Wer soll die Höhle denn entdecken?“, fragt Jakob ironisch zurück. „Außer Florian hocken alle anderen aus unserer Klasse vor ihrem PC, die Erwachsenen arbeiten den ganzen Tag und der Förster ist nicht von hier. Die würden den Eingang nicht einmal dann finden, wenn er so groß wäre wie eine Kirchentür!“

„Na dann hoffen wir mal, das es noch eine Weile so bleibt!“, scherzt Anne.

Finsternis umfängt die drei Freunde, nachdem die Jungs die Außentür geschlossen haben. Fünf, vielleicht sieben Meter reichen die Lichtstrahlen der Handlampen in den vor ihnen liegenden engen Gang, dann verlieren sie sich in der Dunkelheit. Auf den ersten Blick hat sich nichts verändert. Moritz‘ Idee allerdings, die Fahrradhelme mitzunehmen, erweist sich als ausgesprochen nützlich. Die drei müssen gebückt gehen, um nicht mit den Köpfen die Stollendecke zu streifen.

„Früher war hier alles größer!“, flachst Jakob. „Die Höhle muss geschrumpft sein!“

„Quatschkopf!“, erwidert Anne mit blecherner Stimme. „Wir sind einfach nur größer geworden! Oder bist du etwa immer noch zehn oder elf und ich hab da was verpasst?“

Nachdem die Jugendlichen den schmalen, langen Gang hinter sich gelassen haben, der vom Eingang in den Berg führt, erreichen sie eine Gabelung. Von hier führt ein weiterer Gang nach rechts in jene Schlucht, aus der Julia vor nicht allzu langer Zeit die Taube Clara gerettet hat.

Der linke Gang, dem die Teenager nun gebückt folgen, führt zu einem klaren, unterirdischen See in einer Höhle, deren Wände mit Zeichnungen und seltsamen Schriftzeichen übersät sind. Gespenstergleich taucht ein Mädchen im Schein der Lampen auf und lächelt stumm zu den Teenagern herab. Sein Körper wird von den Sternen des Orion umrahmt. Mit der linken Hand weist das Mädchen zum Sternbild der Plejaden.

Gegenüber, auf der rechten Höhlenwand erkennt man einen Jungen, der dem Sternenmädchen die Erdkugel mit ausgestreckten Armen darreicht. Unter beiden Zeichnungen zieht sich ein Band aus merkwürdigen Schriftzeichen entlang, eine Schrift, die aus nur 2 Buchstaben zu bestehen scheint, nämlich aus vertikalen und horizontalen Strichen.

„Ein Alphabet aus nur zwei Buchstaben!“, wundert sich Moritz und denkt an das Gespräch mit Professor Altmeier. „Ein binärer Code. Einfacher geht’s wirklich nicht!“

Barfuß tastet sich Anne vorsichtig ins Wasser vor, entzündet einige Teelichter und platziert sie geschickt auf den zahllosen kleinen Felsvorsprüngen entlang der Höhlenwand. Im flackernden Licht der Kerzen scheinen das Mädchen und der Junge an den Höhlenwänden zum Leben zu erwachen. Gleich mehrfach spiegeln sich die winzigen Flämmchen auf der Wasseroberfläche, tanzen auf den Wellen, malen bizarr wabernde Muster an die Höhlendecke und verwandeln den geheimen unterirdischen Raum in eine zauberhaft schöne Märchenwelt. Und doch ist etwas anders als früher:

Der Gang, der auf der anderen Seite des Sees noch tiefer in den Fels führt – er scheint zu atmen! Ein seltsames Geräusch, ein gespenstisches Raunen, dem leisen Weinen eines Kindes ähnlich, entwindet sich dem stockdunklen Schlund, lässt die drei Jugendlichen erschauern und zieht sie doch magisch an.

„Wir müssen schwimmen“, meint Moritz und prüft mit den Zehen die Wassertemperatur. „Der Wasserspiegel ist gestiegen, seit wir das letzte Mal hier waren.“

Tatsächlich befindet sich die „Streuselkuchen-Schrift“ unter den beiden Zeichnungen jetzt nur noch wenige Zentimeter über der Wasseroberfläche. Der See ist demnach in seiner Mitte etwa zwei Meter tief.

Schnell haben die drei ihre Sachen abgestreift und zusammen mit den Rucksäcken und Lampen auf die Luftmatratzen gepackt. Im Nu sind sie zum anderen Ufer geschwommen, wo sie ein angenehm kühler Lufthauch empfängt, der aus der Tiefe des Ganges kommt.

„Aber der Gang ist verschüttet, eingestürzt, als wir den Saurierschädel herausgeholt haben!“, wundert sich Anne, während sie sich abtrocknet und in Jeans und T-Shirt schlüpft. „Wo kommt plötzlich die Luft her?“

„Das werden wir gleich sehen!“, antwortet Jakob.

Gemeinsam mit Moritz zieht er die Luftmatratzen mit den Rucksäcken aufs Ufer, kramt eine große Rolle Drachenschnur hervor und befestigt sie an einer natürlich entstanden Steinsäule. Und schon kriechen die drei neugierig in den geheimnisvollen Gang, passieren eine 90°-Kurve – und bleiben plötzlich wie angewurzelt stehen.

„Das gibt’s doch nicht!“, staunt Moritz. Der Gang vor ihm ist frei! Irgendetwas oder irgendjemand muss das herabgebrochene Geröll beseitigt haben! Aber wer oder was sollte das gewesen sein? Immerhin sind sich die Jugendlichen sicher, dass niemand außer ihnen diesen Gang überhaupt kennt!

Der Gang ist gerade breit und hoch genug, damit die drei hintereinander aufrecht gehen können. Die Helme bewahren sie davor, sich an etwas niedrigeren Stellen die Köpfe zu stoßen oder aufzuschürfen.

In der Dunkelheit ist trotz der lichtstarken Handlampen nicht absehbar, wie weit der Stollen ins Innere des Berges hineinführt. Nach etwa zehn Minuten erreichen die drei Freunde einen runden Schacht, der senkrecht in die Tiefe führt. Der Gang ist zu Ende; von hier aus geht es nur noch abwärts. Das eigenartige Geräusch von vorhin ist verschwunden.

„Was ist das?“, fragt Anne.

„Sieht aus wie das Innere eines Turmes“, meint Moritz.

Von links oben kommt eine Wendeltreppe aus der Finsternis, welche sich rechts von der Stelle, an der Moritz, Anne und Jakob den Schacht betreten haben, abwärts im dunklen Nichts verliert. Auf ihrer Innenseite wird die Treppe durch eine grobe Mauer mit hochaufstrebenden Säulen begrenzt, hinter der der Schacht, ähnlich einem Brunnen in unbekannte Tiefen fällt.

„Ich würde sagen, das ist ein Brunnen, an dessen Innenwand eine Treppe abwärts führt“, stellt Jakob fest.

„Sowas habe ich noch nie gesehen!“, staunt Moritz.

„Wer mag den gebaut haben?“, grübelt Anne. „Und wie alt er wohl ist?“

Moritz lässt einen Stein in die Tiefe fallen und leuchtet mit der Lampe hinterher. Schon bald ist der Stein im Dunkel verschwunden. Ein Boden oder ein Wasserspiegel sind nicht zu erkennen. Mehrfach schlägt der Stein irgendwo gegen die Wand des Brunnens, bevor nach schier endlosen Sekunden ein Aufschlag im Wasser hörbar ist.

„Wow!“, staunt Anne. „Er muss ziemlich tief sein, oder?“

„Keine Ahnung“, antwortet Moritz. „Ich schlage vor, dass wir uns das seltsame Bauwerk einmal näher anschauen! Also: Alle Mann anseilen!“

„Und die Dame natürlich auch“, witzelt Jakob mit Blick auf Anne. Anne stößt ihm den Ellbogen in die Rippen. „Wenn ich so damenhaft wäre, würde ich ja kaum mit euch durch unterirdische Höhlen krabbeln, oder?“

„Da ist was dran“, grinst Jakob.

„Ich bin jedenfalls froh, dass du bei diesen Abenteuern immer noch dabei bist“, meint Moritz und sieht Anne so verliebt an, dass sie verlegen den Blick senkt und murmelt: „Na klar.“ Lächelnd fügt sie hinzu: „Und außerdem kann ich euch ja auch wohl kaum allein lassen, oder?“

Mit einer alten Feuerwehrleine sichern sich Moritz, Anne und Jakob gegenseitig. Noch einmal leuchten die drei Freunde den Schacht nach allen Seiten aus. Tatsächlich! Die Treppe windet sich Stufe um Stufe in unbekannte Tiefen hinab.

„Wir bleiben so eng wie möglich an der Außenwand!“, rät Moritz. „Falls die Treppe instabil ist, haben wir hier die größte Chance, nicht abzustürzen.“

Anne seufzt vielsagend. Genau das hat sie damit gemeint, dass sie die beiden ja wohl nicht alleine lassen kann…

„Sollten wir nicht lieber die Bergwacht informieren?“, fragt sie vorsichtig und weiß bereits, dass sich die beiden Jungen nicht darauf einlassen werden.

„Ach!“, winkt Jakob ab, „Wir sind einfach vorsichtig und gehen kein unnötiges Risiko ein.“ Doch wo, so fragt sich Anne insgeheim, beginnt ein unnötiges Risiko?

***

Der Archivar

Stufe für Stufe tasten sich Moritz, Anne und Jakob in die Tiefe vor. Anne zählt leise mit. Nach einigen Minuten bemerkt Jakob eine Tür, die – wie der Gang, aus dem die drei gekommen sind – aus dem Brunnen heraus zu führen scheint. Die massive Holztür ist mit schmiedeeisernen Bändern und Scharnieren versehen und macht auf die Teenager den Eindruck, als sei sie seit Ewigkeiten nicht mehr geöffnet worden. Ein krächzendes Knarren erschallt, als Moritz die riesige Klinke herunterdrückt. Die Tür scheint die drei Freunde hämisch anzugrinsen – und bewegt sich keinen Millimeter.

„Abgeschlossen!“, resümiert Moritz enttäuscht.