Das Krimi-Potpourri - Rainer Güllich - E-Book

Das Krimi-Potpourri E-Book

Rainer Güllich

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Das Krimi-Potpourri   17 kriminelle Kurzgeschichten   Ein Einbrecher erlebt eine Überraschung, ein Spaziergänger findet eine Leiche, ein Entführer kann nur staunen und eine Mieterin erholt sich nur langsam vom Einbruch in ihrer Wohnung.   Die 17 geradlinig geschriebenen Kurzkrimis kommen spannend, humorvoll und manchmal skurril daher. Unterhaltsam sind alle.

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Rainer Güllich

Das Krimi-Potpourri

Kriminelle Kurzgeschichten

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

1. Die Entführung

Sven harkte das Laub zu einem großen Haufen zusammen. Er schaufelte die Blätter in die Schubkarre und fuhr damit zum Komposthaufen, der rechts vom Gartenhaus aufgehäuft war. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er schwitzte, obwohl es recht kühl war. Was für eine Sklavenarbeit dachte er. Aber bald würde damit Schluss sein. Wenn sein Plan aufging, konnte er diesen Job aufgeben und sich in seinem weiteren Leben einen schönen Lenz machen.

Er war schon länger bei Dr. Werle angestellt. Dieser arbeitete als Chirurg des städtischen Klinikums in Karlsruhe. Hatte richtig Kohle der Mann. Und von dieser Kohle wollte Sven etwas abhaben. Er hatte sich das lange überlegt. Sie würden Werles Tochter Tanja entführen und fünfhunderttausend Euro erpressen. Sie, das waren sein Kumpel Andreas und er. Andreas war arbeitslos, knapp bei Kasse und genau wie Sven, vorbestraft. Wegen Diebstahl und Betrügereien. Sven selbst war nur mal wegen Körperverletzung dran gewesen. Lange Zeit her.

Das mit den fünfhunderttausend Euro hatten sie sich gut überlegt. Sie hatten erst an eine Million gedacht, waren aber nicht sicher, ob Werle so viel Zaster frei zur Verfügung hatte. Eine Million war eben eine schöne runde Zahl. Aber »Weniger ist mehr«. Den Spruch hatte Sven mal auf einem Kalender gelesen, und hier passte er, hatte er sich gedacht.

Svens Plan sah so aus: Er würde sich eine Woche Urlaub nehmen. Andreas und er würden Tanja überwachen und eine günstige Gelegenheit abpassen, um sie zu überfallen und zu entführen. Er hatte schon den geeigneten Ort gefunden, wo sie die junge Frau ohne großes Risiko verstecken konnten.

 

Tanja Werle parkte ihren Yaris auf dem Gelände des Gartenmarkts ein. Der Transporter, der ihr seit Beginn der Fahrt gefolgt war, hielt neben ihr. Es stieg aber niemand aus. Komisch, dachte sie, nahm sich einen der Einkaufswagen und betrat das Gartencenter. Ihre Mutter hatte sie gebeten, für das Grab der Großmutter eine Schale mit Blumen zu kaufen. Tanja kannte sich mit Pflanzen nicht aus, im Center würde sie aber bestimmt etwas finden. Doch sie entdeckte keine der bepflanzten Gefäße. Da sie im vorderen Bereich des Gartenmarktes keinen Verkäufer sah, ging sie weiter nach hinten in das Gewächshaus, um dort jemanden anzusprechen.

Gleich an der ersten Gestellreihe stand einer der Angestellten, erkennbar an seiner grünen Kleidung. Tanja wandte sich an ihn.

Der Gärtnereiangestellte fragte, welche Blumen er für die Schale verwenden solle, Tanja meinte, sie würde es ihm überlassen. Der Angestellte nickte nur kurz und hatte im Handumdrehen eine ansehnliche Schale zusammengestellt. Tanja bedankte sich, marschierte an die Kasse, bezahlte und ging zu ihrem Wagen.

Bevor sie ihn aufschließen konnte, sprangen aus der Seitentür des Kleintransporters zwei vermummte Gestalten. Eine drückte ihr einen mit einer beißenden Flüssigkeit getränkten Lappen auf Mund und Nase. Sie hörte noch das dumpfe Brechen der tönernen Schale, dann wurde sie betäubt in den Transporter geschoben.

 

Peter Werle ging ruhelos auf und ab. Seine Frau Sabine saß in ihrem Sessel vor dem Großbildfernseher und sah ihren Mann an. Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Sie wischte sie weg und sagte: »Nun lauf nicht ständig hin und her. Das macht mich ganz nervös. Die Frage ist, sollen wir die Polizei verständigen?«

Es war Samstagabend. Sie hatten ausnahmsweise zusammen frei. Vor wenigen Minuten hatten sie einen Anruf erhalten. Sie nahmen beide an, dass es die Klinik sei, doch war eine dumpf klingende Stimme am Telefon gewesen, die mitgeteilt hatte, dass ihre Tochter Tanja entführt worden war. Sie forderte fünfhunderttausend Euro, die Dienstagabend in Malsch am Adenauerspielplatz zu deponieren seien. In einer braunen Papiertüte, neben der Sitzbank am Klettergerüst abzustellen. Eine Stunde später würde der Entführer ihre Tochter freilassen und mitteilen, wo sie abgeholt werden könne. Würde die Polizei eingeschaltet, hätte das Tanjas Tod zur Folge.

Sabine Werle war nach dieser Nachricht schreiend aus dem Zimmer gelaufen, hatte sich im Schlafzimmer auf ihr Bett geworfen und war in einen Weinkrampf verfallen. Peter, der ihr nachgegangen war, hatte sie beruhigen können. Er selbst konnte seine Tränen gerade noch zurückhalten.

Nun blieb er stehen und schaute Sabine an. »Natürlich nicht. Ich werde Tanja nicht in Gefahr bringen. Oder bist du anderer Meinung?«

»Nein. Sicher nicht. Fünfhunderttausend Euro. Das Geld werden wir ohne Probleme von der Bank bekommen. Und Henning wird auch dichthalten.«

Henning Welfers war der Bankdirektor. Peter und er kannten sich seit der Schulzeit und waren seither eng befreundet.

»Ja, mit dem Geld wird es keine Probleme geben. Sicherheiten haben wir genug. Ich  hoffe, dass die Entführung ohne Komplikationen über die Bühne geht und der Täter Tanja nach Erhalt des Geldes freilässt.«

Sabine Werle seufzte. »Ich hoffe, du hast recht. Ruf doch Henning schon mal an. Dann weiß er, was er Montag zu tun hat.«

Peter Werle griff zum Telefon.

 

Tanja kam zu sich. Sie versuchte, sich zu erinnern. Zwei vermummte Männer hatten sie überfallen. Sie war betäubt worden.

Wo war sie hier bloß gelandet? Sie lag auf einer muffig riechenden Schaumstoffmatratze. Ihr war übel. Wahrscheinlich von dem Chloroform oder was auch immer die Entführer benutzt hatten. Ihr Mund war mit einem Klebeband verschlossen, doch bekam sie genügend Luft durch die Nase. Sie schaute sich in dem Raum um. Viel zu sehen gab es nicht. Ihr gegenüber ein zusammenklappbarer Campingtisch, davor ein simpler Stuhl aus Holz. Es herrschte schummriges Licht. Das kam von einer mit Akku betriebenen Campinglampe, die rechts von ihr im Raum stand. Ihr linkes Handgelenk umschloss eine Schließsperre einer metallenen Handschelle, deren zweite Sperre an einer langen, dicken Kette befestigt war. Die Kette wiederum war an dem Metallgerüst einer großen Maschine angebracht. Nach Tanjas Dafürhalten war es ein Generator. Die Ecken des Raumes waren nicht einzusehen, dazu war es dort zu dunkel. Fenster waren nicht zu entdecken. Sie nahm an, dass es ein Keller war, in dem man sie gefangen hielt.

Sie konnte es kaum glauben. Nie hätte sie gedacht, dass sie einmal Opfer einer Entführung werden könnte. Sicher verdienten ihre Eltern ganz ordentlich. Aber doch nicht so viel!

Sie konnte nicht sagen, ob es Tag oder Nacht war. Auch wie lange sie schon hier war, wusste sie nicht.

Schritte ertönten. Sie schaute nach links, wo die Geräusche herkamen. Sie war so angespannt, dass sie keine Angst verspürte. Ihr Adrenalinspiegel musste auf einem hohen Level sein.

Eine schlanke Gestalt trat an sie heran. Sie trug Jeans, ein schwarzes Hemd und eine Sturmhaube, die das Gesicht verdeckte. Nur Öffnungen für Augen und Mund waren vorhanden.

»Sieh an. Unser Täubchen ist ja wachgeworden.«

Der Mann hatte eine raue Stimme. Sie klang jung, war kraftvoll.

»Pass auf. Wir haben dich entführt. Ist ja klar. Dir wird nichts passieren. Du wirst einige Tage hier verbringen müssen. Wenn deine Eltern das Lösegeld gezahlt haben, lassen wir dich laufen. Das darfst du mir glauben. Mach deshalb keinen Stress und verhalte dich still. Wenn du mir versprichst, dass du ruhig bist, nehme ich dir das Klebeband ab.

Solltest du Radau machen, schlage ich dich so zusammen, dass du dir wünschst, du wärst nie geboren worden. Aber hier wird dich sowieso niemand hören.«

Was das Zusammenschlagen betraf, glaubte Tanja ihm aufs Wort. Sie nickte.

Der Maskierte trat auf sie zu und riss ihr das Klebeband mit einem kräftigen Ruck vom Mund.

»Hast du Hunger?«

Tanja verspürte zwar keinen Hunger, es war aber mit Sicherheit besser, etwas zu sich zu nehmen. Wer wusste, wann sie das nächste Mal zu essen bekam.

»Ja, ich möchte was essen und trinken. Doch vorher muss ich auf die Toilette.«

»Deine Toilette ist hier.« Der Mann zeigte auf einen Eimer, der neben dem Generator stand.

»Da müssen Sie mich aber losmachen.«

»Was glaubst du, wofür die Kette ist. Sie ist lang genug, dass du dorthin gelangst. Du kannst sogar hinter den Generator damit. Ich kann dir so auch nichts weggucken.« Hämisches Lachen folgte.

Tanja stand auf, ging schweren Herzens zu dem Generator und verschwand mit dem Eimer dahinter. Sie schämte sich. Als sie wieder an ihrem Platz auf der Matratze war, verschwand der Mann mit den Worten: «Ich bin gleich mit etwas zu essen da.«

Es dauerte eine Weile, bis er wiederkam. Er hatte ein Tablett mit Brot, Käse und einem Glas Milch dabei.

»Setz dich an den Tisch und iss.«

Sie tat wie befohlen und sah auf das Tablett vor ihr. Neben den Nahrungsmitteln lag ein Messer aus Kunststoff. Als der Mann Tanjas erstaunten Blick sah, sagte er: »Zur Sicherheit. Mit einem Metallmesser würdest du mich vielleicht angreifen.« Wieder lachte er.

Tanja griff sich eine Scheibe Brot, strich von der Butter darauf und belegte sie mit einer Scheibe Käse. Die Handschelle behinderte sie etwas, die schwere Kette zog zu sehr daran.

Nachdem sie gegessen hatte, während der Mann ihr desinteressiert zuschaute, sagte er: »Du wirst jetzt schlafen. Ich geb dir was, damit das klappt. Keine Angst, es ist ein ganz normales Schlafmittel. Nichts, was dich umbringt. Okay?«

Tanja nickte. Was sollte sie auch machen? Sie war vollständig in der Gewalt dieser Typen. Der Andere war mit Sicherheit auch in der Nähe.

Ihr Entführer gab ihr zwei Tabletten, die sie mit dem letzten Schluck Milch hinunterspülte. Sie legte sich auf die Matratze und schloss die Augen. Sie wollte nicht schlafen, doch spürte sie schnell die betäubende Wirkung der Pillen. Sie sah noch, dass der Mann sich auf den Stuhl setzte, dann war sie eingeschlafen.

 

Sie fröstelte. Öffnete die Augen. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Nein, es war kein Traum gewesen.

Sie war tatsächlich entführt worden und war in diesem Kellerloch gefangen. Sie stand auf, umschlang ihren Körper mit den Armen und stampfte mit den Füßen, um warm zu werden. Da die Kette ihr einige Bewegungsfreiheit erlaubte, ging sie die wenigen Schritte hin und her und sah sich dabei um. Die Campinglampe brannte und verbreitete ihr schummriges Licht. Sie war den Entführern dankbar, hier in der Dunkelheit zu hocken wäre unerträglich gewesen. Hinter dem Generator, dort, wo nun der Eimer stand, befand sich ein rechteckiger Metallkasten, der ihr vorher nicht aufgefallen war. Er stand mit der Rückseite zu ihr. Als sie um ihn herumging und von vorn betrachtete, konnte sie erkennen, dass es ein alter Süßigkeitenautomat war. Sie schüttelte verständnislos den Kopf. Wie war der wohl hier hingelangt? Nicht weit von dem Automaten entfernt lagen Papierreste. Sie schaute sie sich näher an. Es waren alte Klebeetiketten. Auf einem Etikett stand »Honigpralinen«, auf einem anderen »ER-EM Vollmilchschokolade, Kokos-Krokant« und auf einem dritten »Mauterer Kakao«. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, wie diese Dinge hier gelandet waren. Das Licht wurde schwächer, der Akku gab wohl den Geist auf. Sie ging zu ihrer Matratze zurück, setzte sich, nahm die Hände vors Gesicht und schluchzte. Die Verzweiflung zerschnitt ihr das Herz.

 

Es war nach neun Uhr abends. Nachdem Peter Werle die Tüte mit dem Geld neben der Sitzbank auf dem Spielplatz abgestellt hatte, ging er zu seinem Wagen, der zwei Straßen weiter geparkt war. Er drehte sich nicht um, obwohl er gern einen Blick zurückgeworfen hätte, um zu sehen, was mit dem Geld geschah.

Er fuhr sofort nach Hause, wo seine Frau das Telefon bewachte. Den Eheleuten war aber klar, dass sie sich noch würden gedulden müssen. Peter ging auf und ab, er war aufs Äußerste angespannt. Kurz nach zehn klingelte der Telefonapparat.

»Sie können Ihre Tochter am Grünabfallsammelplatz abholen.« Es klackte im Hörer, das war alles.

»Sie ist am Grünabfallsammelplatz hier in Malsch.« Peter Werles Stimme war belegt.

Seine Frau und er stürzten zu seinem Mercedes E 200 und fuhren los. Sabine drängte: »Nun fahr doch. Schleich nicht so.« Die Anspannung war ihr deutlich anzumerken. Drei Straßen weiter löste das dort fest installierte Blitzgerät aus, als der Wagen vorbeibrauste. Kurz nachdem sie den Ort verlassen hatten, bremste Peter ab, der Sammelplatz kam schon in Sicht. Tanja stand direkt an der Einfahrt des Platzes. Der Arzt hielt neben seiner Tochter, öffnete die Autotür und Tanja fiel ihm weinend um den Hals. Sabine Werle setzte sich mit ihrer Tochter in den Fond und hielt sie eng mit den Armen umfasst. Beide weinten.

Zu Hause angekommen, rief Peter Werle die Polizei an und teilte die Entführung Tanjas mit. Man sagte ihm, dass gleich jemand vorbeikommen würde.

 

Hauptkommissar Herbert Gruber saß vor dem Fernseher. Er sah aber nicht wirklich, was da vor ihm flimmerte. Er war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt. Er hatte überlegt, dass er eigentlich seine Tochter wieder mal besuchen müsste. Bevor er jedoch seine Vorstellungen weiterspinnen konnte, läutete das Telefon.

»Ja, Gruber.«

»Herr Hauptkommissar, wir haben eben eine Meldung über eine Entführung hereinbekommen. Die Entführte ist aber wieder zu Hause. Da Sie und Ihr Assistent Kroner Bereitschaft haben, habe ich den Kommissar verständigt. Er ist auf dem Weg zu Ihnen.« Gruber hievte sich aus seinem Sessel, machte seinen Gürtel ein Loch enger, ging in die Diele und zog seine Jacke an. Da schellte es auch schon. Kroner stand vor der Tür.

»Wir müssen nach Malsch. Zum Ehepaar Werle. Beide Ärzte an der städtischen Klinik in Karlsruhe. Ihre Tochter wurde, laut ihrer Aussage von zwei Tätern, am Samstag entführt und heute nach Zahlung des Lösegeldes von fünfhunderttausend Euro freigelassen.«

»Da hat die Familie Werle aber Glück gehabt, dass die Tochter frei ist.« Mehr sagte Gruber nicht dazu. »Fahren wir.«

 

»Und Sie haben nicht einmal daran gedacht, die Polizei vor der Geldübergabe zu informieren?« Karl Kroners Stimme war ein einziger Vorwurf.

»Sachte, sachte«, lenkte Hauptkommissar Gruber ein. »Das ist irrelevant. Schaun wir, wie die Sachlage jetzt ist.«

Gruber sah sich gezwungen, seinen Assistenten zurückzupfeifen. Es hatte keinen Zweck, die Beteiligten zu verärgern und damit die Zusammenarbeit zu erschweren. Im Stillen dachte er, dass die Werles wohl richtig gehandelt hatten, da ihre Tochter unversehrt zurückgekommen war.

Kroner stopfte beide Hände in die Hosentaschen und schaute seinen Vorgesetzten starr an.