Das Panama-Attentat - Clive Cussler - E-Book

Das Panama-Attentat E-Book

Clive Cussler

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Beschreibung

Wer geht über Leichen, um den Bau des Panama-Kanals zu verhindern? Der zwölfte Fall für Isaac Bell!

Kalifornien, 1913: Der Privatdetektiv Isaac Bell rettet einen US-Senator vor einem Attentat, und gerät so auf die Fährte einer Verschwörung, die nicht weniger als zwei Nationen in die Knie zwingen will. Denn der gerettete Senator ist ein energischer Befürworter des sich gerade im Bau befindlichen Panama-Kanals, und er ist überzeugt, dass seine politischen Gegner hinter dem Anschlag stecken. Isaac Bell erhält den Auftrag, vor Ort zu ermitteln. Doch am Panama-Kanal erwarten ihn nicht nur die tödlichen Partisanen der Roten Vipern, sondern auch der Verdacht, dass es hier um mehr geht als das größte Bauprojekt des 20. Jahrhunderts.


Die besten historischen Actionromane! Verpassen Sie keinen Fall des brillanten Ermittlers Isaac Bell, zum Beispiel das mitreißende Abenteuer Die Titanic-Verschwörung. Jeder Roman ist einzeln lesbar.

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Seitenzahl: 564

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Zum Buch

Kalifornien, 1913: Der Privatdetektiv Isaac Bell rettet einen US-Senator vor einem Attentat, und gerät so auf die Fährte einer Verschwörung, die nicht weniger als zwei Nationen in die Knie zwingen will. Denn der gerettete Senator ist ein energischer Befürworter des sich gerade im Bau befindlichen Panama-Kanals, und er ist überzeugt, dass seine politischen Gegner hinter dem Anschlag stecken. Isaac Bell erhält den Auftrag, vor Ort zu ermitteln. Doch am Panama-Kanal erwarten ihn nicht nur die tödlichen Partisanen der Roten Vipern, sondern auch der Verdacht, dass es hier um mehr geht als das größte Bauprojekt des 20. Jahrhunderts.

Autoren

Seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, ist jeder Roman von Clive Cussler ein New York Times-Bestseller. Auch auf der deutschen Spiegel-Bestsellerliste ist jeder seiner Romane vertreten. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebte bis zu seinem Tod im Jahr 2020 in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.

Jack DuBrul studierte an der George-Washington-Universität, Washington, D. C. Kaum hatte er seinen Abschluss in der Tasche, veröffentlichte er seinen ersten Roman. Er lebt mit seiner Frau Debbie in Burlington, Vermont.

Liste der lieferbaren Isaac-Bell-Romane:

1. Höllenjagd

2. Sabotage

3. Blutnetz

4. Todesrennen

5. Meeresdonner

6. Die Gnadenlosen

7. Unbestechlich

8. Der Attentäter

9. Teufelsjagd

10. Die Rückkehr der Bestie

11. Die Titanic-Verschwörung

12. Das Panama-Attentat

Clive Cussler& Jack DuBrul

DAS PANAMA-ATTENTAT

Ein Isaac-Bell-Roman

Deutsch von Wolfgang Thon

Die englische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »The Saboteurs (IB 12)« bei G. P. Putnam’s Sons, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2021 by Sandecker, RLLLP

By arrangement with Peter Lampack Agency, Inc.

350 Fifth Avenue, Suite 5300

New York, NY 10118 USA

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2022 by Blanvalet Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung und -motiv: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com (badahos, Primada, domnitsky, Marco Rimola, Jenny Thompson, Netfalls, ysbrandcosijn) und Shutterstock.com (Everett Collection, BERNATSKAIA OKSANA, Andrii Rudyk)

Redaktion: Jörn Rauser

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-27692-8V001

www.blanvalet.de

HANDELNDE PERSONEN

ARGENTINIEN

Otto Dreissen – deutscher Industrieller

Heinz Kohl – Dreissens Kammerdiener und Leibwächter

Matías Guzmán – Außenminister Argentiniens

KALIFORNIEN

Isaac Bell – Chefermittler

Marion Bell – Isaac Bells Ehefrau

Renny Hart – Privatdetektiv der Van Dorn Detective Agency

J. William Densmore – Senator von Kalifornien

Major Courtney Talbot (U. S. Army, ret.) – ehemaliger Soldat, Abenteurer

Elizabeth Densmore – Senator Densmores Nichte

Jefferson »Keno« Wilson – Polizeichef von San Diego

PANAMA

George Washington Goethals – Leiter der Panamakanalbehörde

Sam Westbrook – Verwaltungschef des Kanals

Jack Scully – Chefmechaniker des Kanals

Jeremiah Townsend – Archivar des Kanals

Rinaldo Morales – Court Talbots Fahrer

Raúl Morales – Rinaldos Bruder

Felix Ramirez – Eigentümer des Central Hotel

Ernst Leibinger-Holte – Schweizer Geschäftsmann

Benedict »Tats« Macalister – Hotelgast

Guillermo Acosta – Argentinischer Bauingenieur

Whittier und Juliet Webb – Hotelgäste

Jorge Nuñez – Panamaischer Reiseführer

Detective Ortega – Polizist in Panama-Stadt

Ruth Buschman – Krankenschwester

PROLOG

MILWAUKEE, WISCONSIN 14. Oktober 1912

Er war sich ziemlich sicher, dass man ihm die Waffe in New York gegeben hatte und dazu wohl auch etwas Geld. Dies hatte es ihm ermöglicht, seine Zielperson durch acht Staaten zu verfolgen, häufig in denselben Hotels zu übernachten und denselben Zug wie sie zu nehmen. Vor allem aber hatte er den Geist noch einmal hören können. Und der Geist gab denselben Befehl, den er ihm schon elf Jahre zuvor gegeben hatte, nur hatte John damals nicht die Kraft gehabt zu handeln. Heute war das anders.

John Flammang Schrank verbrachte den größten Teil des Nachmittags in einer Bar, die sich dem Gilpatrick Hotel gegenüber befand, in dem, wie er wusste, seine Zielperson zu Abend essen würde, bevor sie zum Milwaukee Auditorium fuhr, um dort eine Rede zu halten, die ihr profanes Vorhaben fortsetzen sollte. Der aus Bayern stammende Schrank, ein ehemaliger Kneipenbesitzer, trank sechs Maß Bier. Aber er fühlte sich vollkommen ruhig, während die Menschenmenge vor dem nahe gelegenen Hotel immer mehr anschwoll, in der Erwartung, einen Blick auf ihren Helden zu erhaschen.

Verräter, dachte er mürrisch. Das Gewicht der Waffe zerrte an seiner Manteltasche. Verräter und Mörder.

Er bezahlte bei dem Barmann und überquerte die Straße. Es war kurz vor acht, und aus den Fenstern des Hotels drang Licht. Die Luft war kühl, die Leute trugen lange Mäntel und hatten die Hüte tief in die Stirn gezogen. Schrank war ein korpulenter Mann mit einem mächtigen Bauch und einem freundlichen Gesicht, das von dem großen vorspringenden Kinn dominiert wurde. Es fiel ihm nicht schwer, sich durch die fröhlichen Menschenmassen zu drängen.

Er fragte sich, wie sie nur eine solche Bewunderung an den Tag legen konnten. Kannten sie denn die Wahrheit nicht?

Diese Wahrheit war ihm kurz nach dem Amtsantritt seiner Zielperson bewusst geworden. Es war die erste Erscheinung des Geistes gewesen – in einem Traum, einem lebhaften Traum, den er nie hatte abschütteln können. Und nun, mithilfe seiner neuen Wohltäter, war dieser Traum zurückgekehrt, nur dass sein Ziel diesmal im Gewand eines Priesters daherkam, was aber keinen Unterschied machte. Schrank erkannte den Usurpator sofort.

Schrank sah sich um. Bei dem Gedanken, ihr Idol zu sehen, gerieten die Leute geradezu aus dem Häuschen. Der Geist hatte gesagt, ihr Held habe ihn ermordet, indem er den polnischen Anarchisten Leon Czolgosz in die Panamerikanische Ausstellung in Buffalo geschmuggelt habe. Die zwei Schüsse in den Bauch hatten genügt, um den Mann in den Geist aus John Schranks Träumen zu verwandeln.

Schrank erkannte ein Gesicht in der Menge. Es war das des freundlichen Mannes, der ihm zuhörte. Der andere, der Wortkarge, der immer nur forderte und schimpfte und ihn erniedrigte, war nicht bei ihm, wie so oft, wenn er versucht hatte, das Attentat auszuführen. Dies war das Omen dafür, dass es heute Abend geschehen würde. Er drängte sich noch näher an die Spitze der Menge und ignorierte die gereizten Blicke der Leute, die so lange auf diese heiß begehrten Plätze gewartet hatten.

Er spürte den harten Kunststoffgriff des Colts Kaliber .38 in seiner Manteltasche. Er befand sich dicht an der ersten Reihe der Schaulustigen. Der Hoteleingang war nur ein paar Schritte entfernt, und der offene Wagen mit der langen Motorhaube und den geschwungenen Trittbrettern stand mit laufendem Motor am Bürgersteig.

»Ich kann nicht fassen, dass ich gleich den Helden von San Juan Hill sehen werde«, sagte eine Frau atemlos zu ihrem Mann.

»Ich habe gehört, dass er nicht Teddy genannt werden möchte, sondern nur ›TR‹«, erklärte ein anderer aus der Menge.

Schrank fingerte an der Pistole herum. Er durfte auf keinen Fall zulassen, dass dieser Mann eine dritte Amtszeit bekam. Kein Präsident hatte jemals eine dritte gehabt. Selbst George Washington hatte sich geweigert, zum dritten Mal anzutreten, weil er befürchtete, es könnte die Präsidentschaft in eine Monarchie verwandeln, eine wie die, von der sich Amerika so mühsam befreit hatte. John Schrank betrachtete sich selbst als Patriot, als einer jener Minutemen, die gegen die Tyrannei eines Mannes kämpften, der König werden wollte.

Plötzlich brach die Menge in wilden Jubel aus. Theodore »Teddy« Roosevelt schritt die paar Stufen vor dem Eingang des Gilpatrick herunter und winkte den Leuten zu, die dort auf ihn gewartet hatten und die neuntausend Menschen beneideten, die ein Stück weiter im Auditorium selbst auf seine Rede warteten. Roosevelt schenkte ihnen ein strahlendes Lächeln, und seine Augen leuchteten hinter der randlosen Brille vor Freude. Sein Walross-Schnauzbart zuckte.

Er stieg auf das Trittbrett des Wagens und sank langsam neben seinem Stenografen Elbert Martin auf den Rücksitz. Ihnen gegenüber saß ein weiterer Adjutant im Fond, Harry Cochems. Die Menge johlte weiter und ließ die Luft mit ihrem Beifall erzittern. »TR« lächelte Harry wissend zu und erhob sich noch einmal, den Zylinder in der Hand, um den Leuten erneut zuzuwinken. Für diese Geste liebten sie ihn, und er liebte sie für ihre Loyalität und Unterstützung.

John Flammang Schrank erkannte seine Chance und trat einen Schritt näher an sein Ziel heran. Ohne eine Miene zu verziehen und auch ohne echte Bosheit, da er den ehemaligen Präsidenten gar nicht hasste, sondern ihn nur daran hindern musste, wieder ins Oval Office einzuziehen, hob er die Pistole und zielte auf Roosevelts Kopf, nur wenige Schritte von ihm entfernt.

Er drückte in dem Augenblick ab, als hinter ihm jemand gegen seinen Arm schlug. Die Waffe ging los, ein Donnerschlag ertönte, laut genug, um die Menge sofort verstummen zu lassen. Der Geruch von verbranntem Pulver hing beißend in der Luft.

Roosevelt taumelte nur leicht und ging in die Knie, bevor er sich wieder aufrichtete, den Hut immer noch erhoben. Elbert Martin reagierte als Erster. Er hatte auf dem College Football gespielt und verfügte über blitzschnelle Reflexe. Er sprang aus dem Auto und stürzte sich auf Schrank, bevor dieser erneut feuern konnte. Beide Männer landeten auf dem Bürgersteig, und Martin nutzte seine überlegene Körpergröße, um Schrank am Boden festzuhalten, während er die Handgelenke des Attentäters umklammerte. A. O. Girard, ein Leibwächter der Van Dorn Detective Agency und ehemaliges Mitglied einer von Roosevelt selbst gegründeten Gruppe von Raubeinen, der Kavalleriekompanie »Rough Riders«, schnappte sich reaktionsschnell die Pistole, während sich zwei Polizeibeamte des Milwaukee Police Departments auf sie warfen.

Harry Cochems sprang auf. »Sind Sie getroffen worden, Mr. President?«

»Er hat mich nur gestreift, Harry«, gab Roosevelt zurück.

»Gütiger Gott.«

Die Menge verlangte nach Blut, brüllte »Tötet ihn!« und »Hängt ihn!«.

TR schwenkte seinen Hut und brüllte: »Tut ihm nichts. Bringt ihn zu mir. Ich will ihn sehen.« Die Menge konnte kaum glauben, dass ihr Held unversehrt geblieben war, und nun brandete sogar Jubel auf. »Mir geht es gut! Es geht mir gut!«

Die Polizisten zerrten Schrank unsanft auf die Füße.

»Bringt ihn doch her!«, befahl Roosevelt. Der Möchtegernattentäter wurde im Polizeigriff zu der wartenden Limousine geführt.

Roosevelt betrachtete das Gesicht des Mannes, legte die Hände auf seinen Kopf und versuchte, sich zu erinnern, ob er diese beschränkt aussehende Kreatur schon einmal gesehen hatte. Aber kein Funke des Erkennens flammte auf. »Warum haben Sie das getan?«

Schrank starrte ihn nur an, bewegte den Kiefer, sagte aber nichts.

»Ach … na gut.« Roosevelts Stimme klang schärfer, da die Schmerzen größer wurden. »Officer, kümmern Sie sich um ihn und sorgen Sie dafür, dass ihm keine Gewalt angetan wird.«

Er sank auf den Sitz zurück, als Schrank unter lautem Buhen und Schimpfen der Menge ins Hotel geführt wurde.

Der Wagen fuhr vom Bordstein weg. Als er außer Sichtweite seiner Anhänger war, öffnete Roosevelt Mantel und Anzugjacke. Auf dem feinen weißen Leinen seines Hemdes breitete sich auf der rechten Seite ein karmesinroter Fleck aus. Seine Adjutanten waren fassungslos – so viel Blut!

»Fahrer!« Harry Cochems schrie förmlich. »Bringen Sie uns ins nächste Krankenhaus.«

»Ignorieren Sie das! Sie halten Kurs auf das Auditorium!«, konterte Roosevelt und ließ sich von Elbert ein frisches Taschentuch geben, das er auf die Wunde drückte. Dann hielt er sich eine Hand vor den Mund und hustete. Er zeigte seinen Assistenten die weiße Handfläche. »Wäre die Lunge getroffen worden, wäre da Blut. Das wird schon wieder heilen.«

Er fischte zwei Gegenstände aus der Innentasche seines Jacketts. Das eine war die fünfzigseitige Rede, die er halten wollte, fein säuberlich in zwei Teile gefaltet. Die Kugel hatte ein Loch in den Stapel Papiere gerissen. Der zweite Gegenstand war sein lederbezogenes Brillenetui aus Stahl. Es war ebenfalls durchbohrt worden. Die Kugel musste dabei so viel Schwung verloren haben, dass sie beim Aufprall auf Roosevelts Brust lediglich die Haut durchschlagen hatte und in seinem Brustkorb stecken geblieben war.

»Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob Sie ganz ermessen können, dass gerade auf mich geschossen wurde, aber es braucht mehr als nur eine Kugel, um einen Elchbullen zur Strecke zu bringen.«

1

BUENOS AIRES Winter 1913

Wie ein Konvoi zu Kriegszeiten säumte eine riesige Armada von Frachtschiffen die belebte Wasserstraße der Stadt. Über ihnen erhoben sich die massiven Getreidesilos, mehrstöckige Holzkonstruktionen mit beweglichen Schütten, aus denen Kaskaden aus goldenem Weizen in ihre Laderäume rauschten. Weiter unten am Kai wurden besondere Kühlschiffe mit großen Platten von Rindfleisch aus der Pampa beladen, das für Haushalte und Restaurants in ganz Europa bestimmt war. Andere Schiffe mit Waren aus Europa und Nordamerika wurden entladen, zumeist handelte es sich dabei um Produkte, die Argentinien nicht selbst herstellen konnte.

Otto Dreissen war seit sechs Monaten nicht mehr hier gewesen, in BA, wie fast jeder die argentinische Hauptstadt nannte, und ihm schien es, als ginge es im Hafen heutzutage noch hektischer zu als jemals zuvor. Dampfschlepper standen bereit, um ein beladenes Schiff wegzuschleppen, sobald seine Laderäume gefüllt waren, damit ein anderes Schiff seinen Platz einnehmen konnte. Stauer und Hafenarbeiter wimmelten wie ein Ameisenheer herum, schleppten Bündel einheimischer Wolle die Gangways hinauf oder schwangen Fässer mit pflanzlichen Ölen in Netzen zu den Schiffen, wo wartende Hände sie entgegennahmen und unter Deck verstauten.

Sein Dampfer passierte eine – wie es ihm vorkam – ganze Meile belebter Docks, bevor er den Passagieranleger erreichte und das Horn endlich zur Begrüßung ertönte. Nur eine Handvoll Gratulanten wartete auf der Pier. Wie so viele Schiffe, die in Südamerika anlegten, beförderte auch die ehrwürdige São Paulo der Hamburg-Süd-Amerika-Linie vor allem Immigranten, die auf ein besseres Leben fernab der strengen sozialen Schranken ihrer Heimat hofften. Hier in Argentinien stammten die meisten aus Spanien oder Italien, während der Norden von Brasilien bei den Portugiesen schon immer beliebter war.

Dreissen selbst hatte den Atlantik nicht überquert. Er operierte normalerweise von Panama aus und hatte gerade einige Geschäfte in Brasilien abgeschlossen. Das Schiff hatte er bestiegen, als es in Belém am Südufer des Amazonas angelegt hatte, um Kohle an Bord zu nehmen. Für ihn und seinen Kammerdiener und Leibwächter Heinz Kohl war dies nur eine kurze Reise gewesen.

Kohl stand einen Schritt hinter Dreissen am oberen Ende des Stegs. Hinter ihm wartete ein Träger mit dem großen – mit Monogramm versehenen – Koffer auf einem Handkarren. Unten am Kai stand ein gelber Rolls-Royce Silver Ghost, der vom Plaza Hotel zur Verfügung gestellt worden war. Da es ein schöner Sommertag war, hatte man das Lederverdeck des Luxuswagens heruntergelassen. Wie ein Zinnsoldat stand der Fahrer in der grauen Livree mit der Schirmmütze unter dem Arm regungslos neben dem Fahrzeug.

Die Gangway war schnell befestigt, und der Erste Offizier des Schiffes bezog daneben Position, um den Passagieren der ersten Klasse alles Gute zu wünschen. Die Passagiere in der Zwischendecksklasse verließen das Schiff durch eine Luke weiter unten, aber erst, nachdem die besser betuchten Reisenden von Bord gegangen waren.

»Schön, Sie an Bord gehabt zu haben, Herr Dreissen«, sagte der blonde Senior Officer. Die goldenen Paspeln auf seiner weißen Tropenuniform schimmerten wie Schmuckstücke.

»Ich bin seit der Jahrhundertwende nicht mehr an Bord der São Paulo gesegelt. Sie machen ihr alle Ehre. Sie scheint mir in bester Verfassung zu sein.«

»Unsere Regierung hat dem Geschäft zugestimmt, Herr Dreissen. Sie hat sich bereit erklärt, sie von der Schifffahrtslinie zu übernehmen.«

»Dann bin ich froh, dass ich noch eine letzte Fahrt mit dem alten Mädchen genießen konnte. Ihnen einen schönen Tag!«

Dreissen ging als Erster die Gangway hinunter und saß schon im Rolls-Royce, als Kohl und der Gepäckträger den Koffer auf dem Gestell über der hinteren Stoßstange befestigt hatten. Es war nur eine kurze Fahrt zum Plaza Hotel in der Calle Florida, aber da für den Bau der ersten U-Bahn Südamerikas gerade so viele Straßen aufgerissen wurden, dauerte sie erheblich länger als sonst. Sie mussten einen Umweg um den San Martín Square machen und näherten sich dem neunstöckigen Hotel im Stil des Second Empire von der Seite.

Der Manager wartete am Eingang und begrüßte Dreissen mit einem herzlichen Lächeln und einem Handschlag. Wie viele in BA bemühten sich auch das Plaza Hotel und seine Mitarbeiter darum, dass sich hier alle europäischen Gäste wie zu Hause fühlten. Dass die Argentinier lieber die Alte Welt kopierten, als sich das amerikanische Modell zum Vorbild zu nehmen, war eine bewusste Brüskierung ihrer Nachbarn hoch oben im Norden. Die Feindseligkeit gegenüber den Vereinigten Staaten ging auf die Gründung der Nation und die Umsetzung der Monroe-Doktrin ein paar Jahre später zurück.

»Willkommen, Herr Dreissen. Ich habe Ihre übliche Suite für Sie vorbereiten lassen.«

Dreissen antwortete in fließendem Spanisch: »Scheint Ihnen gut zu gehen, Raoul.«

Der Hotelier rieb sich grinsend über seinen Bauch. »Es sind gute Zeiten für Argentinien, warum sollte ich also nicht mit unserem Land wachsen?«

Ein Gast von Otto Dreissens Stellung brauchte sich um Formalitäten wie das Einchecken nicht zu kümmern. Der Manager hatte den Schlüssel für die Suite in der Tasche, und die Träger waren bereits zum Heck der Hotellimousine unterwegs, um den Schrankkoffer zu sichern. Kohl behielt sie im Auge und suchte die belebten Bürgersteige nach möglichen Bedrohungen ab.

»Darf ich so kühn sein zu fragen, was Sie nach BA führt, Herr Dreissen?«, erkundigte sich Raoul.

»Diese verdammten Briten haben zwar die Konzession für die Lieferung der U-Bahn-Waggons für die ersten Linien erhalten, die sich im Bau befinden, aber wir wollen die Wagen und Lokomotiven für die von der Lacroze Company geplante Linie bauen. Ich treffe mich in zwei Tagen mit ihren leitenden Mitarbeitern.«

Der Argentinier runzelte die Stirn. »Die Engländer haben hier beinahe ein Monopol auf alles, was mit der Eisenbahn zu tun hat. Da kann ich Ihnen nur viel Glück wünschen.«

Sie fuhren in der Messingkabine des Aufzugs in den obersten Stock, und Raoul stieß die schwere Tür der Suite auf. Aus den Fenstern hatte man einen Blick auf die belebten Straßen, aber die Sicht wurde durch den Abgasqualm eines Dampfbaggers verdeckt, der die Straße gerade für die neue U-Bahn aufriss. Dreissen bemerkte die Champagnerflasche, die in einem silbernen Eimer kühlte, und eine Flasche Napoléon-Cognac auf einem Tablett neben einem Schwenker aus geschliffenem Kristall.

»Kann ich noch etwas für Sie tun, Herr Dreissen?«, erkundigte sich der Manager, während Kohl und der Portier den großen Koffer in die Suite bugsierten. Kohl machte sich sofort daran, die Sachen seines Herrn auszupacken.

Dreissen ließ den Korken des Pol Roger knallen und schenkte etwas von dem schäumenden Getränk in eine Champagnerflöte. »Sie könnten gleich noch eine Flasche davon hochschicken. Die alte São Paulo ist nicht gerade für ihren Weinkeller berühmt.«

»Selbstverständlich.« Hotelier und Dienstmann verabschiedeten sich, nachdem sie von Kohl ein üppiges Trinkgeld für ihre Bemühungen erhalten hatten.

Dreissen aß in seiner Suite zu Abend und öffnete gerade die zweite Flasche Champagner, als sein bereits erwarteter Gast anklopfte. Kohl öffnete die Tür. Der argentinische Außenminister trug zwar einen schwarzen Anzug, aber keinen Hut. Sein Name war Matías Guzmán Im Gegensatz zu dem kräftig gebauten Dreissen war Guzmán gertenschlank, hatte einen struppigen Schnauzbart und die schlanken Hände eines Pianisten. Wie Dreissen verfügte er über einen scharfen Verstand und war ein ausgezeichneter Stratege. Nach ihren gelegentlichen Schachpartien waren beide Männer meistens erschöpft gewesen.

Dreissen erhob sich vom Esstisch, ging seinem Freund entgegen und schüttelte ihm die Hand. Als zusätzliches Zeichen der Zuneigung berührte Guzmán die Schulter des Deutschen. »Wie schön, Sie zu sehen, Otto. Es ist schon viel zu lange her, dass Sie das Paris Amerikas besucht haben.«

»Wenn man für meine Familie arbeitet, geht man dorthin, wo sie einen hinschickt.«

Sie setzten sich, und Dreissen schenkte Champagner ein.

»Verstehe ich das richtig? Wir feiern Ihren jüngsten Erfolg?« Guzmán toastete Dreissen mit seiner Champagnerflöte zu.

»Meinen Erfolg?«

»Gerüchte aus Manaus zufolge haben Sie sich einen lukrativen Vertrag über die gesamte Kautschukernte von Don Antônio Oliveira für dieses und nächstes Jahr gesichert.«

»Das trifft zu. Die neue Automobilsparte des Werks in Essen ist nun in der Lage, ihre Reifen selbst zu produzieren.«

»Es kursierte auch das Gerücht, dass der französische Vertreter von Michelin Insiderinformationen für diese Verträge besaß. Er wurde tot aufgefunden … im Amazonas treibend. Ein großes Glück für Sie.«

Dreissen blieb ungerührt. »Ich neige dazu, mir mein Glück selbst zu schmieden.«

Seine Aussage mit all ihren Implikationen hing mehrere Sekunden lang in der Luft. »Was führt Sie jetzt nach BA?«, brach Guzmán schließlich das Schweigen. »Ihr Telegramm war eher … kryptisch. Und warum treffen wir uns unter einem falschen Vorwand hier und nicht in meinem Büro?«

»Weiß jemand, dass Sie hier sind?«

»Natürlich. Ich habe mit meiner Geliebten hier im Hotel zu Abend gegessen. Sie schmollt jetzt unten in unserem Zimmer, weil ich sie dort habe sitzenlassen.« Guzmán sah den Anflug von Besorgnis im Gesicht seines Gastgebers. »Wir sind in Lateinamerika. Freitagabende sind für die Geliebte reserviert, bevor man in sein Landhaus fährt, um das Wochenende mit Frau und Kindern zu verbringen. Das wissen Sie doch sicher.«

»Gewiss. Ich möchte nur nicht, dass jemand eine Verbindung zwischen uns beiden herstellt, weil wir uns im selben Hotel befinden.«

»Sie machen sich zu viele Sorgen.« Guzmán stellte sein Getränk ab. »Und jetzt verraten Sie mir bitte, was diese ganze Geheimniskrämerei soll!«, fuhr er dann fort.

Dreissen ignorierte die Frage. »Mir ist aufgefallen, dass der Hafen jetzt noch geschäftiger ist als bei meinem letzten Besuch.«

Guzmán lehnte sich zurück. Ihm war sofort klar, dass ihr Gespräch so anstrengend werden könnte wie eine ihrer Marathon-Schachpartien. »Ja, das ist wahr. Die Exporte sind im Vergleich zum letzten Jahr um drei Prozent gestiegen. Wir verzeichnen eine Rekordzahl von Einwanderern aus Europa, die hier ein besseres Leben für sich zu finden hoffen.«

»Und die Importe?« Dreissen war klar, dass dies ein heikles Thema war.

»Die Zahlen steigen ebenfalls«, erwiderte Guzmán zurückhaltender.

»Und ausländische Investitionen? Ich höre, dass die U-Bahn dieses Jahr eröffnet werden soll. Sie ist mit englischem Geld finanziert worden, nicht wahr?«

»Das wissen Sie doch. Und um Ihre Frage zu beantworten: Wir erhalten viel ausländisches Kapital.«

»Tatsächlich?« Dreissen hob eine Braue, und seine grauen Augen funkelten. »Der Eisenbahnbau ist dramatisch zurückgegangen, weil alle rentablen Strecken bereits verlegt sind. Ihre Regierung ist jetzt gezwungen, besonders großzügige Bedingungen anzubieten, um Investoren dazu zu bringen, die Eisenbahn auch in entlegeneren Gebieten im Landesinneren auszubauen. Die besten Landstriche sind bereits gerodet und von der Landwirtschaft in Beschlag genommen worden. Mittlerweile sind nur noch wenige europäische Investoren an der Ansiedlung von Industrieunternehmen in Ihrem Land interessiert. Es gibt hier weder Kohle noch Erdöl, weswegen es niemandem sinnvoll erscheint, eine energieintensive Fabrikanlage zu eröffnen.«

Der Minister kniff den Mund zu einem schmalen Strich zusammen. »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Ich möchte sagen, dass eure Investoren aus Argentinien genau das gemacht haben, was sie brauchten, nämlich einen Absatzmarkt für ihre teuren Industriegüter zu schaffen und gleichzeitig einen Lieferanten von qualitativ hochwertigem, aber preiswertem Rindfleisch, Hammelfleisch und anderen landwirtschaftlichen Produkten zu finden. Sie haben zwar Ihre Unabhängigkeit von Spanien erkämpft, das ist schon wahr, aber Ihre Nation bleibt trotzdem ein Kolonialstaat, vollständig abhängig von Europa.«

In dem folgenden langen Schweigen starrten sich die beiden Männer an. Guzmán wandte den Blick zuerst ab. »Ich glaube nicht, dass ich unsere Situation so beschreiben würde.«

»Es klingt vielleicht etwas hart, trifft im Wesentlichen aber zu. Und schon bald wird der nächste Schlag kommen. Damit wird jede Hoffnung, die Sie noch haben, Fertigungsfabriken und Industrie hierher zu locken, bereits im Keim erstickt werden.«

Guzmán nickte. Er hatte das Eröffnungsgambit verloren. »Der Kanal.«

»Die Eröffnung erfolgt voraussichtlich nächstes Jahr im August.«

»Damit gelingt es Ihnen, Südamerika vom internationalen Handel abzuschneiden, so wie Afrika bereits durch den Bau des Suezkanals ausgegrenzt wurde. Sie selbst haben mich darauf aufmerksam gemacht, Otto.«

»Ich erinnere mich an unser Gespräch. Mit Ausnahme von Südafrika wird dort so wenig investiert, dass dieses Land auf Generationen kolonialisiert und arm bleiben wird. Der Suezkanal ist der Grund, warum meine Familie in Afrika nicht so vertreten ist wie in Amerika, Argentinien und im Orient.«

»Und Sie sind sicher, dass hier das Gleiche passieren wird?«

»Wir haben in der Vergangenheit schon darüber gesprochen«, erinnerte ihn Dreissen. »Die neu entdeckten Ölfelder um Maracaibo in Venezuela könnten sich auszahlen und ihnen etwas geben, was die Staaten des Nordblocks haben wollen. Aber im Rest von Südamerika werden die Volkswirtschaften ohne Investitionen von außen stark schrumpfen. Sie werden sich in einem Würgegriff wiederfinden, aus dem es kein Entkommen gibt.«

Guzmán verfluchte die Amerikaner leidenschaftlich und sprang sichtlich erregt auf. Er wusste, dass sein Gastgeber recht hatte. Der Kanal würde Südamerika isolieren, als hätte der gesamte Kontinent aufgehört zu existieren. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und marschierte einen Augenblick lang aufgewühlt in der Suite umher. Dreissen konnte deutlich erkennen, wie sehr Guzmán sein Land liebte. Der Außenminister verstand sein Amt gut genug, um das unausweichliche Scheitern vorherzusehen. Ihm gefiel, dass Guzmán so leidenschaftlich reagierte. Solche Männer waren ein leichteres Ziel. Er ließ den Minister zwei Runden über den Teppich des Salons stampfen, bevor er ihm eine unerwartete Rettungsleine zuwarf.

Er zündete sich eine dünne Zigarre an. »Vielleicht kann man ja etwas tun, um die Fertigstellung des Kanals zu verzögern und euch die Zeit zu geben, die ihr braucht, um genügend Kapital für den Aufbau einer Industrieproduktion zu sammeln«, sagte er gedehnt.

Guzmáns Augen funkelten, dann kehrte er zum Tisch zurück. »Was sagen Sie da? Bitte, verspotten Sie mich nicht, alter Freund.«

»Zu diesem Zeitpunkt möchte ich nur anmerken, dass bestimmte technologische Fortschritte erzielt worden sind, die es einer interessierten Partei ermöglichen könnten, die amerikanischen Bauarbeiten drastisch zu verzögern. Und zwar eher um Jahre als um Monate.«

»Das könnten Sie wirklich tun?«

»Ich nicht, aber ein Team von speziell ausgebildeten und entschlossenen Männern. Sie könnten die Eröffnung des Kanals lange genug hinauszögern, um Ihnen die Gelegenheit zu geben, die argentinische Wirtschaft zu stärken und Ihrem Volk eine weit bessere Zukunft zu sichern, als es sonst der Fall wäre.«

»Wie schnell kann das bewerkstelligt werden?« Guzmán wusste, dass die Zeit drängte. Je schneller so etwas passierte, umso besser. Der Bau des Kanals war für mehrere mögliche Investoren, die er derzeit umwarb, ein großes Problem.

»Es würde einige Monate dauern, um die Grundlagen für die Operation zu schaffen«, räumte Dreissen ein. »Die Sicherheitsvorkehrungen sind zwar nicht besonders streng, aber der Zugang ist schwierig. Die Kanalbehörde ist beinahe eine Nation für sich.«

Guzmán nahm sich einen Moment Zeit, um sein Glas zu füllen und sich zu beruhigen.

Die Erkenntnis, dass noch nicht alles verloren war, ließ seiner Fantasie und seinen Ambitionen freien Lauf. Aber er riss sich zusammen, denn ihm war klar, dass Dreissen ihm mit einem Läufer oder einem Turm eine Falle gestellt hatte, während seine Dame irgendwo auf dem Brett lauerte, jederzeit bereit zuzuschlagen.

»Ich verstehe, warum Sie das vorerst inoffiziell handhaben wollen. Mir ist auch klar, warum Sie sich an mich wenden und nicht an die Brasilianer. Sie können Ihnen keine allzu großen Gegenleistungen bieten. Aber ich muss Sie noch fragen, was Sie dafür im Gegenzug von mir erwarten.«

»Die Züge für die Lacroze-Linie. Ich möchte, dass die Gussstahlwerke in Essen die Wagen und Lokomotiven bauen und Exklusivverträge für sämtliche weitere Strecken, die unter den Straßen von Buenos Aires gebaut werden, erhalten werden.«

»Abgemacht«, willigte Guzmán sofort ein und machte Anstalten aufzustehen. Ihn erstaunte, dass Dreissens Preis so niedrig war.

»Der Rest …« Dreissen ließ Guzmán mitten im Aufstehen erstarren. Dem Argentinier gefror das Lächeln auf den Lippen. »… wird von den Mitgliedern des Diplomatischen Korps unserer jeweiligen Nationen vereinbart.«

»Ihre Regierung steckt dahinter?«

»Wir haben ihre Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Unternehmen wie unsere Gussstahlwerke und Krupp sind so groß, dass wir den Kaiser und seine Minister über einige unserer Aktivitäten auf dem Laufenden halten müssen. So können sie die Wirtschaft mit größtmöglicher Effizienz steuern. Es ist eine Partnerschaft von Industrie und Staat. Ich glaube, der Begriff dafür lautet Synergie. Das Beste für das Werk Essen muss auch das Beste für das Vaterland sein und umgekehrt.«

»Ich verstehe.« Guzmáns Freude war erloschen. Der U-Bahn-Vertrag deckte mehr oder weniger Dreissens Kosten für die Operation. Die deutsche Regierung dagegen würde weitaus mehr verlangen, wenn sie Argentinien eine Zukunft jenseits der eines hinterwäldlerischen Agrarstaates ermöglichen sollte. »Haben Sie eine Vorstellung, was der Kaiser für seine Hilfe erwartet?«

»Es ist gar nicht so schlimm, wie Sie befürchten, Matías. Ich werde Ihnen jetzt etwas Strengvertrauliches erzählen, und das wird Ihnen am Verhandlungstisch gewiss helfen. Als ich der Regierung zum ersten Mal diesen Plan unterbreitete, gefiel dem Kaiser selbst die Idee, den Fortschritt der Amerikaner zu verlangsamen. Seit sie Spanien besiegt und Kuba und die Philippinen erobert haben, behagt ihm ihr schneller Aufstieg auf der Weltbühne nicht. Er würde ihren Aufstieg gern etwas bremsen. Er hat schon einmal versucht, sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen und ist damit gescheitert; nun hat er vor, einen neuen Anlauf zu nehmen. Meine Regierung wird zweifellos viel von der Ihren verlangen, aber sie ist auch fest entschlossen, es zu verwirklichen. Also werden die Verhandlungen erfolgreich verlaufen.«

Guzmán begriff, welches Geschenk er da gerade erhalten hatte. »Danke, dass Sie mir das mitteilen.«

»Ich kann Ihnen außerdem noch verraten, dass sie so viel von diesem Plan halten, dass sie einen Vertreter nach Panama entsenden werden, um unsere Fortschritte zu überwachen.«

»Darüber scheinen Sie nicht sonderlich erfreut zu sein.«

»Das ist der Preis für eine Zusammenarbeit mit der Regierung, vermute ich. Sie verstehen die Beweggründe eines Kapitalisten nicht. Ich verkaufe Maschinen – Züge, Automobile und Flugzeuge. Und je mehr Kunden ich halten kann, desto besser florieren meine Fabriken. Synergie eben.« Er zog an seiner dünnen Zigarre und blies eine Wolke aromatischen Rauchs in Richtung Decke. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf … In der Zeit, die Ihnen diese Operation verschafft, empfehle ich Ihnen, sich mit den Venezolanern zusammenzutun und Verträge für Öllieferungen abzuschließen. Wenn Sie bis zur endgültigen Öffnung des Kanals über die für eine industrielle Wirtschaft erforderlichen Brennstoffe verfügen, spielt der Kanal keine große Rolle mehr. Denn dann wird Argentinien längst Zielhafen für den Handel mit jeder zivilisierten Nation der Erde sein.«

2

SAN DIEGO, KALIFORNIEN April 1914

Als sich die Coronado-Fähre der Mitte der San Diego Bay näherte, drehte sich Isaac Bell um und blickte auf die Stadt zurück. Sie war dabei zu wachsen. Die Skyline wirkte noch bescheiden, es gab nur wenige Gebäude mit mehreren Stockwerken, aber er wusste, dass die Zukunft der Stadt – ja, die der gesamten Westküste – vor einem gewaltigen Umbruch stand. Los Angeles, diese Stadt, San Diego und sogar sein geliebtes San Francisco, das sich noch immer von dem Erdbeben und der anschließenden Feuersbrunst acht Jahre zuvor erholte, würden in den kommenden Jahren ein beispielloses Wachstum erleben.

Es war nicht so schwer zu glauben, dass sich das Wesen des ganzen Landes aufgrund der Ereignisse in Mittelamerika verändern würde, sagte er sich.

Er warf einen Blick in die andere Richtung und auf die beiden Kriegsschiffe, die in der Nähe eines Trockendocks ankerten. Die Navy erwog bereits die Einrichtung eines neuen Stützpunkts an der kalifornischen Küste, und diese beiden Schlachtschiffe erkundeten zusammen mit anderen alle größeren Häfen. Der große gepanzerte Kreuzer USS Maryland war über fünfhundert Fuß lang und hatte den unverwechselbaren hellen Rumpf und die kakifarbenen Aufbauten der Great White Fleet von Theodore Roosevelt. Ihre vier Schornsteine ragten so gerade wie Ofenrohre empor, während ihr Rumpf und ihre Türme mit Kanonen bestückt waren. Sie wurde von einem kleineren Zerstörer eskortiert, der USS Whipple. Um beide Schiffe herum ruderten Männer in schlanken Langbooten, um Torpedoschutznetze auszubringen, die an Hunderten von Korkschwimmern hingen und bis unter den Kiel jedes Kampfschiffes hinabreichten.

Allerdings stand nicht zu befürchten, dass in diesen Gewässern ein feindliches U-Boot lauern könnte. Vielmehr ging es um eine gründliche Überprüfung, dass keine Hindernisse auf dem Meeresgrund Löcher in den Rumpf der Schiffe reißen könnten.

Kurze Zeit später erreichte der Schaufelraddampfer die Kais von Coronado. Die Holzpfähle rochen nach frisch aufgetragenem Teer. Die Passagiere gingen von Bord, bevor ein mit Silage beladener Pferdewagen von der Fähre geführt wurde. Ein vom Hotel zur Verfügung gestelltes Kutschgespann wartete darauf, die Passagiere, die auch Gäste des Hotels waren, an ihr Ziel zu bringen. Die anderen Passagiere unternahmen einen Tagesausflug nach Tent City, einem familienfreundlichen Vergnügungs- und Restaurantviertel, das in den letzten Jahren auf der Nehrung entstanden war. Sie zahlten entweder einen Penny für die Draisine oder gingen zu Fuß.

Vom Fähranleger an der 1st Street ging es geradewegs die Orange Avenue hinunter. Dort lag Bells Ziel. Das Hotel del Coronado, von den Einheimischen liebevoll »The Del« genannt, erinnerte mit seinen weiß lackierten Wänden und dem roten Zuckergussdach an die Traumhochzeitstorte einer jeden Braut. Das Hotel hatte die alterslose Qualität eines europäischen Schlosses, war aber durch seine skurrilen Türmchen und zahllosen Giebel und Gauben viel heller und stand zufrieden auf Sand, statt in einem nebelverhangenen Moor zu brüten.

Bell konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er das Resort im Queen-Anne-Stil zum ersten Mal sah. Er bedauerte, diesen Moment nicht mit seiner Frau Marion teilen zu können. Sie liebte solche Skurrilitäten.

Auf der rechten Seite, entlang des Silver Strand, der Landzunge, die Coronado mit dem Festland verbindet, sah Bell Tent City. Neben unzähligen, oft bunt gestreiften Zelten verfügte das Vergnügungsviertel auch über feste Holzständerhäuser – also Badehäuser, Restaurants und Pensionen. In der Mitte der Hauptstraße fuhr eine elektrische Schmalspurbahn, deren Glocke fröhlich bimmelte, um die Fußgänger aus dem Weg zu scheuchen.

Bell bemerkte auch ein Bootshaus, das auf Pfählen über der Glorietta-Bucht zu schweben schien. Es sah wie eine Miniaturausgabe des Hotels selbst aus. Der Kutscher bemerkte sein Interesse an dem weiß-roten Gebäude. »Der Architekt hat die Zimmerleute den Queen-Anne-Stil erst beim Bau des Bootshauses üben lassen, bevor er sie dann auf das Haupthaus losließ.«

»Das hat offenbar funktioniert«, erwiderte Bell. Er blickte auf die ausgedehnte Anlage zurück. »Was für eine erstaunliche Leistung.«

Ein Heer von uniformierten Pagen erschien, als die Kutsche den Eingang erreichte, und schon bald wurden Bell und ein Paar, das zur gleichen Zeit wie er eincheckte, in das Hotel geführt. Die Lobby war dunkel getäfelt und wirkte trotz ihrer Größe und der hohen Kassettendecke intim. Die Anmeldung befand sich auf der linken Seite, während auf der rechten eine große Treppe um einen Käfigaufzug herum nach oben führte. Die Gäste unterhielten sich angeregt oder trafen mit dem Concierge Arrangements für ihre Vorhaben am nächsten Tag.

Obwohl die Zimmer mit Blick auf den zentralen Innenhof mit seiner dschungelartigen Landschaft als die besten Unterkünfte galten, bat Bell um ein Zimmer mit Veranda, von der aus er das sich ständig verändernde Meer beobachten konnte. Nicht, dass er heute viel Zeit dafür hatte. Morgen war es jedoch etwas ganz anderes. Marion würde zwei glückliche Wochen im The Del mit ihm verbringen, ein längst überfälliger Urlaub.

Ein Page führte Isaac auf sein Zimmer. Er pries die Annehmlichkeiten des Hotels einschließlich des Salzwasser-Schwimmbads und erwähnte, dass die vielen Badezimmer des Hotels heißes und kaltes Salz- und Süßwasser hatten und dass The Del bei seiner Eröffnung eines der größten elektrifizierten Gebäude des Landes gewesen war. Etwas prahlerisch setzte er noch hinzu, dass hier auch der erste mit elektrischen Lichtern geschmückte Weihnachtsbaum gestanden hatte.

Nachdem Bell dem Mann ein Trinkgeld gegeben und ihn hinausgeschickt hatte, zog er ein frisches Hemd aus seiner ledernen Reisetasche, nahm ein Handtuch vom Wäschestapel und griff nach seiner Kulturtasche. Er ging durch den Flur zu einem der Bäder. Ein dunkelhaariger schlanker Mann kam ihm entgegen, und Bell musste feststellen, dass dieser den gemeinsamen Waschraum ziemlich unordentlich hinterlassen hatte. Er blickte zurück und sah, wie der Mann ein Zimmer betrat. Er überlegte, ob er ihn wegen des Verstoßes gegen die Etikette zur Rede stellen sollte, entschied aber, dass es die Mühe nicht wert wäre.

Am Waschbecken zog sich Bell bis auf die Hose aus, wusch sich am Waschbecken mit warmem Süßwasser und wechselte dann zum Einschäumen und Rasieren seines Gesichts zu heißem Salzwasser. Das Wasser spannte seine Haut. Er betrachtete sein Spiegelbild einen Moment lang. Er war noch keine fünfunddreißig, aber sein Gesicht sah um Jahre jünger aus, mit feinen Zügen, großen blauen Augen und einer Welle blonden Haares, das er jetzt zurückgekämmt trug. Er massierte einen Klecks Haarcreme in sein Haar ein und glättete es. Dann nahm er sich einen Augenblick Zeit und stutzte seinen Schnurrbart mit einer Schere aus dem Kulturbeutel. Er warf einen Blick auf seine Santos-Armbanduhr von Cartier, ein Geschenk von Marion. Sie hatte sie ihm in England nach ihrer beinahe verhängnisvollen Reise an Bord der Titanic geschenkt. Schnell zog er sich ein frisches Hemd an.

Eine große Gestalt in einem hellbraunen Anzug wartete vor seinem Zimmer, als er wieder in den Flur trat. Als der Mann Bell sah, setzte er seinen steifen Strohhut ab und behielt ihn in der Hand. Er hatte ein hageres, waches Gesicht und die misstrauischen Augen aller Van-Dorn-Detektive.

»Tut mir leid, Mr. Bell, als der Page mir sagte, dass Sie hier sind, war ich gerade im Bootshaus.«

»Keine Sorge, Renny. Kommen Sie rein.« Bell schloss seine Tür auf und hielt sie für den jüngeren Mann offen. »Wie sieht’s aus?«

Bell band ohne Hilfe des Spiegels seine Krawatte, während der Mitarbeiter aus dem Büro der Agentur in Los Angeles, Renny Hart, seinen Bericht ablieferte.

»Das Hotel war kooperativ und hat mir erlaubt, mit allen Gästen zu sprechen, deren Reservierungen nach dem Treffen zwischen Senator Densmore und Courtney Talbot getätigt worden sind. Alle sind sauber.« Bell wollte eine Frage stellen, aber der jüngere Mann hob schnell einen Finger. »Um auf Nummer sicher zu gehen, habe ich auch die Gäste überprüft, die ihre Reservierung bereits eine Woche vor Densmores Gipfel vorgenommen haben.«

Bell nickte. Er erwartete nichts anderes von einem Mann, der für Joseph Van Dorn arbeitete, den legendären Gründer der gleichnamigen Agentur.

Er legte die lederne Schultertasche mit einem Holster für seine Colt 1911 Kaliber .45 Pistole und einer separaten Tasche für zwei Ersatzmagazine an. Eine Schnappschlaufe, mit der er das Holster unten am Gürtel befestigte, sorgte dafür, dass es sich unauffällig an seinen Körper anschmiegte, gleichgültig, wie er sich bewegte. Die cremefarbene Leinenjacke, die er anzog, war so weit geschnitten, dass die Waffe nicht zu sehen war. Ohne das Schulterholster schien der Anzug schlecht zu sitzen, aber wenn er es trug, würde nur der aufmerksamste Beobachter erkennen, dass Bell bewaffnet war.

»Wo ist der Senator jetzt?«, wollte er wissen.

»Er ist zum Angeln gegangen, auf einem Charterboot des Jachthafens. Deshalb war ich am Bootshaus. Ich habe auf seine Rückkehr gewartet.«

»Und der Major?«

»Talbot hat etwa eine Stunde vor Ihnen eingecheckt. Er ist auf seinem Zimmer.«

»Okay. Dieses Treffen sollte ein Routine-Briefing sein. Talbot weiß nicht, dass ich hier bin, aber das dürfte keine Rolle spielen. Ich möchte, dass Sie die ganze Sache als eine Trainingsübung betrachten. Van Dorns Detektive werden oft als Leibwächter und Sicherheitsleute engagiert. Ihr Vorgesetzter sagte, Sie hätten in beidem nicht viel Erfahrung, also bleiben Sie wachsam, aber diskret.«

»Sie können sich auf mich verlassen, Mr. Bell.«

3

Ein Hotelpage klopfte kurz vor achtzehn Uhr mehrmals an Bells Tür. Bell saß am Schreibtisch und schrieb in sein Tagebuch, wie er es meistens tat, wenn er etwas Zeit hatte. Er fand, dass er sich an sein so detailreiches Leben besser erinnern konnte, wenn er es zu Papier brachte. Er legte den Stift beiseite und öffnete die Tür.

»Entschuldigen Sie, Mr. Bell. Mr. Hart hat darum gebeten, Sie darüber zu informieren, dass der Senator noch nicht zurückgekehrt ist. Außerdem hat er mich angewiesen, Sie darüber zu informieren, dass Mr. Talbot eine Getränkebestellung vom Zimmerservice erhalten hat.«

Über die gemessene und förmliche Sprechweise des Jungen, der nicht älter als vierzehn Jahre sein konnte, schmunzelte Bell. Er fischte eine Münze aus seiner Tasche und schnippte sie in die Handfläche des Pagen. »Danke, Junge. Bleib in der Nähe von Mr. Hart, falls er weitere Instruktionen hat.«

»Ja, Sir.« Der Junge tippte an sein Käppi und trat von der Tür weg.

Als um neunzehn Uhr immer noch keine Nachricht vorlag, die die Rückkehr des Senators meldete, ging Bell an die Bar hinunter. Dort hatte man einen Blick über den Strand, und er bestellte ein eisgekühltes Bier und pochierten Fisch mit Muschelsauce.

Ein anderer Page tauchte vor Bell auf, als der gerade seine Mahlzeit beendete. Die Bar war voll von lachenden Sommergästen, und ein Trio spielte für die wenigen Leute auf der winzigen Tanzfläche einen schnellen Ragtime. Im Obergeschoss, dem Kronensaal und Glanzstück des Hotel Del, spielte derweil ein großes Orchester für eine etwas förmlichere Gesellschaft.

»Mr. Bell«, sprach der Page ihn an. »Senator Densmore ist jetzt zurück. Es hat Probleme mit dem Boot gegeben, und er lässt sich entschuldigen. Er sagt, das Treffen soll um einundzwanzig Uhr im großen Speisesaal stattfinden, wenn die Küche bereits geschlossen ist.«

»Danke.« Bell warf dem Jungen eine Münze zu.

Zur verabredeten Stunde betrat Bell den Speisesaal des The Del. Renny Hart saß bereits an dem verlassenen Schuhputzstand und hielt die Abendzeitung in die Höhe, um das Licht eines Wandleuchters zu nutzen. Bell nickte knapp, als er an ihm vorbeiging. Gerade als er die geschlossene Tür öffnen wollte, eilte jemand herbei und versperrte ihm mit erhobener Hand den Weg.

Der Mann schien dem zentralen Casting eines Filmstudios entstiegen zu sein. Er hatte große dunkle Augen, auf Wangen und Kinn lag der blauschwarze Schatten von Stoppeln. Seine Nase war geradlinig und kräftig. Er trug eine kakifarbene Reithose, die in alten, aber gut gepflegten Reitstiefeln steckte, und eine dazu passende Jacke mit Taschen und ledernen Schrotpatronenschlaufen. An dem breitkrempigen Buschhut auf seinem Kopf befand sich ein Band aus exotischem Tierfell.

Bell wusste, dass es sich um Courtney Talbot handelte, Major der U. S. Army a.D. Als Feldwebel während des Spanisch-Amerikanischen Krieges hatte er zu einer Gruppe von Soldaten gehört, die sich freiwillig gemeldet hatten, um die Landeplätze für einen Angriff auf ein stark befestigtes Fort nahe der Mündung des San Juan River auf Kuba auszukundschaften. Als sie den Strand erreicht hatten, wurden sie von der Festung und von spanischen Fußpatrouillen unter Beschuss genommen. Schließlich verschaffte ihnen das Kanonenfeuer des Kanonenboots USS Peoria Platz für diesen Landekopf und einen Rettungsversuch, der von einer Handvoll Buffalo Soldiers des legendären schwarzen 10th Cavalry Regiments unternommen wurde. Sie waren vom Dampfer Florida an Land gegangen. Talbot wurde das Verdienst zugeschrieben, die Verteidigung des Strandes während des verzweifelten Kampfes geleitet zu haben, nachdem die Offiziere entweder verwundet oder getötet worden waren. Er lehnte jedoch die Verleihung eines Ordens ab, um die Auszeichnung den vier tapferen Soldaten zu lassen, die sie von diesem höllischen Strand gerettet hatten. Aber er nahm eine Beförderung auf dem Schlachtfeld an.

Laut der Biografie, die Van Dorn in der kurzen Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, zusammengestellt hatte, hatte Talbot die nächsten zehn Jahre in verschiedenen Funktionen in ganz Mittelamerika und der Karibik verbracht – in den meisten Fällen in Botschaften und oft in Ländern, die kurz vor einer Revolution standen. Gerüchte, dass er diese Revolutionen mit angezettelt hatte, machten ihn in vielen Gebieten dieses Teils der Welt zu einer Persona non grata. Also zog er los, um auf den Philippinen gegen die Tagalogs zu kämpfen, bevor er im Alter von vierzig Jahren zurücktrat. Jetzt musste er irgendwie mit dem Panamakanalprojekt verbunden sein, obwohl die Leute, die in Bells Auftrag über sein Leben recherchiert hatten, weder einen entsprechenden offiziellen Titel noch eine Position in der Kanalbaubehörde finden konnten.

»Tut mir leid, mein Freund. Der Speisesaal ist wegen einer privaten Besprechung geschlossen.« Talbots Tonfall klang keineswegs bedrohlich, aber Bell hörte, dass er erwartete, dass man tat, was er sagte.

»Ich weiß. Ich bin eingeladen worden, daran teilzunehmen.« Bell streckte seine Hand aus. »Ich bin Isaac Bell.«

Talbot war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, aber er gab die Tür frei und schüttelte die dargebotene Hand. »Court Talbot.«

Bell nutzte den Moment, um die Tür zum Speisesaal zu öffnen. Der Saal hatte die Größe eines Flugzeughangars, mit einer gewölbten Kassettendecke aus einzeln zusammengefügten glänzenden Brettern. Die Wände waren ebenfalls mit dunklem Holz getäfelt. Die Kronleuchter waren massiv, aber ihr Licht war absichtlich nur schwach, um dem beeindruckenden Raum ein Gefühl von Intimität zu verleihen.

Am hinteren Ende der langen Seitenwand befand sich ein erhöhtes Podest, auf dem eine Band die Gäste beim Essen unterhalten konnte. Im Augenblick war es jedoch leer. Und nur ein einziger Tisch war besetzt. Er stand am gegenüberliegenden Ende des Speisesaals unter den abgedunkelten, fast bis zum Boden reichenden Fenstern. Er war so rund und groß, dass ein Dutzend Personen daran Platz fanden.

Er war auch für ein Dutzend Personen gedeckt, aber es saßen nur zwei Personen an dem Tisch, und nur eine davon aß. Ein Kellner in schwarzer Livree wartete unauffällig in der Nähe.

»Meine Herren.« Die dröhnende Stimme von Senator J. William Densmore erfüllte den riesigen Raum.

Die beiden Neuankömmlinge schritten durch den Speisesaal und gingen dabei um die zahlreichen Tische herum. Sie kamen gleichzeitig an und nickten einander zu. Es war ein Wettstreit gewesen, der allerdings unentschieden ausgegangen war.

Senator Densmore trug einen weißen Anzug, der wahrscheinlich von einem Zeltmacher genäht worden war. Seine Gestalt war groß und dazu noch außerordentlich übergewichtig. Er hatte dichtes grau meliertes Haar, und in seinem Bart verliefen zwei silberne Streifen von den Mundwinkeln nach unten. Seine Augen waren dunkel und wirkten agil. Von einem Sonnenbrand leuchtete seine Nase knallrot, was ihm das fröhliche Strahlen eines Weihnachtsmanns verlieh. Er zerteilte gerade ein Thunfischsteak von der Größe eines Wörterbuchs. Bell vermutete, es handelte sich um einen der Fische, die er an diesem Nachmittag gefangen hatte.

Rechts neben dem Senator saß eine junge Frau, die einen weiten Rock und eine zugeknöpfte Bluse unter einer dünnen Strickjacke trug, auf deren linker Brust Stanford aufgenäht war. Ihre Haut war von der kalifornischen Sonne gebräunt, aber sie war noch jung genug, um unter den peinlichen roten Flecken der Teenagerakne zu leiden. Ihr Haar war dunkel, aber von blonden Strähnen durchzogen, vermutlich ein Ergebnis ihrer Zeit im Salzwasserschwimmbad von The Del. Ihre Augen waren so blau wie Bells, dabei hell und neugierig. Sie machten ihre eher unscheinbaren Züge attraktiver.

Man schüttelte sich die Hände. »Und wer ist Ihre charmante Begleiterin?«, erkundigte sich Bell.

»Meine Nichte, Bitsy Densmore.«

Das Mädchen errötete unter ihrer Bräune. »Onkel Bill, jetzt, da ich in Stanford studieren werde, wäre es mir lieb, man würde mich Elizabeth nennen. Das habe ich dir doch gesagt.«

»Das stimmt, Liebes, ich hab es vergessen. Elizabeth Densmore.«

»Meine Frau hat auch in Stanford studiert«, wandte sich Bell an sie. »Sie wird morgen hier eintreffen. Sie hat bestimmt eine Menge guter Ratschläge für Studienanfänger, zum Beispiel, welches die besten Studentenwohnheime und wer die schlechtesten Dozenten sind.«

Zunächst schien sie enttäuscht zu sein, dass der gutaussehende Fremde verheiratet war, doch sie überwand ihre mädchenhafte Schwärmerei schnell und freute sich sichtlich darüber, Insiderwissen über die Gefahren und Tücken der Stanford University zu bekommen. »Meine Güte, das wäre ja großartig. Vielen Dank, Mr. Bell.«

»Entschuldigen Sie, Senator«, warf Talbot scharf ein, »ich dachte, dies sollte ein privates Treffen werden.«

»Das sollte es auch, Mr. Talbot«, erwiderte Densmore freundlich. »Aber dann haben meine Parteivorsitzenden eingegriffen und darum gebeten, unseren Mr. Bell zu der Besprechung hinzuzuziehen. Da ich meinen Posten in Washington behalten möchte, höre ich auf das, was meine Vorsitzenden verlangen. Elizabeth sagt, sie möchte nach ihrem Abschluss vielleicht für die Regierung arbeiten, also habe ich das für eine gute Gelegenheit gehalten, ihr zu zeigen, wie die wirkliche Welt aussieht. Das ist doch kein Problem, oder?«

Bell registrierte, dass Talbot über diese Wendung der Ereignisse beunruhigt war, aber er war gleichzeitig auch vollständig ausmanövriert worden. Außerdem verstand er jetzt, warum Densmore eine so erfolgreiche politische Karriere hingelegt hatte. Der Mann konnte eine Situation mühelos zu seinen Gunsten nutzen. Talbot wischte sich die Handflächen an seiner Reithose ab. »Nein, Senator. Es ist überhaupt kein Problem.«

Der Kellner trat näher und erkundigte sich, ob Bell etwas wünsche. Der lehnte ab, während Densmore ein weiteres Glas Napa Chardonnay für sich und für seine Nichte eine Zitronenlimonade bestellte.

»Sehr gut.« Densmore schnurrte förmlich. »Und jetzt sagen Sie mir, warum ich auf Sie hören und meinen alten Zimmergenossen aus West Point, George Washington Goethals, davon überzeugen soll, dass der Kanalbau, den er beaufsichtigt, in Gefahr ist.«

Der ehemalige Militär warf einen kurzen Blick auf die große Wanduhr, bevor er mit seiner sichtlich gut einstudierten Rede begann. »Kurz gesagt, der Termin für die Fertigstellung des Panamakanals steht infrage. Während man allgemein davon ausgeht, dass er nächstes Jahr, wahrscheinlich im Spätsommer, eröffnet wird, hat sich etwas Unvorhergesehenes ergeben, das die Arbeiten inzwischen sogar zum Stillstand bringt.«

»Handelt es sich wieder um eine Krankheit, so was wie Malaria oder Gelbfieber?« Elizabeth wollte wahrscheinlich zeigen, dass sie von den Problemen des Kanals in der Vergangenheit wusste.

»Nein, Gott sei Dank. Diese beiden Geißeln konnten dank Dr. Gorgas und seiner medizinischen Teams größtenteils eingedämmt werden. Die Moskitos auf der Landenge wurden ausgerottet und die Sümpfe, in denen diese höllischen Kreaturen gebrütet haben, trockengelegt. Nein, ich spreche von einem lokalen Aufstand namens Viboras Rojas.«

»Könnten wir in der Geschichte vielleicht kurz einen Schritt zurückgehen?«, unterbrach Bell. »Ich bin neu an Bord und weiß noch nicht genau, wie die einzelnen Akteure hier zusammenpassen. Mr. Talbot, wer genau sind Sie? Und wie kommen Sie in die Lage, einen Senator der Vereinigten Staaten davon zu überzeugen, dass der derzeitige Leiter der Panamakanal-Behörde offensichtlich seine Pflichten vernachlässigt?«

»Lassen Sie mich das beantworten«, ergriff Senator Densmore das Wort. »Court war während des Krieges auf Kuba Unteroffizier in meinem Regiment. Wir saßen an den Ufern des San Juan fest. Eine Granate explodierte so nah, dass sie mich von den Füßen gerissen hat und mein Gehirn fast eine Stunde lang verwirrte. Als ich dann wieder zu mir kam, standen wir noch immer unter schwerem Beschuss, aber ich durfte zusehen, wie Sergeant Talbot unsere Verteidigung organisierte und unsere Männer besser als jeder Offizier anführte. Er hat an diesem Tag viele von uns gerettet, mich eingeschlossen. Ich war derjenige, der ihn für eine Beförderung auf dem Schlachtfeld vorschlug und den Rest des Krieges an seiner Seite kämpfte. Ich habe vier Jahre in West Point verbracht, um von den besten Militärs zu lernen, die unser Land je hervorgebracht hat, und sie alle verblassen neben Courts Fähigkeit zu taktischem und strategischem Denken.«

Talbot schien dieses Lob verlegen zu machen. Murmelnd bedankte er sich.

Densmore fuhr fort: »Verstehen Sie mich nicht falsch, George Goethals ist ein guter Mann, ein brillanter Ingenieur und ein hervorragender Verwalter, aber er hat nicht die Kampferfahrung oder die Art von Achtsamkeit für eine Lage, wie sie Court besitzt. Wenn Court sagt, es gibt eine neue Gefahr für den Kanal, die Goethals übersehen hat, schenke ich ihm meine volle Aufmerksamkeit und unterstütze ihn, sofern dies gerechtfertigt ist.«

»Danke, Senator«, sagte Bell. »Jetzt bin ich im Bilde. Mr. Talbot, bitte fahren Sie fort.«

»In den letzten Monaten hat sich auf der Insel ein Aufstand formiert. Sie nennen sich Viboras Rojas. Das bedeutet ›Rote Vipern‹. Es mag übertrieben dramatisch klingen, ist aber wirkungsvoll. In den Gebieten der Welt, wo die Menschen am Rande des Dschungels leben, wird schon den Kindern beigebracht, auch harmlose Schlangen zu fürchten, weil die giftigen Schlangen so tödlich sind. Ich habe das auf den Philippinen erlebt, und in Panama ist es genauso. Die einheimische Bevölkerung hatte zunächst Angst vor den Viboras, aber jetzt werden sie als echte panamaische Patrioten betrachtet.«

»Was wollen sie?«, fragte Bell.

»Nichts Geringeres als eine marxistische Übernahme Panamas, und sie befürworten die Form des totalitären Bolschewismus von Wladimir Lenin. Haben Sie von ihm gehört?«

»Das ist ein russischer Revolutionär, der derzeit irgendwo in Mitteleuropa im Exil lebt«, antwortete Bell.

»In Krakau, um genau zu sein«, sagte Talbot. »Er ist ein gefährlicher Mann, und es wäre mir gar nicht recht, wenn er das zaristische Regime stürzte. Auch wenn das heutzutage nur noch ein korrupter Anachronismus ist. Die Viboras Rojas wollen jeden ausländischen Einfluss aus Panama vertreiben und ein kommunistisches Regierungssystem einführen, in dem die Arbeit kollektiviert und das Kapital vom Staat kontrolliert wird. Insbesondere lehnen sie die Monroe-Doktrin ab, die den Vereinigten Staaten einen beispiellosen Einfluss auf zentralamerikanische Angelegenheiten gewährt.«

Densmore grunzte. »Was für eine Ironie! Panama ist bis vor ein paar Jahren noch nicht einmal ein eigenes Land gewesen. Ohne die Vereinigten Staaten wäre es noch heute eine Provinz im Hinterland von Kolumbien.«

»Das ist wohl wahr«, räumte Talbot ein. »Aber weil Panama durch den undurchdringlichen Dschungel des Darién-Grabens vom größten Teil Kolumbiens abgeschnitten war, hat sich die Bevölkerung schon immer ein hohes Maß an lokalem Patriotismus und einen ausgeprägten Sinn für Unabhängigkeit bewahrt.«

»Was für ein Graben?«, fragte Elizabeth nach.

»Bitsy, bitte«, brummte Densmore.

»Nein, schon okay«, sagte Talbot. »Südlich der Kanalzone gibt es ein Gebiet namens Darién. Es besteht aus Flüssen, Bergen und einem so dichten Dschungel, dass nicht einmal einheimische Indianer dort leben. Ein paar Expeditionen ist es gelungen, es zu Fuß zu durchqueren, aber die meisten sind einfach verschwunden.«

»Kehren wir zu den Roten Vipern zurück«, schug Bell vor.

»Ja, richtig. Sie wollen, dass die Amerikaner ihr Land verlassen, ebenso wie die etwa dreißigtausend Inselbewohner der Karibik, die als Arbeiter auf der vierzig Meilen langen Strecke des Kanals arbeiten. ›Panama für die Panamaer‹ ist ihr Motto.«

»Um was für eine Art von Aufstand handelt es sich denn?«, fragte Bell. »Haben sie es auf Zivilisten abgesehen?«

»Nein. Sie wollen die Herzen der Menschen für sich gewinnen und plündern daher die Depots der Kanalbehörde, um Vorräte zu erbeuten, die sie an die Dorfbewohner ausgeben und über Panama-Stadt an der ganzen Pazifikküste und Colón auf der Atlantikseite verteilen. Deshalb haben die Menschen keine Angst mehr vor den Vipern, sondern beginnen sie als Helden zu betrachten. Nur wenige Menschen außerhalb Panamas wissen, dass sich das Leben des Durchschnittspanamaers seit der Eröffnung des Kanals nicht verbessert hat. Die Arbeitskräfte stammen aus Barbados und Jamaika, und alle Facharbeiter kommen aus den Vereinigten Staaten. Die Einheimischen erhalten gar nichts. Sie können nicht einmal ihre Waren an die Amerikaner verkaufen, weil die Kanalbehörde ihre Arbeiter auf die von ihr selbst betriebenen Kommissariate und Speisesäle beschränkt. Panama wird zwar bald einen Wasserweg zwischen den Meeren haben, sagen sie, aber für die Menschen hat das nur wenig gebracht. Viele haben das Gefühl, in ihrem eigenen Land Menschen zweiter Klasse zu sein. Deshalb ist eine Gruppe von Aufständischen, die gestohlene Lebensmittel und Treibstoff verteilt, bei den Armen vor Ort gut angesehen.«

»Ist das alles, was sie getan haben?«, fragte Bell. »Robin Hood zu spielen?«

»Nein«, gab Talbot zu. »Sie haben auch begonnen, Maschinen zu sabotieren, vor allem die großen dampfbetriebenen Bagger und die Eisenbahnlinien. Die Behörde hat vierundzwanzig Stunden lang Wachen im Culebra Cut aufgestellt, wo die meisten Dampfbagger eingesetzt werden, und zusätzliche Wachen entlang der Bahnlinie.« Er beugte sich vor, um seinen nächsten Punkt zu betonen. »Allerdings sind mehrere Arbeiter durch ihre Sabotageakte verletzt worden, und ich habe den Eindruck, dass sie dadurch bestenfalls ermutigt werden. In Panama-Stadt kursieren Gerüchte, dass sie etwas Großes geplant haben, etwas, das die Bevölkerung aufrütteln und internationale Unterstützung einbringen wird.«

»Bekommen sie denn jetzt schon Unterstützung von außen?«, fragte Densmore.

»Noch nicht, aber ich habe gehört, dass Gewerkschafter aus Europa in Panama-Stadt gesehen worden sind. Es könnte also nur noch eine Frage der Zeit sein.«

Elizabeth hob einen Finger. »Darf ich dich etwas fragen, Onkel Bill?« Der Senator nickte, und sie fuhr fort: »Warum stellen die Leute, die den Kanal bauen, nicht mehr Sicherheitsleute ein?«

»Die Armee könnte sich einschalten«, schlug Bell vor. »Zur Hölle, schicken Sie doch die Marines. Das wäre nicht das erste Mal in diesem Teil der Welt.«

»Und genau das ist es, was wir unbedingt vermeiden wollen«, widersprach Talbot. »Aufstände mögen in der Anfangsphase zwar anfällig sein, aber sie sind auch noch so formbar, dass eine Kraft, die sie vernichtet, sie dazu bringen kann, sich aufzulösen und neu zu formieren, sobald die Armee abgezogen ist. Also hält man sie damit nicht auf, sondern macht sie sogar noch stärker. Ich habe das selbst auf den Philippinen erlebt. Der Krieg mit Spanien war schnell beendet, und wir haben die Inseln in Besitz genommen, aber seither kämpfen wir gegen die Moro-Aufständischen. Das bedeutet fünfzehn Jahre Kampf, und es ist kein Ende in Sicht. Wir haben bereits mindestens fünftausend amerikanische Soldaten verloren. Wer weiß, wie viele Zivilisten schon gestorben sind. Ich habe gehört, dass es sich um mehr als eine Million handelt, wenn man Hunger und Krankheiten einbezieht.«

Densmore wischte sich den Mund ab und warf die gebrauchte Serviette auf den leeren Teller vor sich. Er bedeutete dem Kellner, sein Gedeck abzuräumen. »Wir dürfen so etwas nicht vor unserer Haustür dulden, und wir können es uns auch nicht leisten, die Fertigstellung des Kanals zu verschieben. Dafür haben wir zu viel investiert.«

»Ganz genau«, strahlte Talbot. »Ich möchte von der Kanalbehörde die Erlaubnis bekommen, eine kleine Gruppe lokaler Kämpfer anzuführen, um Viboras Rojas zur Strecke zu bringen. Die Männer habe ich bereits. Also brauche ich nur noch die Zustimmung. Aber Senator George Goethals versteht einfach nicht, dass ein Krieg am Horizont dräut, den er letztlich nicht gewinnen kann, den ich aber zu diesem Zeitpunkt noch im Keim ersticken könnte. Bitte setzen Sie sich mit ihm in Verbindung und bringen Sie ihn dazu, meinem Plan …«

Vor dem Speisesaal ertönte ein spitzer Schrei, dann erzitterten die geschlossenen Holztüren, als ein Mann dagegen geschleudert wurde. Eine Sekunde später stürmten fünf schwer bewaffnete Männer in den riesigen Raum und entfesselten einen Orkan aus Blei und Flammen.

4

Renny Harts Schrei hatte Bell als Warnung genügt. Noch während die Angreifer in den Raum stürmten, war er aufgesprungen und hatte den 45.er Colt aus dem Holster gerissen. Einen Sekundenbruchteil später, bevor der Schütze mit dem Lewis-Maschinengewehr, das er über der Schulter trug, seine Salve von .303 Patronen abfeuerte, erkannte Bell, dass er hoffnungslos unterlegen war. Ein Kampf mit offenem Visier kam hier nicht infrage. Augenblicklich verlagerte er seine Priorität auf den Schutz des Senators.

Zwar gebot ihm die Ritterlichkeit, auch Elizabeth Densmore zu schützen, aber er ahnte, dass sie nicht das Ziel sein konnte. William Densmore war die wichtigste Person in diesem Raum, und Bell wusste, dass er dessen Leben retten musste.

Bell schob die Pistole ins Holster zurück, ging in die Hocke und stemmte die Handballen gegen die Unterseite des Tisches.

Das Maschinengewehr ratterte los und spuckte Flammenzungen und eine Salve von Geschossen aus, die Glas und Holz zersplitterten. Die Waffe verursachte einen solchen Lärm, dass selbst Elizabeths schrille Schreckensschreie übertönt wurden.

Bell spannte die Beinmuskeln an und kippte den Tisch auf die Seite. Teller, Besteck und Stielgläser fielen zu Boden, doch nun bildete er einen massiven senkrechten Schild zwischen den Angreifern und ihrem Ziel. Der Kellner hatte sich zu Boden geworfen. Court Talbot bemühte sich, einen kurzläufigen Revolver aus seiner Jacke zu zerren, aber Miss Densmore klammerte sich an ihn. Sie hielt einen seiner Arme gepackt und schlang den anderen Arm um seinen Kopf. Dabei kreischte sie wie eine Dampfpfeife.

William Densmore war rücklings zu Boden gestürzt. Sein Gesicht war so rot angelaufen, dass Bell schon befürchtete, er würde einen Herzinfarkt erleiden und so den Bewaffneten, die zweifellos Mitglieder von Viboras Rojas waren, die ganze Mühe ersparen.

Die Angreifer stürmten vor und würden ihre Position schnell überrennen. Der Tisch war so hoch, dass Bell dahinter stehen konnte. Die Fenster waren zwar nicht weit entfernt, aber um sie zu erreichen, mussten sie mehr als ein Dutzend Meter laufen, und das in Sichtweite der Bewaffneten. Sie würden niedergemäht werden, bevor sie es schaffen konnten.

Der Tisch lag auf der Seite, also auf zweien seiner vier Beine. Die anderen beiden Beine befanden sich in Kopfhöhe. Bell drückte, so fest er konnte, gegen eines der Beine, und der gesamte Tisch beschrieb eine Vierteldrehung. Talbot verstand, was er vorhatte, auch wenn er sich nicht aus Elizabeths Fängen befreien konnte.

Aber sie und ihr Onkel merkten, dass ihre schützende Deckung sich bewegte, und bemühten sich schlurfend und über den Boden rutschend, den Tisch zwischen sich und den Schützen zu halten.

Bell drückte gegen das nächste Tischbein, und der Tisch drehte sich weiter. Die Gruppe folgte ihm erneut. Der Kellner stand wieder auf. Er war ein großer, stämmiger Junge, der aussah, als könnte er für Cal Football spielen. Bell drehte den Tisch eine weitere halbe Umdrehung und rollte ihn so quer durch den Speisesaal weiter. Die ganze Zeit über stürmten die Angreifer feuernd auf ihn zu. Zum Glück zielten sie erbärmlich schlecht, trotzdem schlugen Kugeln in die Tischplatte ein, und von der Decke regneten Splitter von der Täfelung.