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Der intelligente Weg zum Nicht-Rauchen
Jedes Krankheitheitssymptom hat seine Be-Deutung und damit eine Botschaft für den Betroffenen – auch das Rauchen. Aus den einzelnen Symptomen des individuellen Rauchverhaltens lassen sich die seelischen Hintergründe erkennen und deuten. Ruediger Dahlke entschlüsselt die seelischen Muster des Rauchens und hilft dem betroffenen Leser, sich von seinen unbewussten gesundheitsschädlichen Gewohnheiten zu verabschieden und über das bewusste Ritual die Nikotinsucht zu überwinden.
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Seitenzahl: 312
Ruediger Dahlke
Das Raucherbuch
Psychologie und Be-Deutung des blauen Dunstes
Unter Mitarbeit von Margit Dahlke
Buch
Jedes Krankheitssymptom hat seine Be-Deutung und damit eine Botschaft für den Betroffenen – auch das Rauchen. Aus den einzelnen Symptomen des individuellen Rauchverhaltens lassen sich die seelischen Hintergründe erkennen und deuten. Ruediger und Margit Dahlke entschlüsseln die seelischen Muster des Rauchens und helfen dem betroffenen Leser, sich von seinen unbewussten gesundheitsschädlichen Gewohnheiten zu verabschieden und über das bewusste Ritual die Nikotinsucht zu überwinden.
Autoren
Dr. med. Ruediger Dahlke arbeitet seit 40 Jahren als Arzt, Autor und Seminarleiter. Mit Büchern von »Krankheit als Weg« bis »Krankheit als Symbol« begründete er seine ganzheitliche Psychosomatik, die bis in mythische und spirituelle Dimensionen reicht. Die Buch-Trilogie »Die Schicksalsgesetze«, »Das Schatten-Prinzip« und »Die Lebensprinzipien« bildet die philosophische und praktische Grundlage seiner Arbeit. Ruediger Dahlke nutzt seine Seminare und Vorträge, um die Welt der Seelenbilder zu beleben und zu eigenverantwortlichen Lebensstrategien anzuregen. Sein Ziel, ein Feld ansteckender Gesundheit aufzubauen, spiegelt sich in Büchern wie »Peace Food« und »Die Hollywood-Therapie« wider, aber auch in der Verwirklichung des Seminarzentrums TamanGa in der Südsteiermark.
Margit Dahlke leitet das Heilkunde-Zentrum in Johanniskirchen und arbeitet dort als Heilpraktikerin mit den Tätigkeitsschwerpunkten Homöopathie und Psychotherapie.
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Originalausgabe, Juni 2011
© 2011 Wilhelm Goldmann Verlag, München
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Lektorat: Michael Schaeffer
SH · Herstellung: CB
Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN 978-3-641-05967-5V003
www.arkana-verlag.de
»Eure Seele ist oft ein Schlachtfeld, auf dem Vernunft und Verstand einen Kampf ausfechten gegen Leidenschaft und Gelüst.
Oh, könnte ich doch Friedensstifter sein in eurer Seele und Missklang und Zwietracht in eurem Wesen in Einklang und Harmonie verwandeln!
Doch wie vermöchte ich dies, so ihr nicht selber Friedensstifter seid, ja, so ihr nicht alle Wesensarten in euch liebet? Vernunft und Leidenschaft sind das Ruder und die Segel eurer seefahrenden Seele.
Sind Segel oder Ruder gebrochen, so könnt ihr euch nur noch hin- und herwerfen und treiben lassen, oder auf offener See zum Stillstand gezwungen werden.
Denn Vernunft, wo sie allein waltet, ist eine einschränkende Kraft; und Leidenschaft ohne Wärter ist eine Flamme, die ihrer Selbstverzehrung entgegenbrennt.
Daher möge die Seele eure Vernunft zum Gipfel der Leidenschaft entflammen, auf dass sie singe.
Und möge sie eure Leidenschaft lenken mit Vernunft, auf dass diese Leidenschaft ihre tägliche Wiedergeburt erlebe und, dem Phönix gleich, aus eigener Asche auferstehe. Ich wollte, ihr sähet in eurem Verstande und eurem Gelüst nichts anders als zwei geliebte Gäste in eurem Haus.«
Aus »Der Prophet«
von Kahlil Gibran
Persönliche Einleitung
Über Rauchen ist schon unendlich viel gesagt, geschrieben und nachgedacht worden. Von den verschiedensten Standpunkten aus ist es betrachtet, gepriesen und ebenso heftig gebrandmarkt worden. Betrachtet man die Geschichte des Tabaks, so findet man ein wellenförmiges Auf und Ab. Zu allen Zeiten aber hat Rauchen die Menschen gleichsam polarisiert in Befürworter und Gegner. Und auch heute lässt das Thema nur sehr wenige völlig kalt. Rauchen ist und war uns in der Vergangenheit nie gleichgültig. Ein Blick zurück auf seine bewegte Entwicklung enthüllt, wie eng die Haltung zum Rauchen mit dem eigenen Leben und Lebensgefühl verbunden ist. Fand ein Herrscher persönlich keinen Geschmack am Tabak, so neigte er dazu, ihn zu bekämpfen, und dazu mussten dann sehr viele, sehr gelehrte Argumente herhalten. War er dagegen selbst Raucher, ließ er meist auch die Gelehrten in seinem Reich die vorzüglichen Eigenschaften des Tabaks mit ebenso vielen Argumenten preisen. Das mag uns in der heutigen Situation, wo sich das Rauchen in seiner Wertschätzung gerade wieder von einem Hoch in den Nachkriegsjahren in ein tiefes Wellental bewegt, seltsam anmuten, aber immerhin waren es die Ärzte des 17. Jahrhunderts, die den Tabak als wichtiges und geradezu universelles Heilmittel priesen und ganz wesentlich zu seiner heute weltweiten Verbreitung beitrugen.
Aus dieser Situation will ich als Autor schon vorweg meinen Hintergrund, was das Rauchen betrifft, offenlegen. Denn auch ich werde nichts Objektives und schon gar nichts Wertfreies zu dem alten Thema beitragen können, dafür aber umso mehr von subjektivem Erleben Geprägtes und Gefiltertes. Und dieses Erleben ist durchaus nicht eindeutig, sondern von jener Gegensätzlichkeit, die seit jeher Diskussionen über das Rauchen prägte. Als engagierter Nichtraucher habe ich in den verunsicherten Zeiten meiner Pubertät zu rauchen begonnen, vor allem auf Partys und an Orten, wo es uns verboten war. Aus dieser Protesthaltung habe ich sogar für ein Schüler-Raucherzimmer an meinem Gymnasium gekämpft, allerdings hauptsächlich, weil die Lehrer auch eines hatten. Mir hat Tabak nie geschmeckt, und so habe ich nie regelmäßig geraucht. Nach zirka zwei Jahren war dann auch das gelegentliche aktive Rauchen für mich vorbei, und die Zeit des passiven Rauchens begann. Solange es eine einzelne Freundin war, die mich in ihre Nebelschleier hüllte, blieb ich tolerant. Das änderte sich erst mit den Erfahrungen in der Studentenbewegung, wo mit rauchenden Köpfen und Zigaretten nächtelang zuerst die Universität und dann die ganze Welt verbessert wurde. Nicht nur die praktische Umsetzung unserer umwälzenden Ideen, auch mein persönliches Wohlbefinden ging bei diesen Treffen stets bald im blauen Dunst unter.
Aus der anfänglichen Verblüffung über die Unempfindlichkeit gegenüber dem eigenen Gestank und der Intoleranz gegen die mit dem Lüften verbundene Kühle wuchs rasch heftiger Widerstand in mir, der sich mit entsprechend passenden Argumenten wappnete: »Wie, um Himmels willen, können wir ernsthaft über einen neuen Krankheitsbegriff, eine menschlichere Medizin, ein besseres Gesundheitswesen diskutieren, wenn wir uns gleichzeitig eine solche Rauchhölle schaffen?« usw. Auch das fortschreitende Medizinstudium lieferte natürlich einiges an zusätzlicher Munition gegen das Rauchen, das mir inzwischen als dumme und gefährliche Unsitte erschien. Erst mit Beginn der praktischen ärztlichen Arbeit und vor allem während vieler Psychotherapien wurde mir durch den eigenen Dunstschleier von Antiraucheremotionen hindurch bewusst, wie sehr Rauchen ein Symptom unter anderen ist und die gleiche Achtung und Behandlung verdient. Der Aspekt des Genusses aber blieb mir – aufgrund mangelnder eigener Erfahrungen – völlig verschlossen.
Als ich Margit, die Frau meiner ersten Lebenshälfte, die auch das Kapitel zu den Raucher-Archetypen beigetragen hat, kennenlernte, war ich verblüfft, wie heftig ich mich in eine richtige Raucherin verliebt hatte. In diesem Zustand war es natürlich leicht, ihr Rauchen zu tolerieren, aber noch schöner war, wie sie es mir zuliebe aufgab. Sie schien auch keinerlei Entzugserscheinungen oder sonstige unangenehme Erfahrungen in dieser Zeit durchzumachen und entwickelte sich im Laufe eines Jahres zu einer echten Nichtraucherin – dachte ich. Aber auch noch nach einem Jahr der Tabakabstinenz war nicht zu verkennen, wie sehr ihr besonders an einigen markanten Zeitpunkten des Tages, wie nach dem Essen, etwas fehlte.
Während sie etwa nach dem Kaffee meine rauchende Schwester beneidete, bekam ich erstmals ein Gefühl von jenem Genuss, den Rauchen offenbar beinhalten konnte.
Später haben wir im Zusammenleben »empirisch« einen guten Mittelweg für uns beide gefunden. Sie wurde eine bewusste Genussraucherin, mit drei bis vier Nachtisch-Rauchritualen pro Tag, und ich steigerte meinen Zigarettenkonsum ebenfalls auf ein bis zwei Gesellschaftszigaretten – allerdings pro Jahr.
Im Laufe von 25 Jahren stellte sich dann heraus, dass ich auch auf die Gesellschaftszigaretten gern verzichtete, während die Raucher in der Gesellschaft zunehmend unter Druck gerieten. Sie wurden gleichsam zum Freiwild erklärt, auf die alle Probleme unseres Gesundheitssystems projiziert wurden, und fingen an, mein Mitgefühl zu erregen. Zwar blieb ihr Ritual für mich weiterhin nicht nachvollziehbar – etwa gleichbedeutend mit dem Saugen am Auspuff eines im Stand laufenden Autos –, aber ich lernte die Macht der Rituale im Allgemeinen zunehmend zu respektieren, erkannte in den Rauchern die Opfer einer großangelegten Projektion und entwickelte geradezu Solidarität mit ihnen.
Nachdem schon Mediziner begonnen hatten, so ziemlich all ihre Probleme auf ihr Rauchen zu schieben, wurden sie schließlich auch noch von ihrer eigenen (Zigaretten-)Industrie schmählich im Stich gelassen. Diese war in den USA erfolgreich auf so horrende Schadensersatzsummen verklagt worden, dass sie beschloss, mit den Antirauchern gemeinsame Sache zu machen und auf jede Schachtel grauenhafte Warnungen zu drucken, die Letztere noch als ihren Erfolg verkaufen konnten, was sie peinlicherweise auch taten. Jetzt konnte niemand mehr klagen, denn er war ja gewarnt worden.
Das aber hat natürlich den zwar unbeabsichtigten, aber nichtsdestoweniger wirksamen (Neben-)Effekt der sogenannten selbsterfüllenden Prophezeiung (selffulfilling prophecy). Kurz übersetzt: Wenn man sich lange genug etwas einredet, wird es wahr. So schaden nun auch noch die in Drohpackungen verwandelten Zigarettenschachteln und nicht nur die darin enthaltenen Glimmstängel. Es wäre zu überlegen, Staaten zu verklagen, die solch eine nachweislich krankmachende Angstmache tolerieren.
Schließlich wurden die Raucher in der EU auch noch zu den Prügelknaben für alle Defizite im Gesundheitsbereich herangezogen. Wo man mit der Gesundheitspolitik schon sonst nicht vorankam, wollte man es wenigstens den Rauchern zeigen und tat das dann auch – ausnahmsweise einmal wirklich nachhaltig.
Mit absurden Rechenspielen versuchte man die Raucher selbst und die Bevölkerung zu überzeugen, dass diese die Gemeinschaft Unsummen kosteten – an Geldern für medizinischen Einsatz und durch Fehlzeiten.
Die unpopuläre Wahrheit sieht aber ganz anders aus, die Raucher »feiern« gar nicht so dramatisch krank wie behauptet, nutzen sie ihre Droge doch eher zum Fitmachen. Vor allem aber zahlen sie durch die Tabaksteuer solche Summen in den Staatssäckel, dass diese annähernd den ganzen Gesundheitsetat des Bundesgesundheitsministeriums in Deutschland übersteigen.
Und last but not least steht sich die Gemeinschaft letztlich wirklich günstig mit ihnen, weil sie in der Regel die Altersversorgung kaum in Anspruch nehmen und dezent früh abtreten. Das wirkliche Problem ist demgegenüber der Gesundheitsapostel, der immer auf sich geschaut hat, mit 65 in Pension geht und erst mit 98 stirbt. Er kassiert 33 Jahre Pension und kommt die Gemeinschaft ungleich teurer als ein sich im Regelfall früh verabschiedender Raucher.
Inzwischen haben selbst Hochburgen der Raucher in Gestalt von Ländern wie Italien komplett kapituliert und sie des Feldes oder jedenfalls fast aller Felder verwiesen. In käfigartigen absurden Gehäusen dürfen sie hin und wieder – etwa auf Flughäfen – noch ihrem Laster frönen, dann allerdings meist in dichteste Wolken gehüllt, sodass auch das Passivrauchen noch wirklich relevant wird. Raucher verdienen heute wirklich Mitgefühl! Sie sind nicht an allem schuld und nicht mal am meisten, sie tun sich in diesen schweren Zeiten wirklich etwas an mit ihrer Sucht, und die Gesellschaft tut das Ihrige, um ihre schwere Situation noch – bei jeder sich bietenden Gelegenheit – zu verschärfen.
Kapitel 1
Ein Volk von Rauchern in einer Welt von Rauchern
Einige Zahlenbeispiele um den Tabak
So weit man schaut, findet sich kein Thema, das die Gemüter von Rauchern und Nichtrauchern, Politikern, Werbefachleuten, Krankenkassen, Ärzten und Gesundheitserziehern so bewegt. Die Weltgesundheitsorganisation hat das Rauchen zum Risikofaktor Nr. 1 erklärt. Allein für die Bundesrepublik Deutschland gibt die Regierung für ein einziges Jahr (1974) die Zahl der auf Rauchen zurückzuführenden Todesfälle mit 140 000 an. Von den 23 700 an Lungenkrebs Gestorbenen waren tatsächlich 98 Prozent Raucher. Bei 20 Zigaretten täglich sinkt laut Statistik die Lebenserwartung um fünf Jahre, bei 40 um acht Jahre. Findige Statistiker haben daraus errechnet, dass jede Zigarette das Leben um eine Viertelstunde verkürze. Zu all den an Lungenkrebs und Herzinfarkten Gestorbenen kommen pro Jahr noch über 10 000 Amputationen wegen rauchbedingter Gefäßverschlüsse – kein Wunder, wenn der Volksmund die Zigarette auch »Sargnagel« nennt.
Staunend hören wir, Zigarettenrauch enthalte tausendmal mehr Staubteilchen als der dichteste je gemessene Smog. Bereits zehn in einem 30 Quadratmeter großen Raum gerauchte Zigaretten bringen den Formaldehydgehalt auf das Dreifache des zulässigen Höchstwertes, und auch andere Grenzwerte werden locker von den Rauchern überboten. Dafür lägen männliche Raucher 33 Prozent über ihren nichtrauchenden Kollegen, was die Arbeitsausfälle angeht, Raucherinnen sogar 45 Prozent. Den volkswirtschaftlichen Schaden aus dem Rauchen berechnete man für das Jahr 1974 mit 50 bis 60 Milliarden der damals noch gültigen guten alten DM. Wie sehr diese Zahlen zu relativieren sind, zeigte schon die Einleitung. Aber es kommt noch schlimmer:
Tatsächlich wissen alle Bürger durch entsprechende Meinungsmache, dass Rauchen Krebs verursacht – eben die erwähnte Zahl: Von 100 Bronchialkarzinompatienten waren 98 Raucher. Aber wer weiß schon, wie viele von 100 Rauchern, statistisch gesehen, ein Bronchialkarzinom bekommen? Das sind in Worten: zwei von hundert.
Also eigentlich – gemessen an dem Geschrei – verblüffend wenige! Aber da diese Zahl nicht ins Konzept passt, wird sie tunlichst verschwiegen, auch wenn sie wahr ist. Ein ganz anderer Zusammenhang wird ebenso verschwiegen: Wie viele von jenen Menschen, die in der zweiten Lebenshälfte ihren langjährigen Partner verlieren, haben ein Jahr später Krebs? Über 60, also über 60 Prozent! Aber auch diese Zahl passt nicht ins Konzept einer Gesellschaft und ihrer Schulmedizin, die die seelischen Zusammenhänge nicht berücksichtigen will, und wenn sie einmal darauf gestoßen wird, wie bei der entsprechenden Untersuchung, das wenigstens mehr oder weniger ignoriert.
Lieber wird die Schreckensliste bezüglich des Rauchens fortgesetzt, was auch beliebig möglich ist. Das Rauchen und seine Anhänger sind so dankbare Angeklagte, Beweismaterial gegen sie steht in Hülle und Fülle zur Verfügung. Hinzu kommt noch erleichternd die geringe Gegenwehr der Angeklagten. Sie verteidigen sich kaum.
Zur ersten Schreckensliste gehört aber unbedingt noch eine zweite ergänzende oder gegenpolige, die einen nicht minder staunen lässt. In den Jahren von 1960 bis 1979 stieg der bundesdeutsche Jahreszigarettenverbrauch von 77,7 auf 141 Milliarden Stück, was einer Steigerung von 86 Prozent oder einer Erhöhung des Tageskonsums von 11 auf 21 Stück entspricht; Anfang der Achtziger waren es schon 30 Stück. Pro Jahr wurde in der Bundesrepublik eine Milliarde DM für Zigarettenwerbung ausgegeben, 750 000 Automaten machen die Zigaretten überall, jederzeit und für jeden ohne (Alters-)Unterschied verfügbar. Die Weltanbaufläche für Tabak betrug 1979 sage und schreibe 4,345 Milliarden Hektar, auf der 5,5 Milliarden Tonnen Tabak produziert wurden. Allein die EG subventionierte den Tabakanbau noch 1990 alljährlich mit 600 Millionen DM. 18 Millionen bundesdeutscher Raucher dankten es und vermehrten sich munter weiter. Von 1974 bis 1984 stieg der Raucheranteil an unserer Gesamtbevölkerung von 35 auf 37 Prozent. Im Jahr 1984 wurden weltweit 4 695 734 000 000 (fast 4,7 Billionen) Zigaretten produziert, die selbstgedrehten und 675 Milliarden indischer Bidis noch nicht mitgerechnet. Diese zweite Liste mag die Bestürzung nicht gemindert, sondern eher in Verwirrung verwandelt haben und verlangt geradezu nach der dritten Liste.
Ein Ausschnitt aus ihr liest sich so: Die legalen Einnahmen des Staates aus der Tabaksteuer betrugen 1983 nicht weniger als 14 674 692 100 DM und lagen damit nur ganz knapp unter dem Gesamtetat des Gesundheitsministeriums. Die illegalen Einnahmen der Parteien aus der Tabakindustrie lassen sich nur anhand der Spitze des Eisberges schätzen. 1948 wurde der größte deutsche Zigarettenproduzent Reemtsma zu 10 Millionen DM Strafe verurteilt, weil er die NSDAP großzügig und illegal gefördert hatte – Hermann Göring hatte bei der Gelegenheit persönlich 7 Millionen Reichsmark erhalten. 1985 wurde bei einem Steuerhinterziehungsprozess gegen Reemtsma-Manager publik, dass von 1965 bis 1980 zirka 6 Millionen DM über die Stiftungen von CDU, FDP und SPD in deren Parteikassen geflossen waren.1Dass der Großteil der riesigen Weltanbaufläche gerade in den ärmeren Ländern der Erde liegt, denen es oft genug an Nahrungsmitteln fehlt, wird verständlich, wenn man weiß, dass nur mit dem Anbau der illegalen Drogen Opium, Kokain und Marihuana noch mehr Geld zu erwirtschaften ist. Eine wichtige Rolle in der Tabakpolitik mögen auch noch die 15 Millionen Bauern (übrigens auch in der deutschen Pfalz) spielen, die vom Tabakanbau leben. Allein in der Bundesrepublik hängen 140 000 Arbeitsplätze von der Zigarettenindustrie ab. Ganz entscheidend dürfte aber sein, dass 18 Millionen bundesdeutsche Raucher fast durchweg im wahlberechtigten Alter sind.
Diese dritte Liste mag ein wenig Licht auf die Diskrepanz zwischen veröffentlichten Politikerreden und verabschiedeter Gesetzesrealität werfen. Da wird es verständlicher, warum Nikotin, dessen Suchtpotenzial zu den höchsten überhaupt gehört (höher als bei Opiaten) und dessen gesundheitliche Gefährlichkeit weit über anderen Drogen liegt, doch rechtlich nicht als Droge eingestuft wird. Zigaretten werden offiziell auch noch vor den strengen Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes geschützt. Ein anschauliches Abbild dieser Situation lieferte die Bonner Regierungsmannschaft im Jahre 1990, die intern ein Rauchverbot vor laufenden Fernsehkameras einhielt. Sobald die Herren dann aber wieder unter sich waren, hieß es: Feuer frei. Nach all dieser Informationspolemik wollen wir die Situation auf einer etwas tieferen Ebene betrachten. Was uns da auf höchster Staatsebene vorgespielt wird, spiegelt nämlich tatsächlich unsere eigene Situation wider. Wir haben genau die Politiker, die wir verdienen, genau wie jede Gesellschaft die Sucht- und Genussmittel hat, die sie verdient. Bevor man irgendwelchen Zorn auf »die da oben« projiziert, sollte man sich klarmachen, dass man tatsächlich auf allen Ebenen der Gesellschaft das gleiche Phänomen antrifft. Die entsprechenden Widersprüche finden sich oben wie unten. Ein Beispiel mag die Basis dieser Widersprüche etwas beleuchten. Die Gesundheitserziehung brandmarkt das Rauchen, weil es das Leben verkürze, und baut auf die Tatsache, dass jeder alt werden will. Tatsächlich will zwar jeder alt werden, aber niemand will alt sein. Das Alter ist bei dem bei uns vorherrschenden Jugendkult viel zu sehr abgewertet. So soll man also kurzfristig auf etwas offenbar Genussvolles verzichten, um langfristig etwas zu werden, was man gar nicht sein will, nämlich alt? So geht das ganze Konzept nicht auf, ebenso wenig wie die Absicht der Politiker, anderen Dinge ausreden oder gar verbieten zu wollen, die sie selbst für sich sehr wohl in Anspruch nehmen. Genau so aber verhalten wir uns alle.
Das ist die Projektion: Wir wollen die Welt verbessern und beginnen damit bei den anderen, uns selbst aber nehmen wir dabei aus. In einer Gesellschaft, deren Prinzip es geworden ist, die Verantwortung ständig abzuschieben, kann natürlich ein Appell an die Eigenverantwortung in Sachen Rauchen und Gesundheit nicht funktionieren, widerspricht er doch der ganzen übrigen Einstellung. Etwas Ähnliches geschah in den Jahrzehnten, wo wir ständig von oben hörten, die Umweltprobleme seien gar nicht so schlimm, und man müsse für Fortschritt und Lebensstandard auch Opfer bringen und Einbußen in Kauf nehmen. Beim Rauchen soll das plötzlich nicht mehr gelten. Und verhalten wir uns nicht, jeder für sich, ganz ähnlich wie »die da oben«? Grundsätzlich ist Dauerfernsehen nicht gut, nur wenn Papa sportbegeistert ist, muss es in Kauf genommen werden.
Alkohol am Steuer ist natürlich abzulehnen, aber auf die eigene kleine Fahne kommt es manchmal nicht so an. Wer von uns verhält sich schon in allen Punkten so, wie er es von anderen erwartet?
Rauchen und die Politik drumherum sind ein vorzüglicher Spiegel, um sich selbst und die Gesellschaft kennenzulernen. Am besten aber lernt man die Gesellschaft an ihren Schattenseiten zu durchschauen, genau wie sich selbst. Eine ausführliche Einführung ins »Schattenprinzip« bietet das gleichnamige Buch2.
Die Tabakpflanze: Basis des Rauchens
Die Basis des Rauchens, den Tabak, liefert die einjährige Pflanze Nicotiana tabacum, die wie Kartoffel und Tollkirsche zu den Nachtschattengewächsen gehört und von der heute über 700 Arten gezüchtet werden. Sie ist die weltweit am meisten verbreitete nicht essbare Kulturpflanze; ihr Anbau gehört zu den arbeitsintensivsten überhaupt und ist hundertmal aufwendiger als der Weizenanbau. Die Pflanze produziert ein Gift, das Alkaloid Nikotin, um sich gegen Insektenfraß zu schützen. Je trockener der Boden, desto mehr Nikotin produziert die Tabakpflanze in ihren Wurzeln und speichert es in den gefährdeten Blättern. Solch besonders nikotinhaltiger Tabak wird heute nur noch zur Herstellung von Pflanzenschutzmitteln angebaut. So wird verständlich, warum der Zigarettenrauch so wirksam Insekten abhält. Die Tabakpflanzen müssen ständig ihrer Blüten beraubt, d.h. geschlechtlich kastriert werden, damit sich genug Blätter bilden; die Blüten nämlich enthalten kein Nikotin. Bei der anschließenden Trocknung und Fermentierung sinkt der Nikotinanteil um 70 Prozent, der des Kondensats um 40 Prozent, wodurch die Industriezigaretten durchaus harmloser sind als die urwüchsigen Zubereitungen der Indianer.
Allein für die Feuerholzgewinnung zum Trocknen des Tabaks werden weite Waldbereiche gerodet und vor allem in Afrika nicht mehr aufgeforstet. So wird für die Produktion von einer Tonne Tabak ungefähr ein Hektar Wald geopfert. Das Alkaloid Nikotin gehört zu den sehr starken Giften und entspricht hier der Blausäure HCN, die die Nazis in ihren berüchtigten Gaskammern verwendeten und die übrigens zusätzlich in nicht geringer Konzentration im Zigarettenrauch zu finden ist. Das Kondensat, das erst bei der Verbrennung des Tabaks entsteht, ist einer der wirksamsten Krebsauslöser, die wir heute kennen, und enthält mit dem Benzpyren das stärkste überhaupt bekannte Karzinogen.
Die Pflanze wächst fast überall, am besten gedeiht sie aber in Nord- und Südamerika, in China, Indien und der orientalischen Türkei. Die ursprüngliche Heimat ist das Amerika der Indianer, und so sehen manche Gegner im Tabak die späte Rache des roten Mannes. Tatsächlich sind ungleich mehr Weiße durch ihren Tabak als durch die Indianer selbst umgekommen. Der »Fluch des Tabaks«, wenn man so will, hat sich über die ganze Welt verbreitet. Es gibt heute kein Land mehr, wo nicht geraucht würde, und so hat der Tabak langfristig weit härter getroffen als die Syphilis, das andere Mitbringsel aus Amerika. Wohl nie ist für geraubtes Land und Gold so intensiv und freiwillig über so viele Generationen bezahlt worden.
Allerdings haben die Indianer nichts davon, sondern leiden heute gleichfalls unter den im Vergleich zu damals völlig veränderten Rauchsitten. Tatsächlich war für sie Rauchen ein rituelles Geschehen, das sie in Kontakt mit ihren Göttern brachte. Man hat heute bei abgeschieden lebenden indianischen Völkern nachweisen können, wie ihr Gebrauch des Tabaks keinerlei gesundheitliche Probleme mit sich bringt. Erst durch die völlige Herauslösung aus dem rituellen Rahmen und die damit einhergehende Profanisierung wurde der Tabak zur Gefahr und setzte die größte je auf dieser Welt währende Drogenepidemie in Gang.
Natürlich ist es lächerlich, die Schuld dafür dem Tabak oder gar den Indianern zu geben. Schuldzuweisung ist immer Projektion und schon deshalb grundsätzlich sinnlos. Genauso gut könnte man den Messwein des christlichen Abendmahles für die Alkoholprobleme der Welt verantwortlich machen. Tatsächlich hat ja die Profanisierung des Alkohols nicht nur, aber auch die Indianer in Gestalt des Feuerwassers hart getroffen. Je ritueller und sicherer in Traditionen eingebettet Drogengenuss abläuft, desto harmloser ist er offenbar gesundheitlich. Erst wenn ritueller Rausch und religiöse Ekstase ihren Platz in einer Gemeinschaft oder einer Kultur verlieren, können sie aus dem Schatten, aus dem gesellschaftlichen Unbewussten heraus gefährlich werden. Und sie werden dies über die Drogen der alten Rituale, die durch ihre Profanisierung und anschließende massenhafte Verbreitung der Stoffe zu Suchtmitteln werden. War früher der rituelle Rausch ein Teil der ewigen Suche der Menschen, endet heute die Suche vielfach in der Sucht, im Rausch.
1
2 Ruediger Dahlke: Das Schatten-Prinzip. Goldmann Arkana, München 2010.
Kapitel 2
Krankheit als Ausdruck seelischer Wirklichkeit
Der Symptombegriff und die Polarität
Wie immer wir das Phänomen des Rauchens benennen, ob als Quelle von Genuss, Ärger, Befriedigung, Steuereinnahmen oder als Sitte, Sucht, Anschlag auf die Gesundheit oder Krankheit – es bleibt ein Phänomen unserer Zeit und Gesellschaft und verändert sich durch die vielfältigen Namen nicht. Insofern können wir ihm über Benennungen, die auch noch mit so viel Wertung befrachtet sind, sicher nicht gerecht werden. Jede dieser Bewertungen hat zwar jeweils ihre Berechtigung: Was dem einen Genuss, ist dem anderen tatsächlich eine Quelle des Ärgers. So scheint es durchaus angemessen, dem einen Vorgang verschiedene Bezeichnungen zu geben, je nachdem, welcher Aspekt im Vordergrund steht. Hier soll es aber nicht um Be-Wertung, sondern um Be-Deutung gehen. Und da mag es Entspannung in die oft hitzige Diskussion bringen, wenn wir von einem »Symptom« sprechen und diesen Begriff nicht über Gebühr werten. Rauchen ist wohl unbestritten auch ein Symptom unserer Zeit. Es fördert seinerseits bestimmte seelische Symptome bei seinen Anhängern und Gegnern zutage, produziert Symptome im Körper, wie es dann auch selbst Symptom einer seelisch-geistigen Grundhaltung ist. Das gilt für die moderne Industriegesellschaft ebenso wie für die archaische der Indianer.
Gemeinhin ist uns der Begriff »Symptom« aus der Medizin bekannt, wo er, wiederum stark bewertet, für einen unguten, unangenehmen Zustand unseres Organismus steht, der uns aufgrund eines unseligen Fehlers in uns oder unserer Umwelt trifft und so schnell wie möglich zu beseitigen ist. Wir wollen hier nun diesen Fehler nicht zur Seite schieben, sondern im Gegenteil ernst nehmen, von ihm lernen, was uns fehlt. Insofern wollen wir das Symptom auch von seinem negativen medizinischen Beigeschmack (er-)lösen, es vielmehr zu unserem Wegweiser, letztlich zum Helfer machen. Wie wir uns normalerweise mit Ärzten gegen das Symptom verbünden, können wir uns gedanklich auch auf seine Seite stellen und von dort nachsehen, was mit uns nicht stimmt oder uns eben fehlt. Tatsächlich fragten die alten Ärzte immer: »Was fehlt Ihnen?« Und die Patienten antworteten mit ihren Symptomen, können sie doch das fehlende Prinzip enthüllen.
Weiterhin können wir den Symptombegriff entlasten, indem wir feststellen, wie – ohne Ausnahme – jeder Mensch Symptome hat. Es ist gar nicht die Frage, ob Symptome vorhanden sind, sondern lediglich, von welcher Schwere bzw. Bedeutung sie sind. Von hier ist es nur ein kleiner Schritt zu der Feststellung, jeder Mensch sei krank; eine Tatsache übrigens, die uns aus allen Religionen geläufig ist. Der Mensch braucht notwendig und grundsätzlich den Heiland, weil er eben noch nicht heil ist. Dieselbe Idee verbirgt sich in der Lehre von der Erbsünde. Das Wort »Sünde« kann uns hier zum Schlüssel werden, kommt es doch von »absondern« und heißt in seiner griechischen Urbedeutung auch »den Punkt verfehlen«. Tatsächlich sind wir durch unsere Geburt in diese Welt aus Gegensätzen von der Einheit abgesondert, oder, anders ausgedrückt, wir haben den Punkt verfehlt.
Der Punkt ist in allen Kulturen ein Symbol der Einheit, wie es besonders deutlich am Mittelpunkt eines Mandalas wird. Selbst in der Mathematik ist der Punkt ein dimensionsloses Symbol. So könnte auch der Begriff »Sünde« einiges von seiner moralisierenden Bewertung verlieren. Als Wesen dieser polaren, in Gegensätze aufgespaltenen Welt sind wir alle von der Einheit getrennt und damit abgesondert bzw. sündig. Und das ist weder ungerecht noch schlimm, sondern notwendig für uns und unsere Entwicklung. Die Polarität der Welt der Gegensätze ist nicht schlecht, sondern der notwendige Gegenpol zur Einheit und unsere einzige Chance, zu erkennen und uns in Richtung Einheit zu entwickeln. Mit unserem polaren Bewusstsein können wir die Einheit überhaupt nicht erfassen und sind deshalb ständig auf die Gegensätze angewiesen. Wir wüssten nicht, was »hoch« ist ohne »tief«; »arm« wäre sinnlos ohne »reich«. Jeder unserer Begriffe bekommt seine Bedeutung erst über seinen Gegenpol. Erkenntnis ist in der polaren Welt gar nicht anders möglich.
Insofern war Evas Naschen vom Baum der Erkenntnis (von Gut und Böse) im Paradies auch kein schlimmer Fehler, sondern der konsequente Beginn des Entwicklungsweges. Ein Fehler wohl, aber ein notwendiger; half er doch, das Fehlende, nämlich Erkenntnis, zu erlangen, und er führte damit konsequenterweise in die Welt der Gegensätze, die Absonderung von der Einheit des Paradieses.
Fassen wir zusammen: Wir sind Sünder bzw. von der Einheit Abgesonderte und haben alle Symptome, und das ist in der Polarität auch nicht anders möglich.3
Symptome als Helfer
Bevor wir uns anschauen, wie wir die Symptome zu unseren Wegweisern machen können, noch einige Erklärungen zur ungewohnten Wertschätzung dieser gemeinhin als Störenfriede verfolgten Genossen.
Ganz pragmatisch können wir uns eingestehen, Symptome waren schon immer zumindest Wegbegleiter. Wir tragen sie mit uns durchs Leben, ob wir sie schätzen oder nicht. Viele Menschen lassen sich über Jahrzehnte von ihnen begleiten, ohne nach ihrem Sinn zu fragen. Das scheint mir eine sehr verschlossene und abweisende Haltung, die offensichtlich den Weg nicht erleichtert, sondern erschwert.
Auf unserer irdischen Lebensreise sammeln wir vieles auf und nehmen es mit. Ja, wir wollen möglichst viel, am liebsten sogar alles besitzen, in der Vorstellung, dadurch glücklich zu werden. Das Leben von Weltherrschern und Steinreichen könnte uns diese Vorstellung als Illusion entlarven. Trotzdem versuchen sehr viele Menschen, ganz zu werden, indem sie möglichst große Teile der Welt in ihren physischen Besitz bringen. Müssten sie von diesem Besitz etwas ersatzlos abgeben, würde es ihnen subjektiv fehlen. Auf derselben Lebensreise sammeln wir aber auch Symptome auf, und auch sie würden uns zur Ganzheit fehlen, müssten wir sie ersatzlos loslassen; weshalb die meisten Menschen sich auch an ihre Symptome klammern.
Das Streben nach Ganzheit oder Vollkommenheit ist zu tief in uns verwurzelt, als dass wir davon lassen könnten. So, wie wir mit dem Erwerb eines Hauses zeigen, wie uns bis jetzt ein eigenes Heim gefehlt hat, zeigen wir mit dem Erwerb eines Symptoms, wie sehr uns dieses (Prinzip) bis jetzt gefehlt hat. Bisher mag dieses Thema nicht an der Zeit gewesen sein, aber jetzt ist es so weit, und da kaufen wir das Haus oder bekommen das Symptom. Beides ist ein Segen, wie wir im ersten Fall so leicht, im zweiten vielleicht erst später einsehen werden.
Aus unserer normalen Lebenserfahrung wissen wir eigentlich, wie auch Besitz zur Last werden kann und dass ein Symptom zum Segen wird, wenn es die Augen für Wesentliches öffnet und das Steuer des Lebensschiffes in einer entscheidenden Situation herumreißt. Zumindest jeder Arzt kennt einige Patienten, die »ihrem Herzinfarkt« oder gar überstandenen Krebs dankbar sind für all das, was sie durch die Krankheit lernen konnten. Es ist wieder »nur« eine Wertfrage, die allerdings in unserer Gesellschaft sehr einseitig entschieden ist. Auch das muss nicht so sein. Viele naturverbundene Völker kennen Einweihungskrankheiten, die manchmal geradezu ersehnt, immer aber dankbar akzeptiert werden. So kann jemand nur Schamane werden, wenn ihn ein entsprechendes Krankheitsgeschehen initiiert. Auch bei uns wissen noch einige Mütter um den Wert von Kinderkrankheiten für die Entwicklung.
Wie immer unsere Einstellung zu Symptomen ist, sie sind Weggenossen und viel schwerer loszuwerden als aller materielle Besitz. Sie sind tatsächlich so wenig loszuwerden wie der Schatten an einem Sonnentag, und das hat seine tiefere Bewandtnis. Man kann wohl durch einige einfache Tricks den Sonnenschatten scheinbar abschütteln, indem man zum Beispiel aus der Sonne flieht. Sobald man aber wieder ins Licht tritt, ist auch der Schatten wieder da. Ganz ähnlich ist es mit den Symptomen. Man kann sie zeitweilig etwa mit Schulmedizin unterdrücken in jenem ebenso populären wie gewinnträchtigen Gesellschaftsspiel: Das Symptom wird von Organ zu Organ, der Patient von Spezialist zu Spezialist verschoben. Betrachtet man es aber im Licht einer entsprechend tief leuchtenden Therapie, wird man das Symptom – in seiner äußeren Form vielleicht gewandelt, in seiner Aussage jedoch unverändert – wiederfinden. Das Symptom ist eben ein Teil unseres psychologischen Schattens.
Die »Ursache«
Mit dem Schatten kommen wir zu einem entscheidenden Thema für jede Betrachtung psychologischer und medizinischer Fragen. Ihn zu übersehen gelingt nur, wenn man sich auf eine sehr oberflächlich-phänomenologische Ebene beschränkt, wie es etwa Schulmedizin und -psychologie tun. Dort wird davon ausgegangen, wir würden rein zufällig von bestimmten Symptomen getroffen, hinter denen vielleicht einige Erreger oder Konflikte stecken, aber kein tieferer Sinn. Da nach diesem Sinn, wegen der selbst auferlegten Schranken, nicht gefahndet wird, kann er auch natürlich nicht gefunden werden, und man beschränkt sich auf oberflächliche Beschreibungen und Symptomtherapie.
Sobald wir uns aber für den Sinn der Symptome und die ihnen eigene Sprache interessieren, werden wir fündig. Dieses Vorgehen wird allerdings von den Schulrichtungen als »unwissenschaftlich« gebrandmarkt. Dazu wäre viel zu sagen, denn dieser Vorwurf lässt sich heute komplett an die Schulmedizin zurückgeben. Tatsächlich gibt es die »Wissenschaft« gar nicht, sondern die Naturwissenschaft begann irgendwann, sich als »die Wissenschaft« zu fühlen, wobei die Geisteswissenschaften, für die die Sinnfrage immer relevant war, unter den Tisch fielen. Inzwischen sind auch sie aus naturwissenschaftlicher Sicht »unwissenschaftlich«. Das wirklich Peinliche an der heutigen Situation ist, dass sich die Naturwissenschaft, genauer die Physik, inzwischen so weit vorgearbeitet hat und das Kausalitätsprinzip, die Basis der bisherigen Wissenschaft, ad absurdum führt und damit der »Wissenschaft« ihre Grundlage entzieht. Die Physik kann heute beweisen, dass es Kausalität nicht gibt und stattdessen eine uns logisch noch unerklärliche Synchronizität herrscht. Damit aber hängen Schulmedizin und -psychologie, die immer und ausschließlich noch die Ursachen in der Vergangenheit suchen, eigenartig in der Luft.
In unserer Vorstellung müssen wir aber wohl oder übel mit Kausalität weiter umgehen, so wie wir auch weiter von einer konstanten Zeit ausgehen, obwohl wir seit Einstein von deren Relativität wissen. Allerdings gibt es nach der von der Physik geleisteten Relativierung der Kausalität überhaupt keinen Grund mehr, das eine Kausalitätsverständnis der alten Schulwissenschaft über alles andere zu stellen. Im Alltagsleben taten wir es sowieso nie. Wir sagen zum Beispiel: »Ich komme jetzt an, weil ich vor einer Stunde zu Hause losgefahren bin.« Diese Begründung (Kausalität) ist schulwissenschaftlich in Ordnung, weil die Ursache (mein Losfahren) in der Vergangenheit liegt. Wir sagen aber genauso: »Ich muss jetzt gehen, weil ich in zwei Stunden in München sein will.« Hier liegt die Ursache (mein In-München-sein-Müssen) in der Zukunft, und das wäre schulwissenschaftlich eine inakzeptable Kausalität.
Die Beschränktheit dieser Einstellung, die auch heute noch, im Zeitalter der modernen Physik, vehement von vielen Universitätskathedern gepredigt wird, mag an einem einfachen Beispiel klarwerden. Dazu wollen wir uns spaßeshalber einem beliebigen bewegten Vorgang auf »wissenschaftliche« Art nähern. Jeder Vorgang wäre dazu geeignet, und wir wollen ein Spiel wählen, das alle kennen: Fußball. Die erste Schwierigkeit liegt in der Komplexität dieses Spiels. Die »Wissenschaft« ist mit lebendigen Prozessen schnell überfordert, weil sie so vielfältig sind, und muss kleine Abschnitte herausschneiden, um sie im Detail zu analysieren. So ist etwa der ganze Mensch viel zu umfassend, und man widmet sich ihm lieber scheibchenweise. Mit dieser Zerstückelungstechnik ist der »Wissenschaft« das Leben bisher konsequent durch die Lappen gegangen. Bei der Analyse des Fußballspiels müssen wir nun notgedrungen so ähnlich vorgehen und wollen uns eine kleine Episode herausschneiden, eine Strafstoßsituation nach einem Foulspiel.
Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt, ein Stürmer läuft an und tritt den Ball. In diesen Augenblick legen wir unseren Schnitt und stellen die wissenschaftliche Standardfrage: »Warum tritt der Stürmer den Ball?« Nun müssen viele Elfmetersituationen untersucht werden, um den Grund zu finden. Das ist nicht leicht, denn nichts bleibt konstant, es ist immer wieder ein anderer Spieler, der anläuft, immer wieder ein anderer Ball. Die Schiedsrichter wechseln wie auch der Rasen, die Zuschauer, das Stadion. Es ging wohl oft ein Foulspiel voraus, aber niemals dasselbe und manchmal auch nur ein Handspiel. Schließlich aber, nach langem Forschen, wird die eine, immer wiederkehrende (d.h. reproduzierbare) Ursache für den Elfmeter entdeckt: Es ist der Pfiff des Schiedsrichters. Auch die Pfeife kommt nicht in Frage, wechselt sie doch von Schiedsrichter zu Schiedsrichter. Allein der Pfiff ist konstant, ohne ihn geht nichts. Nun spüren wir wohl ein ähnliches Unbehagen, wie es immer mehr Menschen in Bezug auf die wissenschaftlichen Ergebnisse der Medizin beschleicht. Irgendwie ist uns bei der Analyse das Wesen(tliche) des Fußballspiels entwischt, so wie der Wissenschaft immer wieder das Leben entwischt. Uns fallen da noch andere, wenn auch »unwissenschaftliche« Gründe für den Elfmeterschuss ein: Beispielsweise wäre da der Wunsch, ein Tor zu schießen, vorrangig zu nennen. Dieses Geschehen liegt aber in der Zukunft. Ein anderer Grund läge wohl in den Spielregeln, dem Muster des Fußballspiels, der Tatsache auch, dass schon vorher viele Spiele gespielt und Elfmeter geschossen wurden. Der Spieler bewegte sich also sicher in einem vorgegebenen Muster. Ein eher banaler, aber nicht zu unterschlagender Grund liegt etwa auch in der materiellen Existenz des Balles, des Rasens usw. Damit haben sich zu dem einen wissenschaftlichen noch drei weitere Gründe ergeben.
Mit diesen vier »Ursachen« operierten schon die alten Griechen sehr erfolgreich. Für sie wie für praktisch alle früheren Kulturen hatte somit auch jedes Geschehen und natürlich auch jedes Krankheitssymptom ganz natürlich einen Sinn, der auf die Zukunft zielte, und ein Muster, in dem es verständlich werden konnte. Es ist also, gemessen an der Wirklichkeit, wie sie uns die moderne Physik heute und die hermetische Philosophie schon immer enthüllt, kein bisschen berechtigter, nach Erregern in der Vergangenheit zu forschen als nach dem Sinn in der Zukunft. Beides sind nur gedankliche Hilfskonstruktionen, die zwar der Wirklichkeit nicht optimal entsprechen, aber insofern ihre Berechtigung haben, als sie uns helfen können, dem Gesamtbild eines Symptoms näherzukommen.
Betrachten wir nun Symptome als Bilder oder Muster und fahnden nach ihrer Bedeutung, so finden wir immer einen Sinnzusammenhang mit dem Leben des Betroffenen. Im Symptom bildet sich etwas ab, das der Betreffende bewusst in seinem Leben nicht haben wollte; weshalb alle Symptome, auch medizinisch harmlose wie Warzen, so heftig abgelehnt werden. Kein Wunder, denn aus dem Bewusstsein Verdrängtes macht sich hier frech im Körper breit, benutzt den Körper als Bühne für ein Theaterstück, das wir weder sehen noch hören wollten – und so müssen wir es jetzt fühlen.
Der Energieerhaltungssatz des Lebens
Aus der Physik wissen wir, wie unmöglich es ist, etwas einfach verschwinden zu lassen. Möglich ist lediglich die Umwandlung von einer Erscheinungsform in eine andere; etwa von Eis in Wasser oder Dampf. Die Physik spricht hier von den Erhaltungssätzen. Dementsprechend geht auch im Seelischen nichts verloren. Auch hier ist lediglich Umwandlung möglich. Mit gutem Recht können wir somit von einem Energieerhaltungssatz in der Psychologie ausgehen. Seelische Energie kann sich danach sehr wohl in körperliche Form umwandeln und umgekehrt, aber niemals verschwinden.