Der letzte Tag des Präsidenten - Nagib Machfus - E-Book

Der letzte Tag des Präsidenten E-Book

Nagib Machfus

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Beschreibung

In den Cafés brodelt es. Das Regime unter Sadat hat die Geschäftemacher, Karrieristen und Großgrundbesitzer an die Macht gebracht. Seit der großen »Wende« verdienen nicht einmal jene genug, die sich an zwei Jobs abrackern. Randa und Alwan sind schon seit Jahren verlobt und werden nie genug sparen können, um sich die Hochzeit zu leisten. Zermürbt und verzweifelt trennen sie sich und suchen das Glück auf eigene Faust. Doch dann, an der großen Siegesparade zum Jahrestag des Oktoberkriegs, wird der Präsident ermordet. Dieses Ereignis findet seinen tragischen Widerhall im Leben der Liebenden. Mit höchster Konzentration und Dichte zeichnet Nagib Machfus das Lebensgefühl der Ära Sadat.

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Seitenzahl: 172

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Über dieses Buch

Randa und Alwan sind schon seit Jahren verlobt und werden nie genug sparen können, um sich die Hochzeit zu leisten. Doch dann, an der großen Siegesparade zum Jahrestag des Oktoberkriegs, wird Präsident Sadat ermordet. Dieses Ereignis findet seinen tragischen Widerhall im Leben der Liebenden. – Ein dichtes Porträt Ägyptens in der Ära Sadat.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Nagib Machfus (1911–2006) gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und gilt als der eigentliche »Vater des ägyptischen Romans«. Sein Lebenswerk umfasst mehr als vierzig Romane, Kurzgeschichten und Novellen. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur.

Zur Webseite von Nagib Machfus.

Doris Kilias (1942–2008) arbeitete als Redakteurin beim arabischen Programm des Rundfunks Berlin (DDR). Nach der Promotion war sie als freie Übersetzerin tätig.

Zur Webseite von Doris Kilias.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Nagib Machfus

Der letzte Tag des Präsidenten

Roman

Aus dem Arabischen von Doris Kilias

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 6 Dokumente

Die Originalausgabe erschien 1985 unter dem Titel Yaum qutila az-za’im in Kairo.

Originaltitel: Yawm qutila al-za’im (1985)

© by Nagib Machfus 1985

© by Unionsverlag, Zürich 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30573-1

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 30.10.2024, 12:14h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DER LETZTE TAG DES PRÄSIDENTEN

Muchtaschimi ZajidAlwan Fawwaz MuchtaschimiRanda Sulaiman MubarakMuchtaschimi ZajidAlwan Fawwaz MuchtaschimiRanda Sulaiman MubarakMuchtaschimi ZajidAlwan Fawwaz MuchtaschimiRanda Sulaiman MubarakMuchtaschimi ZajidAlwan Fawwaz MuchtaschimiRanda Sulaiman MubarakMuchtaschimi ZajidAlwan Fawwaz MuchtaschimiRanda Sulaiman MubarakMuchtaschimi ZajidAlwan Fawwaz MuchtaschimiRanda Sulaiman MubarakMuchtaschimi ZajidAlwan Fawwaz MuchtaschimiRanda Sulaiman MubarakMuchtaschimi ZajidWorterklärungen

Mehr über dieses Buch

Über Nagib Machfus

Nagib Machfus: Das Leben als höchstes Gut

Nagib Machfus: Rede zur Verleihung des Nobelpreises 1988

Tahar Ben Jelloun: Der Nobelpreis hat Nagib Machfus nicht verändert

Erdmute Heller: Nagib Machfus: Vater des ägyptischen Romans

Gamal al-Ghitani: Hommage für Nagib Machfus

Hartmut Fähndrich: Die Beunruhigung des Nobelpreisträgers

Über Doris Kilias

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Muchtaschimi Zajid

Noch ein wenig Schlaf, noch ein wenig verweilen, wohlig unter der schweren Decke. Durchs Fenster dringt zartes Licht, das sich dennoch mit Macht das Dunkel des Raums erobert. O Du, mein Gott, Du bist es, der mir befiehlt zu schlafen, Du bist es, der mich erwachen lässt, Du, der Herr, der über alles gebietet. Da – der Ruf zum Gebet, der einen neuen Tag beginnen lässt. Ein Ruf, der in einem Meer allumfassenden Schweigens Deinen Namen preist. O Herr, hilf mir, das warme Bett zu verlassen und hinauszugehen in die grausame Kälte dieses langen Winters. Noch schläft mein kleiner Liebling tief und fest. Lass mich den Weg im Finstern finden, damit ich ihn nicht störe. Wie kalt das Wasser ist, doch in Deiner Gnade finde ich Wärme. Zwiesprache und Entrückung ist das Gebet. Wer Gottes Nähe sucht, dessen Nähe sucht Gott. Ein Tag, an dem ich nicht fühle, Gott wieder ein Stück näher zu sein, bleibt ein Tag ohne Segen.

Genug geträumt, Zeit, die anderen aus dem Bett zu holen. Ich bin der Wecker in dieser geschäftigen Familie. Wie gut, in meinem Alter noch von Nutzen zu sein, und bin ich auch bejahrt, so doch gesund, dank Gottes Huld und Gnade. O ja, nun kann ich das Licht anzünden, an die Tür klopfen und rufen: »Fawwaz!« Und höre ich, wie er sagt: »Guten Morgen, Vater«, gehe ich zurück in mein Zimmer und mache Licht. Viel ist von meinem Schatz nicht zu sehen, denn Bettdecke und Mütze lassen nur Augen, Nase und Mund frei. Wie tief er schläft, aber es hilft nichts. Ich muss ihn aus dem Reich des Friedens in das der Hölle holen. Mit all der Liebe, die ich für ihn und seine Altersgenossen empfinde, flüstere ich: »Alwan …, wach auf!«

Er öffnet die honigfarbenen Augen, gähnt und sagt lächelnd: »Guten Morgen, Großvater.«

Dann fängt das Trippeln und Trappeln, das Rufen und Schwatzen an – der Strom des Lebens wogt zwischen Badezimmer und Diele auf und ab. Ich setze mich vors Radio und höre den Koran, bis schließlich meine Schwiegertochter Hana ruft: »Frühstück ist fertig!«

Das Einzige, was mir von den Vergnügungen des Lebens noch bleibt, ist das Essen. O Herr, unendlich sind die Wohltaten, die Du gewährst, bewahre mich vor Krankheit und Siechtum. Wer kann sich heutzutage noch um andere kümmern, wer kann sich eine Krankheit leisten? Wehe dem, der ins Stolpern gerät und fällt. Zum Frühstück gibts nur noch gekochte Bohnen oder Tamija. So oder so, beides ist wichtiger als der ganze Suez-Kanal. Vorbei sind die Tage von Eiern, Käse, Fleisch und Konfitüre, das war eine andere Zeit, »v. W.« genannt, »vor der Wende«. Die Preise sind verrückt geworden, alles ist verrückt geworden. Wenn Fawwaz noch immer ein bisschen rund ist, liegt es am vielen Brot, das er isst. Hana geht es genauso, nur dass sie obendrein noch frühzeitig altert. Nun, die Fünfzigjährigen sehen heutzutage wie sechzig aus.

»Wir sollen jetzt auch abends im Ministerium arbeiten«, dröhnt Fawwaz mit seiner lauten Stimme. »Also werde ich nicht mehr in die Firma gehen können.«

Unruhe überkommt mich. Fawwaz arbeitet nebenbei noch in einer Privatfirma, in der auch Hana beschäftigt ist, doch ihr Einkommen plus meine Rente und Alwans Gehalt reichen kaum für das Notwendigste. Was soll nur werden, wenn Fawwaz nicht zusätzlich etwas verdient?

»Vielleicht dauert es nur ein paar Tage«, sage ich, um mir ein bisschen Hoffnung zu bewahren.

»Soweit ich kann, mache ich deine Arbeit mit, den Rest bringe ich nach Hause. Ich werde dem Abteilungsleiter erklären, wie deine Lage ist«, erklärt Hana.

Fawwaz sieht sie wütend an. »Du meinst im Ernst, dass ich vom frühen Morgen bis spät in der Nacht arbeiten soll?«

Ich wünsche mir nichts mehr, als wenigstens bei Tisch die Alltagssorgen zu vergessen. Aber wie nur?

»Der Vater von meiner Professorin, Frau Alja Samih, fährt in seiner Freizeit Taxi. Das bringt einen Haufen Geld«, wirft Alwan ein.

»Gehört ihm das Taxi?«

»Glaub schon.«

»Und woher soll ich das Geld für ein Taxi nehmen? Ist der Vater deiner Professorin reich, oder nimmt er Bestechungsgelder?«

»Ich weiß nur, dass er ein geachteter Mann ist.«

»Immerhin verdient er auf ehrliche Art Geld«, sage ich.

Alwan lacht. »Vielleicht mache ich eines Tages auch mal etwas Verrücktes.«

Seine Mutter sieht ihn ernst an. »Was denn?«

»Na, eine Bande gründen und Banken überfallen.«

»Tolle Idee«, knurrt Fawwaz.

Ich wasche die Teller ab, Hana stellt sie in den Schrank, und dann sagen alle »Adieu«, und weg sind sie. Wie immer bin ich ganz allein in der kleinen Wohnung. O Du, mein Herr und Gott, gib ihnen das täglich Brot und bewahre sie vor dem Übel. Herr, beschenke mich mit der Gnade, Dir nahe sein zu dürfen, und lass Dein Wohlgefallen auf mir ruhen. Würde ich jetzt aus dem Haus gehen und alles stehen und liegen lassen, wie es ist, fänden sie abends bei ihrer Heimkehr ein Chaos vor. Ich tue, was ich kann: Ich räume mein Schlafzimmer auf, auch das Wohnzimmer, denn dort sitze ich und höre im Radio den Koran oder Lieder oder sehe im Fernsehen die Nachrichten. Hätte die Wohnung vier Zimmer, könnte Alwan ein eigenes Zimmer haben. Gelobt sei Gott, dass ich Seinen weisen Ratschluss gern auf mich nehme.

Einst, in einem Jahr der Teuerung, wandelte der gottesfürchtige Weise Abu l-Abbas al-Mursi durch Kairo und sah vor einem Bäckerladen eine Menge Leute stehen. Mitleid überkam ihn, und er dachte, wenn er jetzt ein paar Dirhams hätte, würde er den Menschen Brot kaufen. Er griff in die Tasche und fand tatsächlich ein bisschen Geld. Er gab sie dem Bäcker, nahm das Brot und verteilte es unter den Leuten. Gerade als er weggehen wollte, entdeckte der Bäcker, dass er Falschgeld bekommen hatte. Er fing an, »Hilfe!« zu schreien, rannte dem frommen Mann hinterher und bekam ihn gerade noch zu fassen. Da wusste Abu l-Abbas al-Mursi, dass er mit seinem Mitleid gegen Gottes Willen gehandelt hatte. Er bat um Vergebung, bereute aufrichtig sein Tun, und auf einmal entdeckte der Bäcker, dass er sich geirrt hatte und die Münzen doch echt waren. Das war wirklich ein wahrer Heiliger, denn Gott gewährt nur dem seine Gunst, der sich von der Welt abwendet. Da bin ich nun fast achtzig Jahre alt, aber von der Welt kann ich nicht lassen. Es ist doch Gottes Welt, Er hat uns dieses kurzlebige Geschenk bereitet – wie sollte man es da ablehnen? Und wenn ich die Welt liebe, so doch als treuer Diener, warum also missgönnt mir Gott den Glanz der Heiligkeit?

Der Koran und die Worte des Propheten und seiner Gefährten sind mir wichtig, aber genauso stark interessiere ich mich für die Wende und für Bohnen mit Leinöl, Kümmel und Zitrone. Wäre es da nicht an der Zeit, Gottes allumfassender Gnade teilhaftig zu werden? Sodass ich eines Tags zum Beispiel auf eine Lampe zeige, und siehe da, sie geht an, ohne den Schalter gedrückt zu haben? Von meinen alten Freunden ist mir nur einer geblieben, aber da wir beide Greise sind, haben wir uns schon lange nicht mehr gesehen. Zur Einsamkeit der Seele kommt die der Zeit und des Orts. Seit einem Jahr wollen meine Augen nicht mehr lesen, und ich schlafe wenig. Vor dem Tod habe ich keine Angst. Ich werde ihn mit offenen Armen empfangen, aber erst dann, wenn er wirklich kommt.

Als König Fuad zur Eröffnung der Schule kam, wurde ich beauftragt, ihn im Namen der Lehrerschaft zu begrüßen. Ein ruhmreicher Tag war das. Mein Herz frohlockte, als die Schüler riefen: »Hoch lebe der König, hoch lebe Saad Zaghlul!« Nun ja, die Hochrufe haben sich verändert, und die Lieder auch. Die Preise explodieren. Durch das geschlossene Fenster kann ich den Nil und die Bäume sehen. In der Nil-Straße ist unser Haus das älteste und kleinste, wie ein Zwerg nimmt es sich inmitten der neuen Gebäude aus. Auch der Nil hat sich verändert, wie ich scheint er unter Einsamkeit und Alter zu leiden. Unsere Lage ähnelt sich überhaupt, denn auch er kann seinem Zorn nicht mehr freien Lauf geben. So viele Autos, so viel Reichtum, und dann solch grausame Armut, und so viele geliebte Menschen, die von uns gegangen sind.

Ein Tag mit Wolken und Regen kündigt sich an. Selbst an solch einem trüben Tag war es immer schön, mit den Freunden einen Ausflug in die Kanatir-Gärten zu machen. Man saß zusammen beim Picknick, mit Brathühnchen, Kartoffeln und Getränken, und das Grammofon spielte die alten Lieder – »Der König meiner Seele« und »Wenn ich verzeihe, vergesse ich den Schmerz«. All diese Menschen sind nun Skelette, und ihre Sorglosigkeit und ihr vor Fröhlichkeit berstendes Gelächter haben sich in die Weiten des Horizonts verflüchtigt. In der Hochzeitsnacht standen sie alle in einer Reihe hinter mir, in jener Nacht, da ich zum ersten Mal den Schleier hob, der Fatimas Gesicht verbarg. Ach, Fatima, fünf Jahre ist es nun schon her, dass ich dein Grab zum letzten Mal besucht habe. Was für ein Gedränge und Geschiebe, wie die Wahnsinnigen hetzen die Menschen, nein, so etwas haben die Bäume, seit sie zu Zeiten des Khediven Ismail gepflanzt wurden, noch nie erlebt. Da rasen Verrückte geradewegs auf einen Unfall zu, nicht ahnend, dass das Schicksal schon auf sie lauert. Aber die Worte des Propheten, Gott segne ihn und schenke ihm Heil, lauten: O Diener Gottes, sieh dich auf Erden als Fremden und flüchtigen Gast, und zähl dich dein Leben lang zu den Toten. Wahre Worte des Gesandten Gottes.

Alwan Fawwaz Muchtaschimi

Ein neuer Tag. Ein alter. Neu, alt. Alt, neu. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Gutes Altes gibts nicht, also her mit dem schlechten Neuen. Etwas ist besser als gar nichts. Selbst der Tod hat den Reiz des Neuen. Zu Fuß gehen ist gesund, und sparsam. An sich müsste das der Weg der Liebe und Schönheit sein, aber nun sieh ihn dir an! Ach, meine armen Füße! Ach, ihr armen Schuhe! Seid geduldig und haltet durch, denn das ist die Zeit geduldigen Leidens. Im Zeitalter von Brandstiftern und Schurken bist du, meine Geliebte, die einzige Erquickung meiner Seele. Die großen Bäume, der Nil – das ist unbestreitbar schön. Also schau hinauf, und sieh dir die weißen Wolken und grünen Baumwipfel an, dann vergisst du die pockennarbige Erde. Irgendwann wirst du einen gutartigen Teufel treffen, mit dem du dich verbrüderst. Ein scharfer Verstand und ein guter Charakter, das ist es, was ich über alles schätze, und wenn dann noch, wie bei meiner Liebsten, schöne schwarze Augen mit geschwungenen Brauen dazukommen, ist es mir noch lieber.

Schon immer, ob als Kind, als Junge, als junger Mann, lebe ich in dem alten Haus, das von Riesen umringt ist. Ein Störenfried im Reich des Geldes, und deshalb wird uns der Besitzer eines schönen Tages noch umbringen. Seltsam, dass die Liebe inmitten von Fäulnis und Verderbtheit überlebt. Schau dir bloß den Bürgersteig an, brüchig und bröcklig, als hätte es einen Luftangriff gegeben. Müll in allen Ecken und Winkeln, als wolle er die Liebenden abschrecken. Guten Morgen, ihr Leute in den Bussen! Da steht ihr eingepfercht wie Vieh und glotzt durch die zersprungenen Scheiben wie Gefangene am Besuchstag. Die Brücke schwankt unter der Last von Menschen; Fußgänger und Radfahrer hasten vorbei, stopfen im Laufen Sandwiches gierig in sich hinein. Großvater sagt immer: »Hat man den tiefsten Punkt erreicht, geht es wieder aufwärts.« Ach, du mein geliebter Großvater, wie lange plappern wir immer wieder das Gleiche nach?

Großvater ist mein bester Freund, denn praktisch bin ich ja Waise. Seit meine Eltern fast rund um die Uhr arbeiten, habe ich sie verloren. Sie hetzen wegen des täglichen Brotes zwischen Regierung und Privatfirma hin und her, und wenn wir uns mal zufällig begegnen, fährt mein Vater mich an: »Bitte, hör auf herumzuphilosophieren. Siehst du nicht, dass wir nicht mal Zeit zum Schlafen haben?«

Hängt bei einer meiner Schwestern der Haussegen schief, werde ich beauftragt, den Streit zu schlichten. Helfen tut einem keiner mehr, jeder ist seines Glückes eigener Schmied und muss sehen, wie er zurechtkommt. Meine Liebste und ich arbeiten in einem Betrieb, der Nahrungsmittel produziert. Er gehört zum staatlichen Sektor. Wir sind in der gleichen Abteilung beschäftigt – Öffentlichkeitsarbeit und Übersetzungen. Über dem Eingang hängt ein Spruch: »Tretet ein, die ihr ohne Hoffnung seid.«

Sie lächelt mich liebevoll an, trotzdem sage ich ungehalten: »Hättest du nicht auf mich warten können?«

Ihre Augen blitzen fröhlich. »Es gab bestimmte Gründe, im Café Brasil zu frühstücken.«

Dass wir hier beide arbeiten, verdanken wir meinem Großvater, genauer gesagt einem ehemaligen Schüler meines Großvaters, der später zu den »Freien Offizieren« gehörte. Mein Großvater ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Selbst Leute, die sonst Verdienste der früheren Generation leugnen, erinnern sich an ihn.

Die meisten Mitarbeiter in unserer Abteilung sind weiblich. Stapelweise liegt Papier herum, aber besondere Konzentration erfordert die Arbeit nicht. Ich tue ein bisschen was, und hin und wieder schaue ich verstohlen zu Randa hinüber. Ich lass mir Zeit, sinniere und träume, und träume und sinniere.

Randas und meine Geschichte reicht weit in die Vergangenheit unseres alten Hauses zurück. Wir haben schon als Kinder zusammen gespielt. Mama behauptet, dass Randa älter ist als ich, aber beweisen kann sie es nicht. Als wir in der Pubertät steckten, gingen wir etwas verschämter und zurückhaltender miteinander um. Fängt man einmal an, sich zu kontrollieren, geht die Unbefangenheit verloren. Aber die Liebe hat gesiegt, und zwar zu der Zeit, als wir zur Oberschule gingen. Auf der Treppe zwischen den zwei Stockwerken bot sich reichlich Gelegenheit für kleine Flirts und versteckte Andeutungen. Eines Tags habe ich ihr dann einen Brief in die Hand gedrückt, in dem ich ihr meine Liebe gestand. Als Antwort schenkte sie mir den Roman »Treu und Glauben der zwei Generationen«. Wir legten im gleichen Jahr das Abitur ab, und wenig später erklärte ich meinem Großvater, dass ich mich mit unserer Nachbarstochter Randa Sulaiman verloben möchte. Großvater sagte, dass zu seiner Zeit ein junger Mann erst dann über Verlobung sprach, wenn er auf eigenen Füßen stand. Aber er versprach mir, mit Papa und Mama über das Thema zu sprechen und mir auch sonst zu helfen. Meine Mutter meinte, dass ihr Sulaiman Mubarak näher stehe als die eigenen Verwandten, und Randa sei wie eine Tochter für sie. »Aber sie ist älter als du!« Worauf mein Vater entgegnete: »Ach was, sie ist so alt wie er, höchstens ein klein bisschen älter, und außerdem ist sie genauso arm.«

Es war ein glücklicher Tag, als unsere Verlobung bekannt gegeben wurde. Damals schien ein Traum wahr zu werden. Aber als wir anfingen zu arbeiten, waren wir plötzlich mit völlig neuen Problemen konfrontiert. Drei Jahre geht das nun schon so, und wir sind bereits sechsundzwanzig Jahre alt. Aus dem Liebenden von einst ist ein erschöpfter, sich ohnmächtig fühlender, mit Sorgen belasteter Mann geworden. Wir plaudern und tuscheln nicht mehr, wir diskutieren nur noch die aktuelle Lage, und zwar so intensiv, dass man uns auch in der Finanzabteilung einstellen könnte. Wohnung, Möbel, Haushaltskosten. Weder weiß Randa eine Lösung noch ich. Das Einzige, was wir besitzen, sind Liebe und Beharrlichkeit. Verlobt haben wir uns zur Nasser-Zeit, aber mit der Wirklichkeit konfrontiert wurden wir in der Zeit der Wende. Wir sind mitten in einen Strudel geraten, der uns immer tiefer in eine verrückte Welt zieht. Es gibt nicht einmal die Möglichkeit, in einem anderen Land zu arbeiten. Für Philosophen und Historiker gibt es keinen Bedarf. Man braucht uns nicht. Aber das trifft uns nicht allein, solche wie uns gibt es massenweise. Wieso sind wir in dieses Loch gefallen? Natürlich schlage ich mich mit Selbstvorwürfen herum, schließlich trage ich die Verantwortung. Randa ist hübsch und gefragt, und wie ein riesiger Damm versperre ich ihr den Weg zum Glück. Ihre Eltern scheinen genauso zu denken, ihre mürrischen Blicke sprechen Bände. Ich kann mir vorstellen, was sie hinter meinem Rücken reden.