Die Kinder unseres Viertels - Nagib Machfus - E-Book

Die Kinder unseres Viertels E-Book

Nagib Machfus

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Beschreibung

Am Ende der Straße, dort, wo die Wüste beginnt, steht das große Haus. Hinter hohen Mauern in einem paradiesischen Garten wohnt hier der geheimnisvolle Gabalawi, der Stammesvater des Viertels. Seit undenklichen Zeiten hat ihn niemand mehr gesehen. Dennoch leitet er wie mit unsichtbarer Hand das Schicksal seiner Kinder und Kindeskinder. Wächter und Verwalter terrorisieren das Viertel in wiederkehrenden Wellen von Aufruhr und Unterdrückung. Auf Adham folgt Gabal, auf Gabal Rifaa, auf diesen Kasim. Sind sie Figuren der Menschheitsgeschichte, hinter denen sich Adam, Moses, Jesus und Mohammed verbergen?

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Seitenzahl: 888

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Über dieses Buch

Dort, wo die Wüste beginnt, steht das große Haus. Hinter hohen Mauern in einem paradiesischen Garten wohnt hier der geheimnisvolle Gabalawi, der Stammesvater des Viertels. Seit undenklichen Zeiten hat ihn niemand mehr gesehen. Dennoch leitet er wie mit unsichtbarer Hand das Schicksal seiner Kinder und Kindeskinder.

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Nagib Machfus (1911–2006) gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart und gilt als der eigentliche »Vater des ägyptischen Romans«. Sein Lebenswerk umfasst mehr als vierzig Romane, Kurzgeschichten und Novellen. 1988 erhielt er als bisher einziger arabischer Autor den Nobelpreis für Literatur.

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Doris Kilias (1942–2008) arbeitete als Redakteurin beim arabischen Programm des Rundfunks Berlin (DDR). Nach der Promotion war sie als freie Übersetzerin tätig.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Nagib Machfus

Die Kinder unseres Viertels

Roman

Aus dem Arabischen und mit einem Nachwort von Doris Kilias

E-Book-Ausgabe

Mit einem Bonus-Dokument im Anhang

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 7 Dokumente

Originaltitel: Awlad Haratina

© by Nagib Machfus 1959 und 1981

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30589-2

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 27.06.2022, 19:42h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

DIE KINDER UNSERES VIERTELS

PrologAdham1 – Anfangs war dort, wo heute unser Viertel steht …2 – Seit jenem düsteren Tag ging Adham nun jeden …3 – Verwirrt durch die geheimnisvolle Schönheit, bemühte er sich …4 – Die Tage und Nächte verstrichen, und mit Idris …5 – Adham fand bei Umaima eine Glückseligkeit, wie er …6 – Adham saß in der Stiftungsverwaltung und trug die …7 – Umaimas Gesicht belebte sich zum ersten Mal seit …8 – Der Vater verließ im Morgengrauen sein Zimmer …9 – Dieses Mal öffnete sich das Tor des Großen …10 – Adham und Umaima begannen, sich westlich des Großen …11 – Ein ruhiger Platz, dachte Adham. Wenn es hier …12 – Eines Nachts wurde Adham von lautem Stöhnen geweckt …13 – Kadri schürzte den Gilbab, trocknete sich das Gesicht …14 – In der Ferne sahen sie jemanden auf sich …15 – Wie immer stand Umaima zur frühen Stunde auf …16 – Adhams Familie saß vor der Hütte und aß …17 – Humam folgte Amm Karim durch den Garten mit …18 – Als Humam zur Hütte zurückkehrte, wartete die ganze …19 – Von der Sonne war nur noch das Abendrot …20 – Als Kadri mit der Herde nach Hause kam …21 – Adham stieß Kadri in die Wüste hinaus. »Wir …22 – Als sie sich der Hütte näherten, hörten sie …23 – Humam wurde auf dem zur Stiftung gehörenden Friedhof …Gabal24 – Die Häuser unseres Viertels, erbaut von den Einnahmen …25 – Die Geduld der Hamdanfamilie war am Ende …26 – Vor dem Haus des Verwalters versammelte sich die …27 – Der Effendi ging in die Empfangshalle zurück …28 – Die ersten Töne der Rabab kündigten an …29 – Gefällt dir diese Gewaltherrschaft, Gabalawi? Diese Frage ging …30 – Wo war Kidra31 – Soklot erklärte: »Herr Verwalter, die Hamdanfamilie hat ihren …32 – Gabal warf einen Abschiedsblick auf den Garten und …33 – Erst kurz vor Ende der Nacht gelang Gabal …34 – Als sie angekommen waren, sagte Balkiti: »Ich habe …35 – Erst kurz vor dem Morgengrauen erbarmte sich der …36 – Eines Tages sagte Balkiti spöttisch: »Es schickt sich …37 – Es war fast Mitternacht. Im Gabalawi-Viertel wäre es …38 – Schon bald wusste das ganze Viertel, dass Gabal …39 – In der Hamdanfamilie waren alle auf das Schlimmste …40 – Alle Bewohner des Viertels konnten Gabal dabei beobachten …41 – In den wenigen Minuten, die bis zum Aufbruch …42 – Die folgenden Tage waren für die Hamdanfamilie …43 – Es war ein denkwürdiger Tag, als Gabal den …Rifaa44 – Bald würde die Morgendämmerung anbrechen. Noch ruhten alle …45 – Da ist ja endlich unser Viertel! Endlich kehren …46 – Meister Schafii richtete seine Tischlerei am Tor zum …47 – Rifaa klopfte bei Gawad, dem Sänger. Die Wohnung …48 – Das Tischlern sollte also sein Beruf und seine …49 – Meister Schafii ging hinunter und öffnete den Laden …50 – Im Laden ging es betriebsam zu, alles sah …51 – Am Abend herrschte eine gedrückte Stimmung in Meister …52 – Rifaas Eltern hatten all ihre Hoffnungen auf den …53 – In den Tagen nach der Hochzeit konnte man …54 – Jasmina lehnte aus dem Fenster und besah sich …55 – Bajumi, der Oberwächter des Viertels, stand zur frühen …56 – In der locker hängenden Abaja sah der Verwalter …57 – Nach diesem Vorfall verschärfte sich die Lage im …58 – Rifaa eilte sofort nach Hause. Der Himmel hatte …59 – Ganz in Schwarz gehüllt, verließ Jasmina das Gehöft …60 – Die Zeit verging langsam. Die Freunde unterhielten sich …61 – Die Mörder verließen die Stelle und gingen zurück …62 – Keiner der vier Gefährten kehrte ins Gabalawi-Viertel zurück …63 – Jasmina stand wie festgenagelt da, ihr Blick ging …Kasim64 – Im Viertel hatte sich kaum etwas verändert …65 – Sakarija betrachtete Kasim voller Wohlgefallen. »Kasim«, sagte er …66 – Der einzige Platz, der in der Wüste Schutz …67 – Warte, Kasim«, sagte die Dienerin Sakina. »Ich habe …68 – Mit rosigem Gesicht, strahlendem Blick und glücklichem Herzen …69 – Meister Sakarija sah Kasim bestürzt an. Seine Frau …70 – Onkel Sakarija schenkte Kasim ein wenig Geld …71 – Die Tage und Nächte waren angefüllt von Liebe …72 – In Kasims Haus hatte ein neues Leben das …73 – Kasim saß im Bett. Mit dem Rücken lehnte …74 – Unruhe und Spannung beherrschten die Stimmung im Raum …75 – Was wirst du tun? Wann wird das Grübeln …76 – Kasim saß dicht am Fenster, um das Fest …77 – Geht nicht unter die Leute, wenn ihr betrunken …78 – Der Torwärter kam ihm vom Haus des Verwalters …79 – Als Kasim nach Hause kam, fand er Sakarija …80 – Am Abend des gleichen Tages erhob sich aus …81 – Als Kasim um Mitternacht nach Hause kam …82 – Am Morgen war das Haus voller Menschen …83 – Sakina war blass geworden, und ihren Augen konnte …84 – Dort, wo das Watawit-Viertel begann, schloss sich ihnen …85 – Der späte Nachmittag war dem Stockkampf vorbehalten …86 – Es bereitete Kasim Vergnügen, auf einem Fell vor …87 – Beschämt über die Niederlage, kehrten Sawaris’ Männer heim …88 – Willkommen, Sakla!« Freudig umarmte Kasim den Hirten89 – Solch ein Unglück hatte das Viertel nie zuvor …90 – Früh am Morgen wurde das Viertel von entsetzlichem …91 – Als Kasim mit seinen Freunden beim Haus ankam …Arafa92 – Schaute sich jemand in unserem Viertel um …93 – Eines schönen Tages, so gegen Nachmittag, konnte das …94 – Es machte Arafa Spaß, in seiner freien Zeit …95 – Arafa und Hanasch arbeiteten angestrengt im hinteren Raum …96 – Im Laufe der Zeit konnte Arafa immer mehr …97 – An Meister Schakrun zeigten sich Zeichen einer seltsamen …98 – Kurz vor Sonnenaufgang zerriss schreckliches Wehklagen die morgendliche …99 – Santuri versammelte seine Gefolgsleute im Kaffeehaus der Kasims …100 – War der Mann dem Wahnsinn verfallen, oder war …101 – Als Arafa tief unten in der Grube stand …102 – Arafa stürzte sich auf den Angreifer. Der Kampf …103 – Die drei gingen ins Haus zurück. Arafa konnte …104 – Aller Lärm im Viertel war verstummt, und Arafa …105 – Am frühen Morgen klopfte es heftig an die …106 – Die drei saßen auf dem Sofa, Arafa erzählte …107 – Wer wird der Oberwächter unseres Viertels? Diese Frage …108 – In der Nacht zog Arafa mit seiner Familie …109 – Awatif brach in Raserei aus, wie sich das …110 – Arafas Freundschaft mit dem Verwalter vertiefte sich …111 – Erst im Morgengrauen verließ Arafa das Haus des …112 – Ich bin entschlossen zu fliehen«, erklärte Arafa mit …113 – Arafa und Awatif standen vor dem wutschnaubenden Verwalter …114 – Die Nachricht von Arafas Tod verbreitete sich schnell …NachwortNachbemerkung zur Neuausgabe 2018

Mehr über dieses Buch

Fritz Steppat: Die Kinder unseres Viertels

Über Nagib Machfus

Nagib Machfus: Das Leben als höchstes Gut

Nagib Machfus: Rede zur Verleihung des Nobelpreises 1988

Tahar Ben Jelloun: Der Nobelpreis hat Nagib Machfus nicht verändert

Erdmute Heller: Nagib Machfus: Vater des ägyptischen Romans

Gamal al-Ghitani: Hommage für Nagib Machfus

Hartmut Fähndrich: Die Beunruhigung des Nobelpreisträgers

Über Doris Kilias

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Prolog

Das ist die Geschichte unseres Viertels. Genauer gesagt, es sind die Geschichten unseres Viertels. Ich habe nur die jüngsten als Zeitgenosse miterlebt und alle, auch die älteren, so aufgezeichnet, wie unsere Erzähler sie überliefert haben. Alle Kinder unseres Viertels kennen und erzählen sie, denn sie sind von Generation zu Generation weitergegeben worden und in den Kaffeehäusern lebendig geblieben. Einen anderen Beleg für die Geschichten als diese Erzählungen habe ich nicht. Es gibt so viele Anlässe, die Geschichten unseres Viertels immer und immer wieder zu erzählen! Wenn einer nicht mehr ein noch aus weiß, wenn einer an einem Unrecht schwer zu tragen hat, wenn einer sich ungerecht behandelt fühlt – dann weist er hinüber zum Großen Haus am Ende des Viertels, dorthin, wo die Wüste beginnt, und seufzt kummervoll: »Das ist das Haus unseres Ahnen, wir alle sind seine leiblichen Kinder und haben ein Recht auf seine Hinterlassenschaft. Warum aber müssen wir hungern, warum müssen wir leiden?« Und dann beginnt er, die Geschichten zu erzählen, und er berichtet vom Leben der ruhmreichen Kinder unseres Viertels, von Adham und Gabal, von Rifaa und Kasim.

Unser Ahne ist das geheimnisvollste aller Rätsel. Sein Leben währt schon länger, als je ein Mensch es sich wünschen oder auch nur vorstellen kann. Sein Alter ist sprichwörtlich geworden. Vor langer Zeit hat er sich ins Große Haus zurückgezogen, und seitdem hat ihn niemand mehr gesehen. Die Geschichte von seinem Verschwinden und seinem Alter verwirrt den Verstand. Vielleicht ist diese Geschichte aus Träumen und Wünschen entstanden. Wie dem auch sei, sein Name ist Gabalawi, der Mann vom Berg, und nach ihm ist unser Viertel benannt. Er ist der Herr aller Güter, die dem Viertel übergeben worden sind, und ihm gehört alles, was sich auf dem Boden des Viertels und des umgebenden Wüstengebietes befindet. Als einmal ein Mann über Gabalawi sprach, hörte ich ihn sagen: »Er ist der Ursprung unseres Viertels, und unser Viertel ist der Ursprung Kairos, der Mutter der Welt. Einst lebte er hier ganz allein, als alles noch wüste Ödnis war. Dann aber machte sich sein starker Arm das Land zu eigen, wofür er seinen Einfluss beim Herrscher nutzte. Ein Mann, wie ihn noch keine Zeit gesehen hat. Ein Recke, vor dem sich die wildesten Tiere in den Staub warfen.« Einen anderen hörte ich sagen: »Ein wahrhaft edler Held war er, wie ihn gab es keinen Zweiten. Nie hat er jemandem einen Zwangstribut auferlegt, nie schritt er hochmütig einher. Barmherzig war er zu den Schwachen.«

Aber es kam auch eine Zeit, da ich einige wenige Menschen in einer Weise über ihn sprechen hörte, die seiner Macht und seiner Stellung nicht angemessen war. So ist die Welt. Ich aber war immer begierig, von ihm zu hören, nie konnte und kann ich davon genug bekommen. Wie oft streifte ich um das Große Haus herum, immer in der Hoffnung, dass er sich mir einmal zeigte. Vergeblich! Wie oft stand ich vor dem gewaltigen Tor und schaute gebannt auf das ausgestopfte Krokodil, das darüber hing. Wie oft saß ich in der Wüste des Mukattam und sah hinüber zur hohen Mauer des Großen Hauses und konnte doch nichts anderes erblicken als die Wipfel der Maulbeer- und Feigenbäume und der Palmen, die das Große Haus umgaben. Die immer geschlossenen Fenster ließen nie die geringste Spur von Leben vermuten. Ist es nicht traurig, dass wir einen Ahnen wie diesen haben, ohne dass wir ihn jemals sehen und ohne dass er uns jemals sieht? Ist es nicht seltsam, dass er sich in diesem Großen Haus verbirgt, das immer verschlossen ist, während wir draußen im Staub leben? Wann immer du fragst, wie es mit ihm und mit uns so weit kommen konnte, wirst du die Geschichten hören, und in deinen Ohren werden die Namen von Adham und Gabal, Rifaa und Kasim klingen. Aber nichts wird deiner Seele Ruhe und deinem Verstand Kraft geben. Ich sagte schon, dass niemand ihn gesehen hat, seit er sich zurückzog. Die meisten Menschen kümmert das nicht, denn von Beginn an waren ihnen nur sein Hab und Gut, seine Stiftung, und die zehn Gebote wichtig, über die schon unendlich viel geredet worden ist. Hier liegt auch der Grund für den Zwist, der unser Viertel in Atem hält und den ich beobachten konnte, seit ich geboren bin. Es war ein Streit, der immer gefährlicher geworden war und dessen Folgen, furchtbar in ihren Ausmaßen, selbst die Generationen von heute und morgen einholen. Trotzdem will ich ohne jeden bitteren Spott erwähnen, dass alle Kinder unseres Viertels eng miteinander verwandt sind. Wir alle waren und sind eine einzige Familie, in die nie ein Fremder eingedrungen ist. Jeder in unserem Viertel kennt die anderen, Frauen und Männer. Trotzdem gibt es kein anderes Viertel, das einen ähnlich erbitterten Kampf erlebt wie unseres. Nie hat ein Streit die Menschen eines Viertels so sehr entzweit wie bei uns. Kaum findet sich einer, der Gutes will, so stehen ihm sogleich zehn andere gegenüber, die mit Knüppeln drohen und auf Kampf aus sind. So weit ist es gekommen, dass die Menschen sich daran gewöhnt haben, Frieden mit einem Tribut zu erkaufen und Sicherheit durch Erniedrigung und Demütigung zu erlangen. Für das geringste Vergehen in Wort oder Tat haben sie mit den härtesten Strafen zu rechnen, ja es reicht schon, wenn ein befremdlicher Blick einen verdächtigen Gedanken verrät.

Seltsam ist, dass die Menschen aus den benachbarten Vierteln, die aus Utuf, Kafr as-Sirari, ad-Darrasa und al-Husainija, uns wegen der Stiftung und der starken Männer im Viertel beneiden. Unser Viertel sei uneinnehmbar, die Stiftung spende reichhaltig Güter, die Wächter seien unbesiegbar, so heißt es bei ihnen. Das alles stimmt, nur wissen sie nicht, dass wir die Ärmsten der Armen sind, im Dreck, zwischen Fliegen und Läusen hausen, uns mit Brotkrumen begnügen müssen und halb nackt herumlaufen. Wenn sie sehen, wie die Wächter einherstolzieren und auf uns herumtrampeln, dann erfüllt sie das mit Bewunderung und Staunen. Was sie nicht sehen, ist, dass uns kein anderer Trost bleibt, als sehnsüchtig zum Großen Haus hinüberzublicken und leidvoll zu seufzen: »Dort wohnt Gabalawi, der Herr der Stiftung. Er ist der Ahne, und wir sind seine Kinder.« 

Ich habe die letzte Epoche im Leben unseres Viertels miterleben können. Ich bin Zeuge der Ereignisse geworden, die Arafa, ein rechtschaffener Sohn unseres Viertels, bewirkt hat. Einem der Freunde Arafas ist es zu verdanken, dass durch meine Hand die Geschichten unseres Viertels aufgezeichnet werden können. Eines Tages hatte er zu mir gesagt: »Du gehörst zu den wenigen, die schreiben können. Warum schreibst du also nicht die Geschichten unseres Viertels auf? Bisher werden sie ohne jede Regel erzählt, nur der Neigung und Willkür des einzelnen Erzählers folgend. Es wäre gut, wenn diese Geschichten geschlossen aufgezeichnet würden und wir sie dann richtig nutzen könnten. Ereignisse und Geheimnisse, die dir unbekannt sind, teile ich dir mit.« Ich machte mich also daran, den Gedanken in die Tat umzusetzen, denn zum einen war ich davon überzeugt, dass es vernünftig war, und zum anderen wollte ich dem mir wohlgesinnten Mann einen Gefallen tun. So wurde ich in unserem Viertel der Erste, der das Schreiben als Beruf ausübte, auch wenn mir dies Spott und Verachtung einbrachte. Meine Aufgabe ist es, die Klagen und Bittschriften der Unterdrückten und Bedürftigen aufzuschreiben. Und auch wenn die Zahl der Armen, die mich aufsuchen, groß ist, so hat mich all meine reichhaltige Arbeit doch nicht aus dem Bettlerdasein erlöst. Ich bin nur so tief in die Geheimnisse der Menschen und ihre Sorgen eingedrungen, dass es mir die Brust beklemmt und die Seele bekümmert. Aber genug davon, ich will ja nicht über mich und meine Ängste schreiben. Denn was sind schon meine Leiden im Vergleich zu denen unseres Viertels, dieses wundersamen Viertels mit den wundersamen Geschichten! Wie war alles gekommen? Was war geschehen? Wer sind sie, die Kinder unseres Viertels?

Adham

1

Anfangs war dort, wo heute unser Viertel steht, leere Ödnis, die zu der bis zum Horizont reichenden Wüste des Mukattam gehörte. Nichts gab es dort, nur das Große Haus, das Gabalawi erbaut hatte. Es war, als wollte er damit jeglicher Furcht, Rohheit und Plünderei trotzen. Eine hohe Mauer umgab das weitläufige Gelände, dessen westlicher Teil aus einem Garten bestand und in dessen östlichem Teil das dreistöckige Haus hoch aufragte.

Eines Tages forderte der Stiftungsgründer seine Söhne auf, zu ihm in die mit dem Garten durch eine Terrasse verbundene Eingangshalle zu kommen. Die Söhne kamen alle, Idris, Abbas, Radwan, Galil und Adham. In seidenen Galabiyas standen sie vor ihm, und vor lauter Ehrerbietung sahen sie ihn nur verstohlen an. Erst als er ihnen befahl, sich zu setzen, nahmen sie Platz. Er musterte sie eine Weile mit falkenartig durchdringenden Blicken, dann ging er auf die zum Garten führende Tür zu, blieb dort stehen und sah hinaus in den Garten, wo dicht gedrängt Maulbeerbäume, Feigenbäume und Palmen wuchsen, Jasmin und Hennapflanzen rankten. Vögel sangen in den Zweigen, sodass der Garten von lärmendem Leben erfüllt war, während in der Halle Schweigen herrschte. Den Brüdern schien, dass der Herr der Einöde sie vergessen hatte. Hochgewachsen und breitschultrig kam er ihnen wie ein Wesen vor, das von einem anderen Stern gekommen war und in nichts den kleinen Menschen ähnelte. Sie sahen sich bänglich an, wussten sie doch, dass er sich immer dann so verhielt, wenn er einen Beschluss gefasst hatte. Es ängstigte sie, dass sie, gemessen an ihm, dem Herrscher des Hauses wie der Wüste, ein Nichts darstellten. Ohne sich von der Stelle zu rühren, drehte er sich zu ihnen um und sagte mit einer Stimme, die rau und tief den mit Teppichen und Vorhängen reich geschmückten Raum durchdrang: »Ich denke, es ist das Beste, wenn die Verwaltung der Stiftung nicht länger in meinen Händen liegt.«

Wieder ruhte sein prüfender Blick auf ihnen, aber ihre Gesichter verrieten nichts. Die Stiftung zu verwalten, war nicht gerade eine wünschenswerte Aufgabe für junge Leute, die Müßiggang und Ruhe gewohnt waren. Aber sie mussten sich darüber nicht den Kopf zerbrechen, denn Idris war als ältester Sohn geradezu dafür bestimmt, dieses Amt zu übernehmen. Der stöhnte denn auch im Innern auf, als er daran dachte, was für eine Last da auf ihn zukäme. Er würde sich mit lauter neuen Problemen und mit diesen unglückseligen Pächtern herumschlagen müssen.

Aber Gabalawi hatte noch nicht zu Ende gesprochen. »Meine Wahl«, fuhr er fort, »ist auf euren Bruder Adham gefallen. Er wird die Stiftung unter seine Kontrolle nehmen.«

Verblüfft schauten die Brüder zu ihm auf und tauschten hastige und verwirrte Blicke. Nur Adham senkte verschämt den Kopf. Gabalawi wandte sich ab und sagte gleichmütig: »Deshalb hatte ich nach euch gerufen.«

Idris konnte vor Empörung kaum an sich halten, vor lauter Auflehnung schien er wie im Rausch zu sein. Alle Brüder, außer Adham, sahen beklommen auf Idris, schwiegen aber, obwohl sie sich darüber ärgerten, dass er übergangen worden war. Damit war auch ihre Ehre angetastet. Idris sagte nach kurzem Zögern mit ruhiger Stimme, als wäre nicht er es, der da sprach: »Aber, Vater …«

Gabalawi unterbrach ihn frostig. »Was, aber?«

Alle senkten den Blick, ängstlich bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Nur Idris wagte es, hartnäckig zu bleiben. »Aber ich bin doch der älteste Sohn!«

Ungehalten erwiderte Gabalawi: »Ich denke, dass ich das weiß. Ich bin es, der dich gezeugt hat.«

Idris konnte seinen Zorn kaum noch verbergen. »Der älteste Sohn hat Rechte, die ihm nicht ohne Grund entrissen werden können.« 

Gabalawi ließ seinen Blick lange auf ihm ruhen, als ob er ihm noch eine letzte Gelegenheit gewähren wollte, sich wieder in die Gewalt zu bekommen. »Ich versichere euch, dass ich mich in meiner Wahl vom Wohl aller leiten ließ.«

Der Schlag war zu stark für Idris’ Geduld. Obwohl er genau wusste, dass sein Vater keinerlei Widerspruch duldete und noch viel Schlimmeres auf ihn zukäme, wenn er widerspenstig bliebe, ließ ihn sein Zorn alle möglichen Folgen vergessen. Er stürzte zu Adham, stellte sich dicht neben ihn und holte tief Luft. Wie ein Hahn vor dem Kampf schien er den anderen zeigen zu wollen, welch ein Unterschied in Stärke, Schönheit und Pracht zwischen ihm und seinem Bruder bestand. Die Worte quollen aus seinem Mund wie Speichel bei einem, der unter starkem Niesen leidet. »Ich und meine Brüder sind die Söhne der rechtmäßigen Gattin, der edelsten aller Frauen. Der da aber ist nur der Sohn einer schwarzen Dienstmagd.«

Adhams dunkelhäutiges Gesicht wurde blass, aber er verharrte regungslos. Gabalawi hob warnend die Hand. »Idris, benimm dich!«

Ein Sturm der Empörung hielt Idris in wahnsinnigem Zorn gefangen. »Er ist der Jüngste!«, schrie er. »Also sage mir einen einzigen Grund, warum du ihn mir vorziehst, falls es nicht einfach so ist, dass wir jetzt in der Zeit der Mägde und Sklaven leben!«

»Zügle deine Zunge, du Dummkopf, hab Mitleid mit dir selbst!«

»Lieber lass ich mir den Kopf abschlagen, als dass ich diese Schande ertrage!«

Radwan sah zum Vater auf und sagte mit leicht bittendem Lächeln: »Wir alle sind deine Söhne. Es kommt uns zu, betrübt zu sein, wenn wir dein Wohlgefallen verloren haben. Aber natürlich liegt es einzig und allein bei dir, zu entscheiden. Das Einzige, was wir begehren, ist, den Grund für deine Entscheidung zu erfahren.«

Gabalawi wandte den Blick von Idris zu Radwan und versuchte, seinen Unwillen, so gut es ging, zu unterdrücken. »Adham kennt die Pächter gut, von den meisten weiß er die Namen. Außerdem kann er schreiben und rechnen.«

Idris und die Brüder waren verwundert. Seit wann galt es als Vorzug, den Pöbel zu kennen? Seit wann wurde man wegen eines solchen Verdienstes vorgezogen? Und wenn einer die Schule besuchte, galt das denn als besondere Leistung? Hätte Adhams Mutter ihn in die Schule geschickt, wenn sie nicht daran gezweifelt hätte, dass er in der Welt der Noblen bestehen könnte? Voll bitterem Hohn fragte Idris: »Sollen etwa diese Gründe ausreichen, um die mir zugefügte Demütigung zu entschuldigen?«

»Es ist mein Wille«, antwortete Gabalawi barsch. »Du hast ihn vernommen, nun hast du zu gehorchen, das ist alles.« Abrupt drehte er sich zu den anderen Brüdern um. »Und ihr? Habt ihr noch etwas zu sagen?«

Abbas konnte dem Blick des Vaters nicht länger standhalten und erwiderte niedergeschlagen: »Ich höre und gehorche.« Galil schlug die Augen nieder und sagte schnell: »Wie du befiehlst, mein Vater.« Und Radwan, an seinem Speichel würgend, fügte hastig hinzu: »Gern, Vater, wie du meinst.«

Idris aber stieß ein zorniges Lachen aus, und mit verkrampftem Gesicht brüllte er: »Ihr Feiglinge, ihr! Etwas anderes als diesen verabscheuungswürdigen Verrat konnte ich von euch ja auch nicht erwarten! Wegen eurer Feigheit werdet ihr euch nun vom Sohn einer schwarzen Magd herumkommandieren lassen!«

Finsteren Blickes rief warnend Gabalawi: »Idris!«

Aber er war nicht mehr zu bändigen, er schien von Sinnen. »Was bist du denn für ein Vater! Du hast dich zum Gewaltherrscher aufgeschwungen und kannst nun nichts anderes mehr sein! Uns, deine Söhne, behandelst du, als gehörten wir zu deinen zahlreichen Opfern!«

Gabalawis Körper spannte sich, langsam trat er zwei Schritte näher an Idris heran und sagte drohend: »Hüte deine Zunge!«

Aber Idris scherte sich nicht darum. »Mir jagst du keine Angst ein!«, schrie er. »Du weißt genau, dass ich nicht furchtsam bin. Wenn du beschlossen hast, diesen Sohn einer Magd über mich zu stellen, dann wirst du niemals mehr von mir ein Wort heuchlerischen Gehorsams hören!«

»Weißt du nicht, welche Strafe auf Widerspruch steht, du missratener Sohn?«

»Der wirklich Missratene hier ist dieser Bastard einer Magd.«

Gabalawis Stimme schwoll an und klang rau: »Sie ist meine Frau, du streitsüchtiger Mensch! Beherrsche dich, oder ich werde dich zermalmen!«

Die Brüder zuckten entsetzt zusammen, Adham ebenso wie die anderen. Sie wussten, wie stark ihr despotischer Vater war. Idris’ Zorn aber war so maßlos, dass er sich auch angesichts der drohenden Gefahr nicht mehr zurückhalten konnte. Wie ein Wahnsinniger schien er bereit zu sein, sich in loderndes Feuer zu stürzen. »Du hasst mich! Ich habe es nicht gewusst, aber nun ist mir klar, dass du mich hasst! Vielleicht war es diese Magd, die dich gegen uns aufgehetzt hat? Der Herr der Ödnis, Gründer der Stiftung, furchterregender Führer der Noblen lässt es zu, dass eine Magd ihr frevelhaftes Spiel mit ihm treibt! Morgen werden die Menschen die wundersamsten Geschichten über dich erzählen, du Herr der Ödnis!«

»Ich warne dich zum letzten Mal, hüte deine Zunge, verfluchter Sohn!«

»Verfluche mich nicht um Adhams willen! Selbst die Felsen werden sich weigern, das Echo eines solchen Fluches zu tragen! Alle Welt wird sich darüber das Maul zerreißen!«

Gabalawi brüllte so laut los, dass es bis in den Garten und den Harem zu hören war. »Verschwinde, geh mir aus den Augen!«

»Das ist mein Zuhause!«, schrie Idris zurück. »Hier lebt meine Mutter, eine Frau von untadligem Ruf!«

»Von heute an wirst du dich hier nicht mehr blicken lassen! Auf ewig sollst du verschwinden!«

Auf Idris’ breites, rundes Gesicht legten sich Schatten, sodass es dunkel wurde wie der Nil, wenn dessen Fluten das Land überschwemmten. Sein Körper schwankte, die Fäuste waren wie Granitblöcke geballt. Allen im Raum war klar, dass dies das Ende von Idris bedeutete und sie Zeugen einer neuerlichen Tragödie waren, Zeugen eines der vielen Trauerspiele, die sich in diesem Haus bisher, wenn auch weniger geräuschvoll, abgespielt hatten. Wie viele züchtige Frauen waren auf ein einziges Wort hin zu elenden Bettelweibern geworden! Wie viele Männer hatten nach langen Jahren schwerer Arbeit das Haus auf zitternden Füßen verlassen, mit Spuren der Bleipeitsche auf dem nackten Rücken und aus Mund und Nase blutend! Bei aller Fürsorge, die in ruhigen Zeiten im Haus herrschte, niemand war, welch Ansehen er auch genoss, vor dem Zorn des Herrn sicher. Deshalb wussten die Brüder, dass es mit Idris aus war. Idris, der Erstgeborene des Stifters, der ihm wie kein Zweiter an Kraft und Schönheit ebenbürtig war!

Gabalawi trat noch dichter an ihn heran. »Du bist nicht länger mein Sohn, und ich bin nicht länger dein Vater! Dieses Haus ist nicht mehr dein Haus! Du hast hier keine Mutter mehr, keinen Bruder und keinen Diener. Vor dir liegt die große weite Welt, also zieh hinaus, beladen mit meinem Zorn und meinem Fluch. Die Zeit wird dich lehren, dein wahres Schicksal zu erkennen, wenn du ziellos umherirrst und von meiner Güte und Fürsorge ausgeschlossen bist!«

Idris stampfte mit dem Fuß auf und brüllte: »Das ist mein Haus! Nie werde ich es verlassen!«

Der Vater stürzte sich auf Idris, bevor dieser sich noch in Sicherheit bringen konnte. Er packte ihn bei den Schultern und stieß ihn vorwärts. Er drängte ihn aus der Halle, die Treppe hinunter. Idris kam ins Stolpern. Aber der Vater ließ nicht nach. Er schob ihn auf dem von Rosen, Henna und Jasmin gesäumten Weg bis zum großen Tor. Mit einem letzten Stoß beförderte er ihn hinaus. Als das Tor schwer ins Schloss fiel, rief er so laut, dass jeder im Hause es hören konnte: »Dem Untergang ist jeder geweiht, der ihm erlaubt zurückzukehren oder ihm dabei hilft!« Sein Blick richtete sich auf die geschlossenen Fenster des Harems. »Wer das wagt, ist auf immer von mir verstoßen!«

2

Seit jenem düsteren Tag ging Adham nun jeden Morgen hinüber zur Stiftungsverwaltung im Gästehaus, das sich rechts neben dem Großen Haus befand. Eifrig beschäftigte er sich damit, die Pachtgelder einzutreiben, die Anteile an die Nutznießer der Stiftung zu verteilen und dem Vater die Abrechnung vorzulegen. Da er mit den Pächtern geschickt und klug umging, waren diese mit ihm zufrieden, obwohl sie doch sonst oft Händel suchten.

Die Gebote der Stiftung waren geheim, und niemand außer dem Vater kannte sie. Seine Entscheidung, Adham mit der Verwaltung zu betrauen, erregte die Sorge, dies könne das erste Anzeichen für seine Nachfolge sein. Nichts hatte bisher darauf hingewiesen, dass der Vater ihn bevorzugt behandelte. Dank seiner gerechten Haltung und des großen Respekts vor ihm hatten denn auch die Brüder einträchtig zusammengelebt. Selbst der schöne und starke Idris, der allzu oft über die Stränge schlug, hatte bis zu diesem Tag nie einen seiner Brüder gekränkt. Liebenswürdig und großzügig, wie er war, wurde er allgemein bewundert. Wenn die vier Brüder vielleicht auch im tiefsten Innern einen Unterschied zwischen sich und Adham machten, so ließen sie das doch nie laut werden. Mit keinem Wort, keiner Handbewegung gaben sie ihm einen Grund, sich verletzt zu fühlen. Adham war sich vielleicht selbst am stärksten bewusst, dass er anders war als sie. Seine Haut war viel dunkler, er war zarter als sie, und seine Mutter hatte gegenüber der seiner Brüder eine niedere Stellung. Wenn er darunter vielleicht auch litt und es ihm im Herzen wehtat, so ließ doch die Heiterkeit des Hauses, geschwängert von den süßesten Düften köstlicher Pflanzen und erfüllt von der Weisheit des Vaters, es nicht zu, dass sich auch nur der kleinste böswillige Gedanke in seiner Seele niederließ. So war er denn auch mit reinem Herzen und heiterem Gemüt zum jungen Mann herangewachsen. 

Bevor Adham in der Stiftungsverwaltung zu arbeiten begann, bat er seine Mutter: »Gib mir deinen Segen, Mutter, denn diese Aufgabe, die er mir übertrug, ist für uns beide eine schwere Prüfung.« 

Demütig antwortete sie: »Mögest du sie bestehen, mein Kind. Du bist ein guter Sohn, und den Guten ist Glück beschieden.«

Als Adham zur Verwaltung hinüberging, folgten ihm die Blicke vieler Neugieriger, die hinter den Fenstern der Zimmer und der Halle standen oder sich im Garten aufhielten. Er setzte sich auf den Stuhl des Verwalters und machte sich an die Arbeit. Ihm oblag nun die wichtigste Tätigkeit, die je einem Menschen in dieser Wüstengegend, gelegen zwischen dem Mukattam-Berg im Osten und dem alten Kairo im Westen, aufgetragen worden war. Vom ersten Augenblick an erhob Adham Redlichkeit zu seinem Leitprinzip. So geschah es denn, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Stiftung jeder Millim getreulich in ein Buch eingetragen wurde. Er pflegte den Brüdern das Taschengeld auf so zuvorkommende und freundliche Weise zu geben, dass sie allen Groll gegen ihn vergaßen.

Als er eines Tages dem Vater die eingebrachte Summe übergab, fragte ihn dieser: »Wie gefällt dir die Arbeit, Adham?«

»So lange, wie du sie mir anvertraust«, antwortete Adham leise, »wird sie das Wichtigste in meinem Leben sein.«

Ein freudiges Lächeln huschte über das Gesicht des Vaters, denn bei aller Grobheit ließ sich sein Herz doch gern durch ein Wort des Dankes erwärmen. Adham freute sich, wenn der Vater kam und sich zu ihm setzte. Er genoss es, dass er vom Vater manch bewundernden und liebevollen Blick erntete. Noch schöner war es aber, wenn der Vater ihm und seinen Brüdern Geschichten aus der alten Zeit erzählte, wenn er von den Abenteuern der Noblen und der jungen Männer berichtete, wenn er darüber sprach, wie er durch diese Landstriche gezogen war und sich, einen schweren Knüppel furchterregend schwingend, jeden Fleck unterworfen hatte, auf den er seinen Fuß setzte.

Nachdem Idris aus dem Haus verstoßen war, hielten Abbas, Radwan und Galil an ihrer Gewohnheit fest, sich auf dem Dach des Hauses zu treffen und dort bei Essen und Trinken ihre Zeit mit Glücksspielen zu verbringen. Adham fand daran keinen Gefallen, vielmehr liebte er es, im Garten zu sitzen. Schon als Junge hatte er den Garten geliebt, und am schönsten war es für ihn, dort Flöte zu spielen. Auch wenn er jetzt durch seine Arbeit nicht mehr so viel Zeit hatte, behielt er diese Gewohnheit bei. Nach getanem Tagewerk ging er in den Garten, breitete dort an einem Bach einen kleinen Teppich aus, lehnte sich an den Stamm einer Palme oder eines Feigenbaumes oder legte sich ganz einfach in den Schatten eines Gitters, an dem dichter Jasmin rankte. Er schaute erst ein Weilchen den Vögeln zu – denn was gab es in größerer Zahl als sie? Oder er betrachtete die Tauben – denn was gab es Hübscheres als sie? Dann nahm er die Flöte und versuchte, all das Zwitschern, Gurren, Singen nachzuahmen – denn was war wunderbarer als diese Musik? Bisweilen schaute er durch die Zweige zum Himmel empor, denn: Gab es etwas Schöneres als ihn?

Als er eines Tages so vor sich hin träumte, kam sein Bruder Radwan vorbei. Er blickte spöttisch auf ihn herab und sagte: »Wie schade, dass du so viel Zeit in der Verwaltung verbringen musst.«

»Wenn ich nicht fürchtete, unseren Vater zu erzürnen, würde ich mich vielleicht auch beklagen.«

»Also danken wir dem Herrn, dass jetzt Zeit für Müßiggang ist.«

»Möge sie dir gut bekommen«, erwiderte Adham schlicht.

Radwan mühte sich, seinen Unwillen zu verbergen. »Möchtest du denn nicht so frei wie wir leben?«

»Das Schönste wäre, immer nur im Garten zu sitzen und Flöte zu spielen.«

»Idris hätte gern diese Arbeit getan«, fügte Radwan bitter hinzu.

»Es ging Idris doch gar nicht um die Arbeit, er ist wegen ganz anderer Dinge böse geworden. Hier im Garten, da kann man das wirkliche Glück finden.« Nachdem Radwan gegangen war, sann Adham dem Glück weiter nach. Es ist der Garten, dachte er, seine zwitschernden Bewohner, das Wasser, der Himmel, meine trunkene Seele. Das alles ist wirkliches Leben. Aber trotzdem ist mir, als suchte ich etwas. Was aber kann dieses Etwas sein? Manchmal scheint mir, als wolle die Flöte mir die Antwort geben, aber trotzdem bleibt die Frage offen. Wenn der Vogel dort meine Sprache spräche, vielleicht würde er mir Gewissheit geben. Auch die funkelnden Sterne dort haben mir sicher etwas zu sagen. Nur das Klingeln des Geldes ist ein Misston in all dieser Musik.

Eines Tages schlenderte Adham zwischen den Rosen umher und beobachtete dabei seinen Schatten. Plötzlich sah er daneben einen zweiten Schatten, was ihm verriet, dass jemand in seine Nähe gekommen sein musste. Eigenartig, fast machte es den Eindruck, als träte der zweite Schatten dort heraus, wo sein Oberkörper und die Rippen sich befanden. Er drehte sich um und erblickte ein dunkelhäutiges junges Mädchen, das erschreckt davonspringen wollte, als sie ihn bemerkte. Als er ihr bedeutete, stehen zu bleiben, verharrte sie. Adham sah sie prüfend an und fragte sanft: »Wer bist du?«

»Umaima«, stammelte sie.

Er erinnerte sich dieses Namens. Das Mädchen gehörte zu den Mägden und war eine Verwandte seiner Mutter. Sie diente im Haus, so wie seine Mutter im Haus gedient hatte, bevor der Vater sie heiratete. Er hatte Lust, sich noch ein wenig mit ihr zu unterhalten, und fragte: »Was hat dich in den Garten geführt?«

Sie schlug die Augen nieder. »Ich dachte, hier wäre niemand.«

»Aber es ist euch doch verboten …«

»Herr«, flüsterte sie fast unhörbar, »ich habe gefehlt.« Sie ging ein paar Schritte rückwärts, bis sie schließlich hinter der Wegkrümmung verschwunden war. Er konnte noch hören, wie sie schnell davonlief. Unwillkürlich murmelte er vor sich hin: »Du bist so schön!« Noch nie hatte er sich so sehr als eines der Geschöpfe dieses Gartens empfunden. Die Rosen, der Jasmin, die Nelken, die Vögel, die Tauben und er – all das war ein einziger Gesang. Umaima ist ein wunderschönes Mädchen, dachte er. Selbst ihre dicken Lippen sind hübsch. Bis auf den hochmütigen Idris sind alle meine Brüder verheiratet. Wie ähnlich ist ihre Haut der meinigen! Wie herrlich war es, ihren Schatten von meinem bedeckt zu sehen! Es sah aus, als wäre er ein Teil meines von Wünschen verwirrten Körpers. Wenn meine Wahl auf sie fällt, dann kann der Vater darüber nicht spotten. Warum hätte er sonst meine Mutter geheiratet?

3

Verwirrt durch die geheimnisvolle Schönheit, bemühte er sich, die Tagesrechnung zu prüfen. Doch er sah immer nur die Schwarzhäutige vor sich. Dass er ihr heute zum ersten Mal begegnet war, wunderte ihn nicht. Der Harem in diesem Haus glich den inneren Organen eines Menschen. Man weiß von ihnen, lebt dank ihrer, aber man sieht sie nicht. Sich rosigen Träumen hingebend, wurde er plötzlich durch eine markerschütternde Stimme aufgeschreckt, die nicht weit weg von ihm, vielleicht sogar aus dem Haus selbst, zu ertönen schien.

»Ich bin hier!«, hörte er es schreien. »Ich bin hier in der Wüste, Gabalawi! Ich verfluche euch alle, Frauen wie Männer! Fluch über euch! Ich bin bereit, jedem die Stirn zu bieten! Hörst du das, Gabalawi?«

»Idris!«, schrie Adham und rannte in den Garten, wo er auf den völlig verstörten Radwan stieß, der ihm zurief: »Idris ist betrunken! Ich habe ihn vom Fenster aus gesehen, er schwankt und kann kaum noch laufen. Welche Schande werden die Mächte des Schicksals noch über unsere Familie bringen?«

Adham schloss die Augen. »Mir ist, als würde mein Herz vor Leid bersten, Bruder.«

»Was sollen wir tun? Ein Unglück bedroht uns!«

»Meinst du nicht, Bruder, dass wir mit Vater noch einmal reden müssen?«

Radwan runzelte die Stirn. »Unser Vater wird darüber nicht nochmals sprechen wollen. Und so, wie sich Idris jetzt aufführt, wird er seinen Zorn nur noch vergrößern.«

»Wir können überhaupt nichts tun«, sagte Adham niedergeschlagen.

»Das ist wohl so. Die Frauen sitzen und weinen, Abbas und Galil sind völlig verstört, unser Vater hat sich in sein Zimmer zurückgezogen und erlaubt niemandem, sich ihm zu nähern.«

Adham wurde immer klarer, wie schwierig die Situation war. Unruhe befiel ihn. »Siehst du denn nicht, dass wir irgendetwas tun müssen?«, fragte er verzweifelt.

»Es scheint, dass jeder nur auf sich bedacht ist. Die eigene Sicherheit geht über alles. Ich werde meine Stellung nicht aufs Spiel setzen, und sollte auch der Himmel auf die Erde niederstürzen. Aber mit Idris wird jetzt die Ehre unserer Familie in den Schmutz gezogen.«

»Warum bist du denn ausgerechnet hierher, zu mir, gekommen?«, fragte Adham. Er hatte das Gefühl, dass er von einem auf den anderen Tag das schwarze Schaf geworden war. Er seufzte schwer. »Ich bin nicht schuld daran! Trotzdem werde ich wohl weiterhin kein ruhiges Leben haben, wenn ich schweige …«

»Für dich gibt es vielerlei Gründe, etwas zu tun«, antwortete Radwan im Weggehen.

Adham blieb allein zurück. In seinen Ohren hallten Radwans Worte wider. »Für dich gibt es vielerlei Gründe …« Ja, er war der Angeklagte, obwohl er sich nichts hatte zuschulden kommen lassen. Wie der Wind einen Wasserkrug einfach zerbrach, so spielte auch ihm das Schicksal übel mit. Immer dann, wenn die Brüder Mitleid mit Idris fühlten, würden sie ihn verfluchen. Schweren Herzens ging er zum Tor. Als er es öffnete, lag auf seinem Gesicht ein gütiges und zugleich verstörtes Lächeln. Idris stand nicht weit weg. Er schwankte, rollte mit den Augen und raufte sich das Haar. Seine Galabiya stand weit offen, sodass das Brusthaar zu sehen war. Kaum hatte er Adham erblickt, wollte er sich, wie die Katze auf die Maus, auf ihn stürzen. Aber trunken, wie er war, fiel er zu Boden. Er griff nach Sand, warf eine Handvoll gegen Adham und traf ihn an der Brust. Der Sand rieselte an der Abaja hinunter. Freundlich sagte Adham: »Mein Bruder …«

Aber Idris ließ ihn nicht aussprechen, sondern tobte los: »Schweig, du Hund und Sohn einer Hündin! Weder bist du mein Bruder, noch ist dein Vater der meinige! Möge dieses Haus über euch Zusammenstürzen!«

Bittend sagte Adham: »Aber du bist doch der Edelste und Vornehmste dieses Hauses.«

Idris stieß ein kaltes Lachen aus und rief: »Warum bist du gekommen, du Sohn einer Magd? Lauf zu deiner Mutter, und bring sie in die Mägdekammer, wo sie hingehört!«

Adham blieb freundlich. »Lass dich nicht vom Zorn beherrschen, und verwehre nicht denen den Weg zu dir, die dir Gutes wollen.«

Aber Idris fuchtelte mit den Händen und schrie: »Verflucht sei das Haus, in dem sich nur Feiglinge wohlfühlen! Für ein Stück Brot nehmen sie die Schmach von Demütigungen auf sich und dienen noch dem, der sie knechtet! Ich werde nicht in ein Haus zurückkehren, in dem du Führer bist. Sag deinem Vater, dass ich von nun an dort leben werde, woher er gekommen ist, in der Wüste! Sag ihm, dass ich das werde, was er einmal war, ein Wegelagerer! Streitsüchtig, ruchlos, zähnefletschend wie er, so will ich werden. Überall, wo ich mein Unheil treibe, sollen die Menschen auf mich zeigen und sagen: ›Das ist der Sohn von Gabalawi!‹ So werde ich euch in den Schmutz ziehen, das merke dir, du, der du zu denen gehörst, die sich dünken, Herren zu sein, und doch nichts weiter sind als schmutzige Diebe.«

»Komm zu dir, Bruder«, flehte Adham. »Denk daran, dass jedes Wort dir noch größeren Tadel einbringen kann. Noch ist der Weg dir nicht versperrt, wenn du jetzt nicht endgültig dafür sorgst. Ich verspreche dir, dass alles so wird wie vorher.«

Als Idris sich schwankend erhob und taumelnd auf Adham zukam, sah er aus, als stemmte er sich gegen den Wind, der ihn zurückdrängen wollte. »In wessen Namen kannst du mir so etwas versprechen, du Sohn einer Magd?«, schrie er.

»Im Namen der Brüderlichkeit«, antwortete Adham und beobachtete ihn wachsam.

»Der Brüderlichkeit! Die habe ich auf dem ersten Scheißhaus vergessen, an dem ich zufällig vorbeikam!«

Schmerzlich berührt sagte Adham: »Früher waren deine Worte voller Anmut.«

»Die Herrschsucht deines Vaters hat mich gelehrt, die Wahrheit auszusprechen.«

»Ich will nicht, dass die Menschen dich in diesem Zustand sehen.«

»Sie werden mich mit jedem Tag in einem noch viel schlimmeren Zustand sehen«, erklärte Idris höhnisch lachend. »Durch mich werden Schande, Ehrlosigkeit und Verbrechen über euch kommen. Wenn dein Vater mich ohne jede Scham verstoßen hat, dann soll er auch die Folgen tragen.« Er stürzte auf Adham zu, doch dieser wich zurück, und Idris wäre fast gefallen, wenn er sich nicht an der Mauer des Gartens hätte stützen können. Er blieb röchelnd stehen und suchte mit den Augen den Boden nach einem Stein ab. Adham ging schnell auf das Tor zu und trat ein, Tränen in den Augen. Idris’ Brüllen und Toben hörte nicht auf. Von Mitleid erfüllt, schritt Adham auf die Terrasse des Großen Hauses zu. In der Halle erblickte er den Vater. Er trat auf ihn zu, ohne von ihm bemerkt zu werden. Seine Trauer über das Geschick des Bruders war stärker als die Angst vor dem Vater. Geistesabwesend schaute er ihn nun an. Groß und breitschultrig, wie er war, stand er mit dem Rücken zu einem Bild, das auf die hintere Wand der Halle gemalt war. Adham senkte den Kopf und sagte: »Frieden sei mit Euch!«

Gabalawi musterte ihn mit seinem durchdringenden Blick, der bis ins Tiefste des Herzens zu gehen schien. »Erzähl, warum du gekommen bist.«

Adham wagte nur, kaum hörbar zu flüstern: »Mein Vater, Bruder Idris ist …«

Mit schneidender Stimme unterbrach ihn Gabalawi: »Erwähne nie wieder seinen Namen in meiner Gegenwart.« Im Weggehen fügte er hinzu: »Geh wieder an deine Arbeit.«

4

Die Tage und Nächte verstrichen, und mit Idris ging es immer mehr bergab. Jeden Abend konnte er in seinem Lebensbuch eine neue Torheit verzeichnen. Er lungerte um das Große Haus herum und stieß die widerlichsten Flüche aus, oder er saß nackt, wie ihn seine Mutter geboren hatte, in der Nähe des Tores, als nähme er ein Sonnenbad, und sang die zotigsten Lieder. Bisweilen schlenderte er auch, mit seiner Kraft protzend, durch die benachbarten Viertel, warf den Vorüberkommenden herausfordernde Blicke zu und fing mit jedem Streit an, der sich ihm in den Weg stellte. Die Leute versuchten, ruhig zu bleiben, wichen ihm aus und flüsterten sich zu: »Der Sohn von Gabalawi!« Um Essen und Trinken sorgte Idris sich nicht. Wo er etwas fand, nahm er es sich, ob nun von einem Tisch in einer Gaststube oder von einem Gemüsekarren. Er schlug sich den Bauch voll, ging, ohne ein Wort des Dankes und ohne etwas zu bezahlen, weiter. Wenn ihm nach Geselligkeit war, suchte er das nächste Gasthaus auf und zechte, bis er betrunken war. Dann legte er los und machte sich lustig über die lächerlichen Geheimnisse seiner Familie, ihre Wunderlichkeiten, albernen Sitten, ihre verächtliche Feigheit und prahlte auf diese Weise damit, dass er es gewagt hatte, seinem Vater, der in aller Augen ein schrecklicher Tyrann war, zu trotzen. Es währte nicht lange, und er erzählte irgendwelche zweideutigen Witze, lachte schallend los, und manchmal sang und tanzte er auch. Seine Stimmung war auf dem Höhepunkt, wenn der Abend mit einer Schlägerei endete. Dann machte er sich, nach hier und dort grüßend, auf den Weg. So gut die Menschen konnten, mieden sie ihn. Für sie war er einer von vielen Schicksalsschlägen.

Der Familie blieb das alles nicht verborgen, es bereitete ihr große Sorge und Pein. Die Mutter war voller Kummer, sodass sie plötzlich an einer Lähmung erkrankte und der Tod nahte. Als Gabalawi an ihr Bett trat, um sich von ihr zu verabschieden, wies sie anklagend und schweigend auf ihn und verschied in Zorn und Trauer. Wie die Fäden eines Spinngewebes legte sich Trübsal auf die Familie, die Brüder feierten des Nachts nicht länger auf dem Dach, und Adham spielte im Garten nicht mehr Flöte.

Eines Tages wurde die Stille des Hauses von einem neuerlichen Zornesanfall Gabalawis unterbrochen. Dieses Mal war eine Frau sein Opfer, er beschimpfte sie mit lauter Stimme und wies sie aus dem Haus. Es ging um eine Dienerin namens Nargis. Er hatte erfahren, dass sie schwanger war. Sie gab zu, Idris habe sich an ihr vergangen, bevor er aus dem Haus vertrieben worden war. Also verließ sie, klagend und sich die Wangen schlagend, das Haus. Planlos irrte sie einen ganzen Tag umher, bis Idris sie schließlich fand. Er nahm sie mit, ohne sich darüber besonders zu freuen oder zu ärgern, aber mit dem Gefühl, dass sie vielleicht irgendwann einmal zu etwas nützlich wäre.

Wie groß ein Unglück auch sein mag, der Mensch hat sich doch eines Tages daran gewöhnt. So gingen also auch im Großen Haus die Menschen wieder dem normalen Alltag nach, gerade so, als kehrten die Bewohner nach einem Erdbeben, das sie zur Flucht gezwungen hatte, wieder zurück. Radwan, Abbas und Galil vergnügten sich des Nachts erneut auf dem Dach, und Adham verbrachte seine Abende wieder im Garten und vertraute sich der Flöte an. Er ertappte sich dabei, dass beim Gedanken an Umaima sein Kopf klarer und sein Herz wärmer wurden. In seiner Vorstellung sah er immer wieder ganz deutlich, wie sich ihr Schatten um seinen legte. Er entschloss sich, zu seiner Mutter zu gehen und sich ihr anzuvertrauen. Sie saß in ihrem Zimmer und stickte an einem Tuch. Nachdem er ihr alles erzählt hatte, schloss er mit den Worten: »Das Mädchen ist Umaima, Mutter, deine Verwandte.«

Die Mutter lächelte schwach. Wenn sie sich über diese Nachricht auch freute, so ließ doch ihr kränklicher Zustand keine heftige Bewegung zu. »Ja, Adham«, sagte sie. »Sie ist ein gutes Mädchen, und ihr passt beide gut zueinander. Sie wird dich glücklich machen, so der Herr will.« Als sie sah, dass sich seine Wangen vor Freude röteten, fügte sie hinzu: »Aber es wäre nicht gut, mein Sohn, wenn du jetzt schon zärtlich zu ihr bist, das würde dir nur dein Leben verderben. Lass mich erst bei deinem Vater um ihre Hand anhalten. Vielleicht erlebe ich noch das Glück, deine Kinder zu sehen, bevor ich sterbe.«

Wenig später rief der Vater ihn zu sich. Als Adham sah, dass er ihm freundlich zulächelte, sagte er sich, nichts wiege so sehr die Strenge des Vaters auf wie dessen Güte. »Du also«, begann der Vater, »willst eine Ehefrau nehmen. Wie die Zeit doch vergeht! In diesem Haus werden die Armen zwar gering geschätzt, aber mit deiner Wahl, dem Wunsch nach Umaima, ehrst du deine Mutter. Vielleicht wirst wenigstens du gute Nachkommen zeugen, denn Idris ist uns verloren, Abbas und Galil sind nicht zeugungsfähig, und von Radwans Kindern ist keines am Leben geblieben. Sie alle haben von mir nur meinen Stolz geerbt. So liegt denn die Hoffnung dieses Hauses bei deinen Nachkommen, wenn sich nicht mein Lebenswerk im Nichts auflösen soll.«

So fand also Adhams Hochzeit statt, prächtig wie keine andere je zuvor. Noch heute ist die Erinnerung daran in gleichnishaften Wendungen lebendig. In jener Nacht hingen Lampions in den Zweigen der Bäume, und auch auf der Gartenmauer leuchteten Lichter, sodass das Große Haus als Lichtermeer inmitten der dunklen Wüste erstrahlte. Auf dem Dach war ein Zelt für die Sänger und Sängerinnen aufgeschlagen worden, und in der Halle, im Garten und vor dem Tor standen Tische mit den köstlichsten Speisen und Getränken. Nach Mitternacht setzte sich der Hochzeitszug am äußersten Ende von Gamalija in Bewegung, und jeder, der Gabalawi liebte oder auch fürchtete, schloss sich ihm an, sodass keiner der Bewohner fehlte. Adham schritt stolz in einem seidenen Gilbab und mit brokatbesticktem Schaltuch einher, neben ihm gingen Abbas und Galil. Radwan eröffnete den Zug, flankiert von Blumen- und Kerzenträgern. Vor ihm tummelte sich eine Menge von Sängern und Tänzern. Lieder wurden gesungen, die Musiker feuerten die Sänger mit verzückten Rufen an, und die Menschenmenge brach immer wieder in Hochrufe auf Gabalawi und Adham aus. Das ganze Viertel hallte von den Freudentrillern der Frauen wider. Der Hochzeitszug bewegte sich von Gamalija über Utuf nach Kafr as-Sirari und Mabjada. Überall wurde er laut begrüßt, und selbst die jungen Mädchen zeigten sich auf der Straße. Wer den Stocktanz tanzen wollte, tat das, wer einen anderen Tanz vorzog, tanzte den andern. In den Schankstuben wurde Freibier ausgeschenkt, sodass sich sogar die Diener betranken. Wasserpfeifen machten die Runde, und der Duft von Haschisch und Opium hing schwer in der Luft.

Aber plötzlich tauchte dort, wo der Weg eine Biegung machte und zur Wüste hinter dem Großen Haus führte, Idris auf. Er löste sich aus der Finsternis wie ein böser Dämon. Die Lampionträger blieben mit einem Ruck stehen, und der Name »Idris« ging flüsternd von Mund zu Mund. Die Tänzer erstarrten. Die Holzpfeifen verstummten, und die Trommelschläger rührten sich nicht mehr. Jedes Lachen verstummte. Die Gäste fragten sich unruhig, was sie tun sollten. Wenn sie sich Idris gegenüber freundlich verhielten, würde es ihnen vielleicht schaden. Wenn sie ihn aber schmähten, dann würde diese Schande einen Sohn von Gabalawi treffen. Aber Idris ließ sie nicht länger überlegen. Er schwenkte einen dicken Knüppel und rief: »Wessen Hochzeit ist das hier, ihr elenden Feiglinge?«

Alles schwieg und starrte zu Adham und seinen Brüdern. Idris bedrängte sie weiter: »Seit wann seid ihr die Freunde des Sohns einer Magd und seines Vaters?«

Da löste sich Radwan aus der Menge, schritt auf ihn zu und sagte: »Bruder, du tätest gut daran, den Hochzeitszug weitergehen zu lassen.«

Idris fuhr ihn zornig an: »Du bist der Letzte, Radwan, der etwas zu sagen hat, bist du doch nichts weiter als ein Verräter und der Sohn eines Feiglings! Ein Kriecher bist du, der für ein bequemes Leben mit seiner Ehre und dem Anstand der Brüderlichkeit bezahlt!«

Besorgt bat Radwan: »Aber die Leute haben doch nichts mit unserem Streit zu tun …«

Idris lachte nur. »Sie wissen sehr wohl, wie schändlich ihr euch benehmt. Wenn sie nicht von jeher so feige wären, dann gäbe es bei dieser Hochzeit weder einen Musiker noch einen Sänger.«

»Dein Vater hat uns deinen Bruder anvertraut«, entgegnete ihm Radwan mit fester Stimme. »Also müssen wir ihn auch verteidigen.«

»Siehst du denn nicht, dass du dich nur selbst verteidigst und nicht diesen Mägdesohn?«, erwiderte Idris spöttisch.

»Wo hast du bloß deinen Verstand gelassen, Bruder? Wenn du nur Vernunft annimmst, wirst du wieder nach Hause kommen können.«

»Du lügst!«, schrie Idris. »Und du weißt auch, dass du lügst.«

Traurig erwiderte Radwan: »Ich werde dich nicht beschimpfen. Lass den Hochzeitszug in Frieden vorbeiziehen.«

Die einzige Antwort von Idris war, dass er sich wutschnaubend wie ein Stier auf die Hochzeitsgäste stürzte und seinen Knüppel auf sie niedersausen ließ. Die Lampen verloschen, die Trommeln verstummten, und die Blumen flogen zerfetzt umher. Die Menschen flohen entsetzt, wie Sandkörner vor einem Sturm. Radwan, Abbas und Galil bauten sich vor Adham auf. Als Idris das sah, geriet er außer Rand und Band. »Ihr Lumpen, ihr! Ihr schützt doch diesen da bloß, weil ihr Angst um euer Essen und Trinken habt!« Er fiel über sie her, sie aber wehrten seine Schläge mit Knüppeln ab und zogen sich dabei langsam zurück. Da aber stürmte Idris mit einem Satz voran und bahnte sich einen Weg zu Adham. Grelle Schreie ertönten an den Fenstern des Großen Hauses. Adham duckte sich und rief: »Idris! Ich bin doch nicht dein Feind, komm doch zur Vernunft!«

Aber Idris scherte sich nicht darum, er hob seinen Stock und wollte losschlagen, als ein Ruf erscholl: »Gabalawi!«

Radwan schrie Idris an: »Der Vater kommt!« Idris sprang an den Wegrand und sah, als er sich umblickte, inmitten einer Schar von Fackelträgern Gabalawi. Er knirschte mit den Zähnen und rief ihm spöttisch entgegen: »Nicht lange, und ich werde dir einen Bastard als Engel ins Haus schicken, an dem sich dein Herz erfreuen wird!« Als er losrannte, machte ihm die Menge den Weg frei. Er lief in Richtung Gamalija und war bald in der Dunkelheit verschwunden.

Gabalawi war bei den Brüdern angekommen. Hunderte von Blicken verfolgten neugierig, was nun geschehen würde. Er aber schien äußerlich ganz ruhig und sagte mit strenger Stimme: »Macht weiter!«

Die Lampenträger zündeten aufs Neue die Lichter an, die Trommler schlugen wieder den Rhythmus, die Holzpfeifen jubilierten, die Sänger ließen ihre Stimmen erschallen, und die Tänzer hüpften und sprangen. Der Hochzeitszug setzte sich in Bewegung.

Bis zum frühen Morgen ging im Großen Haus das Fest mit frohem Lachen, Trinken und Singen weiter. Als Adham sein Zimmer betrat, von dem aus man die Mukattam-Wüste sehen konnte, stand Umaima vor dem Spiegel. Ihr Gesicht war noch immer vom weißen Schleier verhüllt. Volltrunken, wie er war, konnte Adham sich fast nicht auf den Beinen halten. Er ging zu ihr, krampfhaft bemüht, einen klaren Gedanken zu fassen. Er hob den Schleier und erblickte ihr wunderschönes Gesicht. Sein Kopf fiel vornüber, bis seine Lippen an ihrem zusammengepressten Mund hängen blieben. Als er von ihr ließ, stammelte er trunken: »Ende gut, alles gut.« Dann drehte er sich um und ging, mühselig die Beine schleppend, zum Bett. Angezogen, mit seidenem Gilbab und Schuhen, ließ er sich der Länge nach fallen. Umaima hatte ihn im Spiegel beobachtet und lächelte mitleidig und sehnsuchtsvoll.

5

Adham fand bei Umaima eine Glückseligkeit, wie er sie nie zuvor empfunden hatte. In seiner Einfalt zeigte er sein Glück in Worten und Gesten, sodass die Brüder sich bald über ihn lustig machten. Am Ende eines jeden Gebets streckte er die offenen Handflächen vor und sagte freudig: »Gepriesen sei der Herr der Gnade, dass mir mein Vater günstig gesinnt ist, meine Frau mich liebt und ich eine Stellung innehabe, für die andere viel besser geeignet wären. Gepriesen sei der Herr der Gnade, dass er mir den Garten, den Gesang und die Flöte gegeben hat.« Jede Frau im Großen Haus war der Meinung, dass Umaima eine kluge Gattin war, hütete sie doch ihren Mann, als wäre er ihr Sohn. Die Schwiegermutter hatte sie sich zur Freundin gemacht, indem sie ihr und sogar deren Familie diente. Sie kümmerte sich um ihre häuslichen Angelegenheiten, als wären diese ein Stück ihres Leibes. Adham aber war stets liebevoll und freundlich im Umgang. Wenn ihm die Arbeit in der Stiftungsverwaltung zuvor schon Zeit für sein unschuldiges Vergnügen im Garten genommen hatte, so füllte jetzt die Liebe den Rest seiner freien Zeit völlig aus. Er stürzte sich so in dieses Gefühl, dass er sich selbst dabei fast völlig vergaß. Die Tage verliefen für ihn in vollkommenem Glück, was für Radwan, Abbas und Galil nur noch mit Spott zu ertragen war. Trotzdem lag auf allem jene weise Ruhe, welche sprudelnde, aufgewühlte und schäumende Wassermassen finden, wenn sie nach Stromschnellen endlich den träge dahinfließenden Fluss erreicht haben.

Aber es dauerte nicht lange, und Adhams Herz begann, unruhig zu werden. Er fühlte, dass die Zeit nicht mehr wie im Fluge verstrich, sondern dass ein Tag wie der andere von der Nacht abgelöst wurde. Wenn die Vertrautheit ein für alle Mal gegeben war, dann verlor sie alle Bedeutung. Der Garten aber war ein wahres Vergnügen gewesen, das zu schön war, um es einfach aufzugeben. Auch wenn er solcherlei Gedanken hegte, so bedeutete das nicht, dass sich sein Herz von Umaima abgewendet hatte und sie nicht länger sein Innerstes ausfüllte. Es ist eben nur so, dass das Leben in bestimmten Zeiträumen verläuft, die sich der Mensch erst nach und nach bewusst macht. So kehrte er also zu seiner alten Gewohnheit zurück, dankbar und zugleich mit kleinen Schuldgefühlen am Bach zu sitzen und die Blumen und Vögel zu betrachten.